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PhilTalk-Diskussion
 

Wahrheit V

- Eberhard am 18. Dez. 2004, 23:13 Uhr

Hallo allerseits,

dies ist die Fortsetzung von Wahrheit IV.

Auch wenn schon einiges diskutiert wurde, sind wir kein "closed shop".

Wichtig ist nur die Orientierung an der Fragestellung: "Was meinen wir, wenn wir eine Aussage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit als 'wahr' bezeichnen und wie stellt man fest, ob eine Aussage wahr ist?"

Es grüßt Euch Eberhard.

Gegenwärtig diskutieren wir das Verhältnis zwischen dem "Für-wahr-halten" einer Aussage durch ein bestimmtes Individuum und dem "wahr sein" einer Aussage. In diesen Zusammenhang gehören auch die Forderungen nach "Objektivität" bzw. der "Intersubjektivität" einer Aussage.

Wuwei hatte geschrieben: "Jedes angebliche Wahr-Sein ist immer ein Für-wahr-halten. … Ihr glaubt, dass es Objektivität außerhalb des Subjekts bzw. unabhängig von ihm geben könnte….(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann. Aber diese Objektivität ist wiederum nur innerhalb der Subjektivität möglich. Das heißt, der Satz an sich kann nicht wahr oder falsch sein, aber die überwältigende Mehrheit kann ihn für wahr halten. …

Die Röte der Rose (ist) keine objektive Eigenschaft für sich, sondern eine subjektive Wahrnehmung. … Dennoch scheinen wir uns alle darüber einig zu sein, dass die Rose rot ist. Wir haben eine gemeinsame Wahrnehmung. Das läßt uns glauben, dass das gemeinsam Wahrgenommene ein objektives Ding ist, dass es also für sich genauso ist, wie es sich für uns darstellt. Wir glauben, wenn wir es nicht wahrnehmen, ist es für sich genauso, wie wir es zuvor wahrgenommen haben  …
Oder wir vermuten, dass sich hinter unserer subjektiven Wahrnehmung einer roten Rose eine objektive Realität verbirgt. Schließlich muss es doch, so glauben wir, für unsere subjektive Wahrnehmung eine Ursache, also eine Quelle geben. Trotz aller Intersubjektivität aber bleibt das eine reine Annahme, weil wir auf diese vermutete objektive Realität niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis erhalten können."

Das Problem, das Du anschneidest, besteht im Übergang von Sätzen wie: "Vor mir sehe ich eine rote Rose" (Aussagen über eigene interpretierte Sinneswahrnehmungen) zu Sätzen wie: "Vor mir ist eine rote Rose" (Aussagen über die Existenz von Dingen).

Wir vollziehen diesen Übergang von den Interpretationen unserer Sinneswahrnehmungen zu Aussagen über die Existenz von Dingen ständig und die Sprache stellt dafür die nötigen Begriffe zur Verfügung. Ist das alles eine Täuschung?

Betrachten wir die Sache wieder am konkreten Fall.

A sagt: "Zwei Schritte vor mir sehe ich in nördlicher Richtung eine rote Rose." A macht 5 Sekunden die Augen zu und öffnet die Augen wieder. Er sieht vor sich immer noch (oder wieder) eine rote Rose. Er dreht sich um 180 Grad und sieht nach Süden. Er sieht keine rote Rose. Er dreht sich wieder zurück und er sieht wieder eine rote Rose.

A geht vier Schritte in nördlicher Richtung. Er sieht keine rote Rose vor sich. Er dreht sich um und jetzt sagt er: "Zwei Schritte vor mir sehe ich in südlicher Richtung eine rote Rose." A macht fünf Sekunden die Augen zu und öffnet sie wieder. Er sieht vor sich wieder eine rote Rose.

Würde A auf der Ebene der Wahrnehmungsbeschreibungen verbleiben, dann hätte er mit immens großen Mengen an verschiedenen aufeinander folgenden Wahrnehmungen von verschiedenen Orten aus zu tun. Die Datenmengen wären nicht zu bewältigen.

Wenn A jedoch annimmt, dass die zahllosen Wahrnehmungen roter Rosen alle Wahrnehmungen derselben Rose sind, die am gleichen Platz geblieben ist, dann wird das Geschehen plötzlich außerordentlich übersichtlich und einfach.

Und wenn A annimmt, dass Rosen relativ dauerhafte und unbewegliche Dinge sind, dann kann er sogar Annahmen über seine zukünftigen Wahrnehmungen machen: "Wenn ich jetzt für 60 Sekunden die Augen zu mache und sie dann öffne, dann werde ich vor mir eine rote Rose sehen."

Es ist also bereits für das einzelne Individuum außerordentlich hilfreich, in seinem Denken und Sprechen von einer Welt der Wahrnehmungen überzugehen zu einer Welt existierender Dinge.

meint Eberhard.

- V
- gershwin am 19. Dez. 2004, 06:30 Uhr

Hallo Leute
War mal wieder ne Weile weg, werde aber auf die an mich gerichteten Beiträge noch antworten.
Nur hier ganz kurz eine Bemerkung zu dem, was Eberhard oben geschrieben hat:


Zitat:

...(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann.



Ich hatte ja bereits zur Genüge betont, dass ich es für einen Fallstrick halte, von "Wahrheit" als einer Entität zu sprechen. Und dass ich die Zuschreibung "unwahr" lediglich als eine Art Warnschrei betrachte.
Nun ist Objektivität auch NUR ein Wort, auf dessen Bedeutung man sich konsensual einigen muss. Und je nachdem, wie man es definiert, kann ein Satz SELBSTVERSTÄNDLICH objektiv wahr sein (exakt: darf man einen Satz selbstverständlich als objektiv wahr bezeichnen).
Philosophen legen ab und an die Objektivitätskriterien so hoch an, dass es unmöglich objektiv wahre Aussagen geben kann. Aber damit führen sie natürlich das Wort objektiv ad absurdum. Wozu braucht man es dann noch?

Eine Analogie wäre es, Schönheitskriterien so hoch anzulegen, dass kein Gegenstand sie je erfüllen kann (etwa: schön ist etwas, das bei jedem Menschen Entzückensschreie auslöst). Wozu bräuchte man denn dann das Wort "schön" ?
Soviel zunächst.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 19. Dez. 2004, 06:51 Uhr

Hallo Wuwei,

Du schreibst: "Wir vermuten, dass sich hinter unserer subjektiven Wahrnehmung einer roten Rose eine objektive Realität verbirgt. Schließlich muss es doch, so glauben wir, für unsere subjektive Wahrnehmung eine Ursache, also eine Quelle geben. Trotz aller Intersubjektivität aber bleibt das eine reine Annahme, weil wir auf diese vermutete objektive Realität niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis erhalten können."

Ich frage Dich:

Wie kannst Du selber schreiben: "Thomas erwähnt das zwar, schreibt aber dennoch: "……." ?

Wenn Du davon sprichst, dass Thomas etwas getan hat, dann setzt Du doch voraus, dass es Thomas gibt, oder?

fragt Dich Eberhard.

- V
- WuWei am 19. Dez. 2004, 15:26 Uhr

Hallo Eberhard,

wir dürften uns einig sein, dass die Sprache unser Denken widerspiegelt, und umgekehrt ebenso. Wie ich über die Welt denke, so spreche ich über sie. Und ebenso wird ein Kind genauso über die Welt denken, wie es gelernt hat, darüber zu sprechen. Denken und sprechen sind da gar nicht zu trennen.

Wir sollten uns wirklich klar machen - wie auch Thomas Gershwin schreibt - was wir mit Objektivität meinen. Wobei ich nicht glaube, dass die Philosophen den Maßstab so hoch legen. Es ist eher die gesamte Gesellschaft, die zum Großteil wissenschaftlich geprägt ist, die an "reine" Objektivität glaubt. Es sind aber zumeist Philosophen, die versuchen, das zu hinterfragen.

Wie ich schonmal sagte, vertrete ich einen non-dualistischen Ansatz. Danach sind Subjektivität und Objektivität nicht zu trennen. Das heißt, wenn ich sage, alles ist subjektiv, dann will ich nicht Objektivität leugnen. Es gibt nur nicht Objektivität für sich, genausowenig wie es Subjektivität für sich gibt. Alles ist also immer subjektiv und gleichzeitig objektiv.

Stell es dir einfach mal so vor, dass Objektivität die Form/Erscheinung der Subjektivität ist, während Subjektivität das Wesen/die Essenz von Objektivität ist. Erlasse mir bitte mal die Begründung dafür, vielleicht ergibt sie sich ja aus dem folgenden.

Du hast recht: es läuft auf die Frage hinaus, wenn ich dort eine Rose sehe, kann ich dann daraus schließen, dass dort wirklich eine Rose IST? Liegt meiner subjektiven Wahrnehmung also eine objektive Realität zugrunde?

Dazu sollte uns eines klar sein: was immer ich glaube oder weiß, oder glaube zu wissen, geht auf Wahrnehmungen zurück. Ob ich die Rose schön finde, ob sie mich an meine Geliebte erinnert, oder ob ich die Rose "objektiv" messe, also ihr Gewicht bestimme, ihren Wasseranteil oder ihre chemische Zusammensetzung, all dem liegt eine Wahrnehmung zugrunde.

Ob nur ich die Rose berückend schön finde und damit etwas persönliches hineininterpretiere, oder ob ich mir mit allen anderen einig bin, dass sie laut Waage exakt 49 Gramm wiegt,
beidem liegt eine Wahrnehmung zugrunde. Das Ablesen der Waage ist ebenso subjektive Wahrnehmung, wenn auch intersubjektiv übereinstimmend.
(subjektiv ist im Sinne von "wahrnehmend" gemeint, nicht wie umgangssprachlich verstanden "persönlich gefärbt" )

Wir können uns also intersubjektiv über das Gewicht der Rose einig sein, aber wir sollten deswegen nicht die subjektive Wahrnehmung ausklammern oder unter den Tisch fallen lassen. Das ist der ganze Irrtum.

Wir glauben, die von uns wahrgenommenen Dinge würden für sich genauso sein, wie sie sich für uns darstellen. Schließlich finde ich die Rose doch immer am gleichen Platz, dann kann sie doch keine Einbildung sein, nicht wahr?

Der Witz ist, dass es vollkommen unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Rose objektiv für sich sein sollte. Jede Vorstellung oder Aussage darüber kann sich ja nur an der Erinnerung an meine subjektive Wahrnehmung der Rose orientieren.

Ein Beispiel: Stell dir vor, vor dir auf dem Boden liegt ein großer Gummiball. Dieses runde Ding, das wir Ball nennen, nimmst du aus einer bestimmten Perspektive wahr. Du kannst jetzt aufstehen, um den Ball herumgehen, und nimmst ihn aus einer anderen Perspektive wahr. Es ist immer noch dieses runde Ding, nicht wahr? Wenn du aber die Perspektive eines winzigen Tieres einnehmen könntest und nichts von einer menschlichen Perspektive wüßtest, wäre da kein rundes Ding, sondern eine riesige Fläche, deren Krümmung du vielleicht nicht einmal bemerken würdest. Es könnte auch sein, dass du einen gigantischen Hohlraum wahrnimmst, der sich aus einer anderen Perspektive als rundes Ding darstellt.

Du wirst jetzt wahrscheinlich einwenden, dass trotz aller denkbaren Perspektiven doch weiterhin dieses runde Ding da ist, aber dabei fällst du bereits wieder in deine menschliche Perspektive.

Ich weiß nicht, ob ich das schlüssig ausgedrückt habe, aber
was ich sagen will: wenn es dieses runde Ding objektiv für sich gäbe, müßte es quasi frei von jeglicher Perspektive sein. Bzw. alle theoretischen Perspektiven auf sich vereinen. Dann aber hätte dieses Ding keine bestimmte Form mehr bzw. alle möglichen Formen. Und damit wäre es aber kein separates Ding mehr. Das heißt, jede Form ist allein definiert durch die Perspektive eines Beobachters. Kein Beobachter - keine Form - kein Ding.

Also Eberhard, existiert die Rose, wenn du dich umdrehst und sie nicht siehst? Ich würde sagen: nein. Sie existiert nicht, auch nicht, wenn du sie siehst. Weil es sowas wie Existenz überhaupt nicht gibt. Es gibt nur Erscheinungen. Bevor du jetzt ärgerlich wirst, möchte ich dir drei Zitate liefern.

Hui-Neng, ein buddhistischer Mönch des 6.Jahrhunderts, sagte: "von Anbeginn aller Zeiten hat nicht ein einziges Ding existiert. Wie könnte ein Sandkorn existieren, woran sollte es kleben?" Max Plank sagte: "nach jahrelanger Erforschung muss ich sagen, dass es überhaupt keine Materie gibt". Hans-Peter Dürr sagt: "Materie ist die Schlacke des Geistes".

Was ich sagen will: genausowenig wie es Subjektivität oder Objektivität als solche gibt, gibt es Existenz oder Nicht-Existenz als solche. Alles ist existent und gleichzeitig nicht-existent. Nichts ist, aber alles erscheint. Die Wirklichkeit fällt nicht in Kategorien wie Existenz oder Nicht-Existenz, sie ist jenseits davon. Und das ist schon zuviel gesagt.

Zurück zur Rose. Warum also erscheint die Rose immer am gleichen Ort, wenn sie doch angeblich nicht objektiv existiert? Weil sie tatsächlich ein-ge-Bild-et ist. Aber nicht von dir oder mir persönlich. Sie ist eine Einbildung, eine Projektion, ein Ausdruck, eine Form des universellen Bewußtseins/Geistes. Genau wie Eberhard und WuWei eine Projektion des Bewußtseins sind. WIE die Rose wahrgenommen wird, hängt wiederum von den (natürlich ebenfalls projizierten) Sinnesorganen und Gehirnen von dir und mir ab.

WAS konkret wahrgenommen wird, hängt von den Sinnesorganen, Gehirn, dem Licht und allem, was die Wissenschaftler so herausgefunden haben, ab.
Aber dass wahrgenommen wird, hängt von dem einen Bewußtsein ab. Wahrnehmung IST Bewußtsein.
Natürlich kann ohne Sinnesorgane nicht wahrgenommen werden. Aber Sinnesorgane sind selbst ein Ausdruck des Bewußtseins, das ist nicht zweierlei.

Solange du aber glaubst, dass Bewußtsein ein bloßes Nebenprodukt der Materie ist, oder dass du im Besitz von Bewußtsein bist, oder dass Bewußtsein räumlich bestimmbar ist, z. B. sich im Kopf befindet, hast du natürlich größte Probleme mit meinen Aussagen. Du solltest aber nicht vergessen, dass das gängige Verständnis von Bewußtsein auf reinen Annahmen basiert. Auch Bewußtsein existiert nicht als solches, nicht als Objekt. Zum Zwecke der Kommunikation muss ich es aber sprachlich objektivieren, indem ich ihm einen Begriff zuordne.

Wenn du die ganzen Wahrnehmungstheorien konsequent zu Ende denkst, wirst du vielleicht am selben Punkt landen. Alles, was du wahrnimmst, KANN nur ein subjektives Bild sein.
Ob du "dahinter" eine objektive, aber unzugängliche Realität vermutest (wie die Konstruktivisten), oder aber nicht (wie die radikalen Konstruktivisten), ist letztlich egal. Ob du das Gehirn eines Menschen oder die Galaxien des Universums untersuchst, es sind immer (inter-) subjektive Wahrnehmungsinhalte. Es ist quasi das Bewußtsein, das seine eigenen Projektionen betrachtet.

Das ist doch das große Problem aller Wahrnehmungstheorien: wie kann es sein, dass meine Wahrnehmung "hier" im Kopf entsteht, ich sie aber "dort draußen" sehe? Das Problem ist dabei die Trennung zwischen innen und außen. Die Wissenschaftler sagen, hier innen im Kopf entsteht das subjektive Bild eines Baumes, und dort draußen ist der reale Baum (sie verschweigen dabei gerne, dass der "reale Baum" eine reine Vermutung ist).

Das alles macht erst wieder Sinn, wenn ich die künstliche Trennung zwischen innen und außen aufhebe. Dann ist der Baum weder innen noch außen, sondern genau dort, wo ich ihn sehe. Weil ich auch nicht hier "innen" im Kopf bin, und auch nicht dort "draußen", außerhalb meines Kopfes.
Als wahrnehmendes Bewußtsein, als Subjekt, bin ich weder innen noch außen, ich bin nirgends und überall. Und nur weil ich der Baum BIN, kann ich ihn wahrnehmen. Auch wenn mein Körper und der Baum weiterhin als getrennt und voneinander entfernt erscheinen.

Es ist das eine Bewußtsein, das seine eigenen Formen betrachtet und dazu deine und meine Perspektive "benutzt".
Es identifiziert sich mit diesen Perspektiven, so dass der Eindruck von getrennten Wesen, von Persönlichkeiten entsteht.

Zu deiner letzten Frage. Ja, ich gehe davon aus, dass es Thomas gibt. Als Projektion im Bewußtsein, aus meiner persönlichen Perspektive. Und das gilt umgekehrt genauso für mich.

Überleg doch mal: selbst wenn es einen objektiven Thomas gäbe, wir könnten ihn doch niemals wahrnehmen (sorry Thomas!). Genau an dieses Problem stoßen alle Wahrnehmungsforscher: wer sind dann all diese Menschen, mit denen sie täglich kommunizieren? Wenn sie deren Objektivität in Frage stellten, müßten sie ja ihre eigene ebenso in Frage stellen. Und wer will das schon, nicht wahr?

Im Buddhismus gibt es einen schönen Spruch:
Vor der Erleuchtung sind Berge Berge und Flüsse sind Flüsse.
Während der Erleuchtung sind Berge auf einmal keine Berge  und Flüsse keine Flüsse mehr. Aber nach der Erleuchtung sind Berge wieder Berge und Flüsse wieder Flüsse.

Verstehst du, wenn das alles klar geworden ist, wenn es vor allem auch tief empfunden und nicht nur verstanden worden ist, dann kann man auch wieder sagen: "da ist eine Rose" und "das ist Thomas", ohne dass man sich sprachlich einen abbricht.

Ist das nicht die Essenz aller großen Weisheitslehren, dass du die Welt bist, dass du bereits Gott bist? Wie kannst du noch andere Menschen hassen oder verurteilen, wenn du doch diese anderen BIST?

So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden.

Danke für die Geduld und Aufmerksamkeit,
viele Grüße,
WuWei

- V
- Eberhard am 20. Dez. 2004, 09:15 Uhr

Hallo Wuwei,

Danke für die zusammenhängende Darstellung Deiner Position.

Du schreibst: "So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden."

Rechnest Du garnicht mit einer Kritik daran, die Dich zu Korrekturen Deiner Position veranlassen könnte?

fragt Dich (nicht ganz ernst gemeint) Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 09:44 Uhr

einen wunderschönen guten morgen in der weihnachtswoche http://www.handykult.de/plaudersmilies.de/xmas/santacool.gif

wir sind nun im fünften beitrag zum thema wahrheit angelangt. derzeit behandeln wir das thema objektivität.
in seinem eröffnungsbeitrag schreibt eberhard
Zitat:

(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann.

dem stimme ich soweit zu - wenn auch noch zu klären wäre was in diesem falle "objektiv" meint.
was ich meine ist, dass es zwei elemente gibt, die bedingen, ob ein satz wahr oder ein satz falsch ist. wir haben einerseits die satzaussage, welche sich definiert als, "'X' ist genau dann wahr, wenn P". desweiteren gibt es noch ein bestehenselement - eine tatsache, ein sachverhalt - der "objektiv" zu nennen ist.
diese beiden elemente sind notwendig, um unterscheiden zu können zwischen dem für-wahr-halten eines sachverhalts und dem bestehen eines sachverhalts. es ist durchaus möglich, dass wir eine aussage für wahr halten und es sich faktisch anders herausstellt als wir meinen. wir können zum beispiel eine aussage treffen wie "ich habe letzten monat 1000€ verdient". diese aussage kann wahr oder falsch sein, jenachdem, ob ich letzten monat 1000€ verdient habe oder nicht. ich kann auch glauben im letzten monat 1000€ verdient zu haben, wenn ich meine gehaltsabrechnung bekomme kann ich feststellen, dass ich mehr verdient habe, weil ich nicht mehr an die 500€ weihnachtsgratifikation gedacht habe. was ich letztlich verdient habe sagt mir mein gehaltszettel und entsprechend die buchung des zahlungseingangs bei meiner bank. dementsprechend habe ich "objektiv" das geld verdient, was mir mein gehaltszettel belegt.

in seinem beitrag schreibt gershwin
Zitat:

Nun ist Objektivität auch NUR ein Wort, auf dessen Bedeutung man sich konsensual einigen muss. Und je nachdem, wie man es definiert, kann ein Satz SELBSTVERSTÄNDLICH objektiv wahr sein (exakt: darf man einen Satz selbstverständlich als objektiv wahr bezeichnen).


dem stimme ich zu. es ist selbstredend, dass man sich in vielen fällen darauf einigen muss, welchen maßstab man zugrunde legt. wenn ich z. B. mir eine neue einbauküche kaufen möchte, muss ich meinen zollstock auspacken, und muss die einzelnen schrank-kombinationen die ich haben möchte ausmessen. dabei ist das maß des zollstocks vollkommen ausreichend. dementsprechend habe ich e.g. platz für eine arbeitsplatte von 2m und werde mir eine solche im möbelhaus mit 2m ausgewiesene arbeitsplatte kaufen.

zu WuWeis beitrag habe ich noch mehrere fragen:

Zitat:

Es ist eher die gesamte Gesellschaft, die zum Großteil wissenschaftlich geprägt ist, die an "reine" Objektivität glaubt.


was ist "reine" objektivität? und wodurch unterscheidet sie sich von "unreiner" oder "gewöhnlicher" objektivität?

Zitat:

Alles ist also immer subjektiv und gleichzeitig objektiv.


das verstehe ich nicht. ist die zahl der planeten unseres sonnensystems nun subjektiv 9 (wenn wir die sonne nicht mitrechnen) oder objektiv 9?

Zitat:

Stell es dir einfach mal so vor, dass Objektivität die Form/Erscheinung der Subjektivität ist, während Subjektivität das Wesen/die Essenz von Objektivität ist.


was heißt das?

Zitat:

was immer ich glaube oder weiß, oder glaube zu wissen, geht auf Wahrnehmungen zurück.


geht auch dieses wissen auf eine wahrnehmung zurück? ich denke an dieser stelle wird es paradox.
der satz äußert mehr eine vermutung.

Zitat:

Das Ablesen der Waage ist ebenso subjektive Wahrnehmung, wenn auch intersubjektiv übereinstimmend.


was ist eine subjektive wahrnehmung? ich denke es ist unsinnig zu sagen, wahrnehmung sei subjektiv, in dem sinne, dass wenn ich wahrnehme, ich es bin der wahrnimmt. so funktioniert wahrnehmung: indem ich wahrnehme. und dieses ich ist keine mystische instanz, sondern lediglich eine sprachliche kennzeichnung.

Zitat:

Wir können uns also intersubjektiv über das Gewicht der Rose einig sein, aber wir sollten deswegen nicht die subjektive Wahrnehmung ausklammern oder unter den Tisch fallen lassen. Das ist der ganze Irrtum.


worin irren wir uns denn?

Zitat:

Wir glauben, die von uns wahrgenommenen Dinge würden für sich genauso sein, wie sie sich für uns darstellen.


was ist dieses "für-sich-sein" ?
wenn ich sage "da liegt ein ball!", so kann ich z. B. meinem hund befehlen, den ball zu holen, damit ich ihn wieder wegwerfen kann, um mit dem hund zu spielen. sowohl ich als auch der hund beziehen meine aussage auf den ball. und der hund, sofern er gut trainiert ist, versteht meinen befehl, den ball zu holen.
wenn dort kein ball läge, wie sollte mein hund den ball holen?

Zitat:

Der Witz ist, dass es vollkommen unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Rose objektiv für sich sein sollte.


und warum ist das so? weil die rede von einem "für-sich-sein" grammatischer unsinn ist.

Zitat:

wenn es dieses runde Ding objektiv für sich gäbe, müßte es quasi frei von jeglicher Perspektive sein. Bzw. alle theoretischen Perspektiven auf sich vereinen. Dann aber hätte dieses Ding keine bestimmte Form mehr bzw. alle möglichen Formen. Und damit wäre es aber kein separates Ding mehr. Das heißt, jede Form ist allein definiert durch die Perspektive eines Beobachters. Kein Beobachter - keine Form - kein Ding.


was du uns hier vorführst ist ein philosophischer taschenspielertrick. ich denke, wir können uns einen analogen fall vorstellen, der sich so in der menschlichen geschichte ereignet hat:
die diskussion um die gestalt der erde.
aus der gewöhnlichen betrachtung unserer umwelt können wir den Schluss ziehen, die erde sei scheibenförmig. bewegen wir uns von der erde weg, werden wir unseren irrtum einsehen, und feststellen, dass die erde mitnichten eine scheibe ist. folgt daraus, dass die erde sowohl eine scheibe als auch keine scheibe ist? nein! sondern, wir müssen unsere zuvor gemachte aussage revidieren, die erde sei eine scheibe.

Zitat:

Weil es sowas wie Existenz überhaupt nicht gibt.


das ist aber etwas anderes, als wenn man sagt x existiere nicht.

Zitat:

Es gibt nur Erscheinungen.


wenn ich heute morgen ein brötchen gegessen habe, habe ich ein brötchen oder nur eine "erscheinung" gegessen?

Zitat:

Sie ist eine Einbildung, eine Projektion, ein Ausdruck, eine Form des universellen Bewußtseins/Geistes. Genau wie Eberhard und WuWei eine Projektion des Bewußtseins sind.


für diesen "universellen geist" bleibst du uns derzeit noch einen beleg schuldig.

Zitat:

Auch Bewußtsein existiert nicht als solches, nicht als Objekt.


sondern als informationsverarbeitender prozeß.

Zitat:

Alles, was du wahrnimmst, KANN nur ein subjektives Bild sein.


was auch immer das heißen mag.

Zitat:

Es ist quasi das Bewußtsein, das seine eigenen Projektionen betrachtet.


das ist sachlich falsch.
so funktioniert unsere wahrnehmung nicht!
a) das bewußtsein betrachtet nichts.
b) was betrachtet wird ist keine "projektion".

Zitat:

Das Problem ist dabei die Trennung zwischen innen und außen. Die Wissenschaftler sagen, hier innen im Kopf entsteht das subjektive Bild eines Baumes, und dort draußen ist der reale Baum (sie verschweigen dabei gerne, dass der "reale Baum" eine reine Vermutung ist).  


welcher wissenschaftler sagt, im kopf entstehe ein subjektives bild von einem baum?
das ist mehr als eine schlechte metapher.

Zitat:

So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden.


es wäre aber nett, mich nicht mit meinen fragen allein zu lassen :)

- mfg thomas

- V
- eiweiss am 20. Dez. 2004, 11:02 Uhr

hier sind noch mehr fragen an wuwei:
(bzw. offenbar an mich selbst)

wenn man (auch) die umwelt ist - gibt es dann eine möglichkeit die dinge, die einen scheinbar umgeben, willentlich und nicht mittels seiner körperlichkeit zu beeinflußen ?
das würde (nicht nur) mich schwer beeindrucken.
oder bin ich in diesem zustand der erkenntnis, "der erleuchtung", frei von jeglichem wollen ?

wie hat das jesus gemacht (wasser in wein, blinde sehen, tote leben etc) ? wollte er oder geschah es einfach?
hat uri geller die subjekt-objekt-relation überwunden?
wenn ich die lottokugeln bin kann ich dann...?

wieviel % des tages befindest du dich in diesem "einheitlichen" zustand?
ist der tod letztlich unsere unbewußte antwort auf diese beschränkte, alltägliche, in  ich+du trennende bewußtseinseinstelliung?
wie komme ich überhaupt zu dieser "falschen" sicht der dinge?
liegt der grund, "die sünde" in meiner geburt? weil ich sein wollte? weil ich vom baum der erkenntnis von gut und böse genascht habe? weil  gut und böse nur für das ich existiert das nicht alles ist?
ist dieses ich vielleicht das tier der offenbarung? (s. auch meine frage im forum reli.philo,offb 13,18?) das tier das macht hat über alle- ...über jeden stamm, jedes volk, jede sprache und nation (13,7).das tier das alle anbeten-...die kleinen und die großen, die reichen und die armen, die freien und die sklaven(13,16) und das jeder nur kaufen oder verkaufen kann (13,17) wenn er anbetet, weil es kaufen und verkaufen nur dann gibt wenn man in ich und du trennt?
gibt es eine rettung?
wie können wir  satan vernichten?
aber, verdammt... ich selbst bin ja satan!
also selbstvernichtung?
hat jesus sich selbst gekreuzigt?


bin gespannt auf deine...ähh meine....nein unsere,brüder,unsere antworten!

mfg

- V
- Eberhard am 20. Dez. 2004, 11:29 Uhr

Hallo WuWei,

mir ist das "ozeanische" Gefühl der Verschmelzung mit dem Kosmos, des "Eins-Seins-mit- allem" nicht ganz fremd, aber ich unterstelle einmal, dass Du Deinen Beitrag nicht als Gedicht oder Glaubensbekenntnis verstanden wissen willst, sondern als eine rationale Position, die kritischen Argumenten standhalten soll.

Das heißt, wenn ich hier mit Dir argumentiere, dann tun wir das mit dem gemeinsamen Ziel, Antworten auf die gestellten Fragen zu finden, denen wir beide aufgrund von gemeinsam akzeptierten Argumenten zustimmen können.

Dazu gehört zum einen, dass man sich gegenseitig versteht und deshalb die Aufgabe hat, in einer für den andern verständlichen Sprache zu sprechen.

Zum andern muss jeder von uns bereit sein, Widersprüche aufzulösen, die zwischen den vom Betreffenden anerkannten Behauptungen auftauchen.

Ich könnte in meiner Kritik jetzt so vorgehen, dass ich Deinen Gedankengang nachvollziehe und mich frage, ob ich an irgendeiner Stelle Deiner Schlussfolgerungen einen Übergang von einer These zur nächsten nicht mitmachen kann.

Aber ich will umgekehrt vorgehen. Ich übernehme einmal probehalber das Resultat Deiner Überlegungen und frage mich, ob dies Resultat mit andern Aussagen, die ich für wahr halte, im Einklang steht.

Dein Resultat ist u. a. die These "Ich bin der andere".

Demgegenüber gehört es zu meinem Weltbild, dass Ich nicht Du bin. Denn wäre Ich Du, dann wüsstest Du, was Ich denke und Ich brauchte Dir nicht erst diese Worte zu schreiben.

Wenn Ich Du bin, dann folgt daraus, dass Ich weiß, was Du denkst. Nun weiß Ich aber nicht, was Du auf diese meine Kritik antworten wirst. Insofern kann Ich nicht Du sein.

Dass Du und Ich verschiedene Personen sind, ist auch nicht nur ein (falscher) Eindruck, der durch besondere Umstände hervorgerufen wird, denn Ich habe nicht nur den Eindruck, dass Ich nicht weiß, was Du antworten wirst, sondern Ich weiß wirklich nicht, was Du antworten wirst. Insofern bin Ich tatsächlich nicht Du.

Vielleicht ist es Dir möglich, den Widerspruch zwischen den Behauptungen: "Ich bin der andere" und "Ich bin nicht der andere" aufzulösen.

Offenbar gibt es für Dich mehr als eine Bedeutung von "Eins-sein" oder "Identität".

Vielleicht nimmst Du auch verschiedene Ebenen der Wirklichkeit an: vor der Erleuchtung, während der Erleuchtung und nach der Erleuchtung, zwischen denen keine Widersprüche bestehen können, weil es sich um getrennte Bereiche handelt. Dann müsstest Du aber korrekter Weise immer die jeweilige Ebene, auf der Du sprichst, mit angeben.

Außerdem dürftest Du dann auch keine logischen Schlussfolgerungen von Aussagen auf der einen Ebene auf Aussagen einer anderen Ebene ziehen, da beides unterschiedliche Ebenen der Wirklichkeit sind.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s.: Vielleicht hat manch einer den Eindruck, dass wir hier vom Thema "Wahrheit" zu weit abschweifen, aber im Hintergrund stehen für das Thema relevante Fragen: (Ist nur das Bewusstsein wirklich? Gibt es mehrere voneinander unabhängige Ebenen der Wirklichkeit? Existieren Personen und Dinge "objektiv" ? Welchen Sinn hat die Forderung nach "Objektivität" ?) Außerdem geht hier um Aussagen, die mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung behauptet werden. Ob es sich dabei um Behauptungen darüber handelt, wie die Welt beschaffen ist, ist allerdings eine offene Frage. Ich denke, wir kriegen die Kurve zum Thema.

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 14:05 Uhr

Hallo alle,

natürlich melde ich mich nicht ab, das wäre ja feige, nachdem ich derart gewagte Thesen in den Raum geworfen habe.

Eines könnt ihr mir glauben: alle eure verständlichen und berechtigten Einwände sind mir nur zu gut bekannt. Die habe ich alle selbst schon erhoben. Und manche erhebe ich auch immer noch.

Ich bin also weit davon entfernt, zu glauben, ich könne ein perfektes Weltmodell vorlegen. Das würde meinen eigenen Ansichten widersprechen.

Eberhard, du hast in der Tat die entscheidende These herausgegriffen und die "richtigen" Fragen dazu formuliert. Wie also kann es sein, dass ich du und auch alle anderen bin? Und warum kann das jeder sagen?

Ich habe in einem anderen thread mit tilLL über den "Urgrund" des Seins (Tao) diskutiert. Ich sagte, wir sind selbst dieser Urgrund, während er meinte, es sei besser zu sagen,
unser Urgrund sei der derselbe wie der Urgrund allen Seins.

Egal, auf jeden Fall verwendete tiLL dann ein Bild, das mir so gut gefiel, dass ich es hier anbringen will (ohne damit tiLLs Ansichten für mich vereinnahmen zu wollen):

Zitat: "Ich würde sagen er (der Urgrund) befindet sich tatsächlich zum Teil ausserhalb von einem selbst. Es ist so wie mit Materie und Raum: Die Materie ist im Raum aber der Raum ist auch "in" einem Materieklumpen (nämlich genau soviel Raum wie dieser Klumpen ausfüllt)".

Der Raum ist also transzendent und gleichzeitig immanent.

Jetzt kannst du dich für einen Materieklumpen bzw. Körper in diesem Raum halten und mich für einen anderen Materieklumpen. Oder du kannst erkennen, dass zwischen dem Raum, den der Materieklumpen einnimmt und dem "restlichen" Raum überhaupt keine Trennung existiert. Also BIST du ebenso dieser Raum. Du bist der Raum (Subjekt), wie du auch weiterhin der Materieklumpen (Objekt) bist. Als Raum bist du aber natürlich auch alle anderen Materieklumpen, sprich Objekte.

Verstehst du jetzt, wie ich es meine? Als Raum bin ich du und du bist ich. Insofern kannst du genau wie ich sagen: ich bin alle anderen!

Als Materieklumpen aber erscheinen wir als getrennt und wissen nicht, was der andere denkt. "Ich bin der andere" und "Ich bin nicht der andere" ist also kein Widerspruch, weil es nicht zweierlei Wirklichkeiten sind, sondern nur verschiedene Perspektiven auf ein und diesselbe Wirklichkeit.

Dennoch: wenn du und ich als Raum ein und dasselbe sind, warum kennt der Raum dann nicht all seine Gedanken?
Weil der Raum selbst eben kein Ding ist, das irgendwelche Gedanken oder Erinnerungen haben könnte. Der Raum IST alle Gedanken und Erinnerungen, aber er HAT keine.

Der grenzenlose Raum ist nichts anderes als "unser" Bewußtsein. Bewußtsein ist Raum und beinhaltet alle Materie, ist selbst aber kein Materieklumpen. Körper, Sinnesorgane, Gehirn, Gedanken und Gefühle sind dagegen Materieklumpen (um im Bild zu bleiben).

Nein Eberhard, es gibt nicht verschiedene Ebenen der Wirklichkeit, sondern nur verschiedene Perspektiven innerhalb der Wirklichkeit. Der "Zustand" der Erleuchtung ist nur eine andere Perspektive. Er ist relativ gesehen "das Ende des Leidens", zumindest hat es Buddha so beschrieben. Letztendlich ist dieser Zustand aber kein bißchen wahrer, besser oder realer als andere Perspektiven.

Der Vielheit liegt die Einheit zugrunde, und die Einheit erscheint als Vielheit. Wegen dieses "Verhältnisses" spricht man von Non-dualität, also Nicht-Zweiheit. Sonst könnte man es ja nur Einheit nennen, würde aber die Vielheit damit leugnen.

Ich hoffe, ich konnte dir diese Philosophie damit ein wenig näher bringen. Weißt du, Wissenschaft, Philosophie und Religionen sind fast ausschließlich dualistisch. Die Non-dualität ist dennoch an vielen Stellen zu finden. Du findest sie bei allen mystischen Zweigen der Weltreligionen, bei den Zen-Buddhisten, dem hinduistischen Advaita, dem Taoismus des Laotse und Dschuang Dsi, bei den islamischen Sufis, den Kabbalisten und auch bei christlichen Mystikern wie vor allem Meister Eckhart und Giordano Bruno. Diese Erkenntnis schimmert auch durch bei Philosophen wie Wittgenstein, aber auch bei Physikern wie Erwin Schrödinger und Hans-Peter Dürr. Suche und du wirst finden ;-).

Das "ozeanische Verschmelzen" ist meiner Meinung nach keine Einbildung und auch nicht nur ein Zustand im Gehirn. Eher ist das Gefühl der Trennung eine Einbildung. Aber zur Wirklichkeit gehört eben auch die Einbildung.


Hallo eiweiss,

ich hoffe, damit sind auch deine witzig-provokanten Fragen beantwortet. Nicht ich als Person bin alle anderen Personen, das wäre ein Irrtum. Insofern habe ich auch keine Ahnung, wie die Lottozahlen lauten (schade, bei dem letzten Jackpot)

Ich bzw. du als Raum bin/bist diese Welt, habe/hast aber keine Macht darüber. Um Macht über etwas zu haben, muss man davon (scheinbar) getrennt sein.

Ich bin übrigens die ganze Zeit in diesem einheitlichen Zustand, genau wie du es auch bist. Dir ist es aber nicht bewußt, mir meist auch nicht.

Der Sündenfall könnte man tatsächlich so interpretieren, aber ich halte nichts davon, von einer "falschen" Sicht der Dinge zu sprechen. Die eingebildete Trennung ist genausowenig falsch, wie die "Erleuchtung" richtig ist.  

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 14:58 Uhr

Hallo Thomas,

du hast dir viel Mühe gegeben, deine Fragen zu formulieren, bitte nimm es mir aber nicht übel, wenn ich nicht auf jede einzelne eingehe.

Du scheinst überhaupt nicht nachvollziehen zu können, von was ich spreche. Vielleicht reden wir auch teilweise aneinander vorbei.

Es gibt den schönen Satz: Objektivität ist die Wahnvorstellung, dass es etwas Beobachtetes ohne den Beobachter gibt.

Da sind also 9 Planeten, die du entweder beobachtet oder davon gehört hast. Frage: wenn keiner diese 9 Planeten beobachtet, sind dann genau diese Planeten weiterhin dort, wo du sie jetzt beobachtest bzw. vermutest?

Glaubst du, dass der Urknall tatsächlich stattgefunden hat, obwohl ihn doch niemand beobachten konnte?

Wenn du beide Fragen mit Ja beantwortest, dann "leidest" du unter der Wahnvorstellung Objektivität. Solche Leute nennen sich normalerweise "Realisten"  [grin]. Nichts für ungut.

Was ich sagen will: es gibt keine eigenständig existierenden Dinge, die wir wahrnehmen. Es gibt nur wahrgenommene Dinge. Jeder Klang ist nur ein gehörter Klang, jede Form ist nur eine gesehene Form, jede Schallwelle ist nur eine gemessene Schallwelle, jede feste Substanz ist nur eine gefühlte feste Substanz, jede Zeit ist nur empfundene oder gemessene Zeit, jede Distanz ist nur eine gemessene Distanz.

Insofern hast du tatsächlich eine Brötchen-Erscheinung gegessen. Na und? Was ist daran schlimm? Immerhin hat sie dich satt gemacht, was eine weitere Erscheinung ist.
Ich weiß, ich mute dir viel zu [cheesy].

Für den "universellen Geist" bin ich dir aber keinen Beleg schuldig. Warum sollte ich dir beweisen müssen, dass du lebst und wahrnimmst???

Bewußtsein ist kein informationsverarbeitender Prozess. Dieser Prozess bzw. die Vorstellung davon erscheint selbst im Bewußtsein. Im Gehirn finden solche Prozesse statt, genau wie in meinem Computer. Aber der Computer ist sich dessen nicht bewußt, das ist der große Unterschied.
Diese bewußte Innenperspektive ist nicht physikalisch zu erklären, auch wenn es immer wieder versucht wird.

Du schreibst: "welcher wissenschaftler sagt, im kopf entstehe ein subjektives bild von einem baum?"

Ich fürchte, du bist dir der Probleme und Ungereimtheiten nicht bewußt, die entstehen, wenn man die gängigen Wahrnehmungstheorien konsequent durchdenkt.

Erkläre mir doch bitte, wie du glaubst, dass Wahrnehmung funktioniert. Wie kann ich hier ein Ding dort wahrnehmen, wie ist das überhaupt möglich?

bis dahin,
Grüße,
WuWei

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 16:01 Uhr

hallo wuwei,

ich muss gestehen, ich habe probleme, zu verstehen, was du uns sagen möchtest. vielleicht liegt das an der menge an "freien variablen" in deinem text. um deshalb besser verstehen zu können, was du sagst, hier ein paar gezielte fragen:

1) was ist für dich "sein" ?
2) was ist der "urgrund des seins" ?
3) was ist für dich "raum" ?
4) wie kann "raum" in dingen und um diese dinge herum sein?
5) was heißt es für jemanden "ein raum sein" ?
6) wie kann ich "als raum" jemand anderes sein?

es wäre hilfreich, wenn du diese fragen kurz beantworten könntest. darüber hinaus noch folgende anmerkungen:


Zitat:

Da sind also 9 Planeten, die du entweder beobachtet oder davon gehört hast. Frage: wenn keiner diese 9 Planeten beobachtet, sind dann genau diese Planeten weiterhin dort, wo du sie jetzt beobachtest bzw. vermutest?


diese frage ist falsch gestellt, und mit einer gegenfrage ist sie leicht zu entkräften: was läßt dich als beobachter darauf schließen, dass die 9 planeten nicht mehr da sind, wenn sie niemand beobachtet?
ich denke du verkehrst hier einige tatsachen.
wir menschen werden in eine welt geboren, die uns als solche vorgängig ist. wir haben empfindungen, wie z. B. hunger und durst, die wir nicht willentlich beeinflussen können. wir leben in einer familie von menschen, die schon vor uns gelebt haben, und die uns auf unserem lebensweg ein stück weit begleiten. wir lernen den umgang mit den dingen dieser welt; wir lernen dinge zu benennen und mit unserer sprache umzugehen. wir machen erfahrungen in einer von uns intersubjektiv geteilten welt. wenn wir in den sternenhimmel sehen, so sehen wir die 9 planeten, weil die 9 planeten dort sind. sie formieren sich nicht just in dem augenblick, in welchem wir sie erblicken. wir haben keinen anhaltspunkt für diese absurde hypothese. sie widerspricht dem, wie wir die welt erleben.


Zitat:

Glaubst du, dass der Urknall tatsächlich stattgefunden hat, obwohl ihn doch niemand beobachten konnte?


diese frage ist ebenso falsch gestellt.
wenn jemand an den "urknall" glaubt, so läßt sich daraus nicht ableiten, ob jemand realist oder was auch immer ist. war christoph kolumbus realist, weil er vermutete, die welt umsegeln zu können, obwohl das niemand vor ihm -leif erikson einmal außen vor- jemals getan hat? wir könnten deine frage auch anders formulieren: "glaubte der mensch des 14. jahrhunderts an einen kontinent, den wir heutigen 'amerika' nennen?" diese frage läßt sich nicht beantworten. warum? weil 'amerika' für den menschen des 14. jahrhunderts keinerlei bedeutung hat; hätte er an 'amerika' geglaubt, würden wir heute sagen, seine vermutung sei "richtig" oder "wahr" gewesen bzw. "hat sich bewahrheitet". und dieser analogie entsprechend können wir auch die frage nach dem "urknall" derart beantworten, dass die vermutung "es gab einen urknall" dann wahr ist, wenn es einen urknall gab - analog zum beispiel, dass der mensch des 14. jahrhunderts vermutet hat, es gebe amerika.
wir haben in diesem zusammenhang indizien, z. B. das "kosmische hintergrundrauschen", "die rotverschiebung" / "hubble-effekt" etc., die diese vermutung nahelegen. d. h. wir haben gute gründe für unsere vermutung. ob dem so war oder nicht, liegt jenseits unserer kenntnisse - ebenso wie "amerika" außerhalb des kenntnisbereichs des menschen im 14. jh. liegt.


Zitat:

Insofern hast du tatsächlich eine Brötchen-Erscheinung gegessen. Na und? Was ist daran schlimm? Immerhin hat sie dich satt gemacht, was eine weitere Erscheinung ist.


ich denke, an dieser stelle missbrauchst du das wort "erscheinung". wenn alles eine erscheinung ist, ist diese behauptung bedeutungslos. wir könnten genausogut dabei bleiben, und sagen, dass ich ein "echtes" brötchen gegessen habe. es würde sich nichts ändern.
allerdings würde mich interessieren, wie du eine "fata morgana" erklärst. für mich drängen sich die vokabeln "schein", "täuschung" etc. auf, die für dich keinen sinn haben dürften. ich gehe aber dennoch davon aus, dass wir einer meinung sind, dass man eine "erscheinende" oase niemals erreichen kann, oder?

Zitat:

Im Gehirn finden solche Prozesse statt, genau wie in meinem Computer.


ich bezweifle, dass in deinem computer -dem die von neumannsche rechnerarchitektur zugrunde liegt- ähnliche prozesse wie im menschlichen gehirn stattfinden. das menschliche gehirn ist nicht nach diesem schema aufgebaut, sondern besteht aus der verbindung einzelner neuronen, die zusammengenommen ein neuronales netzwerk bilden.
neuronale netzwerke funktionieren nach einem ganz anderen prinzip. wenn du dich ein wenig informieren möchtest: http://www.aaai.org/AITopics/html/neural.html


Zitat:

gängigen Wahrnehmungstheorien


was sind gängige wahrnehmungstheorien?


Zitat:

Erkläre mir doch bitte, wie du glaubst, dass Wahrnehmung funktioniert.


ich denke, dass es die tragweite dieser diskussion und dieses forums sprengt, wenn ich anfange, die funktionsweise unserer wahrnehmung zu erklären.
stattdessen gebe ich dir gern zwei literaturhinweise, wo du dich über den "aktuellen" stand der forschung informieren kannst:

1) e. bruce goldstein: wahrnehmungspsychologie
ISBN: 3827410835

kapitel 2 (das sehen - einführung: rezeptoren und neuronale verarbeitung)
kapitel 3 (das sehen - einführung: die zentrale verarbeitung)
kapitel 5 (objektwahrnehmung)
kapitel 13 (medizinische aspekte des sehens und hörens)

2) richard f. thompson: das gehirn
ISBN: 3827410800

darin vorallem das kapitel 8 (sensorische prozesse).

wenn auch ein wenig überholt, aber wie ich finde dennoch lesenswert: hoimar v. dithfurth "der geist fiel nicht vom himmel" ISBN: 342301587X.

die beiden fachbücher richten sich vorallem an studenten und den interessierten laien und sind durchaus verständlich in ihren darstellungen. der "thompson" hat als kleines goodie sogar noch einen anhang mit einem kleinen überblick über die grundlagen zum verständnis der biochemischen prozesse.

eine spannende lektüre für die "ruhigen tage".

-mfg thomas

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 19:51 Uhr

Hallo Thomas,

Im Grunde hat es wenig Sinn auf deine Fragen einzugehen, weil ich fürchte, dass da auch zuwenig Offenheit da ist, um bestimmte Dinge in Frage zu stellen. Das soll aber beileibe keine Wertung oder gar Vorwurf sein. Die Frage ist nur, ob es Sinn macht, dass wir beide da doch einige Zeit und Mühe hineinstecken.

Ich denke, du kannst dich bemühen zu verstehen, was ich meine. Ich kann dir das aber nicht auf dem Silbertablett servieren, du musst mir entgegenkommen, wenn es dich überhaupt interessiert. Ich könnte mich auch hinstellen und erstmal fragen, was du unter einer "Tatsache" oder ähnlichen Begriffen genau verstehst. Unter diesen Voraussetzungen wird aber überhaupt kein Gespräch zustande kommen.

Dennoch werde ich dir antworten, damit du nicht denkst, ich kneife.

Unter Sein verstehe ich alles, das in irgendeiner Weise wahrnehmbar ist, also alle Objekte.  

Unter Urgrund des Seins verstehe ich die Essenz, das Wesen, die Substanz dieser Objekte.

Auf Raum gehe ich nicht weiter ein, weil es nur ein Vergleich war.

Du fragst: "was läßt dich als beobachter darauf schließen, dass die 9 planeten nicht mehr da sind, wenn sie niemand beobachtet?"

Ganz einfach: weil sie nicht da sind, wenn ich sie nicht beobachte. Das ist keine absurde Hypothese und widerspricht auch nicht dem, wie wir die Welt erleben. Im Gegenteil: genauso erleben wir die Welt. Ich muss daher dich fragen: was läßt dich als Beobachter darauf schließen, dass die Planeten auch da sind, wenn sie niemand beobachtet?
Weil andere die Planeten auch dort sehen, oder weil sie jedesmal dort sind, wenn du hinguckst? Daher nimmst du es an.

Amerika kannst du besuchen, der Urknall wird immer eine reine Vermutung bleiben, die noch dazu zahlreiche Ungereimtheiten in sich trägt.

Ich missbrauche den Begriff "Erscheinung" nicht, sondern verwende ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Die Luftspiegelung namens Fata Morgana ist genauso eine Erscheinung wie die Stadt, die sie spiegelt. Als solche ist sie genausowenig Täuschung wie die Stadt selbst. Wenn ich aber die Luftspiegelung für die Stadt halte, erliege ich einer Täuschung.

Erscheinung ist nicht gleichbedeutend mit Täuschung. Erscheinung heißt, dass das Wahrgenommene im Bewußtsein erscheint. Es hat keine eigenständige Existenz außerhalb des Bewußtseins, also wenn es nicht wahrgenommen wird.

Mir ist schon klar, dass die Prozesse im Gehirn nicht so ablaufen wie die Prozesse im Computer. Es ging mir nur darum zu sagen, dass Bewußtsein kein Prozess ist, sondern das, was sich dieses Prozesses, genauer gesagt den Auswirkungen des Prozesses bewußt ist.

Danke für die Literaturtipps zur Wahrnehmung. Offenbar gehst du davon aus, dass Wahrnehmung weitgehend erforscht ist. Dem ist aber nicht so. Kennst du Gerhardt Roth, "Das Gehirn und seine Wirklichkeit" ? Darin werden die Probleme dargestellt, wobei sich Roth am Schluss ebenso in reinen Annahmen ergeht.

Wenn angeblich meine Augen optische Sinnesreize von einem Ding aufnehmen, sie ans Gehirn weiterleiten, dieses dann die Informationen zu einem Bild verarbeitet, wieso sehe ich dann das Ding nicht in meiner Gehirnrinde, sondern da draußen? Wie kommt dieses Bild aus meinem Gehirn wieder an seine angebliche Quelle? Kann das Gehirn Bilder projizieren? Mit Lichtgeschwindigkeit? Dann wäre ein 20 Lichtjahre entfernter Stern nur 10 Lichtjahre entfernt, weil man ja vergessen hat, den Rückweg für die Projektion zu berechnen.
Oder projiziert das Gehirn gar nicht das Bild, sondern erweckt nur den Anschein einer Projektion? Laufen wir dann in der virtuellen Scheinwelt des eigenen Gehirns herum? Wenn alles Wahrgenommene nur subjektive Bilder einer angeblich objektiven Realität sind, dann ist auch unsere Vorstellung von unserem Gehirn nur ein subjektives Bild, aber von was?
Wer oder was hat dann das Gehirn projiziert?

Woher will ich wissen, dass hinter meinem wahrgenommenen Baum ein objektiv realer Baum steht? Selbst wenn andere die gleiche Wahrnehmung eines Baumes haben, ist ein objektiv realer Baum dahinter eine reine Annahme. Ich werde darauf niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis haben.
Kannst du mir darauf antworten, ohne Literaturverweis?

Verstehst du Thomas, real sind allein deine subjektiven Wahrnehmungen, der Baum genauso wie das Brötchen.
Der dahinter vermutete, wahrnehmungsunabhängige Baum ist dagegen ein reine Vermutung.

Natürlich ist es für dich egal, ob du ein subjektives oder objektives Brötchen isst. Aber diese, wie ich finde, berechtigten Fragen, Zweifel und Überlegungen, stellen im Grunde unser gesamtes wissenschaftliches Weltbild in Frage. Zumindest wird es dadurch relativiert.

Wenn du darauf keinen Bock hast, kann ich das durchaus nachvollziehen.

viele Grüße,
WuWei

- V
- eiweiss am 20. Dez. 2004, 20:59 Uhr

ein hallo in die runde !

die perspektive von der wuwei spricht, müßte uns allen eigentlich bekannt sein:

die entwicklungspsychologen gehen davon aus, dass individualität ein sekundäres, kein primäres phänomen ist. individualität beginnt erst in einer späteren phase der entwicklung als resultat einer internalisierung der frühen sozialen einheit zw. uns und unseren frühen bezugspersonen dh in erster linie unserer mutter.
der säugling ist (zunächst) außerstande sog. homöostasestörungen (sozusagen gleichgewichtsstörungen) in seinem körper und der abwesenheit der mutter zu unterscheiden.
der säugling erlebt die mutter nicht als von ihm getrennte persönlichkeit. für den außenstehenden erscheinen mutter und kind als soziales system, als zwei subjekte. für den säugling aber als EIN selbst, dass den mütterlichen anteil des systems noch nicht als getrenntes sein erlebt. für ihn ist es KEIN soziales system. nach der physischen+ psychischen trennung bleiben die mütterlichen anteile weiterhin anteile des kindlichen selbst.
auch die anwesenheit bzw abwesenheit der mutter gibt es nur für den außenstehenden beobachter. für den säugling sind es nur veränderungen in seiner symbiotischen umwelt (mutter-kind), von der er eben selbst noch ein teil ist. man geht davon aus, dass die atmosphäre dieser symbiotischen umwelt (hoffentlich warm, weich,beruhigend und nicht kalt und stumm) als stimmungsgehalt der späteren individuellen wirklichkeit zugrunde liegt. psychoanalytiker meinen, dass hier die wurzel für das spätere urvertrauen, für den basalen selbstwert, liegt. dieser selbstwert ist mit dem wert der gesamten späteren individuellen wirklichkeit gekoppelt.kommt zweifel am selbstwert auf ( wie bspw bei depressiven patienten) führt das zu einem zweifel an dem wert der dinge und vorgänge der umgebung (" alles grau in grau" ). es gibt also scheinbar eine korrespondenz zw selbstwert und objektwert (" liebe deinen nächsten wie dich selbst" ).

zurück zum säugling:
für den besteht das dasein  nur in der alternative zw  selbst (ruhe,behaglichkeit,zufriedenheit) und nicht-selbst (un-ruhe, etc). der übergang von nicht-selbst zu selbst bereitet ihm lust.umgekehrt empfindet er unlust.
die entwicklungspsychologen lehren,dass dieses grundmuster jeder situation im späteren leben zugrunde liegt (was man bei einem geschlechtsakt, also dem wunsch sich zu vereinigen, durchaus nachvollziehen kann,oder?).
für den säugling lösen sich objekte "in nichts" auf sobald sie die wahrnehmung verlassen. mit beginn des vorstellungvermögens (18.-20. monat) kommt es zum aufbau einer welt mit konstanten objekten und einem ich-bewußtsein.allerdings muss das kind jedesmal wenn die objekte auftauchen, diese vom subjekt trennen. Z.B imitiert das kind mit dem mund durch vorstrecken des kiefers eine streichholzschachtel. im gedächtnis werden also offenbar nicht abbilder einer objektiv vorgegebenen realität gespeichert, sondern programme zur erzeugung von bildern.

mit dem erlernen der sprache entsteht schließlich eine welt mit festen, durch namensgebung stabilisierten objekten. die individuelle wirklichkeit ist letztlich eine umwandlung der mütterlichen anteile des "symbiotischen funktionskreises".

in diesem zshg interessant:materie: etymologisch von mater (=mutter)

der hintergrund jeder kommunikation im späteren leben ist die einheit von subjekt und objekt  im erleben des säuglings.

das sagen die psychologen.
wuwei scheint also ein verdammt gutes gedächtnis zu haben. "wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die kinder, so werdet ihr nicht in das himmelreich eingehen" (matthäus 18,2)

wer hätte das gedacht?

mfg  

- V
- fFflLloOo am 20. Dez. 2004, 21:02 Uhr

hallo zusammen.

ohne für irgend eine seite dieser krass polarisierten diskussion sprechen zu wollen:

wenn wir von wahrheit sprechen, dann sprechen wir doch von einem abstrakten begriff, der die erkenntnis über die art und weise bedeutet, wie die dinge wirklich sind.

wieso ist es also ein esoterisches verbrechen gegen den gesunden menschenverstand, wenn man sich fragt, ob das offenbare, also das sinnlich und intellektuell unmittelbar erfaßte, die warheit über die dinge ist?

was wu-wei offenbar schwer fällt, ist die trennung zwischen der bewertung eines urteils über einen sachverhalt und der prinzipiellen möglichkeit sich zu fragen, was die warheit ist, um sich quasi sukzessive (und sinnlos) dem begriff der absoluten wahrheit zu nähern.

auf jeden fall ist es in einer diskussion über den begriff 'wahrheit' nicht unangebracht sich zu fragen, ob die bewertung eines urteils über einen sachverhalt in diesem zusammenhang das einzig diskutierenswerte ist.

ich versuche einfach die zwei hauptlinien dieser diskussion zu skizzieren:

bild I:

wahrheit aufgrund der logik, bzw. bewertung eine urteils.

beispiel: wenn P als gegeben vorausgesetzt wird, dann gilt P=>Q genau dann, wenn diese aussage auf keinen widerspruch führt. das heisst die aussage X='P=>Q' ist wahr. hieraus resultiert (meines erachtens triviale, aber dennoch wichtige) wahrheitsbegriff, den thomas und eberhart offenbar vertreten, bzw. den man einfach als wahrheitsbegriff akzeotieren muss.

bild II:

die frage nach der art und weise wie die wirklichkeit ist, im allgemeinsten sinne.

also beispielsweise: "was ist dieses ding Y?"

die antwort auf diese frage kann natürlich nicht gegeben werden, in dem man beispielsweise über die sinneswahrnehmung gewonnene informationen über Y aufzählt, wie "Y ist grün, klein und stinkt".

die methode dieser fragenden wahrheitssuche ist natürlich im grunde absolut unpraktikabel und viel eher von philosophischer natur als die methode, aus der bild I resultiert, denn sie schliesst eine befriedigende antwort - wenn mann strikt und pedantisch weiterdenkt - a priori aus, da Y nicht nur klein, grün und übelriechend sein kann, sondern durch eine unzahl von informationen charakterisiert ist, wenn man räumlcihe ausdehnung, physikalische, chemische eigenschaften, psychologische wirkung auf den betrachter, molekulare struktur, atomare struktur und subatomare struktur, mitberücksichtigt. das ist aber noch nichteinmal das wesentliche, obwohl der aufwand in dieser analytischen intensität sicher enorm wäre. der wesentliche teil der informationen zu Y ist ja nicht der, von dem man weiss, dass man ihn ermitteln kann. das eigentliche problem sind doch die fragen zu Y, auf die man noch nicht gekommen ist. woher weiss ich denn nämlich, dass ich zu einem ding Y alle denkbaren fragen gestellt habe? wie kann ich beweisen, dass es keine weiteren fragen mehr gibt, die ich zu irgend einem ding Y stellen könnte? wenn man das beweisen könnte, dann könnte man definitiv sagen, dass die gesamtheit der antworten auf alle zu einem ding Y stellbaren fragen der absoluten wahrheit über Y entspricht.
ich gehe mal davon aus, dass es keine methode gibt, mit der man feststellen könnte, welche analytischen konzepte zur vollständigen identifikation von Y noch fehlen, wissend, dass ich das eigentlich nicht darf, aber aus methodischen gründen ist das jetz mal egal.
wenn ich also nicht wissen kann, ob ich alle denkbaren fragen zu einem ding Y überhaupt stellen kann, wie kann ich dann begrifflich einwandfrei definieren was 'wahrheit' ist? => nichttrivialer charakter von bild II.

mfg flo

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 21:58 Uhr

hallo ffloo,

zu deinen bildern, "'X' ist genau dann wahr, wenn P" ist nichts anderes, als eine semantische wahrheitsdefinition. diese liegt meiner position (mit)zugrunde. wenn wir aussagen auf "wahrheit" überprüfen möchten, müssen wir zunächsteinmal verstehen, was die aussage bedeutet; dementsprechend können wir eine zuordnung zu einem "bestehenselement" vornhemen. wenn ich sage die aussage "merkur ist der sonnennächste planet", so ist diese aussage wahr, wenn merkur der sonnennächste planet ist. d. h. wir müssen zum einen verstehen, was "merkur" heißt, was "sonnennächster planet" bedeutet, um der aussage zuzustimmen, oder diese aussage als falsch auszuzeichnen. zum anderen müssen wir wissen, dass "merkur" ein name ist,  und das mit "sonnennächster planet" eine relation eines planeten zur sonne gemeint ist - wobei sonne wiederum ein name ist.

das hat zunächst wenig mit einem logischen "verhältnis" zu tun. einzig logisch ist die relation "'X' ist genau dann wahr, wenn P".

zu deinem zweiten bild:

Zitat:

" was ist dieses ding Y?"


solche fragen scheinen sich (noch immer) großer beliebtheit zu erfreuen. vorallem ist bei solchen fragen meist eine totalität impliziert. diese totalität wird meist dem sprachlichen ausdruck gegenübergestellt. die sprache ist im verhältnis zu den dingen und sachverhalten unterdeterminiert, oder einfach gesagt: die sprache ist nicht so nuancenreich, dass sie es uns erlaubt z. B. die mannigfaltigkeit der visuellen eindrücke wiederzugeben.
für mich stellt sich die frage, ob sich daraus erkenntnistheoretische probleme ergeben, bzw. ob die erkenntnis der welt prinzipiell darunter zu leiden hat.
meine antwort fällt schlicht aus: nein. unsere erkenntnis hat darunter nicht zu leiden. für unsere zwecke ist unsere sprache ausreichend.
wenn wir z. B. unsere visuellen eindrücke verbal kodieren, ist es ausreichend, e.g. eine endliche menge an farbennamen zugrunde zu legen - abgesehen von der sprachökonomie.
wenn wir zum beispiel an einem marktstand nach "grünen" oder "roten" äpfeln fragen, so ist der meßbare grün-/rot-anteil marginal. wichtig ist eine zuordnung der vorhandenen äpfel in die kategorien "rot" und "grün".
was vielfach verwechselt wird -ich sage das einmal allgemein, es ist nicht speziell an dich gerichtet, ffloo- ist die unschärfe unserer sprache, die aus der unterdetermination resultiert mit der wirklichkeit, derart, dass man der wirklichkeit quasi unterstellt, sie sei unscharf.
es ist der gedankliche fehler, der auch wuweis position zugrunde liegt, das denken über die welt mit der welt selbst zu verwechseln.

- mfg thomas

- V
- fFflLloOo am 20. Dez. 2004, 22:59 Uhr

hallo thomas

eigentlich hättest du dir das irgendwie sparen können, weil mir das alles klar ist. dein standpunkt ist der, dass du wahrheit als wahrheit aufgrund der logik festlegst, wogegen nichts einzuwenden ist und dass wir unserer wahrnehmung trauen können, weil das was wir sehen wahr ist (bzw. falsch wahr).

das ist aber eben ZUNÄCHST sehr wohl diskutabel!

wir haben zum einem 'aus A folgt B'

und zum anderen fragen wir 'was ist wahrheit?'

ich bin mir der möglichkeit sich selbst in semantische fallen zu manövrieren durchaus bewußt und habe das selbst argumentativ bereits in ettlichen beiträgen so eingesetzt.

es hat keinen sinn das nun alles nochmal abzukanzeln, wir wissen wovon wir sprechen und was mir mit dedkution und absoluter wahrheit, bzw. mit einem totalen einsatz das wahrheitsbegriffes meinen.

du nimmst quasi die frage, die da lautet 'was ist wahrheit' und schnibbelst alles weg, was von semantisch uneindeutiger natur ist (brav, richtig so) und übrig bleibt die wahrheit im sinne der wahrheit einer aussage unter der voraussetzung, dass die prämissen (in mathematischen problemen heisst das dann definitionen) korrekt sind.
das ist aber so nicht akzeptabel. denn damit stellst du nur fest, dass es möglich ist aussagen bezüglich ihres wahrheitswertes zu überprüfen. ich will nicht behaupten, dass das keine vollständiger wahreitsbegriff sein kann, aber ich sehe einfach nicht, dass du mit dem was du geschrieben hast dm topf den deckel aufsetzt. vieleicht bin ich auch zu blöd (ist aber unwahrscheinlich), aber ich seh es einfach bisher nüscht.
im übrigen kann ich mich nur wiederholen: wie soll es möglich sein einen eindeutigen wahrheitsbegriff festzulegen, wenn es nicht möglich ist zu beweisen, das man es prinzipiell bewerkstelligen kann, das man alle möglichen fragen zu einem ding Y stellen kann...blablabla??

eines ist zumindest sicher: die wahrheit über ein ding Y ist die gesamtheit aller informationen über Y. das problem ist, dass Y nicht isoliert in der welt sein kann, es sei denn Y selbst ist die welt. Y ist ja bereits physikalisch mit dem gesamten rest der welt verknüpft, sodass das totale wissen um das ding Y erzwingt, dass dieses wissen eben nichts anderes ist als das totale wissen ueber die welt.

ergo: die wahrheit wie sie objekt der neugier ist, also die wahrheit die man finden will, wenn man fragt "was ist....." ist zwangsläufig immer die allumfassende wahrheit und damit vollkommen unhandlich, aber nicht desto weniger existent!(*)

das einzige was als etwas handliches verbleibt ist die wahrheit aufgrund der deduktion und diese setzt voraus, dass die beobachtung stimmt, bzw. bezeichnet falsche prämissen und falsche definitionen dann eben als falsche wahrnehmung, trotzdem sind alle schlüpsse die man daraus zieht wahr, aber eben nur wahre falschheiten.

so ist das vollständig und nun hoffen wir, das wuwei das nicht ignoriert und dann können wir weiter machen. aber das wird bestimmt nicht der fall sein. aber was solls, hab eh nix besseres zutun.

mfg flo

(*) existent, im sinne eines ziels nach einer endlosen suche.

nachtrag: was ich versuche ist, die überprüfung des wahrheitswertes von aussagen und den daraus resultierenden wahrheitsbegriff von dem wahrheitsbegriff der aus 'was ist Y' folgt, zu trennen. ich lasse zunächst die 'was ist Y'-wahreit als wahrheitsbegriff gelten und versuche denn zu zeigen, dass dieser begriff nichst anderes ist, als die absolute wahrheit, die nur ein allwissendes wesen kennen kann, bzw. die ein wahrheistssuchender nach unendlicher zeit erlangt. dieser wahrheitsbegriff existiert damuzfolge zwar und ist gültig, ist aber ursache vieler spinnereien und als hilfsmittel im rahmen einer diskussion vollkommen unpraktisch. das markiert m. e. einen wichtigen status der diskussion. nun kann man sich fragen, was alles an wahrheitsbegriffen übrig bleibt, bzw. welche wahrheitsbegriffe in die beiden genannten überführbar ist.

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 00:03 Uhr

um eine gemeinsame wirklichkeit zu gründen, müssen wir
de-finieren, grenzen ziehen. diese definitionen sind dann die grenzen unserer gemeinsamen wirklichkeit.(" kleine wahrheit" )

habe aber die hoffnung auf die grenzenlose wirklichkeit noch nicht aufgegeben.(" große wahrheit" )
auch wenn dann der vorhang fällt...
schiller: der irrtum ist das leben und die wahrheit ist der tod

mfg

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 00:22 Uhr


on 12/21/04 um 00:03:25, eiweiss wrote:

um eine gemeinsame wirklichkeit zu gründen, müssen wir
de-finieren, grenzen ziehen. diese definitionen sind dann die grenzen unserer gemeinsamen wirklichkeit.(" kleine wahrheit" )

habe aber die hoffnung auf die grenzenlose wirklichkeit noch nicht aufgegeben.(" große wahrheit" )
auch wenn dann der vorhang fällt...
schiller: der irrtum ist das leben und die wahrheit ist der tod

mfg



ja...aber das ist jetz wieder etwas übersimplifiziert, weil man darin nicht notwendigerwesie hoffnung finden kann auf irgendetwas. es ist eben eine tatsache, dass man nicht wissen kann, was es alles zu wissen gibt, aber man weiss, das man etwas weiss...irgendwas...spielt ja keine rolle was genau. weil man eben feststellt, das man etwas wissen kann, aslo dass man nach der wahrheit suchen kann, ist es auch richtig anzunehmen, dass es eine wahrheit gibt. hoffnung erübrigt sich, weil hoffung hat man nur in erwartung auf irgend etwas. wenn man aber nicht wissen kann, was es noch alles zu wissen gibt, gibt es auch nix zu hoffen...der horizont wird halt im verhältnis zum bereits vorhandenen wissen einfach grösser.

n'abend

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 00:36 Uhr

ich kann kaum noch lesen, geschweige verstehen was du schreibst.
ich hoffe auf jeden fall auf ne erholsame nachtruhe für dich und mich.

in diesem sinne

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 00:40 Uhr

danke. hast recht. ich geh auch ins bette. vielleicht kann ich auch trotz des laut aufgedrehten fernsehers meines liebern nachbars einschlafen. vielleicht geh ich auch rüber und werf ihn von seinem balkon runter... [smiley=icon7xx.gif]

- V
- jacopo_belbo am 21. Dez. 2004, 08:02 Uhr

hallo ffloo,


Zitat:

eigentlich hättest du dir das irgendwie sparen können, weil mir das alles klar ist.


das wage ich zu bezweifeln.


Zitat:

das ist aber so nicht akzeptabel.


so?

Zitat:

denn damit stellst du nur fest, dass es möglich ist aussagen bezüglich ihres wahrheitswertes zu überprüfen.


ist das nicht eigentlich die voraussetzung dafür, dass man überhaupt von wahren aussagen sprechen kann? dass man weiß, was mit der aussage gemeint ist?

Zitat:

wenn es nicht möglich ist zu beweisen, das man es prinzipiell bewerkstelligen kann, das man alle möglichen fragen zu einem ding Y stellen kann


die frage ist, ob es notwendig ist, "alle möglichen fragen zu einem ding Y [zu] stellen".
es ist ausreichend, wenn wir genau die fragen stellen und entsprechend beantworten können, die für die aussage relevant sind. dazu müssen wir verstehen, was ausgesagt wird. wenn ich wissen will, ob  die aussage "gerhard schröder ist der derzeitige bundeskanzler" wahr ist, ist es ausreichend, dass ich frage, wer gerhardt schröder sei, wer der aktuelle bundeskanzler ist, und ob die beiden identisch sind. mehr ist nicht nötig um diese frage zu bejahen oder zu verneinen.

- mfg thomas

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 11:36 Uhr

hallo thomas

und was soll das jetz wieder? ich weiss nicht wie ich darauf reagieren soll, aber besonders erbaulich fnde ich das nicht. du wiederholst dich eigentlich nur mal wieder, was zeigt das dir nicht im mindesten klar ist wovon ich rede.ebenso schleierfhaft ist mir, wie du es fertig bringst aus meinem posting zu schliessen, dass ich die wirksamkeit des wahrheitsbegriffes im rahmen logischer deduktion anzweifle. und doch, thomas, ich verstehe sehr wohl wovon du sprichst, es ist auch nichts weiter dabei das zu verstehen...

...und ich denke doch, das dir das klar ist.

NACHTRAG:

anscheiend verstehst du nicht, dass es im rahmen einer diskussion über wahrheit es eben auch nicht verboten sein darf über die wahrheit im sinne einer beurteilung von aussagen hinauszugehen.

wenn man sich z. B. fragt, was das universum ist, dann fragt man im grunde nach der absoluten wahrheit über die welt, die natürlich existieren muss.

warum muss sie existieren?

weil  die wirklichkeit offenbar existiert.

wenn ich mich frage, wie genau sich die vergangenheit der welt abgespielt hat, dann versuche ich ja eben eine solche 'totale' frage zu beantworten und da ich aber weiss, das die welt existiert und das es daher eine analysierbare vergangenheit gegeben hat, weiss ich auch, das die absolute wahrheit existieren muss un das ist nunmal ein wahrheitsbegriff, den man akzeptieren muss. wieso tust du so als sei es verboten in diese richtung zu denken.

ich fasse es übrigens als leicht beleidigend auf, dass du hier süffisant unterstellst, ich würde nicht verstehen was eine simple deduktion ist. aber ich bin huldvollst dazu geneigt dir in meiner unendlichen gnade zu verzeihen, wenn du bereit bist die diskussion in einem ernsthaften, d. h. etwas respektvollerem ton, weiterzuführen. ich habe sichernicht die einsicht in philosophie wie jemand der diese disziplin studiert hat, aber hier geht es ja um wirklich fundamentale und strukturell simple gedanken, die man durchaus ohne tiefere vorkenntnis erfassen kann.

herzlichst, flo

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 13:11 Uhr

wenn ich mich mit anderen unterhalte dann innerhalb der grenzen meiner alltäglichen wirklichkeit. in dieser wirklichkeit esse und trinke ich,gehe in die schule, in die uni oder in die arbeit.hier fahre ich auto, feiere weihnachten und sylvester,  bin gesund oder werde krank. in dieser alltäglichen wirklichkeit wird geboren, gealtert und gestorben, kriege geführt und frieden geschlossen, gibt es arm und reich,schlau und doof, gibt es eine vergangenheit, eine gegenwart und eine zukunft.

in dieser alltäglichen wirklichkeit sind die meisten dinge stillschweigend de-finiert, umgrenzt und begrenzt also. diese stillschweigende übereinkunft ist das ergebnis unserer sozialisation, beginnend mit unserer existenz- aus sicht der späteren alltäglichen wirklichkeit wohl das verschmelzen von ei- und samenzelle.
wenn wir die grenzen dieser wirklichkeit verlassen, den gemeinsamen code nicht beachten, werden wir vom insider zum outsider.

innerhalb dieser alltäglichen lebenswelt, existiert der bundeskanzler. und momentan ist es gerhard schröder. das ist wahr. der thomas meiner alltäglichen wirklichkeit hat recht.
wenn wir wir uns über andere wirklichkeiten unterhalten wollen, müssen wir wieder de-finieren. das funktioniert in der wirklichkeit der mathematik ganz ordentlich, wird bei anderen themen aber schwierig.

damit zur hoffnung-hallo thomas.

um im bild zu bleiben: die hoffnung taucht begrifflich in unserer gemeinsamen, alltäglichen wirklichkeit auf wie die spitze eines eisbergs. um zu sehen was sich unter der wasseroberfläche befindet, müssen wir uns in die tauchanzüge zwängen, die sauerstoffflaschen anschließen und abtauchen. während unseres tauchgangs ist die kommunikation aber nicht so gut möglich wie oben, an der oberfläche der gemeinsamen wirklichkeit. also bleibt uns die unterhaltung nach dem tauchgang. jeder wird eigene eindrücke haben. aber vielleicht hat der eine etwas gesehen was der andere nicht sah und umgekehrt. lohnt  aber sicher, sich mal anzuhören, was der andere so sagt.
der vergleich hinkt natürlich. ist halt ne sache der definition.

mfg

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 16:22 Uhr

Hallo allerseits,

ein paar Vorschläge zur Strukturierung der Diskussion:

Die Frage, die ffloo diskutieren möchte: "Was ist (die ganze Wahrheit) über X?" sollte in einem eigenen Thread diskutiert werden. Unsere Frage zur Bedeutung des Ausdrucks "wahre Aussage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit" ist für sich genommen schon schwierig genug.

Zu WuWeis Position: wir sollten hier nur solche Punkte diskutieren, die für unsere Fragestellung von Bedeutung sind. Dazu gehört vor allem die Frage, inwiefern die Welt, die wir wahrnehmen, als solche existiert und wirklich ist.

WuWei, Du schreibst: "Woher will ich wissen, dass hinter meinem wahrgenommenen Baum ein objektiv realer Baum steht? Selbst wenn andere die gleiche Wahrnehmung eines Baumes haben, ist ein objektiv realer Baum dahinter eine reine Annahme. Ich werde darauf niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis haben. … real sind allein deine subjektiven Wahrnehmungen …"

Offenbar benutzt Du die Wörter "real" und "existent" in einem anderen als dem üblichen Sinne. Wenn man normalerweise etwas "Reales" (eine Ziege) von etwas "Irrealem" (einem Einhorn) unterscheidet, so bedeutet dies, dass man eine Ziege wahrnehmen kann (man sieht sie klettern, hört sie meckern, fühlt ihr Fell etc.) während noch niemand vom Einhorn Wahrnehmungen dieser Art gemacht hat.

Wenn man zwischen einer wirklichen Oase und einer unwirklichen, nur scheinbaren Oase unterscheidet, dann bedeutet dies, dass man die wirkliche Oase erreicht, wenn man sich auf sie zu bewegt, während man in der scheinbaren Oase der Fata Morgana niemals ankommt.

Du benutzt die Wörter "real" und "existent" jedoch in einem andern Sinne, indem Du auch das Wahrgenommene als nicht real und nicht existent bezeichnest.

Das einzige, was Deiner Ansicht nach real ist, sind die Wahrnehmungen selber, womit Du wohl diejenigen Bewusstseinsinhalte meinst, die sich aus den Reizungen unseren Sinneszellen ergeben:

Wenn ich die Augen aufmache, sehe ich vor mir eine Oase. Dies Bild der Oase in meinem Bewusstsein ist für Dich allein real, nicht die Oase, die ich sehend wahrnehme.

Wenn ich die Augen aufmache, und sehe vor mir eine Oase (die sich bei näherer Betrachtung als eine Halluzination herausstellt), so ist diese Halluzination als Bewussteinsinhalt  für Dich genauso real wie der Bewusstseinsinhalt, der sich aus der Sinneswahrnehmung ergab.

Damit haben die Wörter "wirklich", "real" oder "existent" jedoch völlig ihre Fähigkeit eingebüßt, ein zielgerichtetes enttäuschungsfreies Handeln zu ermöglichen. Sie haben damit ihre Bedeutung verändert. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, dass mir in dieser Weise die Denkwerkzeuge für zielgerichtetes Handeln – ohne dass dies deutlich wird – genommen werden.

Grüße an alle von Eberhard.

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 17:19 Uhr

Hallo Eiweiss,

dein Beitrag über die Entwicklung des Säuglings zum Kind geht in die richtige Richtung. Auch das Matthäus-Zitat am Schluss war passend.

Was während dieser Entwicklung passiert, ist schlicht eine Konditionierung der Wahrnehmung. Das Kleinkind nimmt direkt wahr, ohne gedanklich zu interpretieren, ohne das Wahrgenommene mit einem Begriff zu versehen. Das Kleinkind kennt nur Wahrnehmungen, keine Dinge an sich. Weil es sich selbst während der Wahrnehmung nicht für ein Ding hält. Es hat sich ja noch keine Vorstellung von sich selbst gebildet, also noch kein individuelles Ego. Weil es sich selbst nicht für ein objektives Ding hält, nimmt es auch nicht objektive Dinge wahr. Deshalb fühlt es sich auch nicht getrennt von dem Wahrgenommenen.

Was dann ziemlich schnell einsetzt, ist die eigene Objektivierung, eine Vorstellung von sich, ein individuelles Ich eben. Da gleichzeitig durch das Lernen der Sprache immer mehr Begriffe gebildet werden, kommt es zu einer Hypostasierung, also Verdinglichung, von Wahrnehmungen zu Objekten. Und deshalb schütteln die meisten Erwachsenen verwundert bis entsetzt den Kopf, wenn einer sagt, da seien keine objektiven Dinge, sondern nur Wahrnehmungen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: natürlich ist es nicht möglich, die naive Sicht des Kleinkindes wieder anzunehmen.
Auch ist es nicht möglich, in einer Gesellschaft zu leben, und keinerlei Vorstellung von sich selbst zu haben.
Aber wir können beide Sichtweise integrieren und uns klarmachen, dass wir in einer wahrgenommenen Welt leben und nicht in einer objektiven, eigenständigen, von uns getrennten Welt. Und natürlich kann ich diese, meine, unsere Wahrnehmungen untersuchen auf "objektive" Eigenschaften.
Es sind aber immer Eigenschaften einer Wahrnehmung, und nicht eines objektiven Dinges. Wer hier sagt, das sei doch dann eigentlich egal, der hat die Dimension der Sache nicht erfasst.

Insofern ist es interessant, dass Thomas sagt: "es ist der gedankliche fehler, der auch wuweis position zugrunde liegt, das denken über die welt mit der welt selbst zu verwechseln".

Genau dasselbe denke ich über seine Sicht der Dinge. Für mich ist die Welt einfach die Welt, die ich wahrnehme. Dagegen ist gerade seine Vorstellung von einer wahrnehmungsunabhängigen objektiven Welt ein rein gedankliches Konstrukt. Er kann nicht wahrnehmen, wie die Dinge sind, wenn er sie nicht wahrnimmt. Also muss er es sich denken, nicht wahr?  

Nehmt es mir nicht übel, aber eure Diskussion über wahre Aussagen über Dinge wird nicht viel bringen. Wie flo richtig andeutet, ist ja kein Ding vom anderen getrennt. Also ist jede Aussage über ein Ding immer nur eine Teilwahrheit. Die absolute Wahrheit kann nur das gesamte Universum betreffen, darüber kann ich aber keine absolut wahre Aussage machen, weil ich mich sonst neben die Gesamtheit stellen würde. Wodurch es keine Gesamtheit mehr wäre.

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 18:50 Uhr

Lieber Eberhard,

ich weiß, es wird schwierig, wenn man auch Begriffe wie real und existent relativiert. Aber es ist wohl unerlässlich.

Entscheidend ist, dass man sich dabei über die Perspektive klar ist. Klar, du hast recht, eine Ziege kann ich wahrnehmen, ein Einhorn mir nur vorstellen. Insofern ist die Ziege real, das Einhorn irreal. Aber als du das geschrieben hast, hast du dir sicher eine Ziege vorgestellt. War diese Vorstellung irreal? Real kann sich nicht nur auf Wahrnehmungen beschränken, sonst wären ja alle Gedanken irreal.

Gemessen an dem, was ich im Moment wahrnehme, war mein Traum letzte Nacht irreal. Als Traum gesehen aber war er durchaus real. Als ich ihn träumte, erschien er ja real.
Und jetzt erscheint der Laptop real, auf den ich gerade gucke.

Begriffe wie real oder existent sind genauso relativ, wie wahr oder falsch. Alles eine Frage der Perspektive der Betrachtung.

Du schreibst: "Du benutzt die Wörter "real" und "existent" jedoch in einem andern Sinne, indem Du auch das Wahrgenommene als nicht real und nicht existent bezeichnest.  

Das einzige, was Deiner Ansicht nach real ist, sind die Wahrnehmungen selber, womit Du wohl diejenigen Bewusstseinsinhalte meinst, die sich aus den Reizungen unseren Sinneszellen ergeben"

Mit dem zweiten Satz liegst du richtig, mit dem ersten nicht.
Du scheinst zu glauben, ich unterscheide zwischen "Wahrgenommenem" und "Wahrnehmungen". Nein, das ist ein- und dasselbe. Die Bewußtseinsinhalte SIND das Wahrgenommene.

Insofern ist also das Wahrgenommene für mich durchaus real. Und da es Bewußtseinsinhalt ist, BIN ich es in gewisser Weise, wie ich mit dem Raum-Beispiel verdeutlichen wollte.

Wenn ich jedoch glaube, da ist ein für sich objektives Ding, das ich jetzt halt gerade wahrnehme, dann erliege ich einer Illusion.

Schau Eberhard, was willst du denn jemals anderes wahrnehmen als Bewußtseinsinhalte? Lass uns folgenden Satz von dir anschauen: "Wenn ich die Augen aufmache, sehe ich vor mir eine Oase. Dies Bild der Oase in meinem Bewusstsein ist für Dich allein real, nicht die Oase, die ich sehend wahrnehme."

Merkst du nicht, dass du hier von zwei Oasen redest? Einem Bild der Oase in "deinem" Bewußtsein und einer Oase, die du angeblich sehend wahrnimmst. Wie kommst du auf diese zweite Oase? Diese zweite Oase ist in der Tat eine Vermutung. Es gibt nur das Bild einer Oase im Bewußtsein, als solches ist es auch real. Die zweite Oase dagegen ist reine Fantasie. Irreal.

In deinem Bewußtsein kann also eine Stadt erscheinen, eine Luftspiegelung einer Stadt, oder aber eine Halluzination einer Stadt. Alle drei sind in gewisser Weise wirklich, schließlich wirken sie ja auf dich. Natürlich besteht trotzdem ein objektiver (!) Unterschied zwischen diesen dreien. Wenn einem klar ist, dass ALLES subjektive Bewußtseinsinhalte sind, dann kann man auch wieder zwischen einer realen Stadt, einer täuschenden Luftspiegelung und einer irrealen Halluzination unterscheiden. Wie gesagt, du hältst deine Gedanken ja auch nicht für irreal, weil du eben weißt, dass es Gedanken sind und keine sinnlichen Wahrnehmungen.

Vielleicht sollte ich noch was anfügen: wenn ich sage, die wahrgenommenen Dinge sind nicht da, wenn ich sie nicht wahrnehme, dann heißt das nicht, dass sie überhaupt nicht da sind. Aber sie sind nicht als Dinge da, sie sind nicht ausgedehnt in Raum und Zeit.

Schau, viele Wahrnehmungstheoretiker sagen, es gebe eine objektive Realität, die unseren subjektiven Wahrnehmungen zugrundeliegt. Sie müssen aber einräumen, dass über diese objektive Realität nicht die geringste Aussage gemacht werden kann, weil sie als solche nicht wahrgenommen werden kann. Diese angeblich wahrnehmungsunabhängige "Realität" kann ohne Wahrnehmung keine Farben haben, keinen Klang und keine Form.  

Jetzt spekuliere ich mal und sage, diese vermutete objektive Realität ist in Wahrheit nichts anderes als die grenzenlose Potentialität des Bewußtseins. Dieses Bewußtsein ist nur hier und jetzt, existiert objektiv nicht, ist rein subjektiv, und beinhaltet alle scheinbar objektiven Eigenschaften sowie auch Zeit und Raum. Man könnte auch sagen, es IST all diese Eigenschaften und auch Zeit und Raum. Es ist die Essenz all dieser Erscheinungen. Und du bist diese Essenz genau wie ich es bin.

Hier und jetzt ist in diesem Bewußtsein alles enthalten: alles, was je in einer (scheinbaren) Vergangenheit geschah, alles was aktuell wahrgenommen wird, und alles was in einer (scheinbaren) Zukunft passieren kann. Alle Evolution, Urknalltheorie, alle Geschichte, alles ist nirgendwo anders als im zeitlosen hier und jetzt "existent". (welche Theorie über die Welt ist da noch wahr oder falsch?)

Die scheinbaren Dinge, die lediglich Bewußtseinsinhalte sind, werden nicht von dir als Person projiziert bzw. geformt, da dein Körper selbst eine Projektion ist. Sie werden vom Bewußtsein "durch" diese Person geformt, die wie eine Taschenlampe immer nur Teile eines unbeleuchteten Raumes beleuchtet und sichtbar macht, in Wirklichkeit in Zeit und Raum ausdehnt und dadurch für sich selbst wahrnehmbar macht. Das Bewußtsein geht weit über deine Person hinaus und ist doch paradoxerweise nichts anderes als du selbst.

Schau mal auf deinen Bildschirm Eberhard! Auf dieser Fläche ist jetzt in diesem Moment latent alles enthalten, was du jemals darauf geschrieben oder gelesen hast, alles, was du aktuell gerade liest, und alles, was du dort potentiell jemals dort schreiben oder lesen wirst.

Viel Spaß beim Verdauen dieser "Verrücktheiten" ;-)

viele Grüße,
WuWei

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 19:14 Uhr

Hallo WuWei,

Du schreibst: "Eure Diskussion über wahre Aussagen über Dinge wird nicht viel bringen. …(denn) …  jede Aussage über ein Ding (ist) immer nur eine Teilwahrheit."

Das sehe ich anders: Wenn wir manche "Teilwahrheit" wüssten und damit manche "Teilfrage" beantworten könnten, dann würde das viel bringen. Beispiele für solche Teilfragen sind: "Wird es in den nächsten 100 Jahren zum Ansteigen des Meeresspiegels kommen?" "Was sind die Ursachen für Allergien?" "Gibt es ein Leben nach dem Tod?" "Schädigt tägliches Rauchen von Haschisch  das Nervensystem?" "Kann man durch das Erinnern und Verarbeiten von traumatischen Erlebnisse in der Kindheit seelische Störungen beseitigen?" "Kann man durch staatliche Beschäftigungsprogramme die gegenwärtige hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland langfristig beheben?"

Ich glaube, dass es außerordentlich wichtig ist, zu wissen, wie man auf derartige einzelne Fragen richtige Antworten geben kann und falsche Antworten als solche identifizieren kann

meint Eberhard.

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 19:36 Uhr

Hallo Eberhard,

deinem letzten Beitrag stimme ich in gewisser Weise zu!

WuWei

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 19:56 Uhr

Hallo WuWei,

das Ganze ist etwas verzwickt, aber ich denke, die Sache lässt sich klären.

Ich unterscheide zwischen einer "Sinneswahrnehmung" als psychischem Vorgang (Individuum A sieht ein helles Licht) und dem von A damit "Wahrgenommenen" (ein helles Licht).

Der psychische Vorgang ist ein wirklich stattfindendes Ereignis. Er ist real.

Das Wahrgenommene (das helle Licht) ist normalerweise ebenfalls real, denn A hat es gesehen. Nur im Falle einer optischen Täuschung oder ähnlichem wäre das Wahrgenommene nicht real.

Nun eine andere Situation.

A liegt nachts im dunklen Zimmer im Bett und stellt sich ein helles Licht vor.

Der psychische Vorgang des Vorstellens ist ein wirklich stattfindendes Ereignis. Er ist real.

Das Vorgestellte (das helle Licht) ist jedoch nicht real (es ist um A herum dunkel und kein helles Licht scheint), denn das Vorgestellte existiert nur im Bewusstsein von A.

Im ersten Fall besteht der Bewusstseinsinhalt aus Wahrgenommenem und ist real.

Im zweiten Fall besteht der Bewusstseinsinhalt aus Vorgestelltem und ist nicht real.

Die Erzeugung eines Bewusstseinsinhalts durch ein Sinnesorgan nenne ich "Wahrnehmung".

Die Erzeugung eines Bewusstseinsinhaltes durch Vorstellen nenne ich "Fiktion" (Imagination, Phantasie).

Alle Bewusstseinshalte, die Wahrnehmungen wie auch die Fiktionen, kenne ich durch Selbstbeobachtung meines Bewusstseins. Ich kann diesen Strom von Bewusstseinsinhalten auch erinnern.

Außerdem gibt es noch Sinneszellen, die mich über meinen eigenen Zustand informieren: sie erzeugen Hunger, Durst, Schmerz, Zorn, Ärger, Freude usw., also Gefühle in meinem Bewusstsein.

Um es in der Analogie des Computers zu veranschaulichen:

Der Computer hat einen Bildschirm. Dieser entspricht dem Bewusstsein. Die Bilder, die auf dem Bildschirm erscheinen, entsprechen den Bewusstseinsinhalten.

Der Computer hat eine eingebaute Videokamera, die erfasst, was im Raum geschieht. Diese Kamera entspricht den Augen, also einem Sinnesorgan.

Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer (optischen) Wahrnehmung.

Wenn ich einen Clip aus einem Zeichentrickfilm von der Festplatte abrufe, dann entspricht das einer Fiktion.

Beides sind reale Vorgänge, aber nur die Videokamera erzeugt einen Bewusstseinsinhalt, der real ist.

Der Selbstbeobachtung entspricht im Computer eine Erfassung und Aufzeichnung des Monitorbildes.

Den Wahrnehmungen des eigenen Zustands entsprechen beim Computer die Fehlermeldungen und die Meldungen von Resultaten von Selbstüberprüfungsprogrammen auf Viren, Auslastungsgrad usw.

