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Das Mehrheitsprinzip - Rechtfertigung und Kritik

(Diskussion bei Philtalk)

 


PhilTalk Philosophieforen Praktische Philosophie >> Politische Philosophie, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsphilosophie >> Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
(Thema begonnen von: Eberhard am 2007-04-21, 15:12 Uhr)



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Titel: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-21, 15:12 Uhr
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Hallo allerseits,

in dieser Diskussionsrunde soll die in der Verfassung festgelegte Norm diskutiert werden, dass die (einfachen) Gesetze im Wesentlichen durch einen Mehrheitsbeschluss des Parlaments zustande kommen. Das Parlament wiederum geht aus Wahlen hervor, bei denen diejenige Person das (Direkt-)Mandat bekommt, der die meisten Stimmen in dem jeweiligen Wahlkreis erhält. (Zusätzlich werden den Parteien dann weitere Mandate entsprechend dem Verhältnis ihrer Stimmenanteile zugeordnet.)

Aber auch in anderen Bereichen wird gewählt oder abgestimmt, und derjenige Vorschlag gilt als kollektiv gewählt und damit als normativ verbindlich für alle, der die meisten Stimmen erhält.

Die grundlegende Rechtfertigung dieses Verfahrens der Normsetzung sehe ich – etwas locker formuliert – darin, dass es besser ist, das zu tun, was den Interessen vieler entspricht, als das zu tun, was den Interessen weniger entspricht.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung und Kriti
Beitrag von hedgi am 2007-04-21, 17:30 Uhr
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Im Prinzip fände ich diese Idee ganz gut, wenn …… ……… es denen mit dem Geld nicht gelänge, den Volkswillen auszuhebeln.

Das gelinkt ihnen über
die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und gaukeln der Mehrheit Meinungsvielfalt vor.


über Institutionen, die vorgeschoben werden können, um unerwünschte sowie störrische Konkurrenz, die die Macht im Hintergrund, die Lobby, enttarnen könnte, zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, beseitigen.


Abbau der allgemeinen Moral, dort wo sie hinderlich ist, falls sich jemand an käufliche Erwerbung von Politikern stören sollte.

Im Prinzip müsste nur noch das Ergebnis dieses Verfahrens
Quote:Die grundlegende Rechtfertigung dieses Verfahrens der Normsetzung sehe ich – etwas locker formuliert – darin, dass es besser ist, das zu tun, was den Interessen vieler entspricht, als das zu tun, was den Interessen weniger entspricht.


umgesetzt werden.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung und Kriti
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-21, 18:56 Uhr
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Hi, Eberhard,

Gutes Material dazu: Jean-Jaques Rousseau, insbesondere die Unterscheidung zwischen Gesamtwille (Wille der Mehrheit, wie mit Wahlzetteln zu zählen, der Mittelwert aller persönlichen Interessen) und Gemeinwille (was die Gesellschaft gewollt hätte, hätte sie nur eine Stimme).

Die Problematik - die Messung des Gemeinwillens.

Wenn Du eine Methode hast, den Gemeinwillen zu messen, sicher gegen Manipulation, dann hast Du mein volles Interesse.

Aber ganz und gar nicht in Frage kommt eine Regelung, die einer Minderheit die Gewalt über die Mehrheit zuschreibt.


Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-21, 21:49 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Hedgi,

Du schreibst, dass Du die Anwendung des Mehrheitsprinzips im Prinzip bejahst ((„im Prinzip fände ich diese Idee ganz gut“), dass allerdings die Reichen den Willen der Wähler manipulieren („die mit dem Geld hebeln den Volkswillen aus“).

Diese Manipulation geschehe über die Medien, die wenigen Reichen gehören, und in denen keine Meinungsvielfalt herrscht („die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und gaukeln der Mehrheit Meinungsvielfalt vor“).

Willst Du damit behaupten, dass das Aufkommen der Grünen und die Mandate der Linkspartei im Bundestag durch Personen bewirkt wurden, die über das größte Vermögen verfügen, wie z. B. die ALDI-Brüder?

Deine beiden andern Punkte habe ich nicht verstanden.

Ich stimme Dir grundsätzlich darin zu, dass das Einbringen der eigenen Interessen durch die Individuen selber – wie es bei Wahlen geschieht - nur Sinn macht, wenn diese Individuen auch in der Lage sind, ihre eigenen Interessen selber hinreichend zu erkennen.


Hallo Wolfgang,

Du befürwortest auch das Mehrheitsprinzip („ganz und gar nicht in Frage kommt eine Regelung, die einer Minderheit die Gewalt über die Mehrheit zuschreibt“).

Allerdings finde ich in Deinem Beitrag dafür keine Begründung.

Die Verweise auf Rousseau geben auch keine Begründung des Mehrheitsprinzips. Eher enthalten sie eine Kritik, denn die Gesellschaft sollte ihren Willen offenbar einstimmig ausdrücken („was die Gesellschaft gewollt hätte, hätte sie nur eine Stimme“).

Insofern finde ich Deinen Betrag eher verwirrend.

Grüße an alle von

Eberhard.





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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-22, 09:36 Uhr
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Ach, Eberhard,

Du: Allerdings finde ich in Deinem Beitrag dafür keine Begründung.

Du willst eine Begründung für die Demokratie?
Ich schreibe "ach", weil ich keine Abhandlung über Gesellschaftslehre schreiben will.

Eine allgemeingültige Begründung ist nicht denkbar, wenn sie für Gesellschaften Ungebildet-Gläubiger gelten soll wie auch für Gesellschaften Gebildet-Aufgeklärter.

Diese These begründe ich nicht wegen Faulheit. Sondern nur, wenn Du mir mehrere Gläser Rotwein spendierst.

Ich begnüge mich hier mit der Begründung, die für uns interessant ist, für Gesellschaften. in denen diese Weisheit gilt:
"Die Kunst des Managements besteht ohnehin darin, mit weniger Wissen, als es die Mitarbeiter haben, diese zu führen." (Bernd Pischetsrieder)

Offensichtlich: Gesellschaften, ob Unternehmen, Religionsgemeinschaften oder Nationen, konkurrieren miteinander.

Annahme: In der Konkurrenz gewinnt von Gesellschaften mit vergleichbaren Voraussetzungen wie Ressourcen eher diejenige Gesellschaft, die Chancen und Gefahren schneller erkennt und treffender darauf reagiert, die ihre Ressourcen geschickter nutzt.

Definition: Als "gut" gelte, was dem Überleben der Gesellschaft nutzt. "Böse" sei, was ihm schade.

In einer "Pischetsrieder-Gesellschaft" erfordert dies das engagierte Mitdenken der Qualifizieren.

Nun vergleichen wir zwei Gesellschaftsformen:
a) nach dem "Minderheitenprinzip", je kleiner eine Partei der Regierungswilligen, desto mehr Rechte stehen ihr zu. Beispiel Die Theokratie, die Diktatur unter dem Deckmantel einer Religion.
b) nach dem "Mehrheitsprinzip, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", je Kopf eine Stimme, die Mehrheitsentscheidung schlägt jede Minderheitenmeinung - und sei letztere auch noch so klug aus der Sicht dessen, der sie vertrat.

Ergebnis:
Die Demokraten wurschteln sich so durch, wie wir das erleben. Kein großer Glanz, weil der hehre Gedanke der Brüderlichkeit im Konkurrenzkampf untereinander zerbeult und zerkratzt wurde.
Nach meinem Geschmack zu viel vom "jeder für sich, jeder gegen jeden, und die gemeinsam gewählte Regierung gegen alle".

Die Theokraten dezimieren sich gegenseitig wegen Unfähigkeit zum Konsens, Glaubige können ihren Glauben nur durchsetzen, wenn sie ihre Kritiker, Zweifler und Widerspenstige auf dem Scheiterhaufen vernichten - oder wie Hitler mit Gas.
Die Zwangsherrschaft der siegreichen Religion demotiviert die überlebenden Qualifizierten völlig, die Theokratie vernichtet ihren Wettbewerbsfaktor "Mitdenken", die Theokraten verlieren, bis das Volk sie stürzt oder eine andere Nation einmarschiert.


So, Eberhard, jetzt darfst Du Dein Konzept vorstellen und begründen.


Ciao

Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-22, 14:55 Uhr
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Ach Wolfgang,

was haben diese krausen Gedanken mit der Fragestellung zu tun ...

Im Reich der Manager, aus dem Du so gern Deine Erfahrungen holst, wird ja nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, sondern eher nach dem hierarchischen Prinzip, in dem es Vorgesetzte und Untergebene gibt.

Früher nannte man das hierzulande auch "Führerprinzip". Davon gibt es immer noch zahlreiche Anhänger, die die Vorteile einer solchen Entscheidungsstruktur nennen können:

Man verliert keine kostbare Zeit mit langem Palaver und Gezänk.

Die Entscheidungen treffen nicht die vielen kleinen Lichter sondern der Fähigste.

Die Reibungsverluste durch ständige Opposition entfallen.

Drückebergerei und Faulenzertum können sich nicht breitmachen, weil jeder in seinen Fähigkeiten erfasst und an den für ihn geeigneten Platz gestellt wird.

Ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf die langsamen Köpfe der Vielen können kühne Strategien beschlossen und in großem Stil durchgesetzt werden.

Das Mehrheitsprinzip ist das, was dem Heerdenmenschen behagt, weil es den großen Geistern und den großen Zielen die Kraft nimmt.

Grüße an alle, die schon mal über die Grundprinzipien der politischen Systeme nachgedacht haben, von

Eberhard.



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-22, 19:41 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: Im Reich der Manager, aus dem Du so gern Deine Erfahrungen holst, wird ja nicht nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, sondern eher nach dem hierarchischen Prinzip

Eine logische Folge aus der Verteilung der Risiken.
Beispiel: Eine Genossenschaft, eine Gesellschaft aus Genossen mit gleichen Risiken durch gleiche Anteile.
Hier kann der Manager mit den Genossen unter seinen "Mitarbeitern" nicht so umgehen, wie es der geschäftsführende Gesellschafter mit seinen Arbeitnehmern kann.


Du: "Führerprinzip"

Ich habe gegen diese Wortwahl sehr viele Bedenken gehört, immer in Anspielung an 1933..1945.

Ich bevorzuge "Entscheider", der. das letzte Wort hat - und dessen Mitarbeiter ihm das auch lassen.

Du: Man verliert keine kostbare Zeit mit langem Palaver und Gezänk.

Lucius Quinctius Cincinnatus, Rom, Frühgeschichte. Mein Ideal eines Diktators. Pflügte auf seinem Feld, der Senat bestimmte ihn zum Diktator, damit er Rom rette, er rettete Rom uind kehrte zurück auf sein Feld.
Aber seitdem ist mir kein ähnlicher Fall bekannt.


Du: Die Entscheidungen...sondern der Fähigste, ...Reibungsverluste... entfallen, Drückebergerei und Faulenzertum können sich nicht breitmachen, weil jeder in seinen Fähigkeiten erfasst und an den für ihn geeigneten Platz gestellt wird... können kühne Strategien beschlossen und in großem Stil durchgesetzt werden.

So träumen die Basta-Manager bis hin zu Gerhard Schröder.

Kürzen wir es ab: Die angeblichen Vorteile zählt immer der Möchtegern-Diktator auf, der wahrscheinlich einen größeren Mangel an Selbstkritik hat als andere, die sich nicht berufen fühlen.
Wenn es ihm gelingt, die Mehrheit zu gewinnen mit Sprüchen wie "es wird nicht alles anders, aber vieles besser", nun, dann hat er das Mandat der Mehrheit.

Du: Das Mehrheitsprinzip ist das, was dem Heerdenmenschen behagt, weil es den großen Geistern und den großen Zielen die Kraft nimmt.

Aha, gibts den? Eine besondere Rasse vielleicht?
Ich erlebe an mir selbst: Wo ich mich für geschickt halte und die Aufgbe es erfordert, da gehe ich gern voran. Aber schon bei der Aufgabe "Haareschneiden" lasse ich lieber einem gelernten Friseur das Kommando.
Das, was Du dem "Herdenmenschen" als unveränderliches angeborenes Merkmalö zuschreibst, das interpretiere ich als Folge der Umstände.

Ein erschreckend hoher Anteil von Basta-Managern teilt Deine Meinung und bestätigt sie sich mit selbsterfüllenden Prophezeihungen. "Management by Champion - Mitarbeiter mit Mist bewerfen, herausragende Köpfe abschneiden" ist ein sicheres Mittel, daß am Ende nur noch innerlich gekündigte Knechte übrig bleiben oder die eine Guillotine aufstellen, das heißt heute: Ihren Vorgesetzten auflaufen lassen.


Aber keine Einwände gegen meinen Vergleich der beiden Gesellschaftsformen?

Danke.


Ciao
Wolfgang Horn


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-23, 10:30 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,

zu Deinem Vergleich zwischen Theokratie und Demokratie: In der Kunst nennt man so etwas wohl ein 'Fresco'. Ich bin mehr für ganze Sätze und logischen Aufbau, auch wenn's nicht so genialisch wirkt.

Übrigens: Das Mehrheitsprinzip ist vielleicht das Herzstück der Demokratie, aber es macht keineswegs die ganze Demokratie als Staatsform aus: dazu gehören noch Verfassungsstaat, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, legale Opposition, Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Menschen- und Bürgerrechte, um nur das Wichtigste zu nennen.

Die Kritik an den riesigen Entscheidungskosten eines reinen Mehrheitsprinzip, bei dem ja alle über alles abstimmen müssten, ist m. E. berechtigt.

Im Bundestag werden pro Jahr hunderte von Gesetzen und Gesetzesänderungen beschlossen. Dazu kommen Tausende von staatlichen Verordnungen auf den verschiedenen politischen Ebenen. Außerdem müsste noch über die Einzelentscheidungen abgestimmt werden, die jetzt die Regierung und die Ministerien treffen. Niemand könnte sich auch nur einen Bruchteil der Informationen beschaffen und sie entscheidungsreif verarbeiten, um über diese Normen und Einzelentscheidungen mit dem nötigen Sachverstand abstimmen zu können.

Insofern ist die „Basisdemokratie“, in der alle kollektiven Entscheidungen von den einzelnen Staatsbürgern beschlossen werden, undurchführbar.

Die Wahl von politischen Vertretern, die zur Entscheidung bevollmächtigt sind, ist deshalb sinnvoll. Allerdings haben diese Vertreter ein Eigeninteresse, das sich mit den Interessen derer, die sie vertreten sollen, nicht decken muss. Eine zeitliche Befristung der Vertretung und der Wunsch, wiedergewählt zu werden, sind eine wichtige Vorkehrung, damit die Abgeordneten im Sinne ihrer Wählerschaft handeln. Aber dies Motiv reicht keineswegs aus, vor allem wenn dagegen finanziell lukrative „Beraterverträge“ und Anschlussjobs stehen.

Es gibt zusätzlich die zweite Stufe der Vertretung. Die Versammlung der Abgeordneten, das Parlament, ist zwar die Stätte, wo die Probleme des Gemeinwesens besprochen werden, wie der Name schon sagt, aber die laufenden Entscheidungen werden von einem geschäftsführenden Ausschuss und seinem Vorsitzenden getroffen - was in Deutschland ausgedrückt wird durch den Satz der Verfassung: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“. Dieser Kanzler wird von den Abgeordneten des Bundestags für eine begrenzte Zeit nach dem Mehrheitsprinzip gewählt und kann auch mehrheitlich wieder abgewählt werden.

Dem Bundestag verbleibt neben der Kontrolle der Regierung vor allem die Entscheidung über die Gesetze, also über die generellen Normen für das Handeln der Staatsbürger und Einwohner.

Während das Problem der Informations- und Entscheidungskosten eher technischer Natur ist, gibt es ein anderes schwerwiegendes Problem bei der Anwendung des Mehrheitsprinzips, das gewöhnlich unter der Überschrift: „Minderheitenschutz“ abgehandelt wird.

Mich wundert, dass keinerlei Stellungnahme in dieser Richtung gekommen ist, obwohl in manchen Diskussionen bei PhilTalk heftigst politisiert und polemisiert wird. Die politische Philosophie scheint in Deutschland ein Dasein als Mauerblümchen zu fristen.

Diesen Eindruck hat zumindest

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-04-23, 16:39 Uhr
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Hi Eberhard,


Quote:… Mehrheitsprinzips im Prinzip ganz gut, Reichen hebeln mit ihrem Geld den Volkswillen aus

Diese Manipulation geschehe über die Medien, die wenigen Reichen gehören, und in denen keine Meinungsvielfalt herrscht („die Medien. Sie sind in wenigen Händen vereinigt und gaukeln der Mehrheit Meinungsvielfalt vor“).

Willst Du damit behaupten, dass das Aufkommen der Grünen und die Mandate der Linkspartei im Bundestag durch Personen bewirkt wurden, die über das größte Vermögen verfügen, wie z. B. die ALDI-Brüder?

Deine beiden andern Punkte habe ich nicht verstanden.


Die anderen beiden Punkte sind so zu verstehen, Verhinderung von:




Verdrängung unliebsamer Konkurrenz, wenn es sein muss, mit unlauteren Mitteln per Gerichtsbeschluss.


Verharmlosung von Korruption und sie in Parlaments-Ausschüssen versacken zu lassen, bis das Thema durch einen neuen Skandal in Vergessenheit geraten ist.


Das Nebenthema zum Mehrheitsprinzip, die Grünen sowie die Linke offenbaren das ganze Dilemma, das wir mit dem bei uns praktizierten Mehrheitsprinzip haben.

Im Grunde genommen möchte das Volk an der Gestaltung der Politik beteiligt sein. Das Volk nimmt es schon wörtlich mit der Semantik des Begriffs Volksherrschaft. Die Entfremdung der Bedeutung dieses Begriffs ist bereits soweit fortgeschritten, dass bereits kaum jemand mehr weiß, dass Demokratie das gleiche heißen soll. Die Grünen etablierten sich zu einem Zeitpunkt als viele Wähler bereits desillusioniert waren, weil ihnen keine Wahlalternativen bis auf die bekannten drei etablierten Parteien geboten wurden, die sich inhaltlich bis auf drei Buchstaben in ihrem Namen kaum unterschieden. Deshalb wurden die Grünen als Wahlalternative von einigen Wählern gern angenommen. Als sie es schließlich in den Bundestag schafften, waren sie leider verbraucht. Diese Partei scheiterte an sich selbst, obwohl sie im Parlament noch vor sich hin dümpelt. Ihr Problem ist, diese Partei wird von zu unterschiedlichen Persönlichkeiten vertreten. Ihre Vertreter deckten oder decken noch das Spektrum zwischen allen möglichen extremen Rändern ab. Das reicht von ehemaligen Mitgliedern der verbotenen KPD bis zu einem Mitglied einer Burschenschaft, in denen das Deutschlandlied aller drei Strophen gesungen wird. Da hilft auch nichts, wenn sich ein Mitglied bemüht, völlig unpolitisch sich als Dosenexperte zu profilieren. Die Linke hat die Chance den Platz der SPD einzunehmen, da diese Partei den Raum der Sozialdemokratie aus unerklärlichen Gründen geräumt hat. Es liegt nun am rhetorischen Geschick der Linken, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen, um sich dauerhaft zu etablieren. Ist das erst einmal vollbracht, würde die SPD niemand mehr vermissen. Es würde auf jeden Fall das politische Leben neu beleben, wenn es wieder sichtbare Unterschiede in den Programmen der Parteien gäbe.

Den Punkt hast du mit deiner rhetorischen Frage, wer die Grünen und die Linke finanziell unterstützt hat, genannt. Damit ist gesagt, wer die Medien beherrscht, bestimmt die politische Richtung. Damit ist klar, eine Partei wie die Grünen konnten keine Petra Kelly in ihren Reihen vertragen, die zu ihren Idealen stand und für kein Geld der Welt käuflich war. Gebraucht wurde ein Chamäleon, das dann endlich in Fischer gefunden wurde.

Das Mehrheitsprinzip ist längst unterlaufen. Es kann sich in Deutschland, selbst bei Betriebsratswahlen, niemand mehr direkt wählen lassen, er muss sich zuvor in einer Liste aufstellen lassen, die zur Wahl gestellt wird. Das hat zur Folge die zuvorderst Platzierten in jeder Liste können wir nicht loswerden.

Um nun neue Ideen propagieren zu können, braucht eine neue Initiative ein Sprachrohr um sich bei seinen Adressaten zu artikulieren.

Deshalb ist meine Forderung, jegliche Kopplung von Medien an eine andere mächtige Organisation muss unterbunden werden. das Publizieren von politischen, gesellschaftlichen und auch religiösen Vorstellungen darf nicht behindert werden, es sollte die habermassche Forderung nach einem herrschaftsfreien Diskurs Vorrang vor egoistischen Interessen irgendwelcher Lobbyisten haben. das heißt, wir sollten wieder Mut zu verbalen Auseinandersetzungen finden.

Das würde auch unseren momentanen Marsch, denn inzwischen treffen Gerichte bei uns die politischen Entscheidungen, von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einer Juriskratur, unterbrechen.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-23, 20:56 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Hedgi,

Du schreibst:"Im Grunde genommen möchte das Volk an der Gestaltung der Politik beteiligt sein. Das Volk nimmt es schon wörtlich mit der Semantik des Begriffs Volksherrschaft."