Pu. Etwas kompliziert. Es grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 21. Dez. 2004, 23:11 Uhr

hallo wuwei,

ich denke deine fehleinschätzung meiner position rührt von einem falschen bild der wahrnehmung.
und insofern denke ich, ist auch das bild, das eberhard angegeben hat
Zitat:

Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer optischen Sinneswahrnehmung.

ein wenig irreführend.
es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben, wo die einzelnen bilder wie akteure auf- und wieder abtreten. eine solche bühne gibt es nicht.

der gedankliche fehler liegt in einer verdopplung der welt.

wenn man dein bild nähme, bestünde wahrnehmung in der projektion "innerer zustände" in eine außenwelt, die so nicht existiert. das widerspricht aber dem prinzip der wahrnehmung, bei dem sinnesreize "von außen" erfolgen. wir brauchen die welt nicht nach außen hin zu projezieren, weil sie je schon immer "außen" ist. und dasjenige, was wir als "innenperspektive" bezeichnen ist ebenso ein teil dieses "außen".

- mfg thomas

p.s.: ich habe die präpositionen "innen" und "außen" in anführungszeichen gesetzt, um ihren metaphorischen charakter zu unterstreichen. wir sollten uns darüber im klaren sein, dass es sich lediglich um metaphern handelt, die aber erkenntnistheoretisch irreführend sind.

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 23:34 Uhr

hallo eberhard !

schließ doch mal die augen. und jetzt drück mit den fingern auf die geschlossenen augenlider va auf die augenwinkel. dann wirst du farbige lichter sehen.
diese erzeugung eines bewußtseinsinhalts erfolgt durch sinneswahrnehmung. dies nennst du "wahrnehmung". der bewußtseinsinhalt besteht also aus wahrgenomenem und ist also real.
äh, also ich seh die lichter nich.
oder hab ich das noch nicht kapiert. bitte um erklärung.

mfg

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 01:10 Uhr

noch was:
wollte mir die frage grad selbst beantworten. dabei erhob ich mir gegenüber den einwand, dass man nur sinneswahrnehmungen meint, die auf "natürlichem" wege stattfinden; hier also: licht trifft auf die retina.
gehe aber jetzt mit folgenden, beunruhigenden gedanken ins bett:
heute nacht kommt ein böser mann zu mir ins zimmer. er verabreicht mir ne ordentliche dosis halothan und manipuliert mein auge. und zwar setzt er mir in die linsen den umriß eines teufelchens ein. am nächsten morgen wache ich auf, nichtsahnend von den geschehnissen der nacht, und erschrecke: satan, der leibhaftige, wohin ich auch blicke ! verzweifelt wende ich mich an die anderen. keiner kann mir helfen. keiner kann an meiner wirklichkeit teilhaben. dann kommen die männer mit den weißen turnschuhen...
schön ist es hier auf der station.die pfleger sind nett und an die elektroschocks gewöhnt man sich auch. den satan sehe ich allerdings noch immer.

gute nacht
muss mal drüber schlafen. vielleicht gibts rettung...

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 09:36 Uhr

Hallo Thomas J,

ich hatte in meinem Entsprechung Mensch - Computer geschrieben: "Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer optischen Sinneswahrnehmung."

Du schreibst dazu: " (Dies Bild ist) ein wenig irreführend.
es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben".

Der Bildschirm entspricht bei mir nicht der Wahrnehmung sondern dem Bewusstsein. Und unser Bewusstsein kann als Bewusstseinsinhalt verschiedenes haben, neben Wahrnehmungen  (Ich sehe vor mir ein helles Licht) auch Erinnerungen, Kopfrechnen, Tagträume oder dergleichen.

Hallo eiweiss,

ich hatte geschrieben: "Das Wahrgenommene (das helle Licht) ist normalerweise ebenfalls real, denn A hat es gesehen. Nur im Falle einer optischen Täuschung oder ähnlichem wäre das Wahrgenommene nicht real." Ähnliches wären Wahrnehmungsstörungen wie Schlag auf die Netzhaut und andere Störungen der nervlichen Signalübertragung zwischen sensorischen Zellen und Gehirn.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 11:35 Uhr

hallo eberhard !

...und eine optische täuschung liegt dann vor, wenn das was uns die sinneszellen vermitteln nicht mit dem übereinstimmt, was uns die sinneszellen vermitteln, oder wie?

ich kapiers immer noch nicht.tut mir leid.

mfg

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 12:43 Uhr

Hallo Eberhard,

die Frage ist für mich hier nicht so sehr, was "real" oder nicht ist. Der Zeichentrickfilm, den ich auf dem Computer sehe, ist als solcher ja auch real. Nur wenn ich Donald Duck für einen lebendigen Menschen halte, wird es irreal.

Interessanterweise ist für dich jetzt das Wahrgenommene nicht mehr z. B. der Baum selbst, sondern das Licht, das angeblich von dem Baum auf meine Augen fällt und in mein Bewußtsein dringt.

Damit unterstützt du im Grunde meine These, denn du machst selbst klar, dass ich den Baum an sich niemals sehen kann. Zumindest so lange nicht, wie ich von einem Bewußtsein IN meinem Kopf ausgehe. Ich hätte selbst gar nicht besser argumentieren können, dass nämlich kein Ding in mein Bewußtsein dringen kann, sondern höchstens Licht.

Jetzt sagen du und andere natürlich: aber dieses Licht, das dann meine subjektive Wahrnehmung erzeugt, muss doch von einer objektiven Quelle kommen, es kann doch nicht aus dem Nichts kommen. Warum nicht? Die ganze Welt entsteht aus dem Nichts.

Ich sage erneut, es ist eine reine Vermutung, dass dieses Licht von einer äußeren Quelle kommt. Es ist ebenso reine Vermutung, dass dieses Licht von außen in mein Bewußtsein dringt.

Dein Beispiel mit dem Computer, der Kamera und dem Chip klingt gut, hat aber einen entscheidenden Haken. Eine Kamera kann nicht "sehen". Das kannst nur du. Meine Brille kann auch nicht sehen, auch wenn ich ohne sie nicht viel sehe.

Hier komme ich zu Thomas:

Sehr interessant, was du schreibst. Der Irrtum liegt in der Tat in einer Verdoppelung der Welt. Genau das machen aber viele Wissenschaftler, sie machen es aber deswegen, weil die naturwissenschaftliche Wahrnehmungstheorie zu einer Verdopplung der Welt führen MUSS, wenn man sie konsequent zu Ende denkt. z. B. eben der zur Zeit sehr angesehene Gerhardt Roth. Andere Wissenschaftler verdoppeln die Welt nicht, aber nur deswegen, weil sie gar nicht so weit denken. Weil sie sich der Ungereimtheiten der wissenschaftlichen Sicht gar nicht bewußt sind.

Du schreibst: "wir brauchen die welt nicht nach außen hin zu projezieren, weil sie je schon immer "außen" ist. und dasjenige, was wir als "innenperspektive" bezeichnen ist ebenso ein teil dieses "außen".

und: "es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben, wo die einzelnen bilder wie akteure auf- und wieder abtreten. eine solche bühne gibt es nicht".

Wenn es keine innere Bühne gibt, und die Welt schon immer "außen" ist, wo bin dann ich??? Dann kann ich doch nicht hier "innen" in meinem Körper sein. Von wo aus nehme ich dann die Dinge wahr?

Damit musst du doch eigentlich zum gleichen Schluss kommen wie ich, dass mein Bewußtsein nicht auf den Kopf beschränkt sein kann [ruffle]!

Dann können keine Dinge von außen IN mein Bewußtsein dringen (können sie ja eh nicht, siehe oben), dann sind alle Dinge bereits in meinem Bewußtsein, ja sie SIND nichts anderes als Bewußtsein. Dann gibt es nichts außerhalb des Bewußtseins, genau was ich die ganze Zeit sage. Kann ich dann überhaupt noch von "meinem" Bewußtsein sprechen?

Dann BIN ich doch das Bewußtsein und ebenso alles, was darin erscheint, bzw. alle Formen, die es angenommen hat.
Dann bin ich du, und du kannst dasselbe aus deiner Perspektive sagen. Weil wir dasselbe Bewußtsein sind, auch wenn wir gleichzeitig als verschiedene Formen/Körper darin erscheinen.

Natürlich ist dieses Bewußtsein auch nichts anderes als der Raum, in dem sich das Universum ausdehnt. Wohinein soll sich denn das Universum sonst ausdehnen? Welche Begrenzung sollte Raum denn haben?

Nochmal zu Eberhard, der immer noch auf dem Bett liegt und kleine Lichter sieht:

Das wahrgenommene Licht erscheint ebenso IN dir wie das vorstellte Licht. Das vorgestellte Licht erscheint in deinem Kopf und das wahrgenommene Licht erscheint genau dort, wo du es siehst, aber ebenso in dir.

Freut mich, dass ich euch endlich überzeugen konnte. ;-)

viele Grüße,
WuWei

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 13:30 Uhr

hallo wuwei!

wenn ich also aus zwei eins mache und wenn ich das innere wie das äußere mache und das äußere wie das innere und das obere wie das untere....und ein bild statt eines bildes,- dann werde ich in das königreich eingehen?

keine angst- ist nicht von mir. steht im "geheimen" thomas-evangelium (22).
der forum-thomas solls mir nicht übelnehmen.

mfg

- V
- jacopo_belbo am 22. Dez. 2004, 14:49 Uhr

hallo alle zusammen,

ich kenne das gnostische thomas-evangelium, eiweiß. ich wüßte auch nicht, weshalb ich dir dieses zitat übelnehmen sollte ;)

nun zu wuwei:
wir sind nun an einem wichtigen punkt angelangt.
wenn du sagst,
Zitat:

weil die naturwissenschaftliche Wahrnehmungstheorie zu einer Verdopplung der Welt führen MUSS, wenn man sie konsequent zu Ende denkt.

wäre es interessant, zu wissen, was "die naturwissenschaftliche wahrnehmungstheorie" ist. ich denke die naturwissenschaftliche wahrnehmungstheorie gibt es nicht. es gibt viele ansatzpunkte und erklärungen. das nur nebenbei.

wenn wir uns klarmachen, wie das menschliche gehirn arbeitet, kommen wir gerade nicht zu dem Schluss, dass quasi eine zweite wirklichkeit im kopf existiert.
es sind dort lediglich informationsverarbeitende prozesse zugange - die aber nicht dergestalt sind, dass sich quasi zu jedem wahrgenommenen gegenstand ein  expliziter "bewußtseinsgegenstand" zuordnen ließe. die information die repräsentiert wird ist nicht-expliziter natur. den "wahrgenommenen baum" als solchen finden wir nicht wieder - um es ein wenig metaphorisch auszudrücken. unteranderem liegt das auch daran, dass es keine zentrale instanz des bewußtseins gibt -an diesem punkt führt uns eberhards bild von dem einen bildschirm ein wenig in die irre- sondern es gibt lediglich dezentral ablaufende informationsverarbeitende prozesse deren "nebenprodukt" quasi das ist, was wir "wahrnehmung" nennen. dazu gibt es bisher keine eindeutigen erklärungen, so dass die frage danach, "wie kommt das, was wir bewußtsein nennen, zustande" nicht eindeutig beantwortet werden kann. eine frage dabei ist z. B. das sog. "bindungsproblem", wo gefragt wird, wie es sein kann, dass wir einen rollenden roten ball sehen, dessen wahrnehmung sich aus vielen komplexen einzelwahrnehmungen -und entsprechend komplexen aktivitätsmustern der neuronen- (vereinfacht gesagt: "ein rundes objekt", "sich bewegend" und "rot" ) zusammensetzt. eine hypothese besagt, dass die synchronizität der ablaufenden prozesse diese verbundene wahrnehmung zustandebringt. - wie gesagt eine hypothese.


Zitat:

Wenn es keine innere Bühne gibt, und die Welt schon immer "außen" ist, wo bin dann ich???


wie ich schon oben angedeutet habe, sollen wir uns dessen bewußt sein, dass die rede von "innen" und "außen" nur eine metaphorische ist. wenn wir sagen, die welt ist "außen" und meine "sicht der welt" ist "innen", so machen wir eine grammatische unterscheidung, die so nicht besteht. dementsprechend ist auch die frage "wo bin ich?" irreführend.
ich weiß nicht, inwieweit meine folgende analogie tragfähig ist, aber ich will sie einmal anführen; ggf. kann sie ja dann diskutiert werden:
nehmen wir ein weißes blatt papier und trennen es mittels einer linie in zwei hälften. ab diesem zeitpunkt ist es uns möglich, sinnvoll von der oberen hälfte und der unteren hälfte zu sprechen. wir können nun separat über die beiden hälften sprechen - obwohl es sich streng genommen immernoch um ein blatt papier handelt. und strenggenommen existiert keine hälfte je für sich, sondern immer schon im verbund mit der anderen.
und analoges, denke ich, gilt für den menschen, der zwar als eigenständig gedacht werden kann, aber nie ohne seine umwelt existiert. wir sind immer schon eingebunden in die welt. - die welt ist als solche immer schon eine mit anderen menschen geteilte welt. das problem der übereinkunft "subjektiver welten" stellt sich insoweit nicht, weil unsere welt stets schon intersubjektiv angelegt ist. das problem der "perspektivität" ist nur ein scheinproblem.
es ist nicht, wie du vorschlägst:

Zitat:

dann sind alle Dinge bereits in meinem Bewußtsein, ja sie SIND nichts anderes als Bewußtsein.


ich bleibe einmal in der metaphorischen redeweise von "innen" und "außen" ; es stellt sich heraus, dass das gegenteil der fall ist. kein gegenstand ist "im bewußtsein", sondern alle gegenstände sind als solche "außen" frei verfügbar für jeden menschen. deine wahrnehmung bezieht sich auf den gegenstand sie beinhaltet ihn nicht.

dieses thema ist äußerst komplex - und deshalb auch anfällig für denkfehler und falsche interpretationen. deshalb plädiere ich dafür, wieder zurück zum thema der wahrheit zu kommen; denn die wahrheit soll unser thema sein und nicht die frage "wie funktioniert die menschliche wahrnehmung?" bzw. "was ist bewußtsein?". diese fragen sind unbestritten interessant, führen uns aber vom eigentlichen thema ab.

- mfg thomas

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 15:34 Uhr

bin gespannt wie die diskussion läuft, wenn wir alle dinge die mit den sinneswahrnehmungen  (i.s. unserer gemeinsamen alltäglichen wirklichkeit) -also sehen,hören, fühlen etc, und auch die erinnerung und vorstellung daran- außen vor lassen.
über was sollen wir uns dann austauschen? über was willst du dann eine aussage treffen ohne dass dich jemand fragt wie du zu dieser aussage kommst?

von mir aus können wirs mal probieren.
bin aber noch seeehr skeptisch.

mfg

ps: ich hoffe, eberhard beantwortet mir aber vorher noch die sache mit der optischen täuschung

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 16:27 Uhr

Hallo eiweiss,

nicht verzweifeln! Du hast ja recht: eine optische Täuschung liegt dann vor, wenn uns (bestimmte) Sinneszellen (unter bestimmten Umständen) etwas vermitteln, was nicht mit dem übereinstimmt, was uns die Sinneszellen sonst vermitteln.

Nehmen wir ein Beispiel: Du hältst einen geraden Stab ins Wasser. Du siehst dann einen Stab, der an Wasseroberfläche geknickt ist.

Ist der Stab wirklich geknickt oder ist das eine optische Täuschung?

Ich fühle mit der Hand den Stab entlang ……. ?  Es ist kein Knick zu fühlen.

Ich ziehe den Stab etwas aus dem Wasser. Jetzt ist er weiter unten geknickt, wieder genau an der Wasseroberfläche.

Ich ziehe den Stab aus dem Wasser heraus: Der Stab ist wieder gerade. Ich fühle mit der Hand: kein Knick zu spüren.

Ich neige zu der Ansicht, dass es sich bei dem Knick um eine optische Täuschung handelt. (Theoretisch wäre auch eine andere Lösung denkbar.)

Zu welcher Ansicht neigst Du?

fragt Dich Eberhard.

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 16:44 Uhr

Hallo WuWei,

Du schreibst: "Damit unterstützt du im Grunde meine These, denn du machst selbst klar, dass ich den Baum an sich niemals sehen kann. Zumindest so lange nicht, wie ich von einem Bewußtsein IN meinem Kopf ausgehe. Ich hätte selbst gar nicht besser argumentieren können, dass nämlich kein Ding in mein Bewußtsein dringen kann, sondern höchstens Licht."

Deine These ist, dass es falsch ist zu sagen: "Ich sehe einen Baum" ? Oder?

Wir sollten die Behauptungen, um die hier gestritten wird, möglichst klar formulieren. Wenn meine Formulierung nicht in Ordnung ist, formuliere bitte um.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s.: Mein Computer kann hören. Wenn ich was diktiere. Dann schreibt er es auf.

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 16:51 Uhr

Hallo eiweiss,

ja, ich denke schon, dass dieses Gleichnis aus dem thomas-evangelium auf ebendas hinweist. Es geht immer um die Einheit, die der Vielfalt zugrundeliegt.

Hallo thomas,

ich bin halt der Meinung, solange nicht klar ist, was Wahrnehmung und Bewußtsein ist, jede Frage nach Wahrheit belanglos ist. Bewußtsein ist immer der Ausgangspunkt. Du kannst natürlich glauben, Beweise zu haben, dass Bewußtsein ein paar Milliarden Jahre nach dem Urknall in die Welt gekommen ist. Aber das kannst du nur, weil du jetzt und hier bei Bewußtsein bist. Aber egal.

Ehrlich gesagt, haben mich deine Ausführungen nicht überzeugt. Meiner Meinung nach lavierst du um die Begriffe innen und außen herum. Einerseits sagst du, dass es sowas wie innen und außen gar nicht wirklich gibt, andererseits kommt in all deinen Aussagen immer wieder zum Ausdruck, dass du doch trennst zwischen innen und außen.
Wenn meine Wahrnehmung sich auf den Gegenstand "bezieht" und ihn nicht "beinhaltet", wie du sagst, dann muss der Gegenstand ja doch außerhalb sein.

Das Thema mag komplex sein, aber je mehr es verkompliziert wird, desto mehr wird verschleiert, dass man auf die einfachen, essentiellen Fragen schlicht keine Antwort hat. Dann heißt es, eine Frage wie "Wo bin ich?" führe in die Irre.

Also, wenn eine derart elementare und berechtigte Frage nur in die Irre führt, über was sollen wir dann überhaupt noch reden?

Auf meine Frage, wie es sein kann, dass ich hier einen Baum dort sehen kann, bist du mir die Antwort schuldig geblieben.
Wenn du sagst, im Gehirn entstehe gar nicht das Bild eines Baumes, sondern finden nur informationsverarbeitende Prozesse statt, dann frage ich WO entsteht das Bild des Baumes, das ich sehe? Also nicht im Gehirn, sondern dort, wo ich den Baum sehe? Was haben dann die informationsverarbeitenden Prozesse im Gehirn damit zu tun?
Also müßte es so sein, dass ein Wahrnehmungssignal über die Augen in mein Gehirn dringt, dort verarbeitet wird und dann doch wieder auf den Baum zurückprojiziert wird. Anders kann ich es nicht verstehen, was du sagst. Dann müßten wir aber wie gesagt alle bekannten Lichtjahr-Entfernungen halbieren, weil wir bislang vergessen haben, den Rückweg der Projektion zu berücksichtigen.

Vielleicht können wir ja nur deswegen nicht erklären, wie Bewußtsein zustande kommt, weil es überhaupt nicht "zustande" kommt.

Du hast ganz recht, dass die Eigenständigkeit des Menschen
nur eine gedachte ist (ohne dass ich sie dadurch abwerten will) und er nur im Verbund mit der gesamten Umwelt existiert.

Vielleicht liegt der Schlüssel wirklich in einer Art Synchronizität der Wahrnehmung. Wahrnehmung hat keine Richtung von außen nach innen und wieder zurück, sie unterliegt auch nur scheinbar Ursache und Wirkung.

Ich hier kann den Baum dort wahrnehmen, weil unsere Getrenntheit nur eine gedachte ist. In Wirklichkeit gibt es keinen getrennten Beobachter und Beobachtetes, sondern nur Beobachtung an sich, was auch die Synchronizität erklären würde. Das Problem der Perspektive ist in der Tat nur ein Scheinproblem (wobei ich aber vermute, dass du das etwas anders meinst als ich).

Ich habe das Gefühl, dass du die Probleme, die ich anspreche, sehr wohl siehst, aber dich aus bestimmten Gründen scheust, ähnlich weitführende Schlüsse wie ich zu ziehen. Aber das ist nur meine Interpretation.

Letztlich sind natürlich alle Aussagen nicht völlig korrekt. Wenn ich sage, die Welt erscheint IM Bewußtsein, ist mir schon klar, dass das auch etwas schief ist. Wenn ich sage,
Bewußtsein wird zur Welt, dann habe ich wieder eine zeitliche Komponente drin, was auch nicht richtig ist. Es gibt einfach keine perfekte Formel oder Sprachregelung.

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 17:18 Uhr

Hallo Eberhard,

du schreibst: "Deine These ist, dass es falsch ist zu sagen: "Ich sehe einen Baum" ? Oder?"

Nicht ganz. Ich rede ja auch so, sonst würde ich ziemlich Probleme im Alltag bekommen [grin]. Entscheidend ist, ob ich weiß, dass der Baum nicht ein Ding für sich ist, sondern nur in meiner Wahrnehmung bzw. als meine Wahrnehmung existiert.

Das Problem ist: wen meine ich mit "meiner" ?
Nicht ich als Person projiziere den Baum oder meinen tobenden Chef. Nicht ich als Person verursache diese Wahrnehmungen. Das wird teilweise in spirituellen Richtungen so missverstanden. Dann fühlt sich die betreffende Person schuldig für das was sie an schlechten Dingen wahrnimmt.

Egal ob gute oder schlechte Dinge, du bist nicht dafür verantwortlich was du siehst. Aber das was du siehst, ist nicht von dir zu trennen. Als wahrnehmendes Subjekt BIST du alle Dinge, die du wahrnimmst, von den persönlichen Gefühlen bis zum tobenden Chef.

Als 3.Person bist du Ego/Körper/Persönlichkeit, als 1.Person alles, was du wahrnimmst. Du bist Subjekt und alle Objekte zugleich, bist aber nur mit einem Objekt, dem Körper, identifiziert.

Das Schlüsselwort ist hier Identifikation. In manchen Lehren geht es darum, sich mit allem zu identifizieren, in anderen sich mit nichts zu identifizieren. Beides läuft aufs selbe hinaus.

Und glaube mir: dein Computer kann nicht hören. Was immer er tut, hören kannst nur du. Auch der Aufzeichnungsvorgang auf dem Computer ist eine Projektion bzw. "Beleuchtung" des Bewußtseins.

Von dem Zen-Mönch Hui-Neng gibt es eine bekannt Geschichte. Da streiten sich zwei Mönche, ob der Wind die Fahne bewegt oder die Fahne den Wind. Hui-Neng antwortet ihnen: "es ist euer Geist, der die Fahne bewegt".

viele Grüße,
WuWei

- V
- jacopo_belbo am 22. Dez. 2004, 17:46 Uhr

hallo wuwei,

ich denke, es ist wenig nützlich, wenn wir beständig auf die frage nach der wahrnehmung zurückfallen. das ist nicht kern dieser diskussion, sondern die frage nach der wahrheit. ich denke selbst innerhalb deiner position dürften sich anhaltspunkte dazu finden, wann ein satz wahr und wann ein satz falsch ist. wenn dem nicht so ist, ist eine diskussion überflüssig. ohne wahre sätze keine diskussion über wahrheit.


Zitat:

Einerseits sagst du, dass es sowas wie innen und außen gar nicht wirklich gibt, andererseits kommt in all deinen Aussagen immer wieder zum Ausdruck, dass du doch trennst zwischen innen und außen.


diese unterscheidung ist lediglich eine "heuristische", d. h. zum zwecke der diskussion eingeführte unterscheidung - ähnlich wie wir uns eine/viele linie(n) denken können, die ein blatt papier in zwei hälften, drei drittel, vier viertel etc. teilt/teilen. es ist ein unterschied, ob wir vom oberen drittel eines blattes sprechen, oder es abschneiden.
wenn ich von "innen" und "außen" spreche so bin ich mir der metaphorischen redeweise sehr wohl bewußt.
die frage "wo ist mein bewußtsein?" ist eine frage, die der metaphorik unserer sprache entspringt. sinnvollerweise müßte die antwort lauten "nirgendwo".

Zitat:

Also, wenn eine derart elementare und berechtigte Frage


woher bezieht diese frage ihre berechtigung? sie ist so wie jede andere frage ein anwendungsfall der grammatik - wir können sie sprachlich, i.e grammatisch korrekt, formulieren. das heißt aber nicht, dass ihr eine antwort entsprechen muss.


Zitat:

Wenn du sagst, im Gehirn entstehe gar nicht das Bild eines Baumes, sondern finden nur informationsverarbeitende Prozesse statt, dann frage ich WO entsteht das Bild des Baumes, das ich sehe? Also nicht im Gehirn, sondern dort, wo ich den Baum sehe? Was haben dann die informationsverarbeitenden Prozesse im Gehirn damit zu tun?
Also müßte es so sein, dass ein Wahrnehmungssignal über die Augen in mein Gehirn dringt, dort verarbeitet wird und dann doch wieder auf den Baum zurückprojiziert wird. Anders kann ich es nicht verstehen, was du sagst. Dann müßten wir aber wie gesagt alle bekannten Lichtjahr-Entfernungen halbieren, weil wir bislang vergessen haben, den Rückweg der Projektion zu berücksichtigen.



das verhältnis von bewußtsein zu gegenstand ist analog dem von satz zu gegenstand - wenn du so willst. einerseits hast du den baum, den du wahrnimmst und deine reaktion "das ist ein baum!" ; sowenig der baum ein satz ist, sowenig ist der baum eine wahrnehmung. aber bitte dieses beispiel nicht zu wörtlich nehmen.


Zitat:

Ich hier kann den Baum dort wahrnehmen, weil unsere Getrenntheit nur eine gedachte ist. In Wirklichkeit gibt es keinen getrennten Beobachter und Beobachtetes, sondern nur Beobachtung an sich, was auch die Synchronizität erklären würde. Das Problem der Perspektive ist in der Tat nur ein Scheinproblem (wobei ich aber vermute, dass du das etwas anders meinst als ich).


in der tat sehe ich es etwas anders als du.
kleine anmerkung: die synchronizität bezieht sich auf die gleichzeitige erregung verschiedener neuronen, nicht auf die gleichzeitigkeit von wahrnehmung und gegenstand.

um nun wieder zur diskussion zurückzufinden:

Zitat:

Entscheidend ist, ob ich weiß, dass der Baum nicht ein Ding für sich ist, sondern nur in meiner Wahrnehmung bzw. als meine Wahrnehmung existiert.


das ist aber für die beurteilung von sätzen relativ marginal. wenn ich sage "dort steht ein baum", und dort steht kein baum -ob real, oder nur im bewußtsein aller anwesenden vorhanden- ist der satz falsch, oder?

- mfg thomas

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 18:43 Uhr

Hallo Thomas,

Stimmt: Bewußtsein ist nirgendwo. Und nirgendwo ist überall!

Fragen wie "Wo bin ich" und "Wer bin ich" sind insofern berechtigt, als dass sie einem zutiefst menschlichen Bedürfnis empfinden. Das hat mit Grammatik nichts zu tun. Berechtigt sind sie auch, wenn es tatsächlich keine Antwort gibt.

Sorry, aber das mit dem Satz und dem Baum lasse ich nicht gelten, denn er erklärt gar nichts. Du unterschlägst dabei einfach die Wahrnehmung. Den Satz spreche ich ja nur, WEIL da die Wahrnehmung eines Baumes ist.

Du schreibst: "wenn ich sage "dort steht ein baum", und dort steht kein baum -ob real, oder nur im bewußtsein aller anwesenden vorhanden- ist der satz falsch, oder?"

Ja, da hast du recht. An der Richtigkeit des Satzes ändert das gar nichts. Es ändert aber etwas in deinem Verhältnis zur Welt. Inwieweit du dich von der Welt getrennt fühlst. Es hat mit Liebe, Harmonie, Verbundensein, Schuld, Hass, Verurteilung und Angst zu tun. Mit menschlichem Leiden insgesamt. Liebe ist für mich nichts anderes als das Ahnen oder Fühlen dieser zugrundeliegenden Einheit, jede Angst und jeder Hass und jede Sucht geht im letzten Grund auf das Gefühl des Getrenntseins und des Mangels zurück. Auch wenn oberflächlich betrachtet zahlreiche andere vordergründige Ursachen dafür gefunden werden können.

Auf jeden Fall war das eine sehr interessante Diskussion, die vielleicht allen etwas gebracht hat. Ich danke euch für eure Mühe und euren fairen und angenehmen Diskussionsstil.

Und wünsche frohe Weihnachten und Gutes Neues Jahr.

viele Grüße,
WuWei

P.S. ich will die Diskussion damit nicht abschneiden, aber ich denke in Bezug auf Wahrnehmung sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir uns in der Diskussion im Kreis drehen.

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 19:21 Uhr

hallo eberhard,

meine augen sagen mir, der stab ist gerade. ich tauche ihn ins wasser. nun ist er geknickt. und das nicht mal an einer bestimmten stelle. und dann ist er wieder gerade.
mein anderer sinn, mein fühlen und tasten,sagt mir, der stab ist und bleibt gerade.
was schließe ich daraus?
was ist der stab nun? gerade oder geknickt?


ich sach mal:

das problem mit dem stab stellt sich in unserer gemeinsamen alltäglichen wirklichkeit. wenn wir in dieser wirklichkeit leben und handeln wollen, wenn wir uns in dieser welt bejahen, akzeptieren wir die grenzen derselben.
in dieser wirklichkeit existiere ich, du und die mich umgebenden objekte (der stab), gibt es einen zustand vor, während und nach dem eintauchen. unseren erkenntnissen -wie bspw der vorstellung einer geraden, der  physik und  der mathematik- liegt diese wirklichkeit zugrunde.

um in dieser welt zu leben...- ja, der stab ist objekt. er ist gerade.

mfg






 
 

- V
- Eberhard am 23. Dez. 2004, 18:01 Uhr

Hallo allerseits,

ich glaube, wir können die Diskussion von Wuweis Thesen hier abschließen. Auch WuWei spricht in der Objektsprache (" Vor mir ist ein Baum" ). Auch Wuwei macht hinsichtlich der Wirklichkeit einer Ziege und eines Einhorns Unterschiede.

Die Differenzen zwischen seinem Weltbild und dem "üblichen" Weltbild kommen erst durch eine besondere spirituelle "Betrachtungsweise" oder "Perspektive" ins Spiel, deren kritische Diskussion den Rahmen unseres Themas sprengen würde.

Ich frage mich im Anschluss an diese Diskussion, ob man auf den Begriff der "Objektivität" nicht ganz verzichten sollte, weil er zu der falschen Schlussfolgerung verführt, es gäbe eine Erkenntnis realer Objekte, die nicht über unsere Wahrnehmung vermittelt ist.

Ich hätte keine Probleme zu sagen, dass der Satz: "Dort steht ein Baum" eine Abkürzung des Satzes ist: "Für uns steht dort ein Baum" und dass der Satz: "Der Baum vor unserm Haus ist mehr als 10 Meter hoch" eine Abkürzung des Satzes ist: "Der Baum vor unserm Haus ist für uns mehr als 10 Meter hoch".

Man würde dann in jede Behauptung über die Wirklichkeit die Einschränkung "für uns" hinein nehmen – weshalb man das "für uns" auch getrost weglassen kann – jedenfalls, solange wie wir noch nicht mit außerirdischen Wesen über die Beschaffenheit der Welt diskutieren.

Die Wahrheitsbestimmung: "Der Satz 'p' ist wahr, wenn p" (Der Satz "Ratten werden größer als Mäuse" ist wahr, wenn Ratten größer als Mäuse werden" ) könnte in diesem Sinne umformuliert werden und würde dann lauten: "Der Satz 'p' ist für uns wahr, wenn für uns gilt, dass p" (Der Satz "Ratten werden größer als Mäuse" ist für uns wahr, wenn für uns Ratten größer als Mäuse werden" ).

Damit hätte man die ganze unfruchtbare Debatte über "das Ding an sich" und dessen Erkenntnis vom Tisch.

Mir scheint, dass man hinsichtlich der Gültigkeit von Aussagen über die Wirklichkeit nicht mehr benötigt als intersubjektive Geltung (und deren Begründung) und intertemporale Geltung (und deren Begründung. Wenn wir also Aussagen haben, die personunabhängig und zeitlich unbefristet gelten und wenn wir gute Gründe für diese Geltung haben, was brauchen wir dann mehr? Meines Erachtens können wir damit unser Weltbild entwerfen und auf den Begriff der "Objektivität" in diesem Zusammenhang verzichten.

Geht es also einfacher als es scheint?

Herzliche Weihnachtsgrüße an alle Teilnehmer und Leser unserer Runde von Eberhard.

- V
- eiweiss am 23. Dez. 2004, 18:54 Uhr

nicht "an-sich"
und aus einem "für mich" wird ein "für uns".
- gefällt mir (uns?) gut.

wuwei hat recht mit dem was er sagte über unsere einstellung zur welt. vielleicht wäre dieses "für uns" ein schritt in diese richtung.

auch ICH wünsche UNS ein frohes weihnachtsfest

- V
- jacopo_belbo am 23. Dez. 2004, 20:10 Uhr

hallo alle zusammen,

gut, dass wir diesen abschnitt beendet haben - so sind wir frei, um demnächst an dieser stelle die diskussion weiterzuführen.
ich wünsche allen ein angenehmes und stressfreies weihnachtsfest. und allen schoneinmal vorweg ein gutes jahr 2005 p.chr. n.

- mfg thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:22 Uhr

Hallo Leute, ich platze hier mal wieder mitten rein ohne direkten AnSchluss, sorry.
Zuerst mal an Hermeneuticus, der das vielleicht gar nicht mehr lesen wird.

Klar, dem wird wohl jeder Teilnehmer dieser Diskussion vorbehaltslos zustimmen,

Zitat:

dass das Erkennen aus der sozialen Praxis hervorgeht



Die Neurobiologie stellt allerdings dahingehend eine sehr viel differenziertere Betrachtungsweise dar, als sie mit riesemgroßen Aufwand und Scharfsinn untersucht, inwieweit man am Prozeß des Erkennens (von was auch immer) folgende Komponenten unterscheiden kann:
    -    stammesgeschichtlich erworbene Strukturen unseres Erkenntnisapparates,
-      ontogenetische Feindifferenzierung desselben (u.a. durch Verstärkung oft genutzter und Eliminierung nicht benutzter Synapsen) sowie
-      Plastizität desselben durch individuelle Lebenserfahrungen.

Erkennen geht also keineswegs NUR ein soziales Phänomen, sondern fußt weitgehend (dieses "weitgehend" ist wohl der Hauptstreitpunkt) auf einer Jahrhunderte von Millionen Jahre zurückreichenden Selektion überlebensfähiger Strukturen.

Es ist also mitnichten so, wie Hermeneuticus schreibt:

Zitat:

Ich verwies darauf, dass Menschen das Prinzip der natürlichen Selektion mithilfe technischer Errungenschaften für sich außer Kraft setzen.



Welch eine Hybris!


Zitat:

Denn die beiden tragenden Prinzipien der biologischen Evolution sind (zufällige, also nicht zielgerichtete) Mutation und Selektion. Nun ist Technik einerseits kein Produkt von ziellosen Regungen (wie es Mutationen sind), sondern von zweckmäßiger, zielgerichteter Konstruktion.



Diese Argumentation a la William Paley (Mensch ist mehr uhrartig denn steinartig, also muss ein Konstrukteur postuliert werden) deuchte mir doch schon seit Generationen ad acta gelegt. Was H. hier als ausgezeichnetes Merkmal menschlichen Handelns präsentiert (zweckmäßig, zielgerichtet), das gilt doch nicht minder für jede tierische Fangbewegung oder beispielsweise auch den Werkzeuggebrauch von Insekten.  Denn "willkürlichen Blick" dichte ich also hiermit zurück. ;-) Desgleichen natürlich ohne Erregung die "erhebliche Begriffsverbiegung".


Zitat:

Kann man verbindlich feststellen und begründen, welche von diesen beiden Aussagen Teil eines biologischen Lehrbuchs sein könnte und welche nicht?  
a) Darwins Abstammungslehre bestätigte empirisch den biblischen Schöpfungsbericht.  
b) Darwins Abstammungslehre erwies empirisch, dass der biblische Schöpfungsbericht nur ein Mythos ist.  
Wenn Du meinst, es gebe keine verbindlichen, das heißt: NACHVOLLZIEHABREN Kriterien für eine Bantwortung der Frage, dann lohnt sich unsere weitere Diskussion nicht.  
Aber ich denke doch, dass Du, als Anhänger der ET, Aussage a) als eindeutig falsch zurückweisen wirst. Und wenn Du Dich darauf besinnst, welcher Art die Kriterien und Gründe Deines Urteils sind, dann hast Du auch einen (Vor-)Begriff von "wissenschaftlicher Wahrheit".



Eine mir sehr merkwürdig anmutende Argumentationsstrategie. Verbindlich und nachvollziehbar sind doch bereits Wörter, die auf einen Wahrheitsbegriff rekurrieren, den ich kritisch hinterfragen wollte.
Überdies: Falls Du mit "verbindlich" und "nachvollziehbar" meinst: "für alle verbindlich" und "für alle nachvollziehbar", so genügt doch ein Blick nach Amerika, um zu sehen, dass dies für Aussage b offensichtlich nicht der Fall ist. Und Du wirst doch wohl kaum meine bescheidene Meinung als Wahrheitskriterium heranziehen?
Gegen die Rede von "wissenschaftlicher Wahrheit" ist an sich nichts einzuwenden, wenn man zuvor die Kriterien genügend scharf definiert hat. Andererseits haben die Widerlegungen einiger der allerallerallersichersten wissenschaftlichen Wahrheiten (etwa der Unabhängigkeit von Raum und Zeit) gezeigt, dass die Zuschreibung "wahr" nicht mehr ist als eine aktuelle Meldung (wahr: "auf diese Aussage kannst Du meiner Ansicht nach bauen." unwahr: "Achtung, verlasse Dich nicht auf diese Aussage und deren Folgerungen!" ).

Ich mache hier Schluss, da ich ja nicht weiß, ob Du das überhaupt liest.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:27 Uhr

Hallo der Thomas J

Zitat:

was sagt uns konkret eine an der ET ausgerichtete erkenntnistheorie über wahrheit? was ist für den evolotionstheoretiker wahrheit? ist es das für das überleben nützliche? und wenn ja, woran erkennt man, dass etwas in der gegenwart für das überleben nützlich ist?



Schwierige Fragen; die Erklärungsreichweite der ET wird ja oft gewaltig überschätzt. Aber sie erinnert uns an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigem und beugt so vielleicht dem Antropomorphismus vor, in der Sprache etwas prinzipiell Anderes zu sehen als Muskelbewegungen, die in ihrer Gesamtheit bisher das Überleben der Art nicht verhindert haben. Wer "sein" zu "Sein" und "wahr" zu "Wahrheit" substantiviert, betreibt gewissermaßen Wortakrobatik, die nichtsdestoweniger eine positive Wirkung auf Artgenossen ausüben kann. Aber das vermag nachgewiesenermaßen auch derjenige, welcher h, u, r, t und z zu einem lauten "Hurtz!" verbindet. (Die radikalste Heidegger-Kritik stammt nicht von Habermas und Co, sondern von Harpe Kerkeling  :-)).

Die ET besagt eigentlich nur, dass die Gene der aktuell fruchtbarsten Individuen einer Population in der jeweils nachfolgenden Generation häufiger vertreten sind. Das ist eigentlich reine und überdies einfachste Logik, zu der die Empirik nur den Anstoß geben musste. Darüber hinaus postuliert die ET ganz konkret eine Verwandtschaft aller rezenten Arten und ihre gemeinsame Abstammung von sehr frühen und einfachen Lebensformen.

Ansonsten hat die ET kaum mehr zu bieten als mehr oder weniger plausible Erklärungen (Geschichten), die aus prinzipiellen Gründen niemals beweisbar sind. Etwa: Wir haben eine Vorliebe für fetthaltige Nahrung, weil das in vergangenen Zeiten der periodischen Kalorienknappheit ein Überlebensvorteil war. Oder: Höhlenbewohnende Arten sind oft blind, weil eine Degeneration des Sehapparates in völliger Dunkelheit kein Überlebensnachteil war. usw. usw. Die ET hat Abertausende solcher Geschichten zu bieten, deren Plausibilität in der Regel überwältigend ist.

Soche Geschichten kann man für das Phänomen Sprache im Ganzen, als auch für einzelne Wörter erzählen. Besonders verführerisch sind natürlich die Sprachuniversalien (oder etwa auch Chomskys Universalgrammatik), denn Begriffen oder Kategorien, die sich in jeder Kultur erhalten haben, unterstellt man nur allzugerne allgemeine Nützlichkeit. Ich bin da sketpischer, und das Vokabular der Offenbarungsreligionen betrachte ich als dramatisches Gegenbeispiel.
Die Nützlichkeit allerdings der Möglichkeit einer Zuschreibung wie wahr oder unwahr erscheint mir in einer sozialen Umwelt, in welcher an jeder Ecke Irrtum und Betrug lauern, evident. Mit Bezug auf diese Debatte: Man braucht keine "Tischheit" zu postulieren, um eine plausible Geschichte des Begriffes "Tisch" zu erzählen. Ebensowenig muss man auf eine "Wahrheit" (was immer das sein soll) rekurrieren, um eine plausible Geschichte der Begriffe "wahr" und "unwahr" zu erzählen.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:38 Uhr

Hallo Eberhard

Zitat:

Dies ist zwar nicht falsch, doch geht die Bedeutung wertender und vorschreibender Sätze nicht in dieser Funktion auf. Entsprechendes gilt für Deine Deutung des Wortes unwahr als eine Art Warnschrei unter Artgenossen, der die gleiche Bedeutung hat wie das aufgeregte Gock! Gock! unter Hühnern



Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgdrückt. Ich nenne unwahr einen Warnschrei in dem Sinne, als er ganz konkret davor warnt, sich auf eine bestimmte Aussage sowie deren mögliche Folgerungen zu verlassen. Dies vermag das Gock Gock von Hühnern natürlich nicht.

Zitat:

Damit wird nur ein Aspekt der Sache erfasst. Denn die Wörter "wahr" und "falsch" werden nicht nur aktuell in verschiedenen, von einander isolierten Situationen benutzt, sondern sie sind auch unverzichtbar bei der Gestaltung des "Weltbildes", das jeder denkende Mensch ausbildet und aufgrund neuer Informationen fortbildet. Dies Weltbild umfasst alle vom Individuum für wahr gehaltenen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann.


 

Das ist in meinen Augen ein fast schon naives Bild einer Gemeinschaft aufgeklärter rationaler Individuen mit kohärenten, widerspruchsfreien Weltbildern....
Aufgeklärtsein könnte man (das ist jetzt ein Schnellschuß) geradezu mit der Angewohnheit analogisieren, sich des Warnschreis "unwahr!" ständig gegenwärtig zu sein, auch wenn kein Artgenosse da ist, der ihn ausstößt. Wie sagte Kant so wunderschön? Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Gleich mal eine kühne Spekulation hintendrein: Weshalb kam die Aufklärung in der Menschheitsgeschichte so spät und hat sich bis heute nicht bei einem nennenswerten Prozentsatz der Menschen durchsetzen können?
Weil unser Gerechtigkeitsempfinden sich in einer Zeit annähernd egalitärer Jäger-Sammler-Horden herausgebildet hat und sich vor der Matrix dieses Gerechtigkeitsempfinden die Hierarchien und extrem assymetrischen Ressourcen- und Machtverteilung, die sich mit dem Übergang zu Landwirtschaft und Speicherwirtschaft etabliert haben (bzw. die offiziellen Begründungen derselben) als unwahr, als Lug und Trug erweisen müssen. Insofern ist Aufklärung im oben beschriebenen Sinne ein riskantes Verhaltensmuster, welches schwerwiegende Konflikte mit den etablierten Machtstrukuren riskiert. Aufgeklärtes Verhalten in obigem Sinne kann sich deshalb nicht durchsetzen, weil es keine Gruppenselektion gibt (falls Dawkins und Co. gegen Gould und Co. recht behalten). Es ist wie mit Aggression oder Krieg: Für die Art Mensch wäre es wahrscheinlich am günstigsten, sich untereinander völlig friedlich bei konstanter Bevölkerungszahl gegen die feindliche Umwelt zu behaupten. Doch weil Individuen oder Gruppen von Individuen sich immense Vorteile durch aggressives Verhalten verschaffen können, wird sich Krieg wohl kaum aus der Welt schaffen können. (An H.: Hier wirken genetisch verankterte Verhaltensdispositionen, die wir mit unserer Kultur bisher nicht aus der Welt schaffen konnten).
Ebenso wäre wohl für die Art Mensch am günstigsten, wenn sich alle Individuen im obigen Sinne aufgeklärt verhielten. Doch dies wäre gar nicht im Sinne bereits etablierter Machtstrukturen, die konsequenterweise den Gedanken der Aufklärung verunglimpfen bis bekämpfen.

Also, Eberhard, Dein oben gezeichnetes Bild vom Menschen scheint mir zu idealistisch. Mit ein wenig rhethorischem Geschick und einer Portion Suggestion läßt sich jeder Schwachsinn von Astrologie bis Offenbarungstheologie (sogar Massen-)überzeugend begründen. Das ist auch deshalb möglich, weil wir keine Turing-Maschinen sind und nicht genau wissen, wieweit der Anwendungsbereich formaler Rationalität reicht. Nur ein Beispiel: Betrachten wir die drei 400m-Läufer A, B und C: A gewinnt stets gegen B, und B gewinnt stets gegen C. Die Folgerung "A gewinnt stets gegen C" erscheint überwältigend plausibel. Bei Tischtennis-Spielern trifft aber unter den gleichen Voraussetzungen (A gewinnt fast immer gegen B und B gewinnt fast immer gegen C) gar nicht so selten die gegenteilige Aussage zu: "C gewinnt fast immer gegen A". Ich traue mir nicht zu, ohne die Empirik auch nur auf die Idee dieser Möglichkeit zu kommen. Aus eben dem gleichen Grund erscheint mir auch die Erörterung der Frage "Wie kann man eine Aussage auf Wahrheit testen?" in dieser Allgemeinheit reichlich fruchtlos. In die Entscheidung fließen jeweils im konkreten Fall je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirik, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) ein.
Folgendes liegt mir also ferne:

Zitat:

Mit dem Verweis auf die Kontextabhängigkeit aller Wort- und Satzbedeutungen kann man diese mühselige Aufgabe elegant beiseite schieben.



Ich glaube halt nur nicht, dass das ohne konkrete Bezüge Sinn macht.
Noch zu Deiner Popper-Replik: Die Verwendung des Substantivs "Wahrheit" für (noch) nicht falsifizierte (wenn auch begründete, köhärente usw.) Aussagen erscheint mir als eine Art Schuldschein-Begriffs-Realismus. Der Schuldschein kann nie eingelöst werden, der Wechsel jedoch jederzeit platzen. (Man denkt: So ist's! Das kann sich ändern, wie schon geschehn in andern Ländern  :-) Mir ist heute nach dichten).

Ansonsten, Eberhard, haben sich in Deinen oben zitierten Absatz einige sehr unscharfe Begriffe eingeschlichen. "Nutzen" : Extrem nützlich kann es sein, sich in Orwells Staat dem Willen des Großen Bruders zu beugen und voller Überzeugung die zweifelsfreien Wahrheit der Aussage 2 + 2 ist 5 zu glauben. Das klingt übertrieben, doch ein Blick auf die Immunisierungsstrategien diverser Sekten oder Offenbarungstheologien zeigt fließende Übergänge von Lächerlichkeit bis hin zu bedenklicher intellektueller Schizophrenie (" Zwiedenken" ). Ganz egal wie offensichtlich die Argumente im Widerspruch zu sonstigen Wahrheiten im eigenen Weltbild stehen.
Weltbilder sind nie durchgehend rational, und welche Irrationalitäten sozial aktezptiert werden, ist u. a. eine Machtfrage.
Das soll's mal wieder gewesen sein.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 25. Dez. 2004, 20:36 Uhr

Hallo Thomas G,

Du schreibst: "Ich nenne "unwahr" einen Warnschrei in dem Sinne, als er ganz konkret davor warnt, sich auf eine bestimmte Aussage sowie deren mögliche Folgerungen zu verlassen."

Ich hatte geschrieben: "Damit wird nur ein Aspekt der Sache erfasst. Denn die Wörter "wahr" und "falsch" werden nicht nur aktuell in verschiedenen, von einander isolierten Situationen benutzt, sondern sie sind auch unverzichtbar bei der Gestaltung des "Weltbildes", das jeder denkende Mensch ausbildet und aufgrund neuer Informationen fortbildet. Dies Weltbild umfasst alle vom Individuum für wahr gehaltenen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann."

Dein Kommentar dazu lautete: "Das ist in meinen Augen ein fast schon naives Bild einer Gemeinschaft aufgeklärter rationaler Individuen mit kohärenten, widerspruchsfreien Weltbildern ....

Dein … Bild vom Menschen scheint mir zu idealistisch. Mit ein wenig rhethorischem Geschick und einer Portion Suggestion läßt sich jeder Schwachsinn von Astrologie bis Offenbarungstheologie (sogar Massen-)überzeugend begründen."

Dass meine Darstellung "naiv" oder "idealistisch" sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ich sage, dass jeder denkende Mensch ein "Weltbild" ausbildet, das aus der Gesamtheit der von ihm für wahr gehaltenen Aussagen besteht, habe ich doch nichts darüber ausgesagt, wie rational, wie wissenschaftlich begründet, wie selbstkritisch und widerspruchsfrei die tatsächlichen Weltbilder der Individuen sind. Ich bin da gar nicht optimistisch, im Gegenteil: ich glaube, dass in vielen Köpfen ein  beträchtliches Maß an Unsicherheit, Unordnung und Irrationalität herrscht – weshalb ich unter anderem solche klärenden Diskussionsrunden, wie die hier geführte, für unbedingt notwendig halte.

Mir ging es bei diesen Ausführungen darum, aufzuzeigen, dass "wahr" und "falsch" nicht nur eine soziale Funktion haben (A warnt B), sondern dass auch das Individuum für sich allein die Kategorien "wahr" und "falsch" benötigt, weil es von irgendwelchen Annahmen bei seinem Handeln ja ausgehen muss (seinem Weltbild) und weil es für ein Individuum den Zustand des "Zweifels", der Unentschiedenheit über "wahr" oder "falsch", gibt.

Ich stehe auch weiterhin zu meiner Aussage: "Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann."

Ein Weltbild, aus dem sich die Fragen, die man hat, nicht eindeutig beantworten lassen (weil das Weltbild widersprüchlich ist, weil es "weiße Flecken" aufweist etc.) hat für den Betreffenden geringen Nutzen. Und ein Weltbild, das einen zu Handlungen greifen lässt, deren Folgen man nicht erwartet hat, richtet für den Betreffenden eher Schaden an.

Du meinst, dass auch Irrtümer für ein Individuum von Nutzen sein können. Solche Fälle, in denen ein Individuum die Wahrheit nicht verkraftet, gibt es zwar, sie bilden jedoch eine seltene Ausnahme. Auf die Frage: "Willst Du über Deine Irrtümer aufgeklärt werden oder willst Du sie lieber beibehalten?" steht für die allermeisten Individuen die Antwort "Ich will wissen, wo ich irre" wohl fest.

Ich habe zwar nicht erläutert, was ich unter dem "Nutzen einer Sache für ein Individuum" verstehe, aber ich halte dies keineswegs für einen "unscharfen Begriff". Im Gegenteil: auf den Begriff des "Nutzens" (oder eines Ersatzbegriffes wie "Wert" oder "Vorteil" ) kann man meiner Ansicht nach nicht verzichten.

Deine Aussage, dass in eine Entscheidung über die Frage, wie man eine bestimmte Aussage über die Welt auf Wahrheit testen kann, "je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirie, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) einfließen", ist mir nicht einsichtig. Logische Widerspruchsfreiheit und Empirie (Wahrnehmung, Beobachtung) sind bei der richtigen Beantwortung von Fragen über die Beschaffenheit der Welt immer notwendig, während die andern Punkte eher Störfaktoren sind, mit denen man rechnen muss.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s: Ein voller Bauch studiert nicht gern, aber die grauen Zellen wollen auch aktiviert werden.

- V
- Hermeneuticus am 03. Jan. 2005, 13:53 Uhr

Hallo Thomas/g!


on 12/24/04 um 06:22:26, gershwin wrote:

Was H. hier als ausgezeichnetes Merkmal menschlichen Handelns präsentiert (zweckmäßig, zielgerichtet), das gilt doch nicht minder für jede tierische Fangbewegung oder beispielsweise auch den Werkzeuggebrauch von Insekten.


Die entscheidenden (und sehr sparsamen) Kriterien für die Unterscheidung von Handlungen und naturhaften Prozessen sind:

- Handlungen können unterlassen werden.
Beispiel: Ich kann im Fall eines grippalen Infekts zum Arzt gehen und die von ihm verschriebenen Medikamente einnehmen, ich kann es aber auch bleiben lassen und die Sache "ausschwitzen". Ich kann mich auch schon im Frühherbst gegen Grippe impfen lassen oder nicht. Bin ich indessen infiziert, setzt das in mir Prozesse in Gang, die ich nicht unterlassen kann, z. B. das Niesen und Husten.

- Zu Handlungen kann man andere auffordern.
So kann mir meine Freundin raten, ich solle unbedingt zum Arzt gehen; und der Arzt kann mir raten, gegen den Infekt einfach nichts zu tun. Vor diesem Rat wird er mich zum Zweck der Diagnose noch zu allerlei Handlungen aufgefordert haben wie: den Mund öffnen und "Aaaa" sagen, den Ärmel hochkrempeln usw.

- Handlungen können gelingen oder misslingen.
So kann im Fall einer schweren Krankheit ein ganzes Ärzteteam alles tun, was in seiner Macht steht - operieren, bestrahlen, Medikamente verabreichen, Diätvorschriften aufstellen, Kuren verordnen usw. - und doch scheitern.

Um den Begriff der Zweckrationalität kurz zu erläutern: "Zweck" nennt man einen Sachverhalt, den eine Handlung herstellen soll. So ist der Zweck eines chirurgischen Eingriffs etwa die Entfernung eines Tumors oder die Wiederherstellung einer Organfunktion. Die Ausführung dieses Eingriffs lässt sich anhand der Erreichung oder Nichterreichung dieses Zwecks beurteilen.
Ist ein Zweck bestimmt, so lassen sich immer verschiedene "Mittel" denken, durch den er erreicht werden kann. So überlegen Ärzte nach der Diagnose einer Krankheit, welche Mittel sie zur Heilung am besten ergreifen. Und ein Kranker kann seinerseits schon wählen, ob er auf Hausmittel vertraut, zum Hausarzt geht oder zu einem Internisten, zu einem Homöopathen oder einem Schulmediziner, oder ob er einen Heilpraktiker aufsucht oder gar einen Schamanen... (das Angebot ist groß).

Der Begriff des ärztlichen "Kunstfehlers" verweist in aller Klarheit darauf, dass angewandte Medizin eine "Kunst", d. h. eine Technik ist, die standardisierte Mittel zur Erreichung des Zwecks "Gesundheit" im Einzelfall auswählt und verwendet. Zwar kann ein Arzt die Heilung eines Patienten nicht garantieren, weil diese nicht allein von der sachgemäßen (zweckmäßigen) Ausübung seiner "Kunst" abhängt. Aber er kann (und soll!) garantieren, dass er seine ärztliche Kunst nach bestem Wissen und Gewissen ausübt; dies hat er sogar beschwören müssen, ehe er praktizieren durfte. Kunstfehler sind den Handlungen eines Arztes zuzuschreiben; die Heilung des Patienten dagegen nicht, weil diese eben nicht allein von der sachgerechten Anwendung der Medizin abhängt. Insofern ist beim Gelingen oder Misslingen einer Handlung immer zu unterscheiden, ob es auf den Vollzug der Handlung zurückgeht oder von Faktoren abhängt, die nicht im Einflussbereich des Handelnden liegen.


Dies nur als knappe Skizze. Kannst Du mir irgendeinen tierischen "Werkzeuggebrauch" nennen, auf den die genannten Kriterien zutreffen?

Was meine "Hybris" angeht: Du wirst doch nicht bestreiten, dass menschliche Technik kein zufälliges Naturprodukt ist. Und ebensowenig wirst Du bestreiten, dass Technik im allgemeinen den Zweck verfolgt, solche natürlichen Einflüsse möglichst zu kontrollieren, die das Erreichen unserer Handlungszwecke scheitern lassen können. Dass dies nicht immer gelingt, bestreite ich nicht. Aber das PRINZIP der Technik ist dennoch den PRINZIPIEN der biologischen Evolution (zufällige Mutation, natürliche Selektion) entgegengesetzt.
Ich habe bewusst meine Beispiele aus dem Bereich der Medizin gewählt, um das deutlich zu machen. Denn was anderes hat die Medizin zum Zweck, als der "natürlichen Selektion" ein Schnippchen zu schlagen?  

Ein Bereich übrigens, in dem der Unterschied von menschlicher Kulturentwicklung/Technik und natürlicher Evolution besonders deutlich wird, ist die gezielte Züchtung von Tieren und Pflanzen. Was hat es mit "Hybris" zu tun, wenn ich darauf beharre, dass es hier einen FÜR UNS MENSCHEN WESENTLICHEN Unterschied gibt?

(Ergänzung am 5.1.)
Am Beispiel der Züchtung von Tieren und Pflanzen (aber auch am Beispiel der Medizin) wird erkennbar, dass es Grenzen des Machbaren gibt, die nicht von uns Menschen gezogen werden. Insofern könnte man sagen, es unterliege wiederum der "natürlichen Selektion", welche Heilmethoden zum Ziel führen oder welche gezüchteten Exemplare überlebensfähig sind. Aber offenbar lässt die Natur uns da einen gewissen "Spielraum", innerhalb dessen wir sinnvoll zwischen dem von uns Gemachten/Gewollten und dem, was uns zustößt oder widerfährt, unterscheiden können.
Ich behaupte sogar: Was "Natur" ist, finden wir überhaupt nur dadurch heraus, dass wir mit unserem Wollen und Handeln jeweils an Grenzen stoßen. Der Begriff "Natur" ist also ein negativer, ein Grenzbegriff.  Aber als solchen könnten wir ihn gar nicht bilden, wenn wir nicht zunächst (im oben angedeuteten Sinne) handeln könnten. Unser Handelnkönnen wäre somit die faktische Voraussetzung für den Naturbegriff.




Zitat:

Und Du wirst doch wohl kaum meine bescheidene Meinung als Wahrheitskriterium heranziehen?


Mir ging es darum, Deine "bescheidene Meinung" auf ihre innere Konsistenz zu prüfen. Ich wollte wissen, ob Du - implizit - einen anderen Gebrauch vom Begriff der Wahrheit machst als den, den Du evolutionsbiologisch explizierst.



Zitat:

Gegen die Rede von "wissenschaftlicher Wahrheit" ist an sich nichts einzuwenden, wenn man zuvor die Kriterien genügend scharf definiert hat.


Genau um diese Schärfe geht es mir bei der Unterscheidung von natürlicher Evolution und kultureller Entwicklung. Deine Behauptungen über die "kulturelle Evolution" schienen mir zu viele relevante Unterscheidungen einfach zu verwischen.  

Gruß
H.

- V
- Hermeneuticus am 04. Jan. 2005, 13:08 Uhr

Hallo Thomas/g!


on 12/24/04 um 06:27:37, gershwin wrote:

Die Erklärungsreichweite der ET wird ja oft gewaltig überschätzt. Aber sie erinnert uns an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigem und beugt so vielleicht dem Antropomorphismus vor, in der Sprache etwas prinzipiell Anderes zu sehen als Muskelbewegungen, die in ihrer Gesamtheit bisher das Überleben der Art nicht verhindert haben.


Die Erinnerung an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigen (ich würde sogar ergänzen: und Nichtlebendigen) kann uns Menschen in der Tat nicht schaden. Aber ergibt sich daraus das gute Recht, alles in einen Topf zu werfen und aus Wissenschaft ein großes Wischi-Waschi zu machen?

So wie wir zwischen den verschiedenen Formen und Funktionen in der Natur - mithilfe unserer Begriffe - sorgfältig unterscheiden, so sollten wir auch die Spezifika der Gattung Mensch und ihrer Lebensformen sorgfältig untersuchen. Erst recht sollten wir die für unsere tägliche Lebensbewältigung unbedingt notwendigen Unterscheidungen nicht einfach unter den Tisch fallen lassen - wie etwa die zwischen Handlungen und (" determinierten" ) Naturvorgängen.

Sprache sei "im Prinzip" nicht anderes als lebensnotwendige Muskelkontraktion, sagst Du. Aber meinst Du nicht, dass wir den akustischen Absonderungen Deines Mundes anders begegnen sollten als den Absonderungen Deiner Peristaltik? Oder darf ich aus Deinem "Prinzip" die Berechtigung ableiten, diesen Unterschied zwischen DEINEN Sprach- oder Darmprodukten zu vernachlässigen? Macht somit Dein "Prinzip" den Spruch "Du redest Scheiße!" wahr???


Zitat:

Die radikalste Heidegger-Kritik stammt nicht von Habermas und Co, sondern von Harpe Kerkeling  :-)


Ich habe über Kerkelings "Hurtz" auch schallend gelacht. Trotzdem halte ich am Unterschied zwischen Verulkung und
Kritik fest - übrigens auch in DEINEM Interesse...



Zitat:

Die ET hat Abertausende solcher Geschichten zu bieten, deren Plausibilität in der Regel überwältigend ist.

(...)

Ebensowenig muss man auf eine "Wahrheit" (was immer das sein soll) rekurrieren, um eine plausible Geschichte der Begriffe "wahr" und "unwahr" zu erzählen.



Apropos begriffliche Schärfe: Sind für Dich die Begriffe "wahr" und "plausibel" synonym? Dann würde mich interessieren, was Du unter "plausibel" verstehst. Siehst Du dagegen einen Unterschied zwischen diesen Begriffen, würde mich auch dieser Unterschied interessieren.

Anders gesagt, bitte ich Dich, mir eine "plausible Geschichte" über das Wort "plausibel" zu erzählen...
:-)



Gruß
H.

- V
- Eberhard am 06. Jan. 2005, 12:02 Uhr

Hallo allerseits,

wir fragen, was unter einer wahren Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit zu verstehen ist. Wir haben z.T. sehr detailliert diskutiert, was mit "Wirklichkeit" gemeint ist, wie Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit von anderen Sätzen abzugrenzen sind, und welche Bedeutung und welche praktische Funktion das Wort "wahr" in diesem Zusammenhang hat. Diesen sozialen Aspekt des Wahrheitsbegriffs will ich aus meiner Sicht im Folgenden darstellen und eine begriffliche Unterscheidung zwischen der "Geltung" und "Gültigkeit" von Aussagen bzw. Behauptungen im Allgemeinen vorschlagen.

Wahre Aussagen geben uns richtige Antworten auf die Fragen, die wir in Bezug auf die Beschaffenheit der Welt haben. Die Aussage "Steinpilze sind giftig" ist wahr, wenn Steinpilze (tatsächlich) giftig sind.

Die Gesamtheit dieser Aussagen, die jemand für wahr hält, macht sein "Weltbild" aus. Dies Weltbild liegt seinen Entscheidungen zugrunde. Wer Steinpilze für giftig hält, wird sie nicht essen.

Menschen leben gesellig. Sie sind deshalb auf Koordination ihrer Handlungen angewiesen und sie können die Vorteile der Kooperation nutzen: vier Augen sehen mehr als zwei.

Die Koordination und Kooperation ist erschwert, wenn die Weltbilder in Bezug auf den jeweils relevanten Bereich der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Wenn in einer Gruppe unterschiedliche Meinungen über die Giftigkeit von Pflanzen bestehen, kann die Gruppe nicht gemeinsam Nahrung sammeln und zubereiten.

Deshalb besteht in jeder Gesellschaft eine gewisse Notwendigkeit, die Meinungen der Individuen über die Beschaffenheit der Welt zu vereinheitlichen. Dies passiert durch Meinungsaustausch, Diskussion, Belehrung der Nachwachsenden, Stellungnahme von Autoritäten.

Es besteht die Tendenz zur Ausbildung einer gesellschaftlich vorherrschenden Meinung, einer "herrschenden Lehre", die faktisch gilt und die den "politischen" Entscheidungen zugrunde gelegt wird.

Individuen und Gruppen erheben für ihre jeweiligen Weltbilder den Anspruch auf faktische soziale Geltung, sie wollen, dass ihr jeweiliges Weltbild den sozialen Entscheidungen zugrunde gelegt wird.

Dieser Anspruch auf faktische Geltung für die Allgemeinheit wird durch die Auszeichnung einer Aussage oder eines ganzen Weltbildes als "wahr" erhoben: außerhalb der Wahrheit gibt es nur Unwissenheit, Irrtum, Lüge und Ketzerei. Dies macht die politische Brisanz jeder Auseinandersetzung um Wahrheit aus.

Von größter Wichtigkeit ist nun die Art und Weise, wie dieser Anspruch auf allgemeine faktische Geltung eingelöst wird. Die faktische Geltung eines Weltbildes kann einerseits mit Machtmitteln (Verfolgung, Einschüchterung, Ausgrenzung Andersdenkender etc.) durchgesetzt werden. Damit kann jedoch keinesfalls die Berechtigung der Geltung dieses Weltbildes erwiesen werden.

Zur deutlichen Kennzeichnung des Unterschiedes zwischen der nur faktischen allgemeinen Geltung von Behauptungen auf der einen Seite und der berechtigten allgemeinen Geltung von Behauptungen auf der anderen Seite schlage ich vor, für die berechtigte allgemeine Geltung den Begriff der "Allgemeingültigkeit" zu reservieren.

Ein Weltbild kann demnach allgemeine Geltung besitzen, ohne allgemeingültig zu sein. "Gültigkeit" im Sinne von "berechtigter Geltung" kann nur durch allgemein nachvollziehbare Argumente, also rational erwiesen werden. Für die Gültigkeit zählen nur "Vernunftgründe" und nicht alle sonstigen Beweggründe für die Übernahme einer Meinung. "Wahrheit" wäre nach der hier vorgeschlagenen Begrifflichkeit ein bestimmter Fall von "Allgemeingültigkeit", bezogen auf eine bestimmte Art von Behauptungen, auf Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit.

Allgemein nachvollziehbare Argumente für die Wahrheit von Aussagen beruhen letztlich auf der intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmung der Wirklichkeit: "Überzeug Dich doch mit Deinen eigenen Augen davon, dass es so ist, wie ich sage. Oder – wenn das nicht möglich ist - befrage vertrauenswürdige Informationsquellen!"

Grüße an alle von Eberhard.

- V
- Verena am 06. Jan. 2005, 19:35 Uhr

Hallo,
soweit ich mitbekommen habe, beschränkt sich eure Diskussion über Wahrheit, darauf, dass Wahrheit etwas ist, was nur im Zusammenhang einer Aussage auftreten kann. Die "Aussage als Ort der Wahrheit" anzusetzen war zwar seit Aristoteles gängige Tradition (ein Standpunkt der durch die analyt. Philosophie reanimiert wurde)  - die Wahrheitsproblematik erhielt aber doch spätestens in der neuzeitlichen Philosophie mit der kopernikanischen Wende Kants eine wesentliche Erweiterung bzw. Vertiefung. Wenn man Kants antirealistischer Argumentation folgt, dass die Dinge (Gegenstände, Bewegungsabläufe, Prozesse usw.)  nicht einfach vorhanden sind (Realismus: Wahrnehmung als bloß passiv-rezipierendes Erfassen vorhandener Dinge), sondern ihrerseits erst als Resultat eines (sich auf Sinnesdaten stützenden) gelingenden oder misslingenden Konstruktionsaktes sind, dann ist die Frage nach der Wahrheit noch eine Stufe vor der Frage nach der Aussagenwahrheit anzusetzen, die als solche ja erst auf der Basis einer gelungenen Gegenstandskonstitution möglich ist. Die Frage nach der Wahrheit muss sich dann nicht nur um die Bedingungen stimmigen Aussagens, sondern genauso auch um die Bedingungen stimmiger Gegenstandskonstitution kümmern - eine Dimension der Wahrheit, welche mE bei eurer Diskussion bislang außen vor blieb.
Es geht als nicht nur um die Bedingungen der Möglichkeit einer (stimmigen) Bezugnahme von Aussagen auf Objekte, wie zB

Dieser Tisch ist rund.
oder
Dieses da ist ein Tisch.

sondern auch um die Frage nach der (stimmigen) Konstruktion des Dinges (dieses da - griech.: tode ti), um überhaupt erst ein "dieses da" (singuläres Objekt) als Substrat eines Aussagens zu erhalten.
Mit anderen Worten:
Vor der Anwendung eines Begriffs auf etwas muss dieses etwas gegeben sein, worauf der Begriff angewendet wird und wenn dieses Etwas nicht als einfach Vorhandenes angesetzt wird, wie im Realismus, sondern als etwas, das sich der Konstitution durch das Subjekt verdankt, dann stellt sich die Frage nach der Wahrheit zunächst als Frage nach den Bedingungen einer stimmigen Konstitution des Dinges.

Verena

- V
- Eberhard am 06. Jan. 2005, 22:57 Uhr

Hallo Verena,

Du plädierst dafür, dass wir unsere Fragestellung erweitern und auch – oder sogar zuerst -  fragen, wie sich die Gegenstände unserer Wahrnehmung herausbilden.

Der Umstand, dass wir die Gegenstände unserer Wahrnehmung mit den zugehörigen sprachlichen Bezeichnungen als gegeben hinnehmen, muss jedoch kein Mangel sein. Man könnte noch weitere Bereiche nennen, die wir nicht problematisieren. So haben wir z. B. nicht hinterfragt, wie es überhaupt zu so etwas wie einer Sprache kommen kann, was also die Bedingungen für die Möglichkeit des sprachlichen Verständigung sind. Und nach Meinung von Hermeneuticus haben wir auch die Vorrangigkeit des Handelns gegenüber dem Erkennen nicht hinreichend geklärt.

Die Nicht-Behandlung dieser Fragestellungen wird erst dann zum Problem, wenn sich dadurch Konsequenzen für die Beantwortung unserer zugegebenermaßen eingegrenzten Fragestellung nach der Bedeutung des Wortes "wahr" in Bezug auf Aussagen über die Realität ergeben würden.

Meine Gegenfrage an Dich – so wie zuvor schon an Hermeneuticus - ist also: Ergeben sich durch die Einbeziehung dieser Bereiche für das Vorgehen in unserm Bereich irgendwelche Konsequenzen und wenn ja welche? Werden andere Fragen gestellt? Werden andere Antworten gegeben? Welche sind dies?

Nur wenn dies der Fall ist, ist die Nicht-Behandlung dieser Bereiche ein Mangel. Wenn sich aber durch die Behandlung dieser Fragen keine Konsequenzen für die Beantwortung unserer Frage ergeben, so ist deren Einbeziehung nur unnötiger intellektueller Ballast.

Wie man so schön sagt, hängt alles mit allem zusammen, und es ist ein Leichtes, die fehlende Berücksichtigung dieser oder jener Bereiche zu monieren. (Womit ich nicht gesagt haben will, dass dies auf die von Dir angesprochenen Konstitutionsprobleme der Wirklichkeit zutrifft.)

Grüße an Dich und alle andern kritisch Interessierten von Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 07. Jan. 2005, 09:34 Uhr

ein erfolgreiches und gutes jahr 2005 wünsche ich allen philtalkern.

ich melde mich nur kurz zu wort, da ich derzeit noch nichts produktives zur diskussion beizusteuern kann. ich habe mir verenas beitrag durchgelesen, der mir einiges zu denken gibt. ich weiß weder, ob es in der philosophischen tradition begründet liegt, oder ob es gängige interpretation ist, kant als einen antirealisten darzustellen. insbesondere interessiert mich inwieweit der begriff realismus durch
Zitat:

Realismus: Wahrnehmung als bloß passiv-rezipierendes Erfassen vorhandener Dinge)

gedeckt wird. - allerdings würden wir damit den boden der laufenden diskussion verlassen. und das sollten wir nur dann tun, wenn eine erörterung der diskussion nützt - oder wie eberhard andeutet: wenn eine solche erörterung konsequenzen für die laufende diskussion hat.

wie sich im verlauf der diskussion gezeigt hat, besitzt das thema der wahrheit zwei pole, deren einer der relativ unproblematische erkenntnistheoretische ist, die übereinstimmung von aussagen mit den fakten -nach einer ausreichenden diskursiven erörterung der semantik (cf. semantische wahrheitstheorie) einer behauptung kann zu einem befriedigenden ergebnis gefunden werden- deren anderer, derjenige der in meinen augen problematische pol ist, derjenige der aus der pragmatik wahrer aussagen erwächst: die kennzeichnung einer aussage als "wahr" impliziert gewisse handlungsweisen (falsche aussagen ablehnen, nach gewissen vorschriften zu handeln etc.). entsprechend (bi/poly)polar ist zum beispiel auch der begriff der objektivität. eine aussage ist in semantischer hinsicht objektiv (" dieser tisch ist 2m lang" wenn der tisch 2m lang ist), aber in pragmatischer hinsicht problematisch -welches verfahren erlaubt es uns eindeutig und vorallem genau festzulegen, wie groß der tisch ist? (wobei zu beachten ist, dass eine unzulänglichkeit der meßmethode nicht zugleich eine unzulänglichkeit der aussage, geschweige denn des tisches, ist).

... soweit erst einmal ... demnächst wieder mehr :)

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 07. Jan. 2005, 19:56 Uhr

Hallo allerseits,

meine Frage an Thomas J und alle anderen: Sind wir uns einig, dass das "wahr sein" einer Aussage unabhängig von irgendeiner Zeitbestimmung ist, dass also eine Aussage, die heute falsch ist, bereits gestern schon falsch war und auch zukünftig falsch sein wird?

Die allgemeine Bestimmung von Wahrheit "Eine Aussage p ist wahr, wenn es so ist, wir p besagt" kennt für "wahr sein" nur die Gegenwartsform.

Es macht m.E. keinen Sinn, in der Vergangenheitsform zu formulieren: "Eine Aussage p war wahr, wenn es so war, wie p besagt" oder in der Zukunftsform zu sagen: "Eine Aussage p wird wahr sein, wenn es so sein wird, wie p besagt".

Wer also die obige Bestimmung von Wahrheit akzeptiert, der muss auch akzeptieren, dass die Wahrheit einer Aussage zeitunabhängig ist, dass der Anspruch auf Wahrheit also einen zeitunabhängigen Geltungsanspruch beinhaltet.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 07. Jan. 2005, 22:40 Uhr

Hallo Verena!

Freut mich, nun doch eine weitere Stimme in der Diskussion zu hören, die hinter die Aussagenwahrheit zurückfragt. Mir, als einem Anhänger der "Transzendental" -Philosophie,  leuchtet Deine Frage nach der Konstitution des Gegenstandes/Sachverhaltes, auf den sich eine Aussage bezieht, unmittelbar ein. Ich habe auch in den früheren Phasen der Diskussion (Wahrheit I - IV) immer wieder versucht, deren Notwendigkeit für die Klärung von Aussagenwahrheit geltend zu machen, aber aus meiner Sicht vergeblich...

Meine Kritik richtete sich direkt und indirekt stets gegen eine Formulierung in der Themenstellung. Es war nämlich ausgemacht, dass wir den Begriff der Wahrheit verstehen wollten als urteilendes (meta-sprachliches) Prädikat für "Aussagen über die Wirklichkeit". Weite Strecken der Diskussion drehten sich um die Frage, was man unter "Wirklichkeit" zu verstehen habe. Interessant ist dabei vor allem, ob "Wirklichkeit" so etwas ist wie eine fertige, "gegebene", "vorhandene" Welt "da draußen", die nur darauf wartet, von uns erkannt zu werden.
Meine Kontrahenten Eberhard und Thomas vertreten dazu Meinungen, die im Grunde genau auf diese "realistische" (oder "naturalistische" ) Metaphysik hinauslaufen. Für sie ist Wirklichkeit letztlich das, was die Naturwissenschaften erkennen. Oder, mit Wittgensteins Formel, wirklich ist alles, "was der Fall ist" - nämlich ein Fall von Aussagen mit dem sog. "Existenzquantor" : "Es gibt mindestens ein x, von dem gilt..."

Mir ist vor Weihnachten die Energie vergangen, dagegen in immer neuen Variationen anzureden. Aber ich bin auf Deine Argumente gespannt. Vielleicht reanimiert das ja meinen Kampfgeist ein wenig... :-)


Gruß
H.

- V
- gershwin am 08. Jan. 2005, 06:28 Uhr

Hi Eberhard
Zum Thema Weltbild: zuerst meintest Du, die Begriffe wahr und falsch wären unverzichtbar für die Gestaltung der Weltbilder (ich sehe da übrigens erstmal keinen Widerspruch zu meiner vorangegangenen Argumentation, denn ich hatte ja eigens hervorgehoben, dass Sprache die Funktion hat, Erfahrungen und Meinungen, die ja u. a. auch Folgerungen aus Erfahrungen sind, mitzuteilen. Dein Weltbild hängt sehr stark davon ab, was andere als wahr bezeichen (d. h. welche Fakten und Ableitungsregeln zum Vertrauen empfohlen werden). Du hast also mit Deiner Bemerkung keinen neuen Aspekt eingeführt, der über meine Warnschrei-Theorie hinausweist, höchstens den Bezug des Warnschreis auf situative Ableitungsregeln). Wenig später nennst Du diese Weltbilder quasi irrational, wenig wissenschaftlich begründet, wenig selbstkritisch und nicht widerspruchsfrei. Diese beiden Bemerkungen zusammengenommen rauben den Begriffen wahr und unwahr jedoch jeglichen Gebrauchswert in wie immer gearteten formalen Systemen. Das kann ich auch wieder nur als Zustimmung zu dem von mir bereits Gesagten interpretieren  :-).


Zitat:

Mir ging es bei diesen Ausführungen darum, aufzuzeigen, dass "wahr" und "falsch" nicht nur eine soziale Funktion haben (A warnt B), sondern dass auch das Individuum für sich allein die Kategorien "wahr" und "falsch" benötigt, weil es von irgendwelchen Annahmen bei seinem Handeln ja ausgehen muss (seinem Weltbild) und weil es für ein Individuum den Zustand des "Zweifels", der Unentschiedenheit über "wahr" oder "falsch", gibt.



Ich weiß nicht so recht. Ein völlig isoliertes Individuum benötigt keine Sprache. Wittgenstein hat das schön am Begriff Schmerz gezeigt. "Ich habe Schmerzen." Es macht keinen Sinn, das zu mir zu sagen. Ich glaube, das ist auf die Begriffe wahr und unwahr übertragbar. Sprache ist ja nur ein Endprodukt von Gehirnprozessen, die vor dem Aussprechen unbewußt ablaufen. Frage: Wo ist da Dein "wahr", bevor Du es aussprichst?


Zitat:

Ich stehe auch weiterhin zu meiner Aussage: "Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann." Ein Weltbild, aus dem sich die Fragen, die man hat, nicht eindeutig beantworten lassen (weil das Weltbild widersprüchlich ist, weil es "weiße Flecken" aufweist etc.) hat für den Betreffenden geringen Nutzen.



So wie ich das lese und verstehe, ist das sooo eindeutig und leicht einsehbar falsch, dass ich fürchte, wir reden irgendwie aneinander vorbei.


Zitat:

Auf die Frage: "Willst Du über Deine Irrtümer aufgeklärt werden oder willst Du sie lieber beibehalten?" steht für die allermeisten Individuen die Antwort "Ich will wissen, wo ich irre" wohl fest.



Dann kann ich dir nur empfehlen, mal mit ein paar eingefleischten Christen über den Wahrheitsgehalt der Bibel zu diskutieren. Ich war mal in ner Gegend in Südamerika, wo mich meine Freundin gewarnt hat, zu verneinen, dass die Erde eine Scheibe sei. Das wäre gefährlich. Von Evolution und unserer Abstammung von Affen ganz zu schweigen! Ein Blick in eine beliebige Illustrierte (Stichwort Astrologie) führt Deine Behauptung wohl ebenfalls ad absurdum.

Der Begriff Nutzen ist deshalb unscharf, weil weder im Natur-Überlebens- und schon gar nicht im sozialen Kontext voraussehbar ist, was auf lange Sicht nutzt und was nicht. Dem Opfer in Orwells 1984 nutzt es beispielsweise sehr, WIRKLICH zu glauben, 2 plus 2 sei 5. Das konnte er vorher kaum ahnen.


Zitat:

Deine Aussage, dass in eine Entscheidung über die Frage, wie man eine bestimmte Aussage über die Welt auf Wahrheit testen kann, "je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirie, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) einfließen", ist mir nicht einsichtig.



Es ist aber so. Das sieht doch ein Blinder.


Zitat:

Logische Widerspruchsfreiheit und Empirie (Wahrnehmung, Beobachtung) sind bei der richtigen Beantwortung von Fragen über die Beschaffenheit der Welt immer notwendig, während die andern Punkte eher Störfaktoren sind, mit denen man rechnen muss.



Du beziehst Dich hier auf den Begriff der wissenschaftlichen Wahrheit, dem ich wie Du ebenfalls sehr anhänge. Man hat sich aus für mich einsichtigen Gründen auf (für mich einsichtige) Kriterien geeinigt. Aber diese Kriterien für den Begriff "wahr" (die ja wiederum auf den Erfahrungsberichten vieler Forschungsgenerationen herausdestilliert wurden) werden nur in winzigen elitären Zirkeln angewandt, und auch da meist nur berufsmäßig. Der Anwendungsbereich dieses Begriffes ist jedoch unendlich viel größer. Und sehr oft kannst Du da Deine logische Widerspruchsfreiheit in der Pfeife rauchen.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 08. Jan. 2005, 06:33 Uhr

Hi Hermeneuticus:

Zu Handlungen kann man andere auffordern.
Das können Tiere auch. Betteln zum Beispiel. Übrigens kann man auch die von mir genannte Jasmonatproduktion als Handlungsaufforderung interpretieren.

Handlungen können misslingen.
Hab grad neulich eine Szene von einem Pillendreher (ein Käfer) gesehen, dessen Mistkugel an einer Dorne hängenblieb. Der Käfer mühte sich und mühte sich und mühte sich... es wollte ihm nicht gelingen, die Kugel weiterzurollen. Dann bekam er sogar einen Wutanfall (ein Scherz  :-))

Handlungen können unterlassen werden.
Es dürfte Dir ziiiiiiieieieieiiiimlich schwerfallen, das zu belegen. (Ganz abgesehen von Erläuterung, was das sein soll: eine Handlung unterlassen. Ich unterlasse im Moment gerade Milliarden von Handlungen, und das ist nur eine vorsichtige Schätzung  :-))

Natürlich kannst Du den Begriff "Zweck" so definieren, dass man tierischen Handlungen einen solchen nicht mehr zuerkennen darf. Aber was hast Du denn davon? Natürlich haben Tiere keine Sprache, mithin auch kein Wort wie Zweck. Dennoch kann man doch nicht behaupten, dass ihre Handlungen zwecklos sind. Das verstehe ich gar nicht.

Zitat:

Du wirst doch nicht bestreiten, dass menschliche Technik kein zufälliges Naturprodukt ist...



Was bedeutet denn das Wort zufällig in diesem Zusammenhang?? Von Zufall sprechen wir immer dann, wenn ein Ereignis nicht in eine Kausalkette eingeordnet werden und mithin nicht mit einer größeren Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann als denkbare Alternativereignisse. Im Rahmen einer evolutionsgeschichtlichen Betrachtung könnten wir als "göttliche" Beobachter zum Zeitpunkt, sagen wir: der Entstehung der ersten Vielzeller, die menschliche Technik ebensowenig vorhersehen wie jede andere etablierte tierische Muskelbewegung.

Wer voller Stolz auf seine geistige Flexibilität als etwas ganz Besonderes pocht, den muss man daran erinnern, dass diese Flexibilität sich nur in einem engen Rahmen abspielen kann, dessen Grenzen vor vielen Zehntausenden von Jahren abgesteckt wurden. (Mag sein, dass diese Grenzen durch Entwicklungen in der KI oder neuartige Psychopharmaka eines Tages dauerhaft erweitert werden können.)
Freundliche Grüße
Thomas

PS: Die Unterscheidung zwischen "Handlungen" und "determinierten Naturvorgängen" ist ohne eine gehörige Portion Willkür ebenfalls kaum durchzuhalten.

Zitat:

Sprache sei "im Prinzip" nicht anderes als lebensnotwendige Muskelkontraktion, sagst Du. Aber meinst Du nicht, dass wir den akustischen Absonderungen Deines Mundes anders begegnen sollten als den Absonderungen Deiner Peristaltik? Oder darf ich aus Deinem "Prinzip" die Berechtigung ableiten, diesen Unterschied zwischen DEINEN Sprach- oder Darmprodukten zu vernachlässigen? Macht somit Dein "Prinzip" den Spruch "Du redest Scheiße!" wahr???



Das klingt nett, aber ebenso könntest Du auf meine Behauptung "Unsere Brustmuskeln sind im Prinzip nichts großartig anderes als die der Vögel" entgegnen: "Kannst Du fliegen???"

Eine plausible Geschichte des Begriffes plausibel? Da müßte ich dessen sprachliche (etymologische?) Herkunft kennen. (Übrigens hab ich grad erfahren: "ungefähr" kommt von "ohngefähr" und das wohl dann von "ohne Gewähr" ) Worte sind dazu da, eine Wirkung auf andere Menschen zu erzielen, und wenn ich sage: "das klingt plausibel", dann weißt Du damit, dass ich beim ersten Nachdenken nicht auf Ungereimtheiten oder Widersprüche gestoßen bin. Mehr ist da nicht. Es macht keinen Sinn, einen Thread zu eröffnen: Was ist Plausibilität?
Nochmal Grüße
Thomas

- V
- Hermeneuticus am 08. Jan. 2005, 11:31 Uhr

Hallo Thomas/g!

Du "vergisst" bei Deiner Argumentation systematisch, dass Theorien - zu denen auch die ET gehört - von Menschen konzipiert werden. Wissenschaft zu treiben und Theorien zu entwerfen, sie zu diskutieren und zu verwerfen... - das hat nun einmal ein paar menschenspezifische Voraussetzungen wie das Handeln- und Sprechenkönnen. Du magst diese besonderen menschlichen Fähigkeiten für vernachlässigenswert halten, aber wenn Du sie vernachlässigst, entziehst Du damit auch der Aussagekraft der ET den Boden.
Wenn eine von Menschen konzipierte Theorie, in der auch die Menschen selbst vorkommen, ihren Erklärungsobjekten die Fähigkeiten abspricht, die auch für das Entwerfen genau dieser Theorie erforderlich sind, ist sie nicht konsistent.

Ich will die Evolutionstheorie nicht grundsätzlich anzweifeln. Auch mir erscheint sie weitgehend plausibel - nämlich innerhalb ihres Geltungsbereichs.

Gruß
H.

- V
- dirkson am 08. Jan. 2005, 18:44 Uhr

hmm..seit wann steigert man farben?(zitat.." röte der rose" )
aber soll ja nun auch erst mal irrrelevant sein!
wahrheit..wisst ihr ist etwas sehr seltsames...aber da es ja hier ständig cronologische fortsetzungen gibt...ist es ja scheinbar nicht die wahrheit..denn wahrheit gibt es nur eine!!
das muss man sie nicht in alle arrgumentationen des so oder so sein könnte hineinlegen,weil dies weicht erheblich von ziel der eigentlichen wahrheit ab und irretiert..
man kann es auch sehr kurz fassen...licht ist wahrheit und wahrheit ist licht...(ansonsten hätte sich hanelore kohl7 wohl nicht umgebracht...sie wusste vom vergehen ihres mannes..und nur weil diese person(einheitskanzler??) zu dieser zeit am "regieren" war ,hat er mit dem mauerfall nichts zu tun..denn es war das einfache volk der arbeiter und bauern,die dies bewirkte.ist es eigentlich normal geworden in deutschland,das sich hohe politiker freikaufen dürfen ohne vorbestraft zu sein?lasst euch lieber sowas durch den kopf gehen als wie hier lange herumzulamentieren was wahrheit sein könnte..weil ihr habt die macht dazu meine lieben mitphilosophen,euer wort in gottes ohr. [sun]

- V
- Eberhard am 08. Jan. 2005, 21:35 Uhr

Hallo Thomas G,

ich will nur den mir wichtigsten Punkt in unserer Diskussion herausgreifen: Mir kommt es darauf an, dass die Auszeichnung einer Aussage als "unwahr" bzw. "falsch" mehr ist als der Warnschrei "Verlass Dich nicht auf diese Aussage!"

Die Auszeichnung einer Aussage als "unwahr" impliziert zusätzlich den Anspruch, dass der Warnschrei zu Recht ausgestoßen wurde. Und wenn dieser Anspruch mehr sein soll als der autoritäre Anspruch "Glaube mir!", dann muss derjenige, der diesen Warnschrei ausstößt, auch bereit sein, zu begründen, warum die betreffende Aussage falsch ist.

Um es in der von mir vorgeschlagenen Terminologie auszudrücken: Wenn jemand behauptet: "Die Aussage 'Goethe ist 1832 gestorben' ist falsch", so beansprucht er nicht nur Geltung (" Lege diese Aussage nicht deinen Entscheidungen zugrunde" ), sondern er beansprucht auch Gültigkeit (" Diese Aussage ist widerlegt" ).

Wenn jemand mir gegenüber etwas als wahr behauptet, ohne sich um eine mir einsichtige Begründung zu bemühen, so handelt es sich um einen dogmatischen Anspruch, der buchstäblich indiskutabel ist. Wenn es keine Argumente gibt, die mir einsichtig sind, und wenn mein Urteil nicht zählt bei der Frage nach der Wahrheit, dann ist der Argumentation mit dem Dogmatiker der Boden entzogen.

Wenn jemand das Gebot der logischen Widerspruchsfreiheit nicht anerkennt, dann tut er damit in vergleichbarer Weise kund, dass es ihm nicht um wahre und mit einsichtigen Argumenten begründete Antworten auf die gestellte Frage geht. Denn widersprüchliche Antworten sind gar keine Antworten. Mit einer "Ja-und-Nein-Antwort" ist man so schlau wie zuvor. Damit stellt der Betreffende vielleicht ein politisches oder pädagogisches Problem dar, aber er bildet kein Problem für die richtige Beantwortung der gestellten Frage. Denn bei der Diskussion über die allgemeine Gültigkeit von Behauptungen hat er sich selber ausgeklinkt.

Wem es nicht um die intersubjektiv nachvollziehbare, einsichtige Begründung von Behauptungen geht, dessen Anspruch, in irgendeiner Weise recht zu haben, ist nicht mehr als eine dogmatische Glaubensforderung. Für die Gewinnung allgemeingültiger Erkenntnis ist seine Position irrelevant.

Insofern sind die Kriterien der Allgemeingültigkeit von Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt wie logische Widerspruchsfreiheit und Bestätigung durch übereinstimmende Wahrnehmung nicht irgendwelche Kriterien unter vielen anderen, sondern diese Kriterien sind – wie sich zeigen lässt - notwendige Bedingungen dafür, dass man sinnvoll miteinander über derartige Behauptungen argumentieren kann.

Die Richtigkeit des letzten Satzes hängt dabei in gar keiner Weise davon ab, wie viele Menschen in dieser "wissenschaftlichen" Weise denken und argumentieren.

Mit dieser bewusst zugespitzten Formulierung grüßt Dich und die andern Mitstreiter Eberhard.

p.s.: Auch ein isolierter Robinson Crusoe benötigt die Sprache bzw. das Denken in Sätzen und Begriffen, wenn er sich z. B. an gestern erinnert und sich diese Erinnerungen merken will oder wenn er Risiken abwägt und überlegt, wie er sich entscheiden soll.

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 00:59 Uhr

Hallo Eberhard!

Du schreibst an Verena:


Zitat:

Meine Gegenfrage an Dich – so wie zuvor schon an Hermeneuticus - ist also: Ergeben sich durch die Einbeziehung dieser Bereiche für das Vorgehen in unserm Bereich irgendwelche Konsequenzen und wenn ja welche? Werden andere Fragen gestellt? Werden andere Antworten gegeben? Welche sind dies?

Nur wenn dies der Fall ist, ist die Nicht-Behandlung dieser Bereiche ein Mangel. Wenn sich aber durch die Behandlung dieser Fragen keine Konsequenzen für die Beantwortung unserer Frage ergeben, so ist deren Einbeziehung nur unnötiger intellektueller Ballast.


Die Problematisierung des Begriffs der Wirklichkeit, die so etwas wie den "Generalbass" unserer langen Diskussion bildete, war nichts anderes als die Frage nach der "Konstitution" jener Gegenstände, auf die wahre/unwahre Aussagen sich beziehen.