Ich hatte in meinem vorhergehenden Beitrag dargelegt, warum es unmöglich ist, dass alle über alles abstimmen. Die erforlichen Informatins- und Entscheidungskosten wären nicht zu bewältigen.

Nun schreibst Du, dass das Volk an der Gestaltung der Politik beteiligt sein möchte. Vor nicht allzu langer Zeit nannte man das auch "partizipatorische Demokratie".

Meine Fragen an Dich:

Woher weißt Du, was das Volk möchte?
Wer ist "das Volk"?
Was meinst Du mit "beteiligt sein" an der Gestaltung der Politik?

Es grüßt dich und alle andern

Eberhard.

p.s.: Deinen Vorschlag, jegliche Koppelung von Medien an andere mächtige Organisationen zu unterbinden, halte ich für problematisch. Dürften dann die Gewerkschaften und Parteien keine Zeitungen mehr herausgeben?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Berny am 2007-04-23, 21:46 Uhr
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on 04/23/07 um 10:30:55, Eberhard wrote:Hallo allerseits, ..........

..........[.............].............

Die politische Philosophie scheint in Deutschland ein Dasein als Mauerblümchen zu fristen.

Diesen Eindruck hat zumindest

Eberhard.


Dein Eindruck täuscht dich nicht, denn politische Philosophie und philosophische Wahrheit sind nur in einem gewagten Drahtseilakt in „schwindelnder“ Höhe vereinbar.

MfG Berny


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-04-23, 22:51 Uhr
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Hi Eberhard,


Quote:Woher weißt Du, was das Volk möchte?



Wenn das Volk dumm gehalten wird, weil es sich so bequemer regieren lässt, wird es dumm bleiben. So präsentierten sich auch die Abgeordneten, als sie zum Thema europäische Verfassung von Journalisten befragt wurden, als in den Niederlanden und Frankreich dieses Thema zur Volksabstimmung anstand. Wird das Volk vernünftig aufgeklärt, wird sich der einzelne Bürger mit den Fragen, die zur Abstimmung anstehen, auseinandersetzen.


Quote:Wer ist "das Volk"?


Das sind wir, jeder einzelne, der brav alle 4 Jahre wie ein Analphabet sein Kreuz auf einen Zettel markiert, damit hat er seine Zustimmung zu den herrschenden Zuständen signalisiert, weil man ihm so geheißen hat.


Quote:Was meinst Du mit "beteiligt sein" an der Gestaltung der Politik?


Wir sollten einen Weg finden, der dem Willen des Volkes Rechnung trägt.

Ich habe schon einige Vorschläge, wie man es besser machen könnte, gelesen. Für wichtig halte ich, die Exekutive von der Legislative zu trennen. Das würde bedeuten, Regierung und Parlament als Kontrollorgan der Regierung getrennt zu wählen. In wichtigen Angelegenheiten, so meine ich, sollte eine Volksbefragung bindend für das Inkrafttreten neuer Gesetze sein. Wie die Grenze zwischen einfacher Billigung durch das Parlament und einer Volksbefragung vor Inkrafttreten eines neuen Gesetzes zu ziehen ist, kann immer noch geklärt werden, wenn dieser Vorschlag auf Zustimmung stieße. Volksbefragungen sollten nicht mit dem Kostenargument abgeschmettert werden, das sollte uns die Demokratie wert sein.


Quote:Deinen Vorschlag, jegliche Koppelung von Medien an andere mächtige Organisationen zu unterbinden, halte ich für problematisch. Dürften dann die Gewerkschaften und Parteien keine Zeitungen mehr herausgeben?


Von einer unabhängigen Informationspolitik in unserem Staat hängt seine Funktionsfähigkeit und Akzeptanz ab. Deshalb sollten Parteien und Gewerkschaften nur über ihr Programm schreiben, und nicht an anderen Informationsmedien beteiligt sein, um diese in ihrem Sinn eine Meinung zu manipulieren. Das führt zu einseitiger Berichterstattung. Ich meine, der Bürger, soll er mündig sein Entscheidungen zu treffen, muss Zugang zu unterschiedlichen Meinungen haben. Jedenfalls darf es kein Monopol auf Meinungsbildung geben.

Die Aufgabe der Medien sollte in der Information gesehen werden und nicht in der Manipulation von Meinungen.

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Nachtrag: Passend zum Unterthema Manipulation (http://www.philtalk.de/msg/1138920246.htm) ist der von mir geschriebene Artikel immer noch aktuell und wird es auch zu
künftig bleiben.


hedgi





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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-24, 10:36 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Hedgis,

Dein Vorschlag, das Parlament (Legislative) und die Regierung (Exekutive) getrennt zu wählen, ist interessant und müsste gründlich durchdacht werden.

Du erwartest Dir davon offenbar eine Stärkung des Parlaments. In der gegenwärtigen Situation besteht ja die Gefahr, dass das Parlament zum Anhängsel der Regierung wird, weil die Parlamentsmehrheit der von ihr gewählten Regierung nicht in den Rücken fallen will, sondern gegen Angriffe der Opposition verteidigen soll.

Ich sehe aber auch Probleme. Wenn in Regierung und Parlament verschiedene politische Kräfte das Sagen haben, so kann es auch zu einer wechselseitigen Blockade der Politik kommen. Wenn ich mich nicht irre, so werden in den USA und in Frankreich Parlament und Präsident getrennt gewählt. Die Ergebnisse sind dort auch nicht gerade berauschend.

Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der Präsidialdemokratie in der Weimarer Republik ist man im Grundgesetz andere Wege gegangen.

Deinem Vorschlag, bestimmte Entscheidungen durch Volksabstimmungen entscheiden zu lassen, stimme ich zu. Ich sehe allerdings die Schwierigkeit, eine überzeugende Abgrenzung dieser Entscheidungen zu erreichen. Von einem Hantieren mit willkürlichen Plebisziten, die womöglich von der Regierung angesetzt werden können, verspreche ich mir keine bessere Wiedergabe des Willens der Bevölkerung.

Nun zur Manipulation durch die Medien.

Wenn man das Mehrheitsprinzip als eine Methode betrachtet, um die Interessen der Einzelnen zu einem kollektiven Interesse zusammenzufassen, dann geht durch das Prinzip "One man (and one woman), one vote!" das Interesse jedes Wahlberechtigten mit gleichem Gewicht in die Bildung des kollektiven Interesses ein. (Das war im preußischen 3-Klassen-Wahlrecht noch anders.)

Da die Wahl geheim ist und nicht bekannt wird, wer wie gewählt hat, kann auch niemand deswegen bedroht oder sanktioniert werden. Jeder kann also so wählen, wie er es für richtig hält und wie es seiner Interessenlage entspricht.

Hier setzt nun die Kritik ein, die sagt, dass die Wahlberechtigten ihre wahren Interessen gar nicht kennen sondern in ihren politischen Ansichten und Meinungen durch die Medien manipuliert werden.

Diese Kritik am bestehenden politischen System ist - auch im PhilTalk - weit verbreitet und muss ernst genommen werden. Meiner Meinung nach wäre es gerade die Aufgabe der Philosophie, den Begriff der Manipulation zu klären.

Was meint man also, wenn man sagt: "Die Wähler sind in ihrer politischen Meinung manipuliert worden?"

Zum einen ist damit offenbar gemeint, dass die Wähler nicht entsprechend ihrem wirklichen Interesse wählen.

Diese Aussage setzt jedoch voraus, dass derjenige, der dies behauptet, selber die wirklichen Interessen der Wähler kennt, denn sonst könnte er ja keine Abweichung davon feststellen.

Damit stellt sich die erkenntnistheoretische Frage, wie man die wirklichen Interessen eines Menschen erkennen kann. Diese Frage ist in der deutschen Philosophie nicht gerade überstrapaziert worden.

Ich, der ich ja auch Wähler bin, würde z. B. bestreiten, dass ich meine wirklichen Interessen nicht erkennen kann und in meiner Wahlentscheidung durch die Medien manipuliert bin.

Nun könnte jemand sagen: Dass du glaubst nicht manipuliert zu werden, das zeigt ja gerade, dass die Manipulation gelungen ist. Natürlich merkt der Manipulierte selber nicht, dass er manipuliert wurde.

Gegen ein solches „Argument“ ist man natürlich machtlos, weil entmündigt. Damit hat der andere mich jedes Argumentes beraubt, denn was ich immer ich sage, ist bereits manipulierte Meinung.

Damit hat er der Diskussion jedoch die Grundlage entzogen und ich kann nur noch das Gespräch mit ihm beenden.

So einfach geht es also nicht.

Nun könnte jemand sagen: Du kannst doch nicht bestreiten, dass Deine Meinung durch die Medien beeinflusst wird, das heißt doch, dass Du in Deiner Meinungsbildung nicht frei bist.

Dem würde ich entgegenhalten: Es stimmt zwar, dass ich in meiner politischen Meinungsbildung beeinflusst werde, aber nicht jede Beeinflussung bedeutet Manipulation. Beeinflusst werde ich auch durch Argumente, die andere mir vermitteln und die mir einsichtig sind.

So geht es also auch nicht.

Ich mache hier erstmal Schluss. Vielleicht gibt es noch andere Stellungnahmen zur Manipulation.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-24, 13:39 Uhr
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Hi, Eberhard, hi Freunde der Erkenntnisgewinnung durch scharfe Gedanken,

bleibt bei der Schärfe.
Ein Vergleich zwischen zwei Regierungsformen kann nur dann fair sein, wenn die Ausgangssituationen identisch sind.

Ein manipulierter Wähler als Souverän ist ähnlich problematisch wie der manuipulierte König als Souverän.

Klammert die Manipulation erst mal aus, und erörtert dann vielleicht, welche Regierungsform ihr wohl eher widerstehen kann.

Wenn eine Person übermächtig sein sollte in ihrer Kunst der Manipulation, dann fragt ihn gleich, welche Regierungsform ihm genehm wäre und welche eigene Rolle darin, denn alles andere wäre nur Verzögerung.

Oder besser noch - lernt seine Tricks.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-25, 16:25 Uhr
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Hallo allerseits,

Wolfgang hat darin recht, dass die Manipulation von Meinungen in allen politischen Systemen ein Problem ist, aber deshalb sollte man trotzdem einen Versuch machen, den Begriff klären.

Nach Wikipedia bedeutet „Manipulation“ im Lateinischen soviel wie „Handhabung“. Heute hat das Wort einen abwertenden Beiklang und man versteht darunter eine gezielte, aber verdeckte Einflussnahme auf das Denken und Meinen anderer Menschen.

Wenn es stimmt, dass die Mehrheit der Wähler dieses Landes bei politischen Wahlen in ihrer Entscheidung fremdgesteuert sind, dann wären die Wahlen reines „Theater“, so wie es in der DDR mit den 99-Komma-und-Resultaten war oder so, wie es in Syrien gegenwärtig abläuft, wo nur ein Viertel der Abgeordneten überhaupt gewählt wird.

Trotz berechtigter Kritik an Stimmungsmache und Nicht-Information in Fernsehen, Rundfunk und Presse kann die Manipulation der Öffentlichkeit durch das große Geld so erfolgreich doch nicht sein, wenn die Chefs in Wirtschaft und Politik vor Gerichte und Untersuchungsausschüsse zitiert werden und manche daraufhin ihren Hut nehmen müssen.

Die Methoden der irrationalen Meinungsmache anzuprangern und zu analysieren, halte ich für eine der wichtigsten politischen Aufgaben in einer Demokratie. Das fängt bei der Sprache an, wo jeder hellhörig werden sollte, wenn statt Information und Fakten nur stark wertende Worte geliefert werden wie z. B. „Terrorist“ oder „Befreiungskämpfer“.

Fazit: Das Mehrheitsprinzip erfordert Menschen, die zumindest ihre wichtigsten Interessen erkennen können.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-26, 10:57 Uhr
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Hallo allerseits,

als generelle Rechtfertigung des Mehrheitsprinnzips hatte ich zu Anfang angeführt, dass es dringlicher ist, die Interessen einer Mehrheit zu befriedigen als die einer Minderheit.

Bei diesem Argument bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Einzelnen von einer Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sein können.

Den Bewohnern von A-Dorf mag es ziemlich egal sein, wo die Kläranlage von B-Dorf gebaut wird, während für die Bewohner von B-Dorf einiges auf dem Spiel steht.

Macht das Mehrheitsprinzip hier überhaupt Sinn?

fragt Eberhard.



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-26, 21:03 Uhr
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Hi, Eberhard,


Dorf A, Dorf B, ... frage erst nach dem Problem und dem Ziel.

Ist das eine Dorf des anderen Problem, gibts Haue.

Haben sie ein gemeinsames Problem wie Frischwasser und Kloake, das sie nur gemeinsam lösen können, dann muß die Gesellschaft A+B gefragt werden und entscheiden.

Die es nur geben wird, wenn beide Dörfer gemeinsam leiden.



Zurück zur Politik: Hohe Politik ist die Bemessung der Wahlkreise. Wer sie passend für seine Mehrheiten zusammenstellen darf.


Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-27, 09:38 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Wolfgang,

der Platz für die Kläranlage von B-Dorf war nur ein Beispiel für Entscheidungen, die eine Minderheit stark betrifft und die Übrigen nur am Rande interessiert. Diese Konstellation ist in komplexen Gesellschaften nun nicht selten, sondern eher häufig gegeben. (Das war zu Rousseaus Zeiten noch anders.)

Ob Studenten, Rentner, Behinderte, Hundehalter, Beamte, Industriearbeiter, Unternehmer, Angler, Hessen oder Leipziger: immer handelt es sich um Minderheiten. Wenn es um etwas geht, was vorwiegend eine solche Minderheit betrifft, dann halte ich es für problematisch, wenn darüber nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird und z. B. eine kaum Betroffene Mehrheit von Abstimmungsberechtigten die elementar betroffene Minderheit der Studenten in der Frage der Studiengebühren überstimmt.

Ist das benannte Problem real und wenn ja, wie kann man es entschärfen?

Dein Hinweis, Wolfgang, auf die Problematik der Wahlkreiseinteilung betrifft ein wichtiges Problem, ist jedoch nicht direkt ein Problem des Mehrheitsprinzips als solchem als vielmehr ein spezielles Problem der Repräsentation der Staatsbürger durch Abgeordnete.

Grüße an die kleine Schar der an politischer Philosophie und Demokratietheorie Interessierten von Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-27, 16:56 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: der Platz für die Kläranlage von B-Dorf war nur ein Beispiel für Entscheidungen, die eine Minderheit stark betrifft und die Übrigen nur am Rande interessiert.

Sicher kann die Mehrheit sagen: "Was beschweren sich die paar Hansels, das wir ihnen eine Kläranlage in dern Luv setzen? (Luv, weil da kommt der Wind her, und mit Kläranlage nun der Gestank.)

Diese Mehrheit hat Recht: Vom Gestank ist sie nicht betroffen. Sehr wohl aber von der Unfairneß, mit der die Gemeinschaft von A+B-Dorf mit Bürgern umgeht.
Gleich nach diesem Präzedenzfall kommt die Frage: Wer ist als nächster dran?"


Du: Ob Studenten, Rentner, Behinderte, Hundehalter...immer handelt es sich um Minderheiten.

HALT! Diese Gruppen mögen sich als Minderheiten fühlen.
Jede Mehrheit besteht aus solchen Gruppen, die sich jeweils als Minderheiten fühlen.
Zweckmäßigerweise stellen wir erst die Frage, zu der wir zwei unvereinbare Antworten hören, und gruppieren die Personen dann nach ihren Antworten und erkennen, welche Antwort von der Mehrheit unterstützt wird.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-27, 17:32 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,

nehmen wir die Frage: "Soll die Hundesteuer verdoppelt werden?"

Ich denke, dass davon Hundehalter weitaus stärker betroffen sind als andere. Würde man diese Frage per Volksentscheid nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, so würden die Hundehalter wohl in der Minderheit sein und hätten mehr zu zahlen, meint

Eberhard.





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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-27, 20:01 Uhr
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Hi, Eberhard,

Du: "Soll die Hundesteuer verdoppelt werden?" ...Würde man diese Frage per Volksentscheid nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, so würden die Hundehalter wohl in der Minderheit sein und hätten mehr zu zahlen

Möglicherweise. Mir geht das Hexenjägerische an der Hexenjagd auf die Raucher schon gewaltig gegen den Strich.
Eine plumpe Heraufsetzung der Steuer für eine Gruppe, nur weil sie eine Minderheit sei, läßt mich Böses befürchten in meinen Parlamentarieren, und ich hätte mal wieder einen Anlaß, ein Fax an meinen Abgeordneten zu schicken, wie er es denn mit der Fairneß halte.

Deshalb meine ich: Wenn Du das Verhältnis Minderheit-Mehrheit ohne Beachtung der Wirkung des Handlungsprinzips auf die Mehrheit betrachtest, dann werden Deine Prognosen des Wählerverhaltens öfter daneben gehen.

Zurück zum Thema: Wenn eine Gesellschaft das Mehrheitsprinzip zur Plünderung (Judenhass unter Hitler!) oder sonstwie in unfairer Art und Weise anwendet, dann verliert diese Gesellschaft an Vertrauen, wandelt sich zum "jeder für sich, jeder gegen jeden, immer auf Kosten der Schwächeren", die Gesellschaft verliert an Produktivität und verliert in ihrem Konkurrenzkampf.

Ich orte diese Zusammenhänge in den USA und ebenfalls bei uns.

Stark sind Völker und Volkswirtschaften durch Einigkeit stark geworden, und die gedeiht nur dort, wo auch Fairneß ist und viele andere Voraussetzungen.
Jesus Christus hat genauso recht wie die Propheten, die er zitiert hat mit dem "was ihr dem Geringsten angetan habt, das habt ihr mir angetan".

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-28, 12:52 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,

ich will noch mal mein methodisches Vorgehen verdeutlichen.

Es geht um die Beantwortung der Frage, wann Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip sinnvoll sind.

Um das herauszufinden gehe ich modelltheoretisch vor. Modellannahme ist, dass die Abstimmungsberechtigten so abstimmen, dass das Ergebnis ihren eigenen Interessen am ehesten entspricht.

In Bezug auf das Beispiel "Erhöhung der Hundesteuer" hieße das: Es gibt eine Volksabstimmung (also keinen Parlamentsbeschluss!) nach dem Mehrheitsprinzip.

Nach den Modellannahmen würden die Hundehalter gegen die Verdoppelung der Hundesteuer stimmen (weil sie nicht gerne mehr Steuern zahlen) und die Andern würden für die Erhöhung stimmen (weil es ihnen nicht wehtut und die öffentlichen Einnahmen verbessert werden).

Die Hundehalter bleiben also in der Minderheit und die Steuer wird erhöht. Dies ist offenbar kein Resultat, das einer solidarischen Berücksichtigung aller Interessen entspricht.

Allgemeines Fazit: Wenn die Individuen von einer Entscheidung unterschiedlich stark betroffen sind, führt das Mehrheitsprinzip bei eigeninteressiertem Abstimmungsverhalten nicht zu akzeptablen Ergebnissen.

Dies ist ein gewichtiges Argument gegen die direkte Demokratie.

Als Lösung scheint Dir vorzuschweben, Wolfgang, dass die Wähler nicht nur eigeninteressiert abstimmen, sondern dabei zugleich Regeln der Fairness beachten.

Damit ist das Problem jedoch eher größer als kleiner geworden, denn: Was ist „Fairness“? Wie erreicht man faires Abstimmungsverhalten?

Ich sehe drei Wege, um das Problem zu entschärfen.

1. Die Dezentralisierung, wodurch Entscheidungen, die vorwiegend eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung betreffen, auch nur von dieser Gruppe entschieden werden.

Sinnvoll ist eine räumliche Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse, weil die meisten physikalischen Wirkungen mit der räumlichen Entfernung abnehmen. Allerdings stellen sich erhebliche Probleme beim räumlichen Zuschnitt solcher Selbstverwaltungseinheiten auf kommunaler oder regionaler Ebene.

2. Den Schutz vor bestimmten Eingriffen in das Leben der Staatsbürger durch die Formulierung von Menschen- und Bürgerrechten, über die nicht nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt werden darf.

3. Der wichtigste Mechanismus zum Minderheitenschutz ist jedoch die Bildung von Bündnissen zwischen den einzelnen Minderheitsgruppen. (Darauf hattest Du schon hingewiesen als Du schriebst: „Jede Mehrheit besteht aus solchen Gruppen, die sich jeweils als Minderheiten fühlen.)

Die Hundehalter könnten sich z. B. mit den Studenten zusammentun, denen eine Verdoppelung ihrer Studiengebühren droht (zugegeben kein sehr realistisches Beispiel). Die Hundehalter sind bereit, gegen die Erhöhung der Studiengebühren zu stimmen, wenn die Studenten dafür gegen die Erhöhung der Hundesteuer stimmen.

Die Abstimmungsbündnisse sollten letztlich natürlich so groß sein, dass eine Mehrheit zustande kommt.

Dieser Prozess der Koalitionsbildung, bei dem in Bezug auf verschiedene anstehende Entscheidungen Wahlabsprachen getroffen werden, führt zur Bildung von Parteien, die bestimmte Abstimmungspakete in Form eines Parteiprogramms zur Abstimmung stellen.

Die Bewältigung dieser Aufgabe ist außerordentlich wichtig, um den Schutz der Minderheiten auch bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip zu erreichen. Die Bündnisbildung setzt voraus, dass die Beteiligten sich auch an die Wahlabsprachen halten. Dies íst übrigens einer der Gründe für die viel geschmähte „Fraktionsdisziplin“.

In einer Gesellschaft, wo diese freie Koalitionsbildung nicht gegeben ist, ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips problematisch. Man stelle sich z.B. einen Staat vor, der zu 70% aus katholischen, bäuerlichen, Suaheli sprechenden Schwarzen besteht und zu 30 % aus hinduistischen, Handel treibenden, englisch sprechenden Indern besteht. Hier würde es sicherlich eine Partei der Schwarzen und eine Partei der Inder geben, und die Partei der Schwarzen würde in allen Entscheidungen die Mehrheit bekommen.

Die Resultate des Mehrheitsprinzips bei einer derartigen Konstellation werden sicherlich nicht einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entsprechen. Der Bürgerkrieg und eine Spaltung des Landes sind hier vorprogrammiert.

Grüße an alle, die ihr Verständnis der politischen Prozesse verbessern wollen, von

Eberhard.

p.s.: Ich hatte eigentlich mit mehr Kritik an meiner Position gerechnet.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-28, 15:02 Uhr
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Hi, Eberhard,


Du: Es geht um die Beantwortung der Frage, wann Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip sinnvoll sind.

Und was, wenn Du eine Antwort gefunden hast? Schreibst Du Deine Antwort dann der Gesellschaft vor, die da abstimmen will?


Deine Entwicklungslinie erkenne ich so: Erst untersuchst Du die Frage, ob es eine allgemeingültige Methode geben könne für "gute Entscheidungen".
Ich habe abgelehnt und mich gewehrt, weil schon das Ansinnen den Stoff in sich hat, der Diktatoren ausmacht, und weil eine Gesellschaft von Personen, die sich für mündig halten, sich keine Methode aufdrängen lassen werden.

Nun fragst Du nach einer Methode, wann und wie Mehrheitsabstimmungen durchzuführen sind.

Aus demselben Grund lehne ich auch dies Ansinnen ab. Eine Gesellschaft mündiger Indivuen will das selber bestimmen, und ich lehne jeden Versuch der Bevormundung ab.

Selber allerdings erlaube ich mir, auf die Nebenwirkungen und Risiken des Handelns hinzweisen.


Du: p.s.: Ich hatte eigentlich mit mehr Kritik an meiner Position gerechnet.

Wozu "mehr"? Für die Vorstellung eines Bauplans für ein Perpetuum mobile genügt der Hinweis auf den Energieerhaltungsssatz. Mehr Einwand ist überflüssig.


Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-28, 19:53 Uhr
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Hallo Wolfgang,

Deine Befürchtungen, dass mit meinen Überlegungen eine Diktatur vorbereitet würde, halte ich für seltsam. Wenn ich etwas an unserer Gesellschaftsordnung für verbesserungswürdig halte, dann würde ich das über den verfassungsmäßigen Weg zu ändern versuchen, d.h. ich würde versuchen, andere zu überzeugen und die nötigen Mehrheiten für diese Veränderungen zu erlangen.

Kein mündiger Bürger muss unruhig werden, nur weil ich meine, bestimmte Schwächen und Stärken des Mehrheitsprinzips erkannt zu haben.

Dass ich versuche, meine Vorstellungen von guten Entscheidungen zu präzisieren und zu begründen, braucht ebenfalls niemanden zu beunruhigen. Dabei sind die Bürger mit ihren Interessenäußerungen mit inbegriffen.

Die Darlegung und Begründung der eigenen Überzeugungen ist ehrlicher als wenn jemand schwerste moralische Verurteilungen von sich gibt (Verbrecher, Folterknechte etc.), ohne die dabei zur Anwendung kommenden Maßstäbe offenzulegen und zu hinterfragen.

Und ich halte nichts davon, den Anspruch Recht zu haben, immer nur implizit in den eigenen Behauptungen mit sich rumzutragen und denjenigen, der den Anspruch explizit macht, der versuchten Entmündigung anderer zu bezichtigen.

Mit "mehr Kritik" meinte ich vor allem "mehr Kritiker". Wenn natürlich alle dasselbe sagen, reicht auch ein Kritiker.

Es grüßt Euch

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-04-28, 22:11 Uhr
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Hallo Eberhard,

zum Sinn von Mehrheitsentscheidungen:
Es gibt Fragen, die durch Wissenschaft und Logik beantwortet werden. Eine Abstimmung über die Frage, ob 2 x 2 vier ist, ist sinnlos. Probleme, die sich aber nicht mit den erprobten Methoden der Wissenschaft lösen lassen, sollten in einer Demokratie definitionsgemäß dem Mehrheitsprinzip unterworfen werden. Wer sonst sollte sie lösen? Selbsternannte Diktatoren, Religionsführer usw.? Nein danke.

Dass das Mehrheitsprinzip sich bei Politikern keiner großen Beliebtheit erfreut, liegt daran, dass es sie entmachtet. Daher werde Volksentscheide weltweit nur sehr selten durchgeführt und spielen auch nur in alteingesessenen Demokratien eine Rolle, nicht in einer aufoktroyierten Pseudodemokratie wie hier in Deutschland.

Nun das Beispiel Hundesteuer. Da Hunde in der BRD ubiquitär sind, also alle Menschen von Hunden in irgendeiner Form betroffen sein können, sehe ich keinen vernünftigen Grund, auch nicht alle Menschen an dieser Entscheidung teilhaben zu lassen.

Die Frage ist, wie lautet die Begründung der Erhöhung der Hundesteuer? Soll sie dazu dienen, finanziell weniger Bemittelten den Zugang zu Hunden zu erschweren? Soll sie dazu dienen, den Hundekot effektiver zu beseitigen? Soll sie den Krankenkassen zugeführt werden, um die Kosten von Hundebissen zu erstatten? Oder was sonst?
Daraus folgt, einer Abstimmung zu diesem Thema muss eine entsprechende öffentliche Diskussion und eine überzeugende Begründung vorausgehen. So geschehen, halte ich eine Abstimmung für das einzig demokratische Vorgehen zur Problemlösung.

Gruß HP


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-28, 22:35 Uhr
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Hi, Eberhard,


Du: Kein mündiger Bürger muss unruhig werden, nur weil ich meine, bestimmte Schwächen und Stärken des Mehrheitsprinzips erkannt zu haben.

Ja, natürlich, nichts ist perfekt - weil der Intellekt mit seiner erdachten Perfektion eine Illusion schafft.


Du: [i]Dass ich versuche, meine Vorstellungen von guten Entscheidungen zu präzisieren und zu begründen...[i]

Grundsätzlich Zustimmung. Dein Modell von A- und B-Dorf war als Modell aber zu kurz gefaßt für brauchbare Anleitungen zum Handeln - die Interessen der Bürger sind nicht nur monetär, sondern der Wunsch nach Zukunft und Sicherheit ist nur in Gesellschaften erfüllbar, die auch Fairneß wollen.

Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-29, 09:58 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

es freut mich, dass Du mitdiskutierst, denn in der Kontroverse ist man gezwungen, die eigene Position möglichst präzise zu formulieren und möglichst gut zu begründen.

Du schreibst, dass das Mehrheitsprinzip nicht geeignet ist, Fragen zu beantworten, die wissenschaftlicher oder logischer Natur sind. Ich stimme Dir zu, dass über die Frage, ob eine Behauptung wahr ist, nicht abgestimmt werden kann, denn das Kritierium der Wahrheit eines empirischen oder logischen Satzes ist die intersubjektiv übereinstimmende Beobachtung bzw. die Widerspruchsfreiheit eines gedanklichen Modells.

Obwohl ich hier das Mehrheitsprinzip als eine Methode zur Zusammenfassung der individuellen Interessen zu einem kollektiven Interesse diskutiere, kann das Mehrheitsprinzip auch in anderen Zusammenhängen angewandt werden.

Auf manche empirische Fragen gibt es z. B. keine eindeutige Antwort der Wissenschaft, so dass mehrere Positionen wissenschaftlich vertretbar bleiben. Das bekannteste Beispiel hierfür findet sich in Gerichtsprozessen, wo die Beweislage darüber, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht, strittig bleibt. Auch bei Prognosen über zukünftige Entwicklung findet sich häufig der Streit der Gelehrten.

In solchen Fällen, kann es angebracht sein, zwar nicht über die Wahrheit der Positionen abzustimmen aber doch darüber, von welcher Position das Kollektiv in seinem Handeln ausgehen soll.

Die Begründung hierfür hat der französische Aufklärer und Enzyklopädist Condorcet bereits 1785 geliefert. Wenn man annimmt, dass die Wahrhscheinlichkeit eines Irrtums bei den einzelnen Mitgliedern einer 10-köpfigen Jury z.B. 40 % beträgt, so beträgt die Wahrhscheinlichkeit dafür, dass sich eine Mehrheit von 6 Jurymitgliedern irrt, nur 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 = 0,004096, also weniger als ein Prozent (Nach der Regel für die Wahrscheinlichkeit mehrerer voneinander unabhängiger Ereignisse).

Eine Frage der Politischen Philosophie ist es, ob man die politische Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip als eine Art Juryentscheidung über die beste Politik ansehen sollte oder ob man sie als einen Ausdruck der individuellen Interessen und deren Zusammenfassung zu einem "allgemeinen Interesse" auffassen soll.

Ich neige zum Letzteren, weil die Orientierung am eigenen Interesse auch für die Wahlentscheidung das entscheidende Motiv bildet.

Meine These ist nun, dass das Mehrheitsprinzip zu akzeptablen Ergebnissen führt, wenn alle Beteiligten ihre Interessen mit gleichem Gewicht einbringen können (Jeder hat gleich viele Stimmen zu vergeben) und wenn die Einzelnen von der anstehenden Entscheidung ungefähr gleichstark betroffen sind. Außerdem müssen die Abstimmenden über das zur Entscheidung anstehende Problem (verfügbare Alternativen, langfristige Folgen etc.) einigermaßen informiert sein und ihre Stimme frei von Sanktiionen (Bestechungen, Drohungen) abgeben können.

Wenn jedoch der Grad der Betroffenheit von einer Entscheidung für die Abstimmenden sehr unterschiedlich ist, so besteht die Gefahr, dass z.B. eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.

Je stärker der Grad der Betroffenheit zwischen Mehrheit und Minderheit auseinandergeht und je knapper die Mehrheit ausfällt, umso problematischer ist das Resultat unter dem Gesichtspunkt einer solidarischen Berücksichtigung aller Interessen.

Ich wäre über den Ausgang einer Volksabstimmung über die Hundesteuer eher pessimistisch. In einer Parteien-Demokratie werden jedoch notwendigerweise auch Minderheitsinteressen berücksichtigt, denn welche Partei wollte es sich mit den Millionen von Hundehaltern verderben?

Grüße an alle, die über Politik nicht nur schimpfen sondern auch nachdenken wollen von

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Sheelina am 2007-04-29, 10:14 Uhr
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on 04/29/07 um 09:58:26, Eberhard wrote:Grüße an alle, die über Politik nicht nur schimpfen sondern auch nachdenken wollen von

Eberhard.




Dann grüße ich mal den Rest, nämlich die Philosophen und Philosophinnen.

Alles Gute!

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-04-29, 13:25 Uhr
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Wird Eberhards Frage Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip mit nein beantwortet, käme nur noch ein Diktator oder ein absolut herrschender Monarch infrage. Wir hätten uns dann von der Idee des gemeinsamen Konsenses verabschiedet.

Da das in unserer Gesellschaft nicht mehrheitsfähig ist, können wir uns nur noch über ein Regelwerk unterhalten, mit dem sich leben lässt. Daraus ergibt sich, dass Entscheidungen in den passenden Gremien getroffen werden müssen. Diese können auf unterschiedlichen Ebenen gelagert sein.

Gehen wir auf das Beispiel der Kläranlage zurück. Kläranlagen brauchen wir alle seit Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. Deshalb sind Bestimmungen über das, was eine Kläranlage leisten soll, Angelegenheit des höchsten Parlamentes, ich würde soweit gehen, es ist eine europäische Angelegenheit. Geht es nur um den Standort zwischen zwei Dörfern, kann das auf Kreisebene geregelt werden. Ist das nicht möglich, weil ein Dorf unter größerer Geruchsbelästigung leiden würde, aber der Kostendruck erst einmal keine andere Lösung zulässt, bedarf es einer Instanz, die für einen Ausgleich sorgen kann.

Es gibt aber Entscheidungen, für die kein Parlament eine zufriedenstellende Lösung für alle bieten kann. Zum einen, weil sie durch Lobbyisten, denen sie sich wegen allgemeiner Zuwendungen gegenüber verpflichtet fühlen, blockiert sind, oder weil sich am Volk vorbei nur schwer regieren lässt.

Gewöhnlich haben wir keine Probleme damit, ein Parlament seine Arbeit erledigen zu lassen. In wichtigen Fragen, die Verfassung Europas ist so eine, sollten wir nicht umhinkommen eine Volksbefragung durchzuführen, auch dann wenn es Politikern zu unbequem erscheint.

Wir müssen uns über eine Grenze einigen, wann etwas wichtig genug ist, eine Volksbefragung durchzuführen. Es wäre unsinnig über Gesetze zum Betrieb von Kläranlagen das Volk zu befragen. Vielleicht wäre eine Unterschriftenaktion das richtige Mittel, um eine Volksbefragung zu erzwingen. Es ergibt sich von selbst, dass Volksbefragungen nur begrenzt durchgeführt werden können, sonst wäre der Aufwand nicht mehr zu bewältigen.

Es leuchtet auch irgendwie ein, dass ab einer gewissen Größe der Teilnehmerzahl nicht mehr ein Konsens aller erreicht werden kann.

Ein wichtiger Punkt liegt mir am Herzen. Wir brauchen ein Pressegesetz, das Konzentrationen auf nur wenige Interessen verhindert. Denn Meinungsbildung ist noch wichtiger, als eine Beschränkung auf nur zwei Blöcke. Deshalb ist es ein Grundrecht, vergleichbar mit dem Naturrecht eines jeden, ungehinderten Zugang zu unterschiedlichen Meinungen zu haben.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-04-29, 22:33 Uhr
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Hallo an Alle,

nachdem wir uns also darüber einig sind, dass das Mehrheitsprinzip die optimale Lösung ist, Probleme zu lösen, die sich nicht mit den Methoden der Logik oder der Wissenschaft lösen lassen, stellt sich die Frage, wie das Mehrheitsprinzip am besten funktioniert.

1. Problem: Gleichgewichtung der Stimmen. Was spräche dagegen, dass Menschen, die nachweislich über ein Problem besser informiert sind als andere, bei einer Abstimmung höher gewichtet werden?

2. Problem: Wann soll das Volk, wann dessen Vertreter entscheiden?
Zu dem von Hedgi erwähnten Beispiel einer Kläranlage: Was spricht dagegen, dass nicht das ganze Volk, wohl aber die betroffenen Gemeinden darüber abstimmen?

Über eines muss man sich nämlich grundsätzlich im Klaren sein: Niemand vertritt die Interessen des Volkes so zuverlässig als das Volk. Und weiter, die "Volksvertreter vertreten in erster Linie die eigenen Interessen, dann die Interessen ihrer Partei und dann erst kümmern sie sich um das Wohl des Volkes, wobei es ihnen normalerweise der Schein genügt, es zu tun.

Gruß HP

P.S. Volksabstimmungen sind keineswegs teuer und umständlich. Pro Person zahlen die basisdemokratischen Schweizer weit weniger für ihre Regierung(en) als die Deutschen.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-30, 00:07 Uhr
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Ach zum zweiten, Hanspeter,


Du: 1. Problem: Gleichgewichtung der Stimmen. Was spräche dagegen, dass Menschen, die nachweislich über ein Problem besser informiert sind als andere, bei einer Abstimmung höher gewichtet werden?

Im Museum stehen noch Eisenbahnwagen 1., 2. und 3. Klasse.
Wie das Wahlrecht nach Höhe der Steuerabgaben.

Die sind wenigstens meßbar und vergleichbar.

Aber
1. wie willst Du "besser informiert" unterscheiden von "tut so, als wäre er besser informiert"?
2. Die notwendigen Abstimmungen sind nicht die über Tatsachen wie die Kreiszahl Pi, sondern über Geschmack und solche Meinungen, die eben persönlich sind. Da spielt das "besser informiert" eben keine Rolle.


Du: P.S. Volksabstimmungen sind keineswegs teuer und umständlich. Pro Person zahlen die basisdemokratischen Schweizer weit weniger für ihre Regierung(en) als die Deutschen.

Die Verwaltungsausgaben wachsen mehr als linear mit der Anzahl der zu verwaltenden Gesellschaft. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir in einer Tabelle alle Länder dieser Welt nach Einwohnerzahl anordnen und die Anzahl der Leute, die überwiegend für den Staat arbeiten, daß wir in der Kurvenanpassung dann Faktoren 3. Ordnung finden.

Laß die Schweiz erst mal so groß werden wie Deutschland, dann hat auch sie einen mächigen Wasserkopf in Bern.


Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-04-30, 09:11 Uhr
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Hallo Wolfgang,

ob jemand etwas von Mathematik versteht oder nur so tut, lässt sich leicht ermitteln. Dasselbe gilt auch für Politik. Die Sache ist eher ein ideologisches Problem. Im Handbuch des Gutmenschen steht nämlich, dass alle Menschen gleich sind, folglich auch gleich gut über politische Zusammenhänge informiert. Und es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Vielleicht wäre aber die Idee, die Gewichtung bei der Wahl vom Steueraufkommen abhängig zu machen, gar nicht so schlecht. Denn dann müssten die "Oberen 10.000" ihre Steuerkraft öffentlich machen und da würde sich mancher wundern, wie wenig man bei wieviel Einkommen zahlt. Außerdem hängt die Einflussnahme auf die Politik ohnehin von der finanziellen Macht ab - Verdecktes würde damit nur transparent werden. :-)


Du schreibst ferner: "Die Verwaltungsausgaben wachsen mehr als linear mit der Anzahl der zu verwaltenden Gesellschaft..."

Stimmt nicht. Deutschland ist sehr viel mehr verwaltet und bürokratisiert als etwa GB oder USA. Wir schaffen es problemlos, die Effektivität durch gesteigertes Personalaufkommen zu senken.

Abgesehen davon, wieso soll der Verwaltungsaufwand steigen, wenn wir zB jeden Monat irgendeinen Volksentscheid hätten?

Gruß HP




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-04-30, 09:24 Uhr
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Noch ein Nachtrag.
Die Wahrscheinlichkeit, dass in Bern ein BRD-vergleichbarer Bürokratie-Wasserkopf entsteht, ist sehr gering. Grund: In der Schweiz muss die Erweiterung der Bürokratie per Volksentscheid abgesegnet werden. Will ein Bundesrat zB. den Posten eines Staatssekretärs einführen, muss das Volk seinen Segen geben. Und die Schweizer können, wenn es um ihre Steuern geht, ausgesprochen renitent sein! [cheesy]

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-30, 10:42 Uhr
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Hallo allerseits,

wir sind bei der Frage, wie man die Schwachstellen des Mehrheitsprinzips durch flankierende Maßnahmen entschärfen kann.

Als Schwachstellen wurden genannt:

- die unbemerkte Beeinflussung der Wähler durch diejenigen, die über die Medien verfügen (Manipulation),

- der immense Informations- und Entscheidungsaufwand, wenn alle über alles abstimmen (Entscheidungsaufwand),

- die Benachteiligung von Minderheiten (Minderheitenschutz)

- der unterschiedliche Grad an Informiertheit bei den Wählern (Informationsgefälle).


Als ausgleichende Maßnahmen wurden genannt:

Zum Problem „Manipulation“:

- Veränderung der Medienlandschaft durch ein Pressegesetz, das die Konzentration des Eigentums an Medien in den Händen weniger Gruppen verhindert,
- Verpflichtung der Medien zur Information.

Zum Problem „Entscheidungsaufwand“:

- Vertretung der Staatsbürger durch auf Zeit gewählte Abgeordnete,
- Dezentralisierung der Entscheidungsebenen durch Selbstverwaltung von Gemeinden, Regionen etc. in Bezug auf bestimmte Entscheidungsbereiche,
- Beschränkung der Abstimmungen auf allgemeine Gesetze,
- Delegation der Geschäftsführung an eine Regierung, die über einen Verwaltungsapparat verfügt.