Kants "transzendentale" Reflexion entdeckte die konstitutiven Bedingungen dafür, dass Aussagen sich überhaupt auf Gegenstände beziehen können, in den (spontanen) "Handlungen" des urteilenden Subjekts (das Denken, Urteilen definiert er ausdrücklich als "Handlungen des Verstandes" ). Zwar sieht er letztlich alle Erkenntnis in (rezeptiven) Anschauungen verwurzelt, aber das gleichbeibende Wie unseres Anschauens - also seine allgemeine "Form" oder "Struktur" - lässt sich ebensowenig auf das Angeschaute zurückführen wie der Gebrauch unserer Begrifflichkeit.

Ob und wie man Kants erkenntnistragende Instanz - "das" urteilende Subjekt - ersetzen kann durch das kommunikative Kollektiv der Sprecher einer Sprache, wäre Stoff für eine umfangreiche Diskussion. Aber der "linguistic turn" der Erkenntnistheorie ist immerhin ein starkes Indiz dafür, dass die neuere Philosophie Kants tranzendentale Wendung zu den subjektiven Bedingungen von Erkenntnis mitgemacht hat. Und der "pragmatic turn" der Sprachanalyse wiederum hat darauf aufmerksam gemacht, dass jene subjektiven Bedingungen des Erkennens primär im Handeln liegen (zumindest im sprachlichen Handeln, obwohl das noch nicht ausreicht).

Wenn man von "Aussagen über die Wirklichkeit" spricht, bedarf es einer Unterscheidung zwischen der in diesen Aussagen thematischen Wirklichkeit - also ihren jeweiligen "Gegenständen" - und der Wirklichkeit, die im "Machen" genau dieser Aussagen besteht. (Ich nannte das die "gegenständliche" Wirklichkeit und die "Wirklichkeit des Vollzugs".) Und aus einer "transzendentalen" (konstitutionstheoretischen) Sicht ist klar, dass die Wirklichkeit des "Machens" von Aussagen - sowie deren Strukturen selbst - einen Vorrang hat vor der jeweils in den Aussagen thematisierten oder intendierten Wirklichkeit. Denn diese (Handlungs-)Wirklichkeit ist offenkundig die Bedingung dafür, dass es überhaupt Aussagen gibt, die sich auf (bestimmte Teilstücke der) Wirklichkeit beziehen können.

Wenn man den (konstitutiven) Vorrang all der Praxen, aus denen "Aussagen über die Wirklichkeit" überhaupt erst hervorgehen, nicht sieht; wenn man also diese "subjektive" Vollzugs- oder Handlungs-Wirklichkeit auf eine ontologische Stufe stellt mit den jeweiligen Gegenständen der Aussagen - dann "naturalisiert" man das Erkennen. Aber dann wird es in der Folge unmöglich, das spezifisch menschliche In-der-Welt-Sein mit seinen praktischen Normen - ja überhaupt so etwas wie Rationalität - noch in der Wirklichkeit unterzubringen. Denn Rationalität, Normen, Zwecke... - das alles sind nun einmal keine Objekte naturwissenschaftlicher Erklärung. Da es sie aber unbestreitbar gibt und sie für unsere tagtägliche Lebensbewältigung (einschließlich der Erkenntnis!!) schlechthin KONSTITUTIV sind, kann eine philosophische Theorie der Wahrheit sie nicht außen vor lassen.

Das ist eine kurz gefasste Wiederholung meiner Argumentation während des Diskussionsverlaufs. Und es ist auch die Antwort auf Deine Frage, ob das Thema "Konstitution" oder "Handeln" Folgen für diese Diskussion habe.
Sie hatte, sie hat, sie wird haben.

Gruß
H.

- V
- gershwin am 10. Jan. 2005, 06:38 Uhr

Hi Hermeneuticus

Zitat:

Ich will die Evolutionstheorie nicht grundsätzlich anzweifeln. Auch mir erscheint sie weitgehend plausibel - nämlich innerhalb ihres Geltungsbereichs.



Dein Name läßt mich schwach erahnen, was Du mit Geltungsbereich meinst. Könntest Du das bitte mal etwas näher ausführen?
Ich kann eigentlich keinen (gegenüber allen anderen Alltagsaussagen) eingeschränkten Geltungsbereich ausmachen. Jede solche Einschränkung würde somit alle anderen sprachlichen Äußerungen mit in Zweifel ziehen. Denn wie ich schon sagte, scheint mir der Name Theorie viel zu hochgestochen für die ET. Ihre Schlussfolgerungen (die sich meiner Ansicht nach, das ist ja der Streitpunkt hier, auch auf die Herkunft und Funktion der Sprache beziehen lassen) sind doch sogar eher auf weniger weit hergeholten Voraussetzungen geknüpft als die allermeisten sprachlichen Verknüpfungen im Alltag oder Philosophielehrsaal. Mit ein wenig rhetorischem Geschick allerdings kann man letztlich jede Aussage auf einen angeblich nicht erlaubten Selbstbezug zurückführen. Doch wer spricht dieses Verbot weshalb aus?
Sprachfähigkeit konnte sich entwickeln, weil eine Erweiterung der Kommunikationsfähigkeit (im Vergleich etwa zur chemischen Kommunikation) das Überleben der Art erleichtert. (um missverständnissen vorzubeugen: niemand behauptet, dass sie diese Funktion auch heute noch ausübt, in einer Phase der Konkurrenzlosigkeit und des Überflusses). Alle weitergehenden Behauptungen erfordern meiner Ansicht nach völlig willkürliche (bzw. kontigente weil sozialisationsabhängige) Zusatzannahmen. Und eigentlich müßte doch gerade Dich Dein Nickname hier dazu verpflichten, eben diese zu hinterfragen oder zumindest herauszuarbeiten (und damit, wenn ich Recht habe, die auffallende Zusatzannahmenarmut der ET herauszudestillieren).

Zitat:

Wenn eine von Menschen konzipierte Theorie, in der auch die Menschen selbst vorkommen, ihren Erklärungsobjekten die Fähigkeiten abspricht, die auch für das Entwerfen genau dieser Theorie erforderlich sind, ist sie nicht konsistent



Das ist doch überhaupt nicht der Fall! Die ET (gäbe es die Quantentheorie nicht, könnte das sogar problemlos der einfachste krudeste deterministische Materialismus, der von sich im Raum bewegenden Atomen und einer Handvoll, im Optimalfall einem einzigen, physikalischen Gesetzen ausgeht) kann doch problemlos und völlig plausibel die Entwicklung der geisten Fähigkeiten erklären, die für das Entwerfen eben dieser ET erforderlich sind. Menschen haben aus dem Wolf Zwergmöpse und  Riesenbernhadiner, Pitbulls und Blindenhunde gezüchtet, und wenn wir noch ein wenig mehr Detailwissen und genügend Zeit hätten, könnten wir problemlos aus Schimpansen Evolutionsbiologen und sogar Philosophen züchten oder, das bräuchte dann noch etwas länger, aus Einzellern ein ordentliches Wirbeltier. Damit wäre die Kette geschlossen und es bleibt keine weitere prinzipielle Frage mehr. Nur die erschreckende und offenbar schwer verdauliche Erkenntnis, dass viele althergebrachte Fragen sich lediglich der Flexibilität der Grammatik (sowie einer komplexen Mischung aus Irrtümern und Partikularinteressen) verdanken.

Zu Verena:

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass ich auch Verenas Einwurf als Folge einer Verwirrung erachte, die sich einer althergebrachten ontologischen Herangehensweise an Sprache (statt sie vornehmlich aus der Perspektive der Handlungsaufforderung zu analysieren) verdankt.
Wahrheit ist erstmal nur ein Wort auf dessen Anwendungsbereich man sich sinnvollerweise vor der Verwendung einigen sollte. Klar kann man diesen auch ausdehen bis hin auf die vorbegriffliche Konstitution von Entitäten. Das wird ja auch getan, sobald Partikularinteressen differieren. (Ist das eine Schande oder nicht? War das Mord oder Notwehr? Darf man dieses Tofu-Zeugs wirklich als Wurst bezeichnen? Ist Free-Jazz wirklich Musik oder nur Krach?) Aber wem sollte etwas daran gelegen sein, die Frage nach der Wahrheit einer Konstitution eines Tisches strittig zu erörtern? Hier sind wir wohl alle daran interessiert, die Einigkeit zu bewahren. (Wer sich auf die Aufforderung hin: "Komm setz Dich an den Tisch" statt dessen in eine Ecke oder ins Spülbecken hockt, wird diese Einigkeit dennoch kaum gefährden können).

Sicher können wir uns alle fragen: Irren wir uns gemeinsam, alle jene kohärenten Sinneseindrücke mit dem Begriff Tisch zu bezeichnen? Sind das "in Wirklichkeit" alles keine Tische? Bei aller Ehrfurcht vor Kant, ich fürchte, diese Frage ist "wirklich"  :-) so doof wie sie klingt. Allerdings hat Kant, soweit mir bekannt (bin ja nur ein dilettierender Hobbyphilosoph) zwar ein (bereits der Singular erscheint hier reichlich willkürlich) prinzipiell unerkennbares "Ding an sich" postuliert, aber sich nie ernsthaft mit konkreten Fragen vom Typ: "Ist das wirklich ein Tisch an sich?" herumgeschlagen.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 10. Jan. 2005, 08:04 Uhr

Hi Eberhard

Zitat:

Wenn jemand mir gegenüber etwas als wahr behauptet, ohne sich um eine mir einsichtige Begründung zu bemühen, so handelt es sich um einen dogmatischen Anspruch, der buchstäblich indiskutabel ist.



Ich komme schon selbst unsympathisch spitzfindig vor, aber wird nicht ein beachtlicher Teil der Erziehung in den ersten Lebensjahren von solch dogmatischen Ansprüchen getragen? Und fahren wir nicht gut damit?
Und abgesehen davon: den Löwenanteil dessen, was Du als Dein Wissen erachtest, kannst Du unmöglich (mangels Mitteln, mangels Zeit und mangels Lust) selbst überprüfen, sondern Du verläßt Dich auf die Erfahrungen anderer, deren Verläßlichkeit Du einschätzen musst und nicht formal ableiten kannst.

Eine ganz normale Situation: Du bist sehschwach, und ein Artgenosse X warnt Dich: "Renn weg! Ein Löwe kommt angestürmt!" Dann tust Du gut daran, zu rennen, ohne vorher eine einsichtige Begründung für den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu fordern. Ruft aber gleichzeitig ein anderer Artgenosse: "Stop! Da ist kein Löwe. X will Dich nur weglocken, damit er die Beeren essen kann, die Du grade gesammelt hast." Welcher Warnung Du nun Folge leistest, ist eine Sache auf Leben und Tod. Du hast keine formalen Kriterien, sondern musst Dich auf Deine spontane Intuition verlassen. U. a. per Klatsch und Tratsch (DAS ist vielleicht eine der wichtigsten ursprünglichen Funktionen von Sprache!) hast Du Dir hoffentlich in den vergangenen Wochen ein verläßliches Urteil über die Vertrauenswürdigeit der beiden gebildet, das Dir bei Deiner Entscheidung hilft. Im Alltag sind die meisten Situationen weniger dramatisch, aber es sollte verständlich sein, worauf ich hinaus will:

Ich habe das Problem, dass Deine Statements sich immer nur auf einen kleinen speziellen Ausschnitt menschlichen Sprechens beziehen. Aber wir plappern nicht nur im Labor oder Seminarraum, sondern den ganzen Tag, und nur selten genügen unsere Aussagen den hehren Ansprüchen, auf die sich die Wissenschaftler nach jahrhundertelanger Erfahrung geeinigt haben. Sprache hat sich nun mal nicht entwickelt, um Wissenschaft zu betreiben. Und die soziale Umwelt ist nicht ohne weiteres (wohl gar nicht) so formalisierbar, dass Deine Kriterien stringent angewandt werden könnten.

Zum Robinso Crusoe: das ist meines Erachtens ein schwaches Argument. Der ist nun mal ein Mensch mit einer sozialen stammesgeschichtlichen Vergangenheit. Solitäre Pilze bilden keine Sprache heraus, wozu auch.

Zitat:

benötigt die Sprache bzw. das Denken in Sätzen und Begriffen, wenn er sich z. B. an gestern erinnert und sich diese Erinnerungen merken will



Da streifst Du eine alte Streitfrage, ob Sprache eine Voraussetzung des Denkens ist. Meines Wissens neigt sich die Waage in Richtung: nein. Es gibt zum Beispiel einen Hund namens Rico, der zur Zeit wissenschaftlich untersucht wird. Er kann auf Befehl eine von mehreren Spielpuppen aus einem Zimmer holen. Sogar welche, die er noch nie gesehen hat. Befiehlt man ihm: Hol Rübezahl (den er nicht kennt), dann holt er die einzige Puppe aus dem Zimmer, die er nicht kennt. Die beiden Verhaltensforscherinnen meinen, sie hätten den Eindruck, der Hund hätte verstanden, dass Begriffe für Objekte stehen.
Im übrigen, ich hatte das schon mal hier angeschnitten: Ein gesprochener Satz ist das Ergebnis unbewußt ablaufender Hirnprozesse. Und wenn man jetzt frägt, wie man Denn wissen kann, was man denkt, bevor man es (und sei es im Geiste) ausspricht, dann erscheint Deine obige Behauptung noch problematischer.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 10. Jan. 2005, 12:16 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

vorweg will ich meine Zufriedenheit darüber ausdrücken, wie kontrovers und doch sachbezogen der Disput im allgemeinen geführt wird. Ich denke, das sind gute Voraussetzungen, um Erkenntnisfortschritte zu machen.

Dank an Dich für die übersichtliche Skizze Deines Ansatzes. Du schreibst: "... Wenn man … diese "subjektive" Vollzugs- oder Handlungs-Wirklichkeit auf eine ontologische Stufe stellt mit den jeweiligen Gegenständen der Aussagen - dann "naturalisiert" man das Erkennen. Aber dann wird es in der Folge unmöglich, das spezifisch menschliche In-der-Welt-Sein mit seinen praktischen Normen - ja überhaupt so etwas wie Rationalität - noch in der Wirklichkeit unterzubringen. Denn Rationalität, Normen, Zwecke... - das alles sind nun einmal keine Objekte naturwissenschaftlicher Erklärung."

Diese Gefahr sehe ich nicht. Man kann praktische Fragen nach handlungsanleitenden Regeln oder Normen auch dann stellen, wenn man Aussagen über die gegenständliche Welt und den Vollzug dieser Aussagen durch das erkennende Subjekt nicht auf verschiedene ontologische Stufen stellt.

Das "spezifisch menschliche In-der-Welt-sein" ist meines Erachtens das moralische, politische oder methodologische Fragen, aus dem sich dann die spezifisch menschlichen Kategorien wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Verbindlichkeit, Verantwortung, Schuld, oder Vergebung ergeben.

Zwar können wir diese Fragen nicht "in der Wirklichkeit unterbringen" als dem nur "Da-Seienden", das wir als das Gegebene wahrnehmen und erforschen können, nach dessen Existenz und Beschaffenheit wir fragen können. Wir können diese Fragen auch nicht im Bereich der technischen Machbarkeit "unterbringen", da deren Zwecke beliebig sind.

Aber wir haben ja nicht nur ein betrachtendes, "kontemplatives" oder technisches Verhältnis zur Welt, wir haben auch ein wollendes, "voluntatives" Verhältnis zur Welt. Auch wenn alle Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit und nach ihrer technischen Gestaltbarkeit gestellt wurden, bleiben die Fragen: "Was will ich?" und "Was wollen wir gemeinsam?"

Das heißt: Neben den Fragestellungen der Naturwissenschaften (genauer: der Erfahrungswissenschaften) "Was ist?" "Was war?" "Was wird sein?" "Wie ist es?" "Warum ist es?" "Warum ist es so, wie es ist?" ) bleiben berechtigte und wichtige Fragen normativer Art: "Wie soll ich mich entscheiden und handeln?" (Individualethik), "Wie sollen wir uns entscheiden und handeln?" (Politik), "Wie soll man argumentieren?" (Methodologie des Erkennens).

Diese Fragen lassen sich nur teilweise durch erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse beantworten.

Meiner Meinung nach ist es eine vorrangige Aufgabe der Philosophie, die Kriterien für eine rationale, intersubjektiv nachvollziehbare Beantwortung dieser Fragen herauszuarbeiten.

So verstehe ich unsere Diskussion als einen Beitrag zur Bestimmung methodischer Regeln der erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnis: "Wie lassen sich Fragen zur Beschaffenheit der Wirklichkeit möglichst allgemeingültig, d. h. durch wahre Aussagen, beantworten? Was sind hierfür geeignete Argumente und was sind hierfür ungeeignete Argumente?"

Selbstverständlich gibt es für die individualethischen, die politischen oder methodologischen Frage bereits geltende Regeln bzw. Normen, gewissermaßen die fortwirkenden Antworten früherer Generationen auf diese normativen Fragen. Diese faktisch geltenden Regeln und Normen sind psychische und soziale Realitäten und lassen sich als solche erfahrungswissenschaftlich bzw. hermeneutisch erforschen, so wie das in der Psychologie, Soziologie, Ethnologie oder in den Geschichts- und Sprachwissenschaften ja auch getan wird.

Aber die Antworten früherer Generationen müssen nicht die richtigen Antworten auf die Fragen sein, vor denen wir hier und heute stehen.

Mit dieser Begrenzung des Geltungsbereichs erfahrungswissenschaftlicher Erkenntnismethoden mache ich erstmal Schluss, um das Medium "Internetdiskussion" nicht mit einem seitenlangen Beitrag zu den verschiedensten Punkten zu überfordern.

Es grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 18:09 Uhr

Hallo Thomas/g!


Zitat:

Es gibt zum Beispiel einen Hund namens Rico, der zur Zeit wissenschaftlich untersucht wird. Er kann auf Befehl eine von mehreren Spielpuppen aus einem Zimmer holen. Sogar welche, die er noch nie gesehen hat. Befiehlt man ihm: Hol Rübezahl (den er nicht kennt), dann holt er die einzige Puppe aus dem Zimmer, die er nicht kennt. Die beiden Verhaltensforscherinnen meinen, sie hätten den Eindruck, der Hund hätte verstanden, dass Begriffe für Objekte stehen.


:-) Rico hab ich auch schon im TV gesehen. Gestern erst, ich zappte gerade herum, zeigte er auf 3SAT seine Künste... Tja, und bei dieser Gelegenheit sagte der Kommentator im Off: "Rico kann bis jetzt über 200 Begriffe unterscheiden..."

Das erinnerte mich sofort an eine Phase unserer Diskussion - es war in "Wahrheit II", als es um den Unterschied zwischen "Eigennamen" und "Prädikaten" ging. Gegen Thomas/j, der z. B. den Begriff "H2O" als (" korrekten" )Eigennamen verstand, der dem Wasser in einer Art "Taufakt" verliehen werde, machte ich auf den genannten Unterschied aufmerksam.

Denn Eigennamen werden Individuen durch den performativen Sprechakt der "Taufe" verliehen. Durch diesen Akt wird eine verbindliche Vorschrift festgelegt, an die alle Sprecher sich zu halten haben. Eigennamen sind durch diesen Akt mit ihrem Träger verbunden. Sie sind nicht übertragbar, weil sie die Individualität eines Gegenstands "bezeichnen".
Zeige ich auf eine Person und sage "Das ist Thomas", dann ist nicht Thomas' Person-Sein oder sein Mensch-Sein oder Säugetier-Sein...  gemeint, sondern alles, was ihn von allen anderen Dingen und Personen auf der Welt unterscheidet.

Prädikate sind dagegen grundsätzlich übertragbar, weil sie jeweils etwas Allgemeines am Gegenstand bezeichnen. Wenn etwa ein Kind in der Badewanne das Wort "Wasser" lernt (" Das ist Wasser" ), dann wird es am nächsten Tag, wenn es vor einer Regenpfütze steht, selbst sagen können: "Das ist (auch) Wasser." Wäre das Wort "Wasser" der Eigenname für das Badewasser gewesen, wäre diese so getaufte, einmalige Flüssigkeit für immer im Nichts verschwunden, als der Stöpsel gezogen wurde...
Zeige ich also auf eine Flüssigkeit und sage "Das ist Wasser", dann zeige ich eigentlich von der individuellen Gegebenheit dieser Flüssigkeit hier und jetzt weg! Ich zeige also im Grunde auch auf unzählige andere "Fälle" von Wasser, selbst solche, die mir noch unbekannt sind. Wenn man einen BEGRIFF lernt, dann erwirbt man damit zugleich die Fähigkeit, ihn selbständig auf neue Fälle anzuwenden.

Mit einem Begriff erwirbt man also eine "kognitive Kompetenz" - die Fähigkeit nämlich, alle weiteren Anwendungsälle EIGENSTÄNDIG zu "taufen". Mit dem Gebrauch eines Eigennamens dagegen befolgt man nur eine Anweisung. Zwar braucht es auch dafür eine Kompetenz, nämlich die, Anweisungen befolgen zu können (das kann nicht jedes Tier) und "getaufte" Individuen von anderen Individuen zu unterscheiden. Es ist aber doch klar, dass die Verwendung von Begriffen schwieriger ist - sie setzt nämlich neben der Fähigkeit zur Unterscheidung auch das sog. "Abstraktionsvermögen" voraus...

Nach diesen Erläuterungen ist wohl klar, dass der schlaue Rico nicht über 200 "Begriffe" verwenden kann, sondern auf Befehl 200 individuelle Gegenstände anhand ihrer EIGENNAMEN unterscheiden und apportieren kann...



Dieses Beispiel ist typisch für viele populär-naturwissenschaftliche Schlampereien, die man im TV zu hören bekommt. Das Bemerkenswerte an diesen Schlampereien ist aber die gemeinsame Tendenz zur "Naturalisierung" menschlicher Fähigkeiten. "Wir sind im Grunde auch nur Tiere..."
Und hier im Forum muss unsereiner sich dann mit den "philosophischen" Folgen dieser Schlampereien herumschlagen...  [hairstand]


Gruß
H.

- V
- Eberhard am 10. Jan. 2005, 19:41 Uhr

Hallo Thomas G,

Du schreibst: "Ich habe das Problem, dass Deine Statements sich immer nur auf einen kleinen speziellen Ausschnitt menschlichen Sprechens beziehen."

Dies ist richtig. Es geht mir in der Tat um die ganz spezielle Situation, wo es Zweifel oder Uneinigkeit in Bezug auf die Beantwortung einer Frage nach der Beschaffenheit unserer Welt gibt.

Wenn ich mich mit der Bedeutung der Formulierung "wahre Aussage über die Wirklichkeit" befasse, dann nicht als Sprachforscher sondern als Wissenschaftstheoretiker. "Wie muss ich methodisch vorgehen, um eine Frage Bezug auf die Beschaffenheit der Welt richtig zu beantworten?", dies Problem steht für mich im Hintergrund, wenn ich nach der Bedeutung des Wortes "wahr" frage.

Und zu Hermeneutikus und Verena gewandt füge ich hinzu: Indem ich bei dieser Frage ansetze, setze ich zugegebenermaßen bereits vieles voraus: u. a. dass es Menschen gibt, die sich durch gemeinsame Bezeichnungen für die Aspekte und Dinge der gemeinsamen Wirklichkeit sprachlich verständigen können. Sollten sich diese Voraussetzungen als zweifelhaft erweisen, dann bin ich gerne bereit, auch diese Voraussetzungen zu diskutieren – sofern Argumentieren dann überhaupt noch Sinn macht.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- Verena am 10. Jan. 2005, 22:36 Uhr

Hallo Eberhard,
würdest du mir nicht darin zustimmen, dass eine Erörterung der Möglichkeit von sprachlicher Bezugnahme auf die Dinge der Frage nach der Richtigkeit/Wahrheit dieser sprachlichen Bezugnahme vorgelagert ist bzw. dass man klären sollte, wie diese Bezugnahme von Sprachlichem auf Nichtsprachliches denn eigentlich anzusetzen ist, bevor man das Problem der Stimmigkeit/Wahrheit dieser Bezugnahme angeht?
Natürlich kann man aussagenlogische Bedingungen über das stimmige Verhältnis von Aussagen untereinander auch ohne den Bezug auf den Gegenstand der Aussage erörtern, aber sobald es um die Frage (nicht nach der logischen, sondern) der empirischen Wahrheit von Aussagen geht, kommt man doch nicht an einer grundsätzlichen Erörterung des Verhältnisses von Sprache und (nichtsprachlicher) Wirklichkeit vorbei.
Gruß
Verena

- V
- Verena am 10. Jan. 2005, 22:43 Uhr

Damit eine Diskussion sinnvoll geführt werden kann, muss man sich zumindest klar bzw einig sein, worüber man eigentlich diskutiert.
Gershwins "Verwirrungs" -Vorwurf scheint mir nun primär begründet in einer Unklarheit seinerseits bezüglich der Gegenstände, von denen ich meinte, dass sie ebenfalls "wahr" oder "falsch" sein könnten. Hermeneuticus hat zwar in seinem letzten Beitrag schon einiges differenziert dargestellt, aber ich weiß nicht, ob damit der Zusammenhang mit meiner These von einer vorsprachlichen Wahrheitsproblematik klar ist.
Um nocheinmal klar zu machen, welche Gegenstände ich überhaupt meine, möchte ich zunächst auf eine elementare Weise der sprachlichen Bezugnahme auf Dinge eingehen, in welcher die Dinge noch nicht versprachlicht, sondern in aller vorsprachlichen Unschuld ihres Seins zunächst nur aufgezeigt werden.  
Ich meine damit das ostentative Hinweisen auf etwas, zb in der sprachlichen Form "dieses da" oder "das da" oder "jenes dort" usw. - also ein bloßes "Deuten" auf etwas, das genauso nichtsprachlich erfolgen könnte (zB per Blickrichtung oder Fingerzeigen).
Es wird auf etwas Bezug genommen, ohne dass zunächst von diesem Etwas das geringste ausgesagt wird. Andrerseits müssen diese Gegenstände natürlich irgendwie gegeben sein, damit eine sprachliche Bezugnahme darauf überhaupt möglich ist.
Die Sprachphilosophie hat nun zwar insofern recht, dass viele Dinge, Sachverhalte erst im Zuge einer sprachlichen Bezugnahme für uns zum Gegenstand werden, aber durch die sprachliche Bezugnahme werden die Dinge doch nicht "geschaffen", sondern die sprachliche Bezugnahme bewirkt nur, dass wir auf die Dinge in einer bestimmten Weise aufmerksam, ihrer gewahr werden. Oder anders: Dass die Dinge häufig erst in der sprachlichen Bezugnahme zum Thema werden, meint doch nicht, dass die Dinge, über welche gesprochen wird, ihrerseits sprachlicher Natur sind! Die Sprache gibt die Sichtweise auf die Dinge vor, aber nicht die Dinge.
Und sicher begegnen uns die Dinge "zunächst und zumeist" auch nicht in einer sprachlichen Bezugnahme, sondern werden in einem praktischen Handeln von uns als etwas entdeckt - wie Heidegger das in seiner Zeug-Analyse beschrieben hat.
Aber auch dieses praktische Entdecken von etwas als etwas setzt voraus, dass da schon etwas ist, das uns im praktischen Vollzug dann (als etwas) begegnet. Wenn ich nicht irre, verwendet Heidegger für diesen Sachverhalt einer vorgängigen Gegebenheit (Enthülltheit?) der Dinge den Begriff "Unverborgenheit" (aber diesbezüglich weiß vielleicht Hermeneuticus genaueres).

Dieses für jede praktische oder sprachliche Bezugnahme vorgängige Sein der Dinge ist für mich nun kein subjektunabhängiges einfaches Vorhandensein der Dinge (für ein bloß rezeptives wahrnehmendes Erfassen), sondern gründet in einer konstitutiven Leistung des Subjekts - einer von unsren vielfältigen sinnlichen Eindrücken evozierten (und an diesen orientierten) Konstruktion des Gegenstands, die gelingen (dh sich bewahrheiten) oder misslingen (dh verfehlt werden) kann und insofern zweifellos ein wichtiger weil fundamentaler Aspekt der Wahrheitsproblematik ist und zwar so fundamental, dass mE jede Wahrheitsdiskussion unzulänglich bleiben muss, welche diesem Aspekt nicht in ausreichender Weise Rechnung trägt.
Um nicht den Rahmen eines Diskussionsbeitrags zu sprengen, möchte ich an dieser Stelle jedoch vorläufig abbrechen.

Verena

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 23:11 Uhr

Hallo Eberhard!



on 01/10/05 um 12:16:30, Eberhard wrote:

Neben den Fragestellungen der Naturwissenschaften (genauer: der Erfahrungswissenschaften) ... bleiben berechtigte und wichtige Fragen normativer Art (...).

"Es gibt" halt solche Fragen und "es gibt" solche Fragen. Als stolperten wir von Fall zu Fall über verschiedene Arten von Fragen, die  schon säuberlich nach ihren Verschiedenheiten getrennt herumliegen. Die einen tragen das Etikett "Wahrheitsfragen", die anderen das Etikett "Moralfragen".

Eine zusammenhängende rationale Theorie kann sich mit einem solchen "neben" nicht zufriedengeben. Da wir es selbst sind, die JEDE Art von Fragen überhaupt stellen, wird sich wohl auch ihr Zusammenhang, ihre gemeinsame Herkunft irgendwie bestimmen lassen müssen. Wir können nicht so tun, als seien Fragen irgendwie "gegeben".

Zum einen greifst Du in dieser Unterscheidung von Fragen auf eine bestimmte, aber nicht ausgewiesene philosophische Tradition zurück. Will sagen: Diese Unterscheidung stammt ebenfalls "von uns". Damit ist sie aber auch irgendwie begründet - und kritisierbar.  Sie ist nicht "einfach so" in der Welt.

Zum zweiten: Fragen sind als solche nichts Erstes, Unabgeleitetes. Sie knüpfen vielmehr immer schon an bestimmte Sachlagen an - auch (und vor allem) an Sachlagen, die wir selbst geschaffen haben. Und Fragen verwenden ihrerseits Begriffe, die die erfragten Sachlagen im voraus fokussieren. - Beispiele: "Welche natürlichen Eigenschaftenschaften hat der Mensch?" "Welche Hormone steuern unsere Verliebtheitsgefühle?" "Wie entsteht die Illsuion der Handlungsfreiheit im Gehirn?" "Welches sind die Moral-Gene?"

Meine Beispiele sind natürlich tendenziös... Mit Absicht. Denn ich will - zum dritten - andeuten, dass jene säuberliche "Neben" -Ordnung von Fragen leicht durcheinander geraten kann. Und das ist immer dann der Fall, wenn wir Fragen vom Typ 1 (" Was-ist-wie-warum" ?) auf jene Bereiche anwenden, nach denen eigentlich mit Fragen vom Typ 2 gefragt werden sollte...
Und hier werden eben RATIONALE ARGUMENTE gebraucht, mit denen sich die Grenzen zwischen den Fragen-Typen begründen lassen. Dabei ist aber auch absehbar, dass die Argumente, die diese Typen-Unterscheidung begründen, ihrerseits nicht aus den Bereichen 1 und 2 stammen können. Diese Art von Argumenten - es wären "transzendentale" oder "konstituitonstheoretische" - müssten beide Bereiche umfassen können.

Der erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung  der Frage-Typen mit Fleiß - vielleicht auch mit z.T. fatalen Folgen. Denken wir nur an die mögliche genetische Manipulation unserer Nachkommen, die vielleicht passend so "gezüchtet" werden könnten, wie wir sie haben wollen: pflegeleicht, erfolgreich, schön... Die "Herrenmenschen" der Nazis würden tumb aus der Wäsche gucken, wenn sie die vielleicht bald möglichen Zuchterfolge der modernen Genetik sehen könnten...

Machtverhältnisse werden auch MITHILFE  DER  WISSENSCHAFTEN gestaltet. Wissenschaftliche Theorien werden als nicht mehr hinterfragbare, "objektive" Argumente eingesetzt. Dafür lassen sich leicht Beispiele finden. (Mir fällt gerade die "neoliberalistische" Strömung unter den Ökonomen ein, die sich in der Poltitik der letzten 15 Jahre immer mehr durchgesetzt hat, als gäbe es dazu keine wissenschaftlich begründbare Alternative). Erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse treten eben leicht mit dem Schein der Unumstößlichkeit auf (" Naturgesetze" ). Und es besteht die verbreitete Neigung, systematisch zu "vergessen", dass auch diese Erkenntnisse nur von Menschen gewonnen werden. Das ist besonders dort gefährlich, wo unsere Lebensformen auf "Naturgesetze" zurückgeführt werden.

Es ist darum sehr wichtig zu begreifen, WIE erfahrungswissenschaftliche Fragestellungen und Antworten zustandekommen (wie sie "konstituiert" sind).  

Gruß
H.

- V
- Dyade am 10. Jan. 2005, 23:50 Uhr

Happy new year @ all,

mit dem einem Auge lese ich hier noch mit (jenes mit dem man besser sieht). Mit dem anderen warte ich auf Herms. Anstoss in Sachen Heideggers "pragmatic turn". :-)

in der Diskussion mit gershwin sind all jene Argumente die Hermeneuticus vorbringt von mir in den letzten JAHREN m e h r m a l s schon vorgebracht worden. Ohne Erfolg. Gershwin ist und bleibt in meinen Augen ein Klötzchen-Positivist, zum Glück ein sympathischer. :-)

Was die "Unverdecktheit" Heideggers angeht ist dies nicht für ihn schon die Wahrheit? Er übersetzt den griechischen Begriff 'aletheia' eben mit diesem vorgängigen entdeckt-sein von Welt. Dasein (= Mensch) ist immer schon auf Gegenstände gerichtet (siehe auch Husserls Intensionalität oder Jaspers "wir sind immer meinend auf Gegenstände gerichtet, diese objektivierend" usw.). "Wahrsein ist entdeckend-sein: Seiendes aus der Verborgenheit herausnehmend in seiner Unverborgenheit (Entdecktheit) sehen lassen." (Heidegger, Sein und zeit, § 44, S. 219)

Grüße
Dy

- V
- jacopo_belbo am 11. Jan. 2005, 00:32 Uhr

hallo an alle,

ich frage mich, in welche richtung diese diskussion weitergeführt wird, bzw. weitergeführt werden soll. wenn es eine richtung gibt, so ist sie derzeit für mich nicht offensichtlich, bzw. nicht offensichtlich erkennbar. vielleicht ist alles ein wenig einfacher, als ich mir es derzeit denke. das wird sich wohl noch herausstellen müssen.

was mir allerdings auffällt, sind die wendungen dieser diskussion. vorallem diese
Zitat:

dass man klären sollte, wie diese Bezugnahme von Sprachlichem auf Nichtsprachliches denn eigentlich anzusetzen ist, bevor man das Problem der Stimmigkeit/Wahrheit dieser Bezugnahme angeht



Zitat:

sondern gründet in einer konstitutiven Leistung des Subjekts - einer von unsren vielfältigen sinnlichen Eindrücken evozierten (und an diesen orientierten) Konstruktion des Gegenstands, die gelingen (dh sich bewahrheiten) oder misslingen (dh verfehlt werden) kann und insofern zweifellos ein wichtiger weil fundamentaler Aspekt der Wahrheitsproblematik ist und zwar so fundamental, dass mE jede Wahrheitsdiskussion unzulänglich bleiben muss, welche diesem Aspekt nicht in ausreichender Weise Rechnung trägt.


und mit recht stellt sich die frage, die eberhard geäußert hat, inwieweit "gegenstandskonstitution" - was auch immer hinter diesem ominösen ausdruck versteckt werden soll, relevant ist, für eine diskussion über wahrheit resp. wahre aussagen.
dass eine diskussion, die diesen punkt ausläßt unzulänglich sein soll, müßte erst noch begründet werden. dazu fehlt mir derzeit jeglicher anhaltspunkt. ebenso wie der terminus "gegenstandskonstitution" bzw. "konstruktion des gegenstandes" hier als scheinbar allen bekannt hingestellt wird. eine, wie ich finde, an obskurantimus grenzende art der diskusionsführung. wer behauptet, gegenstände würden in irgendeiner art und weise "konstruiert", sollte seine behauptung näher erläutern, bzw. begründen - das gebietet die fairness gegenüber anderen diskussionsteilnehmern, die dazu stellung beziehen möchten.

symptomatisch für die derzeitige art der diskussion sind aussagen der art:

Zitat:

Ich meine damit das ostentative Hinweisen auf etwas, zb in der sprachlichen Form "dieses da" oder "das da" oder "jenes dort" usw. - also ein bloßes "Deuten" auf etwas, das genauso nichtsprachlich erfolgen könnte (zB per Blickrichtung oder Fingerzeigen).


gemeint ist wohl "nonverbal", bzw. in manchen fällen wohl "paraverbal", was aber etwas anderes ist, als "nichtsprachlich".


Zitat:

sondern werden in einem praktischen Handeln


was wäre das pendant? theoretisches handeln?


Zitat:

Der erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung  der Frage-Typen mit Fleiß - vielleicht auch mit z.T. fatalen Folgen. Denken wir nur an die mögliche genetische Manipulation unserer Nachkommen, die vielleicht passend so "gezüchtet" werden könnten, wie wir sie haben wollen: pflegeleicht, erfolgreich, schön... Die "Herrenmenschen" der Nazis würden tumb aus der Wäsche gucken, wenn sie die vielleicht bald möglichen Zuchterfolge der modernen Genetik sehen könnten...  


bitte was?


Zitat:

Und es besteht die verbreitete Neigung, systematisch zu "vergessen", dass auch diese Erkenntnisse nur von Menschen gewonnen werden.


und selbst diese erkenntnis wurde von einem menschen getroffen, oder etwa nicht? aber was besagt es, wenn man darauf verweist, ein mensch habe diese erkenntnis getroffen - das besagt doch nicht mehr, als wenn man sagt, der hund hat gebellt.

diese art der diskussion finde ich mehr als unerquicklich. ich empfände es als zweckdienlich sich einer klaren ausdrucksweise zu bedienen, und sich bei den antworten an dem zur diskussion gestellten thema zu orientieren, anstatt am thema vorbeizudiskutieren. das heißt nicht, dass ich jemandes antwoten abqualifiziere - bestenfalls disqualifiziere, weil sie einen themenbereich anschneiden, der mir zu weit von der diskussion wegführt.

- mfg thomas

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 01:46 Uhr

Hallo Thomas/j!


Zitat:

ich empfände es als zweckdienlich sich einer klaren ausdrucksweise zu bedienen, und sich bei den antworten an dem zur diskussion gestellten thema zu orientieren, anstatt am thema vorbeizudiskutieren.


Was für eine Diskussion "zweckdienlich" ist, bestimmt sich nach dem Zweck der Diskussion. Zweck DIESER Diskussion ist die Untersuchung des Wahrheitsbegriffs. Es mag Absprachen im voraus darüber geben, was zu dieser Untersuchung gehören soll und was nicht. Aber eine solche Absprache ist keine unumstößliche, autoritäre Vorschrift. Absprachen kann man ändern, wenn man das zweckdienlich findet.
Jedenfalls kann nicht eine Absprache darüber entscheiden, "was Sache ist".

Was eine "klare Ausdrucksweise" ist, bemisst sich nach dem Verständnis der Teilnehmer an der Diskussion. Da eine Diskussion sinnlos wird, wenn die Teilnehmer nicht auch lernbereit sind, kann nicht ein bestimmter Kenntnisstand eines bestimmten Teilnehmers der verbindliche Maßstab für "Klarheit" sein.
Wenn Du das Wort "Gegenstandskonstitution" nicht verstehst - etwa, weil Du Dich noch nie mit Kant und den Folgen beschäftigt hast -, kannst Du schlecht behaupten, dies sei ein unklarer und außerdem nicht zur Sache gehöriger Begriff. Du darfst ruhig nach einer Sacherklärung fragen. Es steht Dir aber auch der Weg offen, selbst einmal bei Kant und in der Kant-Literatur nachzulesen; dies ist immerhin ein PHILOSOPHISCHES Forum, kein Kaffeekränzchen.
Aber es geht nicht an, Deinen zufälligen Wissenshorizont für allgemein verbindlich zu erklären.

Gruß
H.

- V
- Dyade am 11. Jan. 2005, 12:21 Uhr

Hallo jacopo, "...aber was besagt es, wenn man darauf verweist, ein mensch habe diese erkenntnis getroffen - das besagt doch nicht mehr, als wenn man sagt, der hund hat gebellt." (j.b)

ich denke genau hier liegt unser Problem, bzw. das Problem auf das  Verena hinweisen wollte und das du nicht verstehst. Man sollte doch die "Konstellation" 1 von 2 klar unterscheiden. In 1, also der Aussage "ich, ein Mensch, hat diese Erkenntnis" steckt doch ein höherer Grad der Reflexion, den zu beachten wichtig ist, genau so wichtig wie zu bedenken ist, das wir stets mit Sprache über "Sprache" sprechen. Das ist überhaupt nicht ab vom Thema denn Eberhard wird nicht müde zu betonen, dass es ihm bei der Wahrheitsfrage um Aussagen über die BESCHAFFENHEIT der Wirklichkeit geht. Für Heidegger ist "Wahrheit" ein Existenzial, also soetwas ähnliches wie eine Kategorie bei Kant und damit ist Wahrheit eine Bedingung für mögliche Erkenntnis überhaupt. Wenn das so ist, (das kann man ja bestreiten) dann ist Wahrheit schon da bevor ich sage "der Hund hat gebellt".

Grüße
Dy   [cool]

- V
- jacopo_belbo am 11. Jan. 2005, 14:44 Uhr

hallo an alle betroffenen,

ich befürchte, ich bin nicht verstanden worden in dem, was ich kritisiert habe - zumindest lassen die reaktionen darauf schließen.

zu hermeneuticus' entgegnung:
ich denke, dass es im sinne aller ist, wenn sich jemand kurz, knapp und präzise äußert. kurz und knapp deshalb, weil wir hier in einem forum sind. präzision ist ein ideal, dass es dem gegenüber ermöglicht, zu verstehen, was man selbst schreibt, bzw. begründete einwände dagegen zu formulieren.
ich denke, dass das forderungen sind, die für jedes internetforum gelten können und somit stets zweckdienlich sind.
ich denke, dass es ebenso offensichtlich ist, dass man bei seinen antworten nicht allzu ausschweifend wird. ich beziehe mich auf die in meinem letzten beitrag angegebene stelle
Zitat:

erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung


Zitat:

genetische Manipulation


Zitat:

" Herrenmenschen" der Nazis


und das wohlgemerkt unter der überschrift "wahrheit".
ich sehe keinen konnex zum eigentlichen thema. vielleicht erklärst du dich einmal selbst - nicht mehr und nicht weniger habe ich im übrigen verlangt.

und das betrifft auch die termini technici die verwandt werden. ich halte es trotz des von dir vorgeschlagenen weges, sekundärliteratur zu rate zu ziehen, für sinnvoll, vokabeln, die man benutzt auch zu erklären.
ein simples "schlags nach" halte ich in einer diskussion für unangebracht. und ich denke, es bricht auch einem philosophen wie dir kein zacken aus der krone, wenn er sich kurz erklärt, oder?

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 11. Jan. 2005, 18:53 Uhr

Hallo Verena,

Du schreibst, dass "eine Erörterung der Möglichkeit von sprachlicher Bezugnahme auf die Dinge der Frage nach der Richtigkeit/Wahrheit dieser sprachlichen Bezugnahme vorgelagert ist."

Du forderst eine "grundsätzliche Erörterung des Verhältnisses von Sprache und (nichtsprachlicher) Wirklichkeit", eine Erörterung der sprachlichen Bezugnahme auf die Dinge.

Gegen eine solche Erörterung habe ich nichts und ich halte es für eine Frage der Praktikabilität, ob wir die Erörterung des Verhältnisses zwischen Sprache und Wirklichkeit als eine Art Exkurs im Rahmen dieser Runde führen oder in einen eigenen thread auslagern.

Von der sachlichen Notwendigkeit der Einbeziehung dieser Diskussion bin ich jedoch immer noch nicht überzeugt. Dass bestimmte Fragen der eigenen Fragestellung vorgelagert sind und dass man sich auf die dort gegebenen Antworten erstmal verlässt, ist in der Wissenschaft unvermeidbar. Ein Mediziner wird auf die Ergebnisse der Biologen und Physiologen zurückgreifen, ohne deren Theorien über die Zelle oder elektro-chemischen Vorgänge in den Nervenbahnen selber zu erörtern. Und ein Sprachforscher, der sich zur Erforschung einer Sprache einer elektronischen Tonaufzeichnung bedient, muss auch nicht erst die technischen Funktionszusammenhänge eines solchen Gerätes klären.

Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren, vor allem die dort angelegten Organe und Programme zur Erfassung, chemo-elektrischen Umsetzung, Interpretation und symbolischen Repräsentation nervlicher Reize.

Wenn man das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit im Zusammenhang mit dem Thema "Was meinen wir, wenn wir von einer wahren Aussage sprechen, und woran erweist es sich, ob eine Aussage wahr ist", dann scheint mir das Naheliegendste zu sein, sich mit der Wahrnehmung und der Wiedergabe von Wahrnehmungen durch Sätze zu befassen, und zu fragen: Welche Probleme ergeben sich hier für die intersubjektive Wahrheitsfindung?

Ich denke zum einen an das Problem der Sinnestäuschung und der undeutlichen Wahrnehmung und zum andern an das Problem des Missverstehens oder Nicht-Verstehens. Für die Probleme des gegenseitigen Verstehens scheint es mir sinnvoll, auf die Möglichkeiten des Erlernens einer Sprache durch ein Individuum einzugehen und auf die Möglichkeiten der Bildung von Begriffen und deren Weitergabe an andere. Interessant fände ich z. B. eine Diskussion der Möglichkeiten zur Definition von Begriffen. Zum Beispiel haben wir die Möglichkeiten der "operationalen Definition" bisher nicht erörtert.

Weiterhin stellt sich noch die Frage nach der Einbeziehung "exklusiver" Wahrnehmungen und Erfahrungen, wie sie z. B. in religiösen Zusammenhängen auftauchen.

Wovon ich in unserem Zusammenhang allerdings gar nichts halte, ist eine Debatte über eine Auslegung Kants oder Heideggers.

Es ist der große Vorzug dieser Diskussionsrunde, dass sie auf eine inhaltliche Frage bezogen ist und dass deshalb philosophische Autoritäten nur insofern herangezogen werden, als sie zur Beantwortung dieser Frage relevante Argumente beizutragen haben.

Und es ist ein weiterer Vorzug dieser Diskussionsrunde, dass alle Argumente hier und jetzt allgemeinverständlich ausgeführt werden und dass bloße Verweise auf diesen oder jenen, der das alles schon viel besser beantwortet hat, nicht zählen.

Zum Schluss zur Dringlichkeit unseres Themas etwas, das ich heute in der Zeitung las: "Dass der Tsunami eine sintflutartige Strafe für das sündige Leben von Einheimischen und westlichen Touristen insbesondere in Thailand sei, ist noch die harmloseste Erklärung; sie ist auch bei christlichen Fundamentalisten, z. B. in Amerika, verbreitet. Das palästinensische Staatsfernsehen sendet Predigten, in denen Amerika und die Juden die Schuld tragen, der saudi-arabische Sender Al Majd sieht die Ursache in der Häresie, Homosexualität und Korruption, die das Christentum über die Welt gebracht habe. Für das nationalistische ägyptische Wochenblatt "Al Usbu" hat ein geheimer indischer Atomtest die Erdplatten in Bewegung gebracht, vielleicht sogar in Absprache mit den Israelis."

Mit dieser Kostprobe von "Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit" grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 20:09 Uhr

Hallo Verena!

Mich würde interessieren, wie Du Dir die "konstitutive Leistung des Subjekts" bei der (vor-sprachlichen) "Konstruktion des Gegenstands" näherhin vorstellst und wo Du sie ansiedelst: in den Sinneswahrnehmungen der Subjekte; im alltäglichen, intersubjektiv üblichen Umgang mit den Dingen; eher in Ausnahmesituationen, in denen der gewöhnliche Umgang mit den Dingen gestört ist – oder wo sonst?

Außerdem: Wenn Du von "Konstruktion" sprichst, weckt das die Vorstellung einer technischen, und das heißt ja: einer zweckgerichteten und bewussten Verfahrensweise. Aber mir scheint, dass Du so etwas damit nicht meinst.

Nicht ganz klar ist mir schließlich, ob Du einen Unterschied zwischen "Dingen" und "Gegenständen" machst.



Bei Kant, auf den Du Dich ja auch beziehst, gibt es da einen wichtigen Unterschied. Dass wir "Dinge" durch unsere Anschauung hervorbringen oder konstituieren, ist als sicher auszuschließen (dies könnte allein die schöpferische "Anschauung" Gottes, die zugleich erschafft, was sie "schaut" ). Wohl aber hängt es nach Kant von den Strukturen unserer Rezeptivität und den Strukturen unserer Begrifflichkeit ab, wie etwas Seiendes (" Ding" ) uns zum GEGENSTAND wird. Darum lautet sein "oberster Grundsatz aller synthetischen Urteile" : "Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung (...) ." (KdrV A 158/B 197)

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass unsere Sinne stets eine (zufällige) Mannigfaltigkeit von rezeptiven Eindrücken vermitteln; und erst dadurch, dass wir dieses Mannigfaltige ordnen und dabei zugleich auf Etwas beziehen, das von unseren Sinneseindrücken verschieden ist, "konstituieren" wir "Gegenstände überhaupt".

Diese "synthetische" Leistung liegt nach Kant ALLEN einzelnen Urteilen über empirische Gegenstände zugrunde. Und weil dies so ist, kann man diese synthetischen Leistungen "konstitutiv" für jede Art von Erfahrung/Erfahrungsurteil nennen.

Die "Synthesis" ist dabei einesteils "vorsprachlich", insofern sie von den Formen unserer Sinnlichkeit geleistet wird (Zeit und Raum). d. h. wie mannigfaltig und zufällig unsere Sinneseindrücke auch immer sein mögen, es sind IMMER räumlich und zeitlich "geformte" Eindrücke. – Andernteils geht die Synthesis allerdings auf die "Handlungen des Verstandes" zurück und ist insofern IMMER begrifflich (diskursiv).

Was die WAHRHEIT der empirischen Urteile angeht (" Einstimmung mit dem Objekt" ), so ist sie allein deshalb überhaupt möglich, WEIL die Gegenstände der Erfahrung von der transzendentalen Synthesis "konstituiert" werden. Aber diese "Gegenstände der Erfahrung" sind eben etwas anderes als "Dinge".


Ich habe dies nur kurz referiert, damit wir eine gemeinsame Ausgangsbasis haben, von der Du das von Dir spezifisch Gemeinte abheben kannst.

Gruß
H.

- V
- Dyade am 11. Jan. 2005, 21:27 Uhr

Hallo, "Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren, vor allem die dort angelegten Organe und Programme zur Erfassung, chemo-elektrischen Umsetzung, Interpretation und symbolischen Repräsentation nervlicher Reize." (Eberhard)

zusammen mit dem was du über die "Verwendung" irgendwelcher philosophischer Autoritäten angemerkt hast möchte ich dich in Bezug auf dies angeführte Zitat fragen, ob dies hier ein natur- resp. humanwissenschaftliches Kolleg ist oder ein philosophisches Forum? Kant soll nur im Notfall "gehört" werden aber solche Fragestellungen nomothetischer Wissenschaftsdisziplinen, würde ich die weiter differenzieren ließe sich zu jeder auch ein Name finden, sollen akzeptiert werden OHNE nach den Bedingungen und Setzungen, die mit der Fragestellung selber darin schon ÜBERGANGEN sind, zu fragen?

Eberhard, vergisst du dabei nicht, das über der Überschrift dieses Treads, in hierarchischem Sinn, die Überschrift PhilTalk steht mit dem Untertitel Philosophieforum? Sind wir nicht damit zunächst einer philosophischen Fragestellung auch in Bezug auf die Frage nach Wahrheit im Verhältnis zu Aussagen über die Wirklichkeit verpflichtet. Unter philosophischer Fragestellung verstehe ich auch nach den Bedingungen zu fragen die zb. Neurophysiolgie oder Kognitionsforschung setzen, (notwendig) indem sie Subjektivität, als das subjektive des Subjektes ausschließen. Metaphorisch unscharf und verkürzend muss man sich fragen, wenn das so ist, ist damit der einzige "Ort" wo Wahrheit passieren kann nicht verfehlt? Der von mir zitierte Heidegger ließ sich vernehmen mit dem Satz: "Die Gesetze Newtons waren vor ihm nicht wahr, auch nicht falsch. Sie wurden durch Newton wahr." Damiit weist er darauf hin, das Wahrheit und der Mensch der sie denkt nicht als getrennte Sachen behandelt werden können.

Ich zitiere das deshalb so penetrant, nicht weil ich meine dies müsse man alles unhinterfragt als das letztgültige über Wahrheit hinnehmen, sondern weil ich von diesem Wittgenstein-Jargon weg möchte der als Jargon hier (nicht bei L.W.), uns stets die tollsten Sprachspiel-Beispiele generieren lässt mit, von mir aus tatsächlich relevanten Sprachkonstellationen, ohne das wir einen Schritt weiter kommen. Sprache ist uns aber nicht aus dem Mund gewachsen und ob wir nun mit dem Finger auf Dinge zeigen oder sie durch Zeichen repräsentieren lassen oder mit Worten, der sprachliche Bezug muss erst ermöglicht sein durch etwas.

Grüße
Dy

ps. an vielen Stellen verkürze ich erheblich bis zu einem Punkt wo ich selber das Gefühl (und manchmal Wissen) habe -jetzt wirds falsch. Das alles immer konsistent auszuführen wäre hier Wahnsinn. Darüber hinaus hätte ich nicht die Zeit dazu. Bitte also um Nachsicht. Lese auch gerne die Kritik an meiner Unschärfe.

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 22:03 Uhr

Hallo Eberhard!

Nicht nur, weil dies zufällig ein philosophisches Forum (und kein naturwissenschaftliches Forum) ist, kann das Problem der Gegenstandskonstitution nicht elegant an die Gehirnforschung delegiert werden:


Zitat:

Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren...



Denn schließlich wiederholt sich das Problem - wie kommen wir jeweils zu den Gegenständen, über die dann wahre/unwahre Aussagen möglich sind? - in der Gehirnforschung. Wie definieren Gehirnforscher die Sachverhalte, die sie dann empirisch untersuchen? Mit welchen Modellen (Vorbildern) arbeiten sie dabei? Wie wirken sich experimentelle Methoden und Techniken auf die Ergebnisse aus? Usw.

Also, das Problem ist nicht einfach an eine Erfahrungswissenschaft zu überweisen, weil auch deren Aussagen allgemeinen Wahrheitsbedingungen unterliegen.

Gruß
H.

- V
- gershwin am 12. Jan. 2005, 08:49 Uhr

Hi Leute "Sympathischer Klotz" würde ich mir gerne gefallen lassen, aber zu den Positivisten kann man mich, denke ich (bei zugegeben bescheidenem Wissenshintergrund bezüglich der Reichweite dieses "Schimpfwortes"  :-)), nicht rechnen.

Hermeneuticus, (u. a.!) meine Einwendungen auf  Deine Handlungs- und Zweckdefinition hast Du komplett ignoriert, um so dankbarer bin ich für Deine konkrete Bezugnahme auf Rico (wir haben wohl die gleiche Sendung gesehen). Diese finde ich vernüftig, der Klotz wäre also bereit sich in dieser Frage zu bewegen, doch zuvor müßte noch einiges geklärt werden:
Kann er wirklich nur Eigennamen unterscheiden? Falls man ihm z. B. befiehlt: "Trink Wasser!", wird er da vielleicht nicht doch aus einem Becher, einer Badewanne oder Pfütze trinken?
Kann er vielleicht nicht sogar generell zwischen holen und fortbringen unterscheiden, unabhängig von dem, was er da holen oder fortbringen soll? Das müßte man doch zumindest prüfen.
Weiterhin: Ist es nicht bereits eine Abstraktionsleistung, wenn er auf den Befehl: Hol das Krokodil? ein kleines oder großes, holziges oder stoffiges und vielleicht sogar grünes oder blaues Krokodil herholen kann? Ich vermute übrigens, dass die (themenbezogene) philosophische Bildung der beteiligten Wissenschaftler zu solchen Aussagen berechtigt, die Du hier als schlampig abtust.

Selbstverständlich ( :-)) kann man alle menschliche Fähigkeit naturalisieren. Ich hatte bereits angedeutet, dass man sich dagegen (wieso eingentlich diese Angst davor?) nur durch willkürliche Zusatzvoraussetzungen verwahren kann (etwa Zusatzbefrachtungen der Zweckdefinition). Darauf bist Du leider nicht eingegangen. Unsere geistigen Fähigkeiten einschließlich der Sprache sind so offensichtlich ein Produkt der Evolution, dass die Beweislast bei denen liegt, die uns aus der Natur mit Hilfe ebenso willkürlicher wie unnötiger Abgrenzbedingungen herauskatapultieren wollen.

Verena schreibt:

Zitat:

Gershwins "Verwirrungs" -Vorwurf scheint mir nun primär begründet in einer Unklarheit seinerseits bezüglich der Gegenstände, von denen ich meinte, dass sie ebenfalls "wahr" oder "falsch" sein könnten.



Ich hatte ja einige Entitäten genannt, bin aber nach Deiner Kritik und Deinem darauffolgenden Beitrag nicht schlauer bezüglich der Frage geworden, auf welche konkreten Begriffe Deine Überlegungen denn angewendet werden sollen. Könntest Du nicht mal bitte ein konkretes Beispiel aufzeigen sowie die Fragen, die sich daraus konkret ergeben. (Meines war ja: Ist das wirklich ein Tisch an sich?)

Freundliche Grüße an alle
Thomas

- V
- Eberhard am 12. Jan. 2005, 12:10 Uhr

Hallo allerseits,

es war wohl unausbleiblich, dass die verschiedenen Denkweisen, die sich hinter der Doppelbezeichnung "Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie" verbergen, irgendwann einmal frontal aufeinender prallen, so wie es offenbar jetzt geschieht.

Dyades Appell an die Pflicht zur philosophischen Fragestellung nehme ich zur Kenntnis, möchte jedoch darauf hinweisen, dass es zahlreiche philosophisch anspruchsvolle Arbeiten zu den Methoden wissenschaftlicher Forschung gibt, in denen auf Kants "Kritik der reinen Vernunft" vielleicht am Rande und auf Heideggers Werk "Sein und Zeit" gar kein Bezug genommen wird. Insofern ist diese Runde kein Etikettenschwindel und ist zu Recht unter die Rubrik "Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie" eingeordnet.

Dass die Runde unter einem "Wittgenstein-Jargon" leidet, kann ich nicht bestätigen. Dass uns Positionen wie "Die Gesetze Newtons … wurden durch Newton wahr" voranbringen, bezweifle ich.

Eine solche Position berücksichtigt offenbar gerade das nicht, was die klassische Mechanik von früheren Theorien über die Bewegung von Körpern unterscheidet: die Begründung durch Experimente und Beobachtungen, die jeder beliebige andere Wissenschaftler nachvollziehen und durch eigene Anschauung bestätigen kann, also das Bemühen um intersubjektive Gültigkeit.

Zu Hemeneuticus: Die These: "Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren ..." halte ich aufrecht.

Und ich füge hinzu: Zur Beantwortung der Frage, wie Rechnen, Schreiben, Sprechen, Sehen, Hören, sich Merken, Erinnern, (Wieder-)Erkennen, Lernen, Vergessen möglich ist, haben diejenigen Beachtliches beigetragen, die Maschinen mit diesen Fähigkeiten konstruiert haben. Dies sollte der Philosoph neidlos anerkennen, der sich allein auf das eigene Nachdenken stützt.

Mit dieser These habe ich auf eine von Verena aufgeworfene Frage geantwortet. Deine Frage: "Wie kommen wir jeweils zu den Gegenständen, über die dann wahre/unwahre Aussagen möglich sind?" ist damit natürlich noch nicht beantwortet.

Ich antworte darauf – unter bewusstem Verzicht auf alles philosophische Gepäck:

Wir kommen auf die Gegenstände unserer Fragen durch unsere leidvollen und angenehmen Erfahrungen:

Wir erleben eine 30 Meter hohe Welle und fragen uns: 'Wodurch ist sie entstanden? Gab es früher schon vergleichbare Phänomene? Kann man sie vorhersehen?' usw.

Und ein Gehirnforscher kommt durch die Erfahrung von Menschen ohne Gedächtnis zu seinem Forschungsgegenstand, der Alzheimerschen Krankheit.

Ich kann im übrigen nicht erkennen, dass unterschiedliche Ansichten über Raum, Zeit oder Kausalität zu unterschiedlichen Ergebnissen führen hinsichtlich der Wahrheit solcher Aussagen wie "Im Jahr 2004 wurde die Ostküste Sri Lankas von einer Tsunami-Welle verwüstet" oder "Tsunami-Wellen entstehen durch Seebeben."

Vielleicht kann mir hier jemand auf die transzendental-philosophischen Sprünge helfen -
        hofft Eberhard.

- V
- Verena am 12. Jan. 2005, 19:05 Uhr


on 01/12/05 um 08:49:28, gershwin wrote:

Ich hatte ja einige Entitäten genannt, bin aber nach Deiner Kritik und Deinem darauffolgenden Beitrag nicht schlauer bezüglich der Frage geworden, auf welche konkreten Begriffe Deine Überlegungen denn angewendet werden sollen. Könntest Du nicht mal bitte ein konkretes Beispiel aufzeigen sowie die Fragen, die sich daraus konkret ergeben. (Meines war ja: Ist das wirklich ein Tisch an sich?)



Hallo Gershwin,
ich bezog mich ganz sicher nicht auf An-sich-Seiendes mit meiner Frage nach dem Status der vorbegrifflichen (empirischen) Entitäten.
Schau doch einfach aus deinem Fenster - siehst du dort draußen Namen bzw. Begriffe oder nicht eher das, was Namen oder Allgemeinbegriffe wie 'Gebäude', 'Straße', 'Baum' usw meinen, nämlich konkrete, einzelne Objekte (individuals, singular objects, Einzeldinge), die etwas prinzipiell anderes sind als Namen oder Begriffe? Auch wenn unsere Auffassung, unser faktisches Verständnis dieser Einzeldinge wohl immer durch Sprache mitgeformt wird, sind sie als Gegenstände der sprachlichen Bezugnahme doch grundsätzlich von dieser sprachlichen Bezugnahme zu unterscheiden und ihre Gegebenheit ist Voraussetzung jeder sprachlichen Bezugnahme auf sie. Und um den erkenntnisphilosophischen Status dieser Gegenstände geht es mir.
Verena

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 00:07 Uhr

Hallo Thomas/g!


Ich habe Deine Argumente nicht ignoriert, sondern mir, angesichts begrenzter Zeit, die Punkte ausgesucht, auf die es sich m.E. zu antworten lohnt. Was z. B. das Thema Handeln angeht, scheinen wir so weit auseinander zu liegen, dass ich da nur noch mit den Achseln zucken kann.
Außerdem gehst Du ja auch auf so manches nicht ein, was ich vorbringe.


on 01/12/05 um 08:49:28, gershwin wrote:

Kann er [der Border-Collie Rico] wirklich nur Eigennamen unterscheiden? Falls man ihm z. B. befiehlt: "Trink Wasser!", wird er da vielleicht nicht doch aus einem Becher, einer Badewanne oder Pfütze trinken?
Kann er vielleicht nicht sogar generell zwischen holen und fortbringen unterscheiden, unabhängig von dem, was er da holen oder fortbringen soll?


Vielleicht. - Übrigens gibt es Primaten, deren sprachliche Fähigkeiten noch ein gutes Stück über denen von Rico liegen...

Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass diese vereinzelten Tiere ihre "sprachlichen" Fähigkeiten allein der (mühsamen) Dressur durch Menschen verdanken. Und Rico würde ohne die durch Jahrtausende verfeinerten menschlichen Zuchttechniken  nicht einmal existieren. Border-Collies sind speziell zum Zweck des Schafhütens gezüchtete Hunde. Sie sind - wie alle Zuchttiere und -pflanzen - eine Art menschliche "Bio-Technik". Denn die Zwecke, zu denen Tiere und Pflanzen gezüchtet werden, sind doch stets von Menschen gesetzt.



Zitat:

Unsere geistigen Fähigkeiten einschließlich der Sprache sind so offensichtlich ein Produkt der Evolution, dass die Beweislast bei denen liegt, die uns aus der Natur mit Hilfe ebenso willkürlicher wie unnötiger Abgrenzbedingungen herauskatapultieren wollen.


Ich will uns Menschen überhaupt nicht aus der Natur herauskatapultieren. Aber ich dringe darauf, dass die Damen/Herren Naturalisten sich Rechenschaft über die Entstehung und die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Theorien ablegen.

Und es könnte nun einmal keine Evolutionstheorie geben ohne spezifische "geistige" Fähigkeiten, die wir bisher nur von uns selbst kennen und die uns übrigens auch ganz selbstverständlich sind.

Die ET ist die von Menschen geleistete, hypothetische REKONSTRUKTION eines Geschehens, dem wir nicht als Zeugen beigewohnt haben. Ein Aspekt dieser Rekonstruktion ist die Entstehung der Gattung Mensch. Wenn nun die Rekonstruktion so weit geführt wird, dass sie auch unseren gegenwärtigen Entwicklungsstand erfasst, dann sollte das nicht um den Preis geschehen, dass genau DIE intellektuellen Fähigkeiten, die zur Erstellung einer solchen Rekonstruktion unbedingt nötig sind, von der Theorie geleugnet werden.
Können diese Fähigkeiten im begrifflichen Rahmen einer solchen Theorie nicht angemessen beschrieben werden, dann wird man logischerweise zugeben müssen, dass sie nur einen Ausschnitt erfasst und so manches unerklärt lässt. Sonst kommt es zu offenkundigen Paradoxien. Stellen wir uns einen Gehirnforscher vor, der in einer philosophischen Diskussion sitzt und behauptet: "Pardon, aber ich bin nur die Marionette meiner Hirnverschaltungen. Ich habe keinen freien Willen. Mein Gehirn hat mich auch - durch naturgesetzliche Prozesse  - dazu veranlasst, Gehirne zu erforschen. Und es hat mich mit derselben naturgesetzlichen Notwendigkeit zu der Einsicht geführt, dass wir alle keinen freien Willen haben. Da ist nichts zu machen, meine Herren Kontrahenten!
Und im übrigen können Sie von Glück sagen, dass ich so ein friedliches, moralisches und gesetzestreues Gehirn habe. Stellen Sie sich bloß vor, es würde mich dazu veranlassen, Argumente durch Waffengebrauch zu ersetzen... Nicht auszudenken!! (leise:) Nur gut, dass mein Gehirn noch nicht bemerkt hat, dass Waffengewalt viel effektiver wäre als Worte... aber psssst!! - Besser, Sie widersprechen nicht länger. Wir wollen es nicht unnötig reizen..."

Gruß
H.

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 08:42 Uhr

Hallo allerseits,

damit sich unserer Diskussionsfaden nicht zu sehr zerfasert, mache ich einen Vorschlag, der sowohl für die analytisch orientierten wie für die transzendentalphilosophisch orientierten Teilnehmer dieser Runde von Interesse sein dürfte.

Wir waren bisher darin einig, dass eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt dann wahr ist, wenn es so ist, wie die Aussage besagt. Ob es so ist, wie die Aussage besagt, lässt sich nicht ohne Bezug auf unsere Wahrnehmung entscheiden.

Gegen den letzten Satz kann man einwenden, dass es möglicherweise Aussagen über die Wirklichkeit gibt, die sich ohne irgendeine Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung beantworten lassen. Ob dem so ist, bedarf der Klärung.

Die Frage lautet also: Gibt es Aussagen über die Welt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht? (Damit wären wir wieder haargenau bei unserm Thema.)

In Kants Begriffen gefragt: Gibt es synthetische Urteile (also nicht-analytische Aussagen, die nicht per Definition wahr sind wie "Schimmel sind weiß" ), deren Wahrheit a priori (also von vornherein und ohne Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung) feststeht?

Ich stelle hier einige Sätze zur Diskussion:

1.  Es gibt mich.
2.  Ich kann einen Satz formulieren.
3.  Es gibt eine Welt.
4.  Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit.
5.  Es gibt Veränderung in der Welt.
6.  Es gibt Dauerhaftigkeit in der Welt.
7.  Jede Veränderung hat eine Ursache.
8.  Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen.
9.  1 + 1 = 2.

Die Frage lautet: Welche der Sätze sagen etwas über die Welt aus und welche Sätze  sind außerdem unabhängig von jeder Wahrnehmung bzw. Erfahrung wahr? Interessant sind dabei natürlich die Begründungen der Antworten.

Kein Kopfzerbrechen dabei wünscht Euch Eberhard.

- V
- gershwin am 13. Jan. 2005, 08:44 Uhr

Hi Verena

Zitat:

sind sie als Gegenstände der sprachlichen Bezugnahme doch grundsätzlich von dieser sprachlichen Bezugnahme zu unterscheiden und ihre Gegebenheit ist Voraussetzung jeder sprachlichen Bezugnahme auf sie



Angenommen, eine Neurobiologe käme daher und widerlegt einige Vorannahmen (z. B. bezüglich der Trennung von Gegenstands- und Begriffskonstitution), die diese Behauptung impliziert. Dann könntest Du ihn wiederum an den unsicheren erkenntnisphilosophischen Status derjenigen Gegenstände erinnern, die als Begriffe in seiner zugrundeliegenden Theorie auftauchen. (Er könnte natürlich auf die gleiche Weise Zweifel an Deiner Kritik begründen.)

Mir scheint dies ein begriffs-ontologischer Käfig, aus welchem es kein Entrinnen gibt, welcher jedoch garselbst mit Begriffen (gar nicht mal mit Gegenständen) gezimmert wurde, die der vordarwinistischen philosophischen Tradition entnommen wurden.


Zitat:

Und um den erkenntnisphilosophischen Status dieser Gegenstände geht es mir.



Und erkenntnisphilosophischer Status meint ja wohl hier Kritik, Zweifel an der Korrektheit und/oder Vollständigkeit einer konkreten nichtsprachlichen Bezugnahme (Kritik am phänomenologischen Akt? Habe ich das jetzt so richtig verstanden?). Mich erinnert das irgendwie an den radikalen Zweifel, der sich notorisch auf einen täuschenden Dämon beruft. Keine Aussage ficht dagegen an außer: ach laß mich doch mit diesem blöden Dämon in Ruhe! Aus dem Grammatik-Käfig gibt es ebenfalls nur diesen einen Ausweg.

Versteh mich nicht falsch, Kritik, Fragen, Zweifel sind immer gut, wer weiß, wohin sie führen. Aber es darf ja auch nicht verboten sein, auf Fragen, Kritik und Zweifel zu antworten, und in diesem speziellen Fall empfinde ich die Antwort der evolutionären Erkenntnistheorie überwältigend plausibel und fast abschließend (bis vielleicht eine neue fundierte Kritik aus ganz anderer Richtung erfolgt), die uns die erkenntistheoretische Bescheidenheit eines recht geschickten Affen auferlegt. Bei Jasmonat-produzierenden Pflanzen könnten wir uns ebenfalls schwer vorstellen, sie könnten mittels chemischer Modulation von Duftstoffen über die Empirik hinausphilosophieren. Und ich bin wie gesagt der Meinung, dass unsere Sprache prinzipiell den gleichen Beschränkungen der stammesgeschichtlichen Vergangenheit unterliegt.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 13. Jan. 2005, 08:50 Uhr

Hi H.

Zitat:

Übrigens gibt es Primaten, deren sprachliche Fähigkeiten noch ein gutes Stück über denen von Rico liegen..



Ja, zum Beispiel Dich (und mich natürlich), wie ich bewundernd feststelle.  :-) Sorry, dass ich mir das nicht verkneifen konnte.

Zitat:

Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass diese vereinzelten Tiere ihre "sprachlichen" Fähigkeiten allein der (mühsamen) Dressur durch Menschen verdanken.



Wir doch auch. Uns fällt es natürlich leichter, aber ein Hund würde sich in einer auf Gerüchen (oder auf Erdbebenvorzeichen, die wir gar nicht wahrnehmen können) basierenden Sprache ebenfalls leichter tun als wir, denn die Zwecke seiner Sinne wurden eben nicht vom Menschen gesetzt.
An diesem Einwurf Deinerseits (das mit dem Zweck vom Menschen gesetzt) schenien einige der willkürlichen (und in jedem anderen als einem philosophischen Diskurs als absurd empfundenen) Vorannahmen durch, die ich schon erwähnt hatte: Man kann mit einem Stein ein Fell aufschneiden. Der impliziten Logik Deiner Bemerkung folgt jedoch, dass man das noch nicht konnte, bevor der Mensch auftauchte und diesen Zwecke setzt. Einzig mögliche Antwort Deinerseits: Natürlich könnte man nicht, denn wer sollte dieser "man" sein? (Na der Mensch, der bald auftauchen wird) Dann ich wieder: einen Baum konnte man auch als Beuteversteck benutzen, bevor es Menschen gab. Hierauf müßtest Du wieder einen Handlungsbegriff "setzen", welcher es einem Leoparden unmöglich macht, einen Baum als Beuteversteck zu benutzen. Usw.

Zitat:

Und es könnte nun einmal keine Evolutionstheorie geben ohne spezifische "geistige" Fähigkeiten, die wir bisher nur von uns selbst kennen und die uns übrigens auch ganz selbstverständlich sind.



Zustimmung, und deshalb haben Washoe und Co. bislang auch keine ET formuliert, sondern nur Bettelgesuche und andere einfache Sätze (wobei Du den Satzcharakter vielleicht wieder bestreitest, aber das hängt ja offensichtlich wieder von der Definition eines Satzes ab). Ich hatte Dich übrigens schon mal gefragt: wer verbietet diese Selbstbezüglichkeit und weshalb?

Zitat:

Die ET ist die von Menschen geleistete, hypothetische REKONSTRUKTION eines Geschehens, dem wir nicht als Zeugen beigewohnt haben.



Genau, aber sie ist so extrem plausibel wie viele andere hypothetische Rekonstruktionen auch (etwa dass die Tasten, auf die Du haust, gleich immer noch da sind, auf Berührung nicht explodieren usw.), deren Hinterfragung niemandem einfiele. (Da fällt mir eine interessante Frage ein: Ist "etwas plausibel finden" ein unvergleichlicher phänomenologischer Akt oder lassen sich Plausibilitätskriterien formulieren, welche es erlauben, Aussagen in eine geordnete Plausibilitätsreihenfolge zu bringen? Immerhin scheint die Aussage: "Morgen wird es 35 Grad geben" allen von uns unplausibler als "Morgen wird es schneien." )

Zitat:

dann sollte das nicht um den Preis geschehen, dass genau DIE intellektuellen Fähigkeiten, die zur Erstellung einer solchen Rekonstruktion unbedingt nötig sind, von der Theorie geleugnet werden.



Auch das hab ich schon mal gefragt: wer leugnet denn diese? Die ET entzaubert eigentlich nur die Ontologie: dass es keinen Sinn macht, die Aussage, dass es intellektuelle Fähigkeiten GIBT, allzu wörtlich zu nehmen, denn Sprache ist nur Handlungsaufforderung. Wenn ich beispielsweise sage H.s intellektuelle Fähigkeiten sind groß, fordere ich Dritte damit auf, Deine Überlegungen ernst zu nehmen (genauer: ich konstatiere, dass ich sie ernst nehme, und wer mich ernst nimmt, wird dies dann vielleicht ebenfalls tun). Mehr ist da nicht. Das ist doch eigentlich auch offensichtlich, denn die Aussage: "ich habe intellektuelle Fähigkeiten" steht ohne Adressaten ja wohl ziemlich blöde im Raum.

Zitat:

Können diese Fähigkeiten im begrifflichen Rahmen einer solchen Theorie nicht angemessen beschrieben werden, dann wird man logischerweise zugeben müssen, dass sie nur einen Ausschnitt erfasst und so manches unerklärt lässt. Sonst kommt es zu offenkundigen Paradoxien.



Du kündigst hier großartig ein Paradoxon an, und formulierst dann lediglich Befürchtungen, die längst trilliardenfach eingetroffen sind. Schon die ersten Menschen haben wahrscheinlich entdeckt und ausgenutzt, dass Waffen viel effektiver sein können als Worte. Die Menschheitsgeschichte ist doch zu einem Gutteil ein einziges Gemetzel.
Nur zu einem Gutteil Gottseidank. Allerdings scheinst Du die Firniß der Zivilisation zu überschätzen und unsere evolutionär bedingten Handlungsdispositionen überdeckt(eine beliebte Wendung bei Freudianern :-)), mal wieder zu unterschätzen. Dein Gehirn tut gut daran, nicht zu bemerken, dass dass Waffengewalt viel effektiver ist als Worte. Weil sie das nämlich in Deinem Falle höchstwahrscheinlich nicht ist. Wenn Du zur Waffe greifst, steckst Du in Bälde im Knast, es gibt nur sehr wenige erfolgreiche Gewaltverbrecherkarrieren. (Es gibt sie leider auch, hier greifen Spiel- und ET plausibilitätsstiftend ineinander.) In Afghanistan aufgewachsen wärst Du vielleicht ein Warlord geworden.

Dein und mein und unser aller Gehirn, die wir auf unserer Seite des Gesetzes stehen, sollten sich also besser mit den zu erstrebenden Bedingungen beschäftigen, welche erfolgreiche Verbrecherkarrieren erschweren.
Hier, denke ich, treffen wir uns (nach langer getrennter Wegstrecke) wieder.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Dyade am 13. Jan. 2005, 09:35 Uhr

Moin,

@ gershwin "... denn die Zwecke seiner [Hund] Sinne wurden eben nicht vom Menschen gesetzt." (gershwin)

... sondern vom Gott der Evolutionstheoretiker? Ich habe folgendes Zitat schon mal gebracht:

· "Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nämlich dass es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht - dass auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat... "
(Friedrich Nietzsche)

"... Immerhin scheint die Aussage: "Morgen wird es 35 Grad geben" allen von uns unplausibler als "Morgen wird es schneien." (gershwin)

... mir nicht, ich sitze gerade in Australien (gedanklich :-))

have a nice day
Dy

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 09:58 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

hier noch eine Stellungnahme zu Deiner Kritik an mir vom 10.01.

Deine methodischen Forderung, dass eine rationale Theorie die gemeinsame Herkunft jeder Art von Fragen zu bestimmen hat, ist mir nicht einsichtig.

Priorität hat für mich die Beantwortung der Fragen (sofern sie wichtig sind).

Da nicht alle Fragen von gleicher Art sind und nach der gleichen Methode beantwortet werden können, muss ich die verschiedenen Arten von Fragen nach der Methode ihrer Beantwortung unterscheiden und zusammenfassen.

Dabei kann es sicherlich für die Beantwortung einer Frage auch hilfreich sein, deren Herkunft und Zusammenhang mit anderen Fragearten zu bestimmen.

Aber Priorität hat für mich die richtige Beantwortung der Frage und nicht der Bau des allumfassenden philosophischen  Systems.

Es grüßt Dich Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 12:35 Uhr

Hallo Thomas/g!


Zitat:

An diesem Einwurf Deinerseits (das mit dem Zweck vom Menschen gesetzt) schenien einige der willkürlichen (und in jedem anderen als einem philosophischen Diskurs als absurd empfundenen) Vorannahmen durch, die ich schon erwähnt hatte...


Der "philosophische Diskurs" ist offenkundig älter als z. B. der biologische. Denn wer war es, der die - bis heute noch weitgehend gültigen - theoretischen Grundlagen der Biologie entworfen hat? Zufällig derselbe Philosoph, von dem auch die erste Handlungstheorie stammt, deren Grundzüge ebenfalls noch bis heute gelten.

Damit will ich sagen: Es gibt außer der Biologie, der Chemie, der Physik... noch andere Wissenschaften mit jeweils anderen Methoden. Jede dieser Wissenschaften kann versuchen, mit ihren spezialisierten Methoden eine umfassende Theorie des Seienden, einschließlich des Menschen mit seinen Wissenschaften, zu entwerfen. Aber es scheint mir offenkundig, dass trotzdem jede dieser Wissenschaften immer nur einen Aussschnitt des Ganzen erfassen kann. Und das liegt an dem durch ihre Begriffe und Methoden begrenzten Horizont/Gegenstandsbereich.

In Deinem theoretischen Ansatz kommen "Handlungen" oder von Menschen gesetzte "Zwecke" nicht vor. Es "gibt" sie nicht. Aber es gibt nach wie vor andere theoretische Ansätze, in denen sie als grundlegend verstanden werden. Es gibt eine Pluralität von Theorien, denen allen gemeinsam ist, dass sie von Menschen konzipiert werden.

Im Grunde beanspruche ich nichts weiter, als dass diese Pluralität von Theorien, Methoden, Weltbildern von den jeweiligen Vertretern dieser Theorien anerkannt wird. Jedenfalls kann eine Theorie DES Menschen, die ALLE seine Eigenheiten und Fähigkeiten in den Blick nehmen muss, sich nicht auf den spezialisierten Horizont nur EINER jener (vom Menschen entworfenen) Theorien stützen.

Ich leugne ja nicht, dass Menschen, biologisch gesehen, zur Gattung der "Primaten" zählen. Aber offenbar erschöpft ein biologischer Begriff vom Menschen nicht seine sämtlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Du behauptest nun (sinngemäß), dass die biologischen Eigenschaften die grundlegenden seien, so dass man die übrigen Eigenschaften letztlich auf diese biologische "Grundlage" zurückführen könne. Ich behaupte dagegen (sinngemäß), dass bereits der Entschluss, den Menschen primär in Kategorien der Biologie (UND NICHT in anderen, ebenfalls möglichen Kategorien) zu erfassen, ein Beleg dafür ist, dass der Horizont "des" Menschen weiter ist als der der Biologie. Die Biologie ist eben nur EINE der von ihm erfundenen und betriebenen Wisenschaften.



Diese Überlegung ist auch eine Erläuterung des "transzendentalen" oder "konstitutionstheoretischen" Ansatzes der Erkenntnistheorie. Denn es zeigt sich, dass es von den jeweils gewählten Definitionen und Katgeorien sowie den Regeln ihrer Anwendung abhängt, ALS WAS etwas Seiendes in den Blick kommt. Definitionen (buchstäblich übersetzt = "Begrenzungen" ) sind jeweils (bewusst gewählte und begründete) Ausschnitte. Sie stecken den Rahmen dessen ab, was zum Gegenstandsbereich einer Theorie gehören soll und was nicht.
So liegt es bereits an den DEFINITIONEN biologischer Katgorien, dass in der Biologie Entitäten wie "Handlungen" oder "Zwecke" nicht vorkommen. Aber offenbar gibt es bezüglich der Definitionen und Methoden von Wissenschaffen Wahlmöglichkeiten - so wie es auch (z. B. für einen Studenten) die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Wissenschaften gibt.

Den "philosophischen Diskurs", der diesen WEITEN Horizont - jenseits der spezialisierten Wissenschaften - noch in den Blick zu nehmen versucht, der also z. B. danach fragt, welches überhaupt die VORAUSSETZUNGEN für eine solche reiche Auffächerung und Spezialisierung des menschlichen Wissenserwerbs sind - diesen Diskurs scheinst Du, Thomas, für eine irgendwie weltfremde Schrulle zu halten. Ich sehe dagegen in der TOTALISIERUNG einer nur biologischen Perspektive eine illegitime Begrenzung. Diese Begrenzung ist - zu Forschungszwecken - durchaus legitim und sogar notwendig. Aber es ist nicht legitim, sie als einzig sinnvollen (oder gar erschöpfenden!) Erklärungsansatz auszugeben.


Gruß
H.

- V
- eiweiss am 13. Jan. 2005, 14:09 Uhr

hallo eberhard,

du schreibst: "Die Frage lautet also: Gibt es Aussagen über die Welt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht? "

wahrnehmungsgrenze:
diesseits:ich      und      jenseits:etwas "ich nehme etwas wahr"

diesseits der wahrnehmunggrenze bzw. unabhängig von jeder wahrnehmung (i. s. unserer alltäglichen wirklichkeit: "in meinem kopf" ) ist alles "ich" bzw., wenn man das kriterium "intersubjektivität" anlegt, "nichts".
wenn man also "welt" im intersubjektiven sinne versteht (erhofft? -> solipsismus), meint man also die welt jenseits der wahrnehmungsgrenze.
wenn man also über etwas und intersubjektiv aussagen will, kann man das nur jenseits der wahrnehmungsgrenze tun.
die naturwissenschaft wäre demnach der versuch das diesseits der wahrnehmungsgrenze, also "ich", möglichst klein zu machen, also lim-> 0.
wenn ich mir also von der naturwissenschaft die 0 erwarte, dann wäre ich 0, also ne leiche aufm sektionstisch, he he.

kurzum:
wenn du also mit "feststehen" intersubjektiv meinst, würde ich sagen: nein.

oder meintest du was anderes?

mfg

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 14:16 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
Bravo. Verabsolutieren sollte man den biologischen Ansatz nicht, aber er hat einen Vorteil: er versucht, Handlungen des Menschen zu erklären, ohne vorauszusetzen, dass menschliches Handeln gemäß freien Entschlüssen erfolgt. Primär ist das Verhalten, das Denken und die Logik des Menschen selbstverständlich biologischbedingt, von genetisch gespeicherten Denk- Logik- und Verhaltensprogrammen gesteuert, da der Mensch nun einmal ein Primatenwesen ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Zur Ergänzung dieser biologischen Sichtweise ziehe ich einerseits die Kybernetik heran, mit deren Hilfe man menschliches Handeln als regelkreisgesteuert verstehen kann, wobei beispielsweise die Wahrnehmung die Funktion hat, Abweichungen des Istwerts vom biologisch eingestellten Sollwert zu registrieren, sowie andererseits die Psychoanalyse und den Konstruktivismus. Das gestattet mir, den Menschen als ein System zu begreifen, dessen Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist.
Gruß
rudi

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 15:40 Uhr


on 01/13/05 um 14:16:41, doc_rudi wrote:

Hallo Hermeneuticus,
Bravo. Verabsolutieren sollte man den biologischen Ansatz nicht, aber er hat einen Vorteil: er versucht, Handlungen des Menschen zu erklären, ohne vorauszusetzen, dass menschliches Handeln gemäß freien Entschlüssen erfolgt. Primär ist das Verhalten, das Denken und die Logik des Menschen selbstverständlich biologischbedingt, von genetisch gespeicherten Denk- Logik- und Verhaltensprogrammen gesteuert, da der Mensch nun einmal ein Primatenwesen ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Zur Ergänzung dieser biologischen Sichtweise ziehe ich einerseits die Kybernetik heran, mit deren Hilfe man menschliches Handeln als regelkreisgesteuert verstehen kann, wobei beispielsweise die Wahrnehmung die Funktion hat, Abweichungen des Istwerts vom biologisch eingestellten Sollwert zu registrieren, sowie andererseits die Psychoanalyse und den Konstruktivismus. Das gestattet mir, den Menschen als ein System zu begreifen, dessen Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist.
Gruß
rudi




Hallo Rudi!

Du müsstest Dich selbst folgerichtig als "System" begreifen, dessen "Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist". Du erklärst folglich auch Deine eigenen "Handlungen", ohne vorauszusetzen, dass sie auf freien Entschlüssen beruhen.

Kannst Du mir aber auch erklären, wie sich diese Deine Ausdrücke verstehen lassen sollen, wenn man den Begriff der Entscheidung oder des freien Entschlusses eliminiert? "man sollte nicht verabsolutieren" "erklären" "voraussetzen" "(weg)diskutieren" "ich ziehe ... heran" "man kann verstehen" "das gestattet mir" "begreifen" "berechnen" (in "berechenbar" vorausgesetzt)


Logik und Berechnung sind was Feines. Aber man muss einen intelligenten GEBRAUCH davon machen, um intelligente Resultate herauszubekommen...


Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 16:20 Uhr

Hallo hermeneuticus,
völlig korrekt. Ich betrachte mich selbstverständlich auch als ein derartiges System der Ordnungshöhe Individuum.
Wie ich bereits sagte, stimme ich Dir auch darin zu, den biologischen Ansatz nicht zu verabsolutieren. Er steckt allerdings den Rahmen ab. Und innerhalb dieses Rahmens hat das Individuum Entscheidungsfreiheit, und das System Mensch hat von allen lebenden Systemen den höchsten Freiheitsgrad. Deshalb sind die Handlungen des Einzelnen relativ schlecht berechenbar. Der Einzelne ist jedoch in ein System höherer Ordnung eingebunden. Also wir in den Staat. Und das Summenergebnis der Einzelentscheidungen ist bedeutend besser berechenbar. Also: was ein System Staat macht oder machen wird, ist sehr einfach vorherzusagen, genauso, wie es nahezu unmöglich ist, den Aufenthaltsort eines Wassermoleküls schon für 1 Minute zu berechnen, aber sehr leicht ist, die Flussrichtung der Wassermenge in einem Fluß für Jahrtausende vorherzusagen. Zu letzterem benötige ich nicht einmal eine Wissenschaft.
Da fällt mir noch zur Erklärung ein: unsere biologische Verhaltensprogrammierung ist zielorientiert. Das ist sehr wichtig. Bilogisch vorgegeben sind die Verhaltensziele, also das Überleben bis zur Aufzucht der nächsten Generation und Vermehrung der Individuenzahl. Freiheit hat das Individuum z. B. in der Wahl des Partners, mit dem er seine genetischen Daten vermehrt, in der Wahl seines Berufen, den er zur Sicherung der Aufzucht seiner Jungen ausübt und in der Wahl seiner Nahrung. Aber verzichten auf Nahrung oder auf Sauerstoffzufuhr kann er nicht. Das regelt bereits sein Hirnstamm. Das Großhirn ist dafür entbehrlich.
Gruß
rudi

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 18:56 Uhr

Hallo allerseits,

zu eiweiss eine Rückfrage: Warst Du nüchtern, als Du Deinen letzten Beitrag verfasst hast?

Zur Sache: Ich bin nicht der Meinung, dass es sich bei Sätzen von der Art "1+1=2" um Aussagen über die Wirklichkeit handelt, sondern dass mathematische Sätze sich auf abstrakte, gedachte "Einheiten" beziehen. Diese Einheiten können völlig irreal sein, z. B. die Bewohner der Insel Paragoa (die ich mir gerade ausgedacht habe). Der Satz "5 Paragoaner + 4 Paragoaner = 9 Paragoaner" sagt nichts über die Beschaffenheit der Wirklichkeit aus.

Allerdings können mathematische Modelle, wie auch andere theoretische Modelle, empirisch interpretiert werden, indem bestimmte reale und unterscheidbare Objekte (z. B. Kirschen) als die jeweiligen Einheiten definiert werden und die Rechenoperationen empirisch interpretiert werden, z. B. das Additionszeichen "+" als "hinzufügen" und das Subtraktionszeichen "-" als "wegnehmen".

Gelingt diese empirische Interpretation, dann lassen sich alle an den gedachten Einheiten gewonnenen Ergebnisse auf die realen Objekte übertragen,

Eine geniale Erfindung!    meint Eberhard.

- V
- eiweiss am 13. Jan. 2005, 19:15 Uhr

hi ebi,

ich war SELBSTVERSTÄNDLICH nicht nüchtern.
ich war und bin berauscht durch den denksaft deiner beiträge.

                       [smiley=circling.gif]

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 21:35 Uhr

Hi eiauwei,

hätte nicht gedacht, dass meine Beiträge derart antörnen.

- V
- taciturnity am 13. Jan. 2005, 21:44 Uhr

Hallo Zusammen :)



Zitat:

Und innerhalb dieses Rahmens hat das Individuum Entscheidungsfreiheit, und das System Mensch hat von allen lebenden Systemen den höchsten Freiheitsgrad. Deshalb sind die Handlungen des Einzelnen relativ schlecht berechenbar. Der Einzelne ist jedoch in ein System höherer Ordnung eingebunden. Also wir in den Staat. Und das Summenergebnis der Einzelentscheidungen ist bedeutend besser berechenbar.



Mit Nichten - wie soll die Summe aus einer Menge undeterminierbarer Größen zu berechnen sein? Nicht nur das unerfassbar viele Faktoren bereits bei einer kleinen Menge an Individuen dem Summenergebnis ihrer Einzelentscheidungen von vorn herein die Basis zur Determinierbarkeit entziehen; letztendlich ist ja schon die Durch kontinuierliche Beobachtung von Teilphänomenen eines Systems gewonnene Menge an Determinanten in dem Augenblick schon für keine Hochrechnung der Welt mehr zu gebrauchen, in dem man sie ihres kausalen Zusammenhangs entbindet.
Beispielsweise kann ich aufgrund der Wetteraufzeichnungen der letzten 200 Jahre (länger gehen lückenlos geführte Metereologiedaten nicht zurück) und der Entwicklung, die ich in ihnen lese auf Klimaphänomene schließen, die sich meinetwegen erst in 50 abzeichnen werden. Klar, kann ich das - aber darf ich das auch? Ist das Zeitfenster der Beobachtung nicht viel zu schmal gewählt für ein System von den Ausmaßen unseres globalen Klimas?
Nun mag der eine oder andere aufschreien und sagen: Wir können aber noch viel weiter zurückschauen - wir können anhand einer Kernlochbohrung aus dem Eis der Antarktis schauen, wie sich das Klima in den letzten 40000 Jahren gewandelt hat - nix 200 Jahre...
Nun gut, im ersten Fall sprach ich über Aufzeichnungen vieler über die Welt verstreuter Wetterakademiker und im zweiten Fall über die spektralanalytische Auswertung von Substanzen im Schmelzwasser eines Stückchens unterirdischen Gletschers und dem großen Paralogismus, der uns dann aus diesem Pfützchen das Klima der letzten 40000 Jahre zaubern lässt.
...