Zum Problem „Minderheitenschutz“:

- Wahlabsprachen und Wahlbündnisse durch die verschiedenen Minderheitsgruppen,
- Bildung von Parteien mit Programmen für Minderheiten (wenn Abgeordnete gewählt werden),
- in der Verfassung verankerte Bürgerrechte, die der Mehrheitsentscheidung entzogen sind,
- regionale Dezentralisierung (zum Schutz regionaler Minderheiten).

Zum Problem „Informationsgefälle“:

- Ausstattung der Individuen mit Stimmrecht entsprechend dem Grad ihrer Informiertheit,
- Vertretung durch gewählte Berufspolitiker als Abgeordnete,
- Bildung von Parteien mit Spezialisten für die verschiedenen Politikbereiche.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werfen jedoch ihrerseits wieder eigene Probleme auf:

- Die Repräsentation der Wähler durch Abgeordnete enthält die Möglichkeit, dass die Abgeordneten nicht die Interessen der Wähler vertreten.
- Außerdem erscheint es nicht sinnvoll, alle Entscheidungen von den Abgeordneten bzw. der Regierung treffen zu lassen, sodass die Zuständigkeit geregelt werden muss. Zumindest alle Veränderungen der Verfassung sollten von den Staatsbürgern selber beschlossen werden. Ungeeignet für Volksabstimmungen sind insbesondere Entscheidungen, von denen die Staatsbürger in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sind.

- Die Dezentralisierung erfordert Entscheidungen über die Zuständigkeit der verschiedenen Ebenen und über deren Ausstattung mit Steuergeldern. Die Frage ist auch hier, nach welchen Kriterien die jeweilige Zuständigkeit festgelegt werden soll.

- Die Festschreibung von Bürgerrechten in der Verfassung erfordert ein Verfassungsgericht, das diese Rechte auslegt. Da notwendigerweise nur relativ unpräzise Formulierungen möglich sind („Die Würde des Menschen ist unantastbar“ oder „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“) besteht die Gefahr, dass durch eine extensive Auslegung der Bürgerechte der politische Wille der Mehrheit zu stark eingeengt wird und notwendige Veränderungen behindert werden.

- Die Einführung nach Informationsgrad abgestufter Stimmgewichte erfordert ein Instrument zur Messung des Grades an Informiertheit. Welche Probleme sich dabei ergeben zeigt die Diskussion der Intelligenztests. Außerdem erfordert ein solches Verfahren einen erheblichen Aufwand.

Grüße an alle - insbesondere die Philosophin - von

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-04-30, 19:24 Uhr
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Wie können wir mit den erkannten Schwachstellen umgehen?

Manipulation: Damit können wir nur fertig werden, wenn wir für ein gutes Bildungssystem sorgen. Wir müssen uns darauf verlassen, dass gut ausgebildete Bürger über ein ausreichendes Urteilsvermögen verfügen, um Manipulationsversuchen zu widerstehen. Wenn die Medienlandschaft durch ein straffes Regelsystem kontrolliert wird, besteht eher die Gefahr, dass die freie ungehinderte Meinungsäußerung auf der Strecke bleibt.

Entscheidungsfindung: Es dürfte eines der am leichtesten zu regelnden Aufgaben sein. Entscheidungen müssen dort getroffen werden, wo deren Realisierung stattfindet. Überregionale Entscheidungen in Gremien, die allgemeine und alle Bürger betreffenden Interessen berücksichtigt. Z.B. Lehrpläne an Schulen ist Angelegenheit eines Staates oder sogar Europas, weil die Ausbildung vergleichbar sein muss; damit die Absolventen überall gleichermaßen einsetzbar sind. Regionale Besonderheiten können berücksichtigt werden. Kriterium sollte auf jeden Fall die Betroffenheit sein. es ist auch nicht effektiv wenn mehr als 20 Bundesländer über das Gleiche abstimmen, wenn die sich anschließend noch einmal einigen müssen. Abschreckendes Beispiel sind hier die unterschiedlichen Nichtraucherregelungen. Weitere Beispiele, in denen die Entscheidung nicht im richtigen Gremium angesiedelt war, ist die Abstimmung über die Rechtschreibreform in den Bundesländerparlamenten. Die Folge war, es gab abweichende Urteile in den Verfassungsgerichten der Länder. Konsequenterweise müsste in den Bundesländern ein unterschiedliches Deutsch Gültigkeit haben.

Minderheitenschutz: hier gilt dass Gleiche wie unter zuvor genannten Punkt. Bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip könnten Minderheitsinteressen unter den Tisch gekehrt werden, auch dann, wenn der Mehrheit keine Nachteile entständen.

Informationsgefälle: das Informationsgefälle kann durch eine gute Ausbildung in Grenzen gehalten werden. Wenn hier zusätzlich zu bestehenden zwischen arm und reich, künstliche Grenzen geschaffen werden, entstände eine offiziell anerkannte Mehrklassengesellschaft, die es ohnehin schon gibt.

On nun unser Parteienparlament besser mit den Aufgaben umgehen kann, als eine Präsidialdemokratie, hat auf die oben genannten Punkte keine Auswirkungen, so meine ich.

Es herrscht offensichtlich die Meinung vor, eine Parlamentsdemokratie ist träge genug, nicht so leicht von einem geschickt agierenden Politiker in Krisenzeiten übernommen zu werden.

hedgi






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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-04-30, 21:12 Uhr
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on 04/21/07 um 15:12:19, Eberhard wrote:Die grundlegende Rechtfertigung dieses Verfahrens der Normsetzung sehe ich – etwas locker formuliert – darin, dass es besser ist, das zu tun, was den Interessen vieler entspricht, als das zu tun, was den Interessen weniger entspricht.



Wer behauptet denn, dass dieses Verfahren überhaupt zu einer Verbesserung führt?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-04-30, 21:30 Uhr
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on 04/28/07 um 22:11:00, Hanspeter wrote:zum Sinn von Mehrheitsentscheidungen:
Es gibt Fragen, die durch Wissenschaft und Logik beantwortet werden. Eine Abstimmung über die Frage, ob 2 x 2 vier ist, ist sinnlos. Probleme, die sich aber nicht mit den erprobten Methoden der Wissenschaft lösen lassen, sollten in einer Demokratie definitionsgemäß dem Mehrheitsprinzip unterworfen werden.



In einer Demokratie sind alle Fragen dem demos unterworfen. Auch die Frage ob 2 x 2 vier ist. Wenn die Demokratie dagegen ist, stellt das kein Hindernis dar.



on 04/28/07 um 22:11:00, Hanspeter wrote:Wer sonst sollte sie lösen?



Normalerweise regelt das der Markt. Dann kannst Du Dir was kaufen, was Dir das Problem löst.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-04-30, 23:04 Uhr
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Ich kann mir aber keinen Deich kaufen und auch keine Bundesbank.

(Der coole Ein-Satz-Stil)

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-04-30, 23:21 Uhr
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on 04/30/07 um 23:04:36, Eberhard wrote:Ich kann mir aber keinen Deich kaufen und auch keine Bundesbank.



Sicher kannst Du, musst Du sogar, oder meinst Du der Deich wäre sonst umsonst?

Dein Einwand zielt wohl auf öffentliche Güter hin. Wie das gelöst werden kann steht hier: http://www.hanshoppe.com/publications/Soc&Cap7.pdf (Chapter 10 of Socialism & Capitalism)




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-01, 09:23 Uhr
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Hi allerseits und jenen anarchistischen Glaubens, die
meinen, man könne sich einen Deich kaufen.

Dass Volkswirtschaften instabile Systeme sind, wenn keine Instanz von außen eingreifen kann, wussten bereits die ersten uns bekannten Kulturvölker. Ich denke an Ägypten oder die mesopotamischen Königreiche. Je mehr Güter ein Herrscher unter Verschluss bringen konnte, desto größere stehende Heere konnte er unterhalten, mit denen er Nachbarvölker mit geringerem ökonomischen Geschick unterjochen konnte. Außerdem ist die Rationierung notwendiger Gebrauchsgüter für die Untertanen ein probates Mittel das Volk willfährig zu halten.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur mit diesem Wissen ist es der westlichen Allianz möglich, der islamistischen Welt unser Verständnis von Ordnung aufzuzwingen.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von doc_rudi am 2007-05-01, 09:36 Uhr
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Hallo,
wir Individuen als Elemente eines Systems höherer Ordnung, des Staates, können dieses Verhalten von Staaten zwar nicht ändern. Aber die natürliche Entwicklung wird zur Auflösung der Staaten und der Religionsgemenschaften (auch ein lebendes System höherer Ordnung) führen, so dass die Individuen die Macht auf der Erde übernehmen werden. Das kann nur durch durch die Vernichtung der Menschheit überhaupt verhindert werden.

Gruß
rudi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-01, 09:42 Uhr
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Das nennt man wohl eschatologisches Denken.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-01, 09:56 Uhr
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Ich halte es nicht für wünschenswert, dass sich der Staat auflöst und die Individuen vom Typ Locusta migratoria (die sehr gemeine Wanderheuschrecke ;-)) die Macht komplett übernehmen!

@hedgi.
Du schreibst: "Dass Volkswirtschaften instabile Systeme sind, wenn keine Instanz von außen eingreifen kann, wussten bereits die ersten uns bekannten Kulturvölker..".
Welche Art von Instanz meinst du, die in die Volkswirtschaft eingreifen soll? Der Staat? Macht er sowieso, siehe deine angeführten Beispiele.

Eine Volkswirtschaft an sich ist kein Wert, sie hat die von der Gesellschaft gesteckten ökonomischen Ziele zu verwirklichen, natürlich im Rahmen der wirtschaftlichen Logik.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-01, 10:01 Uhr
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Das hat wohl eher mit Evolution zu tun oder glaubst Du Staat wäre eine dauerhafte Institution?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-01, 10:04 Uhr
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on 05/01/07 um 09:56:40, Hanspeter wrote:I
Eine Volkswirtschaft an sich ist kein Wert, sie hat die von der Gesellschaft gesteckten ökonomischen Ziele zu verwirklichen, natürlich im Rahmen der wirtschaftlichen Logik.



Volk und wirtschaftliche Logik - das schließt sich wohl gegenseitig aus.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-01, 10:05 Uhr
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Hallo Maulwurf,

für Dich lösen die Eigentümer durch Aushandlung von Verträgen (Kaufverträge, Arbeitsverträge, Gesellschaftsverträge, Versicherungsverträge etc.) alle Probleme.

Fragt sich nur, was Du unter einer „Lösung“ von Problemen verstehst. Ich messe die Resultate von Entscheidungsregeln wie dem Mehrheitsprinzip daran, ob diese einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entsprechen, das die individuellen Interessen gleichgewichtig berücksichtigt.

Nur von einem derartigen ethisch begründeten Kriterium her kann ich entscheiden, ob ein Entscheidungsbereich besser durch Abstimmungen oder durch das Spiel der Marktkräfte geregelt wird.

Zum Verfahren: Verweise auf Literatur, in der angeblich die Lösungen bereits vorliegen, zählen im Rahmen von Diskussionsrunden wie dieser nicht. Hier zählen nur die Argumente, die auch vorgetragen werden. Pflichtlektüre gibt es nicht.

Es grüßt Dich und alle andern

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-01, 10:29 Uhr
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on 05/01/07 um 10:05:40, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,

für Dich lösen die Eigentümer durch Aushandlung von Verträgen (Kaufverträge, Arbeitsverträge, Gesellschaftsverträge, Versicherungsverträge etc.) alle Probleme.

Fragt sich nur, was Du unter einer „Lösung“ von Problemen verstehst.



Genau das, was die Telnehmer des Marktes darunter verstehen, um durch Kooperation ihr menschliches Handeln zu unterstützen



Quote:Ich messe die Resultate von Entscheidungsregeln wie dem Mehrheitsprinzip daran, ob diese einem solidarisch bestimmten Gesamtinteresse entsprechen, das die individuellen Interessen gleichgewichtig berücksichtigt.



Fragt sich nur, was Du unter einem "Problem" verstehst, von einer „Lösung“ kann nicht zu reden.



Quote:Nur von einem derartigen ethisch begründeten Kriterium her kann ich entscheiden, ob ein Entscheidungsbereich besser durch Abstimmungen oder durch das Spiel der Marktkräfte geregelt wird.



Du willst also ein zentrales ethisches Kriterium für das politische Handeln von Menschen?


Quote:Zum Verfahren: Verweise auf Literatur, in der angeblich die Lösungen bereits vorliegen, zählen im Rahmen von Diskussionsrunden wie dieser nicht. Hier zählen nur die Argumente, die auch vorgetragen werden. Pflichtlektüre gibt es nicht.



Alle guten Hinweise sind Argumente. Ob diese für Dich "zählen" bleibt Deinem Ego überlassen.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-01, 10:51 Uhr
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Hallo Maulwurf,

hast Du schon mal etwas von Verhandlungsmacht, von bargaining power oder vom "stummen Zwang der Verhältnisse" gehört, die Verträgen zugrundeliegen können?



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-01, 11:01 Uhr
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Hallo allerseits,

ich will noch auf eine Komplikation aufmerksam machen, die mit dem Mehrheitsprinzip verbunden ist.

Wir sind bisher wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir alle wissen, was mit dem Mehrheitsprinzip gemeint ist. Wenn man sich aber um eine genauere Definition bemüht, wird die Sache kompliziert.

Dazu ein Ausschnitt aus dem Wikipedia-Artikel "Mehrheitsprinzip":

"Nehmen wir ... ein Beispiel, bei dem sich die 5 Individuen A, B, C, D und E zwischen den 4 Alternativen w, x, y und z gemeinsam entscheiden müssen.

Die Bewertung der Alternativen durch die einzelnen Individuen wird durch eine entsprechende Rangfolge der Alternativen wiedergeben.

In der folgenden Tabelle sind die angenommenen Präferenzen der Mitglieder A, B, C, D und E in Bezug auf die Vorschläge w, x, y und z eingetragen:

-----------A-- --B-- --C-- --D-- --E--

1. Rang: --y-- --y-- --X-- --z-- --w--
2. Rang: --z-- --X-- --z-- --X-- --X--
3. Rang: --w-- --z-- --y-- --y-- --y--
4. Rang: --X-- --w-- --w-- --w-- --z--


Die Frage ist: Welche der Alternativen gibt den Willen der Mehrheit wieder?

Um das herauszufinden, könnte man abstimmen. Angenommen, die Individuen stimmen „aufrichtig“ ab, d. h. jeder gibt seine Stimme der von ihm favorisierten Alternative. Dann stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für z und E für w. In diesem Fall gibt es für keine der Alternativen eine (absolute) Mehrheit (englisch 'majority'). Es gibt allerdings eine relative Mehrheit (englisch 'plurality') von y gegenüber den andern Alternativen: y hat von allen Alternativen die meisten Stimmen erhalten, also mehr Stimmen als irgendeine andere Alternative.

Das Abstimmungsverfahren, bei dem derjenige Vorschlag siegt, der die meisten Stimmen erhält, wird als "Regel der relativen Mehrheit" bezeichnet (englisch 'plurality voting').

Aber ist y das, was die Mehrheit will? Fest steht nur, dass y von A und B gewollt wird. Dies ist jedoch der Wille einer Minderheit.

Wenn man die Präferenzordnungen in der Tabelle genauer betrachtet, wird man feststellen, dass die Alternative x von den Individuen C, D und E gegenüber y vorgezogen wird. Bei einem Paarvergleich zwischen x und y bekäme x eine Mehrheit der Stimmen (3) während auf y nur eine Minderheit (2) der Stimmen entfallen würde. Insofern will die Mehrheit eher x als y. Auch beim Paarvergleich mit w und z würde x eine Mehrheit bekommen.

Angenommen, es würde nach der Regel der absoluten Mehrheit abgestimmt ("Als kollektiv gewählt gilt diejenige Alternative, die mehr als die Hälfte der Stimmen erhält"), und mit den Stimmen von A, C und D würde die Alternative z gewählt. Ist z nun das, was die Mehrheit will? Aus den Präferenzordnungen der Tabelle ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x besser ist als z. Insofern will die Mehrheit also eher x als z.

(Eine Alternative, die bei paarweisen Abstimmungen mit jeder der anderen Alternative eine Stimmenmehrheit erhält, wird auch als "Mehrheitsalternative" bezeichnet. In unserem Beispiel ist x die Mehrheitsalternative. E.)

Wie man sieht, sind die Ergebnisse der verschiedenen Wahlverfahren (Regel der relativen Mehrheit, Regel der absoluten Mehrheit etc.) vom Wahlverhalten der Individuen abhängig und als solche wenig aussagekräftig. Man kann jedoch zeigen, dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in allen gleichgewichtigen Verfahren durchsetzt, wenn die Individuen so abstimmen, dass das für sie bestmögliche Ergebnis erzielt wird.

Damit kann man die Frage, was die Mehrheit will, dahingehend beantworten, dass die Mehrheit die Mehrheitsalternative will. Alle gleichgewichtigen Wahlverfahren, bei denen sich eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im Einklang mit dem Mehrheitsprinzip."

Ich hoffe, damit haben wir die Klärung dessen, was mit dem Begriff "Mehrheitsprinzip" gemeint ist, nachgeholt.

Einen schönen 1. Mai wünscht allen

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-01, 11:50 Uhr
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on 05/01/07 um 10:51:46, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,

hast Du schon mal etwas von Verhandlungsmacht, von bargaining power oder vom "stummen Zwang der Verhältnisse" gehört, die Verträgen zugrundeliegen können?



In allen sozialen Verhältnissen kann Macht und Zwang dem was auch immer zugrundeliegen. Wo ist das Argument?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-01, 16:04 Uhr
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Dass eine Behauptung wahr oder falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang gegründet.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-01, 19:33 Uhr
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Doc Rudi schrieb:
Quote:Aber die natürliche Entwicklung wird zur Auflösung der Staaten und der Religionsgemenschaften (auch ein lebendes System höherer Ordnung) führen, so dass die Individuen die Macht auf der Erde übernehmen werden.



Anders formuliert die Zukunft heißt Anarchie. Ich glaube kaum, dass Anarchien längerfristig lebensfähig sind. Solche Utopien gab es bereits viele, aber sie wurden im Vorweg bereits als Totgeburten eingestuft. Mit anarchistischen Systemen müssen wir kurzfristig rechnen, wenn abgelebte Systeme, weil dekadent geworden, zusammenbrechen. Ähnliches hatten wir, als das die bekannte Welt beherrschende Rom zusammenbrach, und sich wie Nomaden herumstreunende Völker sich auf den Stuhl des römischen Kaisers setzten und wie Parasitenpflanzen den letzten Rest Lebenssaft aus dem übrig gebliebenen Volk aussaugten. Das System Staat nahm eine neue Qualität an, das über den Feudalismus als Zwischenspiel vorübergehend existieren konnte, bis sich das kapitalistische System durchsetzte und sich bis heute als recht lebensstark erwies, bis auch dieses System den üblichen Weg, seinem Ende, entgegensehen wird. Das ist das Gesetz der Evolution. Wir sollten aber bedenken, dass es schwierig ist, zukünftige Gesellschaften zu beschreiben. Wie wir sehen können, war der Kommunismus schon recht stabil und konnte 100 Jahre sich gegen den Kapitalismus behaupten, musste sich aber doch gegen den Kapitalismus zurücktreten.

Deshalb stehen wir wieder am Anfang in unserer Erforschung einer brauchbaren Gesellschaftstheorie. Wir brauchen nicht das Ganze nicht neu erfinden. Wenn wir bei Hegel neu aufsetzen, und das als richtig erkannte aus der marxschen Philosophie in eine neue Gesellschaftstheorie integrieren, sind wir auf dem richtigen Weg, meine ich. Bis dahin sind wir mit einer Sozialdemokratie, die sich auf keine faulen Kompromisse einlässt, am besten bedient.

An Hans Peter: Ich meine mit Instanz die Regierung, die die Gesetze verabschiedet, mit denen eine Volkswirtschaft gesteuert wird. Wenn sich eine Wirtschaft sich an keine Vorgaben halten müsste, hätten wir den Zustand der im Dschungel herrscht, und die Schwächeren wären den Stärksten hilflos ausgeliefert.

Um zum eigentlichen Thema etwas zu schreiben, Mehrheitsprinzipien sind ein sozialdemokratisches Anliegen, deshalb benötigt eine Partei Mechanismen Politiker unverzüglich zu entfernen, falls sie den ursprünglichen Boden der von den Mitgliedern verabschiedeten Richtlinien, im gemeinsamen Konsens beschlossen, verlassen. Das wurde seit der Amtszeit von Schröder deutlich.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-01, 19:50 Uhr
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on 05/01/07 um 16:04:19, Eberhard wrote:Dass eine Behauptung wahr oder falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang gegründet.



Kann es sein, dass Du Dir der Faden verloren gegangen ist oder muss ich den Zusammenhang verstehen?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-01, 20:33 Uhr
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Wieso ist eine einfache Wahrheit schwer zu verstehen?

Quote:Dass eine Behauptung wahr oder falsch ist, ist nicht auf Macht und Zwang gegründet.



Es ist durchaus möglich gegen jegliche Vernunft zu handeln, wenn jemand über die Machtmittel verfügt. Dieser Beweis wurde schon mehrmals in der Geschichte erbracht. Es muss nicht immer wieder erneut versucht werden, die Wahrheit auf den Kopf zu stellen.

Gegen die Interessen der Menschen zu handeln, erfordert immer einen hohen Preis.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von doc_rudi am 2007-05-01, 21:08 Uhr
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Hi hedgi,
schön, dass Du bei meiner Aussage anknüpfst (#51), Du kannst die zukünftige Organisierung der Menschheit auch Anarchie nennen, aber es wird mit Kommunismus im marxistischen Sinn nicht viel zu tun haben, mit Kommunismus im urchristlichen Sinn (Gemeinschaftseigentum) wird es noch weniger zu tun haben.

Jeder Mensch wird sich entsprechend seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten in der zukünftigen Gesellschaft entfalten können. Der marxistische Kommunismus ist u.a. daran gescheitert, dass die Menschen zu Einheitsmenschen, zu Ameisen innerhalb einer Klasse degradiert wurden. Der Mensch ist jedoch Individuum, jeder ist anders. Für seine persönliche Entfaltung benötigt er jedoch einerseits Geld und die entscheidende Frage dabei ist, wie das Geld verteilt wird.
Die Philosophie lebender Systeme sieht dabei die Gegenwart so: durch Effektorentätigkeit (Ausführung von Tätigkeiten, die einem Anderen nützen, z.B. auch der Allgemeinheit), bekommt das Individuum Geld und wenn es Geld ausgibt, betätigt es sich als Dominator, bestimmt nämlich durch die Wahl eines Produktes die zukünftige Produktion. Die Menschen werden durch diese Beschreibung der Gegenwart nicht in Klassen zerteilt, sondern jeder ist zeitweilig Effektor (wenn er Geld verdient) und Dominator (wenn er Geld ausgibt).

Mehrheitsentscheidungen (und damit nähere ich mich dem Thema dieses Threads) sind nicht nur Wahlentscheidungen bei politischen Wahlen, sondern immer, wenn jemand etwas kauft (ein Produkt) trifft er eine Wahl, er wählt nicht nur ein bestimmtes Produkt, sondern Menschen, die an der Herstellung dieses Produkts beteiligt waren: die Bauern einer Region, die den Weizen angebaut haben, die Leute, die daraus Brot gemacht haben, die, die es in den Supermarkt transportiert haben und die, die es dort verkaufen. Alle diese Personen werden im Moment des Kaufs zu seinen Effektoren.
Die Firmen, die diese Produkte anbieten, wissen das, und deshalb werben sie auch um Käufer, Fernsehwerbung und andere Werbung ist im Grunde immer Wahlwerbung, sie wirbt beim Zuschauer darum, dass möglichst viele beim Kauf ihr Produkt wählen.

Die Produzenten, die Firmen, die Arbeiter in den Firmen, sind keine Ausbeuter, ja selbst die Manager sind die Effektoren (die Diener) der Käufer.

Die Macht hat nicht der Produktionsmittelbesitzer (wie in der marxistischen Vorstellungswelt), sondern die Macht hat der Käufer, der Mensch; dies allerdings eben dann, wenn viele Individuen hinsichtlich der Befriedigung eines Bedürfnisses das Produkt eines Herstellers wählen. Je mehr den gleichen Produkthersteller beim Kauf wählen, desto mehr stärken sie diesen.
Der Hersteller ist also vom Wähler, nämlich dem Käufer, abhängig. Der Hersteller ist der Schwache und die Käufer die Mächtigen. Dies scheinen die Käufer leider noch nicht zu wissen.

So weit kurz zu diesem Thema. Das eigentliche ist jedoch, dass die Selbstentfaltung in der Zukunft nicht materieller Natur sein kann und dass das Forcieren des materiellen Wachstums in den Untergang der Menschheit führen wird. Der Mensch kann zwar nicht anders, als wachsen, es gibt keine Selbstverkleinerungskraft im lebenden System. Aber der Mensch ist auch ein geistiges Wesen und muss in Zukunft sein Wachstum im Reich des Geistes befriedigen.

Gruß
rudi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-01, 23:27 Uhr
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Hallo,

@Eberhard:

Das Mehrheitsprinzip ist in der Praxis doch einfacher als gedacht. Ich wäre ja schon froh, gäbe es Volksentscheide mit zwei Wahlmöglichkeiten. Ansonsten hilft jenes Prinzip, das wir derzeit in Frankreich erleben: Die beiden favorisierten "Meinungen" (in diesem Fall Personen) werden erneut zur Wahl gestellt.

@hedgi schreibt: "Mehrheitsprinzipien sind ein sozialdemokratisches Anliegen, deshalb benötigt eine Partei Mechanismen Politiker unverzüglich zu entfernen, falls sie den ursprünglichen Boden der von den Mitgliedern verabschiedeten Richtlinien, im gemeinsamen Konsens beschlossen, verlassen."

Genau das ist das Problem der SPD. Sie verabschiedet Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht aber der Mehrheit im Volk entspricht. Und dann kommt es wie so oft: Der Kanzler ist im Volk beliebter als in der eigenen Partei. Siehe nicht nur Schröder, trifft auch für H. Schmidt zu. Und der allseits beliebte W. Brandt erwies sich, außer in der Außenpolitik, als nicht sehr effektiv.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-02, 09:25 Uhr
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Hallo Hanspeter,

wichtig scheint mir zu sein, dass das Abstimmungsverfahren so gestaltet ist, dass eine vorhandene Mehrheitsalternative sich auch herausschält und durchsetzt.

Dies ist auch bei der einfachen Abatimmung nach der relativen Mehrheit im Prinzip möglich, wo die Alternative mit den meisten Stimmen als gewählt gilt, auch wenn sie weniger als die Hälfte der Stimmen auf sich vereint hat. Dazu ist es allerdings nötig, dass Transparenz über die Interessenlage der Beteiligten besteht und dass Absprachen über das Abstimmungsverhalten möglich sind, die dann auch eingehalten werden.

Das zweistufige Verfahren der französischen Präsidentenwahl ist meiner Ansicht nach gut geeignet, eine vorhandene Mehrheitsalternative durchzusetzen, auch wenn die Beteiligten sich mit Koalitionen schwer tun.

Dass dabei nicht "aufrichtig" abgestimmt wird, dass man also nicht für die eigene Spitzenalternative stimmt, ist deshalb nichts zu Kritisierendes, sondern ist umgekehrt sogar gefordert.

Grüße von Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-02, 12:07 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Hanspeter,

was Du als Problem der SPD beschreibst ("Sie verabschiedet Richtlinien, die zwar einer Parteimehrheit, nicht aber der Mehrheit im Volke entspricht" und "Der Kanzler ist im Volk beliebter als in der eigenen Partei") ist nicht nur so sehr ein SPD-Problem, sondern ein Problem, das sich aus den Eigenschaften des Mehrheitsprinzips ergibt. Was ich meine, ist in dem Satz enthalten: "Wer die Wahl gewinnen will, muss die Mitte besetzen."

Man kann sich das folgendermaßen veranschaulichen.

Angenommen, die politischen Positionen lassen sich auf einer Links-Rechts-Skala wiedergeben und wir haben 5 Wähler. Das könnte z. B. so aussehen:

--- A ----B -----------------C---------------------D-----------------------E-----

In diesem Fall ist C der "mittlere" Wähler, genauer: der Medianwähler. Bei rationalem Abstimmungsverhalten kann nur ein Programm die Mehrheit erhalten, die der Position von C entspricht.

Angenommen, A und B versuchen eine Mehrheit mit C zusammen zu bekommen auf der Position x:

--- A ----B --------x-------C---------------------D-----------------------E-----

Dann könnte C seine Position dadurch verbessern, dass er eine Koalition mit D und E auf seiner Position zusammenbringt. Ein Programm, das der Position von C entspricht, wäre für D und E besser als ein Programm, das der Position von x entspricht.

Dies trifft nun in jedem Fall zu. Angenommen D und E versuchen mit C eine Mehrheit auf der Position y zustande zu bringen:

--- A ----B -----------------C---------------y------D-----------------------E-----

Dann könnte C an A und B ein Koalitionsangebot auf der Position C machen, das für A und B eine Verbesserung gegenüber y darstellt.

Am "mittleren" Wähler geht also kein Weg zur Mehrheit vorbei. Der Grund hierfür ist der, dass die Position C hier die Mehrheitsalternative bildet, die bei rationalem Verhalten aller Beteiligten das Ergebnis bildet.

Dies ist die Logik des Mehrheitsprinzips, die bei Wahlen beachtet werden muss, wenn man Wahlen gewinnen will.

Da aber Parteien nicht nur auf das Ziel ausgereichtet sind, Wahlen zu gewinnen, sondern auch aus Mitgliedern bestehen, die bestimmte politische Überzeugungen haben und diese verwirklicht sehen möchten, ergibt sich das Phänomen, dass die erfolgreichen Spitzenkandidaten meist mehr zur Mitte tendieren als ihre Partei.

Dafür ist Angela Merkel ein gutes Beispiel.

Dies erklärt auch, warum die FDP als "Zünglein an der Waage" trotz ihrer Kleinheit der "Königsmacher" war, als sie noch nicht rechts von der CDU/CSU angesiedelt war.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-02, 12:56 Uhr
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Hallo Eberhard,

ich stimme deinen Ausführungen im Prinzip zu. Mit den PG's, deren Interessen nur bedingt zum Zuge kommen, habe ich wenig Mitleid.

Wichtig ist, dass Probleme effektiv gelöst werden und wenn die Mitte die besten Lösungen hat - warum nicht?

Ich denke aber, das Rechts-Links-Schema hilft uns derzeit nur sehr bedingt zu einem vernünftigen Lösungsansatz. Ist man rechts oder links, wenn man sich für eine ökologisch vernünftige Politik einsetzt? Doch selbst unter den Rechten oder Linken kann ich keinen erfolgversprechenden Ansatz für eine sinnvolle Wirtschaftspolitik erkennen - Laissez-faire bevorzugen die einen, während die anderen glauben, je länger der Sozialismus Geschichte ist, desto verklärter leuchtet er.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-02, 17:14 Uhr
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Hi allerseits,

ein Parteimitglied hat gewöhnlich Vorstellungen wie weitzugehen er bereit ist, andere Entscheidungen mitzutragen. Deshalb halte ich ein Links-Rechts-Schema für vereinfachend, um über dieses Thema zu befinden.

Das was Wähler wollen, und das was Parteimitglieder wollen, ist nicht unbedingt unter einen Nenner zu bringen. Nur eine Partei, die um jeden Preis regieren will, läuft Gefahr ihr Profil zu verlieren.

Auf Eberhards Wahlskala lassen sich Wahlprogramme anschaulich positionieren, aus dem klar werden sollte, dass es nicht unbedingt besser ist, auf jeden Fall mitzuregieren. Gehen wir davon aus, die Akzeptanzschwelle einer Partei reicht von zwischen A und B positioniert bis etwas über C nach rechts hinaus. Dann könnten B und C auf jeden Fall koalieren. Ob mit A und D eine Einigung erzielt werden kann, hängt davon ab, wie viel von der eigenen Identität aufgegeben werden muss.

Oft können die eigenen Ziele aus der Opposition heraus wirkungsvoller in Szene gesetzt werden.

An Rudi. Ich schrieb nichts davon, dass ich den Marxismus politisch für durchsetzbar halte, sondern lediglich, bei der Suche nach neuen gesellschaftlichen Perspektiven fangen wir nicht bei Null an, sondern wir berücksichtigen selbstverständlich bis heute erarbeitete Erkenntnisse großer Philosophen. Dazu gehört auch die marxsche Kapitalismuskritik.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-02, 17:52 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

ich stimme Dir zu, dass es etwas gewaltsam wäre, wollte man die politischen Alternativen auf eine Links-Rechts-Dimension reduzieren. Wie sich die Mehrheitsalternative in mehrdimensionalen Politikräumen darstellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Dann besteht auch die Möglichkeit des sogenannten „Wahlparadoxes“, dass gar keine Mehrheitsalternative existiert sondern zirkuläre Mehrheiten bestehen.

Man kennt so etwas vom Fußball, wenn eine Spitzenmannschaft wie der 1. FC Adorf einen „Angstgegner“, den VfB Udorf hat, gegen den sie partout nicht gewinnen kann, obwohl der VfB Udorf gewöhnlich gegen den Abstieg kämpft.

Da schlägt dann eine mittelstarke Mannschaft wie der SV Edorf den VfB Udorf, der VfB Udorf schlägt den 1. FC Adorf, und der 1. FC Adorf schlägt den SV Edorf.

Es gilt aufgrund dieser 3 Spiele: SV Edorf > VfB Udorf > 1. FC Adorf > SV Edorf. Welches ist demnach die „stärkste“ Mannschaft?

Ähnliches kann passieren bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, wenn z. B. die Präferenzen der 3 Abstimmungsberechtigten A, B und C hinsichtlich der zur Abstimmung stehenden 3 Alternativen x, y und z folgendermaßen aussehen:

-------------A---------B---------C

-1. Rang: ----x---------y---------z
-2, Rang: ----y---------z---------x
-3. Rang: ----z---------x---------y

Bei paarweiser Abstimmung ergibt sich:

x gegen y: 2:1 , y gegen z: 2:1 und z gegen x: 2:1. Das bedeutet, dass keine Mehrheitsalternative existiert.

In der Praxis spielt dies gewöhnlich keine Rolle, weil das Mehrheitsprinzip gewöhnlich mit einer Status-quo-Klausel verbunden ist, die besagt, dass alles beim Alten bleibt, wenn keine Alternative gewählt wird.

Allerdings ist Stimmengleichheit von Alternativen, die sogenannte „Pattsituation“ in der Politik, eine mögliche Schwierigkeit bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip

Grüße an alle von Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-02, 18:35 Uhr
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Toll! Und was hat jetzt dieser ganze Demokratenquark mit Philosopie zu tun?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-02, 20:43 Uhr
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Was meinst Du mit Demokratenquark?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-03, 05:46 Uhr
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Hallo Eberhard,

unsere Aufgabe ist es doch nicht, die stärkste Mannschaft (Partei?) zu ermitteln, sondern Probleme zu lösen, sprich die für das Volk optimale Lösung zu finden. Oder plädierst du für eine Parteienbundesliga?

Dass Volksentscheide, also das direkte Mehrheitsprinzip. die beste Lösung wäre, steht wohl außer Frage. Das Problem ist nicht die Rechtfertigung des Volksentscheids an sich, sondern die Tatsache, dass die Herrschenden dem Volk keine Entscheidungsmöglichkeiten gönnen, weil sie dadurch an Macht verlören. Und dass Politiker freiwillig Macht abgeben ist so selten wie ein Sechser im Lotto.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-05-03, 06:27 Uhr
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Hi. Hanspeter,


Du: unsere Aufgabe ist es doch nicht, die stärkste Mannschaft (Partei?) zu ermitteln, sondern Probleme zu lösen, sprich die für das Volk optimale Lösung zu finden.

Hat Dir das Volk diese Aufgabe gegeben? Oder wer hat sie Dir gegen den Willen dieses Volkes gegeben?

Gedanken über Problemlöse- und Entscheidungsmethoden, das halte ich schon für sinnvoll.
Aber als Information, und eben nicht als Bevormundung.


Übrigens sehe ich noch eine Familie von Lösungsvarianten, die alle "die Wette" als wirksames Element enthalten.
Die sogenannte Wett-Leidenschaft der Briten hat nicht nur die anrüchigen Elemente des Glücksspiels, sondern ich vermute dahinter auch einen Nutzen.

Mich interessiert das als Variante für Entscheidungen im Projektgeschäft, wo leichtfertige Einwände ("ach, das wird doch nix") das Team in der Routine erstarren lassen. Solche Einwände werden so leicht zur selbsterfüllenden Proüphezeihung.

Eigentlich ist jede Prognose, Bewertung, Zustimmung oder Ablehnung in der beruflichen Besprechung eine Wette mit dem persönlichen Ruf als Wetteinsatz, von daher ist die Einführuing einer Wette Eulen nach Athen tragen.
Aber es könnte ganz lustig sein, wenn wir die Prognosen im Protokoll festhalten "der Dollar wird bis in 3 Monate weiter fallen", um eine Gegenmeinung bitten, beide Prognostiker um ihren Wetteinsatz und nach 3 Monaten Wette, Wetter, Ausgang und Wettkontostand projektweit aushängen.

Ich erhoffe mir daraus ein Abnehmen der leichtfertigen Meinungsaußerungen.


Ciao
Wolfgang Horn

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-03, 10:54 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

auch wenn es unpopulär ist: Ich bin nicht der Meinung, dass eine Volksabstimmung nach dem Mehrheitsprinzip in jedem Fall die beste Form der kollektiven Entscheidung ist. Ich beziehe mich dabei auf das reine Mehrheitsprinzip, bei dem jeder frei ist, seine Stimme nach Belieben abzugeben.

Ich versuche mal zu demonstrieren, was ich meine.

Ich gehe von einer 3-Personen-Gesellschaft aus, bestehend aus A, B und C.
(Ich könnte genau so gut von einer 3-Millionen-Gesellschaft bestehend aus den Gruppen A, B und C mit je 1 Millionen Individuen ausgehen, nur wäre das unübersichtlicher.)

Es werden 2 Volksentscheide - nennen wir sie V1 und V2 - als zwei von einander unabhängige Entscheidungen durchführt.

Bei V1 geht es um die Alternativen w und x, bei V2 geht es um die Alternativen y und z.

Nehmen wir nun weiter an, dass Person A von V1 sehr stark betroffen ist. Das bedeutet, dass die Alternativen w und x sehr unterschiedlich bewertet werden. Für A ist w sehr viel besser als x.

Für B und C sind die beiden Alternativen annähernd gleich gut, x ist allerdings etwas besser als w.

Dies kann man in folgender Werttabelle wiedergeben:

(Subjektive Werte der Alternativen w und x des Volksentscheids 1)

-----------------A------------B------------C

-----w:-------100----------50------------60
------x:--------10-----------60------------70

Wenn alle Beteiligten entsprechend ihrem Interesse abstimmen, siegt die Alternative x mit den 2 Stimmen von B und C bei einer Gegenstimme von A.

Bei V2 geht es um die Alternativen y und z. Hier ist nun C sehr stark von betroffen, während für A und B die beiden Alternativen annähernd gleichwertig sind.

Dies sei durch folgende Werttabelle wiedergegeben:

(Subjektive Werte der Alternativen y und z des Volksentscheids 2)


------------------A-----------B-------------C

-------y:--------60----------70-------------10
-------z:--------50----------60------------100

Wenn alle Beteiligten entsprechend ihrem Interesse abstimmen, siegt die Alternative y mit den 2 Stimmen von A und B bei einer Gegenstimme von C.

Ergebnis der direkten Demokratie mit Volksentscheiden zu einzelnen Punkten wäre also die Wahl der Alternativen x und y.

Dies Ergebnis ist nicht das bestmögliche Ergebnis für die Beteiligten.

Nehmen wir einmal an, über die beiden Punkte würde nicht einzeln, sondern im "Paket" abgestimmt.

Dann hätten wir folgende mögliche Alternativenbündel: (w+y), (w+z), (x+y) und (x+z)).

Wenn die Bewertungen der Alternativen voneinander unabhängig sind, kann man die subjektiven Werte der Bündel für A, B und C durch die Summe der Werte der einzelnen Alternativen ausdrücken. Man erhält dann folgende Wertetabelle:

(Subjektive Werte der Alternativenbündel)


--------------------A-----------B-------------C

---(w+y):--------160---------120-----------70
---(w+z):--------150---------110----------160
---(x+y):---------70----------130-----------80
---(x+z):---------60----------120----------170

Bei den einzelnen Volksentscheiden 1 und 2 werden x+y gewählt.
Der Wert dieser beiden Alternativen zusammengenommen ist aus der vorletzten Zeile der vorstehenden Tabelle ersichtlich.

Wenn die beiden Volksentscheide gebündelt werden und über die möglichen Alternativenbündel abgestimmt würde, würde sich jedoch ein anderes Ergebnis einstellen. Das Alternativenbündel (w+z) wäre sowohl für A besser als auch für C. Es stellt jetzt die Mehrheitsalternative dar, die bei paarweisen Abstimmungen gegenüber jeder anderen Alternative die Mehrheit der Stimmen bekommen würde. Die Mehrheitsalternative (w+z) würde sich bei rationalem Verhalten der Beteiligten bei einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip durchsetzen, wie die folgende Tabelle zeigt.

(Tabelle der Präferenzordnungen in Bezug auf die Alternativenbündel)

--------------------A-----------B--------------C

-1. Rang:------(w+y)-------(x+y)---------(x+z)
-2. Rang:------(w+z)-------(w+y)--------(w+z)
-3. Rang:------(x+y)--------(x+z)---------(x+y)
-4. Rang:------(x+z)--------(w+z)--------(w+y)

Das Mehrheitsprinzip führt also je nach Bündelung zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn die Beteiligten unterschiedlich stark von den einzelnen Entscheidungen betroffen sind. Nur die Bündelung aller Entscheidungen und die Abstimmung über die möglichen Alternativenbündel führt zu Ergebnissen, die dem Willen der Mehrheit am besten entsprechen

Parteien können solche Pakete in Form von Wahlprogrammen oder Wahlplattformen zusammenstellen und zur Abstimmung stellen.