Zitat:

Also: was ein System Staat macht oder machen wird, ist sehr einfach vorherzusagen, genauso, wie es nahezu unmöglich ist, den Aufenthaltsort eines Wassermoleküls schon für 1 Minute zu berechnen, aber sehr leicht ist, die Flussrichtung der Wassermenge in einem Fluß für Jahrtausende vorherzusagen. Zu letzterem benötige ich nicht einmal eine Wissenschaft.



Die Kinematographie eines Wassermoleküls in freier Wildbahn, wird schon deshalb unmöglich für die Dauer einer Minute zu berechnen sein, weil man (auch nochmal passend zum ersten Absatz) alle Umgebungsvariablen mit einkalkulieren müsste, die das Molekül in seiner Bewegung beeinflussen, was immer gößere Kreise ziehen wird, bis hin zum Beobachter selbst.
Auch die Minute verschafft uns keinerlei Halt des Kontrollier-, Erfass-, oder Determinierbaren. 60 Digits reichen nicht, sie sind nochmals unterteilt in 1000, die dann wieder in 1000 und die dann wieder...Milli-, Mikro-, Nano-, Piko-, Femto-, Atto-, Zepto-, und Yoktosekunden und wenn man in diese Bereiche mit Messungen vorzudringen vermag, würden sich einem wahrscheinlich weitere 'Wunder' offenbaren, die man Messtechnisch erfassen müsste.

Die Flußrichtung des Flusses wirst Du aber auch nur aus Beobachtungen ableiten können und die sind halt für Dein Beispiel in der Geographie und Physik dokumentiert - ohne dieses Wissen, wärest Du nicht zu einer Vorhersage auf Jahrtausende fähig.

Und die Zielvorgabe unserer genetischen Basis folgt, glaube ich, viel bescheideneren Zielen: Überleben - alles andere ist zweitrangig und beim modernen Menschen hinzu- und abschaltbar.

Gruß,
Thomas.

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 23:11 Uhr

Hallo Thomas t.,
sehr schön, dass Du Dich hier eingeklinkt hast.
Ich vermute, Du rechnest zu viel mit Hilfe Deines Kopfes. Wenn ich von rechnen oder von Berechnungen rede, meine ich die biologische Rechenweise ohne Hirn. Die Biologie rechnet mit Erfahrung. Wenn ich Einzeller wäre, von dessen Nachfahren in 1 Stunde 999 Individuen als Futter für andere Tiere dienen, muss ich in dieser Stunde für 1000 Nachfahren sorgen. Dem Einzeller, dem das gelingt, gehört die Zukunft, die anderen müssen sich von der Erde verabschieden. Die Methode, die zu 1000 Nachfahren in 1 Stunde führt, wird genetisch immer weiter vererbt. Dazu braucht die Natur keine Kopfmathematik. Aber die Rechenweise hat sich durchgesetzt.
Von einem menschlichen Individuum, dessen Fühlen und Denken ich nicht kenne, kann ich schwer vorhersagen, welche Sorte von Erfrischungsgetränk es beim nächsten Einkauf auswählt. Kenne ich den Typ, ist meine Vorhersage zuverlässiger. Bei einem Kollektiv von 1 Million Leute brauche ich keinen zu kennen und kann vorhersagen, dass 450000 Personen Coca-Cola wählen. Das ist die Berechnung des Handelns eines Systems lebender Systeme höherer Ordnung. Um das berechnen zu können, brauche ich nur zählen zu können. Die Werbeindustrie kann das sehr gut und kann sich in etwa ausrechnen, mit welchem Geldeinsatz für Werbung das Verhalten des Kollektivs sich dahingehend ändert, dass in Zukunft 1% mehr das umworbene Produkt kaufen.
Ich befürchte jedoch, dass unsere Diskussion über Berechenbarkeit von Handlungen lebender Systeme die hiesige Diskussion über Wahrheit eher stört, entschuldige mich und schließe.
Mögen die Wahrheitsinteressenten weiter über die Wahrheit anhand von Objekten diskutieren, die ihren Aufenthaltsort nicht aus eigener Kraft ändern.
Gruß
rudi

- V
- jacopo_belbo am 13. Jan. 2005, 23:58 Uhr

hallo eberhard,

vielen dank für deinen hinweis, doch wieder zur diskussion zurückzufinden. ich hoffe immer noch, dass die lieben kollegen auf deinen hinweis eingehen, und sich nicht allzusehr in -in meinen augen- sekundären problemen verlieren; auch wenn es allzu verlockend erscheint.

allerdings habe ich mit den 9 von dir aufgestellten sätzen so meine liebe not. nicht mit den sätzen an sich, sondern in verbindung mit dem, was du einige sätze weiter oben als thematische frasge formuliert hast:


Zitat:

Gibt es synthetische Urteile (also nicht-analytische Aussagen, die nicht per Definition wahr sind wie "Schimmel sind weiß" ), deren Wahrheit a priori (also von vornherein und ohne Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung) feststeht?



dazu deine sätze -ich zitiere, damit man nicht ständig zurückgeblättert werden muss-

Zitat:

1.  Es gibt mich.
2.  Ich kann einen Satz formulieren.
3.  Es gibt eine Welt.
4.  Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit.
5.  Es gibt Veränderung in der Welt.
6.  Es gibt Dauerhaftigkeit in der Welt.
7.  Jede Veränderung hat eine Ursache.
8.  Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen.
9.  1 + 1 = 2.

"1+1=2" ist zwar ein synthetischer satz -nach kant- aber er bezieht sich nicht in jedem falle auf die wirklichkeit - es sei denn man akzeptiert, dass es eine wirklichkeit der zahlen gibt, bzw. dass zahlen als entitäten irgendwie irgendwo existieren. satz 9 scheidet unter der voraussetzung, dass zahlen keine entitäten sind, aus.
alle anderen sätze finde ich problematisch in die kategorisierung "a priori" und "synthetisch" einzuteilen.
der satz 1 "es gibt mich" ist keine wahrheit a priori - in dem sinne, dass es mich notwendigerweise geben müßte. er ist eher eine art "aposteriori" -wahrheit: nachdem es mich nun einmal gibt, kann ich diesen satz aufstellen, bzw. können andere über mich aussagen treffen.
ebenso satz 2,3,5,6.
die sätze 4,7,8 sind sätze die ebenfalls die erfahrung von der welt voraussetzen, um ihnen wahrheit zuschreiben zu können.

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 14. Jan. 2005, 08:29 Uhr

Hallo Thomas J,

arbeiten wir weiter an unserer Fragestellung.

Die Frage, um die es mir in meinem letzten Beitrag ging, war:

Gibt es Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die unabhängig von unserer Wahrnehmung als wahr zu kennzeichnen sind?

Ob dies dasselbe ist, was Kant mit "synthetischen Urteilen a priori" meint, lasse ich mal offen.

Wenn es Fragen gäbe über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die wir beantworten könnten, ohne Bezug nehmen zu müssen auf unserer Wahrnehmung, dann wäre das hinsichtlich des Wahrheitskriteriums von großer Bedeutung. Dann stellt sich die Frage, woran wir bei derartigen Aussagen ihre Wahrheit erkennen können.

Eine Antwort hierauf wäre: Es handelt sich um Aussagen, die "notwendig" sind.

Aber notwendig wofür? Für das Denken? Aber was heißt "denknotwendig" ?

Heißt das: Man muss diese Aussage für wahr halten, um überhaupt irgendwelche Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit machen zu können?

Nehmen wir den Satz: "Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit". Oder anders ausgedrückt: "Alles was wirklich geschieht, geschieht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort."

Muss man diesen Satz als wahr anerkennen unabhängig und vor jeglicher Wahrnehmung?

Um den Sinn der Worte "was wirklich geschieht" verstehen zu können, muss man den Sinn des Wortes "Wahrnehmung" kennen. Und Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches  nebeneinander von Sinneseindrücken.

Insofern sind die Dimensionen von Raum und Zeit offenbar in dem Begriff der Wahrnehmung enthalten und der Satz "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" ist nicht wahr unabhängig und vor jeder Wahrnehmung.

Allerdings ist der Satz: Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber keine Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Oder?

Fragen über Fragen. Es grüßt dich Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 14. Jan. 2005, 09:33 Uhr

Hallo Eberhard!


Zitat:

Um den Sinn der Worte "was wirklich geschieht" verstehen zu können, muss man den Sinn des Wortes "Wahrnehmung" kennen.


Das leuchtet mir nicht ganz ein. Besser würde ich verstehen, dass man Wahrnehmungen GEHABT haben muss, um mit dem Begriff eines "wirklichen Geschehens" etwas anfangen zu können.


Zitat:

Und Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches  nebeneinander von Sinneseindrücken.


Unter "Wahrnehmung" verstehe ich etwas anderes als Sinneseindrücke. Sinneseindrücke können unbestimmt sein. Das kommt eher selten vor, etwa wenn wir etwas sehen, ohne zu wissen, was es ist (wenn uns also ein Begriff, eine Einsortierung dafür fehlt). Aber solche Vorkommnisse zeigen an, dass es gewissermaßen Sinneseindrücke "ohne Sinn" geben kann. Und in solchen Momenten sind wir auch unsicher, ob wir uns nicht täuschen. Eine solche Unsicherheit verträgt sich nicht mit dem Begriff einer "Wahrnehmung", in dem unübersehbar der Bezug auf "Wahrheit" steckt.

Das Wahrnehmen, denke ich, ist wohl immer ein "Realisieren" von Etwas, d. h. eines so und so Bestimmten oder zumindest Bestimmbaren. Und zum Bestimmen gehören Begriffe. Wenn wir "etwas" wahrnehmen, können wir auch irgendwie sagen, WAS dieses etwas ist. Und ein solches WAS hat in der Regel auch einen gewissen Bestand in der Zeitfolge der Sinneseindrücke.
Selbst wenn wir auf dem Fahrrad sitzen, und ein dunkles Etwas brummt (mit Doppler-Effekt) dicht an unserem Kopf vorbei, gehen wir davon aus, dass es sich um ein fliegendes Insekt handelt, das sowohl da war, bevor wir es hörten/sahen, und das auch nach unseren flüchtigen Eindrücken weiter vorhanden sein wird.
Bei "namenlosen", nicht einsortierbaren Sinneseindrücken bleibt unklar, ob überhaupt ein unabhängiges Etwas "dahinter" steht, ob wir also das in den Sinnen Erscheinende von uns selbst "ablösen" oder unterscheiden können.

Wahrnehmung, denke ich, hat die Struktur des Etwas-ALS Etwas-Wahrnehmens.



Zitat:

Insofern sind die Dimensionen von Raum und Zeit offenbar in dem Begriff der Wahrnehmung enthalten und der Satz "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" ist nicht wahr unabhängig und vor jeder Wahrnehmung.


Der BEGRIFF der Wahrnehmung ist etwas anderes als Wahrnehmungen selbst. Das wird in Deinem Satz nicht klar. Ein Satz ÜBER DIE Wahrnehmung - also ihre allgemeine Struktur - kann zwar schlecht geäußert werden, ohne dass man jemals Wahrnehmungen hatte; aber so ist das Kant'sche "Apriori" auch nicht gemeint. Sehr wohl kann man etwas darüber aussagen, was ALLEN Wahrnehmungen gemeinsam ist, ohne dabei von konkreten einzelnen Wahrnehmungen (plural) zu sprechen. Solche Aussagen über die Struktur DER Wahrnehmung (singular) erfassen etwas "Konstitutives", das allen einzelnen Wahrnehmungen "zugrundeliegt".
Räumlichkeit und Zeitlichkeit gehört ebenso zu den konstitutiven Momenten von "Wahrnehmung überhaupt" wie - nach meiner Ansicht - Begrifflichkeit (s.o.). Oder anders gesagt: Wenn - im einzelnen Fall - eines dieser Momente fehlte, würden wir nicht von einer "Wahrnehmung" sprechen (sondern z. B. von einer sinnlichen "Erscheinung" ).

Genau um diese Art von allgemeinen, strukturellen, "konstitutiven" Aussagen geht es in Kants "synthetischen Urteilen a priori".



Zitat:

Allerdings ist der Satz: Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber keine Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit.


Da stimme ich zu - wenn Du mit "Wirklichkeit" die Wirklichkeit der wahrgenommenen Gegenstände meinst. Allerdings ist es eine Aussage darüber, was "Wirklichkeit überhaupt" ausmacht. Denn die Wahrnehmung samt ihrer Räumlichkeit und Zeitlichkeit ist ja das, was unsere Wirklichkeit ÜBERHAUPT strukturiert.
Oder anders gesagt: Wir nennen etwas "wirklich", wenn es in Raum und Zeit wahrgenommen wird. d. h. Wahrnehmung in Raum und Zeit ist ein KRITERIUM, ein Konstituens dessen, was wir "Wirklichkeit" nennen.

Gruß
H.

- V
- oskar am 14. Jan. 2005, 09:46 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
am 15.11.2004 schriebst du

Zitat:

Dass dieser aufklärerische Hintergrund sich heute weitgehend aus den Naturwissenschaften verflüchtigt hat, dass naturwissenschaftliche Behauptungen (sic!) kursieren wie ehedem Glaubenssätze, dass "Wahrheit" verdinglicht wird zu einer Eigenschaft von Sätzen usw. - das mag wohl so sein.


Hier stehen zwei Aussagen, die du weder als wahr noch als falsch, sondern als "das mag wohl so sein" bewertest. Mich würde trotzdem interessieren, ob du sie für wahr oder falsch hältst und welche Gründe dafür sprechen, dass sie wahr sein könnten.
Gruß oskar

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 11:00 Uhr

Hallo Eberhard,
nun bin ich auf Umwegen doch wieder hier gelandet, was ich in Anbetracht des Umfangs dieser Erörterung vermeiden wollte. Nun gut. Da ihr gerade das Thema Wahrnehmung diskutiert, möchte ich doch etwas ergänzen, um Euch vor falschen Schlüssen zu bewahren.
Du stellst die Behauptung auf: Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches nebeneinander von Sinneseindrücken.
Das ist es nicht nur. Mir scheint, ihr reduziert Wahrnehmung auf die Verarbeitung optische Sinneseindrücke. Man hat aber gleichzeitig Sinneseindrücke aus verschiedenen Sinnesgebieten (Farben, Formen, Geruch, Oberflächenbeschaffenheit bei Berührung usw.). Die gleichzeitigen Daten aus verschiedenen Sinnesgebieten kommen dann irgendwann gesammelt im Großhirn an, aber: der Weg dieser Daten wird mehrfach unterbrochen in Hirnteilen, deren Tätigkeit unbewusst erfolgt, bevor sie in deinem Großhirn eine Wahrnehmung erzeugen, z. B. eine optische. Selbst diese anscheinend rein optische Wahrnehmung ist also bereits beeinflusst von Daten aus anderen Sinnesgebieten.
Das ist aber alles insofern Pipifax, als Du natürlich immer noch behaupten kannst, dass "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" nicht wahr ist.
Aber auch unwahre Sätze, auf die wir uns einigen können, beinhalten ja einen Erkenntnisgewinn, weil immerhin ihre Unwahrheit, ihre Negation, wahr ist.
Dass also alles, was wir vermittels unserer Wahrnehmung wahrnehmen, nichts Vollständiges über die Beschaffenheit der Wirklichkeit vermittelt und damit nicht wahr ist, darauf können wir uns wohl einigen, aber das ist auch nichts Neues.
Da ihr sehr auf die optische Wahrnehmung fixiert seid, möchte ich zum Schluss noch etwas ergänzendes dazu sagen:
Selbst der Erhalt optischer Sinneseindrücke durch das Auge (also zeitlich lange vor der optischen Wahrnehmung im Großhirn) ist ein aktiver Prozess und kein passives Hereinlassen von elektromagnetischen Wellen. Das Auge ist ständig in Bewegung. Die Pupillen machen ständig kleine schnelle Bewegungen, die man ohne Hilfsmittel gar nicht wahrnehmen kann. Das Auge tastet die Umwelt aktiv ab. Die biologische Aufgabe des Auges besteht darin, Objekte zu erkennen, die uns schaden oder nützen könnten. Schaden fügen uns eventuell unsere Fressfeinde zu, die uns nachstellen, nützen können uns unsere Beutetiere und natürlich unsere Sexualobjekte, die wir zur Fortpflanzung benötigen. Das Auge erkennt diese Objekte aus weiter Entfernung. Zur Erledigung dieser Aufgabe muss das Auge unterscheiden können, ob sich ein Objekt bewegt oder nicht. Deshalb tastet das Auge alle Objekte ständig ab um zu erkennen, ob es sich um ein ruhendes Objekt handelt oder ein sich bewegendes Objekt. Desweiteren ist entscheidend zu erkennen, Ob sich ein in Bewegung befindliches Objekt uns nähert oder sich von uns entfernt. Dazu ist das Auge da und diese Aufgaben erfüllt es.
Raum und Zeit sind also selbst für das Auge nur Hilfsmittel, erkannt werden müssen lediglich Unterschiede. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und beweglichem Objekt (was nicht einfach ist, da sich Blätter im Wind auch bewegen usw.), einem sich verkleinernden (sich entfernenden) und einem größer werdendem Objekt.
Deshalb schlage ich vor, nicht Raum und Zeit als Kategorien unserer Erkenntnis zugrunde zu legen, sondern das Erkennen von Unterschieden.
Das, was wir erkennen können und als wahr annehmen dürfen, sind Unterschiede.
Raum und Zeit sind lediglich Versuche Unterschiede zu beschreiben, in unserem Größenbereich zu kategorisieren. Wir können nicht wissen, ob Raum und Zeit wahr sind.
Aber wir können vergleichen. Wir können Gleiches als gleich erkennen und Ungleiches vom Gleichen Unterscheiden. Was das Gleiche tatsächlich, in Wirklichkeit, ist, darüber können wir keine sicheren Aussagen machen.
Die Aussagen aber: Objekt A ist gleich einem anderen Objekt, das wir bereits einmal wahrgenommen haben, oder: das Objekt A unterscheidet sich in Größe, Form, Farbe, seinem Geruch oder Größenveränderung, in seiner Bewegung von einem bereits bekannten Objekt. Derartige vergleichende Aussagen sind wahr.
Wir wissen nicht, was grün und was blau ist, aber wir wissen, dass grün etwas anderes ist als blau.
A=A ist das einzige, was wir als wahr annehmen können, das ist unsere einzige Konstante, völlig unabhängig davon, was dieses A eigentlich ist.
Das wäre meine Antwort auf die Frage, was wir wissen können.
Und auf dieser Antwort baue ich meine Philosophie auf.
Gruß rudi

- V
- taciturnity am 14. Jan. 2005, 18:09 Uhr

Hallo Rudi D.

Danke für die, wennauch nur schrittweise Offenbarung Deines biologischen Ansatzes der Wahrheitsfindung.
Lass mich versuchen, aus Deinem letzten Post und aus dem, was Du ein paar zeilen vorher geschrieben hast, mein kleines Kondensat zu gewinnen:

Wir Menschen als kognitive Wesen, unterliegen in der Zuteilung unseres persönlich erfahrbaren oder vorstellbaren Wahrheitsspektrums einem Strang aus aneinandergereihten Aminosäureschlüsseln.
Wenn ich in ihm die vorerst alleinige Basis für unser Bewusstsein annehme, und als Bewusstsein z. B. die Fähigkeit verstehe, nicht nur Unterschiede wahrnehmen zu können, sondern diese auch in Relation zu sich selbst zu setzen, statte ich das ebenfalls von Dir erwähnte kybernetische Prinzip des/der Regelkreise(s) unseres Körpers mit einer Menge von Asymptoten aus, die dem genetischen Code als "vorgedachte" Richtwerte enthalten sind.

Gruß,
Thomas.

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 19:36 Uhr

Hallo Thomas t.,
Ich möchte die Diskussionsrunde hier nicht mit Repliken auf unser genetisches Gedächtnis nerven und will nur kurz sagen, dass Du mich da richtig verstanden hast: ich halte den genetischen Code für eine Art von Abbildung der Realität.
Im meinem letzten Beitrag sprach ich allerdings von den Erkenntnismöglichkeiten unseres Hirns, die ebenfalls mit einer Speicherfähigkeit zusammenhängt. Das Erkennen einer Differenz setzt voraus, dass ich ein Bild behalte, damit ich es mit einem anderen vergleichen kann. Deshalb sind diese Speicherfähigkeit in Verbindung mit der bildgebenden Funktion die Voraussetzung für das Erkennen von Unterschieden.
Mit unserem Hirn und unserer Wissenschaft erkennen wir immer mehr Unterschiede. Wir erfahren jedoch nichts über die Inhalte, über das Was.
Gruß
rudi (wenn schon, dann rudi z., nämlich Zimmerman - macht nichts. Aber schau doch mal unter Sozialphilosophie, Fragen an die Philosophie lebender Systeme. Da ist Dein Anliegen vielleicht besser aufgehoben)

- V
- Dyade am 14. Jan. 2005, 20:11 Uhr

Nabend zsamn,

Hallo Doc,

wenn ich deine Erleuterungen im - Heute 11:00 Uhr lese fühle ich mich in jenes Kino zurück versetzt indem ich vor Jahren Woody Allens Film "Alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten" gesehen habe. Da sitzen in einer Szene, im Gehirn eines Menschen, ebenso wie an den Sinnesorgane und an allen anderen wichtigen Organen, jeweils kleine Menschen und verrichten ihre Arbeit. Im Gehirn wird nur alles koordiniert. Jeder dieser Menschen ist mehr oder weniger ein kleiner Entscheider, ein kleiner Handelnder, ein kleiner Erkennender.  

Diese Szene erklärt für mich am besten dein Weltbild. Denn du schreibst ja selber: "... Das Auge erkennt diese Objekte... ""... muss das Auge unterscheiden können... ""... Deshalb tastet das Auge alle Objekte ständig ab... ""... Raum und Zeit sind also selbst für das Auge nur Hilfsmittel... "

die Fragen um die es hier in der Diskussion wirklich geht, hast du nicht verstanden. Du verlagerst in deinen Beschreibungen lediglich alle fraglichen Themen in "das Auge" (es könnte auch das Ohr, die Haut, die Nase, die Zunge sein). Die sind es jetzt die "erkennen, unterscheiden, tasten" und "Hilfsmittel" benutzen.

sehr seltsam!   [embarrass]

Grüße
Dy  [cool]

- V
- Eberhard am 14. Jan. 2005, 20:23 Uhr

Hallo allerseits,

Ist Wahrnehmung tatsächlich immer an Raum und Zeit gebunden? Sind Raum und Zeit notwendige Formen der Wahrnehmung? Gehören Räumlichkeit und Zeitlichkeit zu den konstitutiven Momenten jeder Art von Wahrnehmung?

Machen wir mal einige zugegebener Maßen extreme Annahmen:

Denken wir uns Wesen, deren einziges Auge auf ein sich gleich bleibendes Bild fixiert wäre und die keine anderen Wahrnehmungen hätten. Dann wäre dies wohl eine zeitlose Wahrnehmung. Die Frage: "Wie lange schaust Du schon auf das Bild?" wäre sinnlos.

Oder denken wir uns Wesen, die sich nicht bewegen können und die außer ihrem Geruchssinn keine andere Wahrnehmung haben. Solche Wesen hätten dann wohl auch keine Raumvorstellung. Die Frage: "Wo riecht es nach Lavendel?" wäre für sie sinnlos.

(Aber in solchen Welten könnte es wohl auch keine Fragen  geben.)

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- eiweiss am 14. Jan. 2005, 22:08 Uhr

hallo eberhard !

mein bier ist alle.
deswegen brauch ich mal wieder ne berauschende antwort von dir [smiley=biglaugh.gif]

also mal spaß beiseite [smiley=box.gif]

um deine fragen zu beantworten:

verstehst du unter wahrnehmung die physiologische "wahrnehmung" ?

also sehen, hören, riechen, schmecken ?

auch sensibilität ? (oberflächen- und tiefensensibilität (propriozeption),  interozeption (" inneres milieu",unbewußt))

mfg

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 22:37 Uhr

Hallo Dyade,
was soll denn das?
Eberhard hat doch die richtigen Fragen gestellt und die richtige Antwort gegeben.
Ich zitiere: "Gibt es Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die unabhängig von unserer Wahrnehmung als wahr zu kennzeichnen sind?" Zitat Ende
Kurze Antwort: Nein!
Und warum können wir nicht die Wahrheit erkennen? Weil wir keinen direkten Kontakt zu unserer Umwelt haben wie der Einzeller, sondern weil dieser über unsere Sinnesorgane vermittelt wird.
Willst Du die Ergebnisse der Sinnesphysiologie negieren? Bitte schön, tu das. Dann betrittst Du den Boden der Spekulation.
Diese aktive Beschäftigung unseres Auges mit unserer Umwelt kann man versuchen, auszuschalten. Klar Eberhard (#110). Was Du da beschreibst, wird längst praktiziert. Das nennt sich Zen-Meditation. Da gibt es auch andere Meditationsmethoden. Zen-Meditation habe ich vor 30 Jahren von Pater Lasalle erlernt, einem katholischen Priester, der das aus Japan mitgebracht hat.
Wenn Du das praktizierst, nimmst Du Kontakt zu Deinem Innenleben auf. Darauf will eiweiss wohl hinaus. Na klar, eiweiss, für Dein Bewusstsein sind die Meldungen Deiner Propriorezeptoren gleichbedeutend mit denen Deiner Sinnesorgane. Die Welt Deines Körpers ist für Dein Selbst genauso Außenwelt wie die Welt außerhalb Deines Körpers. Und was in Dein Bewusstsein dringt, ist ein Gemisch von beidem, dass von Deinen unbewussten Hirnteilen bereits verarbeitet wurde. Was Du ins Bewusstsein kriegst, in Deine bewusste Wahrnehmung, ist nie ein direktes Abbild Deines Körpers oder Deiner Außenwelt, sondern stets Kunstwerk, geschaffen von Deinem Unbewussten.
Gruß
rudi

- V
- Verena am 14. Jan. 2005, 22:45 Uhr


on 01/14/05 um 19:36:47, doc_rudi wrote:

Hallo Thomas t.,
Das Erkennen einer Differenz setzt voraus, dass ich ein Bild behalte, damit ich es mit einem anderen vergleichen kann. Deshalb sind diese Speicherfähigkeit in Verbindung mit der bildgebenden Funktion die Voraussetzung für das Erkennen von Unterschieden.



Hallo Rudi,
meinst du wirklich, dass (Wieder-)Erkennen so funktioniert?
1. gleicht doch kein Bild (Ansicht von etwas) dem anderen - prinzipiell sind also alle Bilder voneinander unterschieden. Wie können wir trotz evtl. vollkommen verschiedener Ansichten, diese differenten "Bilder" demselben Gegenstand zuordnen? Und wie ist dieser Gegenstand - auch als Bild?
2. Wenn wir Bilder zwecks Erkennung von Identität oder von Unterschieden reproduzieren - wie unterscheiden wir das reale gesehene Bild (oder den gehörten Klang) von dem reproduzierten Bild (oder Klang). Dies müssen wir ja, da es sonst ein undifferenziertes Chaos vergangener sinnl. Eindrücke (Bilder, Töne) und gegenwärtiger Eindrücke gäbe.
[ZB wichtig bei der Konzeption von visuellen Abläufen (akkustisch: Melodie) als Vorstellung einer "Sequenz von Bildern" (Tönen) - was ja s.o. nicht sein kann.]

3. Würde ein derartiges Verfahren der Bildspeicherung (zwecks Unterscheidung oder Wiedererkennung) die "Speicherkapazität" unseres Gehirns nicht hoffnungslos überlasten?

Gruß
Verena

- V
- Hermeneuticus am 14. Jan. 2005, 22:52 Uhr

Hallo Eberhard, hallo Dy und Rudi!

Über "jede Art von Wahrnehmung" zu spekulieren, ist wohl müßig. Wir kennen eben nur die Wahrnehmung, die wir selbst haben. Zwar lassen sich Vermutungen darüber anstellen, wie z. B. Katzen, Hunde, Tiefseefische, Polypen... "die Welt wahrnehmen" mögen. Aber dabei gehen wir doch immer von dem uns einzig Bekannten aus.

Wichtig ist bezüglich der Wahrnehmung besonders ein Punkt: Sie lässt sich nicht "von außen" angemessen beschreiben, sondern ist uns immer nur durch den eigenen Vollzug bekannt. Sinnesphysiologie, Gehirnforschung usw. mögen zwar beschreiben, wie Sinneswahrnehmung "funktioniert" - nämlich dann, wenn man sie in Analogie zu von uns hergestellten, zweckdienlichen "Werkzeugen" rekonstruiert. Bekanntlich bringen aber solche Beschreibungen "von außen" niemals Wahrnehmungen hervor.

Die Vollzüge unserer Wahrnehmung - ebenso wie etwa die Vollzüge unseres Denkens und Sprachverstehens - lassen sich nur phänomenologisch in ihren Strukturen erfassen - oder man könnte auch sagen: nur aus der "Teilnehmerperspektive". Diese Teilnehmerperspektive ist nicht zu überspringen, weil letztlich auch jede wissenschaftliche Beschreibung, jedes Experiment, jede Computersimulation... wieder auf unsere ursprüngliche Wahrnehmung und unser ursprüngliches Verstehen zurückgeführt werden muss.  

Dyades Argument gegen Rudis Darlegungen trifft daher ins Schwarze.


Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 23:21 Uhr

Hallo Verena,
(Hermeneuticus: was da ins Schwarze trifft, musst Du mir erläutern, ich habs nicht kapiert)
Deine Frage lautet: "Wie können wir trotz evtl. vollkommen verschiedener Ansichten, diese differenten "Bilder" demselben Gegenstand zuordnen?"
Meine Antwort: wir können das, weil wir in jedem Moment normalerweise 2 optische Bilder von jedem Gegenstand haben. Wir haben 2 Augen und bekommen daher in jedem Moment von jedem Objekt 2 Bilder, die wir unbewusst zu einem Objekt fusionieren.
Deine Befürchtung, dass wir mit der Summe der Sinneseindrücke überfordert sind, ist berechtigt. Deshalb dringt auch nur ein geringer Bruchteil der Sinneswahrnehmung in unser Großhirn. Von den Sinnesdaten, die in unser Hirn treffen, gelangt lediglich 1% in unser Großhirn. Die Aufgabe unserer unbewussten Hirnteile (z. B. Thalamus) besteht darin, die Datenmenge zu reduzieren.
Dein Hinweis auf die Akustik, auf die Musik, ist genial. Musik ist nämlich unnatürlich, ein Produkt des menschlichen Geistes. Eine vom Menschen geschaffene Welt. Wie die Sprache. Wenn wir nämlich optische Wahrnehmung kommunizieren, wandeln wir damit elektromagnetische Wellen in Schallwellen um. Schon das zeigt, dass Sprache und Denken in Sprachform nicht die Wirklichkeit adäquat darstellen, sondern nur symbolisieren kann.
Wie sollen Schallwellen geeignet sein, elektromagnetische Wellen zu beschreiben?
Gruß und herzlichen Dank
rudi

- V
- gershwin am 15. Jan. 2005, 00:00 Uhr

Hallo Leute
Ich kann leider nicht mehr weiter an dieser Diskussion teilnehmen. War aber sehr nett mit Euch, vorbildliche Streitkultur.
Tschau
Thomas

- V
- taciturnity am 15. Jan. 2005, 02:18 Uhr

Nabend Miteinander und nabend Rudi.



Zitat:

Na klar, eiweiss, für Dein Bewusstsein sind die Meldungen Deiner Propriorezeptoren gleichbedeutend mit denen Deiner Sinnesorgane. Die Welt Deines Körpers ist für Dein Selbst genauso Außenwelt wie die Welt außerhalb Deines Körpers. Und was in Dein Bewusstsein dringt, ist ein Gemisch von beidem, dass von Deinen unbewussten Hirnteilen bereits verarbeitet wurde. Was Du ins Bewusstsein kriegst, in Deine bewusste Wahrnehmung, ist nie ein direktes Abbild Deines Körpers oder Deiner Außenwelt, sondern stets Kunstwerk, geschaffen von Deinem Unbewussten.



Um den Radikalkonstruktivismus zu komplettieren, sei noch hinzugefügt, dass man mit dem Bau der Realität äußerst dynamisch verfährt.
Zum einen sind da die in die Camera Obscura unseres Auges einfallenden Daten aus elektromagnetischen Wellen, die im Augenblick der die (unbewusste/passive) Perzeption durch die (bewusste/aktive) Rezeption ablöst, bereits zu assoziativen Patchworks aus mannigfaltig kommunizierbarer Information geronnen sind.
Informationsgewinn durch Wissensabgleich an dem, was die mehr oder weniger feinmotorische Kybernetik hat übrig gelassen. Ist information dann einmal geronnen, kann sie, insofern sie einen Unterschied zum Wissen macht, wiederum zu solchem werden und zwar schon Sekundenbruchteile nach anbrechen der Perzeption, bis auch sie dann irgendwann zum Abgleich herhalten wird oder vielleicht noch im gleichen Augenblick, als rekursive Versicherung der eigenen Wahrnehmung, diesen Prozess dynamisiert.

Zieht der Konstruktivismus die Idee einer Wahrheit in Betracht - wenn ja, welcher? :D

Gruß,
Thomas.    

- V
- Hermeneuticus am 15. Jan. 2005, 13:41 Uhr

Hallo Rudi!

Dein Ansatz behandelt z. B. unsere Wahrnehmungen wie Naturgegenstände, die sich in sofern "von außen" beschreiben lassen, als sie von "uns" klar unterschieden sind. Was man gewöhnlich "Natur" nennt, ist Seiendes oder sind Prozesse, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten, die nicht nur unserem Einfluss entzogen, sondern die auch von "uns", den Beobachtenden, verschieden sind.

In dieser "naturalisierenden" Weise sprichst Du z. B. von den Augen oder dem Gehirn und dem, was sie "tun", wie sie funktionieren usw. d. h. Du betrachtest sie als Entitäten, die unabhängig von unserem Einfluss, also gewissermaßen "von selbst" etwas leisten oder hervorbringen. Aber zugleich sprichst Du von einem Standpunkt aus (" ich", "wir" ), der  irgendwie von der Ebene des Beobachteten verschieden ist. Und da fragt sich doch, wer die unabhängigen Beobachter - also "wir" - denn wohl sind und wo sie in der von Dir beschriebenen Wirklichkeit eigentlich vorkommen.

Dein Ansatz, der "unsere" Sinne oder "unser" Gehirn als etwas von "uns" Abgetrenntes meint angemessen und vollständig glaubt beschreiben zu können, sorgt dafür, dass "wir", als diejenigen, die Augen und Gehirne "haben" und in ihrer Tätigkeit und Beschaffenheit beschreiben, als etwas von dieser beobachteten Realität Verschiedenes gedacht werden müssen. "Wir", als die Beobachtenden, sind kein Teil dieser Naturwirklichkeit. Wohl sind es unsere Augen, die "uns" optische Eindrücke verschaffen, und wohl ist es unser Gehrin, das daraus ein Bild der Wirklichkeit für "uns" herstellt. Aber das Betrachten dieses von den Augen und vom Gehirn hergestellten Bildes - einen Vorgang, den man "Perzeption" nannte - scheint an einem anderen "Ort" stattfinden zu müssen.

Schon Leibniz hat diesen Effekt einer naturalisierenden Beschreibung der Sinneswahrnehmung in einem Bild charakterisiert. In seiner "Monadologie" heißt es im § 17:


Zitat:

Man muss ferner notwendig zugestehen, dass die Perzeption und was von ihr abhängt, aus mechanischen Gründen, d.h aus Gestalt und Bewegung, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, deren Einrichtung so beschaffen wäre, dass sie zu denken, zu empfinden und zu perzipieren vermöchte, so kann man sie sich unter Beibehaltung derselben Verhältnisse vergrößert denken, sodass man in sie wie in eine Mühle eintreten könnte. Untersucht man alsdann ihr Inneres, so wird man in ihm nichts als Stücke finden, die einander stoßen, niemals aber Etwas, woraus man eine Perzeption erklären könnte."



Leibniz zog daraus die Konsequenz, dass man Perzeptionen - und ebensowenig die "Subjekte", die da perzipieren - nicht angemessen als etwas Zusammengesetztes, Mechanisches beschreiben könne.

Das Perzipieren jener "Informationen" oder "Bilder", die von unseren Sinnen und unserem Gehirn beschafft oder hergestellt werden, verlangt nach einer Beschreibung, die es nicht von "uns" ablöst. Eine solche Beschreibung, die sich auf der Perzeptionsebene hält, nennt man auch eine "phänomenologische". Wichtig ist: Man kann sie nicht als eine "bloß subjektive" charakterisieren - also im Unterschied zur "objektiven", naturalsierenden Beschreibung. Denn, wie gesagt, auch jene naturalisierende Beschreibung und ihre Resultate müssen ja irgendwann einmal von "uns" perzipiert und verstanden werden.

Übrigens geht es den Gehirnforschern oder den KI'lern (KI = künstliche Intelligenz) auch heute nicht anders als wie mit Leibniz' Mühle. Die "Stücke", die in ihren Modellen "einander stoßen", sind etwas kleiner geworden als die Teile einer Mühle. Aber die Forscher können nach wie vor nicht sagen, wie die beobachteten Vorgänge und Strukturen mit den effektiven Perzeptionen zusammenhängen.
M.E. liegt das an den unterschiedlichen Begriffen und Modellen, die jeweils verwendet werden, wenn man einmal vom Ich und seinen Handlungen, Wahrnehmungen, Gedanken usw. spricht und andererseits von Vorgängen und Strukturen, die nach dem Modell von Maschinen beschrieben werden. Naturalisten wie Du glauben, die mechanischen Beschreibungen erfassten DASSELBE wie das, was "wir" tun, denken, wahrnehmen, handeln usw. Aber es ist nicht dasselbe. Wenn Du die Bedeutungen der dabei jeweils verwendeten Begriffe untersuchst, wirst Du feststellen, dass sie verschieden sind.

Auch dies ist eine Erläuterung jenes dunklen "transzendentalen" oder "konstitutionstheoretischen" Ansatzes der Erkenntnistheorie. Begriffe und Modelle, die man zur Beschreibung von Sachverhalten verwendet, MODELLIEREN diese Sachverhalte "a priori". d. h. die einzelnen empirischen Aussagen, die innerhalb eines solchen Modells getroffen werden können, sind von diesem Modell abhängig. Leibniz' Argumentation ist in diesem Sinne eine "transzendentale". Sie zeigt, dass das mechanische Erklärungsmodell begrenzt ist und einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit GRUNDSÄTZLICH niemals zu fassen bekommt.



Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 15. Jan. 2005, 15:45 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
herzlichen Dank für Deine Erklärung.
Ich glaube, Du hast meine naturalistischen Ausführungen zur Sinnesempfindung missverstanden, jedenfalls trenne ich die Sinnesempfindungen von der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung, die wir schließlich haben, ist etwas völlig neues und unerklärliches.
Leibniz sagt auch (Monadologie §64): "Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche."
Unsere Wissenschaften können uns selbstverständlich lediglich immer mehr Details über diese Maschine verraten und damit Einzelheiten über unsere Sinnesempfindungen mitteilen. Der letzte Sprung zur Wahrnehmung (Perzeption), also zu unseren bewussten Vorstellungen, unserer geistigen Welt ist ein Geheimnis, das ich nicht zu lüften vermag.
Ich kann nur sagen, dass das, was ich wahrnehme, von den Verarbeitungsmechanismen dieser Sinnesapparaturen abhängig ist und eben nicht die Schlussfolgerung erlaubt, dass es wahre Aussagen über die Wirklichkeit gestattet.
Ich bleibe also bei meiner Aussage, dass ich lediglich erkennen kann, dass A etwas anderes ist als B, aber nicht weiß, was A ist.
Gruß
rudi

- V
- Hermeneuticus am 15. Jan. 2005, 18:05 Uhr

Hallo Rudi!
on 01/15/05 um 15:45:50, doc_rudi wrote:

Ich glaube, Du hast meine naturalistischen Ausführungen zur Sinnesempfindung missverstanden, jedenfalls trenne ich die Sinnesempfindungen von der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung, die wir schließlich haben, ist etwas völlig neues und unerklärliches.


Was bedeutet "unerklärlich" ?
Wenn man die naturwissenschaftliche Art des Erklärens für die einzig mögliche hält, dann werden unsere Wahrnehmung, unser Selbstbewusstsein, unser Handeln - kurz unsere gesamte lebensweltliche Vertrautheit mit uns und unserer Umgebung zu etwas Geheimnisvollem und Fremden. Dabei lässt sich sehr vernünftig über solche vertrauten Angelegenheiten und Vollzüge sprechen und nachdenken. Hier muss keineswegs die Vernunft mit den Achseln zucken und einpacken.

Aber nicht nur das: Es ist doch schlichtweg eine Tatsache, dass unsere lebensweltliche Vertrautheit mit uns, unseresgleichen und unserer Umgebung unser PRIMÄRES In-der-Welt-Sein ist. Der wissenschaftliche Blick auf uns selbst ist ein sekundärer und - wie wir sehen, ein merkwürdig verfremdender. Das Vertrauteste wird zum Mysterium...

Irrational finde ich gerade eine solche Ansicht.


Zitat:

Leibniz sagt auch (Monadologie §64): "Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche.
Unsere Wissenschaften können uns selbstverständlich lediglich immer mehr Details über diese Maschine verraten und damit Einzelheiten über unsere Sinnesempfindungen mitteilen.


Der "Körper" und seine "Organe" (organon = Werkzeug) lassen sich durchaus nach dem Modell der Maschine betrachten. Aber man muss sich dabei im Klaren darüber sein, dass WIR diejenigen sind, die überhaupt Maschinen bauen. Und nach dem Vorbild dieser von uns selbst hergestellten Konstruktionen lassen sich dann auch lebendige Strukturen und Funktionen untersuchen.
Hier zeigt sich m.E. ganz klar der erkenntnistheoretische PRIMAT unserer Lebenswelt (denn Technik gehört ja zu dieser Lebenswelt): Naturgegenstände werden untersucht nach Modellen, die wir selbst produzieren. Bevor eine solche Art der Erklärung möglich ist, muss es aber zunächst einmal Technik geben, die wir uns zum Vorbild nehmen können.  z. B. ist die Rede von "Regelkreisen" in der Natur nicht möglich gewesen ohne die menschliche Technik, die mit "Regelkreisen" arbeitete (z. B. Stromnetze, elektrische Geräte, Klimaanlagen usw.)
d. h. hier ist die menschliche Technik KONSTITUTIV für eine Art der Naturerklärung.

Der Satz von Leibniz, den zu zitierst, macht allerdings deutlich, dass das Maschinenmodell begrenzt ist. Er führt den Begriff der Maschine, angewandt auf die Natur, ad absurdum. Denn eine "Maschine bis ins Unendliche" hat nichts mehr mit den Maschinen gemein, die wir kennen.  


Gruß
H.

- V
- Eberhard am 15. Jan. 2005, 21:43 Uhr

Hallo allerseits,

Kriterium für die Wahrheit einer Aussage ist, ob die aufgrund dieser Aussage zu erwartenden Wahrnehmungen den tatsächlichen Wahrnehmungen entsprechen.

Aber was ist mit dem Wort "Wahrnehmung" gemeint?

Ich hatte von "Sinneseindrücken" gesprochen. Eiweiss stellt dazu die berechtigte Frage, ob als "Wahrnehmung" nur die "klassischen" Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten gelten sollen oder ob z. B. auch innere Selbstwahrnehmung und unbewusste Wahrnehmungen dazu gehören. Hermeneuticus spricht nur dann von einer Wahrnehmung, wenn das wahrnehmende Individuum diese in Begriffe fassen kann.

Um sprachliche Klarheit zu schaffen, muss zuerst zwischen der "Wahrnehmung" als Fähigkeit zum Wahrnehmen (" Die blitzschnelle Bewegung entging seiner Wahrnehmung" ) und der "Wahrnehmung" als dem wahrgenommenen Inhalt (" Melden sie verdächtige Wahrnehmungen der Polizei!" ) unterschieden werden. Für uns kommt wohl nur die letztere Bedeutung in Betracht.    

Da die Frage ist, ob die gemachten Wahrnehmungen mit den betreffenden Aussagen (bzw. den daraus logisch ableitbaren Erwartungen) vereinbar sind, muss sich aus ihnen auch ein sprachlich formulierbarer Inhalt ergeben. Damit kommen nur bewusste Wahrnehmungen in Betracht, denn was einem nicht bewusst wird, das kann man auch nicht formulieren. (Im Unterschied zu Hermeneuticus würde ich auch von "unbewussten Wahrnehmungen" sprechen.)

Ein Problem besteht darin, dass es In der Umgangssprache offenbar keine klare Abgrenzung zwischen "wahrnehmen" und "fühlen" gibt. Man sagt: "Er fühlte (verspürte) den Pistolenlauf in seinem Rücken". Hier handelt es sich offensichtlich um die Wahrnehmung eines realen Objektes.

Wie ist es bei dem Satz: "Er fühlte (verspürte) einen stechenden Schmerz im rechten Fuß". Ist hier der Schmerz das wahrgenommene Objekt so wie der Pistolenlauf im vorhergehenden Satz? Kann man sagen: "Ich nehme meine Gefühle (meinen Schmerz) wahr" ? Oder ist das Gefühl (der Schmerz) selber die Wahrnehmung – z. B. einer körperlichen Verletzung? Ist die Introspektion, die "Innenschau" eine Wahrnehmung wie das Sehen und Hören?

Die innerpsychischen Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen haben offenbar ihre Besonderheiten. Gleichwohl sind sie etwas Reales. Für jeden Einzelnen ist seine Erfahrungen mit sich selbst wahrscheinlich sogar der umfangreichste und wichtigste Bereich der Wirklichkeit.

Hier besteht noch erheblicher Klärungsbedarf  meint Eberhard.

- V
- taciturnity am 15. Jan. 2005, 22:04 Uhr

Hallo Hermeneuticus.

Leibniz naturgegebene Maschinen lassen sich aber mit wenig Geschick widerspruchsfrei auf unser technisches Bild von Maschinen anwenden. Ich glaube die Rede ist nicht von einer Maschine durch und durch, die sich keiner Analyse unterziehen lässt, da z. B. eine Zerlegung in ihre Einzelteile nicht möglich ist, sondern von einer Maschine, die eben dieses modulare Prinzip zusammenarbeitender Funktionseinheiten repräsentiert, welches wir in unserer immer feiner werdenden Technologie zu studieren im Stande sind.
Die Maschine Zelle enthält die Maschine Mitochondrium, welches alle anderen kleinen Maschinen antreibt, die der Maschine Zelle enthalten sind. Der Zellkern, der die Teilung initiiert - nichts als eine Maschine...Aber mir wird langsam klar, was Du mit den nicht vorhandenen Gemeinsamkeiten mit unseren der Technologie entstammenden Maschinen meintest.

Reduzieren wir doch zunächst die Maschine auf Etwas, was Energie, gleich welchen Ursprungs, umwandelt, in eine andere Form von Energie. Ob dieses Etwas nun Artefakt ist oder naturgewachsen, können wir getrost ausklammern und schon gibt es eine Definition der Maschine, die man auch bis ins unendliche spinnen kann.

Gruß,
Thomas.

- V
- eiweiss am 16. Jan. 2005, 00:17 Uhr

hallo eberhard,

ich denke dein beitrag ermöglicht uns die bislang eher "biologisch-körperorientierten" wahrnehmungsauffassungen auf der einen seite und die eher "grundsätzlichen, phänomenologischen" wahrnehmungsauffassungen auf der anderen seite weiter zusammenzuführen (falls wir das überhaupf wollen)

hermeneuticus schrieb: "Das Wahrnehmen, denke ich, ist wohl immer ein "Realisieren" von Etwas, d. h. eines so und so Bestimmten oder zumindest Bestimmbaren. Und zum Bestimmen gehören Begriffe. Wenn wir "etwas" wahrnehmen, können wir auch irgendwie sagen, WAS dieses etwas ist." "Bei "namenlosen", nicht einsortierbaren Sinneseindrücken bleibt unklar, ob überhaupt ein unabhängiges Etwas "dahinter" steht, ob wir also das in den Sinnen Erscheinende von uns selbst "ablösen" oder unterscheiden können." "Wahrnehmung, denke ich, hat die Struktur des Etwas-ALS Etwas-Wahrnehmens."



vielleicht kann man dann auch sagen: "ICH nehme ETWAS wahr"

mein körper ist ein vom ICH "durchtränktes" ETWAS.
insofern erscheinen mir die innerkörperlichen vorgänge, bspw. schmerzen, zunächst als ICH und nicht als ETWAS.
man kann aber sein ICH "ablösen" (s.o.) damit der schmerz als ETWAS in erscheinung tritt. dann kann ICH diesem ETWAS, dem schmerz also, begriffe zuordnen zB die qualität (dumpf, brennend, stechend etc).
zunächst also sozusagen "ICH=SCHMERZ", dann "nehme ICH den SCHMERZ als ETWAS wahr"

die "klassischen" sinne  sind offenbar dadurch gekennzeichnet, dass mir hierbei die dinge für gewöhnlich schon als ETWAS gegenübertreten, also ICH "hier" und "dort" ETWAS.

insofern sehe ICH zB teile meines körpers als ETWAS, empfinde aber meinen körper in dunkelheit oder wenn ich von ihm "ab-sehe"  eher als ICH.


bin selbstverständlich offen für kritik, einwände und anregungen.

mfg

- V
- Eberhard am 16. Jan. 2005, 10:32 Uhr

Hallo allerseits, hallo eiweiss,

bei der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungen der gegenständlichen Außenwelt und introspektiven Wahrnehmungen stellt sich die Frage, was die Gegenstände der Introspektion sind und inwiefern diese wirklich sind.

Nehmen wir ein Beispiel. Mir wird Blut abgenommen. Dazu wird mit einer feinen Nadel in die Vene meines Armes gestochen. Dies sehe ich und gleichzeitig spüre ich einen kurzen Schmerz an dieser Stelle. Auch wenn ich die Augen zugemacht hätte, hätte ich den Schmerz lokalisieren können.

Aber mit dem Schmerz nehme ich nicht den Stich und die Nadel wahr, sondern ich schließe aus der Schmerzempfindung auf eine Verletzung meines Körpers an dieser Stelle. Der Schmerz wäre also zwar ein Signal, aber nicht Wahrnehmung von etwas.

Der Schmerz ist jedoch als solcher genauso real wie die Nadel, die mich sticht. Allerdings ist es nur MEIN Schmerz, ICH bin betroffen.

Hallo Hermeneuticus,

ich habe noch mal überlegt, was das Problematische an Positionen ist, wie sie von Gershwin und teilweise auch von doc rudi vertreten werden. Beide haben eine umfassende erklärende Theorie menschlichen Verhaltens, der eine hat eine evolutionstheoretische Erklärung, der andere eine systemtheoretische Erklärung.

Wenn man nun - so wie wir - eine bestimmte Frage beantworten will und Argumente für und wider die vorgeschlagenen Antworten erwägt, dann wechselt plötzlich die Ebene der Diskussion und  – ohne dass dies jedermann deutlich wird – spricht Gershwin nicht mehr als Teilnehmer sondern als Beobachter dieser Diskussion, der das Verhalten der andern Diskussionsteilnehmer im Sinne seiner übergeordneten Theorie interpretiert und erklärt.

Wenn alle menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten Resultate ihrer Nützlichkeit für die Erhaltung und Verbreitung der Art bzw. der dazugehörigen Kombination von Genen sind und alles menschliche Verhalten letztlich diesem Ziel dient, dann sind Absichten wie das Suchen nach richtigen Antworten und verlässlichen Annahmen subjektive Illusionen. Dies gilt auch für behauptete Resultate und deren Begründung. Gershwin, der leider nicht mehr mitdiskutieren kann, hat sich nicht auf eine Diskussion des Wahrheitskriteriums eingelassen, sondern er hat die Kennzeichnung von Aussagen als unwahr interpretiert als arterhaltenden Warnschrei "Verlass dich nicht darauf!" Damit war für ihn alles gesagt.

Das Problem bei seiner Position ist allerdings, dass er seinerseits für seine eigenen Behauptungen unausgesprochen eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen muss, sonst wird das Ganze absurdes Theater.

Diese unbemerkte Aufkündigung der Diskussion, diesen Wechsel vom Sprechen mit dem anderen zum Sprechen über den anderen findet man auch bei anderen, als umfassend verstandenen Theorien menschlichen Verhaltens. Ich denke da bestimmte Anhänger Freuds, für die alles menschliche Verhalten aus unbewussten Triebkräften zu erklären ist, an bestimmte Marxisten, für die alles menschliche Verhalten aus der Klassen Zugehörigkeit zu erklären ist, und an bestimmte Gehirnforscher, für die alles menschliche Verhalten aus der Gehirnsstruktur und den Funktionen von Nervenzellen und Neurotransmittern zu erklären ist.

Einen sonnigen Sonntag wünscht Euch Eberhard.

- V
- doc_rudi am 17. Jan. 2005, 11:51 Uhr

Hallo Eberhard,
Du bemängelst mit Recht einen Wechsel der Kommunikationsebene.
Zitat: "Diese unbemerkte Aufkündigung der Diskussion, diesen Wechsel vom Sprechen mit dem anderen zum Sprechen über den anderen findet man auch bei anderen, als umfassend verstandenen Theorien menschlichen Verhaltens. Ich denke da bestimmte Anhänger Freuds, für die alles menschliche Verhalten aus unbewussten Triebkräften zu erklären ist, an bestimmte Marxisten, für die alles menschliche Verhalten aus der Klassen Zugehörigkeit zu erklären ist, und an bestimmte Gehirnforscher, für die alles menschliche Verhalten aus der Gehirnsstruktur und den Funktionen von Nervenzellen und Neurotransmittern zu erklären ist."
Watzlawick bezeichnet das als den Wechsel zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt (Menschliche Kommunikation, ISBN 3-456-30610-5). Wer keine inhaltlichen Argumente mehr hat, wechselt zur Beziehungsebene, auf der es die superiore und die inferiore Position gibt, wie zwischen Mutter und Kind oder Professor und Student. Die Wahrheit entscheidet sich dann anhand der Position und nicht anhand der Argumente. In meiner Philosophie verzichte ich inzwischen völlig darauf, mich auf Positionen irgendwelcher superiorer altvorderer Philosophen zu berufen, weil ich meine, dass die Wahrheit nicht aus der Macht der Tradition kommt, sondern aus der Wirklichkeit. Unsere Umwelt entscheidet, was wahr und was falsch ist. Das habt ihr, glaube ich, schon am Anfang dieser Diskussion mal erörtert und, wohl in anderer Formulierung, festgehalten.
Nun sagst Du: "Wenn alle menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten Resultate ihrer Nützlichkeit für die Erhaltung und Verbreitung der Art bzw. der dazugehörigen Kombination von Genen sind und alles menschliche Verhalten letztlich diesem Ziel dient, dann sind Absichten wie das Suchen nach richtigen Antworten und verlässlichen Annahmen subjektive Illusionen."
Dieser Satz vermischt aus meiner Sicht zwei unterschiedliche Sichtweisen. Das WENN schildert die Sicht der Evolutionisten, deren DANN lautet, dass der evolutionäre Erfolg das Wahrheitskriterium für das Handeln ist (eine Tautologie), Dein DANN klingt nach Kapitulation. Es verlangt nach einem anderen WENN. Wenn es nämlich irgendwie anders wäre, dann hätte das Suchen nach verlässlichen Annahmen eine Aussicht auf Erfolg.
Was ist denn eigentlich so schlimm daran, wenn das Experiment, also hier der Ausbreitungserfolg von Daten, ein Kriterium, das nicht der Mensch setzt, über die Wahrheit entscheidet, und nicht der Mensch mit seinen begrenzten Denkmöglichkeiten? Im übrigen will kein Evolutionist es einem Philosophen verbieten, sich subjektiven Illusionen hinzugeben.
Nun bin ich kein reiner Evolutionist und weiß auch nicht warum Thomas gershwin meint, er habe keine Zeit mehr. Ich bin der Überzeugung, dass wir unsere Umwelt konstruiert haben und nehme eine Umkonstruktion vor. Diese geht davon aus, dass wir, wie schon mehrfach geäußert, durchaus Unterschiede in unserer Umwelt unterscheiden können und dass unsere Erkenntnis im Grunde auf dieser Unterscheidungsfähigkeit beruht. Wenn also unsere Umwelt über die Wahrheit entscheidet, und wir diese durch Umdefinition umkonstruieren können, haben wir damit einen Einfluss auf die Wahrheit und setzen diese selbst fest, wie ich bereits am Anfang dieser Wahrheitssuche sagte. Wir setzen die Grenzen zwischen den Objekten, die wir wahrnehmen, fest. Und Du kannst eine andere Festsetzung vornehmen als ich.
Mein Satz lautete: "Wir definieren die Wahrheit." (Antwort 39 vom 25.9.04 bei Wahrheit ohne Nummer)
Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns. Deshalb können wir sie nicht finden wie ein verstecktes Osterei. Du könntest auch sagen: deshalb gibt es mehrere Wahrheiten.
Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll.
Gruß
rudi

- V
- eiweiss am 17. Jan. 2005, 14:00 Uhr

hallo doc_rudi,

du schreibst: "Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns."
und "Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll."


meine "wahrheit", deine "wahrheit"...das wären doch nur sehr kleine "wahrheiten"

es kann nur EINE (-n,  :-)) geben

wenn du das was du schreibst im sinne der wahrheit konsequent zu ende denkst, dann gibt es eben nur EINE wahrheit, DIE wahrheit , und zwar DEINE.
über diese wahrheit kannst du aber mit niemanden streiten, weil es darin keinen anderen gibt.


wenn aber ICH  DICH "wahr-sein lasse" bzw.  DU  MICH , ist es dann nicht wie folgt: "wahrheit als übereinstimmung mit einer wirklichkeit an sich ist nur ein ideal und unerreichbar. erreichbar ist nur eine übereinstimmung mit einer hypothetischen wirklichkeit. dieses ideal hat aber in gewissem sinne die funktion eines moralischen ideals, weil es ein gewisses absehen vom persönlichen blickwinkel und interesse verlangt. es ist ein ideal, das man auch als objektivität im sinne von unparteilichkeit umschreiben kann."... "natürlich gehen wir jeweils von unserer perspektive aus. wahrheit im sinne einer übereinstimmung mit einer wirklichkeit an sich wäre eine perspektive, wie sie nur gott einnehmen könnte. die perspektive gottes ist offensichtlich für menschen nicht erreichbar. aber gleichwohl ist das menschliche streben nach wahrheit mit einem streben nach göttlichkeit verglichen worden.
was nämlich auch vom menschen erreicht werden kann, ist der versuch, von allen persönlichen vorurteilen und interessen abzusehen, um eine sachlage so darzustellen, wie sie ist. die methode, dies zu erreichen, besteht darin, die eigenen propositionen mit den hypothetischen tatsachen zu vergleichen und gegenbenenfalls sie durch sie widerlegen zu lassen. ebenso gilt es, die eigene perspektiven der kritik auszusetzen und gegenbenfalls durch die perspektiven anderer widerlegen zu lassen."... "so dürfen wir doch hoffen, dass das sprichwort recht hat: die wahrheit und der morgen klären sich nach und nach auf"
(aus "philosophische grundbegriffe, eine einführung" von rafael ferber)

also EINE wahrheit und zwar UNSERE ?


mfg

- V
- doc_rudi am 17. Jan. 2005, 20:58 Uhr

Hallo eiweiss,
wenn Du meine "Wahrheit", dass wir nicht sagen können, was A ist, aber durchaus Unterschiede zwischen A und B feststellen können, zu EINER Wahrheit hochstilisieren willst, dann bitte. Ich halte es lediglich für eine profane Grundannahme, die jeglicher Wissenschaft zugrunde liegt. Die sortiert und definiert nämlich erst, legt ihre Grenzen fest, und innerhalb dieser Grenzen kommt sie zu Ergebnissen. Genauso mache ich es mit meiner Philosophie. Ich grenze mein Gebiet auf die Beschäftigung mit dem Menschen ein und könnte das ganze auch Wissenschaft vom Menschen nennen. Das scheitert jedoch daran, dass ich keine Menschenexperimente zur Verifizierung meiner Überzeugungen durchführen kann. Ich ersetze diesen Mangel durch Gedankenexperimente und nenne es Philosophie.
Natürlich sind die Ergebnisse nur "kleine Wahrheiten". Die gelten immer nur in einem bestimmten Kontext und können nicht generalisiert werden.
Die Überzeugung, es müsse die EINE Wahrheit geben, ist mir sehr suspekt, sie ist nämlich ein unbeweisbarer Glaube von religiösem Charakter. Und derartige religiöse Massenüberzeugungen waren und sind in der Geschichte der Menschheit die Begründung für Massenabschlachtungen von Menschen, die (heilige) Kriege genannt werden. Das gibt's auch im Kleinen ohne Mord, nämlich in allen Vereinen und Gesellschaften, die das Denken ihrer Mitglieder klonen wollen.
Gott bewahre mich vor allen "Schulen", Denkvereinheitlichungsinstitutionen und vor DER EINEN Wahrheit und ihren Vertretern.
Gruß
rudi

- V
- eiweiss am 17. Jan. 2005, 21:23 Uhr

hallo doc_rudi !

ich wollte lediglich zum ausdruck bringen, dass sich der BEGRIFF wahrheit in meinen augen nicht mit dem plural "die wahrheiten" verträgt.
die wahrheit "muss" deswegen nicht die eine sein; sie ist immer die eine und einzige.
vielleicht wäre es besser von deiner und meiner perspektive zu reden.

etwas anderes ist der "inhalt" des begriffs wahrheit. wer den vorgibt de-finieren  zu können ist ein schlingel [smiley=deal.gif]

- V
- Eberhard am 17. Jan. 2005, 21:40 Uhr

Hallo allerseits,

in den vergangenen Diskussionen haben wir rekonstruiert, was man meint, wenn man von einer "wahren Aussage" über die Beschaffenheit der Wirklichkeit spricht.

Ein Problem einer solchen Rekonstruktion besteht darin, dass der überkommene Sprachgebrauch uneinheitlich ist und dass jederzeit jemand auftauchen kann, der sagt: "Ich verstehe aber unter 'Wahrheit' etwas ganz anderes!"

Das führt zu einem Streit um Worte, der bekanntlich keinen Fortschritt in der Sache bringt.

Ich schlage deshalb vor, die Perspektive einmal umzukehren und nicht rekonstruierend sondern konstruierend an das Problem heran zu gehen.

Das soll heißen, dass wir nicht mehr fragen, was die Wörter "wahr" bzw. "Wahrheit" bedeuten.

Stattdessen gehen wir von dem Ziel aus, das wir in unserm Bemühen um Erkenntnis haben.  Wir fragen uns: Was fordern wir von den Antworten auf unsere Fragen?

Wenn wir dies Erkenntnisziel geklärt haben, können wir daraus ableiten, welches die geeigneten Wege sind, um dies Ziel zu erreichen.

Also: Was erwarten wir von der Antwort auf eine Frage?

Als erstes erscheint wichtig, dass die Antwort zu der Frage PASST, die gestellt ist.
Die Antwort muss die mit der Frage formulierte Lücke im Wissen schließen. Um ein Beispiel zu nehmen: wenn gefragt wird: "Wann wird das Länderspiel übertragen?", so ist die Antwort: "Im ZDF" nicht passend.

Weiterhin muss die Antwort WIDERSPRUCHSFREI sein. Wenn die Frage lautet: "Wird das Länderspiel im Fernsehen übertragen?" und jemand antwortet darauf: "Ja und Nein", so ist die Frage damit nicht beantwortet. Eine logisch widersprüchliche Antwort ist so gut wie gar keine Antwort.

Außerdem muss die Antwort die formulierte Lücke in Wissen möglichst weitgehend schließen. Wenn die Frage lautet: "Wird das Länderspiel im Fernsehen übertragen?" und jemand antwortet: "Vielleicht ja, vielleicht auch nicht!", so wird die Wissenslücke durch eine solche Antwort nicht verkleinert. Die Antwort: "Höchst wahrscheinlich wird das Länderspiel übertragen" ist demgegenüber schon besser. Nur die Antwort: "Ja, das Länderspielen wird übertragen" schließt die Wissenslücke ganz.

Vor allem erwarten wir von einer Antwort, dass wir sie nicht nur jetzt sondern auch zukünftig bejahen können, dass wir es also zukünftig nicht bereuen müssen, dass wir diese Antwort unserem Denken und Handeln zugrunde gelegt haben. Wenn wir fragen: "Wann wird das Länderspiel übertragen?" und jemand antwortet: "Heute um 20:30 Uhr", so erwarten wir, dass wir diese Antwort abends immer noch bejahen können und wir uns nicht ärgern müssen, weil die Übertragung bereits um 18:00 Uhr begonnen hat.

Wir warten von einer Antwort also, dass sie zuverlässig ist, dass man sie dauerhaft bejahen kann und dass sie möglichst nicht korrekturbedürftig wird. Oder - etwas gelehrter ausgedrückt - dass sie INTERTEMPORAL stabil ist.

Fragen lassen mehrere Antworten als möglich zu. Wenn man eine Frage beantwortet, dann trifft man also immer eine Auswahl. Wenn diese Auswahl nicht willkürlich oder zufällig sein soll, dann muss es  für die Auswahl dieser bestimmten Antwort Argumente bzw. Gründe geben. Aus der Menge der möglichen Antworten wird man diejenige Antwort auswählen, deren BEGRÜNDUNG "besser" ist als die Begründungen aller anderen möglichen Antworten.

Wenn von einem Individuum A verlangt wird, dass A seinem Denken und Handeln eine bestimmte Antwort zugrunde legt, so kann man dies als "Geltungsanspruch" gegenüber A bezeichnen.  Geht dieser Geltungsanspruch nicht einher mit einer vom betreffenden Individuum nachvollziehbaren Begründung, so kann man dies als einen "DOGMATISCHEN Geltungsanspruch" bezeichnen. Wird dagegen eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung gegeben, so kann man dies als einen "RATIONALEN Geltungsanspruch" bezeichnen. Sofern man keine Antworten will, die man nur glauben kann, muss man nach INTERSUBJEKTIV NACHVOLLZIEHBAR begründeten Antworten suchen,

Damit ist skizziert, welche Antworten wir auf unsere Fragen suchen. Dabei ist es zweitrangig, ob man solche Antworten nun als "richtig", "allgemeingültig" oder "wahr" bezeichnet.

Einverstanden?  fragt Eberhard.

- V
- Eberhard am 17. Jan. 2005, 23:12 Uhr

Hallo doc_rudi,

Du schreibst: "Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns. Deshalb können wir sie nicht finden wie ein verstecktes Osterei. Du könntest auch sagen: deshalb gibt es mehrere Wahrheiten.
Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll."

Ich gebe zu, dass ich Schwierigkeiten habe, Dich zu verstehen. Vielleicht kommen wir der Sache anhand eines konkreten Beispiels näher.

Nehmen wir die Erschießung von ca. 3000 polnischen Offizieren bei Katyn während des Zweiten Weltkriegs. Dass dies Massaker stattgefunden hat, wird wohl nicht bestritten. Umstritten ist jedoch, wer dies getan hat. Die einen geben die Antwort: "Das haben deutsche Stellen getan", andere sagen: "Das haben sowjetische Stellen getan" Beide Behauptungen widersprechen sich. Nur eine kann wahr sein.

Wie passen Deine Ausführungen auf diesen Fall?

fragt Eberhard.

- V
- Ambrosius am 18. Jan. 2005, 10:07 Uhr

Hallo Wahrheitssuchende,
als ich heute im PhilLex den Begriff "Wahrheit" aktivierte, kam mir dieses entgegen:
Wahrheit
Wahrheit, absolute
Wahrheit, doppelte
Wahrheit, ewige
Wahrheit, klassiche Definition der
Wahrheit, logische
Wahrheit, objektive
Wahrheit, relative
Wahrheitsdefinitheit, Postulat der
Wahrheitsfunktion
wahrheitsfunktionell
wahrheitskonservierende Folgebeziehung
Wahrheitskriterium
Wahrheitskriterium des Euklid
Wahrheitsmatrix
Wahrheitsskeptizismus
Wahrheitstafel
Wahrheitstheorie der Erlanger Schule
Wahrheitstheorie, intersubjektive
Wahrheitstheorie, performative
Wahrheitstheorie, phänomenologische
Wahrheitstheorie, pragmatische
Wahrheitstheorie, prosententiale
Wahrheitstheorie, semantische
Wahrheitstheorie, skeptische
. . . und es ging noch weiter.
Ich kann nur wünschen, dass Ihr die Warhheit findet!
Ich  v e r t r a u e  lieber meinem Gefühl, auch wenn dieses noch mehr gereinigt werden muss, weil wir neben Verstandesirritationen auch Gefühlsirritationen in uns beherbergen.
Ambrosius

- V
- Eberhard am 18. Jan. 2005, 19:04 Uhr

Hallo Ambrosius.

Du präsentierst in Deinem Beitrag eine lange und komplizierte Liste von gelehrten Stichwörtern zum Thema "Wahrheit", die auf denjenigen, der nicht gerade Spezialist auf diesem Gebiet ist, und hier nach Antworten auf seine Fragen sucht, eher verwirrend und entmutigend wirken muss.

Deshalb klingt Dein wohlmeinender Wunsch: "Ich kann nur wünschen, dass Ihr die Wahrheit findet!" in meinen Ohren etwas unglaubwürdig.

Offenbar bist Du hinsichtlich der zu erwartenden Ergebnisse auch nicht sehr zuversichtlich, denn Du schreibst: "Ich  v e r t r a u e  lieber meinem Gefühl".

Wenn ich Deine Beiträge lese, dann scheint es mir allerdings, als könnten die Ergebnisse unserer  Diskussion auch für Dich von Nutzen sein.

In Deinem Beitrag zum Thema "Selbsterkenntnis" vom 30.11.04 schreibst Du z. B., dass Du vor Deinem Erdenleben schon existiert hast.

Ich will die Aussage "Ambrosius hat vor seinem Erdenleben schon existiert" einmal beispielhaft anhand der von uns erarbeiteten methodischen Gesichtspunkte erörtern.

Eine Aussage über die Beschaffenheit unserer Welt ist wahr, wenn es so ist, wie diese Aussage besagt.

Wenn die Frage beantwortet werden soll, ob es so ist, so muss zuvor die Bedeutung der Aussage geklärt sein. Das schließt ein, dass die Aussage keine mehrdeutigen oder vagen Begriffe enthalten sollte.

Mit "Erdenleben" ist Dein jetziges Leben gemeint, das mit Deiner Zeugung und Geburt begann.

Mit "existieren" ist das "wirkliche Vorhandensein" eines Objekts gemeint. Beides erscheint unproblematisch.

Probleme könnten jedoch bei der Frage auftauchen, wer oder was existiert hat. In dem genannten Beitrag sprichst Du davon, dass "mein Wesen – mein Ich" existiert hat, nicht jedoch Dein Körper.

Wenn man ein körperloses Wesen als "Geist" bezeichnet, dann lautet Deine Aussage also:
"Der Geist des Ambrosius hat bereits vor dessen Geburt existiert."

Ich denke, diese Formulierung gibt das von Dir Gemeinte richtig wieder.

Wenn die Bedeutung der zu prüfenden Aussage geklärt ist, weiß man gewöhnlich auch, um welche Art von Aussage es sich handelt. Die Aussage, dass etwas zu einer bestimmten Zeit existiert hat, ist sicherlich eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt.

Nun kommen wir zum Entscheidenden, der Begründung dieser Aussage. Eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt wird dann zu Recht für wahr gehalten, wenn die daraus logisch ableitbaren Wahrnehmungen mit denjenigen Wahrnehmungen übereinstimmen, die tatsächlich gemacht werden: Wahre Aussagen enttäuschen nicht.

Deine Begründung der Aussage lautet: "… ich weiß, dass mein Körper in meiner Mutter heranwuchs. Die vorhergegangene Verschmelzung von Ei und Samenzelle bestimmte den Anfang meines Körpers.
Eines ist mir Gewissheit, dass ich weder im unbefruchteten Ei noch in der Samenzelle war, da diese beiden ja Produkte in meiner Mutter beziehungsweise in meinem Vater waren.
Es ist ja auch unsinnig, dass sich in jedem Ei oder in jeder Samenzelle ein "Lebewesen" aufhält.
Zwar beinhalten Eizelle und Samenzelle Erbanlagen der Mutter und des Vaters, doch diese wirken sich nur auf den Körper aus!
Demnach muss mein Wesen - mein Ich -  schon vor meiner Geburt existiert haben!"

Ich stelle fest, dass die Begründung, die Du für die zu prüfende Aussage gibst, keinerlei direkten Bezug auf Inhalte irgendeiner Wahrnehmung besitzt. Offenbar hat sich Dein Wesen vor Deiner Geburt in keiner Weise bemerkbar gemacht.

Du leitest die Annahme "Der Geist des Ambrosius existierte bereits vor seiner Geburt" indirekt durch Schlussfolgerungen aus allgemeinen Aussagen über Zeugung und Vererbung beim Menschen ab.

Deine Prämissen sind:

1. Die mütterliche Eizelle und der väterliche Samen enthalten die jeweiligen Erbanlagen.

2. Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht der Körper eines Menschen.

3. Es werden nur körperliche Eigenschaften vererbt.

Daraus ziehst Du den Schluss: "Demnach muss der Geist des Ambrosius schon vor dessen Geburt existiert haben".

Diese Begründung Deiner Aussage ist in verschiedener Hinsicht fehlerhaft:

1. Die Prämisse: "Es werden nur körperliche Eigenschaften vererbt" ist falsch. Die Forschung an eineigen Zwillingen hat gezeigt, dass auch psychische Eigenschaften (" Charakter", "Persönlichkeit" ) vererbt werden.

2. Deine Schlussfolgerung lässt sich aus den von Dir genannten Prämissen nicht ziehen. Dies kann man leicht daran erkennen, dass die Schlussfolgerung eine Aussage über Deinen Geist macht, der Begriff des Geistes jedoch in den Prämissen gar nicht vorkommt.

Mit dieser vielleicht etwas ungewöhnlich detaillierten Kritik an dem, was Du für wahr hältst, und an der Art und Weise, wie Du Deine Überzeugungen begründest, wollte ich demonstrieren, dass auch Du von unserer Diskussion etwas lernen könntest und dass Wissenschaftstheorie und Wahrheitsbegriff keine verwirrenden und unendlich komplizierten Angelegenheiten sind, sondern mit etwas Geduld von nahezu jedermann angewandt werden können.

Es grüßt Dich freundlich Eberhard.

- V
- Ambrosius am 19. Jan. 2005, 12:32 Uhr

Guten Tag, Eberhard,
ich freue mich, dass Du Dir soviel Mühe gemacht hast und auf meinen Beitrag so ausführlich eingegangen bist.
Ich habe mir heute Deine Homepage angeschaut und konnte mehr daraus erkennen. Ein gutes Werk, vielen Dank für Deine Mühe und Arbeit, die Du darin investiert hast.
Zu Deiner wohlgemeinten Kritik möche ich ansagen, dass ich darauf noch zurückkommen werde.
Was mich natürlich interessieren würde wäre die wissenschaftliche Aussage, dass "Charakter" und "Persönlichkeit" vererbt werden.
mi friedvollen Grüssen
Ambrosius

- V
- jacopo_belbo am 19. Jan. 2005, 18:01 Uhr

hallo eberhard,

ich melde mich mit einiger verspätung zu wort - dafür bitte ich zunächsteinmal um entschuldigung. das hat weniger mit den beiträgen zum thema zu tun -obwohl ich mir bei einigen nachwievor unsicher bin, inwieweit sie zur klärung unserer fragen dienen, als vielmehr mit meinem zeitkontingent, das ich derzeit geschickt zu verteilen suche.
nichtsdestotrotz noch einige anmerkungen von mir zum thema:
in deinem letzten beitrag an mich schreibst du:

Zitat:

Wenn es Fragen gäbe über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die wir beantworten könnten, ohne Bezug nehmen zu müssen auf unserer Wahrnehmung, dann wäre das hinsichtlich des Wahrheitskriteriums von großer Bedeutung. Dann stellt sich die Frage, woran wir bei derartigen Aussagen ihre Wahrheit erkennen können.


das zielt in etwa in die richtung die hermeneuticus andeutete: auf eine art transzendentalen standpunkt, der die bedingung der möglichkeit gewisser erkenntnisse thematisiert. allerdings sehe ich hier ein problem, welches in meinen augen nicht unerheblich ist: wie können wir fragen über die beschaffenheit der wirklichkeit beantworten - bzw. stellen, ohne jegliche bezugnahme auf unsere wahrnehmung. fragen solcherart sind keine fragen über die beschaffenheit der wirklichkeit, sondern sind fragen die logischer natur sind; z. B. 7+5=12.

Zitat:

" Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit


dieser satz drückt für mich nichts von der wahrnehmung unabhängiges aus. in diesem punkt sind wir wohl beide der gleichen meinung. schwierig ist allerdings eine antwort auf die nachfolgende frage

Zitat:

Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber kein Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Oder?


ich denke, dass die dimension der räumlichkeit selbst, ebenso wie die dimension der zeitlichkeit sehr wohl genuine wahrnehmungsbegriffe sind. wenn wir z. B. an die unterteilung des visuellen feldes denken, wenn wir an die motorik unseres körpers denken, die es uns ermöglicht, uns in unserer umwelt zu bewegen, mit ihr zu interagieren, so läßt es sich schwer von der hand weisen, dass eine enge verbindung zwischen raum und raumwahrnehmung besteht - analoges denke ich, gilt mit einschränkung auch für zeitliche wahrnehmung.
und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.


Zitat:

Ich schlage deshalb vor, die Perspektive einmal umzukehren und nicht rekonstruierend sondern konstruierend an das Problem heran zu gehen.


damit denke ich, sind wir einen guten schritt vorangekommen. viele "pseudo-probleme" stellen sich in dieser fragestellung nicht.

Zitat:

Stattdessen gehen wir von dem Ziel aus, das wir in unserm Bemühen um Erkenntnis haben.  Wir fragen uns: Was fordern wir von den Antworten auf unsere Fragen?


in diesem punkt denke ich ähnlich.
die wahrheit einer aussage gestaltet sich relativ zu dem, was in ihr ausgesagt wird, bzw. von demjenigen, wonach gefragt ist. wenn ich an mein oftmals wiederholtes beispiel vom schuhekaufen denke, leuchtet ein, weshalb dieser weg sinniger ist, als die vielen anderen wege, die vorgeschlagen worden sind.
wenn wir eine frage stellen, sollten wir uns im klaren darüber sein, welche antwort wir erwarten.
wenn wir danach fragen, wer der aktuelle bundeskanzler ist, so ist es wenig sinnig zu sagen, es sei "helmut kohl". helmut kohl ist zwar eine person auf die es einmal zutraf, bundeskanzler zu sein - er ist jedoch nicht der aktuelle, d. h. am 19.01.2005, bundeskanzler. in diesem sinne ist die aussage "helmut kohl ist der aktuelle bundeskanzler" im kontext des jahres 2005 falsch.
dementsprechend stimme ich dir nur bedingt deiner forderung zu:

Zitat:

Wir warten von einer Antwort also, dass sie zuverlässig ist, dass man sie dauerhaft bejahen kann und dass sie möglichst nicht korrekturbedürftig wird. Oder - etwas gelehrter ausgedrückt - dass sie INTERTEMPORAL stabil ist.


die aussage, helmut kohl sei bundeskanzler, muss nicht intertemporal stabil sein, sondern vielmehr -ich entlehne einen begriff aus der mathematik/informatik- es muss entscheidbar sein, ob dem so ist, oder nicht. der vorteil bei meiner forderung besteht darin, z. B. paradoxa wie das um den kretischen lügner "außen vor" zu lassen. das paradoxon des kretischen lügners ist kein entscheidbares problem. insofern weder wahr noch falsch, sondern schlicht nicht entscheidbar.
wenn wir fragen, ob der schreibtsich vor mir aus dem und dem möbelhaus stammt, so müssen wir ein verfahren besitzen, das zu bestimmen. ebenso, wenn wir die frage nach der länge des tisches stellen. je nachdem welches verfahren wir berücksichtigen, fällt die antwort "dieser tisch hat die länge nn cm" so oder so aus, und eine zuvor gemachte aussage ist wahr oder stellt sich als falsch heraus.
dementsprechend sind allgemeingültige aussagen, diejenigen deren entscheidbarkeit sich durch nur eine art und weise der entscheidung auf eine ja/nein antwort festlegen lassen.

- mfg thomas

- V
- Dyade am 19. Jan. 2005, 20:48 Uhr

"...  und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit." (thomas j.)

Lieber Thomas,

ich glaube nicht das du dir den Zorn der Kantianer zuziehen wirst. Ich schätze die sehen eine solche Totalignoranz von Kants Kernaussage gelassen. Viel schwieriger für einen Kantianer ist es wohl den Zorn im Zaum zu halten wenn jemand kommt der die Problemstellung, deren Lösung Kant sich zur Aufgabe gemacht hat, klar erkennt, diese dann aufnimmt und DANN versucht weiter zu denken. Beispiel ist dafür Heidegger mit seiner Referenz auf Kant in 'Sein und Zeit'.

Grüße
Dyade

- V
- Hermeneuticus am 19. Jan. 2005, 21:18 Uhr

Hallo Thomas!


Zitat:

und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.


:-)
Du ziehst Dir allenfalls den milden Tadel zu, Kant nicht gründlich genug gelesen zu haben. Denn Kants "Transzendentale Analytik" handelt ja von nichts anderem als der "Beschaffenheit der Wirklichkeit". Dabei ist unter "Wirklichkeit" allerdings zu verstehen DIE ALLGEMEINE STRUKTUR ALLES WIRKLICHEN, über das wir jeweils einzelne Aussagen machen können.

Wenn Du behauptest, dass die "Wirklichkeit" ETWAS ANDERES sei als das, was wir erfahren und in Aussagen thematisieren können, dann vertrittst Du einen "un-kantianischen" Standpunkt. Allerdings dürftest Du Schwieirgkeiten haben, uns den Unterschied zwischen den beiden Wirklichkeiten zu erklären (denn Du müsstest Dich ja in Deinen Aussagen darüber auf die Erfahrung stützen).
Dieser Unterschied ist also völlig irrelevant. Nichts anderes ist Kants Fazit: Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können.


Gruß
H.

- V
- eiweiss am 19. Jan. 2005, 22:09 Uhr

" Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können."


aufgepaßt! jetzt wirds romantisch. bin momentan hemmungslos liebestrunken:

sagen die verliebten nicht: "ich sehe die welt mit deinen augen" ? [smiley=googlyeyes.gif]

die liebe...wunder aller wunder

- V
- Verena am 19. Jan. 2005, 23:52 Uhr


on 01/19/05 um 22:09:32, eiweiss wrote:

...
aufgepaßt! jetzt wirds romantisch. bin momentan hemmungslos liebestrunken:

sagen die verliebten nicht: "ich sehe die welt mit deinen augen" ? [smiley=googlyeyes.gif]

die liebe...wunder aller wunder



Was beweist, dass nicht nur der Verstand, sondern auch die Liebe Intersubjektivität herstellen kann.   ;-)

Verena

- V
- Verena am 20. Jan. 2005, 00:13 Uhr


on 01/19/05 um 18:01:42, jacopo_belbo wrote:

...und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.



Hallo Thomas,
ist Räumlichkeit für dich nun
a) ein "phänomen der wirklichkeit", also etwas Wirkliches, oder
b) Beschreibung (von verhältnissen von dingen in) der Wirklichkeit.
Also da solltest du dich schon entscheiden. ;-)

Im Falle von (a) gibt es da einige Passagen in der KdrV (Transzendentale Ästhetik) gegen das An-sich-Sein und für den transzendentalen Charakter von Raum und Zeit. Diese Kantschen Argumente müsstest du dann widerlegen und auch eine Erklärung dafür geben wie sich zB Geometrie auf unsre empirische Wirklichkeit beziehen lässt.
Aber diese Kleinigkeiten schaffst du ja sicher mit links. ;-)

Gruß
Verena

- V
- Hermeneuticus am 20. Jan. 2005, 01:03 Uhr

Hallo Verena, hallo Eiweiß!


Zitat:

Was beweist, dass nicht nur der Verstand, sondern auch die Liebe Intersubjektivität herstellen kann.


Nun, wenn man Eiweißens Rede von der Liebes-TRUNKENHEIT ernst nimmt, scheint doch eher Inter-OBJEKTIVITÄT der passende Ausdruck zu sein. Aber das ist ja auch schon mal was.
:-)

Gruß und Glückwunsch
H.

- V
- jacopo_belbo am 20. Jan. 2005, 14:35 Uhr

hallo verena (und natürlich auch ein hallo an alle andern),

da wir das glück haben, hier in keinem kant-seminar zu sitzen, denke ich, kann ich mich auch der vorläufigen widerlegung kants traqnszendentaler analytik entledigen - zumal die nicht das eigentliche thema ist.
sieh es als klugen schachzug an, mich um meine antwort zu drücken, oder einfach als thematisch begründeten einwand, nicht vom thema abzuschweifen.


Zitat:

ist Räumlichkeit für dich nun  
a) ein "phänomen der wirklichkeit", also etwas Wirkliches, oder  
b) Beschreibung (von verhältnissen von dingen in) der Wirklichkeit.
Also da solltest du dich schon entscheiden.



ich sehe nicht, dass ich mich zwischen einem von beidem entscheiden müßte. das, was mit "räumlichkeit" gemeint ist, ist abhängig vom blickwinkel, vom diskursorischen kontext abhängig.
wenn sich gegenstände in meinem wahrnehmungsfeld durch ihre position unterscheiden, so liegt das darin begründet, dass sich diese gegenstände an räumlich unterschiedlichen positionen befinden. insofern ist die räumlichkeit die thematisiert wird, ein phänomen der wirklichkeit. dass z. B. mein kater seinen freßnapf -den ich gerade fülle- an der selben position sieht wie ich, liegt daran, dass der freßnapf sich an einer position in der küche befindet, die uns beiden zugänglich ist.

unter anderem gesichtspunkt ist räumlichkeit kein phänomen der wirklichkeit, sondern ein beschreibungsphänomen. wenn ich z. B. einen roboter programmiere, eine karte meines wohnzimmers anzulegen, und er versieht diese karte mit einem internen koordinatensystem, so wäre es nicht unbedingt gerechtfertigt zu sagen, mein stuhl befindet sich objektiv bei (120,120,0). ebenso verhält es sich mit der sprachlichen benennung der verhältnisse im raum. nicht in jedem falle ist es gerechtfertigt, zu sagen, der gegenstand A befindet sich hinter dem gegenstand B - man denke daran, dass man die perspektive unter welcher man einen gegenstand betrachtet miteinbeziehen muss. schon als kind lernt man das entsprechende sprachliche verhalten. (mir fällt dabei gerade die sesamstraße ein; dort gibt es einen ausschnitt, in welchem grobi den kindern den unterschied zwischen "hier" und "dort" erklärt, und mühselig zwischen beiden punkten hin- und hersprintet.)
wir haben also einerseits z. B. gegenstände die so und so angeordnet sind,  andererseits eine sprachliche beschreibung die an die lage der gegenstände anknüpft. ich sage deshalb anknüpft, um das problem einer restriktiv verstandenen abbildtheorie zu vermeiden.
noch einige worte zu hermeneuticus:

Zitat:

den milden Tadel zu, Kant nicht gründlich genug gelesen zu haben


das gebe ich gern zu. kant war noch nie mein steckenpferd ;)

Zitat:

Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können.


das ist die eine hälfte von kants argumentation in der TzA, die ich für die wichtigere halte: der empirische realismus.
worüber wir aussagen treffen können, ist dasjenige, was uns auch zugänglich ist. alles andere unterliegt müßiger spekulation. allerdings verstehe ich bei kant nicht, warum er differenziert zwischen der wirklichkeit an sich, die uns scheinbar nicht zugänglich sein soll (dennoch affiziert uns -nach kant- das DingAnSich?) und der empirischen wirklichkeit, also der wirklichkeit, wie wir sie letztlich erfahren.
meine position besteht nun darin, nicht zu differenzieren. das, was wir wahrnehmen ist zumindest ein ausschnitt der wirklichkeit - und keine bloß erscheinende, sozusagen zweite wirklichkeit.

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 20. Jan. 2005, 14:45 Uhr

Hallo allerseits,

nochmals zu der Frage, ob es Aussagen über die Wirklichkeit gibt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht.

Ich halte es dabei für sinnvoll, dass wir dieser Frage nachgehen, ohne unsere Diskussion dadurch zusätzlich zu belasten, dass wir sie mit Fragen nach der richtigen Interpretation bestimmter Autoren verknüpfen. Also nochmals mein Appell: Bitte keine Verweise auf die Literatur sondern die einschlägigen Argumente des Autors einbringen.

Die Diskussion bezog sich vor allem auf den Satz: "Alles, was geschieht, geschieht im Raum und Zeit". Das heißt, dass die Wirklichkeit räumlich und zeitlich angeordnet ist, dass alles was existiert, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort existiert.

Bestritten werden diese Aussagen wohl von keinem Teilnehmer dieser Runde.

Der Unterschied besteht darin, dass die einen sagen: "Die Kategorien Raum und Zeit werden von uns zusammen mit den Objekten wahrgenommen, sie werden durch unsere Wahrnehmung gewonnen",

während die andern sagen: "Die Kategorien Raum und Zeit machen unsere Wahrnehmungen erst möglich, sie konstituieren unsere Wahrnehmung".

Meine Frage an die zweite Gruppe: Wenn die Kategorien Raum und Zeit nicht der Wahrnehmung entstammen, woher stammen sie sonst?

Für "denknotwendig" halte ich die Kategorien von Raum und Zeit jedenfalls nicht. Ich verweise hier auf meine besondere Spezies des ortsfest lebenden "Nasenwurzes", der nur über den Geruchssinn verfügt und für den räumliche Begriffe wie "hier" und "dort", "vor" und "hinter" oder "über" und "unter" keinen Sinn haben, weil die von ihm wahrgenommene Welt nicht räumlich geordnet ist.

Es grüßt Euch Eberhard.

p.s.: Ich werde demnächst einen neuen Thread eröffnen müssen, da Ihr so fleißig geschrieben habt.

- V
- Eberhard am 20. Jan. 2005, 22:05 Uhr

Hallo allerseits,

die Sätze "Jede Veränderung hat eine Ursache" und "Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen" sind offensichtlich Sätze über die Beschaffenheit der Realität, über etwas, das sich verändert bzw. geschieht.

Sind diese Sätze unabhängig von aller Erfahrung als wahr zu kennzeichnen? Sind sie überhaupt wahr?

Meiner Ansicht nach muss man den Satz "Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen" nicht für wahr halten.

Richtig ist, dass es empirische Regelmäßigkeiten gibt von der Art: "Wenn unter den Randbedingungen x,y,z  a geschieht, dann geschieht auch b."

Richtig ist auch, dass die Existenz und die Kenntnis solcher Regelmäßigkeiten für uns äußerst hilfreich sind, weil das die Voraussetzung für eine gezielte Gestaltung der Zukunft ist.

Insofern ist es äußerst sinnvoll, nach empirischen Regelmäßigkeiten zu suchen, aber es besteht keine Notwendigkeit zu der Annahme, dass alles Geschehen in Form von allgemeinen "Wenn – Dann – Aussagen" beschreibbar ist.

So ist z. B. in Bezug auf radioaktive Substanzen nicht bekannt, warum bestimmte Atome zerfallen und andere nicht. Man kann nur die Anzahl der Atome angeben, die in einer bestimmten Zeit zerfallen.

Dass es möglicherweise keinen Unterschied  gibt zwischen dem Atom x, das zerfällt, und dem Atom y, das nicht zerfällt, beunruhigt uns, weil die Dinge dadurch für uns unberechenbar werden.

Was gleich ist, muss sich unter gleichen Bedingungen auch gleich verhalten, sonst nennen wir es auch möglichst nicht "gleich". Das Denken in regelmäßigen Ursache-Folge-Beziehungen ist tief in uns verankert. Aber es ist keine notwendige Form der Wirklichkeit sondern ein äußerst nützliches heuristisches Prinzip der Forschung.

meint Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am Vorgestern, 17:28 Uhr

ich erwarte die erneute fortsetzung des threads mit spannung!



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Theoretische Philosophie >> Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie >> Wahrheit V
(Thema begonnen von: Eberhard am 18. Dez. 2004, 23:13 Uhr)

- V
- Eberhard am 18. Dez. 2004, 23:13 Uhr

Hallo allerseits,

dies ist die Fortsetzung von Wahrheit IV.

Auch wenn schon einiges diskutiert wurde, sind wir kein "closed shop".

Wichtig ist nur die Orientierung an der Fragestellung: "Was meinen wir, wenn wir eine Aussage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit als 'wahr' bezeichnen und wie stellt man fest, ob eine Aussage wahr ist?"

Es grüßt Euch Eberhard.

Gegenwärtig diskutieren wir das Verhältnis zwischen dem "Für-wahr-halten" einer Aussage durch ein bestimmtes Individuum und dem "wahr sein" einer Aussage. In diesen Zusammenhang gehören auch die Forderungen nach "Objektivität" bzw. der "Intersubjektivität" einer Aussage.

Wuwei hatte geschrieben: "Jedes angebliche Wahr-Sein ist immer ein Für-wahr-halten. … Ihr glaubt, dass es Objektivität außerhalb des Subjekts bzw. unabhängig von ihm geben könnte….(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann. Aber diese Objektivität ist wiederum nur innerhalb der Subjektivität möglich. Das heißt, der Satz an sich kann nicht wahr oder falsch sein, aber die überwältigende Mehrheit kann ihn für wahr halten. …

Die Röte der Rose (ist) keine objektive Eigenschaft für sich, sondern eine subjektive Wahrnehmung. … Dennoch scheinen wir uns alle darüber einig zu sein, dass die Rose rot ist. Wir haben eine gemeinsame Wahrnehmung. Das läßt uns glauben, dass das gemeinsam Wahrgenommene ein objektives Ding ist, dass es also für sich genauso ist, wie es sich für uns darstellt. Wir glauben, wenn wir es nicht wahrnehmen, ist es für sich genauso, wie wir es zuvor wahrgenommen haben  …
Oder wir vermuten, dass sich hinter unserer subjektiven Wahrnehmung einer roten Rose eine objektive Realität verbirgt. Schließlich muss es doch, so glauben wir, für unsere subjektive Wahrnehmung eine Ursache, also eine Quelle geben. Trotz aller Intersubjektivität aber bleibt das eine reine Annahme, weil wir auf diese vermutete objektive Realität niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis erhalten können."

Das Problem, das Du anschneidest, besteht im Übergang von Sätzen wie: "Vor mir sehe ich eine rote Rose" (Aussagen über eigene interpretierte Sinneswahrnehmungen) zu Sätzen wie: "Vor mir ist eine rote Rose" (Aussagen über die Existenz von Dingen).

Wir vollziehen diesen Übergang von den Interpretationen unserer Sinneswahrnehmungen zu Aussagen über die Existenz von Dingen ständig und die Sprache stellt dafür die nötigen Begriffe zur Verfügung. Ist das alles eine Täuschung?

Betrachten wir die Sache wieder am konkreten Fall.

A sagt: "Zwei Schritte vor mir sehe ich in nördlicher Richtung eine rote Rose." A macht 5 Sekunden die Augen zu und öffnet die Augen wieder. Er sieht vor sich immer noch (oder wieder) eine rote Rose. Er dreht sich um 180 Grad und sieht nach Süden. Er sieht keine rote Rose. Er dreht sich wieder zurück und er sieht wieder eine rote Rose.

A geht vier Schritte in nördlicher Richtung. Er sieht keine rote Rose vor sich. Er dreht sich um und jetzt sagt er: "Zwei Schritte vor mir sehe ich in südlicher Richtung eine rote Rose." A macht fünf Sekunden die Augen zu und öffnet sie wieder. Er sieht vor sich wieder eine rote Rose.

Würde A auf der Ebene der Wahrnehmungsbeschreibungen verbleiben, dann hätte er mit immens großen Mengen an verschiedenen aufeinander folgenden Wahrnehmungen von verschiedenen Orten aus zu tun. Die Datenmengen wären nicht zu bewältigen.

Wenn A jedoch annimmt, dass die zahllosen Wahrnehmungen roter Rosen alle Wahrnehmungen derselben Rose sind, die am gleichen Platz geblieben ist, dann wird das Geschehen plötzlich außerordentlich übersichtlich und einfach.

Und wenn A annimmt, dass Rosen relativ dauerhafte und unbewegliche Dinge sind, dann kann er sogar Annahmen über seine zukünftigen Wahrnehmungen machen: "Wenn ich jetzt für 60 Sekunden die Augen zu mache und sie dann öffne, dann werde ich vor mir eine rote Rose sehen."

Es ist also bereits für das einzelne Individuum außerordentlich hilfreich, in seinem Denken und Sprechen von einer Welt der Wahrnehmungen überzugehen zu einer Welt existierender Dinge.

meint Eberhard.

- V
- gershwin am 19. Dez. 2004, 06:30 Uhr

Hallo Leute
War mal wieder ne Weile weg, werde aber auf die an mich gerichteten Beiträge noch antworten.
Nur hier ganz kurz eine Bemerkung zu dem, was Eberhard oben geschrieben hat:


Zitat:

...(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann.



Ich hatte ja bereits zur Genüge betont, dass ich es für einen Fallstrick halte, von "Wahrheit" als einer Entität zu sprechen. Und dass ich die Zuschreibung "unwahr" lediglich als eine Art Warnschrei betrachte.
Nun ist Objektivität auch NUR ein Wort, auf dessen Bedeutung man sich konsensual einigen muss. Und je nachdem, wie man es definiert, kann ein Satz SELBSTVERSTÄNDLICH objektiv wahr sein (exakt: darf man einen Satz selbstverständlich als objektiv wahr bezeichnen).
Philosophen legen ab und an die Objektivitätskriterien so hoch an, dass es unmöglich objektiv wahre Aussagen geben kann. Aber damit führen sie natürlich das Wort objektiv ad absurdum. Wozu braucht man es dann noch?

Eine Analogie wäre es, Schönheitskriterien so hoch anzulegen, dass kein Gegenstand sie je erfüllen kann (etwa: schön ist etwas, das bei jedem Menschen Entzückensschreie auslöst). Wozu bräuchte man denn dann das Wort "schön" ?
Soviel zunächst.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 19. Dez. 2004, 06:51 Uhr

Hallo Wuwei,

Du schreibst: "Wir vermuten, dass sich hinter unserer subjektiven Wahrnehmung einer roten Rose eine objektive Realität verbirgt. Schließlich muss es doch, so glauben wir, für unsere subjektive Wahrnehmung eine Ursache, also eine Quelle geben. Trotz aller Intersubjektivität aber bleibt das eine reine Annahme, weil wir auf diese vermutete objektive Realität niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis erhalten können."

Ich frage Dich:

Wie kannst Du selber schreiben: "Thomas erwähnt das zwar, schreibt aber dennoch: "……." ?

Wenn Du davon sprichst, dass Thomas etwas getan hat, dann setzt Du doch voraus, dass es Thomas gibt, oder?

fragt Dich Eberhard.

- V
- WuWei am 19. Dez. 2004, 15:26 Uhr

Hallo Eberhard,

wir dürften uns einig sein, dass die Sprache unser Denken widerspiegelt, und umgekehrt ebenso. Wie ich über die Welt denke, so spreche ich über sie. Und ebenso wird ein Kind genauso über die Welt denken, wie es gelernt hat, darüber zu sprechen. Denken und sprechen sind da gar nicht zu trennen.

Wir sollten uns wirklich klar machen - wie auch Thomas Gershwin schreibt - was wir mit Objektivität meinen. Wobei ich nicht glaube, dass die Philosophen den Maßstab so hoch legen. Es ist eher die gesamte Gesellschaft, die zum Großteil wissenschaftlich geprägt ist, die an "reine" Objektivität glaubt. Es sind aber zumeist Philosophen, die versuchen, das zu hinterfragen.

Wie ich schonmal sagte, vertrete ich einen non-dualistischen Ansatz. Danach sind Subjektivität und Objektivität nicht zu trennen. Das heißt, wenn ich sage, alles ist subjektiv, dann will ich nicht Objektivität leugnen. Es gibt nur nicht Objektivität für sich, genausowenig wie es Subjektivität für sich gibt. Alles ist also immer subjektiv und gleichzeitig objektiv.

Stell es dir einfach mal so vor, dass Objektivität die Form/Erscheinung der Subjektivität ist, während Subjektivität das Wesen/die Essenz von Objektivität ist. Erlasse mir bitte mal die Begründung dafür, vielleicht ergibt sie sich ja aus dem folgenden.

Du hast recht: es läuft auf die Frage hinaus, wenn ich dort eine Rose sehe, kann ich dann daraus schließen, dass dort wirklich eine Rose IST? Liegt meiner subjektiven Wahrnehmung also eine objektive Realität zugrunde?

Dazu sollte uns eines klar sein: was immer ich glaube oder weiß, oder glaube zu wissen, geht auf Wahrnehmungen zurück. Ob ich die Rose schön finde, ob sie mich an meine Geliebte erinnert, oder ob ich die Rose "objektiv" messe, also ihr Gewicht bestimme, ihren Wasseranteil oder ihre chemische Zusammensetzung, all dem liegt eine Wahrnehmung zugrunde.

Ob nur ich die Rose berückend schön finde und damit etwas persönliches hineininterpretiere, oder ob ich mir mit allen anderen einig bin, dass sie laut Waage exakt 49 Gramm wiegt,
beidem liegt eine Wahrnehmung zugrunde. Das Ablesen der Waage ist ebenso subjektive Wahrnehmung, wenn auch intersubjektiv übereinstimmend.
(subjektiv ist im Sinne von "wahrnehmend" gemeint, nicht wie umgangssprachlich verstanden "persönlich gefärbt" )

Wir können uns also intersubjektiv über das Gewicht der Rose einig sein, aber wir sollten deswegen nicht die subjektive Wahrnehmung ausklammern oder unter den Tisch fallen lassen. Das ist der ganze Irrtum.

Wir glauben, die von uns wahrgenommenen Dinge würden für sich genauso sein, wie sie sich für uns darstellen. Schließlich finde ich die Rose doch immer am gleichen Platz, dann kann sie doch keine Einbildung sein, nicht wahr?

Der Witz ist, dass es vollkommen unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Rose objektiv für sich sein sollte. Jede Vorstellung oder Aussage darüber kann sich ja nur an der Erinnerung an meine subjektive Wahrnehmung der Rose orientieren.

Ein Beispiel: Stell dir vor, vor dir auf dem Boden liegt ein großer Gummiball. Dieses runde Ding, das wir Ball nennen, nimmst du aus einer bestimmten Perspektive wahr. Du kannst jetzt aufstehen, um den Ball herumgehen, und nimmst ihn aus einer anderen Perspektive wahr. Es ist immer noch dieses runde Ding, nicht wahr? Wenn du aber die Perspektive eines winzigen Tieres einnehmen könntest und nichts von einer menschlichen Perspektive wüßtest, wäre da kein rundes Ding, sondern eine riesige Fläche, deren Krümmung du vielleicht nicht einmal bemerken würdest. Es könnte auch sein, dass du einen gigantischen Hohlraum wahrnimmst, der sich aus einer anderen Perspektive als rundes Ding darstellt.

Du wirst jetzt wahrscheinlich einwenden, dass trotz aller denkbaren Perspektiven doch weiterhin dieses runde Ding da ist, aber dabei fällst du bereits wieder in deine menschliche Perspektive.

Ich weiß nicht, ob ich das schlüssig ausgedrückt habe, aber
was ich sagen will: wenn es dieses runde Ding objektiv für sich gäbe, müßte es quasi frei von jeglicher Perspektive sein. Bzw. alle theoretischen Perspektiven auf sich vereinen. Dann aber hätte dieses Ding keine bestimmte Form mehr bzw. alle möglichen Formen. Und damit wäre es aber kein separates Ding mehr. Das heißt, jede Form ist allein definiert durch die Perspektive eines Beobachters. Kein Beobachter - keine Form - kein Ding.

Also Eberhard, existiert die Rose, wenn du dich umdrehst und sie nicht siehst? Ich würde sagen: nein. Sie existiert nicht, auch nicht, wenn du sie siehst. Weil es sowas wie Existenz überhaupt nicht gibt. Es gibt nur Erscheinungen. Bevor du jetzt ärgerlich wirst, möchte ich dir drei Zitate liefern.

Hui-Neng, ein buddhistischer Mönch des 6.Jahrhunderts, sagte: "von Anbeginn aller Zeiten hat nicht ein einziges Ding existiert. Wie könnte ein Sandkorn existieren, woran sollte es kleben?" Max Plank sagte: "nach jahrelanger Erforschung muss ich sagen, dass es überhaupt keine Materie gibt". Hans-Peter Dürr sagt: "Materie ist die Schlacke des Geistes".

Was ich sagen will: genausowenig wie es Subjektivität oder Objektivität als solche gibt, gibt es Existenz oder Nicht-Existenz als solche. Alles ist existent und gleichzeitig nicht-existent. Nichts ist, aber alles erscheint. Die Wirklichkeit fällt nicht in Kategorien wie Existenz oder Nicht-Existenz, sie ist jenseits davon. Und das ist schon zuviel gesagt.

Zurück zur Rose. Warum also erscheint die Rose immer am gleichen Ort, wenn sie doch angeblich nicht objektiv existiert? Weil sie tatsächlich ein-ge-Bild-et ist. Aber nicht von dir oder mir persönlich. Sie ist eine Einbildung, eine Projektion, ein Ausdruck, eine Form des universellen Bewußtseins/Geistes. Genau wie Eberhard und WuWei eine Projektion des Bewußtseins sind. WIE die Rose wahrgenommen wird, hängt wiederum von den (natürlich ebenfalls projizierten) Sinnesorganen und Gehirnen von dir und mir ab.

WAS konkret wahrgenommen wird, hängt von den Sinnesorganen, Gehirn, dem Licht und allem, was die Wissenschaftler so herausgefunden haben, ab.
Aber dass wahrgenommen wird, hängt von dem einen Bewußtsein ab. Wahrnehmung IST Bewußtsein.
Natürlich kann ohne Sinnesorgane nicht wahrgenommen werden. Aber Sinnesorgane sind selbst ein Ausdruck des Bewußtseins, das ist nicht zweierlei.

Solange du aber glaubst, dass Bewußtsein ein bloßes Nebenprodukt der Materie ist, oder dass du im Besitz von Bewußtsein bist, oder dass Bewußtsein räumlich bestimmbar ist, z. B. sich im Kopf befindet, hast du natürlich größte Probleme mit meinen Aussagen. Du solltest aber nicht vergessen, dass das gängige Verständnis von Bewußtsein auf reinen Annahmen basiert. Auch Bewußtsein existiert nicht als solches, nicht als Objekt. Zum Zwecke der Kommunikation muss ich es aber sprachlich objektivieren, indem ich ihm einen Begriff zuordne.

Wenn du die ganzen Wahrnehmungstheorien konsequent zu Ende denkst, wirst du vielleicht am selben Punkt landen. Alles, was du wahrnimmst, KANN nur ein subjektives Bild sein.
Ob du "dahinter" eine objektive, aber unzugängliche Realität vermutest (wie die Konstruktivisten), oder aber nicht (wie die radikalen Konstruktivisten), ist letztlich egal. Ob du das Gehirn eines Menschen oder die Galaxien des Universums untersuchst, es sind immer (inter-) subjektive Wahrnehmungsinhalte. Es ist quasi das Bewußtsein, das seine eigenen Projektionen betrachtet.

Das ist doch das große Problem aller Wahrnehmungstheorien: wie kann es sein, dass meine Wahrnehmung "hier" im Kopf entsteht, ich sie aber "dort draußen" sehe? Das Problem ist dabei die Trennung zwischen innen und außen. Die Wissenschaftler sagen, hier innen im Kopf entsteht das subjektive Bild eines Baumes, und dort draußen ist der reale Baum (sie verschweigen dabei gerne, dass der "reale Baum" eine reine Vermutung ist).

Das alles macht erst wieder Sinn, wenn ich die künstliche Trennung zwischen innen und außen aufhebe. Dann ist der Baum weder innen noch außen, sondern genau dort, wo ich ihn sehe. Weil ich auch nicht hier "innen" im Kopf bin, und auch nicht dort "draußen", außerhalb meines Kopfes.
Als wahrnehmendes Bewußtsein, als Subjekt, bin ich weder innen noch außen, ich bin nirgends und überall. Und nur weil ich der Baum BIN, kann ich ihn wahrnehmen. Auch wenn mein Körper und der Baum weiterhin als getrennt und voneinander entfernt erscheinen.

Es ist das eine Bewußtsein, das seine eigenen Formen betrachtet und dazu deine und meine Perspektive "benutzt".
Es identifiziert sich mit diesen Perspektiven, so dass der Eindruck von getrennten Wesen, von Persönlichkeiten entsteht.

Zu deiner letzten Frage. Ja, ich gehe davon aus, dass es Thomas gibt. Als Projektion im Bewußtsein, aus meiner persönlichen Perspektive. Und das gilt umgekehrt genauso für mich.

Überleg doch mal: selbst wenn es einen objektiven Thomas gäbe, wir könnten ihn doch niemals wahrnehmen (sorry Thomas!). Genau an dieses Problem stoßen alle Wahrnehmungsforscher: wer sind dann all diese Menschen, mit denen sie täglich kommunizieren? Wenn sie deren Objektivität in Frage stellten, müßten sie ja ihre eigene ebenso in Frage stellen. Und wer will das schon, nicht wahr?

Im Buddhismus gibt es einen schönen Spruch:
Vor der Erleuchtung sind Berge Berge und Flüsse sind Flüsse.
Während der Erleuchtung sind Berge auf einmal keine Berge  und Flüsse keine Flüsse mehr. Aber nach der Erleuchtung sind Berge wieder Berge und Flüsse wieder Flüsse.

Verstehst du, wenn das alles klar geworden ist, wenn es vor allem auch tief empfunden und nicht nur verstanden worden ist, dann kann man auch wieder sagen: "da ist eine Rose" und "das ist Thomas", ohne dass man sich sprachlich einen abbricht.

Ist das nicht die Essenz aller großen Weisheitslehren, dass du die Welt bist, dass du bereits Gott bist? Wie kannst du noch andere Menschen hassen oder verurteilen, wenn du doch diese anderen BIST?

So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden.

Danke für die Geduld und Aufmerksamkeit,
viele Grüße,
WuWei

- V
- Eberhard am 20. Dez. 2004, 09:15 Uhr

Hallo Wuwei,

Danke für die zusammenhängende Darstellung Deiner Position.

Du schreibst: "So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden."

Rechnest Du garnicht mit einer Kritik daran, die Dich zu Korrekturen Deiner Position veranlassen könnte?

fragt Dich (nicht ganz ernst gemeint) Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 09:44 Uhr

einen wunderschönen guten morgen in der weihnachtswoche http://www.handykult.de/plaudersmilies.de/xmas/santacool.gif

wir sind nun im fünften beitrag zum thema wahrheit angelangt. derzeit behandeln wir das thema objektivität.
in seinem eröffnungsbeitrag schreibt eberhard
Zitat:

(Thomas geht) offenbar davon aus, dass ein Satz für sich objektiv wahr oder falsch sein kann.

dem stimme ich soweit zu - wenn auch noch zu klären wäre was in diesem falle "objektiv" meint.
was ich meine ist, dass es zwei elemente gibt, die bedingen, ob ein satz wahr oder ein satz falsch ist. wir haben einerseits die satzaussage, welche sich definiert als, "'X' ist genau dann wahr, wenn P". desweiteren gibt es noch ein bestehenselement - eine tatsache, ein sachverhalt - der "objektiv" zu nennen ist.
diese beiden elemente sind notwendig, um unterscheiden zu können zwischen dem für-wahr-halten eines sachverhalts und dem bestehen eines sachverhalts. es ist durchaus möglich, dass wir eine aussage für wahr halten und es sich faktisch anders herausstellt als wir meinen. wir können zum beispiel eine aussage treffen wie "ich habe letzten monat 1000€ verdient". diese aussage kann wahr oder falsch sein, jenachdem, ob ich letzten monat 1000€ verdient habe oder nicht. ich kann auch glauben im letzten monat 1000€ verdient zu haben, wenn ich meine gehaltsabrechnung bekomme kann ich feststellen, dass ich mehr verdient habe, weil ich nicht mehr an die 500€ weihnachtsgratifikation gedacht habe. was ich letztlich verdient habe sagt mir mein gehaltszettel und entsprechend die buchung des zahlungseingangs bei meiner bank. dementsprechend habe ich "objektiv" das geld verdient, was mir mein gehaltszettel belegt.

in seinem beitrag schreibt gershwin
Zitat:

Nun ist Objektivität auch NUR ein Wort, auf dessen Bedeutung man sich konsensual einigen muss. Und je nachdem, wie man es definiert, kann ein Satz SELBSTVERSTÄNDLICH objektiv wahr sein (exakt: darf man einen Satz selbstverständlich als objektiv wahr bezeichnen).


dem stimme ich zu. es ist selbstredend, dass man sich in vielen fällen darauf einigen muss, welchen maßstab man zugrunde legt. wenn ich z. B. mir eine neue einbauküche kaufen möchte, muss ich meinen zollstock auspacken, und muss die einzelnen schrank-kombinationen die ich haben möchte ausmessen. dabei ist das maß des zollstocks vollkommen ausreichend. dementsprechend habe ich e.g. platz für eine arbeitsplatte von 2m und werde mir eine solche im möbelhaus mit 2m ausgewiesene arbeitsplatte kaufen.

zu WuWeis beitrag habe ich noch mehrere fragen:

Zitat:

Es ist eher die gesamte Gesellschaft, die zum Großteil wissenschaftlich geprägt ist, die an "reine" Objektivität glaubt.


was ist "reine" objektivität? und wodurch unterscheidet sie sich von "unreiner" oder "gewöhnlicher" objektivität?

Zitat:

Alles ist also immer subjektiv und gleichzeitig objektiv.


das verstehe ich nicht. ist die zahl der planeten unseres sonnensystems nun subjektiv 9 (wenn wir die sonne nicht mitrechnen) oder objektiv 9?

Zitat:

Stell es dir einfach mal so vor, dass Objektivität die Form/Erscheinung der Subjektivität ist, während Subjektivität das Wesen/die Essenz von Objektivität ist.


was heißt das?

Zitat:

was immer ich glaube oder weiß, oder glaube zu wissen, geht auf Wahrnehmungen zurück.


geht auch dieses wissen auf eine wahrnehmung zurück? ich denke an dieser stelle wird es paradox.
der satz äußert mehr eine vermutung.

Zitat:

Das Ablesen der Waage ist ebenso subjektive Wahrnehmung, wenn auch intersubjektiv übereinstimmend.


was ist eine subjektive wahrnehmung? ich denke es ist unsinnig zu sagen, wahrnehmung sei subjektiv, in dem sinne, dass wenn ich wahrnehme, ich es bin der wahrnimmt. so funktioniert wahrnehmung: indem ich wahrnehme. und dieses ich ist keine mystische instanz, sondern lediglich eine sprachliche kennzeichnung.

Zitat:

Wir können uns also intersubjektiv über das Gewicht der Rose einig sein, aber wir sollten deswegen nicht die subjektive Wahrnehmung ausklammern oder unter den Tisch fallen lassen. Das ist der ganze Irrtum.


worin irren wir uns denn?

Zitat:

Wir glauben, die von uns wahrgenommenen Dinge würden für sich genauso sein, wie sie sich für uns darstellen.


was ist dieses "für-sich-sein" ?
wenn ich sage "da liegt ein ball!", so kann ich z. B. meinem hund befehlen, den ball zu holen, damit ich ihn wieder wegwerfen kann, um mit dem hund zu spielen. sowohl ich als auch der hund beziehen meine aussage auf den ball. und der hund, sofern er gut trainiert ist, versteht meinen befehl, den ball zu holen.
wenn dort kein ball läge, wie sollte mein hund den ball holen?

Zitat:

Der Witz ist, dass es vollkommen unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Rose objektiv für sich sein sollte.


und warum ist das so? weil die rede von einem "für-sich-sein" grammatischer unsinn ist.

Zitat:

wenn es dieses runde Ding objektiv für sich gäbe, müßte es quasi frei von jeglicher Perspektive sein. Bzw. alle theoretischen Perspektiven auf sich vereinen. Dann aber hätte dieses Ding keine bestimmte Form mehr bzw. alle möglichen Formen. Und damit wäre es aber kein separates Ding mehr. Das heißt, jede Form ist allein definiert durch die Perspektive eines Beobachters. Kein Beobachter - keine Form - kein Ding.


was du uns hier vorführst ist ein philosophischer taschenspielertrick. ich denke, wir können uns einen analogen fall vorstellen, der sich so in der menschlichen geschichte ereignet hat:
die diskussion um die gestalt der erde.
aus der gewöhnlichen betrachtung unserer umwelt können wir den Schluss ziehen, die erde sei scheibenförmig. bewegen wir uns von der erde weg, werden wir unseren irrtum einsehen, und feststellen, dass die erde mitnichten eine scheibe ist. folgt daraus, dass die erde sowohl eine scheibe als auch keine scheibe ist? nein! sondern, wir müssen unsere zuvor gemachte aussage revidieren, die erde sei eine scheibe.

Zitat:

Weil es sowas wie Existenz überhaupt nicht gibt.


das ist aber etwas anderes, als wenn man sagt x existiere nicht.

Zitat:

Es gibt nur Erscheinungen.


wenn ich heute morgen ein brötchen gegessen habe, habe ich ein brötchen oder nur eine "erscheinung" gegessen?

Zitat:

Sie ist eine Einbildung, eine Projektion, ein Ausdruck, eine Form des universellen Bewußtseins/Geistes. Genau wie Eberhard und WuWei eine Projektion des Bewußtseins sind.


für diesen "universellen geist" bleibst du uns derzeit noch einen beleg schuldig.

Zitat:

Auch Bewußtsein existiert nicht als solches, nicht als Objekt.


sondern als informationsverarbeitender prozeß.

Zitat:

Alles, was du wahrnimmst, KANN nur ein subjektives Bild sein.


was auch immer das heißen mag.

Zitat:

Es ist quasi das Bewußtsein, das seine eigenen Projektionen betrachtet.


das ist sachlich falsch.
so funktioniert unsere wahrnehmung nicht!
a) das bewußtsein betrachtet nichts.
b) was betrachtet wird ist keine "projektion".

Zitat:

Das Problem ist dabei die Trennung zwischen innen und außen. Die Wissenschaftler sagen, hier innen im Kopf entsteht das subjektive Bild eines Baumes, und dort draußen ist der reale Baum (sie verschweigen dabei gerne, dass der "reale Baum" eine reine Vermutung ist).  


welcher wissenschaftler sagt, im kopf entstehe ein subjektives bild von einem baum?
das ist mehr als eine schlechte metapher.

Zitat:

So, jetzt habe ich fast meine gesamte Philosophie geschildert. Eigentlich kann ich mich jetzt abmelden.


es wäre aber nett, mich nicht mit meinen fragen allein zu lassen :)

- mfg thomas

- V
- eiweiss am 20. Dez. 2004, 11:02 Uhr

hier sind noch mehr fragen an wuwei:
(bzw. offenbar an mich selbst)

wenn man (auch) die umwelt ist - gibt es dann eine möglichkeit die dinge, die einen scheinbar umgeben, willentlich und nicht mittels seiner körperlichkeit zu beeinflußen ?
das würde (nicht nur) mich schwer beeindrucken.
oder bin ich in diesem zustand der erkenntnis, "der erleuchtung", frei von jeglichem wollen ?

wie hat das jesus gemacht (wasser in wein, blinde sehen, tote leben etc) ? wollte er oder geschah es einfach?
hat uri geller die subjekt-objekt-relation überwunden?
wenn ich die lottokugeln bin kann ich dann...?

wieviel % des tages befindest du dich in diesem "einheitlichen" zustand?
ist der tod letztlich unsere unbewußte antwort auf diese beschränkte, alltägliche, in  ich+du trennende bewußtseinseinstelliung?
wie komme ich überhaupt zu dieser "falschen" sicht der dinge?
liegt der grund, "die sünde" in meiner geburt? weil ich sein wollte? weil ich vom baum der erkenntnis von gut und böse genascht habe? weil  gut und böse nur für das ich existiert das nicht alles ist?
ist dieses ich vielleicht das tier der offenbarung? (s. auch meine frage im forum reli.philo,offb 13,18?) das tier das macht hat über alle- ...über jeden stamm, jedes volk, jede sprache und nation (13,7).das tier das alle anbeten-...die kleinen und die großen, die reichen und die armen, die freien und die sklaven(13,16) und das jeder nur kaufen oder verkaufen kann (13,17) wenn er anbetet, weil es kaufen und verkaufen nur dann gibt wenn man in ich und du trennt?
gibt es eine rettung?
wie können wir  satan vernichten?
aber, verdammt... ich selbst bin ja satan!
also selbstvernichtung?
hat jesus sich selbst gekreuzigt?


bin gespannt auf deine...ähh meine....nein unsere,brüder,unsere antworten!

mfg

- V
- Eberhard am 20. Dez. 2004, 11:29 Uhr

Hallo WuWei,

mir ist das "ozeanische" Gefühl der Verschmelzung mit dem Kosmos, des "Eins-Seins-mit- allem" nicht ganz fremd, aber ich unterstelle einmal, dass Du Deinen Beitrag nicht als Gedicht oder Glaubensbekenntnis verstanden wissen willst, sondern als eine rationale Position, die kritischen Argumenten standhalten soll.

Das heißt, wenn ich hier mit Dir argumentiere, dann tun wir das mit dem gemeinsamen Ziel, Antworten auf die gestellten Fragen zu finden, denen wir beide aufgrund von gemeinsam akzeptierten Argumenten zustimmen können.

Dazu gehört zum einen, dass man sich gegenseitig versteht und deshalb die Aufgabe hat, in einer für den andern verständlichen Sprache zu sprechen.

Zum andern muss jeder von uns bereit sein, Widersprüche aufzulösen, die zwischen den vom Betreffenden anerkannten Behauptungen auftauchen.

Ich könnte in meiner Kritik jetzt so vorgehen, dass ich Deinen Gedankengang nachvollziehe und mich frage, ob ich an irgendeiner Stelle Deiner Schlussfolgerungen einen Übergang von einer These zur nächsten nicht mitmachen kann.

Aber ich will umgekehrt vorgehen. Ich übernehme einmal probehalber das Resultat Deiner Überlegungen und frage mich, ob dies Resultat mit andern Aussagen, die ich für wahr halte, im Einklang steht.

Dein Resultat ist u. a. die These "Ich bin der andere".

Demgegenüber gehört es zu meinem Weltbild, dass Ich nicht Du bin. Denn wäre Ich Du, dann wüsstest Du, was Ich denke und Ich brauchte Dir nicht erst diese Worte zu schreiben.

Wenn Ich Du bin, dann folgt daraus, dass Ich weiß, was Du denkst. Nun weiß Ich aber nicht, was Du auf diese meine Kritik antworten wirst. Insofern kann Ich nicht Du sein.

Dass Du und Ich verschiedene Personen sind, ist auch nicht nur ein (falscher) Eindruck, der durch besondere Umstände hervorgerufen wird, denn Ich habe nicht nur den Eindruck, dass Ich nicht weiß, was Du antworten wirst, sondern Ich weiß wirklich nicht, was Du antworten wirst. Insofern bin Ich tatsächlich nicht Du.

Vielleicht ist es Dir möglich, den Widerspruch zwischen den Behauptungen: "Ich bin der andere" und "Ich bin nicht der andere" aufzulösen.

Offenbar gibt es für Dich mehr als eine Bedeutung von "Eins-sein" oder "Identität".

Vielleicht nimmst Du auch verschiedene Ebenen der Wirklichkeit an: vor der Erleuchtung, während der Erleuchtung und nach der Erleuchtung, zwischen denen keine Widersprüche bestehen können, weil es sich um getrennte Bereiche handelt. Dann müsstest Du aber korrekter Weise immer die jeweilige Ebene, auf der Du sprichst, mit angeben.

Außerdem dürftest Du dann auch keine logischen Schlussfolgerungen von Aussagen auf der einen Ebene auf Aussagen einer anderen Ebene ziehen, da beides unterschiedliche Ebenen der Wirklichkeit sind.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s.: Vielleicht hat manch einer den Eindruck, dass wir hier vom Thema "Wahrheit" zu weit abschweifen, aber im Hintergrund stehen für das Thema relevante Fragen: (Ist nur das Bewusstsein wirklich? Gibt es mehrere voneinander unabhängige Ebenen der Wirklichkeit? Existieren Personen und Dinge "objektiv" ? Welchen Sinn hat die Forderung nach "Objektivität" ?) Außerdem geht hier um Aussagen, die mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung behauptet werden. Ob es sich dabei um Behauptungen darüber handelt, wie die Welt beschaffen ist, ist allerdings eine offene Frage. Ich denke, wir kriegen die Kurve zum Thema.

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 14:05 Uhr

Hallo alle,

natürlich melde ich mich nicht ab, das wäre ja feige, nachdem ich derart gewagte Thesen in den Raum geworfen habe.

Eines könnt ihr mir glauben: alle eure verständlichen und berechtigten Einwände sind mir nur zu gut bekannt. Die habe ich alle selbst schon erhoben. Und manche erhebe ich auch immer noch.

Ich bin also weit davon entfernt, zu glauben, ich könne ein perfektes Weltmodell vorlegen. Das würde meinen eigenen Ansichten widersprechen.

Eberhard, du hast in der Tat die entscheidende These herausgegriffen und die "richtigen" Fragen dazu formuliert. Wie also kann es sein, dass ich du und auch alle anderen bin? Und warum kann das jeder sagen?

Ich habe in einem anderen thread mit tilLL über den "Urgrund" des Seins (Tao) diskutiert. Ich sagte, wir sind selbst dieser Urgrund, während er meinte, es sei besser zu sagen,
unser Urgrund sei der derselbe wie der Urgrund allen Seins.

Egal, auf jeden Fall verwendete tiLL dann ein Bild, das mir so gut gefiel, dass ich es hier anbringen will (ohne damit tiLLs Ansichten für mich vereinnahmen zu wollen):

Zitat: "Ich würde sagen er (der Urgrund) befindet sich tatsächlich zum Teil ausserhalb von einem selbst. Es ist so wie mit Materie und Raum: Die Materie ist im Raum aber der Raum ist auch "in" einem Materieklumpen (nämlich genau soviel Raum wie dieser Klumpen ausfüllt)".

Der Raum ist also transzendent und gleichzeitig immanent.

Jetzt kannst du dich für einen Materieklumpen bzw. Körper in diesem Raum halten und mich für einen anderen Materieklumpen. Oder du kannst erkennen, dass zwischen dem Raum, den der Materieklumpen einnimmt und dem "restlichen" Raum überhaupt keine Trennung existiert. Also BIST du ebenso dieser Raum. Du bist der Raum (Subjekt), wie du auch weiterhin der Materieklumpen (Objekt) bist. Als Raum bist du aber natürlich auch alle anderen Materieklumpen, sprich Objekte.

Verstehst du jetzt, wie ich es meine? Als Raum bin ich du und du bist ich. Insofern kannst du genau wie ich sagen: ich bin alle anderen!

Als Materieklumpen aber erscheinen wir als getrennt und wissen nicht, was der andere denkt. "Ich bin der andere" und "Ich bin nicht der andere" ist also kein Widerspruch, weil es nicht zweierlei Wirklichkeiten sind, sondern nur verschiedene Perspektiven auf ein und diesselbe Wirklichkeit.

Dennoch: wenn du und ich als Raum ein und dasselbe sind, warum kennt der Raum dann nicht all seine Gedanken?
Weil der Raum selbst eben kein Ding ist, das irgendwelche Gedanken oder Erinnerungen haben könnte. Der Raum IST alle Gedanken und Erinnerungen, aber er HAT keine.

Der grenzenlose Raum ist nichts anderes als "unser" Bewußtsein. Bewußtsein ist Raum und beinhaltet alle Materie, ist selbst aber kein Materieklumpen. Körper, Sinnesorgane, Gehirn, Gedanken und Gefühle sind dagegen Materieklumpen (um im Bild zu bleiben).

Nein Eberhard, es gibt nicht verschiedene Ebenen der Wirklichkeit, sondern nur verschiedene Perspektiven innerhalb der Wirklichkeit. Der "Zustand" der Erleuchtung ist nur eine andere Perspektive. Er ist relativ gesehen "das Ende des Leidens", zumindest hat es Buddha so beschrieben. Letztendlich ist dieser Zustand aber kein bißchen wahrer, besser oder realer als andere Perspektiven.

Der Vielheit liegt die Einheit zugrunde, und die Einheit erscheint als Vielheit. Wegen dieses "Verhältnisses" spricht man von Non-dualität, also Nicht-Zweiheit. Sonst könnte man es ja nur Einheit nennen, würde aber die Vielheit damit leugnen.

Ich hoffe, ich konnte dir diese Philosophie damit ein wenig näher bringen. Weißt du, Wissenschaft, Philosophie und Religionen sind fast ausschließlich dualistisch. Die Non-dualität ist dennoch an vielen Stellen zu finden. Du findest sie bei allen mystischen Zweigen der Weltreligionen, bei den Zen-Buddhisten, dem hinduistischen Advaita, dem Taoismus des Laotse und Dschuang Dsi, bei den islamischen Sufis, den Kabbalisten und auch bei christlichen Mystikern wie vor allem Meister Eckhart und Giordano Bruno. Diese Erkenntnis schimmert auch durch bei Philosophen wie Wittgenstein, aber auch bei Physikern wie Erwin Schrödinger und Hans-Peter Dürr. Suche und du wirst finden ;-).

Das "ozeanische Verschmelzen" ist meiner Meinung nach keine Einbildung und auch nicht nur ein Zustand im Gehirn. Eher ist das Gefühl der Trennung eine Einbildung. Aber zur Wirklichkeit gehört eben auch die Einbildung.


Hallo eiweiss,

ich hoffe, damit sind auch deine witzig-provokanten Fragen beantwortet. Nicht ich als Person bin alle anderen Personen, das wäre ein Irrtum. Insofern habe ich auch keine Ahnung, wie die Lottozahlen lauten (schade, bei dem letzten Jackpot)

Ich bzw. du als Raum bin/bist diese Welt, habe/hast aber keine Macht darüber. Um Macht über etwas zu haben, muss man davon (scheinbar) getrennt sein.

Ich bin übrigens die ganze Zeit in diesem einheitlichen Zustand, genau wie du es auch bist. Dir ist es aber nicht bewußt, mir meist auch nicht.

Der Sündenfall könnte man tatsächlich so interpretieren, aber ich halte nichts davon, von einer "falschen" Sicht der Dinge zu sprechen. Die eingebildete Trennung ist genausowenig falsch, wie die "Erleuchtung" richtig ist.  

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 14:58 Uhr

Hallo Thomas,

du hast dir viel Mühe gegeben, deine Fragen zu formulieren, bitte nimm es mir aber nicht übel, wenn ich nicht auf jede einzelne eingehe.

Du scheinst überhaupt nicht nachvollziehen zu können, von was ich spreche. Vielleicht reden wir auch teilweise aneinander vorbei.

Es gibt den schönen Satz: Objektivität ist die Wahnvorstellung, dass es etwas Beobachtetes ohne den Beobachter gibt.

Da sind also 9 Planeten, die du entweder beobachtet oder davon gehört hast. Frage: wenn keiner diese 9 Planeten beobachtet, sind dann genau diese Planeten weiterhin dort, wo du sie jetzt beobachtest bzw. vermutest?

Glaubst du, dass der Urknall tatsächlich stattgefunden hat, obwohl ihn doch niemand beobachten konnte?

Wenn du beide Fragen mit Ja beantwortest, dann "leidest" du unter der Wahnvorstellung Objektivität. Solche Leute nennen sich normalerweise "Realisten"  [grin]. Nichts für ungut.

Was ich sagen will: es gibt keine eigenständig existierenden Dinge, die wir wahrnehmen. Es gibt nur wahrgenommene Dinge. Jeder Klang ist nur ein gehörter Klang, jede Form ist nur eine gesehene Form, jede Schallwelle ist nur eine gemessene Schallwelle, jede feste Substanz ist nur eine gefühlte feste Substanz, jede Zeit ist nur empfundene oder gemessene Zeit, jede Distanz ist nur eine gemessene Distanz.

Insofern hast du tatsächlich eine Brötchen-Erscheinung gegessen. Na und? Was ist daran schlimm? Immerhin hat sie dich satt gemacht, was eine weitere Erscheinung ist.
Ich weiß, ich mute dir viel zu [cheesy].

Für den "universellen Geist" bin ich dir aber keinen Beleg schuldig. Warum sollte ich dir beweisen müssen, dass du lebst und wahrnimmst???

Bewußtsein ist kein informationsverarbeitender Prozess. Dieser Prozess bzw. die Vorstellung davon erscheint selbst im Bewußtsein. Im Gehirn finden solche Prozesse statt, genau wie in meinem Computer. Aber der Computer ist sich dessen nicht bewußt, das ist der große Unterschied.
Diese bewußte Innenperspektive ist nicht physikalisch zu erklären, auch wenn es immer wieder versucht wird.

Du schreibst: "welcher wissenschaftler sagt, im kopf entstehe ein subjektives bild von einem baum?"

Ich fürchte, du bist dir der Probleme und Ungereimtheiten nicht bewußt, die entstehen, wenn man die gängigen Wahrnehmungstheorien konsequent durchdenkt.

Erkläre mir doch bitte, wie du glaubst, dass Wahrnehmung funktioniert. Wie kann ich hier ein Ding dort wahrnehmen, wie ist das überhaupt möglich?

bis dahin,
Grüße,
WuWei

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 16:01 Uhr

hallo wuwei,

ich muss gestehen, ich habe probleme, zu verstehen, was du uns sagen möchtest. vielleicht liegt das an der menge an "freien variablen" in deinem text. um deshalb besser verstehen zu können, was du sagst, hier ein paar gezielte fragen:

1) was ist für dich "sein" ?
2) was ist der "urgrund des seins" ?
3) was ist für dich "raum" ?
4) wie kann "raum" in dingen und um diese dinge herum sein?
5) was heißt es für jemanden "ein raum sein" ?
6) wie kann ich "als raum" jemand anderes sein?

es wäre hilfreich, wenn du diese fragen kurz beantworten könntest. darüber hinaus noch folgende anmerkungen:


Zitat:

Da sind also 9 Planeten, die du entweder beobachtet oder davon gehört hast. Frage: wenn keiner diese 9 Planeten beobachtet, sind dann genau diese Planeten weiterhin dort, wo du sie jetzt beobachtest bzw. vermutest?


diese frage ist falsch gestellt, und mit einer gegenfrage ist sie leicht zu entkräften: was läßt dich als beobachter darauf schließen, dass die 9 planeten nicht mehr da sind, wenn sie niemand beobachtet?
ich denke du verkehrst hier einige tatsachen.
wir menschen werden in eine welt geboren, die uns als solche vorgängig ist. wir haben empfindungen, wie z. B. hunger und durst, die wir nicht willentlich beeinflussen können. wir leben in einer familie von menschen, die schon vor uns gelebt haben, und die uns auf unserem lebensweg ein stück weit begleiten. wir lernen den umgang mit den dingen dieser welt; wir lernen dinge zu benennen und mit unserer sprache umzugehen. wir machen erfahrungen in einer von uns intersubjektiv geteilten welt. wenn wir in den sternenhimmel sehen, so sehen wir die 9 planeten, weil die 9 planeten dort sind. sie formieren sich nicht just in dem augenblick, in welchem wir sie erblicken. wir haben keinen anhaltspunkt für diese absurde hypothese. sie widerspricht dem, wie wir die welt erleben.


Zitat:

Glaubst du, dass der Urknall tatsächlich stattgefunden hat, obwohl ihn doch niemand beobachten konnte?


diese frage ist ebenso falsch gestellt.
wenn jemand an den "urknall" glaubt, so läßt sich daraus nicht ableiten, ob jemand realist oder was auch immer ist. war christoph kolumbus realist, weil er vermutete, die welt umsegeln zu können, obwohl das niemand vor ihm -leif erikson einmal außen vor- jemals getan hat? wir könnten deine frage auch anders formulieren: "glaubte der mensch des 14. jahrhunderts an einen kontinent, den wir heutigen 'amerika' nennen?" diese frage läßt sich nicht beantworten. warum? weil 'amerika' für den menschen des 14. jahrhunderts keinerlei bedeutung hat; hätte er an 'amerika' geglaubt, würden wir heute sagen, seine vermutung sei "richtig" oder "wahr" gewesen bzw. "hat sich bewahrheitet". und dieser analogie entsprechend können wir auch die frage nach dem "urknall" derart beantworten, dass die vermutung "es gab einen urknall" dann wahr ist, wenn es einen urknall gab - analog zum beispiel, dass der mensch des 14. jahrhunderts vermutet hat, es gebe amerika.
wir haben in diesem zusammenhang indizien, z. B. das "kosmische hintergrundrauschen", "die rotverschiebung" / "hubble-effekt" etc., die diese vermutung nahelegen. d. h. wir haben gute gründe für unsere vermutung. ob dem so war oder nicht, liegt jenseits unserer kenntnisse - ebenso wie "amerika" außerhalb des kenntnisbereichs des menschen im 14. jh. liegt.


Zitat:

Insofern hast du tatsächlich eine Brötchen-Erscheinung gegessen. Na und? Was ist daran schlimm? Immerhin hat sie dich satt gemacht, was eine weitere Erscheinung ist.


ich denke, an dieser stelle missbrauchst du das wort "erscheinung". wenn alles eine erscheinung ist, ist diese behauptung bedeutungslos. wir könnten genausogut dabei bleiben, und sagen, dass ich ein "echtes" brötchen gegessen habe. es würde sich nichts ändern.
allerdings würde mich interessieren, wie du eine "fata morgana" erklärst. für mich drängen sich die vokabeln "schein", "täuschung" etc. auf, die für dich keinen sinn haben dürften. ich gehe aber dennoch davon aus, dass wir einer meinung sind, dass man eine "erscheinende" oase niemals erreichen kann, oder?

Zitat:

Im Gehirn finden solche Prozesse statt, genau wie in meinem Computer.


ich bezweifle, dass in deinem computer -dem die von neumannsche rechnerarchitektur zugrunde liegt- ähnliche prozesse wie im menschlichen gehirn stattfinden. das menschliche gehirn ist nicht nach diesem schema aufgebaut, sondern besteht aus der verbindung einzelner neuronen, die zusammengenommen ein neuronales netzwerk bilden.
neuronale netzwerke funktionieren nach einem ganz anderen prinzip. wenn du dich ein wenig informieren möchtest: http://www.aaai.org/AITopics/html/neural.html


Zitat:

gängigen Wahrnehmungstheorien


was sind gängige wahrnehmungstheorien?


Zitat:

Erkläre mir doch bitte, wie du glaubst, dass Wahrnehmung funktioniert.


ich denke, dass es die tragweite dieser diskussion und dieses forums sprengt, wenn ich anfange, die funktionsweise unserer wahrnehmung zu erklären.
stattdessen gebe ich dir gern zwei literaturhinweise, wo du dich über den "aktuellen" stand der forschung informieren kannst:

1) e. bruce goldstein: wahrnehmungspsychologie
ISBN: 3827410835

kapitel 2 (das sehen - einführung: rezeptoren und neuronale verarbeitung)
kapitel 3 (das sehen - einführung: die zentrale verarbeitung)
kapitel 5 (objektwahrnehmung)
kapitel 13 (medizinische aspekte des sehens und hörens)

2) richard f. thompson: das gehirn
ISBN: 3827410800

darin vorallem das kapitel 8 (sensorische prozesse).

wenn auch ein wenig überholt, aber wie ich finde dennoch lesenswert: hoimar v. dithfurth "der geist fiel nicht vom himmel" ISBN: 342301587X.

die beiden fachbücher richten sich vorallem an studenten und den interessierten laien und sind durchaus verständlich in ihren darstellungen. der "thompson" hat als kleines goodie sogar noch einen anhang mit einem kleinen überblick über die grundlagen zum verständnis der biochemischen prozesse.

eine spannende lektüre für die "ruhigen tage".

-mfg thomas

- V
- WuWei am 20. Dez. 2004, 19:51 Uhr

Hallo Thomas,

Im Grunde hat es wenig Sinn auf deine Fragen einzugehen, weil ich fürchte, dass da auch zuwenig Offenheit da ist, um bestimmte Dinge in Frage zu stellen. Das soll aber beileibe keine Wertung oder gar Vorwurf sein. Die Frage ist nur, ob es Sinn macht, dass wir beide da doch einige Zeit und Mühe hineinstecken.

Ich denke, du kannst dich bemühen zu verstehen, was ich meine. Ich kann dir das aber nicht auf dem Silbertablett servieren, du musst mir entgegenkommen, wenn es dich überhaupt interessiert. Ich könnte mich auch hinstellen und erstmal fragen, was du unter einer "Tatsache" oder ähnlichen Begriffen genau verstehst. Unter diesen Voraussetzungen wird aber überhaupt kein Gespräch zustande kommen.

Dennoch werde ich dir antworten, damit du nicht denkst, ich kneife.

Unter Sein verstehe ich alles, das in irgendeiner Weise wahrnehmbar ist, also alle Objekte.  

Unter Urgrund des Seins verstehe ich die Essenz, das Wesen, die Substanz dieser Objekte.

Auf Raum gehe ich nicht weiter ein, weil es nur ein Vergleich war.

Du fragst: "was läßt dich als beobachter darauf schließen, dass die 9 planeten nicht mehr da sind, wenn sie niemand beobachtet?"

Ganz einfach: weil sie nicht da sind, wenn ich sie nicht beobachte. Das ist keine absurde Hypothese und widerspricht auch nicht dem, wie wir die Welt erleben. Im Gegenteil: genauso erleben wir die Welt. Ich muss daher dich fragen: was läßt dich als Beobachter darauf schließen, dass die Planeten auch da sind, wenn sie niemand beobachtet?
Weil andere die Planeten auch dort sehen, oder weil sie jedesmal dort sind, wenn du hinguckst? Daher nimmst du es an.

Amerika kannst du besuchen, der Urknall wird immer eine reine Vermutung bleiben, die noch dazu zahlreiche Ungereimtheiten in sich trägt.

Ich missbrauche den Begriff "Erscheinung" nicht, sondern verwende ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Die Luftspiegelung namens Fata Morgana ist genauso eine Erscheinung wie die Stadt, die sie spiegelt. Als solche ist sie genausowenig Täuschung wie die Stadt selbst. Wenn ich aber die Luftspiegelung für die Stadt halte, erliege ich einer Täuschung.

Erscheinung ist nicht gleichbedeutend mit Täuschung. Erscheinung heißt, dass das Wahrgenommene im Bewußtsein erscheint. Es hat keine eigenständige Existenz außerhalb des Bewußtseins, also wenn es nicht wahrgenommen wird.

Mir ist schon klar, dass die Prozesse im Gehirn nicht so ablaufen wie die Prozesse im Computer. Es ging mir nur darum zu sagen, dass Bewußtsein kein Prozess ist, sondern das, was sich dieses Prozesses, genauer gesagt den Auswirkungen des Prozesses bewußt ist.

Danke für die Literaturtipps zur Wahrnehmung. Offenbar gehst du davon aus, dass Wahrnehmung weitgehend erforscht ist. Dem ist aber nicht so. Kennst du Gerhardt Roth, "Das Gehirn und seine Wirklichkeit" ? Darin werden die Probleme dargestellt, wobei sich Roth am Schluss ebenso in reinen Annahmen ergeht.

Wenn angeblich meine Augen optische Sinnesreize von einem Ding aufnehmen, sie ans Gehirn weiterleiten, dieses dann die Informationen zu einem Bild verarbeitet, wieso sehe ich dann das Ding nicht in meiner Gehirnrinde, sondern da draußen? Wie kommt dieses Bild aus meinem Gehirn wieder an seine angebliche Quelle? Kann das Gehirn Bilder projizieren? Mit Lichtgeschwindigkeit? Dann wäre ein 20 Lichtjahre entfernter Stern nur 10 Lichtjahre entfernt, weil man ja vergessen hat, den Rückweg für die Projektion zu berechnen.
Oder projiziert das Gehirn gar nicht das Bild, sondern erweckt nur den Anschein einer Projektion? Laufen wir dann in der virtuellen Scheinwelt des eigenen Gehirns herum? Wenn alles Wahrgenommene nur subjektive Bilder einer angeblich objektiven Realität sind, dann ist auch unsere Vorstellung von unserem Gehirn nur ein subjektives Bild, aber von was?
Wer oder was hat dann das Gehirn projiziert?

Woher will ich wissen, dass hinter meinem wahrgenommenen Baum ein objektiv realer Baum steht? Selbst wenn andere die gleiche Wahrnehmung eines Baumes haben, ist ein objektiv realer Baum dahinter eine reine Annahme. Ich werde darauf niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis haben.
Kannst du mir darauf antworten, ohne Literaturverweis?

Verstehst du Thomas, real sind allein deine subjektiven Wahrnehmungen, der Baum genauso wie das Brötchen.
Der dahinter vermutete, wahrnehmungsunabhängige Baum ist dagegen ein reine Vermutung.

Natürlich ist es für dich egal, ob du ein subjektives oder objektives Brötchen isst. Aber diese, wie ich finde, berechtigten Fragen, Zweifel und Überlegungen, stellen im Grunde unser gesamtes wissenschaftliches Weltbild in Frage. Zumindest wird es dadurch relativiert.

Wenn du darauf keinen Bock hast, kann ich das durchaus nachvollziehen.

viele Grüße,
WuWei

- V
- eiweiss am 20. Dez. 2004, 20:59 Uhr

ein hallo in die runde !

die perspektive von der wuwei spricht, müßte uns allen eigentlich bekannt sein:

die entwicklungspsychologen gehen davon aus, dass individualität ein sekundäres, kein primäres phänomen ist. individualität beginnt erst in einer späteren phase der entwicklung als resultat einer internalisierung der frühen sozialen einheit zw. uns und unseren frühen bezugspersonen dh in erster linie unserer mutter.
der säugling ist (zunächst) außerstande sog. homöostasestörungen (sozusagen gleichgewichtsstörungen) in seinem körper und der abwesenheit der mutter zu unterscheiden.
der säugling erlebt die mutter nicht als von ihm getrennte persönlichkeit. für den außenstehenden erscheinen mutter und kind als soziales system, als zwei subjekte. für den säugling aber als EIN selbst, dass den mütterlichen anteil des systems noch nicht als getrenntes sein erlebt. für ihn ist es KEIN soziales system. nach der physischen+ psychischen trennung bleiben die mütterlichen anteile weiterhin anteile des kindlichen selbst.
auch die anwesenheit bzw abwesenheit der mutter gibt es nur für den außenstehenden beobachter. für den säugling sind es nur veränderungen in seiner symbiotischen umwelt (mutter-kind), von der er eben selbst noch ein teil ist. man geht davon aus, dass die atmosphäre dieser symbiotischen umwelt (hoffentlich warm, weich,beruhigend und nicht kalt und stumm) als stimmungsgehalt der späteren individuellen wirklichkeit zugrunde liegt. psychoanalytiker meinen, dass hier die wurzel für das spätere urvertrauen, für den basalen selbstwert, liegt. dieser selbstwert ist mit dem wert der gesamten späteren individuellen wirklichkeit gekoppelt.kommt zweifel am selbstwert auf ( wie bspw bei depressiven patienten) führt das zu einem zweifel an dem wert der dinge und vorgänge der umgebung (" alles grau in grau" ). es gibt also scheinbar eine korrespondenz zw selbstwert und objektwert (" liebe deinen nächsten wie dich selbst" ).

zurück zum säugling:
für den besteht das dasein  nur in der alternative zw  selbst (ruhe,behaglichkeit,zufriedenheit) und nicht-selbst (un-ruhe, etc). der übergang von nicht-selbst zu selbst bereitet ihm lust.umgekehrt empfindet er unlust.
die entwicklungspsychologen lehren,dass dieses grundmuster jeder situation im späteren leben zugrunde liegt (was man bei einem geschlechtsakt, also dem wunsch sich zu vereinigen, durchaus nachvollziehen kann,oder?).
für den säugling lösen sich objekte "in nichts" auf sobald sie die wahrnehmung verlassen. mit beginn des vorstellungvermögens (18.-20. monat) kommt es zum aufbau einer welt mit konstanten objekten und einem ich-bewußtsein.allerdings muss das kind jedesmal wenn die objekte auftauchen, diese vom subjekt trennen. Z.B imitiert das kind mit dem mund durch vorstrecken des kiefers eine streichholzschachtel. im gedächtnis werden also offenbar nicht abbilder einer objektiv vorgegebenen realität gespeichert, sondern programme zur erzeugung von bildern.

mit dem erlernen der sprache entsteht schließlich eine welt mit festen, durch namensgebung stabilisierten objekten. die individuelle wirklichkeit ist letztlich eine umwandlung der mütterlichen anteile des "symbiotischen funktionskreises".

in diesem zshg interessant:materie: etymologisch von mater (=mutter)

der hintergrund jeder kommunikation im späteren leben ist die einheit von subjekt und objekt  im erleben des säuglings.

das sagen die psychologen.
wuwei scheint also ein verdammt gutes gedächtnis zu haben. "wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die kinder, so werdet ihr nicht in das himmelreich eingehen" (matthäus 18,2)

wer hätte das gedacht?

mfg  

- V
- fFflLloOo am 20. Dez. 2004, 21:02 Uhr

hallo zusammen.

ohne für irgend eine seite dieser krass polarisierten diskussion sprechen zu wollen:

wenn wir von wahrheit sprechen, dann sprechen wir doch von einem abstrakten begriff, der die erkenntnis über die art und weise bedeutet, wie die dinge wirklich sind.

wieso ist es also ein esoterisches verbrechen gegen den gesunden menschenverstand, wenn man sich fragt, ob das offenbare, also das sinnlich und intellektuell unmittelbar erfaßte, die warheit über die dinge ist?

was wu-wei offenbar schwer fällt, ist die trennung zwischen der bewertung eines urteils über einen sachverhalt und der prinzipiellen möglichkeit sich zu fragen, was die warheit ist, um sich quasi sukzessive (und sinnlos) dem begriff der absoluten wahrheit zu nähern.

auf jeden fall ist es in einer diskussion über den begriff 'wahrheit' nicht unangebracht sich zu fragen, ob die bewertung eines urteils über einen sachverhalt in diesem zusammenhang das einzig diskutierenswerte ist.

ich versuche einfach die zwei hauptlinien dieser diskussion zu skizzieren:

bild I:

wahrheit aufgrund der logik, bzw. bewertung eine urteils.

beispiel: wenn P als gegeben vorausgesetzt wird, dann gilt P=>Q genau dann, wenn diese aussage auf keinen widerspruch führt. das heisst die aussage X='P=>Q' ist wahr. hieraus resultiert (meines erachtens triviale, aber dennoch wichtige) wahrheitsbegriff, den thomas und eberhart offenbar vertreten, bzw. den man einfach als wahrheitsbegriff akzeotieren muss.

bild II:

die frage nach der art und weise wie die wirklichkeit ist, im allgemeinsten sinne.

also beispielsweise: "was ist dieses ding Y?"

die antwort auf diese frage kann natürlich nicht gegeben werden, in dem man beispielsweise über die sinneswahrnehmung gewonnene informationen über Y aufzählt, wie "Y ist grün, klein und stinkt".

die methode dieser fragenden wahrheitssuche ist natürlich im grunde absolut unpraktikabel und viel eher von philosophischer natur als die methode, aus der bild I resultiert, denn sie schliesst eine befriedigende antwort - wenn mann strikt und pedantisch weiterdenkt - a priori aus, da Y nicht nur klein, grün und übelriechend sein kann, sondern durch eine unzahl von informationen charakterisiert ist, wenn man räumlcihe ausdehnung, physikalische, chemische eigenschaften, psychologische wirkung auf den betrachter, molekulare struktur, atomare struktur und subatomare struktur, mitberücksichtigt. das ist aber noch nichteinmal das wesentliche, obwohl der aufwand in dieser analytischen intensität sicher enorm wäre. der wesentliche teil der informationen zu Y ist ja nicht der, von dem man weiss, dass man ihn ermitteln kann. das eigentliche problem sind doch die fragen zu Y, auf die man noch nicht gekommen ist. woher weiss ich denn nämlich, dass ich zu einem ding Y alle denkbaren fragen gestellt habe? wie kann ich beweisen, dass es keine weiteren fragen mehr gibt, die ich zu irgend einem ding Y stellen könnte? wenn man das beweisen könnte, dann könnte man definitiv sagen, dass die gesamtheit der antworten auf alle zu einem ding Y stellbaren fragen der absoluten wahrheit über Y entspricht.
ich gehe mal davon aus, dass es keine methode gibt, mit der man feststellen könnte, welche analytischen konzepte zur vollständigen identifikation von Y noch fehlen, wissend, dass ich das eigentlich nicht darf, aber aus methodischen gründen ist das jetz mal egal.
wenn ich also nicht wissen kann, ob ich alle denkbaren fragen zu einem ding Y überhaupt stellen kann, wie kann ich dann begrifflich einwandfrei definieren was 'wahrheit' ist? => nichttrivialer charakter von bild II.

mfg flo

- V
- jacopo_belbo am 20. Dez. 2004, 21:58 Uhr

hallo ffloo,

zu deinen bildern, "'X' ist genau dann wahr, wenn P" ist nichts anderes, als eine semantische wahrheitsdefinition. diese liegt meiner position (mit)zugrunde. wenn wir aussagen auf "wahrheit" überprüfen möchten, müssen wir zunächsteinmal verstehen, was die aussage bedeutet; dementsprechend können wir eine zuordnung zu einem "bestehenselement" vornhemen. wenn ich sage die aussage "merkur ist der sonnennächste planet", so ist diese aussage wahr, wenn merkur der sonnennächste planet ist. d. h. wir müssen zum einen verstehen, was "merkur" heißt, was "sonnennächster planet" bedeutet, um der aussage zuzustimmen, oder diese aussage als falsch auszuzeichnen. zum anderen müssen wir wissen, dass "merkur" ein name ist,  und das mit "sonnennächster planet" eine relation eines planeten zur sonne gemeint ist - wobei sonne wiederum ein name ist.

das hat zunächst wenig mit einem logischen "verhältnis" zu tun. einzig logisch ist die relation "'X' ist genau dann wahr, wenn P".

zu deinem zweiten bild:

Zitat:

" was ist dieses ding Y?"


solche fragen scheinen sich (noch immer) großer beliebtheit zu erfreuen. vorallem ist bei solchen fragen meist eine totalität impliziert. diese totalität wird meist dem sprachlichen ausdruck gegenübergestellt. die sprache ist im verhältnis zu den dingen und sachverhalten unterdeterminiert, oder einfach gesagt: die sprache ist nicht so nuancenreich, dass sie es uns erlaubt z. B. die mannigfaltigkeit der visuellen eindrücke wiederzugeben.
für mich stellt sich die frage, ob sich daraus erkenntnistheoretische probleme ergeben, bzw. ob die erkenntnis der welt prinzipiell darunter zu leiden hat.
meine antwort fällt schlicht aus: nein. unsere erkenntnis hat darunter nicht zu leiden. für unsere zwecke ist unsere sprache ausreichend.
wenn wir z. B. unsere visuellen eindrücke verbal kodieren, ist es ausreichend, e.g. eine endliche menge an farbennamen zugrunde zu legen - abgesehen von der sprachökonomie.
wenn wir zum beispiel an einem marktstand nach "grünen" oder "roten" äpfeln fragen, so ist der meßbare grün-/rot-anteil marginal. wichtig ist eine zuordnung der vorhandenen äpfel in die kategorien "rot" und "grün".
was vielfach verwechselt wird -ich sage das einmal allgemein, es ist nicht speziell an dich gerichtet, ffloo- ist die unschärfe unserer sprache, die aus der unterdetermination resultiert mit der wirklichkeit, derart, dass man der wirklichkeit quasi unterstellt, sie sei unscharf.
es ist der gedankliche fehler, der auch wuweis position zugrunde liegt, das denken über die welt mit der welt selbst zu verwechseln.

- mfg thomas

- V
- fFflLloOo am 20. Dez. 2004, 22:59 Uhr

hallo thomas

eigentlich hättest du dir das irgendwie sparen können, weil mir das alles klar ist. dein standpunkt ist der, dass du wahrheit als wahrheit aufgrund der logik festlegst, wogegen nichts einzuwenden ist und dass wir unserer wahrnehmung trauen können, weil das was wir sehen wahr ist (bzw. falsch wahr).

das ist aber eben ZUNÄCHST sehr wohl diskutabel!

wir haben zum einem 'aus A folgt B'

und zum anderen fragen wir 'was ist wahrheit?'

ich bin mir der möglichkeit sich selbst in semantische fallen zu manövrieren durchaus bewußt und habe das selbst argumentativ bereits in ettlichen beiträgen so eingesetzt.

es hat keinen sinn das nun alles nochmal abzukanzeln, wir wissen wovon wir sprechen und was mir mit dedkution und absoluter wahrheit, bzw. mit einem totalen einsatz das wahrheitsbegriffes meinen.

du nimmst quasi die frage, die da lautet 'was ist wahrheit' und schnibbelst alles weg, was von semantisch uneindeutiger natur ist (brav, richtig so) und übrig bleibt die wahrheit im sinne der wahrheit einer aussage unter der voraussetzung, dass die prämissen (in mathematischen problemen heisst das dann definitionen) korrekt sind.
das ist aber so nicht akzeptabel. denn damit stellst du nur fest, dass es möglich ist aussagen bezüglich ihres wahrheitswertes zu überprüfen. ich will nicht behaupten, dass das keine vollständiger wahreitsbegriff sein kann, aber ich sehe einfach nicht, dass du mit dem was du geschrieben hast dm topf den deckel aufsetzt. vieleicht bin ich auch zu blöd (ist aber unwahrscheinlich), aber ich seh es einfach bisher nüscht.
im übrigen kann ich mich nur wiederholen: wie soll es möglich sein einen eindeutigen wahrheitsbegriff festzulegen, wenn es nicht möglich ist zu beweisen, das man es prinzipiell bewerkstelligen kann, das man alle möglichen fragen zu einem ding Y stellen kann...blablabla??

eines ist zumindest sicher: die wahrheit über ein ding Y ist die gesamtheit aller informationen über Y. das problem ist, dass Y nicht isoliert in der welt sein kann, es sei denn Y selbst ist die welt. Y ist ja bereits physikalisch mit dem gesamten rest der welt verknüpft, sodass das totale wissen um das ding Y erzwingt, dass dieses wissen eben nichts anderes ist als das totale wissen ueber die welt.

ergo: die wahrheit wie sie objekt der neugier ist, also die wahrheit die man finden will, wenn man fragt "was ist....." ist zwangsläufig immer die allumfassende wahrheit und damit vollkommen unhandlich, aber nicht desto weniger existent!(*)

das einzige was als etwas handliches verbleibt ist die wahrheit aufgrund der deduktion und diese setzt voraus, dass die beobachtung stimmt, bzw. bezeichnet falsche prämissen und falsche definitionen dann eben als falsche wahrnehmung, trotzdem sind alle schlüpsse die man daraus zieht wahr, aber eben nur wahre falschheiten.

so ist das vollständig und nun hoffen wir, das wuwei das nicht ignoriert und dann können wir weiter machen. aber das wird bestimmt nicht der fall sein. aber was solls, hab eh nix besseres zutun.

mfg flo

(*) existent, im sinne eines ziels nach einer endlosen suche.

nachtrag: was ich versuche ist, die überprüfung des wahrheitswertes von aussagen und den daraus resultierenden wahrheitsbegriff von dem wahrheitsbegriff der aus 'was ist Y' folgt, zu trennen. ich lasse zunächst die 'was ist Y'-wahreit als wahrheitsbegriff gelten und versuche denn zu zeigen, dass dieser begriff nichst anderes ist, als die absolute wahrheit, die nur ein allwissendes wesen kennen kann, bzw. die ein wahrheistssuchender nach unendlicher zeit erlangt. dieser wahrheitsbegriff existiert damuzfolge zwar und ist gültig, ist aber ursache vieler spinnereien und als hilfsmittel im rahmen einer diskussion vollkommen unpraktisch. das markiert m. e. einen wichtigen status der diskussion. nun kann man sich fragen, was alles an wahrheitsbegriffen übrig bleibt, bzw. welche wahrheitsbegriffe in die beiden genannten überführbar ist.

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 00:03 Uhr

um eine gemeinsame wirklichkeit zu gründen, müssen wir
de-finieren, grenzen ziehen. diese definitionen sind dann die grenzen unserer gemeinsamen wirklichkeit.(" kleine wahrheit" )

habe aber die hoffnung auf die grenzenlose wirklichkeit noch nicht aufgegeben.(" große wahrheit" )
auch wenn dann der vorhang fällt...
schiller: der irrtum ist das leben und die wahrheit ist der tod

mfg

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 00:22 Uhr


on 12/21/04 um 00:03:25, eiweiss wrote:

um eine gemeinsame wirklichkeit zu gründen, müssen wir
de-finieren, grenzen ziehen. diese definitionen sind dann die grenzen unserer gemeinsamen wirklichkeit.(" kleine wahrheit" )

habe aber die hoffnung auf die grenzenlose wirklichkeit noch nicht aufgegeben.(" große wahrheit" )
auch wenn dann der vorhang fällt...
schiller: der irrtum ist das leben und die wahrheit ist der tod

mfg



ja...aber das ist jetz wieder etwas übersimplifiziert, weil man darin nicht notwendigerwesie hoffnung finden kann auf irgendetwas. es ist eben eine tatsache, dass man nicht wissen kann, was es alles zu wissen gibt, aber man weiss, das man etwas weiss...irgendwas...spielt ja keine rolle was genau. weil man eben feststellt, das man etwas wissen kann, aslo dass man nach der wahrheit suchen kann, ist es auch richtig anzunehmen, dass es eine wahrheit gibt. hoffnung erübrigt sich, weil hoffung hat man nur in erwartung auf irgend etwas. wenn man aber nicht wissen kann, was es noch alles zu wissen gibt, gibt es auch nix zu hoffen...der horizont wird halt im verhältnis zum bereits vorhandenen wissen einfach grösser.

n'abend

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 00:36 Uhr

ich kann kaum noch lesen, geschweige verstehen was du schreibst.
ich hoffe auf jeden fall auf ne erholsame nachtruhe für dich und mich.

in diesem sinne

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 00:40 Uhr

danke. hast recht. ich geh auch ins bette. vielleicht kann ich auch trotz des laut aufgedrehten fernsehers meines liebern nachbars einschlafen. vielleicht geh ich auch rüber und werf ihn von seinem balkon runter... [smiley=icon7xx.gif]

- V
- jacopo_belbo am 21. Dez. 2004, 08:02 Uhr

hallo ffloo,


Zitat:

eigentlich hättest du dir das irgendwie sparen können, weil mir das alles klar ist.


das wage ich zu bezweifeln.


Zitat:

das ist aber so nicht akzeptabel.


so?

Zitat:

denn damit stellst du nur fest, dass es möglich ist aussagen bezüglich ihres wahrheitswertes zu überprüfen.


ist das nicht eigentlich die voraussetzung dafür, dass man überhaupt von wahren aussagen sprechen kann? dass man weiß, was mit der aussage gemeint ist?

Zitat:

wenn es nicht möglich ist zu beweisen, das man es prinzipiell bewerkstelligen kann, das man alle möglichen fragen zu einem ding Y stellen kann


die frage ist, ob es notwendig ist, "alle möglichen fragen zu einem ding Y [zu] stellen".
es ist ausreichend, wenn wir genau die fragen stellen und entsprechend beantworten können, die für die aussage relevant sind. dazu müssen wir verstehen, was ausgesagt wird. wenn ich wissen will, ob  die aussage "gerhard schröder ist der derzeitige bundeskanzler" wahr ist, ist es ausreichend, dass ich frage, wer gerhardt schröder sei, wer der aktuelle bundeskanzler ist, und ob die beiden identisch sind. mehr ist nicht nötig um diese frage zu bejahen oder zu verneinen.

- mfg thomas

- V
- fFflLloOo am 21. Dez. 2004, 11:36 Uhr

hallo thomas

und was soll das jetz wieder? ich weiss nicht wie ich darauf reagieren soll, aber besonders erbaulich fnde ich das nicht. du wiederholst dich eigentlich nur mal wieder, was zeigt das dir nicht im mindesten klar ist wovon ich rede.ebenso schleierfhaft ist mir, wie du es fertig bringst aus meinem posting zu schliessen, dass ich die wirksamkeit des wahrheitsbegriffes im rahmen logischer deduktion anzweifle. und doch, thomas, ich verstehe sehr wohl wovon du sprichst, es ist auch nichts weiter dabei das zu verstehen...

...und ich denke doch, das dir das klar ist.

NACHTRAG:

anscheiend verstehst du nicht, dass es im rahmen einer diskussion über wahrheit es eben auch nicht verboten sein darf über die wahrheit im sinne einer beurteilung von aussagen hinauszugehen.

wenn man sich z. B. fragt, was das universum ist, dann fragt man im grunde nach der absoluten wahrheit über die welt, die natürlich existieren muss.

warum muss sie existieren?

weil  die wirklichkeit offenbar existiert.

wenn ich mich frage, wie genau sich die vergangenheit der welt abgespielt hat, dann versuche ich ja eben eine solche 'totale' frage zu beantworten und da ich aber weiss, das die welt existiert und das es daher eine analysierbare vergangenheit gegeben hat, weiss ich auch, das die absolute wahrheit existieren muss un das ist nunmal ein wahrheitsbegriff, den man akzeptieren muss. wieso tust du so als sei es verboten in diese richtung zu denken.

ich fasse es übrigens als leicht beleidigend auf, dass du hier süffisant unterstellst, ich würde nicht verstehen was eine simple deduktion ist. aber ich bin huldvollst dazu geneigt dir in meiner unendlichen gnade zu verzeihen, wenn du bereit bist die diskussion in einem ernsthaften, d. h. etwas respektvollerem ton, weiterzuführen. ich habe sichernicht die einsicht in philosophie wie jemand der diese disziplin studiert hat, aber hier geht es ja um wirklich fundamentale und strukturell simple gedanken, die man durchaus ohne tiefere vorkenntnis erfassen kann.

herzlichst, flo

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 13:11 Uhr

wenn ich mich mit anderen unterhalte dann innerhalb der grenzen meiner alltäglichen wirklichkeit. in dieser wirklichkeit esse und trinke ich,gehe in die schule, in die uni oder in die arbeit.hier fahre ich auto, feiere weihnachten und sylvester,  bin gesund oder werde krank. in dieser alltäglichen wirklichkeit wird geboren, gealtert und gestorben, kriege geführt und frieden geschlossen, gibt es arm und reich,schlau und doof, gibt es eine vergangenheit, eine gegenwart und eine zukunft.

in dieser alltäglichen wirklichkeit sind die meisten dinge stillschweigend de-finiert, umgrenzt und begrenzt also. diese stillschweigende übereinkunft ist das ergebnis unserer sozialisation, beginnend mit unserer existenz- aus sicht der späteren alltäglichen wirklichkeit wohl das verschmelzen von ei- und samenzelle.
wenn wir die grenzen dieser wirklichkeit verlassen, den gemeinsamen code nicht beachten, werden wir vom insider zum outsider.

innerhalb dieser alltäglichen lebenswelt, existiert der bundeskanzler. und momentan ist es gerhard schröder. das ist wahr. der thomas meiner alltäglichen wirklichkeit hat recht.
wenn wir wir uns über andere wirklichkeiten unterhalten wollen, müssen wir wieder de-finieren. das funktioniert in der wirklichkeit der mathematik ganz ordentlich, wird bei anderen themen aber schwierig.

damit zur hoffnung-hallo thomas.

um im bild zu bleiben: die hoffnung taucht begrifflich in unserer gemeinsamen, alltäglichen wirklichkeit auf wie die spitze eines eisbergs. um zu sehen was sich unter der wasseroberfläche befindet, müssen wir uns in die tauchanzüge zwängen, die sauerstoffflaschen anschließen und abtauchen. während unseres tauchgangs ist die kommunikation aber nicht so gut möglich wie oben, an der oberfläche der gemeinsamen wirklichkeit. also bleibt uns die unterhaltung nach dem tauchgang. jeder wird eigene eindrücke haben. aber vielleicht hat der eine etwas gesehen was der andere nicht sah und umgekehrt. lohnt  aber sicher, sich mal anzuhören, was der andere so sagt.
der vergleich hinkt natürlich. ist halt ne sache der definition.

mfg

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 16:22 Uhr

Hallo allerseits,

ein paar Vorschläge zur Strukturierung der Diskussion:

Die Frage, die ffloo diskutieren möchte: "Was ist (die ganze Wahrheit) über X?" sollte in einem eigenen Thread diskutiert werden. Unsere Frage zur Bedeutung des Ausdrucks "wahre Aussage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit" ist für sich genommen schon schwierig genug.

Zu WuWeis Position: wir sollten hier nur solche Punkte diskutieren, die für unsere Fragestellung von Bedeutung sind. Dazu gehört vor allem die Frage, inwiefern die Welt, die wir wahrnehmen, als solche existiert und wirklich ist.

WuWei, Du schreibst: "Woher will ich wissen, dass hinter meinem wahrgenommenen Baum ein objektiv realer Baum steht? Selbst wenn andere die gleiche Wahrnehmung eines Baumes haben, ist ein objektiv realer Baum dahinter eine reine Annahme. Ich werde darauf niemals auch nur den geringsten direkten Hinweis haben. … real sind allein deine subjektiven Wahrnehmungen …"

Offenbar benutzt Du die Wörter "real" und "existent" in einem anderen als dem üblichen Sinne. Wenn man normalerweise etwas "Reales" (eine Ziege) von etwas "Irrealem" (einem Einhorn) unterscheidet, so bedeutet dies, dass man eine Ziege wahrnehmen kann (man sieht sie klettern, hört sie meckern, fühlt ihr Fell etc.) während noch niemand vom Einhorn Wahrnehmungen dieser Art gemacht hat.

Wenn man zwischen einer wirklichen Oase und einer unwirklichen, nur scheinbaren Oase unterscheidet, dann bedeutet dies, dass man die wirkliche Oase erreicht, wenn man sich auf sie zu bewegt, während man in der scheinbaren Oase der Fata Morgana niemals ankommt.

Du benutzt die Wörter "real" und "existent" jedoch in einem andern Sinne, indem Du auch das Wahrgenommene als nicht real und nicht existent bezeichnest.

Das einzige, was Deiner Ansicht nach real ist, sind die Wahrnehmungen selber, womit Du wohl diejenigen Bewusstseinsinhalte meinst, die sich aus den Reizungen unseren Sinneszellen ergeben:

Wenn ich die Augen aufmache, sehe ich vor mir eine Oase. Dies Bild der Oase in meinem Bewusstsein ist für Dich allein real, nicht die Oase, die ich sehend wahrnehme.

Wenn ich die Augen aufmache, und sehe vor mir eine Oase (die sich bei näherer Betrachtung als eine Halluzination herausstellt), so ist diese Halluzination als Bewussteinsinhalt  für Dich genauso real wie der Bewusstseinsinhalt, der sich aus der Sinneswahrnehmung ergab.

Damit haben die Wörter "wirklich", "real" oder "existent" jedoch völlig ihre Fähigkeit eingebüßt, ein zielgerichtetes enttäuschungsfreies Handeln zu ermöglichen. Sie haben damit ihre Bedeutung verändert. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, dass mir in dieser Weise die Denkwerkzeuge für zielgerichtetes Handeln – ohne dass dies deutlich wird – genommen werden.

Grüße an alle von Eberhard.

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 17:19 Uhr

Hallo Eiweiss,

dein Beitrag über die Entwicklung des Säuglings zum Kind geht in die richtige Richtung. Auch das Matthäus-Zitat am Schluss war passend.

Was während dieser Entwicklung passiert, ist schlicht eine Konditionierung der Wahrnehmung. Das Kleinkind nimmt direkt wahr, ohne gedanklich zu interpretieren, ohne das Wahrgenommene mit einem Begriff zu versehen. Das Kleinkind kennt nur Wahrnehmungen, keine Dinge an sich. Weil es sich selbst während der Wahrnehmung nicht für ein Ding hält. Es hat sich ja noch keine Vorstellung von sich selbst gebildet, also noch kein individuelles Ego. Weil es sich selbst nicht für ein objektives Ding hält, nimmt es auch nicht objektive Dinge wahr. Deshalb fühlt es sich auch nicht getrennt von dem Wahrgenommenen.

Was dann ziemlich schnell einsetzt, ist die eigene Objektivierung, eine Vorstellung von sich, ein individuelles Ich eben. Da gleichzeitig durch das Lernen der Sprache immer mehr Begriffe gebildet werden, kommt es zu einer Hypostasierung, also Verdinglichung, von Wahrnehmungen zu Objekten. Und deshalb schütteln die meisten Erwachsenen verwundert bis entsetzt den Kopf, wenn einer sagt, da seien keine objektiven Dinge, sondern nur Wahrnehmungen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: natürlich ist es nicht möglich, die naive Sicht des Kleinkindes wieder anzunehmen.
Auch ist es nicht möglich, in einer Gesellschaft zu leben, und keinerlei Vorstellung von sich selbst zu haben.
Aber wir können beide Sichtweise integrieren und uns klarmachen, dass wir in einer wahrgenommenen Welt leben und nicht in einer objektiven, eigenständigen, von uns getrennten Welt. Und natürlich kann ich diese, meine, unsere Wahrnehmungen untersuchen auf "objektive" Eigenschaften.
Es sind aber immer Eigenschaften einer Wahrnehmung, und nicht eines objektiven Dinges. Wer hier sagt, das sei doch dann eigentlich egal, der hat die Dimension der Sache nicht erfasst.

Insofern ist es interessant, dass Thomas sagt: "es ist der gedankliche fehler, der auch wuweis position zugrunde liegt, das denken über die welt mit der welt selbst zu verwechseln".

Genau dasselbe denke ich über seine Sicht der Dinge. Für mich ist die Welt einfach die Welt, die ich wahrnehme. Dagegen ist gerade seine Vorstellung von einer wahrnehmungsunabhängigen objektiven Welt ein rein gedankliches Konstrukt. Er kann nicht wahrnehmen, wie die Dinge sind, wenn er sie nicht wahrnimmt. Also muss er es sich denken, nicht wahr?  

Nehmt es mir nicht übel, aber eure Diskussion über wahre Aussagen über Dinge wird nicht viel bringen. Wie flo richtig andeutet, ist ja kein Ding vom anderen getrennt. Also ist jede Aussage über ein Ding immer nur eine Teilwahrheit. Die absolute Wahrheit kann nur das gesamte Universum betreffen, darüber kann ich aber keine absolut wahre Aussage machen, weil ich mich sonst neben die Gesamtheit stellen würde. Wodurch es keine Gesamtheit mehr wäre.

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 18:50 Uhr

Lieber Eberhard,

ich weiß, es wird schwierig, wenn man auch Begriffe wie real und existent relativiert. Aber es ist wohl unerlässlich.

Entscheidend ist, dass man sich dabei über die Perspektive klar ist. Klar, du hast recht, eine Ziege kann ich wahrnehmen, ein Einhorn mir nur vorstellen. Insofern ist die Ziege real, das Einhorn irreal. Aber als du das geschrieben hast, hast du dir sicher eine Ziege vorgestellt. War diese Vorstellung irreal? Real kann sich nicht nur auf Wahrnehmungen beschränken, sonst wären ja alle Gedanken irreal.

Gemessen an dem, was ich im Moment wahrnehme, war mein Traum letzte Nacht irreal. Als Traum gesehen aber war er durchaus real. Als ich ihn träumte, erschien er ja real.
Und jetzt erscheint der Laptop real, auf den ich gerade gucke.

Begriffe wie real oder existent sind genauso relativ, wie wahr oder falsch. Alles eine Frage der Perspektive der Betrachtung.

Du schreibst: "Du benutzt die Wörter "real" und "existent" jedoch in einem andern Sinne, indem Du auch das Wahrgenommene als nicht real und nicht existent bezeichnest.  

Das einzige, was Deiner Ansicht nach real ist, sind die Wahrnehmungen selber, womit Du wohl diejenigen Bewusstseinsinhalte meinst, die sich aus den Reizungen unseren Sinneszellen ergeben"

Mit dem zweiten Satz liegst du richtig, mit dem ersten nicht.
Du scheinst zu glauben, ich unterscheide zwischen "Wahrgenommenem" und "Wahrnehmungen". Nein, das ist ein- und dasselbe. Die Bewußtseinsinhalte SIND das Wahrgenommene.

Insofern ist also das Wahrgenommene für mich durchaus real. Und da es Bewußtseinsinhalt ist, BIN ich es in gewisser Weise, wie ich mit dem Raum-Beispiel verdeutlichen wollte.

Wenn ich jedoch glaube, da ist ein für sich objektives Ding, das ich jetzt halt gerade wahrnehme, dann erliege ich einer Illusion.

Schau Eberhard, was willst du denn jemals anderes wahrnehmen als Bewußtseinsinhalte? Lass uns folgenden Satz von dir anschauen: "Wenn ich die Augen aufmache, sehe ich vor mir eine Oase. Dies Bild der Oase in meinem Bewusstsein ist für Dich allein real, nicht die Oase, die ich sehend wahrnehme."

Merkst du nicht, dass du hier von zwei Oasen redest? Einem Bild der Oase in "deinem" Bewußtsein und einer Oase, die du angeblich sehend wahrnimmst. Wie kommst du auf diese zweite Oase? Diese zweite Oase ist in der Tat eine Vermutung. Es gibt nur das Bild einer Oase im Bewußtsein, als solches ist es auch real. Die zweite Oase dagegen ist reine Fantasie. Irreal.

In deinem Bewußtsein kann also eine Stadt erscheinen, eine Luftspiegelung einer Stadt, oder aber eine Halluzination einer Stadt. Alle drei sind in gewisser Weise wirklich, schließlich wirken sie ja auf dich. Natürlich besteht trotzdem ein objektiver (!) Unterschied zwischen diesen dreien. Wenn einem klar ist, dass ALLES subjektive Bewußtseinsinhalte sind, dann kann man auch wieder zwischen einer realen Stadt, einer täuschenden Luftspiegelung und einer irrealen Halluzination unterscheiden. Wie gesagt, du hältst deine Gedanken ja auch nicht für irreal, weil du eben weißt, dass es Gedanken sind und keine sinnlichen Wahrnehmungen.

Vielleicht sollte ich noch was anfügen: wenn ich sage, die wahrgenommenen Dinge sind nicht da, wenn ich sie nicht wahrnehme, dann heißt das nicht, dass sie überhaupt nicht da sind. Aber sie sind nicht als Dinge da, sie sind nicht ausgedehnt in Raum und Zeit.

Schau, viele Wahrnehmungstheoretiker sagen, es gebe eine objektive Realität, die unseren subjektiven Wahrnehmungen zugrundeliegt. Sie müssen aber einräumen, dass über diese objektive Realität nicht die geringste Aussage gemacht werden kann, weil sie als solche nicht wahrgenommen werden kann. Diese angeblich wahrnehmungsunabhängige "Realität" kann ohne Wahrnehmung keine Farben haben, keinen Klang und keine Form.  

Jetzt spekuliere ich mal und sage, diese vermutete objektive Realität ist in Wahrheit nichts anderes als die grenzenlose Potentialität des Bewußtseins. Dieses Bewußtsein ist nur hier und jetzt, existiert objektiv nicht, ist rein subjektiv, und beinhaltet alle scheinbar objektiven Eigenschaften sowie auch Zeit und Raum. Man könnte auch sagen, es IST all diese Eigenschaften und auch Zeit und Raum. Es ist die Essenz all dieser Erscheinungen. Und du bist diese Essenz genau wie ich es bin.

Hier und jetzt ist in diesem Bewußtsein alles enthalten: alles, was je in einer (scheinbaren) Vergangenheit geschah, alles was aktuell wahrgenommen wird, und alles was in einer (scheinbaren) Zukunft passieren kann. Alle Evolution, Urknalltheorie, alle Geschichte, alles ist nirgendwo anders als im zeitlosen hier und jetzt "existent". (welche Theorie über die Welt ist da noch wahr oder falsch?)

Die scheinbaren Dinge, die lediglich Bewußtseinsinhalte sind, werden nicht von dir als Person projiziert bzw. geformt, da dein Körper selbst eine Projektion ist. Sie werden vom Bewußtsein "durch" diese Person geformt, die wie eine Taschenlampe immer nur Teile eines unbeleuchteten Raumes beleuchtet und sichtbar macht, in Wirklichkeit in Zeit und Raum ausdehnt und dadurch für sich selbst wahrnehmbar macht. Das Bewußtsein geht weit über deine Person hinaus und ist doch paradoxerweise nichts anderes als du selbst.

Schau mal auf deinen Bildschirm Eberhard! Auf dieser Fläche ist jetzt in diesem Moment latent alles enthalten, was du jemals darauf geschrieben oder gelesen hast, alles, was du aktuell gerade liest, und alles, was du dort potentiell jemals dort schreiben oder lesen wirst.

Viel Spaß beim Verdauen dieser "Verrücktheiten" ;-)

viele Grüße,
WuWei

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 19:14 Uhr

Hallo WuWei,

Du schreibst: "Eure Diskussion über wahre Aussagen über Dinge wird nicht viel bringen. …(denn) …  jede Aussage über ein Ding (ist) immer nur eine Teilwahrheit."

Das sehe ich anders: Wenn wir manche "Teilwahrheit" wüssten und damit manche "Teilfrage" beantworten könnten, dann würde das viel bringen. Beispiele für solche Teilfragen sind: "Wird es in den nächsten 100 Jahren zum Ansteigen des Meeresspiegels kommen?" "Was sind die Ursachen für Allergien?" "Gibt es ein Leben nach dem Tod?" "Schädigt tägliches Rauchen von Haschisch  das Nervensystem?" "Kann man durch das Erinnern und Verarbeiten von traumatischen Erlebnisse in der Kindheit seelische Störungen beseitigen?" "Kann man durch staatliche Beschäftigungsprogramme die gegenwärtige hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland langfristig beheben?"

Ich glaube, dass es außerordentlich wichtig ist, zu wissen, wie man auf derartige einzelne Fragen richtige Antworten geben kann und falsche Antworten als solche identifizieren kann

meint Eberhard.

- V
- WuWei am 21. Dez. 2004, 19:36 Uhr

Hallo Eberhard,

deinem letzten Beitrag stimme ich in gewisser Weise zu!

WuWei

- V
- Eberhard am 21. Dez. 2004, 19:56 Uhr

Hallo WuWei,

das Ganze ist etwas verzwickt, aber ich denke, die Sache lässt sich klären.

Ich unterscheide zwischen einer "Sinneswahrnehmung" als psychischem Vorgang (Individuum A sieht ein helles Licht) und dem von A damit "Wahrgenommenen" (ein helles Licht).

Der psychische Vorgang ist ein wirklich stattfindendes Ereignis. Er ist real.

Das Wahrgenommene (das helle Licht) ist normalerweise ebenfalls real, denn A hat es gesehen. Nur im Falle einer optischen Täuschung oder ähnlichem wäre das Wahrgenommene nicht real.

Nun eine andere Situation.

A liegt nachts im dunklen Zimmer im Bett und stellt sich ein helles Licht vor.

Der psychische Vorgang des Vorstellens ist ein wirklich stattfindendes Ereignis. Er ist real.

Das Vorgestellte (das helle Licht) ist jedoch nicht real (es ist um A herum dunkel und kein helles Licht scheint), denn das Vorgestellte existiert nur im Bewusstsein von A.

Im ersten Fall besteht der Bewusstseinsinhalt aus Wahrgenommenem und ist real.

Im zweiten Fall besteht der Bewusstseinsinhalt aus Vorgestelltem und ist nicht real.

Die Erzeugung eines Bewusstseinsinhalts durch ein Sinnesorgan nenne ich "Wahrnehmung".

Die Erzeugung eines Bewusstseinsinhaltes durch Vorstellen nenne ich "Fiktion" (Imagination, Phantasie).

Alle Bewusstseinshalte, die Wahrnehmungen wie auch die Fiktionen, kenne ich durch Selbstbeobachtung meines Bewusstseins. Ich kann diesen Strom von Bewusstseinsinhalten auch erinnern.

Außerdem gibt es noch Sinneszellen, die mich über meinen eigenen Zustand informieren: sie erzeugen Hunger, Durst, Schmerz, Zorn, Ärger, Freude usw., also Gefühle in meinem Bewusstsein.

Um es in der Analogie des Computers zu veranschaulichen:

Der Computer hat einen Bildschirm. Dieser entspricht dem Bewusstsein. Die Bilder, die auf dem Bildschirm erscheinen, entsprechen den Bewusstseinsinhalten.

Der Computer hat eine eingebaute Videokamera, die erfasst, was im Raum geschieht. Diese Kamera entspricht den Augen, also einem Sinnesorgan.

Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer (optischen) Wahrnehmung.

Wenn ich einen Clip aus einem Zeichentrickfilm von der Festplatte abrufe, dann entspricht das einer Fiktion.

Beides sind reale Vorgänge, aber nur die Videokamera erzeugt einen Bewusstseinsinhalt, der real ist.

Der Selbstbeobachtung entspricht im Computer eine Erfassung und Aufzeichnung des Monitorbildes.

Den Wahrnehmungen des eigenen Zustands entsprechen beim Computer die Fehlermeldungen und die Meldungen von Resultaten von Selbstüberprüfungsprogrammen auf Viren, Auslastungsgrad usw.