Ich breche also eine Lanze für die Parteiendemokratie.

Es grüßt Euch in Erwartung herber Kritik Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-03, 18:04 Uhr
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Hi allerseits,

dem Wähler stehen normalerweise keine Alternativbündel zur Wahl. Bei den allvierjährlichen Wahlen steht dem Wähler etwas ähnliches zur Auswahl, das Wahlprogramm, bereit. Das Wahlprogramm stellt eine Kopplung mehrerer Gesetzesplanungen dar. Nur ist die Wahrscheinlichkeit auf Einhaltung der Wahlversprechen sehr gering. Vor Wahlen trifft der Wähler seine Entscheidung nach Wichtigkeit des Wahlversprechens und nach der Glaubwürdigkeit der Partei. Da die Parteien die Inkompetenz ihrer Wähler kennen, brauchen sie sich keine Mühe zu geben, ihre Planungen mit allen Konsequenzen zu erläutern. Sollte eine unerwünschte Frage gestellt werden, geht man einfach zum nächsten Punkt über.

Bei sonstigen Abstimmungen im Parlament geht es lediglich um einzelne Gesetzesvorlagen und es würde keinen Sinn ergeben, mehrere Gesetze in Abhängigkeit zu setzen, wenn sie sonst in keinem Zusammenhang stehen.

Über Volksabstimmungen lohnt es weiter zu diskutieren, weil es dem Zweck einer Demokratie am nächsten kommt. Auch hier macht es keinen Sinn künstlich Abhängigkeiten zu schaffen.

Wir müssen eine Aufwandsbetrachtung zu Parlamentsentscheidungen sowie Volksbefragungen vornehmen. Bei Parlamentsentscheidungen bedarf es keines großen Aufklärungsaufwandes. Das Volk sollte zwar informiert werden, damit es weiß was ihn erwartet. Die traurige Wirklichkeit sieht leider anders aus. In der Steuergesetzgebung ist es so, dass der Steuerzahler regelmäßig aus allen Wolken fällt, wenn er plötzlich erfährt, dass Steuern für Dinge anfallen, für die vorher keine Steuern gezahlt wurden.

Bei Volksbefragungen wäre vor der Abstimmung ein größerer Werberummel erforderlich, weil die Interessengruppen für ihre Ziele werben müssten. Der damit verbundene Vorteil wäre, das Volk wäre im vollen Umfang aufgeklärt und die Manipulation wäre minimiert, da jede Partei schnell merken würde, mit ehrlicher Information fährt man am besten. Allerdings ist diese Art zu wählen, kostenaufwändig. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Parteimitglieder eine vollständige Aufklärung des Wählers nicht unbedingt als Vorteil ansehen. Der Nachteil für Abgeordnete und Minister, für die Großindustrie bestände kein Grund mehr Scheinarbeitsverträge und Aufsichtsratsposten für Parlamentarier bereitzuhalten, und es schmälert die Bedeutung des Parlaments.

Fazit des Ganzen. Gesetze en Block entscheiden, kann nicht im Interesse des Wählers sein. dagegen sind Volksbefragungen in wichtigen Angelegenheiten zwar teuer, aber es kommt der Idee der Demokratie am nächsten.

wir brauchen nur noch zu klären, was unter wichtig zu verstehen ist. Wegen jeder Kleinigkeit wird es keine Volksbefragung geben. Auch benötigen wir einen Mechanismus, um im nachhinein einen Volksentscheid zu erzwingen.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-04, 21:25 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hedgis,

wir haben in Deutschland die Situation, dass in der Regel keine Partei alleine regiere kann und dass deshalb Regierungskoalitionen gebildet werden müssen. Auf der Ebene der Koalitionsvereinbarungen werden dann erst die entscheidenden Pakete geschnürt, die nur noch von den Fraktionen mit Mehrheit abgesegnet werden müssen.

Das führt dazu, dass die Wahlprogramme der einzelnen Parteien, die dem Wähler vorgelegt werden, meist Schnee von gestern sind. Dies bedeutet, dass die Wähler nur sehr indirekt über das Regierungsprogramm abgestimmt haben und dass die Wähler von der Politik der Koalitionsregierung eher überrascht werden.

In dieser Hinsicht ist das britische Wahlrecht besser, das meist zu klaren Mehrheiten führt, und wo die siegreiche Partei für die Regierungspolitik voll verantwortlich ist,

meint Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-05, 12:14 Uhr
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Hi Eberhard,

wir müssen uns für eine Variante entscheiden, von der wir meinen, sie garantiere die größte Zufriedenheit unter den Wählern. Zur Auswahl haben wir.

Die Präsidialdemokratie: das Volk wählt einen Präsidenten, der die Macht eine vorgegebene Zeit innehat. Die Macht wird gewöhnlich durch das Parlament kontrolliert, sodass er nicht wie ein Diktator walten kann. Gesetze müssen eingehalten werden.

Die parlamentarische Demokratie: das Volk weiß hinterher nie, was es eigentlich gewählt hat.

Die Direkte Demokratie nach dem Schweizer Modell: Die bisher gemachten Erfahrungen mit Volksbefragungen zur Europafrage, könnte manch einen dazu verleiten zu glauben, die Menschen wollen keine Demokratie für Europa. Die Interviews spiegeln aber eine ganz andere Realität wieder. Die Wähler haben deshalb zu europäischen Fragen mit nein gestimmt, weil sie das Gefühl nicht loswerden, die Demokratie werde durch die europäischen Institutionen ausgehebelt, und wirke auf die nationalen Regierungen mit negativen Effekten zurück. Diese Interviews zeigen uns, die europäischen Bürger wollen nicht nur zu Zuschauern der Politik degradiert werden, sie wollen am Entscheidungsprozess beteiligt sein. Das können aber nur Volksbefragungen garantieren. Ich glaube aber die Schweizer sind ganz zufrieden mit ihrem System, sodass man es kopieren könnte, sofern uns nichts besseres einfällt.

Institutionelle Demokratie: Eigentlich hat das nicht viel mit Demokratie gemein. Ein entsandter Rat mit einem Präsidenten an der Spitze regelt die Politik, ein Parlament ohne Mitsprache wird als Feigenblatt gehalten, um sich als Demokratie bezeichnen zu können. Aber das hat bisher jede Herrschaftsform geschafft. Mir ist keine Regierungsform bekannt, das sich kein Parlament hielt.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-05, 13:21 Uhr
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Was ist denn mit der Zufriedenheit der Nichtwähler?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-05, 21:31 Uhr
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Hallo allerseits, Hallo hedgi,

Ich denke, es ist sinnvoll, von der bestehenden politischen Verfassung dieses Landes auszugehen und zu fragen, was konkret verbessert werden könnte.

In Bezug auf die Einführung beziehungsweise die Erweiterung plebiszitäre Elemente im Grundgesetz wäre es sinnvoll, solche Entscheidungsbereiche zu benennen, in denen das Volk direkt befragt werden muss und wo es mehrheitlich entscheiden sollte.

Mir fallen da z. B. die folgenden Bereiche ein, die für alle von elementarer Bedeutung sind:

1. Änderungen der Verfassung (mit mindestens 2/3 der Stimmen),
2. Änderungen des sonstigen Wahlrechts,
3. Änderungen des Staatsgebietes oder der Ländergrenzen
4. Zugehörigkeit zu Militärbündnissen.

"Normale" politische Entscheidungen sollten nicht durch Volksentscheide getroffen werden wegen des Problems, dass eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt.

Wie man den Wählern einen direkten Einfluss auf die Regierungsprogramme geben kann, weiß ich nicht. Die Parteien vermeiden es, sich vor der Wahl auf eine Koalition fest zu legen. Sie versuchen sich zu profilieren und möglichst viele Stimmen zu bekommen, um dadurch gestärkt in die Koalitionsverhandlungen zu gehen. Dies hat eine gewisse Berechtigung, weil ja nicht feststeht, ob eine beabsichtigte Koalition die Mehrheit im Bundestag bekommen wird. Die Parteien wollen sich die Möglichkeit offen halten, in diesem Fall die Koalitionsfrage neu zu stellen.

Vielleicht wäre es Aufgabe einer unabhängigen Presse, die Programmatik bzw. Nicht-Programmatik der Parteien kritischer zu durchleuchten und genauer darüber zu informieren, in welchen Punkten Regierungsparteien von ihrer Programmatik abgewichen sind, um eine Koalition zu bilden.

Bei allen Verfassungsänderungen sollte man sehr gründlich überlegen und eher zögerlich vorgehen. Diese grundlegenden Prinzipien sollte man nicht alle paar Jahre umstoßen, meint

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Chewbacca am 2007-05-06, 12:13 Uhr
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Muhaaaaaa... schmeiss mich weg ....Muuuuhaaaa

änderung der verfassung?

bis wo sson kleiner fascho? immer gleich die verfassung ändern und ihren scheiß machen diese fuzzis

bissu kotzeblöd oder bissu so einer?

Muuuuhaaaaaa....


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-06, 12:33 Uhr
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Wieviel Joints hast du heute schon gequalmt?

Hauptsache man fühlt sich wohl dabei.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-06, 13:08 Uhr
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Hi Eberhard,

ich bin auch der Meinung, dass das Volk nur in wichtigen Angelegenheiten befragt werden sollte. Es ist aber von vornherein unmöglich die Grenzen festzulegen, wann eine Volksbefragung anberaumt werden soll. Solche Festschreibungen werden deshalb immer schwammig bleiben, schon deshalb weil solch ein Gesetz so allgemein wie möglich gehalten werden sollte. Aber durch eine Unterschriftensammlung sollte eine Volksbefragung erzwungen werden können.

In einigen Bundesländern ist es heute bereits möglich, falls genug Unterschriften gesammelt wurden, oder nach einer Abstimmung im Parlament, eine Volksbefragung anzuberaumen.

Egal welche Änderungen wir favorisieren, wir werden immer Nachteile gegenüber der zurzeit gültigen Verfassung finden. Es bleibt uns deshalb nur, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme gegenüberzustellen, um das unserer Meinung nach best geeignete System zu favorisieren.

Ein Pressegesetz, das für eine ausgewogene Presselandschaft sorgt, ist für eine Demokratie lebenswichtig. Hier müssen die Profitinteressen der Meinungsverbreiter vor dem Informationsbedürfnis des Volkes zurücktreten. Das könnte durch steuerliche Vergünstigungen für Medien, die ihre Unabhängigkeit von mächtigen Organisationen nachweisen können, geregelt werden. Medienpäpste, wie wir sie heute kennen, sind für eine Demokratie, egal ob es sich um eine Präsidial- oder parlamentarische Demokratie handelt, schädlich.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-06, 13:38 Uhr
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Ist auch schon ein Austrittsrecht bei euerem Staat fest eingeplant?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-06, 16:40 Uhr
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Hallo,

mir ist eigentlich immer noch nicht klar, warum Hedgi und Eberhard gegenüber Volksbefragungen so skeptisch sind. Misstraut ihr dem Volk? Haltet ihr es für zu blöd, vernünftige Entscheidungen zu treffen? Gut, so der eine oder andere Philtalkbeitrag mag euch in dieser Vermutung bestärken, aber im Moment wüsste ich kein Beispiel eines eklatanten Volks-Fehlurteils.

Die Unterscheidung zwischen wichtigen und wenig wichtigen Gesetzen ist in der Tat fragwürdig. Vor allem aber sollte man Referenden erst einmal per Gesetz auf Bundeseben ermöglichen.
Ein Kriterium für Volksentscheide könnten auch Meinungsumfagen sein. Wenn ein Gesetz im Widerspruch zu Meinungsumfragen steht, sollte es einen Volksentscheid geben.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-06, 17:29 Uhr
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Noch etwas. Ich habe den Eindruck, dass der Begriff Demokratie nicht hinreichend geklärt ist.
Unter Demokratie versteht man weder die Herrschaft der Wahrheit, der Weisheit oder der Gerechtigkeit, auch nicht die Herrschaft der Gutmenschen, sondern die Herrschaft des Volkes. Wäre Demokratie die Herrschaft der Erstgenannten, so müssten wir eine Wahrheits-, Weisheits- oder Gerechtigkeitskommission schaffen, oder den Gutesten aller Gutmenschen bestimmen und diesen Institutionen bzw. dieser Person die absolute Herrschaft übertragen.
So aber behaupten wir, wir seien Demokraten. Somit müssen wir akzeptieren, dass das Volk herrscht, aber auch „Fehlentscheidungen“ trifft.

Ein System wie die Demokratie hat Risiken und Nebenwirkungen. Man kann sie minimieren durch vielfältige und umfassende Information des Volkes, aber niemals ausschließen. Mir persönlich sind aber diese Risiken und Nebenwirkungen lieber als die Diktatur der Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit oder der Gutmenschen.

Gruß HP


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-06, 17:56 Uhr
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Was bedeutet denn nun wieder "Herrschaft des Volkes". Das kann doch nichts anderes sein als Herrschaft der Mehrheit, also des Pöbels. Zwei Wölfe und ein Schaf stimmen ab, ...



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-06, 21:15 Uhr
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Hallo allerseits. hallo Hanspeter,

Dir ist immer noch nicht klar, weshalb ich Vorbehalte gegen Volksentscheiden als normales Mittel der Entscheidungsfindung habe. Offenbar war die obige Darstellung vom 03.05. mittels Tabellen doch zu ungewohnt.

Entscheidend ist die These, dass das Mehrheitsprinzip zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, je nachdem ob die Abstimmungen zusammengefasst werden oder nicht.

Man lässt z. B. über 10 Punkte zuerst einzeln abstimmen. Dann fasst man die 10 Punkte zusammen und lässt über die entstehenden Alternativenbündel abstimmen.

Nun ergibt sich u. U. ein ganz anderes Resultat. Es kann jetzt ein Bündel die Mehrheit erhalten, das nicht aus den Resultaten der 10 Einzelabstimmungen besteht!

Der Grund hierfür liegt daran, dass die einzelnen Entscheidungen für die Abstimmenden von unterschiedlichem Gewicht sind.

Wenn das richtig ist, so bedeutet das einen schwerwiegenden Einwand gegen punktuelle Abstimmungen. Noch sehe ich kein wirkliches Gegenargument.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-06, 23:05 Uhr
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Wenn eine Gruppe X mit a abstimmt, kann eine Gruppe Y mit b abstimmen und die Summe mit C.

Also was soll der ganze Quatsch mit dem Abstimmen?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-07, 06:01 Uhr
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Hallo Eberhard,

deine Kritik am Abstimmungsprinzip ist höchst problematisch.
Sicher ist, dass es zu solchen "Verwerfungen" führen kann.
Und zwar dann, wenn zB. im Punkt 10 Aspekte enthalten, die zwar Punkt A betreffen, dort aber nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Generell gilt aber, dass die Gesamtabstimmung über das Bündel aussagekräftiger ist als die Einzelabstimmungen, weil im Falle der Bündelung eine umfassendere Würdigung und Beurteilung eines Problems vorliegt.

Etwas anderes aber scheint mir wichtiger. Ist dir klar, Eberhard, dass deine Kritik jegliche Art von Abstimmung, auch die im Parlament betrifft? Deine Konsequenz müsste also die Ein-Personen-Diktatur sein. Und das wirst du ja wohl nicht wollen.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-07, 08:45 Uhr
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Hallo Hanspeter,

wenn Du meinst, ich sei gegen Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, dann verstehst Du mich falsch. Ich sage nur: das Mehrheitsprinzip führt bei einer Serie von Entscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, wie man die einzelnen Entscheidungen bündelt. Ich schlage vor, diese Eigenschaft als "Serienunbeständigkeit" zu bezeichnen.

Diese Serienunbeständigkeit hängt damit zusammen, dass die Mehrheitsregel als Entscheidungsgrundlage nur die Präferenzordnungen der Abstimmenden berücksichtig, also nur die wertbezogene Rangfolge der Alternativen für die einzelnen Individuen.

Es wird nur erfasst, ob Alternative x für ein Individuum besser ist Alternative y oder nicht. Es wird jedoch nicht erfasst, um wieviel die Alternative x für das Individuum besser ist als y.

Der wertmäßige Abstand zwischen den Alternativen bleibt unberücksichtigt.

Es spielt deshalb für das Ergebnis einer Abstimmung keine Rolle, ob eine Alternative x für den Abstimmenden nur unwesentlich besser ist als eine Alternative y oder ob x ideal und y katastophal für das Individuum ist: in beiden Fällen ergibt sich x > y.

Wenn man jedoch Serien von Einzelentscheidungen zu einer Gesamtentscheidung bündelt, dann wirken sich die subjektiven Wertabstände zwischen den Alternativen aus.

Weil bei einer Bündelung der Einzelentscheidungen zu umfassenden Programmen berücksichtigt wird, wie wichtig einem Individuum die einzelnen Punkte des Programms sind, ist eine Entscheidung über solche Programme aussagekräftiger als isolierte Abstimmungen über die einzelnen Punkten, bei denen dies nicht möglich ist.

Und eben das ist der Grund, warum ich grundsätzlich für eine Parteiendemokratie bin und nicht für voneinander isolierte Abstimmungen zu den einzelnen Punkten mit wechselnden Mehrheiten.

Das ist alles sehr abstrakt, deshalb ein konkretes Beispiel.

Rentner A steht vor der Entscheidung zwischen dem Wahlprogramm der Orange-Partei und dem Wahlprogramm der Blau-Partei.

Am Programm der Orange-Partei gefallen Rentner A mehrere Punkte nicht: 1. dass die Benzinsteuer erhöht werden soll, 2. dass Schulgebühren eingeführt werden sollen und 3. dass im öffentlichen Dienst Personal abgebaut werden soll.

Am Programm der Blau-Partei gefällt Rentner A nur ein Punkt nicht, der besagt, dass die Rentenversicherung nicht mehr aus Steuermitteln bezuschusst werden soll.

Da die Höhe der Rente für A von elementarem Interesse ist während die andern 3 Punkte für A keine so große Rolle spielen, wählt Rentner A trotzdem die Orange-Partei.

Dadurch bekommen die Punkte Benzinsteuererhöhung, Schulgebührenerhöhung und Personalabbau im öffentlichen Dienst die Stimme von Rentner A, die sie bei Einzelabstimmungen niemals erhalten hätten.

Auf parlamentarischer Ebene folgt daraus, dass die Abgeordneten der regierenden Koalitionsparteien auf das gesamte Regierungsprogramm eingeschworen werden müssen und sich bei den Abstimmungen zu den einzelnen Gesetzen an die Fraktions- und Koalitionsdisziplin halten müssen.

Also von Gutmenschenherrschaft und Ein-Mann-Diktatur keine Rede.

Es grüßt Dich und alle um theoretische Analyse der politischen Institutionen und um ein besseres Demokratieverständnis Bemühten

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-07, 09:26 Uhr
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on 05/07/07 um 08:45:05, Eberhard wrote:Hallo Hanspeter,

wenn Du meinst, ich sei gegen Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip, dann verstehst Du mich falsch.


[cheesy] Also schon mal abgestimmt. Die Abstimmerei wird durch Abstimmen legitimiert.



Quote:Es grüßt Dich und alle um theoretische Analyse der politischen Institutionen und um ein besseres Demokratieverständnis Bemühten

Eberhard.



[nospeak] [nohear] [nosee]

Das bessere Verständnis von Demokratie besteht darin, dass es eine totalitäre Ideologie ist.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-07, 16:20 Uhr
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Hi Eberhard und Hanspeter,

soweit ich die Meinungen zurückverfolgen kann, stößt eine Bündelungen von Vorschlägen zur Abstimmung zu bringen nicht auf Zustimmung. Vor Wahlen werden gewöhnlich gebündelte Arbeitsvorschläge für die nächsten 4 Jahre vorgeschlagen. Nur dann ergibt es einen Sinn, denn der Wähler möchte wissen, warum er seinen Kandidaten unterstützen soll. Dann wird jeder Wähler seine eigenen Prioritäten bestimmen.

Ansonsten wird der Gesetzesvorschlag A für den Bürger um kein bisschen interessanter, wenn er in einer gebündelten Alternative eingebettet ist. Eine Bündelung von Gesetzesvorschlägen wäre nur dann angebracht, wenn Gesetz C nicht ohne Anpassung des Gesetzes D möglich wäre. Beispiel das Recht des Bürgers auf Kinderkrippenplätze ohne einen Vorschlag einer Finanzierung. Es nützt dem Wähler nichts, wenn er ein verbrieftes Recht auf einen Krippenplatz hat, und es gibt keine freien Plätze, weil die Finanzierung nicht steht. Aber Gesetzesvorschläge, die in keiner Abhängigkeit zueinander stehen, lassen das ganze Abstimmungsverfahren nur undurchsichtig werden. Ein weiteres Beispiel, über die europäische Verfassung kann auch ohne die Kopplung der Beitrittsfrage der Türkei zur EU getrennt abgestimmt werden.