Pu. Etwas kompliziert. Es grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 21. Dez. 2004, 23:11 Uhr

hallo wuwei,

ich denke deine fehleinschätzung meiner position rührt von einem falschen bild der wahrnehmung.
und insofern denke ich, ist auch das bild, das eberhard angegeben hat
Zitat:

Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer optischen Sinneswahrnehmung.

ein wenig irreführend.
es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben, wo die einzelnen bilder wie akteure auf- und wieder abtreten. eine solche bühne gibt es nicht.

der gedankliche fehler liegt in einer verdopplung der welt.

wenn man dein bild nähme, bestünde wahrnehmung in der projektion "innerer zustände" in eine außenwelt, die so nicht existiert. das widerspricht aber dem prinzip der wahrnehmung, bei dem sinnesreize "von außen" erfolgen. wir brauchen die welt nicht nach außen hin zu projezieren, weil sie je schon immer "außen" ist. und dasjenige, was wir als "innenperspektive" bezeichnen ist ebenso ein teil dieses "außen".

- mfg thomas

p.s.: ich habe die präpositionen "innen" und "außen" in anführungszeichen gesetzt, um ihren metaphorischen charakter zu unterstreichen. wir sollten uns darüber im klaren sein, dass es sich lediglich um metaphern handelt, die aber erkenntnistheoretisch irreführend sind.

- V
- eiweiss am 21. Dez. 2004, 23:34 Uhr

hallo eberhard !

schließ doch mal die augen. und jetzt drück mit den fingern auf die geschlossenen augenlider va auf die augenwinkel. dann wirst du farbige lichter sehen.
diese erzeugung eines bewußtseinsinhalts erfolgt durch sinneswahrnehmung. dies nennst du "wahrnehmung". der bewußtseinsinhalt besteht also aus wahrgenomenem und ist also real.
äh, also ich seh die lichter nich.
oder hab ich das noch nicht kapiert. bitte um erklärung.

mfg

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 01:10 Uhr

noch was:
wollte mir die frage grad selbst beantworten. dabei erhob ich mir gegenüber den einwand, dass man nur sinneswahrnehmungen meint, die auf "natürlichem" wege stattfinden; hier also: licht trifft auf die retina.
gehe aber jetzt mit folgenden, beunruhigenden gedanken ins bett:
heute nacht kommt ein böser mann zu mir ins zimmer. er verabreicht mir ne ordentliche dosis halothan und manipuliert mein auge. und zwar setzt er mir in die linsen den umriß eines teufelchens ein. am nächsten morgen wache ich auf, nichtsahnend von den geschehnissen der nacht, und erschrecke: satan, der leibhaftige, wohin ich auch blicke ! verzweifelt wende ich mich an die anderen. keiner kann mir helfen. keiner kann an meiner wirklichkeit teilhaben. dann kommen die männer mit den weißen turnschuhen...
schön ist es hier auf der station.die pfleger sind nett und an die elektroschocks gewöhnt man sich auch. den satan sehe ich allerdings noch immer.

gute nacht
muss mal drüber schlafen. vielleicht gibts rettung...

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 09:36 Uhr

Hallo Thomas J,

ich hatte in meinem Entsprechung Mensch - Computer geschrieben: "Wenn ich das Bild, das die Kamera erfasst, über den Bildschirm laufen lasse, dann entspricht das einer optischen Sinneswahrnehmung."

Du schreibst dazu: " (Dies Bild ist) ein wenig irreführend.
es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben".

Der Bildschirm entspricht bei mir nicht der Wahrnehmung sondern dem Bewusstsein. Und unser Bewusstsein kann als Bewusstseinsinhalt verschiedenes haben, neben Wahrnehmungen  (Ich sehe vor mir ein helles Licht) auch Erinnerungen, Kopfrechnen, Tagträume oder dergleichen.

Hallo eiweiss,

ich hatte geschrieben: "Das Wahrgenommene (das helle Licht) ist normalerweise ebenfalls real, denn A hat es gesehen. Nur im Falle einer optischen Täuschung oder ähnlichem wäre das Wahrgenommene nicht real." Ähnliches wären Wahrnehmungsstörungen wie Schlag auf die Netzhaut und andere Störungen der nervlichen Signalübertragung zwischen sensorischen Zellen und Gehirn.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 11:35 Uhr

hallo eberhard !

...und eine optische täuschung liegt dann vor, wenn das was uns die sinneszellen vermitteln nicht mit dem übereinstimmt, was uns die sinneszellen vermitteln, oder wie?

ich kapiers immer noch nicht.tut mir leid.

mfg

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 12:43 Uhr

Hallo Eberhard,

die Frage ist für mich hier nicht so sehr, was "real" oder nicht ist. Der Zeichentrickfilm, den ich auf dem Computer sehe, ist als solcher ja auch real. Nur wenn ich Donald Duck für einen lebendigen Menschen halte, wird es irreal.

Interessanterweise ist für dich jetzt das Wahrgenommene nicht mehr z. B. der Baum selbst, sondern das Licht, das angeblich von dem Baum auf meine Augen fällt und in mein Bewußtsein dringt.

Damit unterstützt du im Grunde meine These, denn du machst selbst klar, dass ich den Baum an sich niemals sehen kann. Zumindest so lange nicht, wie ich von einem Bewußtsein IN meinem Kopf ausgehe. Ich hätte selbst gar nicht besser argumentieren können, dass nämlich kein Ding in mein Bewußtsein dringen kann, sondern höchstens Licht.

Jetzt sagen du und andere natürlich: aber dieses Licht, das dann meine subjektive Wahrnehmung erzeugt, muss doch von einer objektiven Quelle kommen, es kann doch nicht aus dem Nichts kommen. Warum nicht? Die ganze Welt entsteht aus dem Nichts.

Ich sage erneut, es ist eine reine Vermutung, dass dieses Licht von einer äußeren Quelle kommt. Es ist ebenso reine Vermutung, dass dieses Licht von außen in mein Bewußtsein dringt.

Dein Beispiel mit dem Computer, der Kamera und dem Chip klingt gut, hat aber einen entscheidenden Haken. Eine Kamera kann nicht "sehen". Das kannst nur du. Meine Brille kann auch nicht sehen, auch wenn ich ohne sie nicht viel sehe.

Hier komme ich zu Thomas:

Sehr interessant, was du schreibst. Der Irrtum liegt in der Tat in einer Verdoppelung der Welt. Genau das machen aber viele Wissenschaftler, sie machen es aber deswegen, weil die naturwissenschaftliche Wahrnehmungstheorie zu einer Verdopplung der Welt führen MUSS, wenn man sie konsequent zu Ende denkt. z. B. eben der zur Zeit sehr angesehene Gerhardt Roth. Andere Wissenschaftler verdoppeln die Welt nicht, aber nur deswegen, weil sie gar nicht so weit denken. Weil sie sich der Ungereimtheiten der wissenschaftlichen Sicht gar nicht bewußt sind.

Du schreibst: "wir brauchen die welt nicht nach außen hin zu projezieren, weil sie je schon immer "außen" ist. und dasjenige, was wir als "innenperspektive" bezeichnen ist ebenso ein teil dieses "außen".

und: "es ist nicht so, dass wir in der wahrnehmung eine art inneren bildschirm oder ein inneres theater haben, wo die einzelnen bilder wie akteure auf- und wieder abtreten. eine solche bühne gibt es nicht".

Wenn es keine innere Bühne gibt, und die Welt schon immer "außen" ist, wo bin dann ich??? Dann kann ich doch nicht hier "innen" in meinem Körper sein. Von wo aus nehme ich dann die Dinge wahr?

Damit musst du doch eigentlich zum gleichen Schluss kommen wie ich, dass mein Bewußtsein nicht auf den Kopf beschränkt sein kann [ruffle]!

Dann können keine Dinge von außen IN mein Bewußtsein dringen (können sie ja eh nicht, siehe oben), dann sind alle Dinge bereits in meinem Bewußtsein, ja sie SIND nichts anderes als Bewußtsein. Dann gibt es nichts außerhalb des Bewußtseins, genau was ich die ganze Zeit sage. Kann ich dann überhaupt noch von "meinem" Bewußtsein sprechen?

Dann BIN ich doch das Bewußtsein und ebenso alles, was darin erscheint, bzw. alle Formen, die es angenommen hat.
Dann bin ich du, und du kannst dasselbe aus deiner Perspektive sagen. Weil wir dasselbe Bewußtsein sind, auch wenn wir gleichzeitig als verschiedene Formen/Körper darin erscheinen.

Natürlich ist dieses Bewußtsein auch nichts anderes als der Raum, in dem sich das Universum ausdehnt. Wohinein soll sich denn das Universum sonst ausdehnen? Welche Begrenzung sollte Raum denn haben?

Nochmal zu Eberhard, der immer noch auf dem Bett liegt und kleine Lichter sieht:

Das wahrgenommene Licht erscheint ebenso IN dir wie das vorstellte Licht. Das vorgestellte Licht erscheint in deinem Kopf und das wahrgenommene Licht erscheint genau dort, wo du es siehst, aber ebenso in dir.

Freut mich, dass ich euch endlich überzeugen konnte. ;-)

viele Grüße,
WuWei

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 13:30 Uhr

hallo wuwei!

wenn ich also aus zwei eins mache und wenn ich das innere wie das äußere mache und das äußere wie das innere und das obere wie das untere....und ein bild statt eines bildes,- dann werde ich in das königreich eingehen?

keine angst- ist nicht von mir. steht im "geheimen" thomas-evangelium (22).
der forum-thomas solls mir nicht übelnehmen.

mfg

- V
- jacopo_belbo am 22. Dez. 2004, 14:49 Uhr

hallo alle zusammen,

ich kenne das gnostische thomas-evangelium, eiweiß. ich wüßte auch nicht, weshalb ich dir dieses zitat übelnehmen sollte ;)

nun zu wuwei:
wir sind nun an einem wichtigen punkt angelangt.
wenn du sagst,
Zitat:

weil die naturwissenschaftliche Wahrnehmungstheorie zu einer Verdopplung der Welt führen MUSS, wenn man sie konsequent zu Ende denkt.

wäre es interessant, zu wissen, was "die naturwissenschaftliche wahrnehmungstheorie" ist. ich denke die naturwissenschaftliche wahrnehmungstheorie gibt es nicht. es gibt viele ansatzpunkte und erklärungen. das nur nebenbei.

wenn wir uns klarmachen, wie das menschliche gehirn arbeitet, kommen wir gerade nicht zu dem Schluss, dass quasi eine zweite wirklichkeit im kopf existiert.
es sind dort lediglich informationsverarbeitende prozesse zugange - die aber nicht dergestalt sind, dass sich quasi zu jedem wahrgenommenen gegenstand ein  expliziter "bewußtseinsgegenstand" zuordnen ließe. die information die repräsentiert wird ist nicht-expliziter natur. den "wahrgenommenen baum" als solchen finden wir nicht wieder - um es ein wenig metaphorisch auszudrücken. unteranderem liegt das auch daran, dass es keine zentrale instanz des bewußtseins gibt -an diesem punkt führt uns eberhards bild von dem einen bildschirm ein wenig in die irre- sondern es gibt lediglich dezentral ablaufende informationsverarbeitende prozesse deren "nebenprodukt" quasi das ist, was wir "wahrnehmung" nennen. dazu gibt es bisher keine eindeutigen erklärungen, so dass die frage danach, "wie kommt das, was wir bewußtsein nennen, zustande" nicht eindeutig beantwortet werden kann. eine frage dabei ist z. B. das sog. "bindungsproblem", wo gefragt wird, wie es sein kann, dass wir einen rollenden roten ball sehen, dessen wahrnehmung sich aus vielen komplexen einzelwahrnehmungen -und entsprechend komplexen aktivitätsmustern der neuronen- (vereinfacht gesagt: "ein rundes objekt", "sich bewegend" und "rot" ) zusammensetzt. eine hypothese besagt, dass die synchronizität der ablaufenden prozesse diese verbundene wahrnehmung zustandebringt. - wie gesagt eine hypothese.


Zitat:

Wenn es keine innere Bühne gibt, und die Welt schon immer "außen" ist, wo bin dann ich???


wie ich schon oben angedeutet habe, sollen wir uns dessen bewußt sein, dass die rede von "innen" und "außen" nur eine metaphorische ist. wenn wir sagen, die welt ist "außen" und meine "sicht der welt" ist "innen", so machen wir eine grammatische unterscheidung, die so nicht besteht. dementsprechend ist auch die frage "wo bin ich?" irreführend.
ich weiß nicht, inwieweit meine folgende analogie tragfähig ist, aber ich will sie einmal anführen; ggf. kann sie ja dann diskutiert werden:
nehmen wir ein weißes blatt papier und trennen es mittels einer linie in zwei hälften. ab diesem zeitpunkt ist es uns möglich, sinnvoll von der oberen hälfte und der unteren hälfte zu sprechen. wir können nun separat über die beiden hälften sprechen - obwohl es sich streng genommen immernoch um ein blatt papier handelt. und strenggenommen existiert keine hälfte je für sich, sondern immer schon im verbund mit der anderen.
und analoges, denke ich, gilt für den menschen, der zwar als eigenständig gedacht werden kann, aber nie ohne seine umwelt existiert. wir sind immer schon eingebunden in die welt. - die welt ist als solche immer schon eine mit anderen menschen geteilte welt. das problem der übereinkunft "subjektiver welten" stellt sich insoweit nicht, weil unsere welt stets schon intersubjektiv angelegt ist. das problem der "perspektivität" ist nur ein scheinproblem.
es ist nicht, wie du vorschlägst:

Zitat:

dann sind alle Dinge bereits in meinem Bewußtsein, ja sie SIND nichts anderes als Bewußtsein.


ich bleibe einmal in der metaphorischen redeweise von "innen" und "außen" ; es stellt sich heraus, dass das gegenteil der fall ist. kein gegenstand ist "im bewußtsein", sondern alle gegenstände sind als solche "außen" frei verfügbar für jeden menschen. deine wahrnehmung bezieht sich auf den gegenstand sie beinhaltet ihn nicht.

dieses thema ist äußerst komplex - und deshalb auch anfällig für denkfehler und falsche interpretationen. deshalb plädiere ich dafür, wieder zurück zum thema der wahrheit zu kommen; denn die wahrheit soll unser thema sein und nicht die frage "wie funktioniert die menschliche wahrnehmung?" bzw. "was ist bewußtsein?". diese fragen sind unbestritten interessant, führen uns aber vom eigentlichen thema ab.

- mfg thomas

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 15:34 Uhr

bin gespannt wie die diskussion läuft, wenn wir alle dinge die mit den sinneswahrnehmungen  (i.s. unserer gemeinsamen alltäglichen wirklichkeit) -also sehen,hören, fühlen etc, und auch die erinnerung und vorstellung daran- außen vor lassen.
über was sollen wir uns dann austauschen? über was willst du dann eine aussage treffen ohne dass dich jemand fragt wie du zu dieser aussage kommst?

von mir aus können wirs mal probieren.
bin aber noch seeehr skeptisch.

mfg

ps: ich hoffe, eberhard beantwortet mir aber vorher noch die sache mit der optischen täuschung

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 16:27 Uhr

Hallo eiweiss,

nicht verzweifeln! Du hast ja recht: eine optische Täuschung liegt dann vor, wenn uns (bestimmte) Sinneszellen (unter bestimmten Umständen) etwas vermitteln, was nicht mit dem übereinstimmt, was uns die Sinneszellen sonst vermitteln.

Nehmen wir ein Beispiel: Du hältst einen geraden Stab ins Wasser. Du siehst dann einen Stab, der an Wasseroberfläche geknickt ist.

Ist der Stab wirklich geknickt oder ist das eine optische Täuschung?

Ich fühle mit der Hand den Stab entlang ……. ?  Es ist kein Knick zu fühlen.

Ich ziehe den Stab etwas aus dem Wasser. Jetzt ist er weiter unten geknickt, wieder genau an der Wasseroberfläche.

Ich ziehe den Stab aus dem Wasser heraus: Der Stab ist wieder gerade. Ich fühle mit der Hand: kein Knick zu spüren.

Ich neige zu der Ansicht, dass es sich bei dem Knick um eine optische Täuschung handelt. (Theoretisch wäre auch eine andere Lösung denkbar.)

Zu welcher Ansicht neigst Du?

fragt Dich Eberhard.

- V
- Eberhard am 22. Dez. 2004, 16:44 Uhr

Hallo WuWei,

Du schreibst: "Damit unterstützt du im Grunde meine These, denn du machst selbst klar, dass ich den Baum an sich niemals sehen kann. Zumindest so lange nicht, wie ich von einem Bewußtsein IN meinem Kopf ausgehe. Ich hätte selbst gar nicht besser argumentieren können, dass nämlich kein Ding in mein Bewußtsein dringen kann, sondern höchstens Licht."

Deine These ist, dass es falsch ist zu sagen: "Ich sehe einen Baum" ? Oder?

Wir sollten die Behauptungen, um die hier gestritten wird, möglichst klar formulieren. Wenn meine Formulierung nicht in Ordnung ist, formuliere bitte um.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s.: Mein Computer kann hören. Wenn ich was diktiere. Dann schreibt er es auf.

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 16:51 Uhr

Hallo eiweiss,

ja, ich denke schon, dass dieses Gleichnis aus dem thomas-evangelium auf ebendas hinweist. Es geht immer um die Einheit, die der Vielfalt zugrundeliegt.

Hallo thomas,

ich bin halt der Meinung, solange nicht klar ist, was Wahrnehmung und Bewußtsein ist, jede Frage nach Wahrheit belanglos ist. Bewußtsein ist immer der Ausgangspunkt. Du kannst natürlich glauben, Beweise zu haben, dass Bewußtsein ein paar Milliarden Jahre nach dem Urknall in die Welt gekommen ist. Aber das kannst du nur, weil du jetzt und hier bei Bewußtsein bist. Aber egal.

Ehrlich gesagt, haben mich deine Ausführungen nicht überzeugt. Meiner Meinung nach lavierst du um die Begriffe innen und außen herum. Einerseits sagst du, dass es sowas wie innen und außen gar nicht wirklich gibt, andererseits kommt in all deinen Aussagen immer wieder zum Ausdruck, dass du doch trennst zwischen innen und außen.
Wenn meine Wahrnehmung sich auf den Gegenstand "bezieht" und ihn nicht "beinhaltet", wie du sagst, dann muss der Gegenstand ja doch außerhalb sein.

Das Thema mag komplex sein, aber je mehr es verkompliziert wird, desto mehr wird verschleiert, dass man auf die einfachen, essentiellen Fragen schlicht keine Antwort hat. Dann heißt es, eine Frage wie "Wo bin ich?" führe in die Irre.

Also, wenn eine derart elementare und berechtigte Frage nur in die Irre führt, über was sollen wir dann überhaupt noch reden?

Auf meine Frage, wie es sein kann, dass ich hier einen Baum dort sehen kann, bist du mir die Antwort schuldig geblieben.
Wenn du sagst, im Gehirn entstehe gar nicht das Bild eines Baumes, sondern finden nur informationsverarbeitende Prozesse statt, dann frage ich WO entsteht das Bild des Baumes, das ich sehe? Also nicht im Gehirn, sondern dort, wo ich den Baum sehe? Was haben dann die informationsverarbeitenden Prozesse im Gehirn damit zu tun?
Also müßte es so sein, dass ein Wahrnehmungssignal über die Augen in mein Gehirn dringt, dort verarbeitet wird und dann doch wieder auf den Baum zurückprojiziert wird. Anders kann ich es nicht verstehen, was du sagst. Dann müßten wir aber wie gesagt alle bekannten Lichtjahr-Entfernungen halbieren, weil wir bislang vergessen haben, den Rückweg der Projektion zu berücksichtigen.

Vielleicht können wir ja nur deswegen nicht erklären, wie Bewußtsein zustande kommt, weil es überhaupt nicht "zustande" kommt.

Du hast ganz recht, dass die Eigenständigkeit des Menschen
nur eine gedachte ist (ohne dass ich sie dadurch abwerten will) und er nur im Verbund mit der gesamten Umwelt existiert.

Vielleicht liegt der Schlüssel wirklich in einer Art Synchronizität der Wahrnehmung. Wahrnehmung hat keine Richtung von außen nach innen und wieder zurück, sie unterliegt auch nur scheinbar Ursache und Wirkung.

Ich hier kann den Baum dort wahrnehmen, weil unsere Getrenntheit nur eine gedachte ist. In Wirklichkeit gibt es keinen getrennten Beobachter und Beobachtetes, sondern nur Beobachtung an sich, was auch die Synchronizität erklären würde. Das Problem der Perspektive ist in der Tat nur ein Scheinproblem (wobei ich aber vermute, dass du das etwas anders meinst als ich).

Ich habe das Gefühl, dass du die Probleme, die ich anspreche, sehr wohl siehst, aber dich aus bestimmten Gründen scheust, ähnlich weitführende Schlüsse wie ich zu ziehen. Aber das ist nur meine Interpretation.

Letztlich sind natürlich alle Aussagen nicht völlig korrekt. Wenn ich sage, die Welt erscheint IM Bewußtsein, ist mir schon klar, dass das auch etwas schief ist. Wenn ich sage,
Bewußtsein wird zur Welt, dann habe ich wieder eine zeitliche Komponente drin, was auch nicht richtig ist. Es gibt einfach keine perfekte Formel oder Sprachregelung.

Grüße,
WuWei

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 17:18 Uhr

Hallo Eberhard,

du schreibst: "Deine These ist, dass es falsch ist zu sagen: "Ich sehe einen Baum" ? Oder?"

Nicht ganz. Ich rede ja auch so, sonst würde ich ziemlich Probleme im Alltag bekommen [grin]. Entscheidend ist, ob ich weiß, dass der Baum nicht ein Ding für sich ist, sondern nur in meiner Wahrnehmung bzw. als meine Wahrnehmung existiert.

Das Problem ist: wen meine ich mit "meiner" ?
Nicht ich als Person projiziere den Baum oder meinen tobenden Chef. Nicht ich als Person verursache diese Wahrnehmungen. Das wird teilweise in spirituellen Richtungen so missverstanden. Dann fühlt sich die betreffende Person schuldig für das was sie an schlechten Dingen wahrnimmt.

Egal ob gute oder schlechte Dinge, du bist nicht dafür verantwortlich was du siehst. Aber das was du siehst, ist nicht von dir zu trennen. Als wahrnehmendes Subjekt BIST du alle Dinge, die du wahrnimmst, von den persönlichen Gefühlen bis zum tobenden Chef.

Als 3.Person bist du Ego/Körper/Persönlichkeit, als 1.Person alles, was du wahrnimmst. Du bist Subjekt und alle Objekte zugleich, bist aber nur mit einem Objekt, dem Körper, identifiziert.

Das Schlüsselwort ist hier Identifikation. In manchen Lehren geht es darum, sich mit allem zu identifizieren, in anderen sich mit nichts zu identifizieren. Beides läuft aufs selbe hinaus.

Und glaube mir: dein Computer kann nicht hören. Was immer er tut, hören kannst nur du. Auch der Aufzeichnungsvorgang auf dem Computer ist eine Projektion bzw. "Beleuchtung" des Bewußtseins.

Von dem Zen-Mönch Hui-Neng gibt es eine bekannt Geschichte. Da streiten sich zwei Mönche, ob der Wind die Fahne bewegt oder die Fahne den Wind. Hui-Neng antwortet ihnen: "es ist euer Geist, der die Fahne bewegt".

viele Grüße,
WuWei

- V
- jacopo_belbo am 22. Dez. 2004, 17:46 Uhr

hallo wuwei,

ich denke, es ist wenig nützlich, wenn wir beständig auf die frage nach der wahrnehmung zurückfallen. das ist nicht kern dieser diskussion, sondern die frage nach der wahrheit. ich denke selbst innerhalb deiner position dürften sich anhaltspunkte dazu finden, wann ein satz wahr und wann ein satz falsch ist. wenn dem nicht so ist, ist eine diskussion überflüssig. ohne wahre sätze keine diskussion über wahrheit.


Zitat:

Einerseits sagst du, dass es sowas wie innen und außen gar nicht wirklich gibt, andererseits kommt in all deinen Aussagen immer wieder zum Ausdruck, dass du doch trennst zwischen innen und außen.


diese unterscheidung ist lediglich eine "heuristische", d. h. zum zwecke der diskussion eingeführte unterscheidung - ähnlich wie wir uns eine/viele linie(n) denken können, die ein blatt papier in zwei hälften, drei drittel, vier viertel etc. teilt/teilen. es ist ein unterschied, ob wir vom oberen drittel eines blattes sprechen, oder es abschneiden.
wenn ich von "innen" und "außen" spreche so bin ich mir der metaphorischen redeweise sehr wohl bewußt.
die frage "wo ist mein bewußtsein?" ist eine frage, die der metaphorik unserer sprache entspringt. sinnvollerweise müßte die antwort lauten "nirgendwo".

Zitat:

Also, wenn eine derart elementare und berechtigte Frage


woher bezieht diese frage ihre berechtigung? sie ist so wie jede andere frage ein anwendungsfall der grammatik - wir können sie sprachlich, i.e grammatisch korrekt, formulieren. das heißt aber nicht, dass ihr eine antwort entsprechen muss.


Zitat:

Wenn du sagst, im Gehirn entstehe gar nicht das Bild eines Baumes, sondern finden nur informationsverarbeitende Prozesse statt, dann frage ich WO entsteht das Bild des Baumes, das ich sehe? Also nicht im Gehirn, sondern dort, wo ich den Baum sehe? Was haben dann die informationsverarbeitenden Prozesse im Gehirn damit zu tun?
Also müßte es so sein, dass ein Wahrnehmungssignal über die Augen in mein Gehirn dringt, dort verarbeitet wird und dann doch wieder auf den Baum zurückprojiziert wird. Anders kann ich es nicht verstehen, was du sagst. Dann müßten wir aber wie gesagt alle bekannten Lichtjahr-Entfernungen halbieren, weil wir bislang vergessen haben, den Rückweg der Projektion zu berücksichtigen.



das verhältnis von bewußtsein zu gegenstand ist analog dem von satz zu gegenstand - wenn du so willst. einerseits hast du den baum, den du wahrnimmst und deine reaktion "das ist ein baum!" ; sowenig der baum ein satz ist, sowenig ist der baum eine wahrnehmung. aber bitte dieses beispiel nicht zu wörtlich nehmen.


Zitat:

Ich hier kann den Baum dort wahrnehmen, weil unsere Getrenntheit nur eine gedachte ist. In Wirklichkeit gibt es keinen getrennten Beobachter und Beobachtetes, sondern nur Beobachtung an sich, was auch die Synchronizität erklären würde. Das Problem der Perspektive ist in der Tat nur ein Scheinproblem (wobei ich aber vermute, dass du das etwas anders meinst als ich).


in der tat sehe ich es etwas anders als du.
kleine anmerkung: die synchronizität bezieht sich auf die gleichzeitige erregung verschiedener neuronen, nicht auf die gleichzeitigkeit von wahrnehmung und gegenstand.

um nun wieder zur diskussion zurückzufinden:

Zitat:

Entscheidend ist, ob ich weiß, dass der Baum nicht ein Ding für sich ist, sondern nur in meiner Wahrnehmung bzw. als meine Wahrnehmung existiert.


das ist aber für die beurteilung von sätzen relativ marginal. wenn ich sage "dort steht ein baum", und dort steht kein baum -ob real, oder nur im bewußtsein aller anwesenden vorhanden- ist der satz falsch, oder?

- mfg thomas

- V
- WuWei am 22. Dez. 2004, 18:43 Uhr

Hallo Thomas,

Stimmt: Bewußtsein ist nirgendwo. Und nirgendwo ist überall!

Fragen wie "Wo bin ich" und "Wer bin ich" sind insofern berechtigt, als dass sie einem zutiefst menschlichen Bedürfnis empfinden. Das hat mit Grammatik nichts zu tun. Berechtigt sind sie auch, wenn es tatsächlich keine Antwort gibt.

Sorry, aber das mit dem Satz und dem Baum lasse ich nicht gelten, denn er erklärt gar nichts. Du unterschlägst dabei einfach die Wahrnehmung. Den Satz spreche ich ja nur, WEIL da die Wahrnehmung eines Baumes ist.

Du schreibst: "wenn ich sage "dort steht ein baum", und dort steht kein baum -ob real, oder nur im bewußtsein aller anwesenden vorhanden- ist der satz falsch, oder?"

Ja, da hast du recht. An der Richtigkeit des Satzes ändert das gar nichts. Es ändert aber etwas in deinem Verhältnis zur Welt. Inwieweit du dich von der Welt getrennt fühlst. Es hat mit Liebe, Harmonie, Verbundensein, Schuld, Hass, Verurteilung und Angst zu tun. Mit menschlichem Leiden insgesamt. Liebe ist für mich nichts anderes als das Ahnen oder Fühlen dieser zugrundeliegenden Einheit, jede Angst und jeder Hass und jede Sucht geht im letzten Grund auf das Gefühl des Getrenntseins und des Mangels zurück. Auch wenn oberflächlich betrachtet zahlreiche andere vordergründige Ursachen dafür gefunden werden können.

Auf jeden Fall war das eine sehr interessante Diskussion, die vielleicht allen etwas gebracht hat. Ich danke euch für eure Mühe und euren fairen und angenehmen Diskussionsstil.

Und wünsche frohe Weihnachten und Gutes Neues Jahr.

viele Grüße,
WuWei

P.S. ich will die Diskussion damit nicht abschneiden, aber ich denke in Bezug auf Wahrnehmung sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir uns in der Diskussion im Kreis drehen.

- V
- eiweiss am 22. Dez. 2004, 19:21 Uhr

hallo eberhard,

meine augen sagen mir, der stab ist gerade. ich tauche ihn ins wasser. nun ist er geknickt. und das nicht mal an einer bestimmten stelle. und dann ist er wieder gerade.
mein anderer sinn, mein fühlen und tasten,sagt mir, der stab ist und bleibt gerade.
was schließe ich daraus?
was ist der stab nun? gerade oder geknickt?


ich sach mal:

das problem mit dem stab stellt sich in unserer gemeinsamen alltäglichen wirklichkeit. wenn wir in dieser wirklichkeit leben und handeln wollen, wenn wir uns in dieser welt bejahen, akzeptieren wir die grenzen derselben.
in dieser wirklichkeit existiere ich, du und die mich umgebenden objekte (der stab), gibt es einen zustand vor, während und nach dem eintauchen. unseren erkenntnissen -wie bspw der vorstellung einer geraden, der  physik und  der mathematik- liegt diese wirklichkeit zugrunde.

um in dieser welt zu leben...- ja, der stab ist objekt. er ist gerade.

mfg






 
 

- V
- Eberhard am 23. Dez. 2004, 18:01 Uhr

Hallo allerseits,

ich glaube, wir können die Diskussion von Wuweis Thesen hier abschließen. Auch WuWei spricht in der Objektsprache (" Vor mir ist ein Baum" ). Auch Wuwei macht hinsichtlich der Wirklichkeit einer Ziege und eines Einhorns Unterschiede.

Die Differenzen zwischen seinem Weltbild und dem "üblichen" Weltbild kommen erst durch eine besondere spirituelle "Betrachtungsweise" oder "Perspektive" ins Spiel, deren kritische Diskussion den Rahmen unseres Themas sprengen würde.

Ich frage mich im Anschluss an diese Diskussion, ob man auf den Begriff der "Objektivität" nicht ganz verzichten sollte, weil er zu der falschen Schlussfolgerung verführt, es gäbe eine Erkenntnis realer Objekte, die nicht über unsere Wahrnehmung vermittelt ist.

Ich hätte keine Probleme zu sagen, dass der Satz: "Dort steht ein Baum" eine Abkürzung des Satzes ist: "Für uns steht dort ein Baum" und dass der Satz: "Der Baum vor unserm Haus ist mehr als 10 Meter hoch" eine Abkürzung des Satzes ist: "Der Baum vor unserm Haus ist für uns mehr als 10 Meter hoch".

Man würde dann in jede Behauptung über die Wirklichkeit die Einschränkung "für uns" hinein nehmen – weshalb man das "für uns" auch getrost weglassen kann – jedenfalls, solange wie wir noch nicht mit außerirdischen Wesen über die Beschaffenheit der Welt diskutieren.

Die Wahrheitsbestimmung: "Der Satz 'p' ist wahr, wenn p" (Der Satz "Ratten werden größer als Mäuse" ist wahr, wenn Ratten größer als Mäuse werden" ) könnte in diesem Sinne umformuliert werden und würde dann lauten: "Der Satz 'p' ist für uns wahr, wenn für uns gilt, dass p" (Der Satz "Ratten werden größer als Mäuse" ist für uns wahr, wenn für uns Ratten größer als Mäuse werden" ).

Damit hätte man die ganze unfruchtbare Debatte über "das Ding an sich" und dessen Erkenntnis vom Tisch.

Mir scheint, dass man hinsichtlich der Gültigkeit von Aussagen über die Wirklichkeit nicht mehr benötigt als intersubjektive Geltung (und deren Begründung) und intertemporale Geltung (und deren Begründung. Wenn wir also Aussagen haben, die personunabhängig und zeitlich unbefristet gelten und wenn wir gute Gründe für diese Geltung haben, was brauchen wir dann mehr? Meines Erachtens können wir damit unser Weltbild entwerfen und auf den Begriff der "Objektivität" in diesem Zusammenhang verzichten.

Geht es also einfacher als es scheint?

Herzliche Weihnachtsgrüße an alle Teilnehmer und Leser unserer Runde von Eberhard.

- V
- eiweiss am 23. Dez. 2004, 18:54 Uhr

nicht "an-sich"
und aus einem "für mich" wird ein "für uns".
- gefällt mir (uns?) gut.

wuwei hat recht mit dem was er sagte über unsere einstellung zur welt. vielleicht wäre dieses "für uns" ein schritt in diese richtung.

auch ICH wünsche UNS ein frohes weihnachtsfest

- V
- jacopo_belbo am 23. Dez. 2004, 20:10 Uhr

hallo alle zusammen,

gut, dass wir diesen abschnitt beendet haben - so sind wir frei, um demnächst an dieser stelle die diskussion weiterzuführen.
ich wünsche allen ein angenehmes und stressfreies weihnachtsfest. und allen schoneinmal vorweg ein gutes jahr 2005 p.chr. n.

- mfg thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:22 Uhr

Hallo Leute, ich platze hier mal wieder mitten rein ohne direkten AnSchluss, sorry.
Zuerst mal an Hermeneuticus, der das vielleicht gar nicht mehr lesen wird.

Klar, dem wird wohl jeder Teilnehmer dieser Diskussion vorbehaltslos zustimmen,

Zitat:

dass das Erkennen aus der sozialen Praxis hervorgeht



Die Neurobiologie stellt allerdings dahingehend eine sehr viel differenziertere Betrachtungsweise dar, als sie mit riesemgroßen Aufwand und Scharfsinn untersucht, inwieweit man am Prozeß des Erkennens (von was auch immer) folgende Komponenten unterscheiden kann:
    -    stammesgeschichtlich erworbene Strukturen unseres Erkenntnisapparates,
-      ontogenetische Feindifferenzierung desselben (u.a. durch Verstärkung oft genutzter und Eliminierung nicht benutzter Synapsen) sowie
-      Plastizität desselben durch individuelle Lebenserfahrungen.

Erkennen geht also keineswegs NUR ein soziales Phänomen, sondern fußt weitgehend (dieses "weitgehend" ist wohl der Hauptstreitpunkt) auf einer Jahrhunderte von Millionen Jahre zurückreichenden Selektion überlebensfähiger Strukturen.

Es ist also mitnichten so, wie Hermeneuticus schreibt:

Zitat:

Ich verwies darauf, dass Menschen das Prinzip der natürlichen Selektion mithilfe technischer Errungenschaften für sich außer Kraft setzen.



Welch eine Hybris!


Zitat:

Denn die beiden tragenden Prinzipien der biologischen Evolution sind (zufällige, also nicht zielgerichtete) Mutation und Selektion. Nun ist Technik einerseits kein Produkt von ziellosen Regungen (wie es Mutationen sind), sondern von zweckmäßiger, zielgerichteter Konstruktion.



Diese Argumentation a la William Paley (Mensch ist mehr uhrartig denn steinartig, also muss ein Konstrukteur postuliert werden) deuchte mir doch schon seit Generationen ad acta gelegt. Was H. hier als ausgezeichnetes Merkmal menschlichen Handelns präsentiert (zweckmäßig, zielgerichtet), das gilt doch nicht minder für jede tierische Fangbewegung oder beispielsweise auch den Werkzeuggebrauch von Insekten.  Denn "willkürlichen Blick" dichte ich also hiermit zurück. ;-) Desgleichen natürlich ohne Erregung die "erhebliche Begriffsverbiegung".


Zitat:

Kann man verbindlich feststellen und begründen, welche von diesen beiden Aussagen Teil eines biologischen Lehrbuchs sein könnte und welche nicht?  
a) Darwins Abstammungslehre bestätigte empirisch den biblischen Schöpfungsbericht.  
b) Darwins Abstammungslehre erwies empirisch, dass der biblische Schöpfungsbericht nur ein Mythos ist.  
Wenn Du meinst, es gebe keine verbindlichen, das heißt: NACHVOLLZIEHABREN Kriterien für eine Bantwortung der Frage, dann lohnt sich unsere weitere Diskussion nicht.  
Aber ich denke doch, dass Du, als Anhänger der ET, Aussage a) als eindeutig falsch zurückweisen wirst. Und wenn Du Dich darauf besinnst, welcher Art die Kriterien und Gründe Deines Urteils sind, dann hast Du auch einen (Vor-)Begriff von "wissenschaftlicher Wahrheit".



Eine mir sehr merkwürdig anmutende Argumentationsstrategie. Verbindlich und nachvollziehbar sind doch bereits Wörter, die auf einen Wahrheitsbegriff rekurrieren, den ich kritisch hinterfragen wollte.
Überdies: Falls Du mit "verbindlich" und "nachvollziehbar" meinst: "für alle verbindlich" und "für alle nachvollziehbar", so genügt doch ein Blick nach Amerika, um zu sehen, dass dies für Aussage b offensichtlich nicht der Fall ist. Und Du wirst doch wohl kaum meine bescheidene Meinung als Wahrheitskriterium heranziehen?
Gegen die Rede von "wissenschaftlicher Wahrheit" ist an sich nichts einzuwenden, wenn man zuvor die Kriterien genügend scharf definiert hat. Andererseits haben die Widerlegungen einiger der allerallerallersichersten wissenschaftlichen Wahrheiten (etwa der Unabhängigkeit von Raum und Zeit) gezeigt, dass die Zuschreibung "wahr" nicht mehr ist als eine aktuelle Meldung (wahr: "auf diese Aussage kannst Du meiner Ansicht nach bauen." unwahr: "Achtung, verlasse Dich nicht auf diese Aussage und deren Folgerungen!" ).

Ich mache hier Schluss, da ich ja nicht weiß, ob Du das überhaupt liest.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:27 Uhr

Hallo der Thomas J

Zitat:

was sagt uns konkret eine an der ET ausgerichtete erkenntnistheorie über wahrheit? was ist für den evolotionstheoretiker wahrheit? ist es das für das überleben nützliche? und wenn ja, woran erkennt man, dass etwas in der gegenwart für das überleben nützlich ist?



Schwierige Fragen; die Erklärungsreichweite der ET wird ja oft gewaltig überschätzt. Aber sie erinnert uns an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigem und beugt so vielleicht dem Antropomorphismus vor, in der Sprache etwas prinzipiell Anderes zu sehen als Muskelbewegungen, die in ihrer Gesamtheit bisher das Überleben der Art nicht verhindert haben. Wer "sein" zu "Sein" und "wahr" zu "Wahrheit" substantiviert, betreibt gewissermaßen Wortakrobatik, die nichtsdestoweniger eine positive Wirkung auf Artgenossen ausüben kann. Aber das vermag nachgewiesenermaßen auch derjenige, welcher h, u, r, t und z zu einem lauten "Hurtz!" verbindet. (Die radikalste Heidegger-Kritik stammt nicht von Habermas und Co, sondern von Harpe Kerkeling  :-)).

Die ET besagt eigentlich nur, dass die Gene der aktuell fruchtbarsten Individuen einer Population in der jeweils nachfolgenden Generation häufiger vertreten sind. Das ist eigentlich reine und überdies einfachste Logik, zu der die Empirik nur den Anstoß geben musste. Darüber hinaus postuliert die ET ganz konkret eine Verwandtschaft aller rezenten Arten und ihre gemeinsame Abstammung von sehr frühen und einfachen Lebensformen.

Ansonsten hat die ET kaum mehr zu bieten als mehr oder weniger plausible Erklärungen (Geschichten), die aus prinzipiellen Gründen niemals beweisbar sind. Etwa: Wir haben eine Vorliebe für fetthaltige Nahrung, weil das in vergangenen Zeiten der periodischen Kalorienknappheit ein Überlebensvorteil war. Oder: Höhlenbewohnende Arten sind oft blind, weil eine Degeneration des Sehapparates in völliger Dunkelheit kein Überlebensnachteil war. usw. usw. Die ET hat Abertausende solcher Geschichten zu bieten, deren Plausibilität in der Regel überwältigend ist.

Soche Geschichten kann man für das Phänomen Sprache im Ganzen, als auch für einzelne Wörter erzählen. Besonders verführerisch sind natürlich die Sprachuniversalien (oder etwa auch Chomskys Universalgrammatik), denn Begriffen oder Kategorien, die sich in jeder Kultur erhalten haben, unterstellt man nur allzugerne allgemeine Nützlichkeit. Ich bin da sketpischer, und das Vokabular der Offenbarungsreligionen betrachte ich als dramatisches Gegenbeispiel.
Die Nützlichkeit allerdings der Möglichkeit einer Zuschreibung wie wahr oder unwahr erscheint mir in einer sozialen Umwelt, in welcher an jeder Ecke Irrtum und Betrug lauern, evident. Mit Bezug auf diese Debatte: Man braucht keine "Tischheit" zu postulieren, um eine plausible Geschichte des Begriffes "Tisch" zu erzählen. Ebensowenig muss man auf eine "Wahrheit" (was immer das sein soll) rekurrieren, um eine plausible Geschichte der Begriffe "wahr" und "unwahr" zu erzählen.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 24. Dez. 2004, 06:38 Uhr

Hallo Eberhard

Zitat:

Dies ist zwar nicht falsch, doch geht die Bedeutung wertender und vorschreibender Sätze nicht in dieser Funktion auf. Entsprechendes gilt für Deine Deutung des Wortes unwahr als eine Art Warnschrei unter Artgenossen, der die gleiche Bedeutung hat wie das aufgeregte Gock! Gock! unter Hühnern



Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgdrückt. Ich nenne unwahr einen Warnschrei in dem Sinne, als er ganz konkret davor warnt, sich auf eine bestimmte Aussage sowie deren mögliche Folgerungen zu verlassen. Dies vermag das Gock Gock von Hühnern natürlich nicht.

Zitat:

Damit wird nur ein Aspekt der Sache erfasst. Denn die Wörter "wahr" und "falsch" werden nicht nur aktuell in verschiedenen, von einander isolierten Situationen benutzt, sondern sie sind auch unverzichtbar bei der Gestaltung des "Weltbildes", das jeder denkende Mensch ausbildet und aufgrund neuer Informationen fortbildet. Dies Weltbild umfasst alle vom Individuum für wahr gehaltenen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann.


 

Das ist in meinen Augen ein fast schon naives Bild einer Gemeinschaft aufgeklärter rationaler Individuen mit kohärenten, widerspruchsfreien Weltbildern....
Aufgeklärtsein könnte man (das ist jetzt ein Schnellschuß) geradezu mit der Angewohnheit analogisieren, sich des Warnschreis "unwahr!" ständig gegenwärtig zu sein, auch wenn kein Artgenosse da ist, der ihn ausstößt. Wie sagte Kant so wunderschön? Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Gleich mal eine kühne Spekulation hintendrein: Weshalb kam die Aufklärung in der Menschheitsgeschichte so spät und hat sich bis heute nicht bei einem nennenswerten Prozentsatz der Menschen durchsetzen können?
Weil unser Gerechtigkeitsempfinden sich in einer Zeit annähernd egalitärer Jäger-Sammler-Horden herausgebildet hat und sich vor der Matrix dieses Gerechtigkeitsempfinden die Hierarchien und extrem assymetrischen Ressourcen- und Machtverteilung, die sich mit dem Übergang zu Landwirtschaft und Speicherwirtschaft etabliert haben (bzw. die offiziellen Begründungen derselben) als unwahr, als Lug und Trug erweisen müssen. Insofern ist Aufklärung im oben beschriebenen Sinne ein riskantes Verhaltensmuster, welches schwerwiegende Konflikte mit den etablierten Machtstrukuren riskiert. Aufgeklärtes Verhalten in obigem Sinne kann sich deshalb nicht durchsetzen, weil es keine Gruppenselektion gibt (falls Dawkins und Co. gegen Gould und Co. recht behalten). Es ist wie mit Aggression oder Krieg: Für die Art Mensch wäre es wahrscheinlich am günstigsten, sich untereinander völlig friedlich bei konstanter Bevölkerungszahl gegen die feindliche Umwelt zu behaupten. Doch weil Individuen oder Gruppen von Individuen sich immense Vorteile durch aggressives Verhalten verschaffen können, wird sich Krieg wohl kaum aus der Welt schaffen können. (An H.: Hier wirken genetisch verankterte Verhaltensdispositionen, die wir mit unserer Kultur bisher nicht aus der Welt schaffen konnten).
Ebenso wäre wohl für die Art Mensch am günstigsten, wenn sich alle Individuen im obigen Sinne aufgeklärt verhielten. Doch dies wäre gar nicht im Sinne bereits etablierter Machtstrukturen, die konsequenterweise den Gedanken der Aufklärung verunglimpfen bis bekämpfen.

Also, Eberhard, Dein oben gezeichnetes Bild vom Menschen scheint mir zu idealistisch. Mit ein wenig rhethorischem Geschick und einer Portion Suggestion läßt sich jeder Schwachsinn von Astrologie bis Offenbarungstheologie (sogar Massen-)überzeugend begründen. Das ist auch deshalb möglich, weil wir keine Turing-Maschinen sind und nicht genau wissen, wieweit der Anwendungsbereich formaler Rationalität reicht. Nur ein Beispiel: Betrachten wir die drei 400m-Läufer A, B und C: A gewinnt stets gegen B, und B gewinnt stets gegen C. Die Folgerung "A gewinnt stets gegen C" erscheint überwältigend plausibel. Bei Tischtennis-Spielern trifft aber unter den gleichen Voraussetzungen (A gewinnt fast immer gegen B und B gewinnt fast immer gegen C) gar nicht so selten die gegenteilige Aussage zu: "C gewinnt fast immer gegen A". Ich traue mir nicht zu, ohne die Empirik auch nur auf die Idee dieser Möglichkeit zu kommen. Aus eben dem gleichen Grund erscheint mir auch die Erörterung der Frage "Wie kann man eine Aussage auf Wahrheit testen?" in dieser Allgemeinheit reichlich fruchtlos. In die Entscheidung fließen jeweils im konkreten Fall je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirik, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) ein.
Folgendes liegt mir also ferne:

Zitat:

Mit dem Verweis auf die Kontextabhängigkeit aller Wort- und Satzbedeutungen kann man diese mühselige Aufgabe elegant beiseite schieben.



Ich glaube halt nur nicht, dass das ohne konkrete Bezüge Sinn macht.
Noch zu Deiner Popper-Replik: Die Verwendung des Substantivs "Wahrheit" für (noch) nicht falsifizierte (wenn auch begründete, köhärente usw.) Aussagen erscheint mir als eine Art Schuldschein-Begriffs-Realismus. Der Schuldschein kann nie eingelöst werden, der Wechsel jedoch jederzeit platzen. (Man denkt: So istŽs! Das kann sich ändern, wie schon geschehn in andern Ländern  :-) Mir ist heute nach dichten).

Ansonsten, Eberhard, haben sich in Deinen oben zitierten Absatz einige sehr unscharfe Begriffe eingeschlichen. "Nutzen" : Extrem nützlich kann es sein, sich in Orwells Staat dem Willen des Großen Bruders zu beugen und voller Überzeugung die zweifelsfreien Wahrheit der Aussage 2 + 2 ist 5 zu glauben. Das klingt übertrieben, doch ein Blick auf die Immunisierungsstrategien diverser Sekten oder Offenbarungstheologien zeigt fließende Übergänge von Lächerlichkeit bis hin zu bedenklicher intellektueller Schizophrenie (" Zwiedenken" ). Ganz egal wie offensichtlich die Argumente im Widerspruch zu sonstigen Wahrheiten im eigenen Weltbild stehen.
Weltbilder sind nie durchgehend rational, und welche Irrationalitäten sozial aktezptiert werden, ist u. a. eine Machtfrage.
Das sollŽs mal wieder gewesen sein.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 25. Dez. 2004, 20:36 Uhr

Hallo Thomas G,

Du schreibst: "Ich nenne "unwahr" einen Warnschrei in dem Sinne, als er ganz konkret davor warnt, sich auf eine bestimmte Aussage sowie deren mögliche Folgerungen zu verlassen."

Ich hatte geschrieben: "Damit wird nur ein Aspekt der Sache erfasst. Denn die Wörter "wahr" und "falsch" werden nicht nur aktuell in verschiedenen, von einander isolierten Situationen benutzt, sondern sie sind auch unverzichtbar bei der Gestaltung des "Weltbildes", das jeder denkende Mensch ausbildet und aufgrund neuer Informationen fortbildet. Dies Weltbild umfasst alle vom Individuum für wahr gehaltenen Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann."

Dein Kommentar dazu lautete: "Das ist in meinen Augen ein fast schon naives Bild einer Gemeinschaft aufgeklärter rationaler Individuen mit kohärenten, widerspruchsfreien Weltbildern ....

Dein … Bild vom Menschen scheint mir zu idealistisch. Mit ein wenig rhethorischem Geschick und einer Portion Suggestion läßt sich jeder Schwachsinn von Astrologie bis Offenbarungstheologie (sogar Massen-)überzeugend begründen."

Dass meine Darstellung "naiv" oder "idealistisch" sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ich sage, dass jeder denkende Mensch ein "Weltbild" ausbildet, das aus der Gesamtheit der von ihm für wahr gehaltenen Aussagen besteht, habe ich doch nichts darüber ausgesagt, wie rational, wie wissenschaftlich begründet, wie selbstkritisch und widerspruchsfrei die tatsächlichen Weltbilder der Individuen sind. Ich bin da gar nicht optimistisch, im Gegenteil: ich glaube, dass in vielen Köpfen ein  beträchtliches Maß an Unsicherheit, Unordnung und Irrationalität herrscht – weshalb ich unter anderem solche klärenden Diskussionsrunden, wie die hier geführte, für unbedingt notwendig halte.

Mir ging es bei diesen Ausführungen darum, aufzuzeigen, dass "wahr" und "falsch" nicht nur eine soziale Funktion haben (A warnt B), sondern dass auch das Individuum für sich allein die Kategorien "wahr" und "falsch" benötigt, weil es von irgendwelchen Annahmen bei seinem Handeln ja ausgehen muss (seinem Weltbild) und weil es für ein Individuum den Zustand des "Zweifels", der Unentschiedenheit über "wahr" oder "falsch", gibt.

Ich stehe auch weiterhin zu meiner Aussage: "Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann."

Ein Weltbild, aus dem sich die Fragen, die man hat, nicht eindeutig beantworten lassen (weil das Weltbild widersprüchlich ist, weil es "weiße Flecken" aufweist etc.) hat für den Betreffenden geringen Nutzen. Und ein Weltbild, das einen zu Handlungen greifen lässt, deren Folgen man nicht erwartet hat, richtet für den Betreffenden eher Schaden an.

Du meinst, dass auch Irrtümer für ein Individuum von Nutzen sein können. Solche Fälle, in denen ein Individuum die Wahrheit nicht verkraftet, gibt es zwar, sie bilden jedoch eine seltene Ausnahme. Auf die Frage: "Willst Du über Deine Irrtümer aufgeklärt werden oder willst Du sie lieber beibehalten?" steht für die allermeisten Individuen die Antwort "Ich will wissen, wo ich irre" wohl fest.

Ich habe zwar nicht erläutert, was ich unter dem "Nutzen einer Sache für ein Individuum" verstehe, aber ich halte dies keineswegs für einen "unscharfen Begriff". Im Gegenteil: auf den Begriff des "Nutzens" (oder eines Ersatzbegriffes wie "Wert" oder "Vorteil" ) kann man meiner Ansicht nach nicht verzichten.

Deine Aussage, dass in eine Entscheidung über die Frage, wie man eine bestimmte Aussage über die Welt auf Wahrheit testen kann, "je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirie, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) einfließen", ist mir nicht einsichtig. Logische Widerspruchsfreiheit und Empirie (Wahrnehmung, Beobachtung) sind bei der richtigen Beantwortung von Fragen über die Beschaffenheit der Welt immer notwendig, während die andern Punkte eher Störfaktoren sind, mit denen man rechnen muss.

Es grüßt Dich Eberhard.

p.s: Ein voller Bauch studiert nicht gern, aber die grauen Zellen wollen auch aktiviert werden.

- V
- Hermeneuticus am 03. Jan. 2005, 13:53 Uhr

Hallo Thomas/g!


on 12/24/04 um 06:22:26, gershwin wrote:

Was H. hier als ausgezeichnetes Merkmal menschlichen Handelns präsentiert (zweckmäßig, zielgerichtet), das gilt doch nicht minder für jede tierische Fangbewegung oder beispielsweise auch den Werkzeuggebrauch von Insekten.


Die entscheidenden (und sehr sparsamen) Kriterien für die Unterscheidung von Handlungen und naturhaften Prozessen sind:

- Handlungen können unterlassen werden.
Beispiel: Ich kann im Fall eines grippalen Infekts zum Arzt gehen und die von ihm verschriebenen Medikamente einnehmen, ich kann es aber auch bleiben lassen und die Sache "ausschwitzen". Ich kann mich auch schon im Frühherbst gegen Grippe impfen lassen oder nicht. Bin ich indessen infiziert, setzt das in mir Prozesse in Gang, die ich nicht unterlassen kann, z. B. das Niesen und Husten.

- Zu Handlungen kann man andere auffordern.
So kann mir meine Freundin raten, ich solle unbedingt zum Arzt gehen; und der Arzt kann mir raten, gegen den Infekt einfach nichts zu tun. Vor diesem Rat wird er mich zum Zweck der Diagnose noch zu allerlei Handlungen aufgefordert haben wie: den Mund öffnen und "Aaaa" sagen, den Ärmel hochkrempeln usw.

- Handlungen können gelingen oder misslingen.
So kann im Fall einer schweren Krankheit ein ganzes Ärzteteam alles tun, was in seiner Macht steht - operieren, bestrahlen, Medikamente verabreichen, Diätvorschriften aufstellen, Kuren verordnen usw. - und doch scheitern.

Um den Begriff der Zweckrationalität kurz zu erläutern: "Zweck" nennt man einen Sachverhalt, den eine Handlung herstellen soll. So ist der Zweck eines chirurgischen Eingriffs etwa die Entfernung eines Tumors oder die Wiederherstellung einer Organfunktion. Die Ausführung dieses Eingriffs lässt sich anhand der Erreichung oder Nichterreichung dieses Zwecks beurteilen.
Ist ein Zweck bestimmt, so lassen sich immer verschiedene "Mittel" denken, durch den er erreicht werden kann. So überlegen Ärzte nach der Diagnose einer Krankheit, welche Mittel sie zur Heilung am besten ergreifen. Und ein Kranker kann seinerseits schon wählen, ob er auf Hausmittel vertraut, zum Hausarzt geht oder zu einem Internisten, zu einem Homöopathen oder einem Schulmediziner, oder ob er einen Heilpraktiker aufsucht oder gar einen Schamanen... (das Angebot ist groß).

Der Begriff des ärztlichen "Kunstfehlers" verweist in aller Klarheit darauf, dass angewandte Medizin eine "Kunst", d. h. eine Technik ist, die standardisierte Mittel zur Erreichung des Zwecks "Gesundheit" im Einzelfall auswählt und verwendet. Zwar kann ein Arzt die Heilung eines Patienten nicht garantieren, weil diese nicht allein von der sachgemäßen (zweckmäßigen) Ausübung seiner "Kunst" abhängt. Aber er kann (und soll!) garantieren, dass er seine ärztliche Kunst nach bestem Wissen und Gewissen ausübt; dies hat er sogar beschwören müssen, ehe er praktizieren durfte. Kunstfehler sind den Handlungen eines Arztes zuzuschreiben; die Heilung des Patienten dagegen nicht, weil diese eben nicht allein von der sachgerechten Anwendung der Medizin abhängt. Insofern ist beim Gelingen oder Misslingen einer Handlung immer zu unterscheiden, ob es auf den Vollzug der Handlung zurückgeht oder von Faktoren abhängt, die nicht im Einflussbereich des Handelnden liegen.


Dies nur als knappe Skizze. Kannst Du mir irgendeinen tierischen "Werkzeuggebrauch" nennen, auf den die genannten Kriterien zutreffen?

Was meine "Hybris" angeht: Du wirst doch nicht bestreiten, dass menschliche Technik kein zufälliges Naturprodukt ist. Und ebensowenig wirst Du bestreiten, dass Technik im allgemeinen den Zweck verfolgt, solche natürlichen Einflüsse möglichst zu kontrollieren, die das Erreichen unserer Handlungszwecke scheitern lassen können. Dass dies nicht immer gelingt, bestreite ich nicht. Aber das PRINZIP der Technik ist dennoch den PRINZIPIEN der biologischen Evolution (zufällige Mutation, natürliche Selektion) entgegengesetzt.
Ich habe bewusst meine Beispiele aus dem Bereich der Medizin gewählt, um das deutlich zu machen. Denn was anderes hat die Medizin zum Zweck, als der "natürlichen Selektion" ein Schnippchen zu schlagen?  

Ein Bereich übrigens, in dem der Unterschied von menschlicher Kulturentwicklung/Technik und natürlicher Evolution besonders deutlich wird, ist die gezielte Züchtung von Tieren und Pflanzen. Was hat es mit "Hybris" zu tun, wenn ich darauf beharre, dass es hier einen FÜR UNS MENSCHEN WESENTLICHEN Unterschied gibt?

(Ergänzung am 5.1.)
Am Beispiel der Züchtung von Tieren und Pflanzen (aber auch am Beispiel der Medizin) wird erkennbar, dass es Grenzen des Machbaren gibt, die nicht von uns Menschen gezogen werden. Insofern könnte man sagen, es unterliege wiederum der "natürlichen Selektion", welche Heilmethoden zum Ziel führen oder welche gezüchteten Exemplare überlebensfähig sind. Aber offenbar lässt die Natur uns da einen gewissen "Spielraum", innerhalb dessen wir sinnvoll zwischen dem von uns Gemachten/Gewollten und dem, was uns zustößt oder widerfährt, unterscheiden können.
Ich behaupte sogar: Was "Natur" ist, finden wir überhaupt nur dadurch heraus, dass wir mit unserem Wollen und Handeln jeweils an Grenzen stoßen. Der Begriff "Natur" ist also ein negativer, ein Grenzbegriff.  Aber als solchen könnten wir ihn gar nicht bilden, wenn wir nicht zunächst (im oben angedeuteten Sinne) handeln könnten. Unser Handelnkönnen wäre somit die faktische Voraussetzung für den Naturbegriff.




Zitat:

Und Du wirst doch wohl kaum meine bescheidene Meinung als Wahrheitskriterium heranziehen?


Mir ging es darum, Deine "bescheidene Meinung" auf ihre innere Konsistenz zu prüfen. Ich wollte wissen, ob Du - implizit - einen anderen Gebrauch vom Begriff der Wahrheit machst als den, den Du evolutionsbiologisch explizierst.



Zitat:

Gegen die Rede von "wissenschaftlicher Wahrheit" ist an sich nichts einzuwenden, wenn man zuvor die Kriterien genügend scharf definiert hat.


Genau um diese Schärfe geht es mir bei der Unterscheidung von natürlicher Evolution und kultureller Entwicklung. Deine Behauptungen über die "kulturelle Evolution" schienen mir zu viele relevante Unterscheidungen einfach zu verwischen.  

Gruß
H.

- V
- Hermeneuticus am 04. Jan. 2005, 13:08 Uhr

Hallo Thomas/g!


on 12/24/04 um 06:27:37, gershwin wrote:

Die Erklärungsreichweite der ET wird ja oft gewaltig überschätzt. Aber sie erinnert uns an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigem und beugt so vielleicht dem Antropomorphismus vor, in der Sprache etwas prinzipiell Anderes zu sehen als Muskelbewegungen, die in ihrer Gesamtheit bisher das Überleben der Art nicht verhindert haben.


Die Erinnerung an unsere Verwandtschaft mit allem Lebendigen (ich würde sogar ergänzen: und Nichtlebendigen) kann uns Menschen in der Tat nicht schaden. Aber ergibt sich daraus das gute Recht, alles in einen Topf zu werfen und aus Wissenschaft ein großes Wischi-Waschi zu machen?

So wie wir zwischen den verschiedenen Formen und Funktionen in der Natur - mithilfe unserer Begriffe - sorgfältig unterscheiden, so sollten wir auch die Spezifika der Gattung Mensch und ihrer Lebensformen sorgfältig untersuchen. Erst recht sollten wir die für unsere tägliche Lebensbewältigung unbedingt notwendigen Unterscheidungen nicht einfach unter den Tisch fallen lassen - wie etwa die zwischen Handlungen und (" determinierten" ) Naturvorgängen.

Sprache sei "im Prinzip" nicht anderes als lebensnotwendige Muskelkontraktion, sagst Du. Aber meinst Du nicht, dass wir den akustischen Absonderungen Deines Mundes anders begegnen sollten als den Absonderungen Deiner Peristaltik? Oder darf ich aus Deinem "Prinzip" die Berechtigung ableiten, diesen Unterschied zwischen DEINEN Sprach- oder Darmprodukten zu vernachlässigen? Macht somit Dein "Prinzip" den Spruch "Du redest Scheiße!" wahr???


Zitat:

Die radikalste Heidegger-Kritik stammt nicht von Habermas und Co, sondern von Harpe Kerkeling  :-)


Ich habe über Kerkelings "Hurtz" auch schallend gelacht. Trotzdem halte ich am Unterschied zwischen Verulkung und
Kritik fest - übrigens auch in DEINEM Interesse...



Zitat:

Die ET hat Abertausende solcher Geschichten zu bieten, deren Plausibilität in der Regel überwältigend ist.

(...)

Ebensowenig muss man auf eine "Wahrheit" (was immer das sein soll) rekurrieren, um eine plausible Geschichte der Begriffe "wahr" und "unwahr" zu erzählen.



Apropos begriffliche Schärfe: Sind für Dich die Begriffe "wahr" und "plausibel" synonym? Dann würde mich interessieren, was Du unter "plausibel" verstehst. Siehst Du dagegen einen Unterschied zwischen diesen Begriffen, würde mich auch dieser Unterschied interessieren.

Anders gesagt, bitte ich Dich, mir eine "plausible Geschichte" über das Wort "plausibel" zu erzählen...
:-)



Gruß
H.

- V
- Eberhard am 06. Jan. 2005, 12:02 Uhr

Hallo allerseits,

wir fragen, was unter einer wahren Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit zu verstehen ist. Wir haben z.T. sehr detailliert diskutiert, was mit "Wirklichkeit" gemeint ist, wie Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit von anderen Sätzen abzugrenzen sind, und welche Bedeutung und welche praktische Funktion das Wort "wahr" in diesem Zusammenhang hat. Diesen sozialen Aspekt des Wahrheitsbegriffs will ich aus meiner Sicht im Folgenden darstellen und eine begriffliche Unterscheidung zwischen der "Geltung" und "Gültigkeit" von Aussagen bzw. Behauptungen im Allgemeinen vorschlagen.

Wahre Aussagen geben uns richtige Antworten auf die Fragen, die wir in Bezug auf die Beschaffenheit der Welt haben. Die Aussage "Steinpilze sind giftig" ist wahr, wenn Steinpilze (tatsächlich) giftig sind.

Die Gesamtheit dieser Aussagen, die jemand für wahr hält, macht sein "Weltbild" aus. Dies Weltbild liegt seinen Entscheidungen zugrunde. Wer Steinpilze für giftig hält, wird sie nicht essen.

Menschen leben gesellig. Sie sind deshalb auf Koordination ihrer Handlungen angewiesen und sie können die Vorteile der Kooperation nutzen: vier Augen sehen mehr als zwei.

Die Koordination und Kooperation ist erschwert, wenn die Weltbilder in Bezug auf den jeweils relevanten Bereich der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Wenn in einer Gruppe unterschiedliche Meinungen über die Giftigkeit von Pflanzen bestehen, kann die Gruppe nicht gemeinsam Nahrung sammeln und zubereiten.

Deshalb besteht in jeder Gesellschaft eine gewisse Notwendigkeit, die Meinungen der Individuen über die Beschaffenheit der Welt zu vereinheitlichen. Dies passiert durch Meinungsaustausch, Diskussion, Belehrung der Nachwachsenden, Stellungnahme von Autoritäten.

Es besteht die Tendenz zur Ausbildung einer gesellschaftlich vorherrschenden Meinung, einer "herrschenden Lehre", die faktisch gilt und die den "politischen" Entscheidungen zugrunde gelegt wird.

Individuen und Gruppen erheben für ihre jeweiligen Weltbilder den Anspruch auf faktische soziale Geltung, sie wollen, dass ihr jeweiliges Weltbild den sozialen Entscheidungen zugrunde gelegt wird.

Dieser Anspruch auf faktische Geltung für die Allgemeinheit wird durch die Auszeichnung einer Aussage oder eines ganzen Weltbildes als "wahr" erhoben: außerhalb der Wahrheit gibt es nur Unwissenheit, Irrtum, Lüge und Ketzerei. Dies macht die politische Brisanz jeder Auseinandersetzung um Wahrheit aus.

Von größter Wichtigkeit ist nun die Art und Weise, wie dieser Anspruch auf allgemeine faktische Geltung eingelöst wird. Die faktische Geltung eines Weltbildes kann einerseits mit Machtmitteln (Verfolgung, Einschüchterung, Ausgrenzung Andersdenkender etc.) durchgesetzt werden. Damit kann jedoch keinesfalls die Berechtigung der Geltung dieses Weltbildes erwiesen werden.

Zur deutlichen Kennzeichnung des Unterschiedes zwischen der nur faktischen allgemeinen Geltung von Behauptungen auf der einen Seite und der berechtigten allgemeinen Geltung von Behauptungen auf der anderen Seite schlage ich vor, für die berechtigte allgemeine Geltung den Begriff der "Allgemeingültigkeit" zu reservieren.

Ein Weltbild kann demnach allgemeine Geltung besitzen, ohne allgemeingültig zu sein. "Gültigkeit" im Sinne von "berechtigter Geltung" kann nur durch allgemein nachvollziehbare Argumente, also rational erwiesen werden. Für die Gültigkeit zählen nur "Vernunftgründe" und nicht alle sonstigen Beweggründe für die Übernahme einer Meinung. "Wahrheit" wäre nach der hier vorgeschlagenen Begrifflichkeit ein bestimmter Fall von "Allgemeingültigkeit", bezogen auf eine bestimmte Art von Behauptungen, auf Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit.

Allgemein nachvollziehbare Argumente für die Wahrheit von Aussagen beruhen letztlich auf der intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmung der Wirklichkeit: "Überzeug Dich doch mit Deinen eigenen Augen davon, dass es so ist, wie ich sage. Oder – wenn das nicht möglich ist - befrage vertrauenswürdige Informationsquellen!"

Grüße an alle von Eberhard.

- V
- Verena am 06. Jan. 2005, 19:35 Uhr

Hallo,
soweit ich mitbekommen habe, beschränkt sich eure Diskussion über Wahrheit, darauf, dass Wahrheit etwas ist, was nur im Zusammenhang einer Aussage auftreten kann. Die "Aussage als Ort der Wahrheit" anzusetzen war zwar seit Aristoteles gängige Tradition (ein Standpunkt der durch die analyt. Philosophie reanimiert wurde)  - die Wahrheitsproblematik erhielt aber doch spätestens in der neuzeitlichen Philosophie mit der kopernikanischen Wende Kants eine wesentliche Erweiterung bzw. Vertiefung. Wenn man Kants antirealistischer Argumentation folgt, dass die Dinge (Gegenstände, Bewegungsabläufe, Prozesse usw.)  nicht einfach vorhanden sind (Realismus: Wahrnehmung als bloß passiv-rezipierendes Erfassen vorhandener Dinge), sondern ihrerseits erst als Resultat eines (sich auf Sinnesdaten stützenden) gelingenden oder misslingenden Konstruktionsaktes sind, dann ist die Frage nach der Wahrheit noch eine Stufe vor der Frage nach der Aussagenwahrheit anzusetzen, die als solche ja erst auf der Basis einer gelungenen Gegenstandskonstitution möglich ist. Die Frage nach der Wahrheit muss sich dann nicht nur um die Bedingungen stimmigen Aussagens, sondern genauso auch um die Bedingungen stimmiger Gegenstandskonstitution kümmern - eine Dimension der Wahrheit, welche mE bei eurer Diskussion bislang außen vor blieb.
Es geht als nicht nur um die Bedingungen der Möglichkeit einer (stimmigen) Bezugnahme von Aussagen auf Objekte, wie zB

Dieser Tisch ist rund.
oder
Dieses da ist ein Tisch.

sondern auch um die Frage nach der (stimmigen) Konstruktion des Dinges (dieses da - griech.: tode ti), um überhaupt erst ein "dieses da" (singuläres Objekt) als Substrat eines Aussagens zu erhalten.
Mit anderen Worten:
Vor der Anwendung eines Begriffs auf etwas muss dieses etwas gegeben sein, worauf der Begriff angewendet wird und wenn dieses Etwas nicht als einfach Vorhandenes angesetzt wird, wie im Realismus, sondern als etwas, das sich der Konstitution durch das Subjekt verdankt, dann stellt sich die Frage nach der Wahrheit zunächst als Frage nach den Bedingungen einer stimmigen Konstitution des Dinges.

Verena

- V
- Eberhard am 06. Jan. 2005, 22:57 Uhr

Hallo Verena,

Du plädierst dafür, dass wir unsere Fragestellung erweitern und auch – oder sogar zuerst -  fragen, wie sich die Gegenstände unserer Wahrnehmung herausbilden.

Der Umstand, dass wir die Gegenstände unserer Wahrnehmung mit den zugehörigen sprachlichen Bezeichnungen als gegeben hinnehmen, muss jedoch kein Mangel sein. Man könnte noch weitere Bereiche nennen, die wir nicht problematisieren. So haben wir z. B. nicht hinterfragt, wie es überhaupt zu so etwas wie einer Sprache kommen kann, was also die Bedingungen für die Möglichkeit des sprachlichen Verständigung sind. Und nach Meinung von Hermeneuticus haben wir auch die Vorrangigkeit des Handelns gegenüber dem Erkennen nicht hinreichend geklärt.

Die Nicht-Behandlung dieser Fragestellungen wird erst dann zum Problem, wenn sich dadurch Konsequenzen für die Beantwortung unserer zugegebenermaßen eingegrenzten Fragestellung nach der Bedeutung des Wortes "wahr" in Bezug auf Aussagen über die Realität ergeben würden.

Meine Gegenfrage an Dich – so wie zuvor schon an Hermeneuticus - ist also: Ergeben sich durch die Einbeziehung dieser Bereiche für das Vorgehen in unserm Bereich irgendwelche Konsequenzen und wenn ja welche? Werden andere Fragen gestellt? Werden andere Antworten gegeben? Welche sind dies?

Nur wenn dies der Fall ist, ist die Nicht-Behandlung dieser Bereiche ein Mangel. Wenn sich aber durch die Behandlung dieser Fragen keine Konsequenzen für die Beantwortung unserer Frage ergeben, so ist deren Einbeziehung nur unnötiger intellektueller Ballast.

Wie man so schön sagt, hängt alles mit allem zusammen, und es ist ein Leichtes, die fehlende Berücksichtigung dieser oder jener Bereiche zu monieren. (Womit ich nicht gesagt haben will, dass dies auf die von Dir angesprochenen Konstitutionsprobleme der Wirklichkeit zutrifft.)

Grüße an Dich und alle andern kritisch Interessierten von Eberhard.

- V
- jacopo_belbo am 07. Jan. 2005, 09:34 Uhr

ein erfolgreiches und gutes jahr 2005 wünsche ich allen philtalkern.

ich melde mich nur kurz zu wort, da ich derzeit noch nichts produktives zur diskussion beizusteuern kann. ich habe mir verenas beitrag durchgelesen, der mir einiges zu denken gibt. ich weiß weder, ob es in der philosophischen tradition begründet liegt, oder ob es gängige interpretation ist, kant als einen antirealisten darzustellen. insbesondere interessiert mich inwieweit der begriff realismus durch
Zitat:

Realismus: Wahrnehmung als bloß passiv-rezipierendes Erfassen vorhandener Dinge)

gedeckt wird. - allerdings würden wir damit den boden der laufenden diskussion verlassen. und das sollten wir nur dann tun, wenn eine erörterung der diskussion nützt - oder wie eberhard andeutet: wenn eine solche erörterung konsequenzen für die laufende diskussion hat.

wie sich im verlauf der diskussion gezeigt hat, besitzt das thema der wahrheit zwei pole, deren einer der relativ unproblematische erkenntnistheoretische ist, die übereinstimmung von aussagen mit den fakten -nach einer ausreichenden diskursiven erörterung der semantik (cf. semantische wahrheitstheorie) einer behauptung kann zu einem befriedigenden ergebnis gefunden werden- deren anderer, derjenige der in meinen augen problematische pol ist, derjenige der aus der pragmatik wahrer aussagen erwächst: die kennzeichnung einer aussage als "wahr" impliziert gewisse handlungsweisen (falsche aussagen ablehnen, nach gewissen vorschriften zu handeln etc.). entsprechend (bi/poly)polar ist zum beispiel auch der begriff der objektivität. eine aussage ist in semantischer hinsicht objektiv (" dieser tisch ist 2m lang" wenn der tisch 2m lang ist), aber in pragmatischer hinsicht problematisch -welches verfahren erlaubt es uns eindeutig und vorallem genau festzulegen, wie groß der tisch ist? (wobei zu beachten ist, dass eine unzulänglichkeit der meßmethode nicht zugleich eine unzulänglichkeit der aussage, geschweige denn des tisches, ist).

... soweit erst einmal ... demnächst wieder mehr :)

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 07. Jan. 2005, 19:56 Uhr

Hallo allerseits,

meine Frage an Thomas J und alle anderen: Sind wir uns einig, dass das "wahr sein" einer Aussage unabhängig von irgendeiner Zeitbestimmung ist, dass also eine Aussage, die heute falsch ist, bereits gestern schon falsch war und auch zukünftig falsch sein wird?

Die allgemeine Bestimmung von Wahrheit "Eine Aussage p ist wahr, wenn es so ist, wir p besagt" kennt für "wahr sein" nur die Gegenwartsform.

Es macht m.E. keinen Sinn, in der Vergangenheitsform zu formulieren: "Eine Aussage p war wahr, wenn es so war, wie p besagt" oder in der Zukunftsform zu sagen: "Eine Aussage p wird wahr sein, wenn es so sein wird, wie p besagt".

Wer also die obige Bestimmung von Wahrheit akzeptiert, der muss auch akzeptieren, dass die Wahrheit einer Aussage zeitunabhängig ist, dass der Anspruch auf Wahrheit also einen zeitunabhängigen Geltungsanspruch beinhaltet.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 07. Jan. 2005, 22:40 Uhr

Hallo Verena!

Freut mich, nun doch eine weitere Stimme in der Diskussion zu hören, die hinter die Aussagenwahrheit zurückfragt. Mir, als einem Anhänger der "Transzendental" -Philosophie,  leuchtet Deine Frage nach der Konstitution des Gegenstandes/Sachverhaltes, auf den sich eine Aussage bezieht, unmittelbar ein. Ich habe auch in den früheren Phasen der Diskussion (Wahrheit I - IV) immer wieder versucht, deren Notwendigkeit für die Klärung von Aussagenwahrheit geltend zu machen, aber aus meiner Sicht vergeblich...

Meine Kritik richtete sich direkt und indirekt stets gegen eine Formulierung in der Themenstellung. Es war nämlich ausgemacht, dass wir den Begriff der Wahrheit verstehen wollten als urteilendes (meta-sprachliches) Prädikat für "Aussagen über die Wirklichkeit". Weite Strecken der Diskussion drehten sich um die Frage, was man unter "Wirklichkeit" zu verstehen habe. Interessant ist dabei vor allem, ob "Wirklichkeit" so etwas ist wie eine fertige, "gegebene", "vorhandene" Welt "da draußen", die nur darauf wartet, von uns erkannt zu werden.
Meine Kontrahenten Eberhard und Thomas vertreten dazu Meinungen, die im Grunde genau auf diese "realistische" (oder "naturalistische" ) Metaphysik hinauslaufen. Für sie ist Wirklichkeit letztlich das, was die Naturwissenschaften erkennen. Oder, mit Wittgensteins Formel, wirklich ist alles, "was der Fall ist" - nämlich ein Fall von Aussagen mit dem sog. "Existenzquantor" : "Es gibt mindestens ein x, von dem gilt..."

Mir ist vor Weihnachten die Energie vergangen, dagegen in immer neuen Variationen anzureden. Aber ich bin auf Deine Argumente gespannt. Vielleicht reanimiert das ja meinen Kampfgeist ein wenig... :-)


Gruß
H.

- V
- gershwin am 08. Jan. 2005, 06:28 Uhr

Hi Eberhard
Zum Thema Weltbild: zuerst meintest Du, die Begriffe wahr und falsch wären unverzichtbar für die Gestaltung der Weltbilder (ich sehe da übrigens erstmal keinen Widerspruch zu meiner vorangegangenen Argumentation, denn ich hatte ja eigens hervorgehoben, dass Sprache die Funktion hat, Erfahrungen und Meinungen, die ja u. a. auch Folgerungen aus Erfahrungen sind, mitzuteilen. Dein Weltbild hängt sehr stark davon ab, was andere als wahr bezeichen (d. h. welche Fakten und Ableitungsregeln zum Vertrauen empfohlen werden). Du hast also mit Deiner Bemerkung keinen neuen Aspekt eingeführt, der über meine Warnschrei-Theorie hinausweist, höchstens den Bezug des Warnschreis auf situative Ableitungsregeln). Wenig später nennst Du diese Weltbilder quasi irrational, wenig wissenschaftlich begründet, wenig selbstkritisch und nicht widerspruchsfrei. Diese beiden Bemerkungen zusammengenommen rauben den Begriffen wahr und unwahr jedoch jeglichen Gebrauchswert in wie immer gearteten formalen Systemen. Das kann ich auch wieder nur als Zustimmung zu dem von mir bereits Gesagten interpretieren  :-).


Zitat:

Mir ging es bei diesen Ausführungen darum, aufzuzeigen, dass "wahr" und "falsch" nicht nur eine soziale Funktion haben (A warnt B), sondern dass auch das Individuum für sich allein die Kategorien "wahr" und "falsch" benötigt, weil es von irgendwelchen Annahmen bei seinem Handeln ja ausgehen muss (seinem Weltbild) und weil es für ein Individuum den Zustand des "Zweifels", der Unentschiedenheit über "wahr" oder "falsch", gibt.



Ich weiß nicht so recht. Ein völlig isoliertes Individuum benötigt keine Sprache. Wittgenstein hat das schön am Begriff Schmerz gezeigt. "Ich habe Schmerzen." Es macht keinen Sinn, das zu mir zu sagen. Ich glaube, das ist auf die Begriffe wahr und unwahr übertragbar. Sprache ist ja nur ein Endprodukt von Gehirnprozessen, die vor dem Aussprechen unbewußt ablaufen. Frage: Wo ist da Dein "wahr", bevor Du es aussprichst?


Zitat:

Ich stehe auch weiterhin zu meiner Aussage: "Der Nutzen dieses Weltbildes für das jeweilige Individuum bemisst sich daran, in wie weit es auf die dem Individuum wichtigen Fragen eindeutige und enttäuschungsfreie Antworten geben kann." Ein Weltbild, aus dem sich die Fragen, die man hat, nicht eindeutig beantworten lassen (weil das Weltbild widersprüchlich ist, weil es "weiße Flecken" aufweist etc.) hat für den Betreffenden geringen Nutzen.



So wie ich das lese und verstehe, ist das sooo eindeutig und leicht einsehbar falsch, dass ich fürchte, wir reden irgendwie aneinander vorbei.


Zitat:

Auf die Frage: "Willst Du über Deine Irrtümer aufgeklärt werden oder willst Du sie lieber beibehalten?" steht für die allermeisten Individuen die Antwort "Ich will wissen, wo ich irre" wohl fest.



Dann kann ich dir nur empfehlen, mal mit ein paar eingefleischten Christen über den Wahrheitsgehalt der Bibel zu diskutieren. Ich war mal in ner Gegend in Südamerika, wo mich meine Freundin gewarnt hat, zu verneinen, dass die Erde eine Scheibe sei. Das wäre gefährlich. Von Evolution und unserer Abstammung von Affen ganz zu schweigen! Ein Blick in eine beliebige Illustrierte (Stichwort Astrologie) führt Deine Behauptung wohl ebenfalls ad absurdum.

Der Begriff Nutzen ist deshalb unscharf, weil weder im Natur-Überlebens- und schon gar nicht im sozialen Kontext voraussehbar ist, was auf lange Sicht nutzt und was nicht. Dem Opfer in Orwells 1984 nutzt es beispielsweise sehr, WIRKLICH zu glauben, 2 plus 2 sei 5. Das konnte er vorher kaum ahnen.


Zitat:

Deine Aussage, dass in eine Entscheidung über die Frage, wie man eine bestimmte Aussage über die Welt auf Wahrheit testen kann, "je nach Kontext in unterschiedlichen Anteilen formale Rationalität, Empirie, Interessen und Emotionalität (Stichworte: Sozialisierung, Suggestibilität, Gehirnwäsche usw.) einfließen", ist mir nicht einsichtig.



Es ist aber so. Das sieht doch ein Blinder.


Zitat:

Logische Widerspruchsfreiheit und Empirie (Wahrnehmung, Beobachtung) sind bei der richtigen Beantwortung von Fragen über die Beschaffenheit der Welt immer notwendig, während die andern Punkte eher Störfaktoren sind, mit denen man rechnen muss.



Du beziehst Dich hier auf den Begriff der wissenschaftlichen Wahrheit, dem ich wie Du ebenfalls sehr anhänge. Man hat sich aus für mich einsichtigen Gründen auf (für mich einsichtige) Kriterien geeinigt. Aber diese Kriterien für den Begriff "wahr" (die ja wiederum auf den Erfahrungsberichten vieler Forschungsgenerationen herausdestilliert wurden) werden nur in winzigen elitären Zirkeln angewandt, und auch da meist nur berufsmäßig. Der Anwendungsbereich dieses Begriffes ist jedoch unendlich viel größer. Und sehr oft kannst Du da Deine logische Widerspruchsfreiheit in der Pfeife rauchen.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 08. Jan. 2005, 06:33 Uhr

Hi Hermeneuticus:

Zu Handlungen kann man andere auffordern.
Das können Tiere auch. Betteln zum Beispiel. Übrigens kann man auch die von mir genannte Jasmonatproduktion als Handlungsaufforderung interpretieren.

Handlungen können misslingen.
Hab grad neulich eine Szene von einem Pillendreher (ein Käfer) gesehen, dessen Mistkugel an einer Dorne hängenblieb. Der Käfer mühte sich und mühte sich und mühte sich... es wollte ihm nicht gelingen, die Kugel weiterzurollen. Dann bekam er sogar einen Wutanfall (ein Scherz  :-))

Handlungen können unterlassen werden.
Es dürfte Dir ziiiiiiieieieieiiiimlich schwerfallen, das zu belegen. (Ganz abgesehen von Erläuterung, was das sein soll: eine Handlung unterlassen. Ich unterlasse im Moment gerade Milliarden von Handlungen, und das ist nur eine vorsichtige Schätzung  :-))

Natürlich kannst Du den Begriff "Zweck" so definieren, dass man tierischen Handlungen einen solchen nicht mehr zuerkennen darf. Aber was hast Du denn davon? Natürlich haben Tiere keine Sprache, mithin auch kein Wort wie Zweck. Dennoch kann man doch nicht behaupten, dass ihre Handlungen zwecklos sind. Das verstehe ich gar nicht.

Zitat:

Du wirst doch nicht bestreiten, dass menschliche Technik kein zufälliges Naturprodukt ist...



Was bedeutet denn das Wort zufällig in diesem Zusammenhang?? Von Zufall sprechen wir immer dann, wenn ein Ereignis nicht in eine Kausalkette eingeordnet werden und mithin nicht mit einer größeren Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann als denkbare Alternativereignisse. Im Rahmen einer evolutionsgeschichtlichen Betrachtung könnten wir als "göttliche" Beobachter zum Zeitpunkt, sagen wir: der Entstehung der ersten Vielzeller, die menschliche Technik ebensowenig vorhersehen wie jede andere etablierte tierische Muskelbewegung.

Wer voller Stolz auf seine geistige Flexibilität als etwas ganz Besonderes pocht, den muss man daran erinnern, dass diese Flexibilität sich nur in einem engen Rahmen abspielen kann, dessen Grenzen vor vielen Zehntausenden von Jahren abgesteckt wurden. (Mag sein, dass diese Grenzen durch Entwicklungen in der KI oder neuartige Psychopharmaka eines Tages dauerhaft erweitert werden können.)
Freundliche Grüße
Thomas

PS: Die Unterscheidung zwischen "Handlungen" und "determinierten Naturvorgängen" ist ohne eine gehörige Portion Willkür ebenfalls kaum durchzuhalten.

Zitat:

Sprache sei "im Prinzip" nicht anderes als lebensnotwendige Muskelkontraktion, sagst Du. Aber meinst Du nicht, dass wir den akustischen Absonderungen Deines Mundes anders begegnen sollten als den Absonderungen Deiner Peristaltik? Oder darf ich aus Deinem "Prinzip" die Berechtigung ableiten, diesen Unterschied zwischen DEINEN Sprach- oder Darmprodukten zu vernachlässigen? Macht somit Dein "Prinzip" den Spruch "Du redest Scheiße!" wahr???



Das klingt nett, aber ebenso könntest Du auf meine Behauptung "Unsere Brustmuskeln sind im Prinzip nichts großartig anderes als die der Vögel" entgegnen: "Kannst Du fliegen???"

Eine plausible Geschichte des Begriffes plausibel? Da müßte ich dessen sprachliche (etymologische?) Herkunft kennen. (Übrigens hab ich grad erfahren: "ungefähr" kommt von "ohngefähr" und das wohl dann von "ohne Gewähr" ) Worte sind dazu da, eine Wirkung auf andere Menschen zu erzielen, und wenn ich sage: "das klingt plausibel", dann weißt Du damit, dass ich beim ersten Nachdenken nicht auf Ungereimtheiten oder Widersprüche gestoßen bin. Mehr ist da nicht. Es macht keinen Sinn, einen Thread zu eröffnen: Was ist Plausibilität?
Nochmal Grüße
Thomas

- V
- Hermeneuticus am 08. Jan. 2005, 11:31 Uhr

Hallo Thomas/g!

Du "vergisst" bei Deiner Argumentation systematisch, dass Theorien - zu denen auch die ET gehört - von Menschen konzipiert werden. Wissenschaft zu treiben und Theorien zu entwerfen, sie zu diskutieren und zu verwerfen... - das hat nun einmal ein paar menschenspezifische Voraussetzungen wie das Handeln- und Sprechenkönnen. Du magst diese besonderen menschlichen Fähigkeiten für vernachlässigenswert halten, aber wenn Du sie vernachlässigst, entziehst Du damit auch der Aussagekraft der ET den Boden.
Wenn eine von Menschen konzipierte Theorie, in der auch die Menschen selbst vorkommen, ihren Erklärungsobjekten die Fähigkeiten abspricht, die auch für das Entwerfen genau dieser Theorie erforderlich sind, ist sie nicht konsistent.

Ich will die Evolutionstheorie nicht grundsätzlich anzweifeln. Auch mir erscheint sie weitgehend plausibel - nämlich innerhalb ihres Geltungsbereichs.

Gruß
H.

- V
- dirkson am 08. Jan. 2005, 18:44 Uhr

hmm..seit wann steigert man farben?(zitat.." röte der rose" )
aber soll ja nun auch erst mal irrrelevant sein!
wahrheit..wisst ihr ist etwas sehr seltsames...aber da es ja hier ständig cronologische fortsetzungen gibt...ist es ja scheinbar nicht die wahrheit..denn wahrheit gibt es nur eine!!
das muss man sie nicht in alle arrgumentationen des so oder so sein könnte hineinlegen,weil dies weicht erheblich von ziel der eigentlichen wahrheit ab und irretiert..
man kann es auch sehr kurz fassen...licht ist wahrheit und wahrheit ist licht...(ansonsten hätte sich hanelore kohl wohl nicht umgebracht...sie wusste vom vergehen ihres mannes..und nur weil diese person(einheitskanzler??) zu dieser zeit am "regieren" war ,hat er mit dem mauerfall nichts zu tun..denn es war das einfache volk der arbeiter und bauern,die dies bewirkte.ist es eigentlich normal geworden in deutschland,das sich hohe politiker freikaufen dürfen ohne vorbestraft zu sein?lasst euch lieber sowas durch den kopf gehen als wie hier lange herumzulamentieren was wahrheit sein könnte..weil ihr habt die macht dazu meine lieben mitphilosophen,euer wort in gottes ohr. [sun]

- V
- Eberhard am 08. Jan. 2005, 21:35 Uhr

Hallo Thomas G,

ich will nur den mir wichtigsten Punkt in unserer Diskussion herausgreifen: Mir kommt es darauf an, dass die Auszeichnung einer Aussage als "unwahr" bzw. "falsch" mehr ist als der Warnschrei "Verlass Dich nicht auf diese Aussage!"

Die Auszeichnung einer Aussage als "unwahr" impliziert zusätzlich den Anspruch, dass der Warnschrei zu Recht ausgestoßen wurde. Und wenn dieser Anspruch mehr sein soll als der autoritäre Anspruch "Glaube mir!", dann muss derjenige, der diesen Warnschrei ausstößt, auch bereit sein, zu begründen, warum die betreffende Aussage falsch ist.

Um es in der von mir vorgeschlagenen Terminologie auszudrücken: Wenn jemand behauptet: "Die Aussage 'Goethe ist 1832 gestorben' ist falsch", so beansprucht er nicht nur Geltung (" Lege diese Aussage nicht deinen Entscheidungen zugrunde" ), sondern er beansprucht auch Gültigkeit (" Diese Aussage ist widerlegt" ).

Wenn jemand mir gegenüber etwas als wahr behauptet, ohne sich um eine mir einsichtige Begründung zu bemühen, so handelt es sich um einen dogmatischen Anspruch, der buchstäblich indiskutabel ist. Wenn es keine Argumente gibt, die mir einsichtig sind, und wenn mein Urteil nicht zählt bei der Frage nach der Wahrheit, dann ist der Argumentation mit dem Dogmatiker der Boden entzogen.

Wenn jemand das Gebot der logischen Widerspruchsfreiheit nicht anerkennt, dann tut er damit in vergleichbarer Weise kund, dass es ihm nicht um wahre und mit einsichtigen Argumenten begründete Antworten auf die gestellte Frage geht. Denn widersprüchliche Antworten sind gar keine Antworten. Mit einer "Ja-und-Nein-Antwort" ist man so schlau wie zuvor. Damit stellt der Betreffende vielleicht ein politisches oder pädagogisches Problem dar, aber er bildet kein Problem für die richtige Beantwortung der gestellten Frage. Denn bei der Diskussion über die allgemeine Gültigkeit von Behauptungen hat er sich selber ausgeklinkt.

Wem es nicht um die intersubjektiv nachvollziehbare, einsichtige Begründung von Behauptungen geht, dessen Anspruch, in irgendeiner Weise recht zu haben, ist nicht mehr als eine dogmatische Glaubensforderung. Für die Gewinnung allgemeingültiger Erkenntnis ist seine Position irrelevant.

Insofern sind die Kriterien der Allgemeingültigkeit von Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt wie logische Widerspruchsfreiheit und Bestätigung durch übereinstimmende Wahrnehmung nicht irgendwelche Kriterien unter vielen anderen, sondern diese Kriterien sind – wie sich zeigen lässt - notwendige Bedingungen dafür, dass man sinnvoll miteinander über derartige Behauptungen argumentieren kann.

Die Richtigkeit des letzten Satzes hängt dabei in gar keiner Weise davon ab, wie viele Menschen in dieser "wissenschaftlichen" Weise denken und argumentieren.

Mit dieser bewusst zugespitzten Formulierung grüßt Dich und die andern Mitstreiter Eberhard.

p.s.: Auch ein isolierter Robinson Crusoe benötigt die Sprache bzw. das Denken in Sätzen und Begriffen, wenn er sich z. B. an gestern erinnert und sich diese Erinnerungen merken will oder wenn er Risiken abwägt und überlegt, wie er sich entscheiden soll.

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 00:59 Uhr

Hallo Eberhard!

Du schreibst an Verena:


Zitat:

Meine Gegenfrage an Dich – so wie zuvor schon an Hermeneuticus - ist also: Ergeben sich durch die Einbeziehung dieser Bereiche für das Vorgehen in unserm Bereich irgendwelche Konsequenzen und wenn ja welche? Werden andere Fragen gestellt? Werden andere Antworten gegeben? Welche sind dies?

Nur wenn dies der Fall ist, ist die Nicht-Behandlung dieser Bereiche ein Mangel. Wenn sich aber durch die Behandlung dieser Fragen keine Konsequenzen für die Beantwortung unserer Frage ergeben, so ist deren Einbeziehung nur unnötiger intellektueller Ballast.


Die Problematisierung des Begriffs der Wirklichkeit, die so etwas wie den "Generalbass" unserer langen Diskussion bildete, war nichts anderes als die Frage nach der "Konstitution" jener Gegenstände, auf die wahre/unwahre Aussagen sich beziehen.

Kants "transzendentale" Reflexion entdeckte die konstitutiven Bedingungen dafür, dass Aussagen sich überhaupt auf Gegenstände beziehen können, in den (spontanen) "Handlungen" des urteilenden Subjekts (das Denken, Urteilen definiert er ausdrücklich als "Handlungen des Verstandes" ). Zwar sieht er letztlich alle Erkenntnis in (rezeptiven) Anschauungen verwurzelt, aber das gleichbeibende Wie unseres Anschauens - also seine allgemeine "Form" oder "Struktur" - lässt sich ebensowenig auf das Angeschaute zurückführen wie der Gebrauch unserer Begrifflichkeit.

Ob und wie man Kants erkenntnistragende Instanz - "das" urteilende Subjekt - ersetzen kann durch das kommunikative Kollektiv der Sprecher einer Sprache, wäre Stoff für eine umfangreiche Diskussion. Aber der "linguistic turn" der Erkenntnistheorie ist immerhin ein starkes Indiz dafür, dass die neuere Philosophie Kants tranzendentale Wendung zu den subjektiven Bedingungen von Erkenntnis mitgemacht hat. Und der "pragmatic turn" der Sprachanalyse wiederum hat darauf aufmerksam gemacht, dass jene subjektiven Bedingungen des Erkennens primär im Handeln liegen (zumindest im sprachlichen Handeln, obwohl das noch nicht ausreicht).

Wenn man von "Aussagen über die Wirklichkeit" spricht, bedarf es einer Unterscheidung zwischen der in diesen Aussagen thematischen Wirklichkeit - also ihren jeweiligen "Gegenständen" - und der Wirklichkeit, die im "Machen" genau dieser Aussagen besteht. (Ich nannte das die "gegenständliche" Wirklichkeit und die "Wirklichkeit des Vollzugs".) Und aus einer "transzendentalen" (konstitutionstheoretischen) Sicht ist klar, dass die Wirklichkeit des "Machens" von Aussagen - sowie deren Strukturen selbst - einen Vorrang hat vor der jeweils in den Aussagen thematisierten oder intendierten Wirklichkeit. Denn diese (Handlungs-)Wirklichkeit ist offenkundig die Bedingung dafür, dass es überhaupt Aussagen gibt, die sich auf (bestimmte Teilstücke der) Wirklichkeit beziehen können.

Wenn man den (konstitutiven) Vorrang all der Praxen, aus denen "Aussagen über die Wirklichkeit" überhaupt erst hervorgehen, nicht sieht; wenn man also diese "subjektive" Vollzugs- oder Handlungs-Wirklichkeit auf eine ontologische Stufe stellt mit den jeweiligen Gegenständen der Aussagen - dann "naturalisiert" man das Erkennen. Aber dann wird es in der Folge unmöglich, das spezifisch menschliche In-der-Welt-Sein mit seinen praktischen Normen - ja überhaupt so etwas wie Rationalität - noch in der Wirklichkeit unterzubringen. Denn Rationalität, Normen, Zwecke... - das alles sind nun einmal keine Objekte naturwissenschaftlicher Erklärung. Da es sie aber unbestreitbar gibt und sie für unsere tagtägliche Lebensbewältigung (einschließlich der Erkenntnis!!) schlechthin KONSTITUTIV sind, kann eine philosophische Theorie der Wahrheit sie nicht außen vor lassen.

Das ist eine kurz gefasste Wiederholung meiner Argumentation während des Diskussionsverlaufs. Und es ist auch die Antwort auf Deine Frage, ob das Thema "Konstitution" oder "Handeln" Folgen für diese Diskussion habe.
Sie hatte, sie hat, sie wird haben.

Gruß
H.

- V
- gershwin am 10. Jan. 2005, 06:38 Uhr

Hi Hermeneuticus

Zitat:

Ich will die Evolutionstheorie nicht grundsätzlich anzweifeln. Auch mir erscheint sie weitgehend plausibel - nämlich innerhalb ihres Geltungsbereichs.



Dein Name läßt mich schwach erahnen, was Du mit Geltungsbereich meinst. Könntest Du das bitte mal etwas näher ausführen?
Ich kann eigentlich keinen (gegenüber allen anderen Alltagsaussagen) eingeschränkten Geltungsbereich ausmachen. Jede solche Einschränkung würde somit alle anderen sprachlichen Äußerungen mit in Zweifel ziehen. Denn wie ich schon sagte, scheint mir der Name Theorie viel zu hochgestochen für die ET. Ihre Schlussfolgerungen (die sich meiner Ansicht nach, das ist ja der Streitpunkt hier, auch auf die Herkunft und Funktion der Sprache beziehen lassen) sind doch sogar eher auf weniger weit hergeholten Voraussetzungen geknüpft als die allermeisten sprachlichen Verknüpfungen im Alltag oder Philosophielehrsaal. Mit ein wenig rhetorischem Geschick allerdings kann man letztlich jede Aussage auf einen angeblich nicht erlaubten Selbstbezug zurückführen. Doch wer spricht dieses Verbot weshalb aus?
Sprachfähigkeit konnte sich entwickeln, weil eine Erweiterung der Kommunikationsfähigkeit (im Vergleich etwa zur chemischen Kommunikation) das Überleben der Art erleichtert. (um missverständnissen vorzubeugen: niemand behauptet, dass sie diese Funktion auch heute noch ausübt, in einer Phase der Konkurrenzlosigkeit und des Überflusses). Alle weitergehenden Behauptungen erfordern meiner Ansicht nach völlig willkürliche (bzw. kontigente weil sozialisationsabhängige) Zusatzannahmen. Und eigentlich müßte doch gerade Dich Dein Nickname hier dazu verpflichten, eben diese zu hinterfragen oder zumindest herauszuarbeiten (und damit, wenn ich Recht habe, die auffallende Zusatzannahmenarmut der ET herauszudestillieren).

Zitat:

Wenn eine von Menschen konzipierte Theorie, in der auch die Menschen selbst vorkommen, ihren Erklärungsobjekten die Fähigkeiten abspricht, die auch für das Entwerfen genau dieser Theorie erforderlich sind, ist sie nicht konsistent



Das ist doch überhaupt nicht der Fall! Die ET (gäbe es die Quantentheorie nicht, könnte das sogar problemlos der einfachste krudeste deterministische Materialismus, der von sich im Raum bewegenden Atomen und einer Handvoll, im Optimalfall einem einzigen, physikalischen Gesetzen ausgeht) kann doch problemlos und völlig plausibel die Entwicklung der geisten Fähigkeiten erklären, die für das Entwerfen eben dieser ET erforderlich sind. Menschen haben aus dem Wolf Zwergmöpse und  Riesenbernhadiner, Pitbulls und Blindenhunde gezüchtet, und wenn wir noch ein wenig mehr Detailwissen und genügend Zeit hätten, könnten wir problemlos aus Schimpansen Evolutionsbiologen und sogar Philosophen züchten oder, das bräuchte dann noch etwas länger, aus Einzellern ein ordentliches Wirbeltier. Damit wäre die Kette geschlossen und es bleibt keine weitere prinzipielle Frage mehr. Nur die erschreckende und offenbar schwer verdauliche Erkenntnis, dass viele althergebrachte Fragen sich lediglich der Flexibilität der Grammatik (sowie einer komplexen Mischung aus Irrtümern und Partikularinteressen) verdanken.

Zu Verena:

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass ich auch Verenas Einwurf als Folge einer Verwirrung erachte, die sich einer althergebrachten ontologischen Herangehensweise an Sprache (statt sie vornehmlich aus der Perspektive der Handlungsaufforderung zu analysieren) verdankt.
Wahrheit ist erstmal nur ein Wort auf dessen Anwendungsbereich man sich sinnvollerweise vor der Verwendung einigen sollte. Klar kann man diesen auch ausdehen bis hin auf die vorbegriffliche Konstitution von Entitäten. Das wird ja auch getan, sobald Partikularinteressen differieren. (Ist das eine Schande oder nicht? War das Mord oder Notwehr? Darf man dieses Tofu-Zeugs wirklich als Wurst bezeichnen? Ist Free-Jazz wirklich Musik oder nur Krach?) Aber wem sollte etwas daran gelegen sein, die Frage nach der Wahrheit einer Konstitution eines Tisches strittig zu erörtern? Hier sind wir wohl alle daran interessiert, die Einigkeit zu bewahren. (Wer sich auf die Aufforderung hin: "Komm setz Dich an den Tisch" statt dessen in eine Ecke oder ins Spülbecken hockt, wird diese Einigkeit dennoch kaum gefährden können).

Sicher können wir uns alle fragen: Irren wir uns gemeinsam, alle jene kohärenten Sinneseindrücke mit dem Begriff Tisch zu bezeichnen? Sind das "in Wirklichkeit" alles keine Tische? Bei aller Ehrfurcht vor Kant, ich fürchte, diese Frage ist "wirklich"  :-) so doof wie sie klingt. Allerdings hat Kant, soweit mir bekannt (bin ja nur ein dilettierender Hobbyphilosoph) zwar ein (bereits der Singular erscheint hier reichlich willkürlich) prinzipiell unerkennbares "Ding an sich" postuliert, aber sich nie ernsthaft mit konkreten Fragen vom Typ: "Ist das wirklich ein Tisch an sich?" herumgeschlagen.

Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 10. Jan. 2005, 08:04 Uhr

Hi Eberhard

Zitat:

Wenn jemand mir gegenüber etwas als wahr behauptet, ohne sich um eine mir einsichtige Begründung zu bemühen, so handelt es sich um einen dogmatischen Anspruch, der buchstäblich indiskutabel ist.



Ich komme schon selbst unsympathisch spitzfindig vor, aber wird nicht ein beachtlicher Teil der Erziehung in den ersten Lebensjahren von solch dogmatischen Ansprüchen getragen? Und fahren wir nicht gut damit?
Und abgesehen davon: den Löwenanteil dessen, was Du als Dein Wissen erachtest, kannst Du unmöglich (mangels Mitteln, mangels Zeit und mangels Lust) selbst überprüfen, sondern Du verläßt Dich auf die Erfahrungen anderer, deren Verläßlichkeit Du einschätzen musst und nicht formal ableiten kannst.

Eine ganz normale Situation: Du bist sehschwach, und ein Artgenosse X warnt Dich: "Renn weg! Ein Löwe kommt angestürmt!" Dann tust Du gut daran, zu rennen, ohne vorher eine einsichtige Begründung für den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu fordern. Ruft aber gleichzeitig ein anderer Artgenosse: "Stop! Da ist kein Löwe. X will Dich nur weglocken, damit er die Beeren essen kann, die Du grade gesammelt hast." Welcher Warnung Du nun Folge leistest, ist eine Sache auf Leben und Tod. Du hast keine formalen Kriterien, sondern musst Dich auf Deine spontane Intuition verlassen. U. a. per Klatsch und Tratsch (DAS ist vielleicht eine der wichtigsten ursprünglichen Funktionen von Sprache!) hast Du Dir hoffentlich in den vergangenen Wochen ein verläßliches Urteil über die Vertrauenswürdigeit der beiden gebildet, das Dir bei Deiner Entscheidung hilft. Im Alltag sind die meisten Situationen weniger dramatisch, aber es sollte verständlich sein, worauf ich hinaus will:

Ich habe das Problem, dass Deine Statements sich immer nur auf einen kleinen speziellen Ausschnitt menschlichen Sprechens beziehen. Aber wir plappern nicht nur im Labor oder Seminarraum, sondern den ganzen Tag, und nur selten genügen unsere Aussagen den hehren Ansprüchen, auf die sich die Wissenschaftler nach jahrhundertelanger Erfahrung geeinigt haben. Sprache hat sich nun mal nicht entwickelt, um Wissenschaft zu betreiben. Und die soziale Umwelt ist nicht ohne weiteres (wohl gar nicht) so formalisierbar, dass Deine Kriterien stringent angewandt werden könnten.

Zum Robinso Crusoe: das ist meines Erachtens ein schwaches Argument. Der ist nun mal ein Mensch mit einer sozialen stammesgeschichtlichen Vergangenheit. Solitäre Pilze bilden keine Sprache heraus, wozu auch.

Zitat:

benötigt die Sprache bzw. das Denken in Sätzen und Begriffen, wenn er sich z. B. an gestern erinnert und sich diese Erinnerungen merken will



Da streifst Du eine alte Streitfrage, ob Sprache eine Voraussetzung des Denkens ist. Meines Wissens neigt sich die Waage in Richtung: nein. Es gibt zum Beispiel einen Hund namens Rico, der zur Zeit wissenschaftlich untersucht wird. Er kann auf Befehl eine von mehreren Spielpuppen aus einem Zimmer holen. Sogar welche, die er noch nie gesehen hat. Befiehlt man ihm: Hol Rübezahl (den er nicht kennt), dann holt er die einzige Puppe aus dem Zimmer, die er nicht kennt. Die beiden Verhaltensforscherinnen meinen, sie hätten den Eindruck, der Hund hätte verstanden, dass Begriffe für Objekte stehen.
Im übrigen, ich hatte das schon mal hier angeschnitten: Ein gesprochener Satz ist das Ergebnis unbewußt ablaufender Hirnprozesse. Und wenn man jetzt frägt, wie man Denn wissen kann, was man denkt, bevor man es (und sei es im Geiste) ausspricht, dann erscheint Deine obige Behauptung noch problematischer.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Eberhard am 10. Jan. 2005, 12:16 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

vorweg will ich meine Zufriedenheit darüber ausdrücken, wie kontrovers und doch sachbezogen der Disput im allgemeinen geführt wird. Ich denke, das sind gute Voraussetzungen, um Erkenntnisfortschritte zu machen.

Dank an Dich für die übersichtliche Skizze Deines Ansatzes. Du schreibst: "... Wenn man … diese "subjektive" Vollzugs- oder Handlungs-Wirklichkeit auf eine ontologische Stufe stellt mit den jeweiligen Gegenständen der Aussagen - dann "naturalisiert" man das Erkennen. Aber dann wird es in der Folge unmöglich, das spezifisch menschliche In-der-Welt-Sein mit seinen praktischen Normen - ja überhaupt so etwas wie Rationalität - noch in der Wirklichkeit unterzubringen. Denn Rationalität, Normen, Zwecke... - das alles sind nun einmal keine Objekte naturwissenschaftlicher Erklärung."

Diese Gefahr sehe ich nicht. Man kann praktische Fragen nach handlungsanleitenden Regeln oder Normen auch dann stellen, wenn man Aussagen über die gegenständliche Welt und den Vollzug dieser Aussagen durch das erkennende Subjekt nicht auf verschiedene ontologische Stufen stellt.

Das "spezifisch menschliche In-der-Welt-sein" ist meines Erachtens das moralische, politische oder methodologische Fragen, aus dem sich dann die spezifisch menschlichen Kategorien wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Verbindlichkeit, Verantwortung, Schuld, oder Vergebung ergeben.

Zwar können wir diese Fragen nicht "in der Wirklichkeit unterbringen" als dem nur "Da-Seienden", das wir als das Gegebene wahrnehmen und erforschen können, nach dessen Existenz und Beschaffenheit wir fragen können. Wir können diese Fragen auch nicht im Bereich der technischen Machbarkeit "unterbringen", da deren Zwecke beliebig sind.

Aber wir haben ja nicht nur ein betrachtendes, "kontemplatives" oder technisches Verhältnis zur Welt, wir haben auch ein wollendes, "voluntatives" Verhältnis zur Welt. Auch wenn alle Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit und nach ihrer technischen Gestaltbarkeit gestellt wurden, bleiben die Fragen: "Was will ich?" und "Was wollen wir gemeinsam?"

Das heißt: Neben den Fragestellungen der Naturwissenschaften (genauer: der Erfahrungswissenschaften) "Was ist?" "Was war?" "Was wird sein?" "Wie ist es?" "Warum ist es?" "Warum ist es so, wie es ist?" ) bleiben berechtigte und wichtige Fragen normativer Art: "Wie soll ich mich entscheiden und handeln?" (Individualethik), "Wie sollen wir uns entscheiden und handeln?" (Politik), "Wie soll man argumentieren?" (Methodologie des Erkennens).

Diese Fragen lassen sich nur teilweise durch erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse beantworten.

Meiner Meinung nach ist es eine vorrangige Aufgabe der Philosophie, die Kriterien für eine rationale, intersubjektiv nachvollziehbare Beantwortung dieser Fragen herauszuarbeiten.

So verstehe ich unsere Diskussion als einen Beitrag zur Bestimmung methodischer Regeln der erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnis: "Wie lassen sich Fragen zur Beschaffenheit der Wirklichkeit möglichst allgemeingültig, d. h. durch wahre Aussagen, beantworten? Was sind hierfür geeignete Argumente und was sind hierfür ungeeignete Argumente?"

Selbstverständlich gibt es für die individualethischen, die politischen oder methodologischen Frage bereits geltende Regeln bzw. Normen, gewissermaßen die fortwirkenden Antworten früherer Generationen auf diese normativen Fragen. Diese faktisch geltenden Regeln und Normen sind psychische und soziale Realitäten und lassen sich als solche erfahrungswissenschaftlich bzw. hermeneutisch erforschen, so wie das in der Psychologie, Soziologie, Ethnologie oder in den Geschichts- und Sprachwissenschaften ja auch getan wird.

Aber die Antworten früherer Generationen müssen nicht die richtigen Antworten auf die Fragen sein, vor denen wir hier und heute stehen.

Mit dieser Begrenzung des Geltungsbereichs erfahrungswissenschaftlicher Erkenntnismethoden mache ich erstmal Schluss, um das Medium "Internetdiskussion" nicht mit einem seitenlangen Beitrag zu den verschiedensten Punkten zu überfordern.

Es grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 18:09 Uhr

Hallo Thomas/g!


Zitat:

Es gibt zum Beispiel einen Hund namens Rico, der zur Zeit wissenschaftlich untersucht wird. Er kann auf Befehl eine von mehreren Spielpuppen aus einem Zimmer holen. Sogar welche, die er noch nie gesehen hat. Befiehlt man ihm: Hol Rübezahl (den er nicht kennt), dann holt er die einzige Puppe aus dem Zimmer, die er nicht kennt. Die beiden Verhaltensforscherinnen meinen, sie hätten den Eindruck, der Hund hätte verstanden, dass Begriffe für Objekte stehen.


:-) Rico hab ich auch schon im TV gesehen. Gestern erst, ich zappte gerade herum, zeigte er auf 3SAT seine Künste... Tja, und bei dieser Gelegenheit sagte der Kommentator im Off: "Rico kann bis jetzt über 200 Begriffe unterscheiden..."

Das erinnerte mich sofort an eine Phase unserer Diskussion - es war in "Wahrheit II", als es um den Unterschied zwischen "Eigennamen" und "Prädikaten" ging. Gegen Thomas/j, der z. B. den Begriff "H2O" als (" korrekten" )Eigennamen verstand, der dem Wasser in einer Art "Taufakt" verliehen werde, machte ich auf den genannten Unterschied aufmerksam.

Denn Eigennamen werden Individuen durch den performativen Sprechakt der "Taufe" verliehen. Durch diesen Akt wird eine verbindliche Vorschrift festgelegt, an die alle Sprecher sich zu halten haben. Eigennamen sind durch diesen Akt mit ihrem Träger verbunden. Sie sind nicht übertragbar, weil sie die Individualität eines Gegenstands "bezeichnen".
Zeige ich auf eine Person und sage "Das ist Thomas", dann ist nicht Thomas' Person-Sein oder sein Mensch-Sein oder Säugetier-Sein...  gemeint, sondern alles, was ihn von allen anderen Dingen und Personen auf der Welt unterscheidet.

Prädikate sind dagegen grundsätzlich übertragbar, weil sie jeweils etwas Allgemeines am Gegenstand bezeichnen. Wenn etwa ein Kind in der Badewanne das Wort "Wasser" lernt (" Das ist Wasser" ), dann wird es am nächsten Tag, wenn es vor einer Regenpfütze steht, selbst sagen können: "Das ist (auch) Wasser." Wäre das Wort "Wasser" der Eigenname für das Badewasser gewesen, wäre diese so getaufte, einmalige Flüssigkeit für immer im Nichts verschwunden, als der Stöpsel gezogen wurde...
Zeige ich also auf eine Flüssigkeit und sage "Das ist Wasser", dann zeige ich eigentlich von der individuellen Gegebenheit dieser Flüssigkeit hier und jetzt weg! Ich zeige also im Grunde auch auf unzählige andere "Fälle" von Wasser, selbst solche, die mir noch unbekannt sind. Wenn man einen BEGRIFF lernt, dann erwirbt man damit zugleich die Fähigkeit, ihn selbständig auf neue Fälle anzuwenden.

Mit einem Begriff erwirbt man also eine "kognitive Kompetenz" - die Fähigkeit nämlich, alle weiteren Anwendungsälle EIGENSTÄNDIG zu "taufen". Mit dem Gebrauch eines Eigennamens dagegen befolgt man nur eine Anweisung. Zwar braucht es auch dafür eine Kompetenz, nämlich die, Anweisungen befolgen zu können (das kann nicht jedes Tier) und "getaufte" Individuen von anderen Individuen zu unterscheiden. Es ist aber doch klar, dass die Verwendung von Begriffen schwieriger ist - sie setzt nämlich neben der Fähigkeit zur Unterscheidung auch das sog. "Abstraktionsvermögen" voraus...

Nach diesen Erläuterungen ist wohl klar, dass der schlaue Rico nicht über 200 "Begriffe" verwenden kann, sondern auf Befehl 200 individuelle Gegenstände anhand ihrer EIGENNAMEN unterscheiden und apportieren kann...



Dieses Beispiel ist typisch für viele populär-naturwissenschaftliche Schlampereien, die man im TV zu hören bekommt. Das Bemerkenswerte an diesen Schlampereien ist aber die gemeinsame Tendenz zur "Naturalisierung" menschlicher Fähigkeiten. "Wir sind im Grunde auch nur Tiere..."
Und hier im Forum muss unsereiner sich dann mit den "philosophischen" Folgen dieser Schlampereien herumschlagen...  [hairstand]


Gruß
H.

- V
- Eberhard am 10. Jan. 2005, 19:41 Uhr

Hallo Thomas G,

Du schreibst: "Ich habe das Problem, dass Deine Statements sich immer nur auf einen kleinen speziellen Ausschnitt menschlichen Sprechens beziehen."

Dies ist richtig. Es geht mir in der Tat um die ganz spezielle Situation, wo es Zweifel oder Uneinigkeit in Bezug auf die Beantwortung einer Frage nach der Beschaffenheit unserer Welt gibt.

Wenn ich mich mit der Bedeutung der Formulierung "wahre Aussage über die Wirklichkeit" befasse, dann nicht als Sprachforscher sondern als Wissenschaftstheoretiker. "Wie muss ich methodisch vorgehen, um eine Frage Bezug auf die Beschaffenheit der Welt richtig zu beantworten?", dies Problem steht für mich im Hintergrund, wenn ich nach der Bedeutung des Wortes "wahr" frage.

Und zu Hermeneutikus und Verena gewandt füge ich hinzu: Indem ich bei dieser Frage ansetze, setze ich zugegebenermaßen bereits vieles voraus: u. a. dass es Menschen gibt, die sich durch gemeinsame Bezeichnungen für die Aspekte und Dinge der gemeinsamen Wirklichkeit sprachlich verständigen können. Sollten sich diese Voraussetzungen als zweifelhaft erweisen, dann bin ich gerne bereit, auch diese Voraussetzungen zu diskutieren – sofern Argumentieren dann überhaupt noch Sinn macht.

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- Verena am 10. Jan. 2005, 22:36 Uhr

Hallo Eberhard,
würdest du mir nicht darin zustimmen, dass eine Erörterung der Möglichkeit von sprachlicher Bezugnahme auf die Dinge der Frage nach der Richtigkeit/Wahrheit dieser sprachlichen Bezugnahme vorgelagert ist bzw. dass man klären sollte, wie diese Bezugnahme von Sprachlichem auf Nichtsprachliches denn eigentlich anzusetzen ist, bevor man das Problem der Stimmigkeit/Wahrheit dieser Bezugnahme angeht?
Natürlich kann man aussagenlogische Bedingungen über das stimmige Verhältnis von Aussagen untereinander auch ohne den Bezug auf den Gegenstand der Aussage erörtern, aber sobald es um die Frage (nicht nach der logischen, sondern) der empirischen Wahrheit von Aussagen geht, kommt man doch nicht an einer grundsätzlichen Erörterung des Verhältnisses von Sprache und (nichtsprachlicher) Wirklichkeit vorbei.
Gruß
Verena

- V
- Verena am 10. Jan. 2005, 22:43 Uhr

Damit eine Diskussion sinnvoll geführt werden kann, muss man sich zumindest klar bzw einig sein, worüber man eigentlich diskutiert.
Gershwins "Verwirrungs" -Vorwurf scheint mir nun primär begründet in einer Unklarheit seinerseits bezüglich der Gegenstände, von denen ich meinte, dass sie ebenfalls "wahr" oder "falsch" sein könnten. Hermeneuticus hat zwar in seinem letzten Beitrag schon einiges differenziert dargestellt, aber ich weiß nicht, ob damit der Zusammenhang mit meiner These von einer vorsprachlichen Wahrheitsproblematik klar ist.
Um nocheinmal klar zu machen, welche Gegenstände ich überhaupt meine, möchte ich zunächst auf eine elementare Weise der sprachlichen Bezugnahme auf Dinge eingehen, in welcher die Dinge noch nicht versprachlicht, sondern in aller vorsprachlichen Unschuld ihres Seins zunächst nur aufgezeigt werden.  
Ich meine damit das ostentative Hinweisen auf etwas, zb in der sprachlichen Form "dieses da" oder "das da" oder "jenes dort" usw. - also ein bloßes "Deuten" auf etwas, das genauso nichtsprachlich erfolgen könnte (zB per Blickrichtung oder Fingerzeigen).
Es wird auf etwas Bezug genommen, ohne dass zunächst von diesem Etwas das geringste ausgesagt wird. Andrerseits müssen diese Gegenstände natürlich irgendwie gegeben sein, damit eine sprachliche Bezugnahme darauf überhaupt möglich ist.
Die Sprachphilosophie hat nun zwar insofern recht, dass viele Dinge, Sachverhalte erst im Zuge einer sprachlichen Bezugnahme für uns zum Gegenstand werden, aber durch die sprachliche Bezugnahme werden die Dinge doch nicht "geschaffen", sondern die sprachliche Bezugnahme bewirkt nur, dass wir auf die Dinge in einer bestimmten Weise aufmerksam, ihrer gewahr werden. Oder anders: Dass die Dinge häufig erst in der sprachlichen Bezugnahme zum Thema werden, meint doch nicht, dass die Dinge, über welche gesprochen wird, ihrerseits sprachlicher Natur sind! Die Sprache gibt die Sichtweise auf die Dinge vor, aber nicht die Dinge.
Und sicher begegnen uns die Dinge "zunächst und zumeist" auch nicht in einer sprachlichen Bezugnahme, sondern werden in einem praktischen Handeln von uns als etwas entdeckt - wie Heidegger das in seiner Zeug-Analyse beschrieben hat.
Aber auch dieses praktische Entdecken von etwas als etwas setzt voraus, dass da schon etwas ist, das uns im praktischen Vollzug dann (als etwas) begegnet. Wenn ich nicht irre, verwendet Heidegger für diesen Sachverhalt einer vorgängigen Gegebenheit (Enthülltheit?) der Dinge den Begriff "Unverborgenheit" (aber diesbezüglich weiß vielleicht Hermeneuticus genaueres).

Dieses für jede praktische oder sprachliche Bezugnahme vorgängige Sein der Dinge ist für mich nun kein subjektunabhängiges einfaches Vorhandensein der Dinge (für ein bloß rezeptives wahrnehmendes Erfassen), sondern gründet in einer konstitutiven Leistung des Subjekts - einer von unsren vielfältigen sinnlichen Eindrücken evozierten (und an diesen orientierten) Konstruktion des Gegenstands, die gelingen (dh sich bewahrheiten) oder misslingen (dh verfehlt werden) kann und insofern zweifellos ein wichtiger weil fundamentaler Aspekt der Wahrheitsproblematik ist und zwar so fundamental, dass mE jede Wahrheitsdiskussion unzulänglich bleiben muss, welche diesem Aspekt nicht in ausreichender Weise Rechnung trägt.
Um nicht den Rahmen eines Diskussionsbeitrags zu sprengen, möchte ich an dieser Stelle jedoch vorläufig abbrechen.

Verena

- V
- Hermeneuticus am 10. Jan. 2005, 23:11 Uhr

Hallo Eberhard!



on 01/10/05 um 12:16:30, Eberhard wrote:

Neben den Fragestellungen der Naturwissenschaften (genauer: der Erfahrungswissenschaften) ... bleiben berechtigte und wichtige Fragen normativer Art (...).

"Es gibt" halt solche Fragen und "es gibt" solche Fragen. Als stolperten wir von Fall zu Fall über verschiedene Arten von Fragen, die  schon säuberlich nach ihren Verschiedenheiten getrennt herumliegen. Die einen tragen das Etikett "Wahrheitsfragen", die anderen das Etikett "Moralfragen".

Eine zusammenhängende rationale Theorie kann sich mit einem solchen "neben" nicht zufriedengeben. Da wir es selbst sind, die JEDE Art von Fragen überhaupt stellen, wird sich wohl auch ihr Zusammenhang, ihre gemeinsame Herkunft irgendwie bestimmen lassen müssen. Wir können nicht so tun, als seien Fragen irgendwie "gegeben".

Zum einen greifst Du in dieser Unterscheidung von Fragen auf eine bestimmte, aber nicht ausgewiesene philosophische Tradition zurück. Will sagen: Diese Unterscheidung stammt ebenfalls "von uns". Damit ist sie aber auch irgendwie begründet - und kritisierbar.  Sie ist nicht "einfach so" in der Welt.

Zum zweiten: Fragen sind als solche nichts Erstes, Unabgeleitetes. Sie knüpfen vielmehr immer schon an bestimmte Sachlagen an - auch (und vor allem) an Sachlagen, die wir selbst geschaffen haben. Und Fragen verwenden ihrerseits Begriffe, die die erfragten Sachlagen im voraus fokussieren. - Beispiele: "Welche natürlichen Eigenschaftenschaften hat der Mensch?" "Welche Hormone steuern unsere Verliebtheitsgefühle?" "Wie entsteht die Illsuion der Handlungsfreiheit im Gehirn?" "Welches sind die Moral-Gene?"

Meine Beispiele sind natürlich tendenziös... Mit Absicht. Denn ich will - zum dritten - andeuten, dass jene säuberliche "Neben" -Ordnung von Fragen leicht durcheinander geraten kann. Und das ist immer dann der Fall, wenn wir Fragen vom Typ 1 (" Was-ist-wie-warum" ?) auf jene Bereiche anwenden, nach denen eigentlich mit Fragen vom Typ 2 gefragt werden sollte...
Und hier werden eben RATIONALE ARGUMENTE gebraucht, mit denen sich die Grenzen zwischen den Fragen-Typen begründen lassen. Dabei ist aber auch absehbar, dass die Argumente, die diese Typen-Unterscheidung begründen, ihrerseits nicht aus den Bereichen 1 und 2 stammen können. Diese Art von Argumenten - es wären "transzendentale" oder "konstituitonstheoretische" - müssten beide Bereiche umfassen können.

Der erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung  der Frage-Typen mit Fleiß - vielleicht auch mit z.T. fatalen Folgen. Denken wir nur an die mögliche genetische Manipulation unserer Nachkommen, die vielleicht passend so "gezüchtet" werden könnten, wie wir sie haben wollen: pflegeleicht, erfolgreich, schön... Die "Herrenmenschen" der Nazis würden tumb aus der Wäsche gucken, wenn sie die vielleicht bald möglichen Zuchterfolge der modernen Genetik sehen könnten...

Machtverhältnisse werden auch MITHILFE  DER  WISSENSCHAFTEN gestaltet. Wissenschaftliche Theorien werden als nicht mehr hinterfragbare, "objektive" Argumente eingesetzt. Dafür lassen sich leicht Beispiele finden. (Mir fällt gerade die "neoliberalistische" Strömung unter den Ökonomen ein, die sich in der Poltitik der letzten 15 Jahre immer mehr durchgesetzt hat, als gäbe es dazu keine wissenschaftlich begründbare Alternative). Erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse treten eben leicht mit dem Schein der Unumstößlichkeit auf (" Naturgesetze" ). Und es besteht die verbreitete Neigung, systematisch zu "vergessen", dass auch diese Erkenntnisse nur von Menschen gewonnen werden. Das ist besonders dort gefährlich, wo unsere Lebensformen auf "Naturgesetze" zurückgeführt werden.

Es ist darum sehr wichtig zu begreifen, WIE erfahrungswissenschaftliche Fragestellungen und Antworten zustandekommen (wie sie "konstituiert" sind).  

Gruß
H.

- V
- Dyade am 10. Jan. 2005, 23:50 Uhr

Happy new year @ all,

mit dem einem Auge lese ich hier noch mit (jenes mit dem man besser sieht). Mit dem anderen warte ich auf Herms. Anstoss in Sachen Heideggers "pragmatic turn". :-)

in der Diskussion mit gershwin sind all jene Argumente die Hermeneuticus vorbringt von mir in den letzten JAHREN m e h r m a l s schon vorgebracht worden. Ohne Erfolg. Gershwin ist und bleibt in meinen Augen ein Klötzchen-Positivist, zum Glück ein sympathischer. :-)

Was die "Unverdecktheit" Heideggers angeht ist dies nicht für ihn schon die Wahrheit? Er übersetzt den griechischen Begriff 'aletheia' eben mit diesem vorgängigen entdeckt-sein von Welt. Dasein (= Mensch) ist immer schon auf Gegenstände gerichtet (siehe auch Husserls Intensionalität oder Jaspers "wir sind immer meinend auf Gegenstände gerichtet, diese objektivierend" usw.). "Wahrsein ist entdeckend-sein: Seiendes aus der Verborgenheit herausnehmend in seiner Unverborgenheit (Entdecktheit) sehen lassen." (Heidegger, Sein und zeit, § 44, S. 219)

Grüße
Dy

- V
- jacopo_belbo am 11. Jan. 2005, 00:32 Uhr

hallo an alle,

ich frage mich, in welche richtung diese diskussion weitergeführt wird, bzw. weitergeführt werden soll. wenn es eine richtung gibt, so ist sie derzeit für mich nicht offensichtlich, bzw. nicht offensichtlich erkennbar. vielleicht ist alles ein wenig einfacher, als ich mir es derzeit denke. das wird sich wohl noch herausstellen müssen.

was mir allerdings auffällt, sind die wendungen dieser diskussion. vorallem diese
Zitat:

dass man klären sollte, wie diese Bezugnahme von Sprachlichem auf Nichtsprachliches denn eigentlich anzusetzen ist, bevor man das Problem der Stimmigkeit/Wahrheit dieser Bezugnahme angeht



Zitat:

sondern gründet in einer konstitutiven Leistung des Subjekts - einer von unsren vielfältigen sinnlichen Eindrücken evozierten (und an diesen orientierten) Konstruktion des Gegenstands, die gelingen (dh sich bewahrheiten) oder misslingen (dh verfehlt werden) kann und insofern zweifellos ein wichtiger weil fundamentaler Aspekt der Wahrheitsproblematik ist und zwar so fundamental, dass mE jede Wahrheitsdiskussion unzulänglich bleiben muss, welche diesem Aspekt nicht in ausreichender Weise Rechnung trägt.


und mit recht stellt sich die frage, die eberhard geäußert hat, inwieweit "gegenstandskonstitution" - was auch immer hinter diesem ominösen ausdruck versteckt werden soll, relevant ist, für eine diskussion über wahrheit resp. wahre aussagen.
dass eine diskussion, die diesen punkt ausläßt unzulänglich sein soll, müßte erst noch begründet werden. dazu fehlt mir derzeit jeglicher anhaltspunkt. ebenso wie der terminus "gegenstandskonstitution" bzw. "konstruktion des gegenstandes" hier als scheinbar allen bekannt hingestellt wird. eine, wie ich finde, an obskurantimus grenzende art der diskusionsführung. wer behauptet, gegenstände würden in irgendeiner art und weise "konstruiert", sollte seine behauptung näher erläutern, bzw. begründen - das gebietet die fairness gegenüber anderen diskussionsteilnehmern, die dazu stellung beziehen möchten.

symptomatisch für die derzeitige art der diskussion sind aussagen der art:

Zitat:

Ich meine damit das ostentative Hinweisen auf etwas, zb in der sprachlichen Form "dieses da" oder "das da" oder "jenes dort" usw. - also ein bloßes "Deuten" auf etwas, das genauso nichtsprachlich erfolgen könnte (zB per Blickrichtung oder Fingerzeigen).


gemeint ist wohl "nonverbal", bzw. in manchen fällen wohl "paraverbal", was aber etwas anderes ist, als "nichtsprachlich".


Zitat:

sondern werden in einem praktischen Handeln


was wäre das pendant? theoretisches handeln?


Zitat:

Der erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung  der Frage-Typen mit Fleiß - vielleicht auch mit z.T. fatalen Folgen. Denken wir nur an die mögliche genetische Manipulation unserer Nachkommen, die vielleicht passend so "gezüchtet" werden könnten, wie wir sie haben wollen: pflegeleicht, erfolgreich, schön... Die "Herrenmenschen" der Nazis würden tumb aus der Wäsche gucken, wenn sie die vielleicht bald möglichen Zuchterfolge der modernen Genetik sehen könnten...  


bitte was?


Zitat:

Und es besteht die verbreitete Neigung, systematisch zu "vergessen", dass auch diese Erkenntnisse nur von Menschen gewonnen werden.


und selbst diese erkenntnis wurde von einem menschen getroffen, oder etwa nicht? aber was besagt es, wenn man darauf verweist, ein mensch habe diese erkenntnis getroffen - das besagt doch nicht mehr, als wenn man sagt, der hund hat gebellt.

diese art der diskussion finde ich mehr als unerquicklich. ich empfände es als zweckdienlich sich einer klaren ausdrucksweise zu bedienen, und sich bei den antworten an dem zur diskussion gestellten thema zu orientieren, anstatt am thema vorbeizudiskutieren. das heißt nicht, dass ich jemandes antwoten abqualifiziere - bestenfalls disqualifiziere, weil sie einen themenbereich anschneiden, der mir zu weit von der diskussion wegführt.

- mfg thomas

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 01:46 Uhr

Hallo Thomas/j!


Zitat:

ich empfände es als zweckdienlich sich einer klaren ausdrucksweise zu bedienen, und sich bei den antworten an dem zur diskussion gestellten thema zu orientieren, anstatt am thema vorbeizudiskutieren.


Was für eine Diskussion "zweckdienlich" ist, bestimmt sich nach dem Zweck der Diskussion. Zweck DIESER Diskussion ist die Untersuchung des Wahrheitsbegriffs. Es mag Absprachen im voraus darüber geben, was zu dieser Untersuchung gehören soll und was nicht. Aber eine solche Absprache ist keine unumstößliche, autoritäre Vorschrift. Absprachen kann man ändern, wenn man das zweckdienlich findet.
Jedenfalls kann nicht eine Absprache darüber entscheiden, "was Sache ist".

Was eine "klare Ausdrucksweise" ist, bemisst sich nach dem Verständnis der Teilnehmer an der Diskussion. Da eine Diskussion sinnlos wird, wenn die Teilnehmer nicht auch lernbereit sind, kann nicht ein bestimmter Kenntnisstand eines bestimmten Teilnehmers der verbindliche Maßstab für "Klarheit" sein.
Wenn Du das Wort "Gegenstandskonstitution" nicht verstehst - etwa, weil Du Dich noch nie mit Kant und den Folgen beschäftigt hast -, kannst Du schlecht behaupten, dies sei ein unklarer und außerdem nicht zur Sache gehöriger Begriff. Du darfst ruhig nach einer Sacherklärung fragen. Es steht Dir aber auch der Weg offen, selbst einmal bei Kant und in der Kant-Literatur nachzulesen; dies ist immerhin ein PHILOSOPHISCHES Forum, kein Kaffeekränzchen.
Aber es geht nicht an, Deinen zufälligen Wissenshorizont für allgemein verbindlich zu erklären.

Gruß
H.

- V
- Dyade am 11. Jan. 2005, 12:21 Uhr

Hallo jacopo, "...aber was besagt es, wenn man darauf verweist, ein mensch habe diese erkenntnis getroffen - das besagt doch nicht mehr, als wenn man sagt, der hund hat gebellt." (j.b)

ich denke genau hier liegt unser Problem, bzw. das Problem auf das  Verena hinweisen wollte und das du nicht verstehst. Man sollte doch die "Konstellation" 1 von 2 klar unterscheiden. In 1, also der Aussage "ich, ein Mensch, hat diese Erkenntnis" steckt doch ein höherer Grad der Reflexion, den zu beachten wichtig ist, genau so wichtig wie zu bedenken ist, das wir stets mit Sprache über "Sprache" sprechen. Das ist überhaupt nicht ab vom Thema denn Eberhard wird nicht müde zu betonen, dass es ihm bei der Wahrheitsfrage um Aussagen über die BESCHAFFENHEIT der Wirklichkeit geht. Für Heidegger ist "Wahrheit" ein Existenzial, also soetwas ähnliches wie eine Kategorie bei Kant und damit ist Wahrheit eine Bedingung für mögliche Erkenntnis überhaupt. Wenn das so ist, (das kann man ja bestreiten) dann ist Wahrheit schon da bevor ich sage "der Hund hat gebellt".

Grüße
Dy   [cool]

- V
- jacopo_belbo am 11. Jan. 2005, 14:44 Uhr

hallo an alle betroffenen,

ich befürchte, ich bin nicht verstanden worden in dem, was ich kritisiert habe - zumindest lassen die reaktionen darauf schließen.

zu hermeneuticus' entgegnung:
ich denke, dass es im sinne aller ist, wenn sich jemand kurz, knapp und präzise äußert. kurz und knapp deshalb, weil wir hier in einem forum sind. präzision ist ein ideal, dass es dem gegenüber ermöglicht, zu verstehen, was man selbst schreibt, bzw. begründete einwände dagegen zu formulieren.
ich denke, dass das forderungen sind, die für jedes internetforum gelten können und somit stets zweckdienlich sind.
ich denke, dass es ebenso offensichtlich ist, dass man bei seinen antworten nicht allzu ausschweifend wird. ich beziehe mich auf die in meinem letzten beitrag angegebene stelle
Zitat:

erkenntnistheoretische "Naturalismus" betreibt die Verwischung


Zitat:

genetische Manipulation


Zitat:

" Herrenmenschen" der Nazis


und das wohlgemerkt unter der überschrift "wahrheit".
ich sehe keinen konnex zum eigentlichen thema. vielleicht erklärst du dich einmal selbst - nicht mehr und nicht weniger habe ich im übrigen verlangt.

und das betrifft auch die termini technici die verwandt werden. ich halte es trotz des von dir vorgeschlagenen weges, sekundärliteratur zu rate zu ziehen, für sinnvoll, vokabeln, die man benutzt auch zu erklären.
ein simples "schlags nach" halte ich in einer diskussion für unangebracht. und ich denke, es bricht auch einem philosophen wie dir kein zacken aus der krone, wenn er sich kurz erklärt, oder?

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 11. Jan. 2005, 18:53 Uhr

Hallo Verena,

Du schreibst, dass "eine Erörterung der Möglichkeit von sprachlicher Bezugnahme auf die Dinge der Frage nach der Richtigkeit/Wahrheit dieser sprachlichen Bezugnahme vorgelagert ist."

Du forderst eine "grundsätzliche Erörterung des Verhältnisses von Sprache und (nichtsprachlicher) Wirklichkeit", eine Erörterung der sprachlichen Bezugnahme auf die Dinge.

Gegen eine solche Erörterung habe ich nichts und ich halte es für eine Frage der Praktikabilität, ob wir die Erörterung des Verhältnisses zwischen Sprache und Wirklichkeit als eine Art Exkurs im Rahmen dieser Runde führen oder in einen eigenen thread auslagern.

Von der sachlichen Notwendigkeit der Einbeziehung dieser Diskussion bin ich jedoch immer noch nicht überzeugt. Dass bestimmte Fragen der eigenen Fragestellung vorgelagert sind und dass man sich auf die dort gegebenen Antworten erstmal verlässt, ist in der Wissenschaft unvermeidbar. Ein Mediziner wird auf die Ergebnisse der Biologen und Physiologen zurückgreifen, ohne deren Theorien über die Zelle oder elektro-chemischen Vorgänge in den Nervenbahnen selber zu erörtern. Und ein Sprachforscher, der sich zur Erforschung einer Sprache einer elektronischen Tonaufzeichnung bedient, muss auch nicht erst die technischen Funktionszusammenhänge eines solchen Gerätes klären.

Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren, vor allem die dort angelegten Organe und Programme zur Erfassung, chemo-elektrischen Umsetzung, Interpretation und symbolischen Repräsentation nervlicher Reize.

Wenn man das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit im Zusammenhang mit dem Thema "Was meinen wir, wenn wir von einer wahren Aussage sprechen, und woran erweist es sich, ob eine Aussage wahr ist", dann scheint mir das Naheliegendste zu sein, sich mit der Wahrnehmung und der Wiedergabe von Wahrnehmungen durch Sätze zu befassen, und zu fragen: Welche Probleme ergeben sich hier für die intersubjektive Wahrheitsfindung?

Ich denke zum einen an das Problem der Sinnestäuschung und der undeutlichen Wahrnehmung und zum andern an das Problem des Missverstehens oder Nicht-Verstehens. Für die Probleme des gegenseitigen Verstehens scheint es mir sinnvoll, auf die Möglichkeiten des Erlernens einer Sprache durch ein Individuum einzugehen und auf die Möglichkeiten der Bildung von Begriffen und deren Weitergabe an andere. Interessant fände ich z. B. eine Diskussion der Möglichkeiten zur Definition von Begriffen. Zum Beispiel haben wir die Möglichkeiten der "operationalen Definition" bisher nicht erörtert.

Weiterhin stellt sich noch die Frage nach der Einbeziehung "exklusiver" Wahrnehmungen und Erfahrungen, wie sie z. B. in religiösen Zusammenhängen auftauchen.

Wovon ich in unserem Zusammenhang allerdings gar nichts halte, ist eine Debatte über eine Auslegung Kants oder Heideggers.

Es ist der große Vorzug dieser Diskussionsrunde, dass sie auf eine inhaltliche Frage bezogen ist und dass deshalb philosophische Autoritäten nur insofern herangezogen werden, als sie zur Beantwortung dieser Frage relevante Argumente beizutragen haben.

Und es ist ein weiterer Vorzug dieser Diskussionsrunde, dass alle Argumente hier und jetzt allgemeinverständlich ausgeführt werden und dass bloße Verweise auf diesen oder jenen, der das alles schon viel besser beantwortet hat, nicht zählen.

Zum Schluss zur Dringlichkeit unseres Themas etwas, das ich heute in der Zeitung las: "Dass der Tsunami eine sintflutartige Strafe für das sündige Leben von Einheimischen und westlichen Touristen insbesondere in Thailand sei, ist noch die harmloseste Erklärung; sie ist auch bei christlichen Fundamentalisten, z. B. in Amerika, verbreitet. Das palästinensische Staatsfernsehen sendet Predigten, in denen Amerika und die Juden die Schuld tragen, der saudi-arabische Sender Al Majd sieht die Ursache in der Häresie, Homosexualität und Korruption, die das Christentum über die Welt gebracht habe. Für das nationalistische ägyptische Wochenblatt "Al Usbu" hat ein geheimer indischer Atomtest die Erdplatten in Bewegung gebracht, vielleicht sogar in Absprache mit den Israelis."

Mit dieser Kostprobe von "Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit" grüßt Dich und alle andern Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 20:09 Uhr

Hallo Verena!

Mich würde interessieren, wie Du Dir die "konstitutive Leistung des Subjekts" bei der (vor-sprachlichen) "Konstruktion des Gegenstands" näherhin vorstellst und wo Du sie ansiedelst: in den Sinneswahrnehmungen der Subjekte; im alltäglichen, intersubjektiv üblichen Umgang mit den Dingen; eher in Ausnahmesituationen, in denen der gewöhnliche Umgang mit den Dingen gestört ist – oder wo sonst?

Außerdem: Wenn Du von "Konstruktion" sprichst, weckt das die Vorstellung einer technischen, und das heißt ja: einer zweckgerichteten und bewussten Verfahrensweise. Aber mir scheint, dass Du so etwas damit nicht meinst.

Nicht ganz klar ist mir schließlich, ob Du einen Unterschied zwischen "Dingen" und "Gegenständen" machst.



Bei Kant, auf den Du Dich ja auch beziehst, gibt es da einen wichtigen Unterschied. Dass wir "Dinge" durch unsere Anschauung hervorbringen oder konstituieren, ist als sicher auszuschließen (dies könnte allein die schöpferische "Anschauung" Gottes, die zugleich erschafft, was sie "schaut" ). Wohl aber hängt es nach Kant von den Strukturen unserer Rezeptivität und den Strukturen unserer Begrifflichkeit ab, wie etwas Seiendes (" Ding" ) uns zum GEGENSTAND wird. Darum lautet sein "oberster Grundsatz aller synthetischen Urteile" : "Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung (...) ." (KdrV A 158/B 197)

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass unsere Sinne stets eine (zufällige) Mannigfaltigkeit von rezeptiven Eindrücken vermitteln; und erst dadurch, dass wir dieses Mannigfaltige ordnen und dabei zugleich auf Etwas beziehen, das von unseren Sinneseindrücken verschieden ist, "konstituieren" wir "Gegenstände überhaupt".

Diese "synthetische" Leistung liegt nach Kant ALLEN einzelnen Urteilen über empirische Gegenstände zugrunde. Und weil dies so ist, kann man diese synthetischen Leistungen "konstitutiv" für jede Art von Erfahrung/Erfahrungsurteil nennen.

Die "Synthesis" ist dabei einesteils "vorsprachlich", insofern sie von den Formen unserer Sinnlichkeit geleistet wird (Zeit und Raum). d. h. wie mannigfaltig und zufällig unsere Sinneseindrücke auch immer sein mögen, es sind IMMER räumlich und zeitlich "geformte" Eindrücke. – Andernteils geht die Synthesis allerdings auf die "Handlungen des Verstandes" zurück und ist insofern IMMER begrifflich (diskursiv).

Was die WAHRHEIT der empirischen Urteile angeht (" Einstimmung mit dem Objekt" ), so ist sie allein deshalb überhaupt möglich, WEIL die Gegenstände der Erfahrung von der transzendentalen Synthesis "konstituiert" werden. Aber diese "Gegenstände der Erfahrung" sind eben etwas anderes als "Dinge".


Ich habe dies nur kurz referiert, damit wir eine gemeinsame Ausgangsbasis haben, von der Du das von Dir spezifisch Gemeinte abheben kannst.

Gruß
H.

- V
- Dyade am 11. Jan. 2005, 21:27 Uhr

Hallo, "Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren, vor allem die dort angelegten Organe und Programme zur Erfassung, chemo-elektrischen Umsetzung, Interpretation und symbolischen Repräsentation nervlicher Reize." (Eberhard)

zusammen mit dem was du über die "Verwendung" irgendwelcher philosophischer Autoritäten angemerkt hast möchte ich dich in Bezug auf dies angeführte Zitat fragen, ob dies hier ein natur- resp. humanwissenschaftliches Kolleg ist oder ein philosophisches Forum? Kant soll nur im Notfall "gehört" werden aber solche Fragestellungen nomothetischer Wissenschaftsdisziplinen, würde ich die weiter differenzieren ließe sich zu jeder auch ein Name finden, sollen akzeptiert werden OHNE nach den Bedingungen und Setzungen, die mit der Fragestellung selber darin schon ÜBERGANGEN sind, zu fragen?

Eberhard, vergisst du dabei nicht, das über der Überschrift dieses Treads, in hierarchischem Sinn, die Überschrift PhilTalk steht mit dem Untertitel Philosophieforum? Sind wir nicht damit zunächst einer philosophischen Fragestellung auch in Bezug auf die Frage nach Wahrheit im Verhältnis zu Aussagen über die Wirklichkeit verpflichtet. Unter philosophischer Fragestellung verstehe ich auch nach den Bedingungen zu fragen die zb. Neurophysiolgie oder Kognitionsforschung setzen, (notwendig) indem sie Subjektivität, als das subjektive des Subjektes ausschließen. Metaphorisch unscharf und verkürzend muss man sich fragen, wenn das so ist, ist damit der einzige "Ort" wo Wahrheit passieren kann nicht verfehlt? Der von mir zitierte Heidegger ließ sich vernehmen mit dem Satz: "Die Gesetze Newtons waren vor ihm nicht wahr, auch nicht falsch. Sie wurden durch Newton wahr." Damiit weist er darauf hin, das Wahrheit und der Mensch der sie denkt nicht als getrennte Sachen behandelt werden können.

Ich zitiere das deshalb so penetrant, nicht weil ich meine dies müsse man alles unhinterfragt als das letztgültige über Wahrheit hinnehmen, sondern weil ich von diesem Wittgenstein-Jargon weg möchte der als Jargon hier (nicht bei L.W.), uns stets die tollsten Sprachspiel-Beispiele generieren lässt mit, von mir aus tatsächlich relevanten Sprachkonstellationen, ohne das wir einen Schritt weiter kommen. Sprache ist uns aber nicht aus dem Mund gewachsen und ob wir nun mit dem Finger auf Dinge zeigen oder sie durch Zeichen repräsentieren lassen oder mit Worten, der sprachliche Bezug muss erst ermöglicht sein durch etwas.

Grüße
Dy

ps. an vielen Stellen verkürze ich erheblich bis zu einem Punkt wo ich selber das Gefühl (und manchmal Wissen) habe -jetzt wirds falsch. Das alles immer konsistent auszuführen wäre hier Wahnsinn. Darüber hinaus hätte ich nicht die Zeit dazu. Bitte also um Nachsicht. Lese auch gerne die Kritik an meiner Unschärfe.

- V
- Hermeneuticus am 11. Jan. 2005, 22:03 Uhr

Hallo Eberhard!

Nicht nur, weil dies zufällig ein philosophisches Forum (und kein naturwissenschaftliches Forum) ist, kann das Problem der Gegenstandskonstitution nicht elegant an die Gehirnforschung delegiert werden:


Zitat:

Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren...



Denn schließlich wiederholt sich das Problem - wie kommen wir jeweils zu den Gegenständen, über die dann wahre/unwahre Aussagen möglich sind? - in der Gehirnforschung. Wie definieren Gehirnforscher die Sachverhalte, die sie dann empirisch untersuchen? Mit welchen Modellen (Vorbildern) arbeiten sie dabei? Wie wirken sich experimentelle Methoden und Techniken auf die Ergebnisse aus? Usw.

Also, das Problem ist nicht einfach an eine Erfahrungswissenschaft zu überweisen, weil auch deren Aussagen allgemeinen Wahrheitsbedingungen unterliegen.

Gruß
H.

- V
- gershwin am 12. Jan. 2005, 08:49 Uhr

Hi Leute "Sympathischer Klotz" würde ich mir gerne gefallen lassen, aber zu den Positivisten kann man mich, denke ich (bei zugegeben bescheidenem Wissenshintergrund bezüglich der Reichweite dieses "Schimpfwortes"  :-)), nicht rechnen.

Hermeneuticus, (u. a.!) meine Einwendungen auf  Deine Handlungs- und Zweckdefinition hast Du komplett ignoriert, um so dankbarer bin ich für Deine konkrete Bezugnahme auf Rico (wir haben wohl die gleiche Sendung gesehen). Diese finde ich vernüftig, der Klotz wäre also bereit sich in dieser Frage zu bewegen, doch zuvor müßte noch einiges geklärt werden:
Kann er wirklich nur Eigennamen unterscheiden? Falls man ihm z. B. befiehlt: "Trink Wasser!", wird er da vielleicht nicht doch aus einem Becher, einer Badewanne oder Pfütze trinken?
Kann er vielleicht nicht sogar generell zwischen holen und fortbringen unterscheiden, unabhängig von dem, was er da holen oder fortbringen soll? Das müßte man doch zumindest prüfen.
Weiterhin: Ist es nicht bereits eine Abstraktionsleistung, wenn er auf den Befehl: Hol das Krokodil? ein kleines oder großes, holziges oder stoffiges und vielleicht sogar grünes oder blaues Krokodil herholen kann? Ich vermute übrigens, dass die (themenbezogene) philosophische Bildung der beteiligten Wissenschaftler zu solchen Aussagen berechtigt, die Du hier als schlampig abtust.

Selbstverständlich ( :-)) kann man alle menschliche Fähigkeit naturalisieren. Ich hatte bereits angedeutet, dass man sich dagegen (wieso eingentlich diese Angst davor?) nur durch willkürliche Zusatzvoraussetzungen verwahren kann (etwa Zusatzbefrachtungen der Zweckdefinition). Darauf bist Du leider nicht eingegangen. Unsere geistigen Fähigkeiten einschließlich der Sprache sind so offensichtlich ein Produkt der Evolution, dass die Beweislast bei denen liegt, die uns aus der Natur mit Hilfe ebenso willkürlicher wie unnötiger Abgrenzbedingungen herauskatapultieren wollen.

Verena schreibt:

Zitat:

Gershwins "Verwirrungs" -Vorwurf scheint mir nun primär begründet in einer Unklarheit seinerseits bezüglich der Gegenstände, von denen ich meinte, dass sie ebenfalls "wahr" oder "falsch" sein könnten.



Ich hatte ja einige Entitäten genannt, bin aber nach Deiner Kritik und Deinem darauffolgenden Beitrag nicht schlauer bezüglich der Frage geworden, auf welche konkreten Begriffe Deine Überlegungen denn angewendet werden sollen. Könntest Du nicht mal bitte ein konkretes Beispiel aufzeigen sowie die Fragen, die sich daraus konkret ergeben. (Meines war ja: Ist das wirklich ein Tisch an sich?)

Freundliche Grüße an alle
Thomas

- V
- Eberhard am 12. Jan. 2005, 12:10 Uhr

Hallo allerseits,

es war wohl unausbleiblich, dass die verschiedenen Denkweisen, die sich hinter der Doppelbezeichnung "Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie" verbergen, irgendwann einmal frontal aufeinender prallen, so wie es offenbar jetzt geschieht.

Dyades Appell an die Pflicht zur philosophischen Fragestellung nehme ich zur Kenntnis, möchte jedoch darauf hinweisen, dass es zahlreiche philosophisch anspruchsvolle Arbeiten zu den Methoden wissenschaftlicher Forschung gibt, in denen auf Kants "Kritik der reinen Vernunft" vielleicht am Rande und auf Heideggers Werk "Sein und Zeit" gar kein Bezug genommen wird. Insofern ist diese Runde kein Etikettenschwindel und ist zu Recht unter die Rubrik "Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie" eingeordnet.

Dass die Runde unter einem "Wittgenstein-Jargon" leidet, kann ich nicht bestätigen. Dass uns Positionen wie "Die Gesetze Newtons … wurden durch Newton wahr" voranbringen, bezweifle ich.

Eine solche Position berücksichtigt offenbar gerade das nicht, was die klassische Mechanik von früheren Theorien über die Bewegung von Körpern unterscheidet: die Begründung durch Experimente und Beobachtungen, die jeder beliebige andere Wissenschaftler nachvollziehen und durch eigene Anschauung bestätigen kann, also das Bemühen um intersubjektive Gültigkeit.

Zu Hemeneuticus: Die These: "Wenn man Ernst machen würde mit der Forderung nach einer Erörterung der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme auf Dinge, dann müsste man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns diskutieren ..." halte ich aufrecht.

Und ich füge hinzu: Zur Beantwortung der Frage, wie Rechnen, Schreiben, Sprechen, Sehen, Hören, sich Merken, Erinnern, (Wieder-)Erkennen, Lernen, Vergessen möglich ist, haben diejenigen Beachtliches beigetragen, die Maschinen mit diesen Fähigkeiten konstruiert haben. Dies sollte der Philosoph neidlos anerkennen, der sich allein auf das eigene Nachdenken stützt.

Mit dieser These habe ich auf eine von Verena aufgeworfene Frage geantwortet. Deine Frage: "Wie kommen wir jeweils zu den Gegenständen, über die dann wahre/unwahre Aussagen möglich sind?" ist damit natürlich noch nicht beantwortet.

Ich antworte darauf – unter bewusstem Verzicht auf alles philosophische Gepäck:

Wir kommen auf die Gegenstände unserer Fragen durch unsere leidvollen und angenehmen Erfahrungen:

Wir erleben eine 30 Meter hohe Welle und fragen uns: 'Wodurch ist sie entstanden? Gab es früher schon vergleichbare Phänomene? Kann man sie vorhersehen?' usw.

Und ein Gehirnforscher kommt durch die Erfahrung von Menschen ohne Gedächtnis zu seinem Forschungsgegenstand, der Alzheimerschen Krankheit.

Ich kann im übrigen nicht erkennen, dass unterschiedliche Ansichten über Raum, Zeit oder Kausalität zu unterschiedlichen Ergebnissen führen hinsichtlich der Wahrheit solcher Aussagen wie "Im Jahr 2004 wurde die Ostküste Sri Lankas von einer Tsunami-Welle verwüstet" oder "Tsunami-Wellen entstehen durch Seebeben."

Vielleicht kann mir hier jemand auf die transzendental-philosophischen Sprünge helfen -
        hofft Eberhard.

- V
- Verena am 12. Jan. 2005, 19:05 Uhr


on 01/12/05 um 08:49:28, gershwin wrote:

Ich hatte ja einige Entitäten genannt, bin aber nach Deiner Kritik und Deinem darauffolgenden Beitrag nicht schlauer bezüglich der Frage geworden, auf welche konkreten Begriffe Deine Überlegungen denn angewendet werden sollen. Könntest Du nicht mal bitte ein konkretes Beispiel aufzeigen sowie die Fragen, die sich daraus konkret ergeben. (Meines war ja: Ist das wirklich ein Tisch an sich?)



Hallo Gershwin,
ich bezog mich ganz sicher nicht auf An-sich-Seiendes mit meiner Frage nach dem Status der vorbegrifflichen (empirischen) Entitäten.
Schau doch einfach aus deinem Fenster - siehst du dort draußen Namen bzw. Begriffe oder nicht eher das, was Namen oder Allgemeinbegriffe wie 'Gebäude', 'Straße', 'Baum' usw meinen, nämlich konkrete, einzelne Objekte (individuals, singular objects, Einzeldinge), die etwas prinzipiell anderes sind als Namen oder Begriffe? Auch wenn unsere Auffassung, unser faktisches Verständnis dieser Einzeldinge wohl immer durch Sprache mitgeformt wird, sind sie als Gegenstände der sprachlichen Bezugnahme doch grundsätzlich von dieser sprachlichen Bezugnahme zu unterscheiden und ihre Gegebenheit ist Voraussetzung jeder sprachlichen Bezugnahme auf sie. Und um den erkenntnisphilosophischen Status dieser Gegenstände geht es mir.
Verena

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 00:07 Uhr

Hallo Thomas/g!


Ich habe Deine Argumente nicht ignoriert, sondern mir, angesichts begrenzter Zeit, die Punkte ausgesucht, auf die es sich m.E. zu antworten lohnt. Was z. B. das Thema Handeln angeht, scheinen wir so weit auseinander zu liegen, dass ich da nur noch mit den Achseln zucken kann.
Außerdem gehst Du ja auch auf so manches nicht ein, was ich vorbringe.


on 01/12/05 um 08:49:28, gershwin wrote:

Kann er [der Border-Collie Rico] wirklich nur Eigennamen unterscheiden? Falls man ihm z. B. befiehlt: "Trink Wasser!", wird er da vielleicht nicht doch aus einem Becher, einer Badewanne oder Pfütze trinken?
Kann er vielleicht nicht sogar generell zwischen holen und fortbringen unterscheiden, unabhängig von dem, was er da holen oder fortbringen soll?


Vielleicht. - Übrigens gibt es Primaten, deren sprachliche Fähigkeiten noch ein gutes Stück über denen von Rico liegen...

Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass diese vereinzelten Tiere ihre "sprachlichen" Fähigkeiten allein der (mühsamen) Dressur durch Menschen verdanken. Und Rico würde ohne die durch Jahrtausende verfeinerten menschlichen Zuchttechniken  nicht einmal existieren. Border-Collies sind speziell zum Zweck des Schafhütens gezüchtete Hunde. Sie sind - wie alle Zuchttiere und -pflanzen - eine Art menschliche "Bio-Technik". Denn die Zwecke, zu denen Tiere und Pflanzen gezüchtet werden, sind doch stets von Menschen gesetzt.



Zitat:

Unsere geistigen Fähigkeiten einschließlich der Sprache sind so offensichtlich ein Produkt der Evolution, dass die Beweislast bei denen liegt, die uns aus der Natur mit Hilfe ebenso willkürlicher wie unnötiger Abgrenzbedingungen herauskatapultieren wollen.


Ich will uns Menschen überhaupt nicht aus der Natur herauskatapultieren. Aber ich dringe darauf, dass die Damen/Herren Naturalisten sich Rechenschaft über die Entstehung und die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Theorien ablegen.

Und es könnte nun einmal keine Evolutionstheorie geben ohne spezifische "geistige" Fähigkeiten, die wir bisher nur von uns selbst kennen und die uns übrigens auch ganz selbstverständlich sind.

Die ET ist die von Menschen geleistete, hypothetische REKONSTRUKTION eines Geschehens, dem wir nicht als Zeugen beigewohnt haben. Ein Aspekt dieser Rekonstruktion ist die Entstehung der Gattung Mensch. Wenn nun die Rekonstruktion so weit geführt wird, dass sie auch unseren gegenwärtigen Entwicklungsstand erfasst, dann sollte das nicht um den Preis geschehen, dass genau DIE intellektuellen Fähigkeiten, die zur Erstellung einer solchen Rekonstruktion unbedingt nötig sind, von der Theorie geleugnet werden.
Können diese Fähigkeiten im begrifflichen Rahmen einer solchen Theorie nicht angemessen beschrieben werden, dann wird man logischerweise zugeben müssen, dass sie nur einen Ausschnitt erfasst und so manches unerklärt lässt. Sonst kommt es zu offenkundigen Paradoxien. Stellen wir uns einen Gehirnforscher vor, der in einer philosophischen Diskussion sitzt und behauptet: "Pardon, aber ich bin nur die Marionette meiner Hirnverschaltungen. Ich habe keinen freien Willen. Mein Gehirn hat mich auch - durch naturgesetzliche Prozesse  - dazu veranlasst, Gehirne zu erforschen. Und es hat mich mit derselben naturgesetzlichen Notwendigkeit zu der Einsicht geführt, dass wir alle keinen freien Willen haben. Da ist nichts zu machen, meine Herren Kontrahenten!
Und im übrigen können Sie von Glück sagen, dass ich so ein friedliches, moralisches und gesetzestreues Gehirn habe. Stellen Sie sich bloß vor, es würde mich dazu veranlassen, Argumente durch Waffengebrauch zu ersetzen... Nicht auszudenken!! (leise:) Nur gut, dass mein Gehirn noch nicht bemerkt hat, dass Waffengewalt viel effektiver wäre als Worte... aber psssst!! - Besser, Sie widersprechen nicht länger. Wir wollen es nicht unnötig reizen..."

Gruß
H.

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 08:42 Uhr

Hallo allerseits,

damit sich unserer Diskussionsfaden nicht zu sehr zerfasert, mache ich einen Vorschlag, der sowohl für die analytisch orientierten wie für die transzendentalphilosophisch orientierten Teilnehmer dieser Runde von Interesse sein dürfte.

Wir waren bisher darin einig, dass eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt dann wahr ist, wenn es so ist, wie die Aussage besagt. Ob es so ist, wie die Aussage besagt, lässt sich nicht ohne Bezug auf unsere Wahrnehmung entscheiden.

Gegen den letzten Satz kann man einwenden, dass es möglicherweise Aussagen über die Wirklichkeit gibt, die sich ohne irgendeine Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung beantworten lassen. Ob dem so ist, bedarf der Klärung.

Die Frage lautet also: Gibt es Aussagen über die Welt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht? (Damit wären wir wieder haargenau bei unserm Thema.)

In Kants Begriffen gefragt: Gibt es synthetische Urteile (also nicht-analytische Aussagen, die nicht per Definition wahr sind wie "Schimmel sind weiß" ), deren Wahrheit a priori (also von vornherein und ohne Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung) feststeht?

Ich stelle hier einige Sätze zur Diskussion:

1.  Es gibt mich.
2.  Ich kann einen Satz formulieren.
3.  Es gibt eine Welt.
4.  Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit.
5.  Es gibt Veränderung in der Welt.
6.  Es gibt Dauerhaftigkeit in der Welt.
7.  Jede Veränderung hat eine Ursache.
8.  Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen.
9.  1 + 1 = 2.

Die Frage lautet: Welche der Sätze sagen etwas über die Welt aus und welche Sätze  sind außerdem unabhängig von jeder Wahrnehmung bzw. Erfahrung wahr? Interessant sind dabei natürlich die Begründungen der Antworten.

Kein Kopfzerbrechen dabei wünscht Euch Eberhard.

- V
- gershwin am 13. Jan. 2005, 08:44 Uhr

Hi Verena

Zitat:

sind sie als Gegenstände der sprachlichen Bezugnahme doch grundsätzlich von dieser sprachlichen Bezugnahme zu unterscheiden und ihre Gegebenheit ist Voraussetzung jeder sprachlichen Bezugnahme auf sie



Angenommen, eine Neurobiologe käme daher und widerlegt einige Vorannahmen (z. B. bezüglich der Trennung von Gegenstands- und Begriffskonstitution), die diese Behauptung impliziert. Dann könntest Du ihn wiederum an den unsicheren erkenntnisphilosophischen Status derjenigen Gegenstände erinnern, die als Begriffe in seiner zugrundeliegenden Theorie auftauchen. (Er könnte natürlich auf die gleiche Weise Zweifel an Deiner Kritik begründen.)

Mir scheint dies ein begriffs-ontologischer Käfig, aus welchem es kein Entrinnen gibt, welcher jedoch garselbst mit Begriffen (gar nicht mal mit Gegenständen) gezimmert wurde, die der vordarwinistischen philosophischen Tradition entnommen wurden.


Zitat:

Und um den erkenntnisphilosophischen Status dieser Gegenstände geht es mir.



Und erkenntnisphilosophischer Status meint ja wohl hier Kritik, Zweifel an der Korrektheit und/oder Vollständigkeit einer konkreten nichtsprachlichen Bezugnahme (Kritik am phänomenologischen Akt? Habe ich das jetzt so richtig verstanden?). Mich erinnert das irgendwie an den radikalen Zweifel, der sich notorisch auf einen täuschenden Dämon beruft. Keine Aussage ficht dagegen an außer: ach laß mich doch mit diesem blöden Dämon in Ruhe! Aus dem Grammatik-Käfig gibt es ebenfalls nur diesen einen Ausweg.

Versteh mich nicht falsch, Kritik, Fragen, Zweifel sind immer gut, wer weiß, wohin sie führen. Aber es darf ja auch nicht verboten sein, auf Fragen, Kritik und Zweifel zu antworten, und in diesem speziellen Fall empfinde ich die Antwort der evolutionären Erkenntnistheorie überwältigend plausibel und fast abschließend (bis vielleicht eine neue fundierte Kritik aus ganz anderer Richtung erfolgt), die uns die erkenntistheoretische Bescheidenheit eines recht geschickten Affen auferlegt. Bei Jasmonat-produzierenden Pflanzen könnten wir uns ebenfalls schwer vorstellen, sie könnten mittels chemischer Modulation von Duftstoffen über die Empirik hinausphilosophieren. Und ich bin wie gesagt der Meinung, dass unsere Sprache prinzipiell den gleichen Beschränkungen der stammesgeschichtlichen Vergangenheit unterliegt.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- gershwin am 13. Jan. 2005, 08:50 Uhr

Hi H.

Zitat:

Übrigens gibt es Primaten, deren sprachliche Fähigkeiten noch ein gutes Stück über denen von Rico liegen..



Ja, zum Beispiel Dich (und mich natürlich), wie ich bewundernd feststelle.  :-) Sorry, dass ich mir das nicht verkneifen konnte.

Zitat:

Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass diese vereinzelten Tiere ihre "sprachlichen" Fähigkeiten allein der (mühsamen) Dressur durch Menschen verdanken.



Wir doch auch. Uns fällt es natürlich leichter, aber ein Hund würde sich in einer auf Gerüchen (oder auf Erdbebenvorzeichen, die wir gar nicht wahrnehmen können) basierenden Sprache ebenfalls leichter tun als wir, denn die Zwecke seiner Sinne wurden eben nicht vom Menschen gesetzt.
An diesem Einwurf Deinerseits (das mit dem Zweck vom Menschen gesetzt) schenien einige der willkürlichen (und in jedem anderen als einem philosophischen Diskurs als absurd empfundenen) Vorannahmen durch, die ich schon erwähnt hatte: Man kann mit einem Stein ein Fell aufschneiden. Der impliziten Logik Deiner Bemerkung folgt jedoch, dass man das noch nicht konnte, bevor der Mensch auftauchte und diesen Zwecke setzt. Einzig mögliche Antwort Deinerseits: Natürlich könnte man nicht, denn wer sollte dieser "man" sein? (Na der Mensch, der bald auftauchen wird) Dann ich wieder: einen Baum konnte man auch als Beuteversteck benutzen, bevor es Menschen gab. Hierauf müßtest Du wieder einen Handlungsbegriff "setzen", welcher es einem Leoparden unmöglich macht, einen Baum als Beuteversteck zu benutzen. Usw.

Zitat:

Und es könnte nun einmal keine Evolutionstheorie geben ohne spezifische "geistige" Fähigkeiten, die wir bisher nur von uns selbst kennen und die uns übrigens auch ganz selbstverständlich sind.



Zustimmung, und deshalb haben Washoe und Co. bislang auch keine ET formuliert, sondern nur Bettelgesuche und andere einfache Sätze (wobei Du den Satzcharakter vielleicht wieder bestreitest, aber das hängt ja offensichtlich wieder von der Definition eines Satzes ab). Ich hatte Dich übrigens schon mal gefragt: wer verbietet diese Selbstbezüglichkeit und weshalb?

Zitat:

Die ET ist die von Menschen geleistete, hypothetische REKONSTRUKTION eines Geschehens, dem wir nicht als Zeugen beigewohnt haben.



Genau, aber sie ist so extrem plausibel wie viele andere hypothetische Rekonstruktionen auch (etwa dass die Tasten, auf die Du haust, gleich immer noch da sind, auf Berührung nicht explodieren usw.), deren Hinterfragung niemandem einfiele. (Da fällt mir eine interessante Frage ein: Ist "etwas plausibel finden" ein unvergleichlicher phänomenologischer Akt oder lassen sich Plausibilitätskriterien formulieren, welche es erlauben, Aussagen in eine geordnete Plausibilitätsreihenfolge zu bringen? Immerhin scheint die Aussage: "Morgen wird es 35 Grad geben" allen von uns unplausibler als "Morgen wird es schneien." )

Zitat:

dann sollte das nicht um den Preis geschehen, dass genau DIE intellektuellen Fähigkeiten, die zur Erstellung einer solchen Rekonstruktion unbedingt nötig sind, von der Theorie geleugnet werden.



Auch das hab ich schon mal gefragt: wer leugnet denn diese? Die ET entzaubert eigentlich nur die Ontologie: dass es keinen Sinn macht, die Aussage, dass es intellektuelle Fähigkeiten GIBT, allzu wörtlich zu nehmen, denn Sprache ist nur Handlungsaufforderung. Wenn ich beispielsweise sage H.s intellektuelle Fähigkeiten sind groß, fordere ich Dritte damit auf, Deine Überlegungen ernst zu nehmen (genauer: ich konstatiere, dass ich sie ernst nehme, und wer mich ernst nimmt, wird dies dann vielleicht ebenfalls tun). Mehr ist da nicht. Das ist doch eigentlich auch offensichtlich, denn die Aussage: "ich habe intellektuelle Fähigkeiten" steht ohne Adressaten ja wohl ziemlich blöde im Raum.

Zitat:

Können diese Fähigkeiten im begrifflichen Rahmen einer solchen Theorie nicht angemessen beschrieben werden, dann wird man logischerweise zugeben müssen, dass sie nur einen Ausschnitt erfasst und so manches unerklärt lässt. Sonst kommt es zu offenkundigen Paradoxien.



Du kündigst hier großartig ein Paradoxon an, und formulierst dann lediglich Befürchtungen, die längst trilliardenfach eingetroffen sind. Schon die ersten Menschen haben wahrscheinlich entdeckt und ausgenutzt, dass Waffen viel effektiver sein können als Worte. Die Menschheitsgeschichte ist doch zu einem Gutteil ein einziges Gemetzel.
Nur zu einem Gutteil Gottseidank. Allerdings scheinst Du die Firniß der Zivilisation zu überschätzen und unsere evolutionär bedingten Handlungsdispositionen überdeckt(eine beliebte Wendung bei Freudianern :-)), mal wieder zu unterschätzen. Dein Gehirn tut gut daran, nicht zu bemerken, dass dass Waffengewalt viel effektiver ist als Worte. Weil sie das nämlich in Deinem Falle höchstwahrscheinlich nicht ist. Wenn Du zur Waffe greifst, steckst Du in Bälde im Knast, es gibt nur sehr wenige erfolgreiche Gewaltverbrecherkarrieren. (Es gibt sie leider auch, hier greifen Spiel- und ET plausibilitätsstiftend ineinander.) In Afghanistan aufgewachsen wärst Du vielleicht ein Warlord geworden.

Dein und mein und unser aller Gehirn, die wir auf unserer Seite des Gesetzes stehen, sollten sich also besser mit den zu erstrebenden Bedingungen beschäftigen, welche erfolgreiche Verbrecherkarrieren erschweren.
Hier, denke ich, treffen wir uns (nach langer getrennter Wegstrecke) wieder.
Freundliche Grüße
Thomas

- V
- Dyade am 13. Jan. 2005, 09:35 Uhr

Moin,

@ gershwin "... denn die Zwecke seiner [Hund] Sinne wurden eben nicht vom Menschen gesetzt." (gershwin)

... sondern vom Gott der Evolutionstheoretiker? Ich habe folgendes Zitat schon mal gebracht:

· "Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nämlich dass es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht - dass auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat... "
(Friedrich Nietzsche)

"... Immerhin scheint die Aussage: "Morgen wird es 35 Grad geben" allen von uns unplausibler als "Morgen wird es schneien." (gershwin)

... mir nicht, ich sitze gerade in Australien (gedanklich :-))

have a nice day
Dy

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 09:58 Uhr

Hallo Hermeneuticus,

hier noch eine Stellungnahme zu Deiner Kritik an mir vom 10.01.

Deine methodischen Forderung, dass eine rationale Theorie die gemeinsame Herkunft jeder Art von Fragen zu bestimmen hat, ist mir nicht einsichtig.

Priorität hat für mich die Beantwortung der Fragen (sofern sie wichtig sind).

Da nicht alle Fragen von gleicher Art sind und nach der gleichen Methode beantwortet werden können, muss ich die verschiedenen Arten von Fragen nach der Methode ihrer Beantwortung unterscheiden und zusammenfassen.

Dabei kann es sicherlich für die Beantwortung einer Frage auch hilfreich sein, deren Herkunft und Zusammenhang mit anderen Fragearten zu bestimmen.

Aber Priorität hat für mich die richtige Beantwortung der Frage und nicht der Bau des allumfassenden philosophischen  Systems.

Es grüßt Dich Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 12:35 Uhr

Hallo Thomas/g!


Zitat:

An diesem Einwurf Deinerseits (das mit dem Zweck vom Menschen gesetzt) schenien einige der willkürlichen (und in jedem anderen als einem philosophischen Diskurs als absurd empfundenen) Vorannahmen durch, die ich schon erwähnt hatte...


Der "philosophische Diskurs" ist offenkundig älter als z. B. der biologische. Denn wer war es, der die - bis heute noch weitgehend gültigen - theoretischen Grundlagen der Biologie entworfen hat? Zufällig derselbe Philosoph, von dem auch die erste Handlungstheorie stammt, deren Grundzüge ebenfalls noch bis heute gelten.

Damit will ich sagen: Es gibt außer der Biologie, der Chemie, der Physik... noch andere Wissenschaften mit jeweils anderen Methoden. Jede dieser Wissenschaften kann versuchen, mit ihren spezialisierten Methoden eine umfassende Theorie des Seienden, einschließlich des Menschen mit seinen Wissenschaften, zu entwerfen. Aber es scheint mir offenkundig, dass trotzdem jede dieser Wissenschaften immer nur einen Aussschnitt des Ganzen erfassen kann. Und das liegt an dem durch ihre Begriffe und Methoden begrenzten Horizont/Gegenstandsbereich.

In Deinem theoretischen Ansatz kommen "Handlungen" oder von Menschen gesetzte "Zwecke" nicht vor. Es "gibt" sie nicht. Aber es gibt nach wie vor andere theoretische Ansätze, in denen sie als grundlegend verstanden werden. Es gibt eine Pluralität von Theorien, denen allen gemeinsam ist, dass sie von Menschen konzipiert werden.

Im Grunde beanspruche ich nichts weiter, als dass diese Pluralität von Theorien, Methoden, Weltbildern von den jeweiligen Vertretern dieser Theorien anerkannt wird. Jedenfalls kann eine Theorie DES Menschen, die ALLE seine Eigenheiten und Fähigkeiten in den Blick nehmen muss, sich nicht auf den spezialisierten Horizont nur EINER jener (vom Menschen entworfenen) Theorien stützen.

Ich leugne ja nicht, dass Menschen, biologisch gesehen, zur Gattung der "Primaten" zählen. Aber offenbar erschöpft ein biologischer Begriff vom Menschen nicht seine sämtlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Du behauptest nun (sinngemäß), dass die biologischen Eigenschaften die grundlegenden seien, so dass man die übrigen Eigenschaften letztlich auf diese biologische "Grundlage" zurückführen könne. Ich behaupte dagegen (sinngemäß), dass bereits der Entschluss, den Menschen primär in Kategorien der Biologie (UND NICHT in anderen, ebenfalls möglichen Kategorien) zu erfassen, ein Beleg dafür ist, dass der Horizont "des" Menschen weiter ist als der der Biologie. Die Biologie ist eben nur EINE der von ihm erfundenen und betriebenen Wisenschaften.



Diese Überlegung ist auch eine Erläuterung des "transzendentalen" oder "konstitutionstheoretischen" Ansatzes der Erkenntnistheorie. Denn es zeigt sich, dass es von den jeweils gewählten Definitionen und Katgeorien sowie den Regeln ihrer Anwendung abhängt, ALS WAS etwas Seiendes in den Blick kommt. Definitionen (buchstäblich übersetzt = "Begrenzungen" ) sind jeweils (bewusst gewählte und begründete) Ausschnitte. Sie stecken den Rahmen dessen ab, was zum Gegenstandsbereich einer Theorie gehören soll und was nicht.
So liegt es bereits an den DEFINITIONEN biologischer Katgorien, dass in der Biologie Entitäten wie "Handlungen" oder "Zwecke" nicht vorkommen. Aber offenbar gibt es bezüglich der Definitionen und Methoden von Wissenschaffen Wahlmöglichkeiten - so wie es auch (z. B. für einen Studenten) die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Wissenschaften gibt.

Den "philosophischen Diskurs", der diesen WEITEN Horizont - jenseits der spezialisierten Wissenschaften - noch in den Blick zu nehmen versucht, der also z. B. danach fragt, welches überhaupt die VORAUSSETZUNGEN für eine solche reiche Auffächerung und Spezialisierung des menschlichen Wissenserwerbs sind - diesen Diskurs scheinst Du, Thomas, für eine irgendwie weltfremde Schrulle zu halten. Ich sehe dagegen in der TOTALISIERUNG einer nur biologischen Perspektive eine illegitime Begrenzung. Diese Begrenzung ist - zu Forschungszwecken - durchaus legitim und sogar notwendig. Aber es ist nicht legitim, sie als einzig sinnvollen (oder gar erschöpfenden!) Erklärungsansatz auszugeben.


Gruß
H.

- V
- eiweiss am 13. Jan. 2005, 14:09 Uhr

hallo eberhard,

du schreibst: "Die Frage lautet also: Gibt es Aussagen über die Welt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht? "

wahrnehmungsgrenze:
diesseits:ich      und      jenseits:etwas "ich nehme etwas wahr"

diesseits der wahrnehmunggrenze bzw. unabhängig von jeder wahrnehmung (i. s. unserer alltäglichen wirklichkeit: "in meinem kopf" ) ist alles "ich" bzw., wenn man das kriterium "intersubjektivität" anlegt, "nichts".
wenn man also "welt" im intersubjektiven sinne versteht (erhofft? -> solipsismus), meint man also die welt jenseits der wahrnehmungsgrenze.
wenn man also über etwas und intersubjektiv aussagen will, kann man das nur jenseits der wahrnehmungsgrenze tun.
die naturwissenschaft wäre demnach der versuch das diesseits der wahrnehmungsgrenze, also "ich", möglichst klein zu machen, also lim-> 0.
wenn ich mir also von der naturwissenschaft die 0 erwarte, dann wäre ich 0, also ne leiche aufm sektionstisch, he he.

kurzum:
wenn du also mit "feststehen" intersubjektiv meinst, würde ich sagen: nein.

oder meintest du was anderes?

mfg

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 14:16 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
Bravo. Verabsolutieren sollte man den biologischen Ansatz nicht, aber er hat einen Vorteil: er versucht, Handlungen des Menschen zu erklären, ohne vorauszusetzen, dass menschliches Handeln gemäß freien Entschlüssen erfolgt. Primär ist das Verhalten, das Denken und die Logik des Menschen selbstverständlich biologischbedingt, von genetisch gespeicherten Denk- Logik- und Verhaltensprogrammen gesteuert, da der Mensch nun einmal ein Primatenwesen ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Zur Ergänzung dieser biologischen Sichtweise ziehe ich einerseits die Kybernetik heran, mit deren Hilfe man menschliches Handeln als regelkreisgesteuert verstehen kann, wobei beispielsweise die Wahrnehmung die Funktion hat, Abweichungen des Istwerts vom biologisch eingestellten Sollwert zu registrieren, sowie andererseits die Psychoanalyse und den Konstruktivismus. Das gestattet mir, den Menschen als ein System zu begreifen, dessen Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist.
Gruß
rudi

- V
- Hermeneuticus am 13. Jan. 2005, 15:40 Uhr


on 01/13/05 um 14:16:41, doc_rudi wrote:

Hallo Hermeneuticus,
Bravo. Verabsolutieren sollte man den biologischen Ansatz nicht, aber er hat einen Vorteil: er versucht, Handlungen des Menschen zu erklären, ohne vorauszusetzen, dass menschliches Handeln gemäß freien Entschlüssen erfolgt. Primär ist das Verhalten, das Denken und die Logik des Menschen selbstverständlich biologischbedingt, von genetisch gespeicherten Denk- Logik- und Verhaltensprogrammen gesteuert, da der Mensch nun einmal ein Primatenwesen ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Zur Ergänzung dieser biologischen Sichtweise ziehe ich einerseits die Kybernetik heran, mit deren Hilfe man menschliches Handeln als regelkreisgesteuert verstehen kann, wobei beispielsweise die Wahrnehmung die Funktion hat, Abweichungen des Istwerts vom biologisch eingestellten Sollwert zu registrieren, sowie andererseits die Psychoanalyse und den Konstruktivismus. Das gestattet mir, den Menschen als ein System zu begreifen, dessen Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist.
Gruß
rudi




Hallo Rudi!

Du müsstest Dich selbst folgerichtig als "System" begreifen, dessen "Funktionsweise grundsätzlich berechenbar ist". Du erklärst folglich auch Deine eigenen "Handlungen", ohne vorauszusetzen, dass sie auf freien Entschlüssen beruhen.

Kannst Du mir aber auch erklären, wie sich diese Deine Ausdrücke verstehen lassen sollen, wenn man den Begriff der Entscheidung oder des freien Entschlusses eliminiert? "man sollte nicht verabsolutieren" "erklären" "voraussetzen" "(weg)diskutieren" "ich ziehe ... heran" "man kann verstehen" "das gestattet mir" "begreifen" "berechnen" (in "berechenbar" vorausgesetzt)


Logik und Berechnung sind was Feines. Aber man muss einen intelligenten GEBRAUCH davon machen, um intelligente Resultate herauszubekommen...


Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 16:20 Uhr

Hallo hermeneuticus,
völlig korrekt. Ich betrachte mich selbstverständlich auch als ein derartiges System der Ordnungshöhe Individuum.
Wie ich bereits sagte, stimme ich Dir auch darin zu, den biologischen Ansatz nicht zu verabsolutieren. Er steckt allerdings den Rahmen ab. Und innerhalb dieses Rahmens hat das Individuum Entscheidungsfreiheit, und das System Mensch hat von allen lebenden Systemen den höchsten Freiheitsgrad. Deshalb sind die Handlungen des Einzelnen relativ schlecht berechenbar. Der Einzelne ist jedoch in ein System höherer Ordnung eingebunden. Also wir in den Staat. Und das Summenergebnis der Einzelentscheidungen ist bedeutend besser berechenbar. Also: was ein System Staat macht oder machen wird, ist sehr einfach vorherzusagen, genauso, wie es nahezu unmöglich ist, den Aufenthaltsort eines Wassermoleküls schon für 1 Minute zu berechnen, aber sehr leicht ist, die Flussrichtung der Wassermenge in einem Fluß für Jahrtausende vorherzusagen. Zu letzterem benötige ich nicht einmal eine Wissenschaft.
Da fällt mir noch zur Erklärung ein: unsere biologische Verhaltensprogrammierung ist zielorientiert. Das ist sehr wichtig. Bilogisch vorgegeben sind die Verhaltensziele, also das Überleben bis zur Aufzucht der nächsten Generation und Vermehrung der Individuenzahl. Freiheit hat das Individuum z. B. in der Wahl des Partners, mit dem er seine genetischen Daten vermehrt, in der Wahl seines Berufen, den er zur Sicherung der Aufzucht seiner Jungen ausübt und in der Wahl seiner Nahrung. Aber verzichten auf Nahrung oder auf Sauerstoffzufuhr kann er nicht. Das regelt bereits sein Hirnstamm. Das Großhirn ist dafür entbehrlich.
Gruß
rudi

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 18:56 Uhr

Hallo allerseits,

zu eiweiss eine Rückfrage: Warst Du nüchtern, als Du Deinen letzten Beitrag verfasst hast?

Zur Sache: Ich bin nicht der Meinung, dass es sich bei Sätzen von der Art "1+1=2" um Aussagen über die Wirklichkeit handelt, sondern dass mathematische Sätze sich auf abstrakte, gedachte "Einheiten" beziehen. Diese Einheiten können völlig irreal sein, z. B. die Bewohner der Insel Paragoa (die ich mir gerade ausgedacht habe). Der Satz "5 Paragoaner + 4 Paragoaner = 9 Paragoaner" sagt nichts über die Beschaffenheit der Wirklichkeit aus.

Allerdings können mathematische Modelle, wie auch andere theoretische Modelle, empirisch interpretiert werden, indem bestimmte reale und unterscheidbare Objekte (z. B. Kirschen) als die jeweiligen Einheiten definiert werden und die Rechenoperationen empirisch interpretiert werden, z. B. das Additionszeichen "+" als "hinzufügen" und das Subtraktionszeichen "-" als "wegnehmen".

Gelingt diese empirische Interpretation, dann lassen sich alle an den gedachten Einheiten gewonnenen Ergebnisse auf die realen Objekte übertragen,

Eine geniale Erfindung!    meint Eberhard.

- V
- eiweiss am 13. Jan. 2005, 19:15 Uhr

hi ebi,

ich war SELBSTVERSTÄNDLICH nicht nüchtern.
ich war und bin berauscht durch den denksaft deiner beiträge.

                       [smiley=circling.gif]

- V
- Eberhard am 13. Jan. 2005, 21:35 Uhr

Hi eiauwei,

hätte nicht gedacht, dass meine Beiträge derart antörnen.

- V
- taciturnity am 13. Jan. 2005, 21:44 Uhr

Hallo Zusammen :)



Zitat:

Und innerhalb dieses Rahmens hat das Individuum Entscheidungsfreiheit, und das System Mensch hat von allen lebenden Systemen den höchsten Freiheitsgrad. Deshalb sind die Handlungen des Einzelnen relativ schlecht berechenbar. Der Einzelne ist jedoch in ein System höherer Ordnung eingebunden. Also wir in den Staat. Und das Summenergebnis der Einzelentscheidungen ist bedeutend besser berechenbar.