Wenn nun die Bündelung von Gesetzesvorschlägen vom Tisch ist, können wir wieder und der Frage nach dem Wahlrecht widmen. Auf welche Prioritätenreihenfolge wollen wir uns einigen?




Unabhängigkeit der Presse, keine Medienkartelle.

Keine Abhängigkeit der Politiker von Fremdgeldgebern, auch keine versteckte.
Dadurch kommen Interessenkonflikte des Abgeordneten ins Spiel, die der Wähler nicht mehr einschätzen kann.

Volksbefragungen,
das kommt der Bedeutung des Begriffs Demokratie am nächsten.

Strikte Trennung von Legislative und Exekutive,
Präsidialwahl, getrennte Wahl des Präsidenten und des Parlamentes.
Dieses System favorisiere ich, weil dann die Korruption die geringste Chance hat, sich auszubreiten. Es gibt schließlich das Parlament als Kontrollorgan.

Verhältniswahlrecht, Koalitionen sind unwahrscheinlich


Neben Volksbefragungen wird es auch Abstimmungen wegen der Vielzahl der Abstimmungsanträge im Parlament geben.

hedgi










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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-07, 20:50 Uhr
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Hallo allerseits,

Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass bei lauter isolierten Einzelentscheidungen die Gefahr besteht, dass elementar betroffene Minderheiten ihre Interessen nicht hinreichend einbringen können.

Wenn die Wähler zwischen Regierungsprogrammen für eine ganze Legislaturperiode wählen können, können sie die relative Wichtigkeit der verschiedenen Punkte durch ihre Wahlentscheidung zum Ausdruck bringen.

Ein anderes Mittel des Minderheitenschutzes in der Demokratie sind bestimmte Grundrechte, die in der Verfassung verankert sind.

In Bezug auf die Meinungsfreiheit sind wir uns wohl einig. Sie ist die Bedingung informierte Entscheidungen der Wähler.

Aber wie ist es zum Beispiel mit den Eigentumsrecht? Inwieweit dürfen Mehrheitsentscheidungen in das Eigentumsrecht eingreifen, sei es durch Vermögens und Erbschaftssteuern, sei es durch Beschränkungen privaten Eigentums an Straßen, Fabriken oder Patenten?

fragt Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hhmoeller am 2007-05-07, 21:59 Uhr
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Sehr interessantes Thema!

Ich denke, hier stellen sich zwei voneinander unabhängige Fragen:

1. Ist es sinnvoll, Entscheidungen aufgrund der Präferenzordnung der Stimmberechtigten zu fällen?

Hier stellt sich z.B. die Frage, wer stimmberechtigt sein soll. Fragen der Kompetenz und Manipulierbarkeit der Stimmberechtigten wurden schon angesprochen.

Ebenso wichtig ist die Frage:

2. Ist es überhaupt möglich, die Präferenzordnung der Stimmberechtigten durch ein Abstimmungsverfahren korrekt abzubilden?

Ich denke, daß das nicht möglich ist.

Schon bei der Wahl eines Parlamentes führt die simple Tatsache, daß keine Bruchteile eines Parlamentssitzes vergeben werden können, zu Problemen, wie sie in dem Buch Mathematische Aspekte der Wahlverfahren (http://www.amazon.de/Mathematische-Aspekte-Wahlverfahren-Mandatsverteilungen-Abstimmungen/dp/3411149019/ref=pd_bowtega_1/302-0967277-3390441?ie=UTF8&s=books&qid=1178564471&sr=1-1) beschrieben werden. In speziellen Fällen kann das Wahlergebnis von Faktoren abhängen, die nicht durch die Präferenzordnungen der Stimmberechtigten begründet sind, z.B. das Alabama-Paradoxon (http://de.wikipedia.org/wiki/Alabama-Paradoxon), oder das Wählerzuwachsparadoxon (http://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hlerzuwachsparadoxon). In unserem Wahlsystem kann es zu Negativem Stimmgewicht (http://de.wikipedia.org/wiki/Negatives_Stimmgewicht_bei_Wahlen) kommen.

Ich denke, das Haupziel der Demokratie kann daher nicht die Gerechtigkeit der Entscheidungsverfahren sein. Es ist nur unvollkommen realisierbar. Ihr primäres Ziel ist es eher, eine Konzentration der Macht zu vermeiden.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-07, 22:57 Uhr
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Hallo Eberhard,

in deinem Beitrag von Heute, 8:45, nennst du als Beispiel eine Abstimmung über eine Partei. Ich verstehe nicht, weshalb du einerseits die Bündelung als problematisch ansiehst (volle Zustimmung meinerseits) und andererseits für eine Parteiendemokratie wirbst. Da eben hat der Wähler nur ein Bündel von politischen Intentionen, für das er sich entscheiden kann.

Demgegenüber stehen Referenden, in denen normalerweise nur ein Problem zur Entscheidung ansteht. Bündelungen sind dort nicht üblich.
Natürlich muss man Volksentscheide mit Verstand durchführen und am besten bei jeder Entscheidung die entsprechenden Konsequenzen angeben. Also, um das Beispiel Hedgis aufzugreifen: "Sind Sie für ein verbrieftes Recht auf Kinderkrippen, wenn dafür die MWST um sagen wir einen Punkt erhöht wird."
Zumindest wäre diese Regelung in Ländern wie Deutschland notwendig, in denen die Bevölkerung keine Erfahrung mit Referenden hat. Ansonsten, wenn es eine ausgewogene Medienlandschaft gibt, werden die entsprechenden Pro's und Kontra's schon deutlich genug formuliert und die Leute wissen, was die Wohltaten kosten.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-08, 18:03 Uhr
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Hallo allerseits, hallo hhmoeller,

Du schreibst: „Ist es überhaupt möglich, die Präferenzordnung der Stimmberechtigten durch ein Abstimmungsverfahren korrekt abzubilden? Ich denke, daß das nicht möglich ist.“

Meine Sicht der Dinge sieht folgendermaßen aus. (Ich hoffe, dass Du mich nicht wieder missverstehst, Hanspeter)

Das Mehrheitsprinzip als Regel einer kollektiven Entscheidung besagt, dass derjenige Vorschlag als angenommen gilt, der bei einer paarweisen Abstimmung mit jedem anderen Vorschlag siegt. (Wenn keine Mehrheitsalternative existiert, bleibt es Status quo.)

Nun muss man ein derart aufwendiges Verfahren, bei dem jeder Vorschlag einzeln mit jedem andern Vorschlag verglichen wird, zum Glück nicht tatsächlich durchführen, denn es lässt sich zeigen, dass sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in jedem Abstimmungsverfahren durchsetzt, sofern die folgenden Bedingungen gegeben sind:

1. Jeder Beteiligte hat ein gleiches Gewicht mit seiner Stimme (bzw. mit seinen Stimmen).
2. Jeder Beteiligte kennen die Präferenzordnungen der andern Beteiligten bezüglich der zur Abstimmung stehenden Vorschläge
3. Die Beteiligten können sich untereinander darüber absprechen, wie sie stimmen werden, und halten sich auch an diese Absprachen.
4. Jeder Beteiligte trifft diejenigen Absprachen, die zu dem für ihn selbst bestmöglichen Ergebnis führt.

Unter diesen Bedingungen setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative z. B, auch bei einer Abstimmung durch, die nach der simplen Regel abläuft: „Der Vorschlag, der die meisten Stimmen bekommt – also mehr Stimmen als irgendein anderer - ,gilt als kollektiv gewählt.“

Wenn eine vorhandene Mehrheitsalternative m nicht gewählt wird sondern irgendeine andere Alternative y, dann hätten diejenigen, für die m besser ist als y, sich zusammentun können und mit ihrer Mehrheit und ihrem Stimmgewicht die für sie bessere Mehrheitsalternative m durchsetzen können.

Wenn man annehmen kann, dass die Abstimmenden von der anstehenden Entscheidung in ihren Interessen annähernd gleich stark betroffen sind, so gibt es gute Gründe dafür, dass die Befriedigung der Interessen der Mehrheit Vorrang hat gegenüber der Befriedigung der Interessen der Minderheit. Dies gilt umso mehr, je deutlicher die Mehrheit ausfällt.

Das Mehrheitsprinzip kann jedoch auch dazu führen, dass eine schwach interessierte Mehrheit eine elementar betroffene Minderheit überstimmt. Dies ist umso problematischer, je knapper die Mehrheit dabei ausfällt. In solchen Fällen sollte das Mehrheitsprinzip nicht angewendet werden. .

Was ich in meinen vergangenen Beiträgen versucht habe deutlich zu machen war, dass bei isolierten Abstimmungen über einzelne Probleme die Gefahr besteht, dass Minderheiten in ihren elementaren Interessen überstimmt werden. (Ausgenommen sind Abstimmungen über Verfassungsänderungen, die alle gleichermaßen angehen.)

Wenn dagegen über ganze Programme abgestimmt wird, die eine Bündelung zahlreicher Vorschläge beinhalten, ist diese Gefahr gewöhnlich nicht gegeben, weil die Abstimmenden die Bündel danach auswählen, ob diese in Bezug auf die für sie entscheidenden Punkte in ihrem Sinne gestaltet sind und weil von der Politik als ganzer alle gleichermaßen stark betroffen sind.

Dadurch, dass unter den Bedingungen einer komplexen Großgesellschaft die Entscheidungen auf Vertreter in Form von Abgeordneten und auf eine geschäftsführende Regierung verlagert werden müssen, ergeben sich zusätzliche Probleme, die jedoch nicht das Mehrheitsprinzip als solches betreffen.

Die von Dir, hhmoeller, genannten Probleme beziehen sich alle auf Probleme der Repräsentation und sind für die Beurteilung des Mehrheitsprinzips eher marginal, meint

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-08, 22:21 Uhr
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Als Wähler möchte ich, dass die Partei der ich meine Stimme gebe, sich an ihr versprochenes Wahlprogramm hält. Ob ich diese Partei das nächste Mal wieder wähle, hängt stark davon ab, wie sich das Wahlprogramm in der Arbeit einer Wahlperiode widerspiegelt.

Ein Wähler setzt sich für seine Entscheidung Prioritäten, und er wird die Teile des Wahlprogramms, die für ihn unrelevant sind, auch nur uninteressiert verfolgen. Deshalb sollte eine Partei ein Gespür dafür haben, was dem Wähler wichtig sein könnte.

Ein Beispiel, Herr Kirchhoff warb bei der letzten Wahl für eine Besteuerung von 25% für alle Bürger, und argumentierte, wenn der Staat alle Subventionen streicht, der Staat mehr einnähme als zurzeit. Der Opposition gelang es, das Volk in Angst zu versetzen, weil über die Kosten, die die Subventionen ausmachen, überhaupt nicht mehr geredet wurde, und jeder fürchtete, wenn weniger Steuern eingenommen würden, es den kleinen Mann träfe. Herr Kirchhoff versäumte es, seine Rechnung dem Volk plausibel vorzurechnen. Es war der Erfolg der gegnerischen Partei, durch Angstmacherei, eine vernünftige Diskussion über dieses Thema zu unterbinden.

Es sollten keine willkürlichen Gesetzeszusammenfassungen dem Parlament unterbreitet werden, sondern nur Vorschläge mit Gesetzesänderungen, die notwendig sind, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen. Es leuchtet ein, dass ein Gesetz eine Kette anderer Gesetzesänderungen nach sich zieht, um Störungen des öffentlichen Lebens zu vermeiden. Auch deshalb sollte man über Konsequenzen eines neuen Gesetzes schon reden.

Zum Minderheitenproblem, wir sollten dem Bürger soviel Reife zutrauen, dass er, wenn es vernünftig in der Presse erklärt bekommt, er nicht egoistisch stimmen wird.

Nun sind wir wieder bei der Vernunft und der Presse angelangt. Das Thema Kopftuch und Türkeibeitritt zeigt unserer Presse, dass ihr an einer vernünftigen Entscheidung des Bürgers nicht das Geringste gelegen ist. Was macht sie, sie hetzt und aktiviert primitivste Instinkte.

Bei einer unabhängigen freien Presse würden sich objektive Meinungen durchsetzen, und Hetzblätter würden keine Chance an der Meinungsbildung teilzuhaben mehr haben.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-09, 10:12 Uhr
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Hallo Hedgi,

im Prinzip ist es richtig, dass ein Partei sich gemäß ihrem Programm orientiert. Und im Prinzip machen das die Parteien ja auch, weshalb die Programme so schwammig formuliert wurden, dass sie für jeden akzeptabel erscheinen. Und unter der Verwendung der entsprechenden Rabulistik passen Programm und Realität stets zusammen.

Zu deinem Lieblingsthema: Freie Presse. Die kann und wird es nie geben. Das wäre nur möglich, wenn irgendjemand sie selbstlos finanzieren würde. Aber das gibt es nur im Märchen.

Zum Thema Kirchhoff. So machtlos ist die CDU/CSU auch wieder nicht, dass sie dessen Steuerideen nicht ins richtige Licht hätten setzen können. Aber eine Idee, die kaum jemand will, hat es eben schwer.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-09, 17:59 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo hedgi,

das Problem der Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Medien verdient eine eigene Runde. In Bezug auf das Mehrheitsprinzip genügt es festzuhalten, dass das Resultat einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip nicht besser sein kann, als die individuellen Meinungen, die dem Abstimmungsverhalten der Einzelnen zugrunde liegen.

Zum Mehrheitsprinzip noch einige Anmerkungen.

Es erfüllt verschiedene wünschenswerte Bedingungen:

Es erfüllt zum einen die Bedingung der Anonymität in Bezug auf die Abstimmenden. Es spielt keine Rolle, um wessen Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel können deshalb geheim und ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden Individuums zu erfassen.

Weiterhin erfüllt das Mehrheitsprinzip die Bedingung der Neutralität gegenüber den zur Entscheidung stehenden Alternativen. Das heißt, dass kein Vorschlag gegenüber den anderen Vorschlägen irgendwie bevorzugt oder benachteiligt wird.

Natürlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch die Bedingung der Nicht-Diktatur. Das heißt dass kein Individuum mit seinen Präferenzen entscheidend ist.

Schließlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch noch die Bedingung der positiven Berücksichtigung der individuellen Präferenzen. Es verarbeitet die individuellen Interessen gewissermaßen „wohlwollend“.

Auf einen Aspekt will ich in diesem Zusammenhang noch aufmerksam machen.

Das Mehrheitsprinzip ist ein reines Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich heraus noch keinerlei Motivation zur Realisierung der mehrheitlichen Beschlüsse. Deshalb kommt nach manch glorreichen Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller Art im örtlichen Verein oft die peinliche Frage auf: „Und wer macht es nun? Wer führt den Beschluss aus?“ Im politischen Bereich entspricht das der Frage: „Und wie soll das finanziert werden?“

Hier unterscheiden sich Abstimmungsverfahren stark von Märkten. Bei letzteren ist durch den Inhalt des Vertrages klar, wer was zu leisten hat, und es gibt bei den Vertragspartnern die Motivation zur Erfüllung des Vertrages, weil sonst der Vertragspartner seine Verpflichtung auch nicht erfüllt.

Zum Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive, die mit den nötigen Mitteln zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse ausgestattet ist. Dies ist in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein „öffentlicher Dienst“, also eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger finanziert wird, und deren Mitglieder zu diesem „Dienst“ im Sinne der mehrheitlichen Beschlüsse motiviert werden müssen.

Dies ist einer der Gründe, warum Versuche zur „Demokratisierung der Wirtschaft“ mit großen Problemen belastet sind. Man kann ehrgeizige Wirtschaftspläne aufstellen, aber wie werden die Menschen motiviert, diese Pläne zu erfüllen. Lenin hatte als Vorbild die deutsche Reichspost. Entsprechend erfolglos war auch die sowjetische Planbürokratie, wo es darum ging, neue Produkte, neue Vertriebsformen und neue Produktionsverfahren zu entwickeln, die das A und O einer modernen Wirtschaft sind.

Mir scheint, dass bei uns der meiste Unmut am politischen System nicht auf das Mehrheitsprinzip als solches bezogen ist, sondern auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens, auf die Probleme der wirklichen Vertretung der Bürger durch Berufspolitiker.

Die Politiker sind ja Menschen, die ihre eigenen Interessen haben und verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen, um deren Interessen mit den Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen, einigermaßen zur Deckung zu bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht genug getan? Welche zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer Verbesserung der Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie führen?

Verschiedene Vorschläge sind ja schon gekommen. Ich nenne stichwortartig z. B. die Schaffung von Volksbegehren und Volksentscheiden, die Offenlegung aller Einkünfte, Beschäftigungsverhältnisse und Mitgliedschaften der Repräsentanten, die Abwählbarkeit von Repräsentanten.

Meiner Ansicht nach haben die Medien hier eine besondere Aufgabe, die sich auch im Berufsethos des Journalisten ausdrücken müsste.

Die Journalisten haben nicht die Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten dieser oder jener Partei und Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die gewöhnlich internen politischen Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und Ministerien öffentlich zu machen, die Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, ihre Beziehungen zu Repräsentanten der Wirtschaft oder der großen Verbände offenzulegen.

Dies kann durch eigene Recherchen oder durch Zusammenarbeit mit forschenden Wissenschaftlern und sachkundigen Insidern geschehen. Medien, die sich im Eigentum einzelner Personen oder Gruppen befinden, können dies nur bedingt leisten.

Nicht der Tendenzjournalismus linker oder rechter politischer Überzeugungen ist gefragt, sondern die generelle Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von verdrängten Problemen und von unangenehmen Wahrheiten.

Hier könnte der deutsche Journalismus von der BBC noch manches lernen, meint

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-09, 20:19 Uhr
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on 05/09/07 um 17:59:29, Eberhard wrote:Zum Mehrheitsprinzip noch einige Anmerkungen.

Es erfüllt verschiedene wünschenswerte Bedingungen:

Es erfüllt zum einen die Bedingung der Anonymität in Bezug auf die Abstimmenden. Es spielt keine Rolle, um wessen Präferenzen es sich handelt. Die Stimmzettel können deshalb geheim und ausgefüllt werden, ohne die Identität des betreffenden Individuums zu erfassen.



Geheim, damit auch jeder VollTrottel ungestraft seinen Mist wählen kann.



Quote:Weiterhin erfüllt das Mehrheitsprinzip die Bedingung der Neutralität gegenüber den zur Entscheidung stehenden Alternativen. Das heißt, dass kein Vorschlag gegenüber den anderen Vorschlägen irgendwie bevorzugt oder benachteiligt wird.



Du meinst wohl das Ergebnis der Abstimmung sei fair gegenüber allen Beiteiligten. Natürlich Blödsinn!



Quote:Natürlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch die Bedingung der Nicht-Diktatur. Das heißt dass kein Individuum mit seinen Präferenzen entscheidend ist.



Auch Blödsinn. Man kann sich auch was Schönreden. In der Demokratie ist jeder Wähler ein kleiner Diktator, der den anderen seinen Willen aufdrücken will. In einer Monarchie kann das zwar nur einer, aber das hat auch Vorteile.



Quote:Schließlich erfüllt das Mehrheitsprinzip auch noch die Bedingung der positiven Berücksichtigung der individuellen Präferenzen. Es verarbeitet die individuellen Interessen gewissermaßen „wohlwollend“.



So ein Quatsch! Demokratie ist Kollektivismus und kein Individualismus.



Quote:Auf einen Aspekt will ich in diesem Zusammenhang noch aufmerksam machen.

Das Mehrheitsprinzip ist ein reines Entscheidungsverfahren. Es erzeugt aus sich heraus noch keinerlei Motivation zur Realisierung der mehrheitlichen Beschlüsse. Deshalb kommt nach manch glorreichen Mehrheitsbeschluss für Verbesserungen aller Art im örtlichen Verein oft die peinliche Frage auf: „Und wer macht es nun? Wer führt den Beschluss aus?“ Im politischen Bereich entspricht das der Frage: „Und wie soll das finanziert werden?“

Hier unterscheiden sich Abstimmungsverfahren stark von Märkten. Bei letzteren ist durch den Inhalt des Vertrages klar, wer was zu leisten hat, und es gibt bei den Vertragspartnern die Motivation zur Erfüllung des Vertrages, weil sonst der Vertragspartner seine Verpflichtung auch nicht erfüllt.

Zum Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel gehört deshalb immer eine Exekutive, die mit den nötigen Mitteln zur Durchsetzung bzw. Durchführung der Beschlüsse ausgestattet ist.



Aha. Hier kommen wir der eigentlichen Sache endlich näher. "Nötige Mittel zur Durchsetzung", d.h. Initiierung von Gewalt.



Quote:Dies ist in Großkollektiven wie den Staaten gewöhnlich ein „öffentlicher Dienst“, also eine Bürokratie, die durch Abgaben der Staatsbürger finanziert wird, und deren Mitglieder zu diesem „Dienst“ im Sinne der mehrheitlichen Beschlüsse motiviert werden müssen.

Dies ist einer der Gründe, warum Versuche zur „Demokratisierung der Wirtschaft“ mit großen Problemen belastet sind. Man kann ehrgeizige Wirtschaftspläne aufstellen, aber wie werden die Menschen motiviert, diese Pläne zu erfüllen. Lenin hatte als Vorbild die deutsche Reichspost. Entsprechend erfolglos war auch die sowjetische Planbürokratie, wo es darum ging, neue Produkte, neue Vertriebsformen und neue Produktionsverfahren zu entwickeln, die das A und O einer modernen Wirtschaft sind.