Mit Nichten - wie soll die Summe aus einer Menge undeterminierbarer Größen zu berechnen sein? Nicht nur das unerfassbar viele Faktoren bereits bei einer kleinen Menge an Individuen dem Summenergebnis ihrer Einzelentscheidungen von vorn herein die Basis zur Determinierbarkeit entziehen; letztendlich ist ja schon die Durch kontinuierliche Beobachtung von Teilphänomenen eines Systems gewonnene Menge an Determinanten in dem Augenblick schon für keine Hochrechnung der Welt mehr zu gebrauchen, in dem man sie ihres kausalen Zusammenhangs entbindet.
Beispielsweise kann ich aufgrund der Wetteraufzeichnungen der letzten 200 Jahre (länger gehen lückenlos geführte Metereologiedaten nicht zurück) und der Entwicklung, die ich in ihnen lese auf Klimaphänomene schließen, die sich meinetwegen erst in 50 abzeichnen werden. Klar, kann ich das - aber darf ich das auch? Ist das Zeitfenster der Beobachtung nicht viel zu schmal gewählt für ein System von den Ausmaßen unseres globalen Klimas?
Nun mag der eine oder andere aufschreien und sagen: Wir können aber noch viel weiter zurückschauen - wir können anhand einer Kernlochbohrung aus dem Eis der Antarktis schauen, wie sich das Klima in den letzten 40000 Jahren gewandelt hat - nix 200 Jahre...
Nun gut, im ersten Fall sprach ich über Aufzeichnungen vieler über die Welt verstreuter Wetterakademiker und im zweiten Fall über die spektralanalytische Auswertung von Substanzen im Schmelzwasser eines Stückchens unterirdischen Gletschers und dem großen Paralogismus, der uns dann aus diesem Pfützchen das Klima der letzten 40000 Jahre zaubern lässt.
...


Zitat:

Also: was ein System Staat macht oder machen wird, ist sehr einfach vorherzusagen, genauso, wie es nahezu unmöglich ist, den Aufenthaltsort eines Wassermoleküls schon für 1 Minute zu berechnen, aber sehr leicht ist, die Flussrichtung der Wassermenge in einem Fluß für Jahrtausende vorherzusagen. Zu letzterem benötige ich nicht einmal eine Wissenschaft.



Die Kinematographie eines Wassermoleküls in freier Wildbahn, wird schon deshalb unmöglich für die Dauer einer Minute zu berechnen sein, weil man (auch nochmal passend zum ersten Absatz) alle Umgebungsvariablen mit einkalkulieren müsste, die das Molekül in seiner Bewegung beeinflussen, was immer gößere Kreise ziehen wird, bis hin zum Beobachter selbst.
Auch die Minute verschafft uns keinerlei Halt des Kontrollier-, Erfass-, oder Determinierbaren. 60 Digits reichen nicht, sie sind nochmals unterteilt in 1000, die dann wieder in 1000 und die dann wieder...Milli-, Mikro-, Nano-, Piko-, Femto-, Atto-, Zepto-, und Yoktosekunden und wenn man in diese Bereiche mit Messungen vorzudringen vermag, würden sich einem wahrscheinlich weitere 'Wunder' offenbaren, die man Messtechnisch erfassen müsste.

Die Flußrichtung des Flusses wirst Du aber auch nur aus Beobachtungen ableiten können und die sind halt für Dein Beispiel in der Geographie und Physik dokumentiert - ohne dieses Wissen, wärest Du nicht zu einer Vorhersage auf Jahrtausende fähig.

Und die Zielvorgabe unserer genetischen Basis folgt, glaube ich, viel bescheideneren Zielen: Überleben - alles andere ist zweitrangig und beim modernen Menschen hinzu- und abschaltbar.

Gruß,
Thomas.

- V
- doc_rudi am 13. Jan. 2005, 23:11 Uhr

Hallo Thomas t.,
sehr schön, dass Du Dich hier eingeklinkt hast.
Ich vermute, Du rechnest zu viel mit Hilfe Deines Kopfes. Wenn ich von rechnen oder von Berechnungen rede, meine ich die biologische Rechenweise ohne Hirn. Die Biologie rechnet mit Erfahrung. Wenn ich Einzeller wäre, von dessen Nachfahren in 1 Stunde 999 Individuen als Futter für andere Tiere dienen, muss ich in dieser Stunde für 1000 Nachfahren sorgen. Dem Einzeller, dem das gelingt, gehört die Zukunft, die anderen müssen sich von der Erde verabschieden. Die Methode, die zu 1000 Nachfahren in 1 Stunde führt, wird genetisch immer weiter vererbt. Dazu braucht die Natur keine Kopfmathematik. Aber die Rechenweise hat sich durchgesetzt.
Von einem menschlichen Individuum, dessen Fühlen und Denken ich nicht kenne, kann ich schwer vorhersagen, welche Sorte von Erfrischungsgetränk es beim nächsten Einkauf auswählt. Kenne ich den Typ, ist meine Vorhersage zuverlässiger. Bei einem Kollektiv von 1 Million Leute brauche ich keinen zu kennen und kann vorhersagen, dass 450000 Personen Coca-Cola wählen. Das ist die Berechnung des Handelns eines Systems lebender Systeme höherer Ordnung. Um das berechnen zu können, brauche ich nur zählen zu können. Die Werbeindustrie kann das sehr gut und kann sich in etwa ausrechnen, mit welchem Geldeinsatz für Werbung das Verhalten des Kollektivs sich dahingehend ändert, dass in Zukunft 1% mehr das umworbene Produkt kaufen.
Ich befürchte jedoch, dass unsere Diskussion über Berechenbarkeit von Handlungen lebender Systeme die hiesige Diskussion über Wahrheit eher stört, entschuldige mich und schließe.
Mögen die Wahrheitsinteressenten weiter über die Wahrheit anhand von Objekten diskutieren, die ihren Aufenthaltsort nicht aus eigener Kraft ändern.
Gruß
rudi

- V
- jacopo_belbo am 13. Jan. 2005, 23:58 Uhr

hallo eberhard,

vielen dank für deinen hinweis, doch wieder zur diskussion zurückzufinden. ich hoffe immer noch, dass die lieben kollegen auf deinen hinweis eingehen, und sich nicht allzusehr in -in meinen augen- sekundären problemen verlieren; auch wenn es allzu verlockend erscheint.

allerdings habe ich mit den 9 von dir aufgestellten sätzen so meine liebe not. nicht mit den sätzen an sich, sondern in verbindung mit dem, was du einige sätze weiter oben als thematische frasge formuliert hast:


Zitat:

Gibt es synthetische Urteile (also nicht-analytische Aussagen, die nicht per Definition wahr sind wie "Schimmel sind weiß" ), deren Wahrheit a priori (also von vornherein und ohne Bezugnahme auf unsere Wahrnehmung) feststeht?



dazu deine sätze -ich zitiere, damit man nicht ständig zurückgeblättert werden muss-

Zitat:

1.  Es gibt mich.
2.  Ich kann einen Satz formulieren.
3.  Es gibt eine Welt.
4.  Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit.
5.  Es gibt Veränderung in der Welt.
6.  Es gibt Dauerhaftigkeit in der Welt.
7.  Jede Veränderung hat eine Ursache.
8.  Alles geschieht gemäß allgemeinen Gesetzen.
9.  1 + 1 = 2.

"1+1=2" ist zwar ein synthetischer satz -nach kant- aber er bezieht sich nicht in jedem falle auf die wirklichkeit - es sei denn man akzeptiert, dass es eine wirklichkeit der zahlen gibt, bzw. dass zahlen als entitäten irgendwie irgendwo existieren. satz 9 scheidet unter der voraussetzung, dass zahlen keine entitäten sind, aus.
alle anderen sätze finde ich problematisch in die kategorisierung "a priori" und "synthetisch" einzuteilen.
der satz 1 "es gibt mich" ist keine wahrheit a priori - in dem sinne, dass es mich notwendigerweise geben müßte. er ist eher eine art "aposteriori" -wahrheit: nachdem es mich nun einmal gibt, kann ich diesen satz aufstellen, bzw. können andere über mich aussagen treffen.
ebenso satz 2,3,5,6.
die sätze 4,7,8 sind sätze die ebenfalls die erfahrung von der welt voraussetzen, um ihnen wahrheit zuschreiben zu können.

- mfg thomas

- V
- Eberhard am 14. Jan. 2005, 08:29 Uhr

Hallo Thomas J,

arbeiten wir weiter an unserer Fragestellung.

Die Frage, um die es mir in meinem letzten Beitrag ging, war:

Gibt es Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die unabhängig von unserer Wahrnehmung als wahr zu kennzeichnen sind?

Ob dies dasselbe ist, was Kant mit "synthetischen Urteilen a priori" meint, lasse ich mal offen.

Wenn es Fragen gäbe über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die wir beantworten könnten, ohne Bezug nehmen zu müssen auf unserer Wahrnehmung, dann wäre das hinsichtlich des Wahrheitskriteriums von großer Bedeutung. Dann stellt sich die Frage, woran wir bei derartigen Aussagen ihre Wahrheit erkennen können.

Eine Antwort hierauf wäre: Es handelt sich um Aussagen, die "notwendig" sind.

Aber notwendig wofür? Für das Denken? Aber was heißt "denknotwendig" ?

Heißt das: Man muss diese Aussage für wahr halten, um überhaupt irgendwelche Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit machen zu können?

Nehmen wir den Satz: "Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit". Oder anders ausgedrückt: "Alles was wirklich geschieht, geschieht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort."

Muss man diesen Satz als wahr anerkennen unabhängig und vor jeglicher Wahrnehmung?

Um den Sinn der Worte "was wirklich geschieht" verstehen zu können, muss man den Sinn des Wortes "Wahrnehmung" kennen. Und Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches  nebeneinander von Sinneseindrücken.

Insofern sind die Dimensionen von Raum und Zeit offenbar in dem Begriff der Wahrnehmung enthalten und der Satz "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" ist nicht wahr unabhängig und vor jeder Wahrnehmung.

Allerdings ist der Satz: Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber keine Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Oder?

Fragen über Fragen. Es grüßt dich Eberhard.

- V
- Hermeneuticus am 14. Jan. 2005, 09:33 Uhr

Hallo Eberhard!


Zitat:

Um den Sinn der Worte "was wirklich geschieht" verstehen zu können, muss man den Sinn des Wortes "Wahrnehmung" kennen.


Das leuchtet mir nicht ganz ein. Besser würde ich verstehen, dass man Wahrnehmungen GEHABT haben muss, um mit dem Begriff eines "wirklichen Geschehens" etwas anfangen zu können.


Zitat:

Und Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches  nebeneinander von Sinneseindrücken.


Unter "Wahrnehmung" verstehe ich etwas anderes als Sinneseindrücke. Sinneseindrücke können unbestimmt sein. Das kommt eher selten vor, etwa wenn wir etwas sehen, ohne zu wissen, was es ist (wenn uns also ein Begriff, eine Einsortierung dafür fehlt). Aber solche Vorkommnisse zeigen an, dass es gewissermaßen Sinneseindrücke "ohne Sinn" geben kann. Und in solchen Momenten sind wir auch unsicher, ob wir uns nicht täuschen. Eine solche Unsicherheit verträgt sich nicht mit dem Begriff einer "Wahrnehmung", in dem unübersehbar der Bezug auf "Wahrheit" steckt.

Das Wahrnehmen, denke ich, ist wohl immer ein "Realisieren" von Etwas, d. h. eines so und so Bestimmten oder zumindest Bestimmbaren. Und zum Bestimmen gehören Begriffe. Wenn wir "etwas" wahrnehmen, können wir auch irgendwie sagen, WAS dieses etwas ist. Und ein solches WAS hat in der Regel auch einen gewissen Bestand in der Zeitfolge der Sinneseindrücke.
Selbst wenn wir auf dem Fahrrad sitzen, und ein dunkles Etwas brummt (mit Doppler-Effekt) dicht an unserem Kopf vorbei, gehen wir davon aus, dass es sich um ein fliegendes Insekt handelt, das sowohl da war, bevor wir es hörten/sahen, und das auch nach unseren flüchtigen Eindrücken weiter vorhanden sein wird.
Bei "namenlosen", nicht einsortierbaren Sinneseindrücken bleibt unklar, ob überhaupt ein unabhängiges Etwas "dahinter" steht, ob wir also das in den Sinnen Erscheinende von uns selbst "ablösen" oder unterscheiden können.

Wahrnehmung, denke ich, hat die Struktur des Etwas-ALS Etwas-Wahrnehmens.



Zitat:

Insofern sind die Dimensionen von Raum und Zeit offenbar in dem Begriff der Wahrnehmung enthalten und der Satz "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" ist nicht wahr unabhängig und vor jeder Wahrnehmung.


Der BEGRIFF der Wahrnehmung ist etwas anderes als Wahrnehmungen selbst. Das wird in Deinem Satz nicht klar. Ein Satz ÜBER DIE Wahrnehmung - also ihre allgemeine Struktur - kann zwar schlecht geäußert werden, ohne dass man jemals Wahrnehmungen hatte; aber so ist das Kant'sche "Apriori" auch nicht gemeint. Sehr wohl kann man etwas darüber aussagen, was ALLEN Wahrnehmungen gemeinsam ist, ohne dabei von konkreten einzelnen Wahrnehmungen (plural) zu sprechen. Solche Aussagen über die Struktur DER Wahrnehmung (singular) erfassen etwas "Konstitutives", das allen einzelnen Wahrnehmungen "zugrundeliegt".
Räumlichkeit und Zeitlichkeit gehört ebenso zu den konstitutiven Momenten von "Wahrnehmung überhaupt" wie - nach meiner Ansicht - Begrifflichkeit (s.o.). Oder anders gesagt: Wenn - im einzelnen Fall - eines dieser Momente fehlte, würden wir nicht von einer "Wahrnehmung" sprechen (sondern z. B. von einer sinnlichen "Erscheinung" ).

Genau um diese Art von allgemeinen, strukturellen, "konstitutiven" Aussagen geht es in Kants "synthetischen Urteilen a priori".



Zitat:

Allerdings ist der Satz: Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber keine Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit.


Da stimme ich zu - wenn Du mit "Wirklichkeit" die Wirklichkeit der wahrgenommenen Gegenstände meinst. Allerdings ist es eine Aussage darüber, was "Wirklichkeit überhaupt" ausmacht. Denn die Wahrnehmung samt ihrer Räumlichkeit und Zeitlichkeit ist ja das, was unsere Wirklichkeit ÜBERHAUPT strukturiert.
Oder anders gesagt: Wir nennen etwas "wirklich", wenn es in Raum und Zeit wahrgenommen wird. d. h. Wahrnehmung in Raum und Zeit ist ein KRITERIUM, ein Konstituens dessen, was wir "Wirklichkeit" nennen.

Gruß
H.

- V
- oskar am 14. Jan. 2005, 09:46 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
am 15.11.2004 schriebst du

Zitat:

Dass dieser aufklärerische Hintergrund sich heute weitgehend aus den Naturwissenschaften verflüchtigt hat, dass naturwissenschaftliche Behauptungen (sic!) kursieren wie ehedem Glaubenssätze, dass "Wahrheit" verdinglicht wird zu einer Eigenschaft von Sätzen usw. - das mag wohl so sein.


Hier stehen zwei Aussagen, die du weder als wahr noch als falsch, sondern als "das mag wohl so sein" bewertest. Mich würde trotzdem interessieren, ob du sie für wahr oder falsch hältst und welche Gründe dafür sprechen, dass sie wahr sein könnten.
Gruß oskar

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 11:00 Uhr

Hallo Eberhard,
nun bin ich auf Umwegen doch wieder hier gelandet, was ich in Anbetracht des Umfangs dieser Erörterung vermeiden wollte. Nun gut. Da ihr gerade das Thema Wahrnehmung diskutiert, möchte ich doch etwas ergänzen, um Euch vor falschen Schlüssen zu bewahren.
Du stellst die Behauptung auf: Wahrnehmung ist ein zeitliches nacheinander von Sinneseindrücken und eine räumliches nebeneinander von Sinneseindrücken.
Das ist es nicht nur. Mir scheint, ihr reduziert Wahrnehmung auf die Verarbeitung optische Sinneseindrücke. Man hat aber gleichzeitig Sinneseindrücke aus verschiedenen Sinnesgebieten (Farben, Formen, Geruch, Oberflächenbeschaffenheit bei Berührung usw.). Die gleichzeitigen Daten aus verschiedenen Sinnesgebieten kommen dann irgendwann gesammelt im Großhirn an, aber: der Weg dieser Daten wird mehrfach unterbrochen in Hirnteilen, deren Tätigkeit unbewusst erfolgt, bevor sie in deinem Großhirn eine Wahrnehmung erzeugen, z. B. eine optische. Selbst diese anscheinend rein optische Wahrnehmung ist also bereits beeinflusst von Daten aus anderen Sinnesgebieten.
Das ist aber alles insofern Pipifax, als Du natürlich immer noch behaupten kannst, dass "Alles was geschieht, geschieht in Raum und Zeit" nicht wahr ist.
Aber auch unwahre Sätze, auf die wir uns einigen können, beinhalten ja einen Erkenntnisgewinn, weil immerhin ihre Unwahrheit, ihre Negation, wahr ist.
Dass also alles, was wir vermittels unserer Wahrnehmung wahrnehmen, nichts Vollständiges über die Beschaffenheit der Wirklichkeit vermittelt und damit nicht wahr ist, darauf können wir uns wohl einigen, aber das ist auch nichts Neues.
Da ihr sehr auf die optische Wahrnehmung fixiert seid, möchte ich zum Schluss noch etwas ergänzendes dazu sagen:
Selbst der Erhalt optischer Sinneseindrücke durch das Auge (also zeitlich lange vor der optischen Wahrnehmung im Großhirn) ist ein aktiver Prozess und kein passives Hereinlassen von elektromagnetischen Wellen. Das Auge ist ständig in Bewegung. Die Pupillen machen ständig kleine schnelle Bewegungen, die man ohne Hilfsmittel gar nicht wahrnehmen kann. Das Auge tastet die Umwelt aktiv ab. Die biologische Aufgabe des Auges besteht darin, Objekte zu erkennen, die uns schaden oder nützen könnten. Schaden fügen uns eventuell unsere Fressfeinde zu, die uns nachstellen, nützen können uns unsere Beutetiere und natürlich unsere Sexualobjekte, die wir zur Fortpflanzung benötigen. Das Auge erkennt diese Objekte aus weiter Entfernung. Zur Erledigung dieser Aufgabe muss das Auge unterscheiden können, ob sich ein Objekt bewegt oder nicht. Deshalb tastet das Auge alle Objekte ständig ab um zu erkennen, ob es sich um ein ruhendes Objekt handelt oder ein sich bewegendes Objekt. Desweiteren ist entscheidend zu erkennen, Ob sich ein in Bewegung befindliches Objekt uns nähert oder sich von uns entfernt. Dazu ist das Auge da und diese Aufgaben erfüllt es.
Raum und Zeit sind also selbst für das Auge nur Hilfsmittel, erkannt werden müssen lediglich Unterschiede. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und beweglichem Objekt (was nicht einfach ist, da sich Blätter im Wind auch bewegen usw.), einem sich verkleinernden (sich entfernenden) und einem größer werdendem Objekt.
Deshalb schlage ich vor, nicht Raum und Zeit als Kategorien unserer Erkenntnis zugrunde zu legen, sondern das Erkennen von Unterschieden.
Das, was wir erkennen können und als wahr annehmen dürfen, sind Unterschiede.
Raum und Zeit sind lediglich Versuche Unterschiede zu beschreiben, in unserem Größenbereich zu kategorisieren. Wir können nicht wissen, ob Raum und Zeit wahr sind.
Aber wir können vergleichen. Wir können Gleiches als gleich erkennen und Ungleiches vom Gleichen Unterscheiden. Was das Gleiche tatsächlich, in Wirklichkeit, ist, darüber können wir keine sicheren Aussagen machen.
Die Aussagen aber: Objekt A ist gleich einem anderen Objekt, das wir bereits einmal wahrgenommen haben, oder: das Objekt A unterscheidet sich in Größe, Form, Farbe, seinem Geruch oder Größenveränderung, in seiner Bewegung von einem bereits bekannten Objekt. Derartige vergleichende Aussagen sind wahr.
Wir wissen nicht, was grün und was blau ist, aber wir wissen, dass grün etwas anderes ist als blau.
A=A ist das einzige, was wir als wahr annehmen können, das ist unsere einzige Konstante, völlig unabhängig davon, was dieses A eigentlich ist.
Das wäre meine Antwort auf die Frage, was wir wissen können.
Und auf dieser Antwort baue ich meine Philosophie auf.
Gruß rudi

- V
- taciturnity am 14. Jan. 2005, 18:09 Uhr

Hallo Rudi D.

Danke für die, wennauch nur schrittweise Offenbarung Deines biologischen Ansatzes der Wahrheitsfindung.
Lass mich versuchen, aus Deinem letzten Post und aus dem, was Du ein paar zeilen vorher geschrieben hast, mein kleines Kondensat zu gewinnen:

Wir Menschen als kognitive Wesen, unterliegen in der Zuteilung unseres persönlich erfahrbaren oder vorstellbaren Wahrheitsspektrums einem Strang aus aneinandergereihten Aminosäureschlüsseln.
Wenn ich in ihm die vorerst alleinige Basis für unser Bewusstsein annehme, und als Bewusstsein z. B. die Fähigkeit verstehe, nicht nur Unterschiede wahrnehmen zu können, sondern diese auch in Relation zu sich selbst zu setzen, statte ich das ebenfalls von Dir erwähnte kybernetische Prinzip des/der Regelkreise(s) unseres Körpers mit einer Menge von Asymptoten aus, die dem genetischen Code als "vorgedachte" Richtwerte enthalten sind.

Gruß,
Thomas.

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 19:36 Uhr

Hallo Thomas t.,
Ich möchte die Diskussionsrunde hier nicht mit Repliken auf unser genetisches Gedächtnis nerven und will nur kurz sagen, dass Du mich da richtig verstanden hast: ich halte den genetischen Code für eine Art von Abbildung der Realität.
Im meinem letzten Beitrag sprach ich allerdings von den Erkenntnismöglichkeiten unseres Hirns, die ebenfalls mit einer Speicherfähigkeit zusammenhängt. Das Erkennen einer Differenz setzt voraus, dass ich ein Bild behalte, damit ich es mit einem anderen vergleichen kann. Deshalb sind diese Speicherfähigkeit in Verbindung mit der bildgebenden Funktion die Voraussetzung für das Erkennen von Unterschieden.
Mit unserem Hirn und unserer Wissenschaft erkennen wir immer mehr Unterschiede. Wir erfahren jedoch nichts über die Inhalte, über das Was.
Gruß
rudi (wenn schon, dann rudi z., nämlich Zimmerman - macht nichts. Aber schau doch mal unter Sozialphilosophie, Fragen an die Philosophie lebender Systeme. Da ist Dein Anliegen vielleicht besser aufgehoben)

- V
- Dyade am 14. Jan. 2005, 20:11 Uhr

Nabend zsamn,

Hallo Doc,

wenn ich deine Erleuterungen im - Heute 11:00 Uhr lese fühle ich mich in jenes Kino zurück versetzt indem ich vor Jahren Woody Allens Film "Alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten" gesehen habe. Da sitzen in einer Szene, im Gehirn eines Menschen, ebenso wie an den Sinnesorgane und an allen anderen wichtigen Organen, jeweils kleine Menschen und verrichten ihre Arbeit. Im Gehirn wird nur alles koordiniert. Jeder dieser Menschen ist mehr oder weniger ein kleiner Entscheider, ein kleiner Handelnder, ein kleiner Erkennender.  

Diese Szene erklärt für mich am besten dein Weltbild. Denn du schreibst ja selber: "... Das Auge erkennt diese Objekte... ""... muss das Auge unterscheiden können... ""... Deshalb tastet das Auge alle Objekte ständig ab... ""... Raum und Zeit sind also selbst für das Auge nur Hilfsmittel... "

die Fragen um die es hier in der Diskussion wirklich geht, hast du nicht verstanden. Du verlagerst in deinen Beschreibungen lediglich alle fraglichen Themen in "das Auge" (es könnte auch das Ohr, die Haut, die Nase, die Zunge sein). Die sind es jetzt die "erkennen, unterscheiden, tasten" und "Hilfsmittel" benutzen.

sehr seltsam!   [embarrass]

Grüße
Dy  [cool]

- V
- Eberhard am 14. Jan. 2005, 20:23 Uhr

Hallo allerseits,

Ist Wahrnehmung tatsächlich immer an Raum und Zeit gebunden? Sind Raum und Zeit notwendige Formen der Wahrnehmung? Gehören Räumlichkeit und Zeitlichkeit zu den konstitutiven Momenten jeder Art von Wahrnehmung?

Machen wir mal einige zugegebener Maßen extreme Annahmen:

Denken wir uns Wesen, deren einziges Auge auf ein sich gleich bleibendes Bild fixiert wäre und die keine anderen Wahrnehmungen hätten. Dann wäre dies wohl eine zeitlose Wahrnehmung. Die Frage: "Wie lange schaust Du schon auf das Bild?" wäre sinnlos.

Oder denken wir uns Wesen, die sich nicht bewegen können und die außer ihrem Geruchssinn keine andere Wahrnehmung haben. Solche Wesen hätten dann wohl auch keine Raumvorstellung. Die Frage: "Wo riecht es nach Lavendel?" wäre für sie sinnlos.

(Aber in solchen Welten könnte es wohl auch keine Fragen  geben.)

Es grüßt Euch Eberhard.

- V
- eiweiss am 14. Jan. 2005, 22:08 Uhr

hallo eberhard !

mein bier ist alle.
deswegen brauch ich mal wieder ne berauschende antwort von dir [smiley=biglaugh.gif]

also mal spaß beiseite [smiley=box.gif]

um deine fragen zu beantworten:

verstehst du unter wahrnehmung die physiologische "wahrnehmung" ?

also sehen, hören, riechen, schmecken ?

auch sensibilität ? (oberflächen- und tiefensensibilität (propriozeption),  interozeption (" inneres milieu",unbewußt))

mfg

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 22:37 Uhr

Hallo Dyade,
was soll denn das?
Eberhard hat doch die richtigen Fragen gestellt und die richtige Antwort gegeben.
Ich zitiere: "Gibt es Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die unabhängig von unserer Wahrnehmung als wahr zu kennzeichnen sind?" Zitat Ende
Kurze Antwort: Nein!
Und warum können wir nicht die Wahrheit erkennen? Weil wir keinen direkten Kontakt zu unserer Umwelt haben wie der Einzeller, sondern weil dieser über unsere Sinnesorgane vermittelt wird.
Willst Du die Ergebnisse der Sinnesphysiologie negieren? Bitte schön, tu das. Dann betrittst Du den Boden der Spekulation.
Diese aktive Beschäftigung unseres Auges mit unserer Umwelt kann man versuchen, auszuschalten. Klar Eberhard (#110). Was Du da beschreibst, wird längst praktiziert. Das nennt sich Zen-Meditation. Da gibt es auch andere Meditationsmethoden. Zen-Meditation habe ich vor 30 Jahren von Pater Lasalle erlernt, einem katholischen Priester, der das aus Japan mitgebracht hat.
Wenn Du das praktizierst, nimmst Du Kontakt zu Deinem Innenleben auf. Darauf will eiweiss wohl hinaus. Na klar, eiweiss, für Dein Bewusstsein sind die Meldungen Deiner Propriorezeptoren gleichbedeutend mit denen Deiner Sinnesorgane. Die Welt Deines Körpers ist für Dein Selbst genauso Außenwelt wie die Welt außerhalb Deines Körpers. Und was in Dein Bewusstsein dringt, ist ein Gemisch von beidem, dass von Deinen unbewussten Hirnteilen bereits verarbeitet wurde. Was Du ins Bewusstsein kriegst, in Deine bewusste Wahrnehmung, ist nie ein direktes Abbild Deines Körpers oder Deiner Außenwelt, sondern stets Kunstwerk, geschaffen von Deinem Unbewussten.
Gruß
rudi

- V
- Verena am 14. Jan. 2005, 22:45 Uhr


on 01/14/05 um 19:36:47, doc_rudi wrote:

Hallo Thomas t.,
Das Erkennen einer Differenz setzt voraus, dass ich ein Bild behalte, damit ich es mit einem anderen vergleichen kann. Deshalb sind diese Speicherfähigkeit in Verbindung mit der bildgebenden Funktion die Voraussetzung für das Erkennen von Unterschieden.



Hallo Rudi,
meinst du wirklich, dass (Wieder-)Erkennen so funktioniert?
1. gleicht doch kein Bild (Ansicht von etwas) dem anderen - prinzipiell sind also alle Bilder voneinander unterschieden. Wie können wir trotz evtl. vollkommen verschiedener Ansichten, diese differenten "Bilder" demselben Gegenstand zuordnen? Und wie ist dieser Gegenstand - auch als Bild?
2. Wenn wir Bilder zwecks Erkennung von Identität oder von Unterschieden reproduzieren - wie unterscheiden wir das reale gesehene Bild (oder den gehörten Klang) von dem reproduzierten Bild (oder Klang). Dies müssen wir ja, da es sonst ein undifferenziertes Chaos vergangener sinnl. Eindrücke (Bilder, Töne) und gegenwärtiger Eindrücke gäbe.
[ZB wichtig bei der Konzeption von visuellen Abläufen (akkustisch: Melodie) als Vorstellung einer "Sequenz von Bildern" (Tönen) - was ja s.o. nicht sein kann.]

3. Würde ein derartiges Verfahren der Bildspeicherung (zwecks Unterscheidung oder Wiedererkennung) die "Speicherkapazität" unseres Gehirns nicht hoffnungslos überlasten?

Gruß
Verena

- V
- Hermeneuticus am 14. Jan. 2005, 22:52 Uhr

Hallo Eberhard, hallo Dy und Rudi!

Über "jede Art von Wahrnehmung" zu spekulieren, ist wohl müßig. Wir kennen eben nur die Wahrnehmung, die wir selbst haben. Zwar lassen sich Vermutungen darüber anstellen, wie z. B. Katzen, Hunde, Tiefseefische, Polypen... "die Welt wahrnehmen" mögen. Aber dabei gehen wir doch immer von dem uns einzig Bekannten aus.

Wichtig ist bezüglich der Wahrnehmung besonders ein Punkt: Sie lässt sich nicht "von außen" angemessen beschreiben, sondern ist uns immer nur durch den eigenen Vollzug bekannt. Sinnesphysiologie, Gehirnforschung usw. mögen zwar beschreiben, wie Sinneswahrnehmung "funktioniert" - nämlich dann, wenn man sie in Analogie zu von uns hergestellten, zweckdienlichen "Werkzeugen" rekonstruiert. Bekanntlich bringen aber solche Beschreibungen "von außen" niemals Wahrnehmungen hervor.

Die Vollzüge unserer Wahrnehmung - ebenso wie etwa die Vollzüge unseres Denkens und Sprachverstehens - lassen sich nur phänomenologisch in ihren Strukturen erfassen - oder man könnte auch sagen: nur aus der "Teilnehmerperspektive". Diese Teilnehmerperspektive ist nicht zu überspringen, weil letztlich auch jede wissenschaftliche Beschreibung, jedes Experiment, jede Computersimulation... wieder auf unsere ursprüngliche Wahrnehmung und unser ursprüngliches Verstehen zurückgeführt werden muss.  

Dyades Argument gegen Rudis Darlegungen trifft daher ins Schwarze.


Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 14. Jan. 2005, 23:21 Uhr

Hallo Verena,
(Hermeneuticus: was da ins Schwarze trifft, musst Du mir erläutern, ich habs nicht kapiert)
Deine Frage lautet: "Wie können wir trotz evtl. vollkommen verschiedener Ansichten, diese differenten "Bilder" demselben Gegenstand zuordnen?"
Meine Antwort: wir können das, weil wir in jedem Moment normalerweise 2 optische Bilder von jedem Gegenstand haben. Wir haben 2 Augen und bekommen daher in jedem Moment von jedem Objekt 2 Bilder, die wir unbewusst zu einem Objekt fusionieren.
Deine Befürchtung, dass wir mit der Summe der Sinneseindrücke überfordert sind, ist berechtigt. Deshalb dringt auch nur ein geringer Bruchteil der Sinneswahrnehmung in unser Großhirn. Von den Sinnesdaten, die in unser Hirn treffen, gelangt lediglich 1% in unser Großhirn. Die Aufgabe unserer unbewussten Hirnteile (z. B. Thalamus) besteht darin, die Datenmenge zu reduzieren.
Dein Hinweis auf die Akustik, auf die Musik, ist genial. Musik ist nämlich unnatürlich, ein Produkt des menschlichen Geistes. Eine vom Menschen geschaffene Welt. Wie die Sprache. Wenn wir nämlich optische Wahrnehmung kommunizieren, wandeln wir damit elektromagnetische Wellen in Schallwellen um. Schon das zeigt, dass Sprache und Denken in Sprachform nicht die Wirklichkeit adäquat darstellen, sondern nur symbolisieren kann.
Wie sollen Schallwellen geeignet sein, elektromagnetische Wellen zu beschreiben?
Gruß und herzlichen Dank
rudi

- V
- gershwin am 15. Jan. 2005, 00:00 Uhr

Hallo Leute
Ich kann leider nicht mehr weiter an dieser Diskussion teilnehmen. War aber sehr nett mit Euch, vorbildliche Streitkultur.
Tschau
Thomas

- V
- taciturnity am 15. Jan. 2005, 02:18 Uhr

Nabend Miteinander und nabend Rudi.



Zitat:

Na klar, eiweiss, für Dein Bewusstsein sind die Meldungen Deiner Propriorezeptoren gleichbedeutend mit denen Deiner Sinnesorgane. Die Welt Deines Körpers ist für Dein Selbst genauso Außenwelt wie die Welt außerhalb Deines Körpers. Und was in Dein Bewusstsein dringt, ist ein Gemisch von beidem, dass von Deinen unbewussten Hirnteilen bereits verarbeitet wurde. Was Du ins Bewusstsein kriegst, in Deine bewusste Wahrnehmung, ist nie ein direktes Abbild Deines Körpers oder Deiner Außenwelt, sondern stets Kunstwerk, geschaffen von Deinem Unbewussten.



Um den Radikalkonstruktivismus zu komplettieren, sei noch hinzugefügt, dass man mit dem Bau der Realität äußerst dynamisch verfährt.
Zum einen sind da die in die Camera Obscura unseres Auges einfallenden Daten aus elektromagnetischen Wellen, die im Augenblick der die (unbewusste/passive) Perzeption durch die (bewusste/aktive) Rezeption ablöst, bereits zu assoziativen Patchworks aus mannigfaltig kommunizierbarer Information geronnen sind.
Informationsgewinn durch Wissensabgleich an dem, was die mehr oder weniger feinmotorische Kybernetik hat übrig gelassen. Ist information dann einmal geronnen, kann sie, insofern sie einen Unterschied zum Wissen macht, wiederum zu solchem werden und zwar schon Sekundenbruchteile nach anbrechen der Perzeption, bis auch sie dann irgendwann zum Abgleich herhalten wird oder vielleicht noch im gleichen Augenblick, als rekursive Versicherung der eigenen Wahrnehmung, diesen Prozess dynamisiert.

Zieht der Konstruktivismus die Idee einer Wahrheit in Betracht - wenn ja, welcher? :D

Gruß,
Thomas.    

- V
- Hermeneuticus am 15. Jan. 2005, 13:41 Uhr

Hallo Rudi!

Dein Ansatz behandelt z. B. unsere Wahrnehmungen wie Naturgegenstände, die sich in sofern "von außen" beschreiben lassen, als sie von "uns" klar unterschieden sind. Was man gewöhnlich "Natur" nennt, ist Seiendes oder sind Prozesse, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten, die nicht nur unserem Einfluss entzogen, sondern die auch von "uns", den Beobachtenden, verschieden sind.

In dieser "naturalisierenden" Weise sprichst Du z. B. von den Augen oder dem Gehirn und dem, was sie "tun", wie sie funktionieren usw. d. h. Du betrachtest sie als Entitäten, die unabhängig von unserem Einfluss, also gewissermaßen "von selbst" etwas leisten oder hervorbringen. Aber zugleich sprichst Du von einem Standpunkt aus (" ich", "wir" ), der  irgendwie von der Ebene des Beobachteten verschieden ist. Und da fragt sich doch, wer die unabhängigen Beobachter - also "wir" - denn wohl sind und wo sie in der von Dir beschriebenen Wirklichkeit eigentlich vorkommen.

Dein Ansatz, der "unsere" Sinne oder "unser" Gehirn als etwas von "uns" Abgetrenntes meint angemessen und vollständig glaubt beschreiben zu können, sorgt dafür, dass "wir", als diejenigen, die Augen und Gehirne "haben" und in ihrer Tätigkeit und Beschaffenheit beschreiben, als etwas von dieser beobachteten Realität Verschiedenes gedacht werden müssen. "Wir", als die Beobachtenden, sind kein Teil dieser Naturwirklichkeit. Wohl sind es unsere Augen, die "uns" optische Eindrücke verschaffen, und wohl ist es unser Gehrin, das daraus ein Bild der Wirklichkeit für "uns" herstellt. Aber das Betrachten dieses von den Augen und vom Gehirn hergestellten Bildes - einen Vorgang, den man "Perzeption" nannte - scheint an einem anderen "Ort" stattfinden zu müssen.

Schon Leibniz hat diesen Effekt einer naturalisierenden Beschreibung der Sinneswahrnehmung in einem Bild charakterisiert. In seiner "Monadologie" heißt es im § 17:


Zitat:

Man muss ferner notwendig zugestehen, dass die Perzeption und was von ihr abhängt, aus mechanischen Gründen, d.h aus Gestalt und Bewegung, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, deren Einrichtung so beschaffen wäre, dass sie zu denken, zu empfinden und zu perzipieren vermöchte, so kann man sie sich unter Beibehaltung derselben Verhältnisse vergrößert denken, sodass man in sie wie in eine Mühle eintreten könnte. Untersucht man alsdann ihr Inneres, so wird man in ihm nichts als Stücke finden, die einander stoßen, niemals aber Etwas, woraus man eine Perzeption erklären könnte."



Leibniz zog daraus die Konsequenz, dass man Perzeptionen - und ebensowenig die "Subjekte", die da perzipieren - nicht angemessen als etwas Zusammengesetztes, Mechanisches beschreiben könne.

Das Perzipieren jener "Informationen" oder "Bilder", die von unseren Sinnen und unserem Gehirn beschafft oder hergestellt werden, verlangt nach einer Beschreibung, die es nicht von "uns" ablöst. Eine solche Beschreibung, die sich auf der Perzeptionsebene hält, nennt man auch eine "phänomenologische". Wichtig ist: Man kann sie nicht als eine "bloß subjektive" charakterisieren - also im Unterschied zur "objektiven", naturalsierenden Beschreibung. Denn, wie gesagt, auch jene naturalisierende Beschreibung und ihre Resultate müssen ja irgendwann einmal von "uns" perzipiert und verstanden werden.

Übrigens geht es den Gehirnforschern oder den KI'lern (KI = künstliche Intelligenz) auch heute nicht anders als wie mit Leibniz' Mühle. Die "Stücke", die in ihren Modellen "einander stoßen", sind etwas kleiner geworden als die Teile einer Mühle. Aber die Forscher können nach wie vor nicht sagen, wie die beobachteten Vorgänge und Strukturen mit den effektiven Perzeptionen zusammenhängen.
M.E. liegt das an den unterschiedlichen Begriffen und Modellen, die jeweils verwendet werden, wenn man einmal vom Ich und seinen Handlungen, Wahrnehmungen, Gedanken usw. spricht und andererseits von Vorgängen und Strukturen, die nach dem Modell von Maschinen beschrieben werden. Naturalisten wie Du glauben, die mechanischen Beschreibungen erfassten DASSELBE wie das, was "wir" tun, denken, wahrnehmen, handeln usw. Aber es ist nicht dasselbe. Wenn Du die Bedeutungen der dabei jeweils verwendeten Begriffe untersuchst, wirst Du feststellen, dass sie verschieden sind.

Auch dies ist eine Erläuterung jenes dunklen "transzendentalen" oder "konstitutionstheoretischen" Ansatzes der Erkenntnistheorie. Begriffe und Modelle, die man zur Beschreibung von Sachverhalten verwendet, MODELLIEREN diese Sachverhalte "a priori". d. h. die einzelnen empirischen Aussagen, die innerhalb eines solchen Modells getroffen werden können, sind von diesem Modell abhängig. Leibniz' Argumentation ist in diesem Sinne eine "transzendentale". Sie zeigt, dass das mechanische Erklärungsmodell begrenzt ist und einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit GRUNDSÄTZLICH niemals zu fassen bekommt.



Gruß
H.

- V
- doc_rudi am 15. Jan. 2005, 15:45 Uhr

Hallo Hermeneuticus,
herzlichen Dank für Deine Erklärung.
Ich glaube, Du hast meine naturalistischen Ausführungen zur Sinnesempfindung missverstanden, jedenfalls trenne ich die Sinnesempfindungen von der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung, die wir schließlich haben, ist etwas völlig neues und unerklärliches.
Leibniz sagt auch (Monadologie §64): "Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche."
Unsere Wissenschaften können uns selbstverständlich lediglich immer mehr Details über diese Maschine verraten und damit Einzelheiten über unsere Sinnesempfindungen mitteilen. Der letzte Sprung zur Wahrnehmung (Perzeption), also zu unseren bewussten Vorstellungen, unserer geistigen Welt ist ein Geheimnis, das ich nicht zu lüften vermag.
Ich kann nur sagen, dass das, was ich wahrnehme, von den Verarbeitungsmechanismen dieser Sinnesapparaturen abhängig ist und eben nicht die Schlussfolgerung erlaubt, dass es wahre Aussagen über die Wirklichkeit gestattet.
Ich bleibe also bei meiner Aussage, dass ich lediglich erkennen kann, dass A etwas anderes ist als B, aber nicht weiß, was A ist.
Gruß
rudi

- V
- Hermeneuticus am 15. Jan. 2005, 18:05 Uhr

Hallo Rudi!
on 01/15/05 um 15:45:50, doc_rudi wrote:

Ich glaube, Du hast meine naturalistischen Ausführungen zur Sinnesempfindung missverstanden, jedenfalls trenne ich die Sinnesempfindungen von der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung, die wir schließlich haben, ist etwas völlig neues und unerklärliches.


Was bedeutet "unerklärlich" ?
Wenn man die naturwissenschaftliche Art des Erklärens für die einzig mögliche hält, dann werden unsere Wahrnehmung, unser Selbstbewusstsein, unser Handeln - kurz unsere gesamte lebensweltliche Vertrautheit mit uns und unserer Umgebung zu etwas Geheimnisvollem und Fremden. Dabei lässt sich sehr vernünftig über solche vertrauten Angelegenheiten und Vollzüge sprechen und nachdenken. Hier muss keineswegs die Vernunft mit den Achseln zucken und einpacken.

Aber nicht nur das: Es ist doch schlichtweg eine Tatsache, dass unsere lebensweltliche Vertrautheit mit uns, unseresgleichen und unserer Umgebung unser PRIMÄRES In-der-Welt-Sein ist. Der wissenschaftliche Blick auf uns selbst ist ein sekundärer und - wie wir sehen, ein merkwürdig verfremdender. Das Vertrauteste wird zum Mysterium...

Irrational finde ich gerade eine solche Ansicht.


Zitat:

Leibniz sagt auch (Monadologie §64): "Aber die Maschinen der Natur, d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche.
Unsere Wissenschaften können uns selbstverständlich lediglich immer mehr Details über diese Maschine verraten und damit Einzelheiten über unsere Sinnesempfindungen mitteilen.


Der "Körper" und seine "Organe" (organon = Werkzeug) lassen sich durchaus nach dem Modell der Maschine betrachten. Aber man muss sich dabei im Klaren darüber sein, dass WIR diejenigen sind, die überhaupt Maschinen bauen. Und nach dem Vorbild dieser von uns selbst hergestellten Konstruktionen lassen sich dann auch lebendige Strukturen und Funktionen untersuchen.
Hier zeigt sich m.E. ganz klar der erkenntnistheoretische PRIMAT unserer Lebenswelt (denn Technik gehört ja zu dieser Lebenswelt): Naturgegenstände werden untersucht nach Modellen, die wir selbst produzieren. Bevor eine solche Art der Erklärung möglich ist, muss es aber zunächst einmal Technik geben, die wir uns zum Vorbild nehmen können.  z. B. ist die Rede von "Regelkreisen" in der Natur nicht möglich gewesen ohne die menschliche Technik, die mit "Regelkreisen" arbeitete (z. B. Stromnetze, elektrische Geräte, Klimaanlagen usw.)
d. h. hier ist die menschliche Technik KONSTITUTIV für eine Art der Naturerklärung.

Der Satz von Leibniz, den zu zitierst, macht allerdings deutlich, dass das Maschinenmodell begrenzt ist. Er führt den Begriff der Maschine, angewandt auf die Natur, ad absurdum. Denn eine "Maschine bis ins Unendliche" hat nichts mehr mit den Maschinen gemein, die wir kennen.  


Gruß
H.

- V
- Eberhard am 15. Jan. 2005, 21:43 Uhr

Hallo allerseits,

Kriterium für die Wahrheit einer Aussage ist, ob die aufgrund dieser Aussage zu erwartenden Wahrnehmungen den tatsächlichen Wahrnehmungen entsprechen.

Aber was ist mit dem Wort "Wahrnehmung" gemeint?

Ich hatte von "Sinneseindrücken" gesprochen. Eiweiss stellt dazu die berechtigte Frage, ob als "Wahrnehmung" nur die "klassischen" Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten gelten sollen oder ob z. B. auch innere Selbstwahrnehmung und unbewusste Wahrnehmungen dazu gehören. Hermeneuticus spricht nur dann von einer Wahrnehmung, wenn das wahrnehmende Individuum diese in Begriffe fassen kann.

Um sprachliche Klarheit zu schaffen, muss zuerst zwischen der "Wahrnehmung" als Fähigkeit zum Wahrnehmen (" Die blitzschnelle Bewegung entging seiner Wahrnehmung" ) und der "Wahrnehmung" als dem wahrgenommenen Inhalt (" Melden sie verdächtige Wahrnehmungen der Polizei!" ) unterschieden werden. Für uns kommt wohl nur die letztere Bedeutung in Betracht.    

Da die Frage ist, ob die gemachten Wahrnehmungen mit den betreffenden Aussagen (bzw. den daraus logisch ableitbaren Erwartungen) vereinbar sind, muss sich aus ihnen auch ein sprachlich formulierbarer Inhalt ergeben. Damit kommen nur bewusste Wahrnehmungen in Betracht, denn was einem nicht bewusst wird, das kann man auch nicht formulieren. (Im Unterschied zu Hermeneuticus würde ich auch von "unbewussten Wahrnehmungen" sprechen.)

Ein Problem besteht darin, dass es In der Umgangssprache offenbar keine klare Abgrenzung zwischen "wahrnehmen" und "fühlen" gibt. Man sagt: "Er fühlte (verspürte) den Pistolenlauf in seinem Rücken". Hier handelt es sich offensichtlich um die Wahrnehmung eines realen Objektes.

Wie ist es bei dem Satz: "Er fühlte (verspürte) einen stechenden Schmerz im rechten Fuß". Ist hier der Schmerz das wahrgenommene Objekt so wie der Pistolenlauf im vorhergehenden Satz? Kann man sagen: "Ich nehme meine Gefühle (meinen Schmerz) wahr" ? Oder ist das Gefühl (der Schmerz) selber die Wahrnehmung – z. B. einer körperlichen Verletzung? Ist die Introspektion, die "Innenschau" eine Wahrnehmung wie das Sehen und Hören?

Die innerpsychischen Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen haben offenbar ihre Besonderheiten. Gleichwohl sind sie etwas Reales. Für jeden Einzelnen ist seine Erfahrungen mit sich selbst wahrscheinlich sogar der umfangreichste und wichtigste Bereich der Wirklichkeit.

Hier besteht noch erheblicher Klärungsbedarf  meint Eberhard.

- V
- taciturnity am 15. Jan. 2005, 22:04 Uhr

Hallo Hermeneuticus.

Leibniz naturgegebene Maschinen lassen sich aber mit wenig Geschick widerspruchsfrei auf unser technisches Bild von Maschinen anwenden. Ich glaube die Rede ist nicht von einer Maschine durch und durch, die sich keiner Analyse unterziehen lässt, da z. B. eine Zerlegung in ihre Einzelteile nicht möglich ist, sondern von einer Maschine, die eben dieses modulare Prinzip zusammenarbeitender Funktionseinheiten repräsentiert, welches wir in unserer immer feiner werdenden Technologie zu studieren im Stande sind.
Die Maschine Zelle enthält die Maschine Mitochondrium, welches alle anderen kleinen Maschinen antreibt, die der Maschine Zelle enthalten sind. Der Zellkern, der die Teilung initiiert - nichts als eine Maschine...Aber mir wird langsam klar, was Du mit den nicht vorhandenen Gemeinsamkeiten mit unseren der Technologie entstammenden Maschinen meintest.

Reduzieren wir doch zunächst die Maschine auf Etwas, was Energie, gleich welchen Ursprungs, umwandelt, in eine andere Form von Energie. Ob dieses Etwas nun Artefakt ist oder naturgewachsen, können wir getrost ausklammern und schon gibt es eine Definition der Maschine, die man auch bis ins unendliche spinnen kann.

Gruß,
Thomas.

- V
- eiweiss am 16. Jan. 2005, 00:17 Uhr

hallo eberhard,

ich denke dein beitrag ermöglicht uns die bislang eher "biologisch-körperorientierten" wahrnehmungsauffassungen auf der einen seite und die eher "grundsätzlichen, phänomenologischen" wahrnehmungsauffassungen auf der anderen seite weiter zusammenzuführen (falls wir das überhaupf wollen)

hermeneuticus schrieb: "Das Wahrnehmen, denke ich, ist wohl immer ein "Realisieren" von Etwas, d. h. eines so und so Bestimmten oder zumindest Bestimmbaren. Und zum Bestimmen gehören Begriffe. Wenn wir "etwas" wahrnehmen, können wir auch irgendwie sagen, WAS dieses etwas ist." "Bei "namenlosen", nicht einsortierbaren Sinneseindrücken bleibt unklar, ob überhaupt ein unabhängiges Etwas "dahinter" steht, ob wir also das in den Sinnen Erscheinende von uns selbst "ablösen" oder unterscheiden können." "Wahrnehmung, denke ich, hat die Struktur des Etwas-ALS Etwas-Wahrnehmens."



vielleicht kann man dann auch sagen: "ICH nehme ETWAS wahr"

mein körper ist ein vom ICH "durchtränktes" ETWAS.
insofern erscheinen mir die innerkörperlichen vorgänge, bspw. schmerzen, zunächst als ICH und nicht als ETWAS.
man kann aber sein ICH "ablösen" (s.o.) damit der schmerz als ETWAS in erscheinung tritt. dann kann ICH diesem ETWAS, dem schmerz also, begriffe zuordnen zB die qualität (dumpf, brennend, stechend etc).
zunächst also sozusagen "ICH=SCHMERZ", dann "nehme ICH den SCHMERZ als ETWAS wahr"

die "klassischen" sinne  sind offenbar dadurch gekennzeichnet, dass mir hierbei die dinge für gewöhnlich schon als ETWAS gegenübertreten, also ICH "hier" und "dort" ETWAS.

insofern sehe ICH zB teile meines körpers als ETWAS, empfinde aber meinen körper in dunkelheit oder wenn ich von ihm "ab-sehe"  eher als ICH.


bin selbstverständlich offen für kritik, einwände und anregungen.

mfg

- V
- Eberhard am 16. Jan. 2005, 10:32 Uhr

Hallo allerseits, hallo eiweiss,

bei der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungen der gegenständlichen Außenwelt und introspektiven Wahrnehmungen stellt sich die Frage, was die Gegenstände der Introspektion sind und inwiefern diese wirklich sind.

Nehmen wir ein Beispiel. Mir wird Blut abgenommen. Dazu wird mit einer feinen Nadel in die Vene meines Armes gestochen. Dies sehe ich und gleichzeitig spüre ich einen kurzen Schmerz an dieser Stelle. Auch wenn ich die Augen zugemacht hätte, hätte ich den Schmerz lokalisieren können.

Aber mit dem Schmerz nehme ich nicht den Stich und die Nadel wahr, sondern ich schließe aus der Schmerzempfindung auf eine Verletzung meines Körpers an dieser Stelle. Der Schmerz wäre also zwar ein Signal, aber nicht Wahrnehmung von etwas.

Der Schmerz ist jedoch als solcher genauso real wie die Nadel, die mich sticht. Allerdings ist es nur MEIN Schmerz, ICH bin betroffen.

Hallo Hermeneuticus,

ich habe noch mal überlegt, was das Problematische an Positionen ist, wie sie von Gershwin und teilweise auch von doc rudi vertreten werden. Beide haben eine umfassende erklärende Theorie menschlichen Verhaltens, der eine hat eine evolutionstheoretische Erklärung, der andere eine systemtheoretische Erklärung.

Wenn man nun - so wie wir - eine bestimmte Frage beantworten will und Argumente für und wider die vorgeschlagenen Antworten erwägt, dann wechselt plötzlich die Ebene der Diskussion und  – ohne dass dies jedermann deutlich wird – spricht Gershwin nicht mehr als Teilnehmer sondern als Beobachter dieser Diskussion, der das Verhalten der andern Diskussionsteilnehmer im Sinne seiner übergeordneten Theorie interpretiert und erklärt.

Wenn alle menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten Resultate ihrer Nützlichkeit für die Erhaltung und Verbreitung der Art bzw. der dazugehörigen Kombination von Genen sind und alles menschliche Verhalten letztlich diesem Ziel dient, dann sind Absichten wie das Suchen nach richtigen Antworten und verlässlichen Annahmen subjektive Illusionen. Dies gilt auch für behauptete Resultate und deren Begründung. Gershwin, der leider nicht mehr mitdiskutieren kann, hat sich nicht auf eine Diskussion des Wahrheitskriteriums eingelassen, sondern er hat die Kennzeichnung von Aussagen als unwahr interpretiert als arterhaltenden Warnschrei "Verlass dich nicht darauf!" Damit war für ihn alles gesagt.

Das Problem bei seiner Position ist allerdings, dass er seinerseits für seine eigenen Behauptungen unausgesprochen eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen muss, sonst wird das Ganze absurdes Theater.

Diese unbemerkte Aufkündigung der Diskussion, diesen Wechsel vom Sprechen mit dem anderen zum Sprechen über den anderen findet man auch bei anderen, als umfassend verstandenen Theorien menschlichen Verhaltens. Ich denke da bestimmte Anhänger Freuds, für die alles menschliche Verhalten aus unbewussten Triebkräften zu erklären ist, an bestimmte Marxisten, für die alles menschliche Verhalten aus der Klassen Zugehörigkeit zu erklären ist, und an bestimmte Gehirnforscher, für die alles menschliche Verhalten aus der Gehirnsstruktur und den Funktionen von Nervenzellen und Neurotransmittern zu erklären ist.

Einen sonnigen Sonntag wünscht Euch Eberhard.

- V
- doc_rudi am 17. Jan. 2005, 11:51 Uhr

Hallo Eberhard,
Du bemängelst mit Recht einen Wechsel der Kommunikationsebene.
Zitat: "Diese unbemerkte Aufkündigung der Diskussion, diesen Wechsel vom Sprechen mit dem anderen zum Sprechen über den anderen findet man auch bei anderen, als umfassend verstandenen Theorien menschlichen Verhaltens. Ich denke da bestimmte Anhänger Freuds, für die alles menschliche Verhalten aus unbewussten Triebkräften zu erklären ist, an bestimmte Marxisten, für die alles menschliche Verhalten aus der Klassen Zugehörigkeit zu erklären ist, und an bestimmte Gehirnforscher, für die alles menschliche Verhalten aus der Gehirnsstruktur und den Funktionen von Nervenzellen und Neurotransmittern zu erklären ist."
Watzlawick bezeichnet das als den Wechsel zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt (Menschliche Kommunikation, ISBN 3-456-30610-5). Wer keine inhaltlichen Argumente mehr hat, wechselt zur Beziehungsebene, auf der es die superiore und die inferiore Position gibt, wie zwischen Mutter und Kind oder Professor und Student. Die Wahrheit entscheidet sich dann anhand der Position und nicht anhand der Argumente. In meiner Philosophie verzichte ich inzwischen völlig darauf, mich auf Positionen irgendwelcher superiorer altvorderer Philosophen zu berufen, weil ich meine, dass die Wahrheit nicht aus der Macht der Tradition kommt, sondern aus der Wirklichkeit. Unsere Umwelt entscheidet, was wahr und was falsch ist. Das habt ihr, glaube ich, schon am Anfang dieser Diskussion mal erörtert und, wohl in anderer Formulierung, festgehalten.
Nun sagst Du: "Wenn alle menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten Resultate ihrer Nützlichkeit für die Erhaltung und Verbreitung der Art bzw. der dazugehörigen Kombination von Genen sind und alles menschliche Verhalten letztlich diesem Ziel dient, dann sind Absichten wie das Suchen nach richtigen Antworten und verlässlichen Annahmen subjektive Illusionen."
Dieser Satz vermischt aus meiner Sicht zwei unterschiedliche Sichtweisen. Das WENN schildert die Sicht der Evolutionisten, deren DANN lautet, dass der evolutionäre Erfolg das Wahrheitskriterium für das Handeln ist (eine Tautologie), Dein DANN klingt nach Kapitulation. Es verlangt nach einem anderen WENN. Wenn es nämlich irgendwie anders wäre, dann hätte das Suchen nach verlässlichen Annahmen eine Aussicht auf Erfolg.
Was ist denn eigentlich so schlimm daran, wenn das Experiment, also hier der Ausbreitungserfolg von Daten, ein Kriterium, das nicht der Mensch setzt, über die Wahrheit entscheidet, und nicht der Mensch mit seinen begrenzten Denkmöglichkeiten? Im übrigen will kein Evolutionist es einem Philosophen verbieten, sich subjektiven Illusionen hinzugeben.
Nun bin ich kein reiner Evolutionist und weiß auch nicht warum Thomas gershwin meint, er habe keine Zeit mehr. Ich bin der Überzeugung, dass wir unsere Umwelt konstruiert haben und nehme eine Umkonstruktion vor. Diese geht davon aus, dass wir, wie schon mehrfach geäußert, durchaus Unterschiede in unserer Umwelt unterscheiden können und dass unsere Erkenntnis im Grunde auf dieser Unterscheidungsfähigkeit beruht. Wenn also unsere Umwelt über die Wahrheit entscheidet, und wir diese durch Umdefinition umkonstruieren können, haben wir damit einen Einfluss auf die Wahrheit und setzen diese selbst fest, wie ich bereits am Anfang dieser Wahrheitssuche sagte. Wir setzen die Grenzen zwischen den Objekten, die wir wahrnehmen, fest. Und Du kannst eine andere Festsetzung vornehmen als ich.
Mein Satz lautete: "Wir definieren die Wahrheit." (Antwort 39 vom 25.9.04 bei Wahrheit ohne Nummer)
Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns. Deshalb können wir sie nicht finden wie ein verstecktes Osterei. Du könntest auch sagen: deshalb gibt es mehrere Wahrheiten.
Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll.
Gruß
rudi

- V
- eiweiss am 17. Jan. 2005, 14:00 Uhr

hallo doc_rudi,

du schreibst: "Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns."
und "Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll."


meine "wahrheit", deine "wahrheit"...das wären doch nur sehr kleine "wahrheiten"

es kann nur EINE (-n,  :-)) geben

wenn du das was du schreibst im sinne der wahrheit konsequent zu ende denkst, dann gibt es eben nur EINE wahrheit, DIE wahrheit , und zwar DEINE.
über diese wahrheit kannst du aber mit niemanden streiten, weil es darin keinen anderen gibt.


wenn aber ICH  DICH "wahr-sein lasse" bzw.  DU  MICH , ist es dann nicht wie folgt: "wahrheit als übereinstimmung mit einer wirklichkeit an sich ist nur ein ideal und unerreichbar. erreichbar ist nur eine übereinstimmung mit einer hypothetischen wirklichkeit. dieses ideal hat aber in gewissem sinne die funktion eines moralischen ideals, weil es ein gewisses absehen vom persönlichen blickwinkel und interesse verlangt. es ist ein ideal, das man auch als objektivität im sinne von unparteilichkeit umschreiben kann."... "natürlich gehen wir jeweils von unserer perspektive aus. wahrheit im sinne einer übereinstimmung mit einer wirklichkeit an sich wäre eine perspektive, wie sie nur gott einnehmen könnte. die perspektive gottes ist offensichtlich für menschen nicht erreichbar. aber gleichwohl ist das menschliche streben nach wahrheit mit einem streben nach göttlichkeit verglichen worden.
was nämlich auch vom menschen erreicht werden kann, ist der versuch, von allen persönlichen vorurteilen und interessen abzusehen, um eine sachlage so darzustellen, wie sie ist. die methode, dies zu erreichen, besteht darin, die eigenen propositionen mit den hypothetischen tatsachen zu vergleichen und gegenbenenfalls sie durch sie widerlegen zu lassen. ebenso gilt es, die eigene perspektiven der kritik auszusetzen und gegenbenfalls durch die perspektiven anderer widerlegen zu lassen."... "so dürfen wir doch hoffen, dass das sprichwort recht hat: die wahrheit und der morgen klären sich nach und nach auf"
(aus "philosophische grundbegriffe, eine einführung" von rafael ferber)

also EINE wahrheit und zwar UNSERE ?


mfg

- V
- doc_rudi am 17. Jan. 2005, 20:58 Uhr

Hallo eiweiss,
wenn Du meine "Wahrheit", dass wir nicht sagen können, was A ist, aber durchaus Unterschiede zwischen A und B feststellen können, zu EINER Wahrheit hochstilisieren willst, dann bitte. Ich halte es lediglich für eine profane Grundannahme, die jeglicher Wissenschaft zugrunde liegt. Die sortiert und definiert nämlich erst, legt ihre Grenzen fest, und innerhalb dieser Grenzen kommt sie zu Ergebnissen. Genauso mache ich es mit meiner Philosophie. Ich grenze mein Gebiet auf die Beschäftigung mit dem Menschen ein und könnte das ganze auch Wissenschaft vom Menschen nennen. Das scheitert jedoch daran, dass ich keine Menschenexperimente zur Verifizierung meiner Überzeugungen durchführen kann. Ich ersetze diesen Mangel durch Gedankenexperimente und nenne es Philosophie.
Natürlich sind die Ergebnisse nur "kleine Wahrheiten". Die gelten immer nur in einem bestimmten Kontext und können nicht generalisiert werden.
Die Überzeugung, es müsse die EINE Wahrheit geben, ist mir sehr suspekt, sie ist nämlich ein unbeweisbarer Glaube von religiösem Charakter. Und derartige religiöse Massenüberzeugungen waren und sind in der Geschichte der Menschheit die Begründung für Massenabschlachtungen von Menschen, die (heilige) Kriege genannt werden. Das gibt's auch im Kleinen ohne Mord, nämlich in allen Vereinen und Gesellschaften, die das Denken ihrer Mitglieder klonen wollen.
Gott bewahre mich vor allen "Schulen", Denkvereinheitlichungsinstitutionen und vor DER EINEN Wahrheit und ihren Vertretern.
Gruß
rudi

- V
- eiweiss am 17. Jan. 2005, 21:23 Uhr

hallo doc_rudi !

ich wollte lediglich zum ausdruck bringen, dass sich der BEGRIFF wahrheit in meinen augen nicht mit dem plural "die wahrheiten" verträgt.
die wahrheit "muss" deswegen nicht die eine sein; sie ist immer die eine und einzige.
vielleicht wäre es besser von deiner und meiner perspektive zu reden.

etwas anderes ist der "inhalt" des begriffs wahrheit. wer den vorgibt de-finieren  zu können ist ein schlingel [smiley=deal.gif]

- V
- Eberhard am 17. Jan. 2005, 21:40 Uhr

Hallo allerseits,

in den vergangenen Diskussionen haben wir rekonstruiert, was man meint, wenn man von einer "wahren Aussage" über die Beschaffenheit der Wirklichkeit spricht.

Ein Problem einer solchen Rekonstruktion besteht darin, dass der überkommene Sprachgebrauch uneinheitlich ist und dass jederzeit jemand auftauchen kann, der sagt: "Ich verstehe aber unter 'Wahrheit' etwas ganz anderes!"

Das führt zu einem Streit um Worte, der bekanntlich keinen Fortschritt in der Sache bringt.

Ich schlage deshalb vor, die Perspektive einmal umzukehren und nicht rekonstruierend sondern konstruierend an das Problem heran zu gehen.

Das soll heißen, dass wir nicht mehr fragen, was die Wörter "wahr" bzw. "Wahrheit" bedeuten.

Stattdessen gehen wir von dem Ziel aus, das wir in unserm Bemühen um Erkenntnis haben.  Wir fragen uns: Was fordern wir von den Antworten auf unsere Fragen?

Wenn wir dies Erkenntnisziel geklärt haben, können wir daraus ableiten, welches die geeigneten Wege sind, um dies Ziel zu erreichen.

Also: Was erwarten wir von der Antwort auf eine Frage?

Als erstes erscheint wichtig, dass die Antwort zu der Frage PASST, die gestellt ist.
Die Antwort muss die mit der Frage formulierte Lücke im Wissen schließen. Um ein Beispiel zu nehmen: wenn gefragt wird: "Wann wird das Länderspiel übertragen?", so ist die Antwort: "Im ZDF" nicht passend.

Weiterhin muss die Antwort WIDERSPRUCHSFREI sein. Wenn die Frage lautet: "Wird das Länderspiel im Fernsehen übertragen?" und jemand antwortet darauf: "Ja und Nein", so ist die Frage damit nicht beantwortet. Eine logisch widersprüchliche Antwort ist so gut wie gar keine Antwort.

Außerdem muss die Antwort die formulierte Lücke in Wissen möglichst weitgehend schließen. Wenn die Frage lautet: "Wird das Länderspiel im Fernsehen übertragen?" und jemand antwortet: "Vielleicht ja, vielleicht auch nicht!", so wird die Wissenslücke durch eine solche Antwort nicht verkleinert. Die Antwort: "Höchst wahrscheinlich wird das Länderspiel übertragen" ist demgegenüber schon besser. Nur die Antwort: "Ja, das Länderspielen wird übertragen" schließt die Wissenslücke ganz.

Vor allem erwarten wir von einer Antwort, dass wir sie nicht nur jetzt sondern auch zukünftig bejahen können, dass wir es also zukünftig nicht bereuen müssen, dass wir diese Antwort unserem Denken und Handeln zugrunde gelegt haben. Wenn wir fragen: "Wann wird das Länderspiel übertragen?" und jemand antwortet: "Heute um 20:30 Uhr", so erwarten wir, dass wir diese Antwort abends immer noch bejahen können und wir uns nicht ärgern müssen, weil die Übertragung bereits um 18:00 Uhr begonnen hat.

Wir warten von einer Antwort also, dass sie zuverlässig ist, dass man sie dauerhaft bejahen kann und dass sie möglichst nicht korrekturbedürftig wird. Oder - etwas gelehrter ausgedrückt - dass sie INTERTEMPORAL stabil ist.

Fragen lassen mehrere Antworten als möglich zu. Wenn man eine Frage beantwortet, dann trifft man also immer eine Auswahl. Wenn diese Auswahl nicht willkürlich oder zufällig sein soll, dann muss es  für die Auswahl dieser bestimmten Antwort Argumente bzw. Gründe geben. Aus der Menge der möglichen Antworten wird man diejenige Antwort auswählen, deren BEGRÜNDUNG "besser" ist als die Begründungen aller anderen möglichen Antworten.

Wenn von einem Individuum A verlangt wird, dass A seinem Denken und Handeln eine bestimmte Antwort zugrunde legt, so kann man dies als "Geltungsanspruch" gegenüber A bezeichnen.  Geht dieser Geltungsanspruch nicht einher mit einer vom betreffenden Individuum nachvollziehbaren Begründung, so kann man dies als einen "DOGMATISCHEN Geltungsanspruch" bezeichnen. Wird dagegen eine intersubjektiv nachvollziehbare Begründung gegeben, so kann man dies als einen "RATIONALEN Geltungsanspruch" bezeichnen. Sofern man keine Antworten will, die man nur glauben kann, muss man nach INTERSUBJEKTIV NACHVOLLZIEHBAR begründeten Antworten suchen,

Damit ist skizziert, welche Antworten wir auf unsere Fragen suchen. Dabei ist es zweitrangig, ob man solche Antworten nun als "richtig", "allgemeingültig" oder "wahr" bezeichnet.

Einverstanden?  fragt Eberhard.

- V
- Eberhard am 17. Jan. 2005, 23:12 Uhr

Hallo doc_rudi,

Du schreibst: "Wir sind es, die die Wahrheit festsetzen. Jeder von uns. Deshalb können wir sie nicht finden wie ein verstecktes Osterei. Du könntest auch sagen: deshalb gibt es mehrere Wahrheiten.
Wenn hier also weiter über DIE Wahrheit gestritten werden soll, dann frage ich nach der Begründung, warum es nur EINE Wahrheit geben soll."

Ich gebe zu, dass ich Schwierigkeiten habe, Dich zu verstehen. Vielleicht kommen wir der Sache anhand eines konkreten Beispiels näher.

Nehmen wir die Erschießung von ca. 3000 polnischen Offizieren bei Katyn während des Zweiten Weltkriegs. Dass dies Massaker stattgefunden hat, wird wohl nicht bestritten. Umstritten ist jedoch, wer dies getan hat. Die einen geben die Antwort: "Das haben deutsche Stellen getan", andere sagen: "Das haben sowjetische Stellen getan" Beide Behauptungen widersprechen sich. Nur eine kann wahr sein.

Wie passen Deine Ausführungen auf diesen Fall?

fragt Eberhard.

- V
- Ambrosius am Vorgestern, 10:07 Uhr

Hallo Wahrheitssuchende,
als ich heute im PhilLex den Begriff "Wahrheit" aktivierte, kam mir dieses entgegen:
Wahrheit
Wahrheit, absolute
Wahrheit, doppelte
Wahrheit, ewige
Wahrheit, klassiche Definition der
Wahrheit, logische
Wahrheit, objektive
Wahrheit, relative
Wahrheitsdefinitheit, Postulat der
Wahrheitsfunktion
wahrheitsfunktionell
wahrheitskonservierende Folgebeziehung
Wahrheitskriterium
Wahrheitskriterium des Euklid
Wahrheitsmatrix
Wahrheitsskeptizismus
Wahrheitstafel
Wahrheitstheorie der Erlanger Schule
Wahrheitstheorie, intersubjektive
Wahrheitstheorie, performative
Wahrheitstheorie, phänomenologische
Wahrheitstheorie, pragmatische
Wahrheitstheorie, prosententiale
Wahrheitstheorie, semantische
Wahrheitstheorie, skeptische
. . . und es ging noch weiter.
Ich kann nur wünschen, dass Ihr die Warhheit findet!
Ich  v e r t r a u e  lieber meinem Gefühl, auch wenn dieses noch mehr gereinigt werden muss, weil wir neben Verstandesirritationen auch Gefühlsirritationen in uns beherbergen.
Ambrosius

- V
- Eberhard am Vorgestern, 19:04 Uhr

Hallo Ambrosius.

Du präsentierst in Deinem Beitrag eine lange und komplizierte Liste von gelehrten Stichwörtern zum Thema "Wahrheit", die auf denjenigen, der nicht gerade Spezialist auf diesem Gebiet ist, und hier nach Antworten auf seine Fragen sucht, eher verwirrend und entmutigend wirken muss.

Deshalb klingt Dein wohlmeinender Wunsch: "Ich kann nur wünschen, dass Ihr die Wahrheit findet!" in meinen Ohren etwas unglaubwürdig.

Offenbar bist Du hinsichtlich der zu erwartenden Ergebnisse auch nicht sehr zuversichtlich, denn Du schreibst: "Ich  v e r t r a u e  lieber meinem Gefühl".

Wenn ich Deine Beiträge lese, dann scheint es mir allerdings, als könnten die Ergebnisse unserer  Diskussion auch für Dich von Nutzen sein.

In Deinem Beitrag zum Thema "Selbsterkenntnis" vom 30.11.04 schreibst Du z. B., dass Du vor Deinem Erdenleben schon existiert hast.

Ich will die Aussage "Ambrosius hat vor seinem Erdenleben schon existiert" einmal beispielhaft anhand der von uns erarbeiteten methodischen Gesichtspunkte erörtern.

Eine Aussage über die Beschaffenheit unserer Welt ist wahr, wenn es so ist, wie diese Aussage besagt.

Wenn die Frage beantwortet werden soll, ob es so ist, so muss zuvor die Bedeutung der Aussage geklärt sein. Das schließt ein, dass die Aussage keine mehrdeutigen oder vagen Begriffe enthalten sollte.

Mit "Erdenleben" ist Dein jetziges Leben gemeint, das mit Deiner Zeugung und Geburt begann.

Mit "existieren" ist das "wirkliche Vorhandensein" eines Objekts gemeint. Beides erscheint unproblematisch.

Probleme könnten jedoch bei der Frage auftauchen, wer oder was existiert hat. In dem genannten Beitrag sprichst Du davon, dass "mein Wesen – mein Ich" existiert hat, nicht jedoch Dein Körper.

Wenn man ein körperloses Wesen als "Geist" bezeichnet, dann lautet Deine Aussage also:
"Der Geist des Ambrosius hat bereits vor dessen Geburt existiert."

Ich denke, diese Formulierung gibt das von Dir Gemeinte richtig wieder.

Wenn die Bedeutung der zu prüfenden Aussage geklärt ist, weiß man gewöhnlich auch, um welche Art von Aussage es sich handelt. Die Aussage, dass etwas zu einer bestimmten Zeit existiert hat, ist sicherlich eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt.

Nun kommen wir zum Entscheidenden, der Begründung dieser Aussage. Eine Aussage über die Beschaffenheit der Welt wird dann zu Recht für wahr gehalten, wenn die daraus logisch ableitbaren Wahrnehmungen mit denjenigen Wahrnehmungen übereinstimmen, die tatsächlich gemacht werden: Wahre Aussagen enttäuschen nicht.

Deine Begründung der Aussage lautet: "… ich weiß, dass mein Körper in meiner Mutter heranwuchs. Die vorhergegangene Verschmelzung von Ei und Samenzelle bestimmte den Anfang meines Körpers.
Eines ist mir Gewissheit, dass ich weder im unbefruchteten Ei noch in der Samenzelle war, da diese beiden ja Produkte in meiner Mutter beziehungsweise in meinem Vater waren.
Es ist ja auch unsinnig, dass sich in jedem Ei oder in jeder Samenzelle ein "Lebewesen" aufhält.
Zwar beinhalten Eizelle und Samenzelle Erbanlagen der Mutter und des Vaters, doch diese wirken sich nur auf den Körper aus!
Demnach muss mein Wesen - mein Ich -  schon vor meiner Geburt existiert haben!"

Ich stelle fest, dass die Begründung, die Du für die zu prüfende Aussage gibst, keinerlei direkten Bezug auf Inhalte irgendeiner Wahrnehmung besitzt. Offenbar hat sich Dein Wesen vor Deiner Geburt in keiner Weise bemerkbar gemacht.

Du leitest die Annahme "Der Geist des Ambrosius existierte bereits vor seiner Geburt" indirekt durch Schlussfolgerungen aus allgemeinen Aussagen über Zeugung und Vererbung beim Menschen ab.

Deine Prämissen sind:

1. Die mütterliche Eizelle und der väterliche Samen enthalten die jeweiligen Erbanlagen.

2. Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht der Körper eines Menschen.

3. Es werden nur körperliche Eigenschaften vererbt.

Daraus ziehst Du den Schluss: "Demnach muss der Geist des Ambrosius schon vor dessen Geburt existiert haben".

Diese Begründung Deiner Aussage ist in verschiedener Hinsicht fehlerhaft:

1. Die Prämisse: "Es werden nur körperliche Eigenschaften vererbt" ist falsch. Die Forschung an eineigen Zwillingen hat gezeigt, dass auch psychische Eigenschaften (" Charakter", "Persönlichkeit" ) vererbt werden.

2. Deine Schlussfolgerung lässt sich aus den von Dir genannten Prämissen nicht ziehen. Dies kann man leicht daran erkennen, dass die Schlussfolgerung eine Aussage über Deinen Geist macht, der Begriff des Geistes jedoch in den Prämissen gar nicht vorkommt.

Mit dieser vielleicht etwas ungewöhnlich detaillierten Kritik an dem, was Du für wahr hältst, und an der Art und Weise, wie Du Deine Überzeugungen begründest, wollte ich demonstrieren, dass auch Du von unserer Diskussion etwas lernen könntest und dass Wissenschaftstheorie und Wahrheitsbegriff keine verwirrenden und unendlich komplizierten Angelegenheiten sind, sondern mit etwas Geduld von nahezu jedermann angewandt werden können.

Es grüßt Dich freundlich Eberhard.

- V
- Ambrosius am Gestern, 12:32 Uhr

Guten Tag, Eberhard,
ich freue mich, dass Du Dir soviel Mühe gemacht hast und auf meinen Beitrag so ausführlich eingegangen bist.
Ich habe mir heute Deine Homepage angeschaut und konnte mehr daraus erkennen. Ein gutes Werk, vielen Dank für Deine Mühe und Arbeit, die Du darin investiert hast.
Zu Deiner wohlgemeinten Kritik möche ich ansagen, dass ich darauf noch zurückkommen werde.
Was mich natürlich interessieren würde wäre die wissenschaftliche Aussage, dass "Charakter" und "Persönlichkeit" vererbt werden.
mi friedvollen Grüssen
Ambrosius

- V
- jacopo_belbo am Gestern, 18:01 Uhr

hallo eberhard,

ich melde mich mit einiger verspätung zu wort - dafür bitte ich zunächsteinmal um entschuldigung. das hat weniger mit den beiträgen zum thema zu tun -obwohl ich mir bei einigen nachwievor unsicher bin, inwieweit sie zur klärung unserer fragen dienen, als vielmehr mit meinem zeitkontingent, das ich derzeit geschickt zu verteilen suche.
nichtsdestotrotz noch einige anmerkungen von mir zum thema:
in deinem letzten beitrag an mich schreibst du:

Zitat:

Wenn es Fragen gäbe über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die wir beantworten könnten, ohne Bezug nehmen zu müssen auf unserer Wahrnehmung, dann wäre das hinsichtlich des Wahrheitskriteriums von großer Bedeutung. Dann stellt sich die Frage, woran wir bei derartigen Aussagen ihre Wahrheit erkennen können.


das zielt in etwa in die richtung die hermeneuticus andeutete: auf eine art transzendentalen standpunkt, der die bedingung der möglichkeit gewisser erkenntnisse thematisiert. allerdings sehe ich hier ein problem, welches in meinen augen nicht unerheblich ist: wie können wir fragen über die beschaffenheit der wirklichkeit beantworten - bzw. stellen, ohne jegliche bezugnahme auf unsere wahrnehmung. fragen solcherart sind keine fragen über die beschaffenheit der wirklichkeit, sondern sind fragen die logischer natur sind; z. B. 7+5=12.

Zitat:

" Alles, was geschieht, geschieht in Raum und Zeit


dieser satz drückt für mich nichts von der wahrnehmung unabhängiges aus. in diesem punkt sind wir wohl beide der gleichen meinung. schwierig ist allerdings eine antwort auf die nachfolgende frage

Zitat:

Die Dimensionen von Raum und Zeit sind im Begriff der Wahrnehmung enthalten" selber kein Satz über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Oder?


ich denke, dass die dimension der räumlichkeit selbst, ebenso wie die dimension der zeitlichkeit sehr wohl genuine wahrnehmungsbegriffe sind. wenn wir z. B. an die unterteilung des visuellen feldes denken, wenn wir an die motorik unseres körpers denken, die es uns ermöglicht, uns in unserer umwelt zu bewegen, mit ihr zu interagieren, so läßt es sich schwer von der hand weisen, dass eine enge verbindung zwischen raum und raumwahrnehmung besteht - analoges denke ich, gilt mit einschränkung auch für zeitliche wahrnehmung.
und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.


Zitat:

Ich schlage deshalb vor, die Perspektive einmal umzukehren und nicht rekonstruierend sondern konstruierend an das Problem heran zu gehen.


damit denke ich, sind wir einen guten schritt vorangekommen. viele "pseudo-probleme" stellen sich in dieser fragestellung nicht.

Zitat:

Stattdessen gehen wir von dem Ziel aus, das wir in unserm Bemühen um Erkenntnis haben.  Wir fragen uns: Was fordern wir von den Antworten auf unsere Fragen?


in diesem punkt denke ich ähnlich.
die wahrheit einer aussage gestaltet sich relativ zu dem, was in ihr ausgesagt wird, bzw. von demjenigen, wonach gefragt ist. wenn ich an mein oftmals wiederholtes beispiel vom schuhekaufen denke, leuchtet ein, weshalb dieser weg sinniger ist, als die vielen anderen wege, die vorgeschlagen worden sind.
wenn wir eine frage stellen, sollten wir uns im klaren darüber sein, welche antwort wir erwarten.
wenn wir danach fragen, wer der aktuelle bundeskanzler ist, so ist es wenig sinnig zu sagen, es sei "helmut kohl". helmut kohl ist zwar eine person auf die es einmal zutraf, bundeskanzler zu sein - er ist jedoch nicht der aktuelle, d. h. am 19.01.2005, bundeskanzler. in diesem sinne ist die aussage "helmut kohl ist der aktuelle bundeskanzler" im kontext des jahres 2005 falsch.
dementsprechend stimme ich dir nur bedingt deiner forderung zu:

Zitat:

Wir warten von einer Antwort also, dass sie zuverlässig ist, dass man sie dauerhaft bejahen kann und dass sie möglichst nicht korrekturbedürftig wird. Oder - etwas gelehrter ausgedrückt - dass sie INTERTEMPORAL stabil ist.


die aussage, helmut kohl sei bundeskanzler, muss nicht intertemporal stabil sein, sondern vielmehr -ich entlehne einen begriff aus der mathematik/informatik- es muss entscheidbar sein, ob dem so ist, oder nicht. der vorteil bei meiner forderung besteht darin, z. B. paradoxa wie das um den kretischen lügner "außen vor" zu lassen. das paradoxon des kretischen lügners ist kein entscheidbares problem. insofern weder wahr noch falsch, sondern schlicht nicht entscheidbar.
wenn wir fragen, ob der schreibtsich vor mir aus dem und dem möbelhaus stammt, so müssen wir ein verfahren besitzen, das zu bestimmen. ebenso, wenn wir die frage nach der länge des tisches stellen. je nachdem welches verfahren wir berücksichtigen, fällt die antwort "dieser tisch hat die länge nn cm" so oder so aus, und eine zuvor gemachte aussage ist wahr oder stellt sich als falsch heraus.
dementsprechend sind allgemeingültige aussagen, diejenigen deren entscheidbarkeit sich durch nur eine art und weise der entscheidung auf eine ja/nein antwort festlegen lassen.

- mfg thomas

- V
- Dyade am Gestern, 20:48 Uhr

"...  und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit." (thomas j.)

Lieber Thomas,

ich glaube nicht das du dir den Zorn der Kantianer zuziehen wirst. Ich schätze die sehen eine solche Totalignoranz von Kants Kernaussage gelassen. Viel schwieriger für einen Kantianer ist es wohl den Zorn im Zaum zu halten wenn jemand kommt der die Problemstellung, deren Lösung Kant sich zur Aufgabe gemacht hat, klar erkennt, diese dann aufnimmt und DANN versucht weiter zu denken. Beispiel ist dafür Heidegger mit seiner Referenz auf Kant in 'Sein und Zeit'.

Grüße
Dyade

- V
- Hermeneuticus am Gestern, 21:18 Uhr

Hallo Thomas!


Zitat:

und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.


:-)
Du ziehst Dir allenfalls den milden Tadel zu, Kant nicht gründlich genug gelesen zu haben. Denn Kants "Transzendentale Analytik" handelt ja von nichts anderem als der "Beschaffenheit der Wirklichkeit". Dabei ist unter "Wirklichkeit" allerdings zu verstehen DIE ALLGEMEINE STRUKTUR ALLES WIRKLICHEN, über das wir jeweils einzelne Aussagen machen können.

Wenn Du behauptest, dass die "Wirklichkeit" ETWAS ANDERES sei als das, was wir erfahren und in Aussagen thematisieren können, dann vertrittst Du einen "un-kantianischen" Standpunkt. Allerdings dürftest Du Schwieirgkeiten haben, uns den Unterschied zwischen den beiden Wirklichkeiten zu erklären (denn Du müsstest Dich ja in Deinen Aussagen darüber auf die Erfahrung stützen).
Dieser Unterschied ist also völlig irrelevant. Nichts anderes ist Kants Fazit: Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können.


Gruß
H.

- V
- eiweiss am Gestern, 22:09 Uhr

" Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können."


aufgepaßt! jetzt wirds romantisch. bin momentan hemmungslos liebestrunken:

sagen die verliebten nicht: "ich sehe die welt mit deinen augen" ? [smiley=googlyeyes.gif]

die liebe...wunder aller wunder

- V
- Verena am Gestern, 23:52 Uhr


on 01/19/05 um 22:09:32, eiweiss wrote:

...
aufgepaßt! jetzt wirds romantisch. bin momentan hemmungslos liebestrunken:

sagen die verliebten nicht: "ich sehe die welt mit deinen augen" ? [smiley=googlyeyes.gif]

die liebe...wunder aller wunder



Was beweist, dass nicht nur der Verstand, sondern auch die Liebe Intersubjektivität herstellen kann.   ;-)

Verena

- V
- Verena am Heute, 00:13 Uhr


on 01/19/05 um 18:01:42, jacopo_belbo wrote:

...und ich bin geneigt zu sagen, dass räumlichkeit selbst -auch wenn ich mir den zorn der kantianer auflade- ein phänomen der wirklichkeit ist, also: räumlichkeit als beschreibung von verhältnissen von dingen in der wirklichkeit oder "beschaffenheit" der wirklichkeit.



Hallo Thomas,
ist Räumlichkeit für dich nun
a) ein "phänomen der wirklichkeit", also etwas Wirkliches, oder
b) Beschreibung (von verhältnissen von dingen in) der Wirklichkeit.
Also da solltest du dich schon entscheiden. ;-)

Im Falle von (a) gibt es da einige Passagen in der KdrV (Transzendentale Ästhetik) gegen das An-sich-Sein und für den transzendentalen Charakter von Raum und Zeit. Diese Kantschen Argumente müsstest du dann widerlegen und auch eine Erklärung dafür geben wie sich zB Geometrie auf unsre empirische Wirklichkeit beziehen lässt.
Aber diese Kleinigkeiten schaffst du ja sicher mit links. ;-)

Gruß
Verena

- V
- Hermeneuticus am Heute, 01:03 Uhr

Hallo Verena, hallo Eiweiß!


Zitat:

Was beweist, dass nicht nur der Verstand, sondern auch die Liebe Intersubjektivität herstellen kann.


Nun, wenn man Eiweißens Rede von der Liebes-TRUNKENHEIT ernst nimmt, scheint doch eher Inter-OBJEKTIVITÄT der passende Ausdruck zu sein. Aber das ist ja auch schon mal was.
:-)

Gruß und Glückwunsch
H.

- V
- jacopo_belbo am Heute, 14:35 Uhr

hallo verena (und natürlich auch ein hallo an alle andern),

da wir das glück haben, hier in keinem kant-seminar zu sitzen, denke ich, kann ich mich auch der vorläufigen widerlegung kants traqnszendentaler analytik entledigen - zumal die nicht das eigentliche thema ist.
sieh es als klugen schachzug an, mich um meine antwort zu drücken, oder einfach als thematisch begründeten einwand, nicht vom thema abzuschweifen.


Zitat:

ist Räumlichkeit für dich nun  
a) ein "phänomen der wirklichkeit", also etwas Wirkliches, oder  
b) Beschreibung (von verhältnissen von dingen in) der Wirklichkeit.
Also da solltest du dich schon entscheiden.



ich sehe nicht, dass ich mich zwischen einem von beidem entscheiden müßte. das, was mit "räumlichkeit" gemeint ist, ist abhängig vom blickwinkel, vom diskursorischen kontext abhängig.
wenn sich gegenstände in meinem wahrnehmungsfeld durch ihre position unterscheiden, so liegt das darin begründet, dass sich diese gegenstände an räumlich unterschiedlichen positionen befinden. insofern ist die räumlichkeit die thematisiert wird, ein phänomen der wirklichkeit. dass z. B. mein kater seinen freßnapf -den ich gerade fülle- an der selben position sieht wie ich, liegt daran, dass der freßnapf sich an einer position in der küche befindet, die uns beiden zugänglich ist.

unter anderem gesichtspunkt ist räumlichkeit kein phänomen der wirklichkeit, sondern ein beschreibungsphänomen. wenn ich z. B. einen roboter programmiere, eine karte meines wohnzimmers anzulegen, und er versieht diese karte mit einem internen koordinatensystem, so wäre es nicht unbedingt gerechtfertigt zu sagen, mein stuhl befindet sich objektiv bei (120,120,0). ebenso verhält es sich mit der sprachlichen benennung der verhältnisse im raum. nicht in jedem falle ist es gerechtfertigt, zu sagen, der gegenstand A befindet sich hinter dem gegenstand B - man denke daran, dass man die perspektive unter welcher man einen gegenstand betrachtet miteinbeziehen muss. schon als kind lernt man das entsprechende sprachliche verhalten. (mir fällt dabei gerade die sesamstraße ein; dort gibt es einen ausschnitt, in welchem grobi den kindern den unterschied zwischen "hier" und "dort" erklärt, und mühselig zwischen beiden punkten hin- und hersprintet.)
wir haben also einerseits z. B. gegenstände die so und so angeordnet sind,  andererseits eine sprachliche beschreibung die an die lage der gegenstände anknüpft. ich sage deshalb anknüpft, um das problem einer restriktiv verstandenen abbildtheorie zu vermeiden.
noch einige worte zu hermeneuticus:

Zitat:

den milden Tadel zu, Kant nicht gründlich genug gelesen zu haben


das gebe ich gern zu. kant war noch nie mein steckenpferd ;)

Zitat:

Was wir "Wirklichkeit" nennen, ist das, was wir erfahren können. Und über die Struktur dieser Wirklichkeit können wir nichts anderes sagen als das, was wir über die Struktur der von uns erfahrenen Wirklichkeit sagen können.


das ist die eine hälfte von kants argumentation in der TzA, die ich für die wichtigere halte: der empirische realismus.
worüber wir aussagen treffen können, ist dasjenige, was uns auch zugänglich ist. alles andere unterliegt müßiger spekulation. allerdings verstehe ich bei kant nicht, warum er differenziert zwischen der wirklichkeit an sich, die uns scheinbar nicht zugänglich sein soll (dennoch affiziert uns -nach kant- das DingAnSich?) und der empirischen wirklichkeit, also der wirklichkeit, wie wir sie letztlich erfahren.
meine position besteht nun darin, nicht zu differenzieren. das, was wir wahrnehmen ist zumindest ein ausschnitt der wirklichkeit - und keine bloß erscheinende, sozusagen zweite wirklichkeit.

- mfg thomas

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- V
- Eberhard am Heute, 14:45 Uhr

Hallo allerseits,

nochmals zu der Frage, ob es Aussagen über die Wirklichkeit gibt, deren Wahrheit unabhängig von jeder Wahrnehmung feststeht.

Ich halte es dabei für sinnvoll, dass wir dieser Frage nachgehen, ohne unsere Diskussion dadurch zusätzlich zu belasten, dass wir sie mit Fragen nach der richtigen Interpretation bestimmter Autoren verknüpfen. Also nochmals mein Appell: Bitte keine Verweise auf die Literatur sondern die einschlägigen Argumente des Autors einbringen.

Die Diskussion bezog sich vor allem auf den Satz: "Alles, was geschieht, geschieht im Raum und Zeit". Das heißt, dass die Wirklichkeit räumlich und zeitlich angeordnet ist, dass alles was existiert, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort existiert.

Bestritten werden diese Aussagen wohl von keinem Teilnehmer dieser Runde.

Der Unterschied besteht darin, dass die einen sagen: "Die Kategorien Raum und Zeit werden von uns zusammen mit den Objekten wahrgenommen, sie werden durch unsere Wahrnehmung gewonnen",

während die andern sagen: "Die Kategorien Raum und Zeit machen unsere Wahrnehmungen erst möglich, sie konstituieren unsere Wahrnehmung".

Meine Frage an die zweite Gruppe: Wenn die Kategorien Raum und Zeit nicht der Wahrnehmung entstammen, woher stammen sie sonst?

Für "denknotwendig" halte ich die Kategorien von Raum und Zeit jedenfalls nicht. Ich verweise hier auf meine besondere Spezies des ortsfest lebenden "Nasenwurzes", der nur über den Geruchssinn verfügt und für den räumliche Begriffe wie "hier" und "dort", "vor" und "hinter" oder "über" und "unter" keinen Sinn haben, weil die von ihm wahrgenommene Welt nicht räumlich geordnet ist.

Es grüßt Euch Eberhard.

p.s.: Ich werde demnächst einen neuen Thread eröffnen müssen, da Ihr so fleißig geschrieben habt.

 

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