Mir scheint, dass bei uns der meiste Unmut am politischen System nicht auf das Mehrheitsprinzip als solches bezogen ist, sondern auf die Mehrstufigkeit des Verfahrens, auf die Probleme der wirklichen Vertretung der Bürger durch Berufspolitiker.



Unmut ist eine Sache. Gründe eine andere.



Quote:Die Politiker sind ja Menschen, die ihre eigenen Interessen haben und verfolgen und es bedarf erheblicher Anstrengungen, um deren Interessen mit den Interessen derjenigen, die sie vertreten sollen, einigermaßen zur Deckung zu bringen. Die Frage ist: Wird in dieser Hinsicht genug getan?



Die Frage sollte eher lauten: Wie kann weniger Quatsch getan werden?



Quote:Welche zusätzlichen Anreize und Kontrollen können zu einer Verbesserung der Repräsentation der Bürger in der repräsentativen Demokratie führen?


Um Gottes Willen!



Quote:Verschiedene Vorschläge sind ja schon gekommen. Ich nenne stichwortartig z. B. die Schaffung von Volksbegehren und Volksentscheiden, die Offenlegung aller Einkünfte, Beschäftigungsverhältnisse und Mitgliedschaften der Repräsentanten, die Abwählbarkeit von Repräsentanten.



Austrittsrecht vergessen?



Quote:Meiner Ansicht nach haben die Medien hier eine besondere Aufgabe, die sich auch im Berufsethos des Journalisten ausdrücken müsste.



Frommer Wunsch!


Quote:Die Journalisten haben nicht die Aufgabe, selber Politik zu machen zugunsten dieser oder jener Partei und Richtung, sondern sie haben die Aufgabe, die gewöhnlich internen politischen Vorgänge in den Parteien, Parlamenten und Ministerien öffentlich zu machen, die Tätigkeiten der Politiker zu beobachten, ihre Beziehungen zu Repräsentanten der Wirtschaft oder der großen Verbände offenzulegen.



Nee, die haben die Aufgabe Auflagen und Einschaltquoten zu machen, sonst sind sie weg vom Fenster.



Quote:Dies kann durch eigene Recherchen oder durch Zusammenarbeit mit forschenden Wissenschaftlern und sachkundigen Insidern geschehen. Medien, die sich im Eigentum einzelner Personen oder Gruppen befinden, können dies nur bedingt leisten.

Nicht der Tendenzjournalismus linker oder rechter politischer Überzeugungen ist gefragt, sondern die generelle Aufdeckung von verschwiegenen Fakten, von verdrängten Problemen und von unangenehmen Wahrheiten.

Hier könnte der deutsche Journalismus von der BBC noch manches lernen, meint

Eberhard.



Lernen muss hier erst mal wer anders.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-10, 09:13 Uhr
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Hallo Maulwurf,

Maulwürfe können mit ihrem Maul gut Erde aufwerfen. Zum argumentieren scheint ihr Maul eher ungeeignet, weil Argumente gewöhnlich aus einer logischen Abfolge mehrerer ganzer Sätze bestehen.

Grüße an die Unterirdischen - insbesondere an Ragnar - von


Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-10, 09:30 Uhr
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on 05/10/07 um 09:13:28, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,

Maulwürfe können mit ihrem Maul gut Erde aufwerfen. Zum argumentieren scheint ihr Maul eher ungeeignet, weil Argumente gewöhnlich aus einer logischen Abfolge mehrerer ganzer Sätze bestehen.

Grüße an die Unterirdischen - insbesondere an Ragnar - von


Eberhard.




Bei Dir reichen kurze Einwürfe um die "Logik" zu entkräften.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-10, 14:03 Uhr
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Hallo Eberhard,

ich stimme deinen Ausführungen im Wesentlichen zu. Doch sie nennen nicht die eigentlichen Probleme.

Unser Problem ist
1. schlicht und einfach die Tatsache, dass die deutsche Bevölkerung keine Möglichkeiten hat, auf das politische Geschehen nennenswert Einfluss zu nehmen, außer dass es in 4 Jahren (incl. Landtagswahlen in zweien) einmal die Möglichkeit hat, zwischen den gegebenen 5 Parteien die Präferenzen ein bisschen zu verschieben.

Und zweitens schon auch der Journalismus, nicht aber in dem Sinn, dass er von der Regierung an die Kandare gelegt wird, sondern vielmehr darin, dass nur willfährige Journalisten an die Top-Quellen herangelassen werden und auch von den Polit-Privilegien profitieren können. Ob das in Merry Old England so viel anders ist, weiß ich nicht.

Dass unser politisches System aber von den meisten Bundesbürgern als Demokratie bezeichnet wird, ist übrigens ein schönes Zeichen dafür, wie eine konzertierte Aktion aus Politikern und Journalisten die Bevölkerung einnebeln kann.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-10, 17:41 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

ich teile Deine sehr negative Wertung der politischen Institutionen und ihres Funktionierens in Deutschland nicht. Im Großen und Ganzen entspricht die Politik, die von den Parteien propagiert und von der Regierung gemacht wird, der Verteilung der politischen Ansichten in der Bevölkerung.

Der Einfluss der Bevölkerung auf die Politik erschöpft sich nicht im Ausfüllen des Wahlzettels. Über die Meinungsumfragen werden die Politiker mit den vorhandenen Ansichten konfrontiert und sie werden sich hüten, diese vorherrschenden Meinungen zu politischen Fragen zu ignorieren. Im Gegenteil: manche werfen den Politikern auch "Populismus" und mangelnde Meinungsführerschaft vor.

Außerdem gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten Zielsetzungenen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.

Das klingt alles klingt nicht so großartig, aber die Summe all dieser Aktivitäten macht eine demokratische politische Kultur aus.

Ich glaube nicht, dass diese Möglichkeiten in Deutschland mit der nötigen Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden. Bei der Politik hört offenbar für viele das nüchterne Denken auf und stattdessen finden sich dort unpolitisches "Ohne-mich"-Denken oder aber unbelehrbarer Fanatismus gepaart mit Verschwörungstheorien.

Es fällt oft nicht leicht, von unterschiedlichen politischen Ansichten aus sachlich miteinander zu diskutieren. Allzuschnell wird dem Andersdenkenden aus seiner Position ein Vorwurf gemacht. Nicht selten gibt es auch einen Gruppendruck, wo es einen gewissen Mut erfordert, der Gruppenmeinung zu widersprechen und selbstkritische Fragen zu stellen.

Ein geradezu erschreckendes Beispiel für die Abhängigleit unseres Denkens von der sozialen Umgebung und für das Einknicken der Einzelnen und ihrer rationalen Argumente vor der Gruppenmeinung war die Art, wie auf die Rinderseuche BSE reagiert wurde.

Obwohl sich die Gefahrenlage seit der hysterischen Reaktion vor ein-zwei Jahren mit völligem Verzicht auf den Verzehr von Rindfleisch nicht wesentlich verändert hat, wird heute reichlich Rindfleisch konsumiert, ein völlig irrationales Verhalten.

Das zeigt, wie schwach der Einzelne gegenüber Massenhysterie und Panikmache in seinem Denken und Handeln auch jetzt noch ist - und dass dies nicht nur ein Problem der Weimarer Republik war.

Wenn hier etwas mehr Zivilcourage der Einzelnen vorhanden wäre, stünde es um die politische Kultur in unserm Lande besser, meint

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-10, 22:23 Uhr
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on 05/10/07 um 17:41:31, Eberhard wrote:Außerdem gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten Zielsetzungenen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.



Warum trittst Du denn nicht (mit "gutem Beispiel" voran) einer der so gelobten politischen Parteien bei, anstatt ein relativ unpolitisches Philosophieforum mit Deinem totalitären DemokratenZeugs vollzulullen?



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-10, 23:43 Uhr
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Hallo Eberhard,

es ist ja sehr schön, dass es so staatstragende Menschen wie dich gibt. Du läufst sicher nie Gefahr, dass Schäubles Mannen deinen Computer beschlagnahmen. [cheesy]

Es ist richtig, dass die meisten Menschen hierzulande gegen die herrschende Politik nicht nennenswert opponieren, einfach deshalb, weil es ihnen wirtschaftlich gut geht. Als es ihnen unter Hitler wirtschaftlich gut, vor allem aber wirtschaftlich besser als früher ging, haben sie ja auch nicht opponiert. Ein satter Deutscher opponiert nicht.

Der Einfluss von Meinungsumfragen zieht nur dann, wenn eine der herrschenden Parteien besser oder schlechter dabei wegkommt als die andere. Attackieren aber Meinungsumfragen die beiden großen Parteien gleichermaßen, dann werden sie ignoriert.

Übrigens, ich weiß nicht, wieviele Menschen jemals ihre Meinung im Rahmen einer Meinungsumfrage kundgetan haben. Obwohl ich schon ziemlich lang in diesem Land lebe, mich hat noch nie jemand gefragt.

Dein Beispiel BSE überzeugt mich übrigens nicht. Die anfängliche Hysterie war die Reaktion auf zum Teil sehr widersprüchliche Presseveröffentlichungen. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, also auch das Verbraucherverhalten.
Hier hat die Politik das Problem ja offenbar in den Griff gekriegt.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-11, 09:47 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hanspeter,

Du schreibst etwas sarkastisch: "Ein satter Deutscher opponiert nicht." Ganz so unpolitisch sind die Deutschen nun wiederum auch nicht. Ein Gegenbeispiel ist die Studentenbewegung der 60er Jahre, die auch ein Abschnitt meiner politischen Entwicklung war. Ich war damals nicht unterernährt, was die Kalorien betrifft, aber ich war unzufrieden. Ich wollte das, für das die Generation unserer Eltern nicht die Verantwortung übernommen hatte, offen legen, um es produktiv verarbeiten zu können, und ich wollte alle überkommenen Autoritäten auf ihre Berechtigung hinterfragen, um Platz für neue Entwicklungen zu schaffen.

Es kommt meines Erachtens im politischen Leben einer Gesellschaft nicht darauf an, dass alle gewissermaßen in einer politischen Dauermobilisierung verharren, sondern es kommt darauf an, dass man dann, wenn Gefahren heraufziehen, rechtzeitig dagegen aktiv wird. In politischen Krisenzeiten müssen die Bürger die Bereitschaft zum demokratischen Engagement haben, während bei "normalem" Ablauf der Dinge es genügt, sich zu informieren und die Dinge aufmerksam zu beobachten.

Die damalige Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude hat den geistigen Mief der Ära Adenauer (man denke nur an den damaligen Bundespräsidenten Lübke) weggeblasen und den Weg freigemacht für moderne, weltoffene Entwicklungen auf vielen Gebieten. Sie hat allerdings auch manchen Fehlentwicklungen die Tür geöffnet - vom Maoismus über die RAF bis hin zur Drogenszene und der Gleichsetzung von ethischen Normen mit "Repression".

Die für Dich erstaunliche Tatsache, dass Du noch nie in einer politische Meinungsumfrage befragt wurdest, lässt sich aufklären. Die Statistiker haben die Theorie der Zufallsstichprobe entwickelt. Das bedeutet, dass aus der zu untersuchenden Grundgesamtheit nach einem Zufallsverfahren eine bestimmte Anzahl einzelner Elemente ausgewählt wird. Wichtig ist, dass jedes Element der Grundgesamtheit die gleiche Chance hat, in die Stichprobe zu gelangen. (Ein bekanntes Beispiel für eine Zufallsauswahl ist die Ziehung der Lottozahlen.)

Man kann nun zeigen, dass auch bei riesigen Gesamtheiten mit vielen Millionen von Elementen eine Zufallsstichprobe von ca. 1500 Elementen ausreicht, um mit einer geringen Irrtumswahrscheinlichkeit von den Eigenschaften der Stichprobe auf die Eigenschaften der Grundgesamtheit zu schließen.

Das heißt z. B., dass der Anteil der Akademiker in der Zufallsstichprobe mit geringfügigen Abweichungen dem Anteil der Akademiker in der zu untersuchenden Grundgesamtheit entspricht. Man kann deshalb von der relativ kleinen Stichprobe auf die gesamte Bevölkerung "hochrechnen".

Grüße von Eberhard.

p.s.: Hallo Maulwurf! Kennst Du das Lied: "Wer schmeißt denn da mit Lehm ..."?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 11:15 Uhr
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Aha, Eberhardt ist also ein verklärter Alt-68er, der noch an die Selbstheilungskräfte der Demokratie glaubt (wenn alle nur brav mitmachen) und die Jugend zum rechten politischen Bewußtsein und zur Aufmerksamkeit erziehen will.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-11, 11:55 Uhr
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Hi Eberhard,


Quote:Außerdem gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren: Man kann Parteien beitreten oder auch selber Wählervereinigungen gründen, um seine Vorstellungen als Wahlalternative einzubringen, man kann Organisationen mit politisch relevanten Zielsetzungenen wie Umweltschutzverbänden, beruflichen Interessenverbänden, oder lokalen Bürgerinitiativen beitreten, man kann an politischen Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, den Abgeordeten des eigenen Wahlkreises ansprechen oder im Internet politische Aufklärung betreiben.



Als langjähriges Parteimitglied, das auch nicht vorhat, auszutreten, sehe ich ein Problem, dessen Ursache ich noch nicht befriedigend analysieren konnte.

Es ist eine Art Lähmung der politischen Aktivität, die keineswegs mich allein erfasst hat, sondern die meisten, die ich kenne, und auch öffentlich allgemein beklagt wird. Es gibt auch andere, allerdings ist das die Minderheit, die sehr aktiv sind, Anträge machen, Einfluss nehmen, mitarbeiten. Ich sehe dies durchaus positiv, jedoch lauert bei mir im Untergrund immer der Verdacht sinnloser Gschaftlhuberei. Zur Befriedigung der Bürgerwünsche wird an den Symptomen herumkuriert, durchaus ernsthaft und aufrichtig, doch die Fehlentwicklung im System bleibt und führt zu immer gewaltigeren und am Ende unlösbar erscheinenden negativen Symptomen.

Die Lähmung erfasst vor allem die klassischen Regionen, in der die Partei - die SPD - seit fast 200 Jahre die durchaus kämpferische Interessenvertretung der kleinen Leute war. Heute jedoch ist die Aktivität übergegangen auf die gutbürgerlichen Stadtteile, in denen die Mitgliedschaft vorwiegend aus wohl situierten, liberalen Bildungsbürgern besteht. Während die klassische Klientel verstummt ist. Nicht aus Unvermögen, sondern aus einem Gefühl der Sinnlosigkeit heraus.

Oft habe ich von ihnen den Kommentar gehört, die Politiktreibenden seien so abgehoben vom Volk, dass sie gar nicht mehr wüssten, wie seine Lage sei. Ich kenne natürlich viele Politiker. Und es gibt viele, die ich menschlich sehr schätze. Ihr Engagement ist ehrlich. Die machen und tun und schuften und reiben sich auf, aber der Abstand wird größer und größer. Wie gesagt, ich habe noch nicht befriedigend analysieren können, woran das liegt. Es muss auf jeden Fall in der Art des Denkens liegen.

Im Alltäglichen, Banalen zeigt sich die Lebensfremdheit.

Da ist in einem Stadtteil ein Schwimmbad. Das ist marode.
Sanierung kostet etliche Millionen. Doch die Architektur wird dadurch nicht neuer. Das Ergebnis bliebe ein langweiliges Nutzbad, wie man es heute fast nicht mehr gewohnt ist. Trauen die Kommunalpolitiker sich gar nicht, den Bürgern für so viel Geld so wenig zu bieten.

Den Bürgern zu bieten. Für mich ein ganz wichtiger Punkt der Denkweise.

Also ist es vernünftiger, das Bad ganz dicht zu machen und statt dessen das bestehende im Nachbarstadtteil besser auszubauen: bessere Rutschen, eine zusätzliche Sportbahn und ein beheiztes Außenschwimmbecken. Argument: in Nachbarstädten gibt es die tollsten Schwimmbäder, da zieht es die Leute hin.

Ja, ja, nur: die Verkehrsverbindungen zum Nachbarstadtteil sind schlecht. Man braucht eine halbe Stunde, um dort hinzukommen, wenn man kein Auto hat. Was machen die Schulen?
Was machen die Leute, die mal eben morgens vor der Arbeit ne Runde Schwimmen gehen?
Spaßbäder sind teuer. Was ist mit den Schülern, die in den Ferien das nicht ausgebaute Schwimmbad füllen? Was mit den Familien mit kleinem Einkommen? Einen Besuch im Zoo z.B. können die sich schon lange nicht mehr leisten. Für 2 Erwachsene und 2 Kinder sind 38 Euro fälllig. Davon kann man beim Aldi ein Kind einkleiden.

Diejenigen, die tagtäglich die unmodernen, nahe gelegenen Schwimmbäder füllen, sind allerdings nicht dieselben, die mit Kind und Kegel zum Schwimmen in die benachbarten Gemeinden fahren; wird übrigens auch noch Fahrgeld fällig.

Man konkurriert. Aber wer konkurriert - und um wen?

Man konkurriert. Um die besten Schwimmbäder. Die besten Schulen. Die besten Wohnungen. Die besten Anlagen. Und reibt sich entsetzt die Augen, wenn die Statistiker einem um die Ohren hauen, dass die erfolgreiche Konkurrenz an der Mehrheit der Bevölkerung vorbei geht, die fällt einfach raus, wie durch ein Sieb, dessen Löcher immer größer werden. Und während die im Sieb verbliebenen sich abspaddeln, müssen die Herausgefallenen irgendwie zusehen, ihr Leben in der Gemeinschaft der Herausgefallenen neu zu organisieren.

Ein Systemfehler, Eberhard. Produziert durch einen Denkfehler. Was ist Demokratie, wenn ein Großteil der Bevölkerung aus dem Sieb gefallen ist?

Gruß



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 12:59 Uhr
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on 05/11/07 um 11:55:48, Abrazo wrote:... sehe ich ein Problem, dessen Ursache ich noch nicht befriedigend analysieren konnte.



Das ist ziemlich einfach zu analysieren. Mit Politik sollen Gesetze, also allgemeingültige Regeln gemacht werden. Es werden also keine Empehlungen erarbeitet und die Bevölkerung lebt danach, weil es ihr nützt, sondern der Zweck von Politik besteht darin Normen mittels Gewaltmonopol gegen den Willen vieler durchzusetzen. Das ist das Mittel, das der Staat besitzt; und da diejenigen die Politik machen es nicht anders nutzen können als mit Gesetzen gegen den Willen vieler, machen sie auch keine Vorschläge wie man es nicht gegen den Willen vieler machen kann, sondern wie man Vorschläge mächtig macht, damit man sie mit Gewalt durchsetzen kann. Das kann gar nicht anders enden als in einer nationalen Kakophonie, in der jeder versucht auf Kosten des anderen zu leben und in der jeder jeden misstrauen muss.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-11, 13:29 Uhr
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Entschuldige, aber das ist doch dämlich.
Die Politik ist ebensowenig eine Person, die bestimmen und Macht haben könnte, wie der Staat. Denken und entscheiden können nur Menschen, und nur nach ihrer Denkweise kann man sinnvoll fragen.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 14:37 Uhr
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on 05/11/07 um 13:29:53, Abrazo wrote:Entschuldige, aber das ist doch dämlich.
Die Politik ist ebensowenig eine Person, die bestimmen und Macht haben könnte, wie der Staat. Denken und entscheiden können nur Menschen, und nur nach ihrer Denkweise kann man sinnvoll fragen.



Ich habe nichts von einer Politik als "Person" gesagt. Aber ein politisches System findet ein Eigenleben darin, wie sich Menschen entscheiden. Damit beschäftigt sich unter anderem die Public Choice School.

Unbegründete Anwürfe von wegen dämlich fallen immer auf den Verfasser zurück.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-11, 15:40 Uhr
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Die Public Choice Theorie ist m.E. eine Ideologie, deren Grundvoraussetzungen nicht belegte, genauer gesagt, problemlos widerlegbare, Glaubensannahmen sind.

Philosophisch ist dies vollkommen wertlos.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-11, 15:50 Uhr
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Hi Eberhard und Hanspeter

Prinzipiell kann jede Demokratie Gerechtigkeit garantieren, egal ob wir eine parlamentarische oder Präsidialdemokratie mit Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht haben, ein besonderer Status und ein Schutz für Journalisten wäre vonnöten, der sie in die Lage versetzt ihre Aufklärungstätigkeit unbehelligt zu tätigen. Außerdem bräuchten wir Pressegesetze, die Kartellbildungen und sonstige Abhängigkeiten verhindern. Die Probleme durch eine gleichgeschaltete Presse sollten für jeden offen zutagetreten. Nicht umsonst machten wir genügend schlechte Erfahrungen mit der Manipulation (http://www.philtalk.de/msg/1138920246-15.htm#24) durch die Medien. Denn gegen die Gefahren durch eine verhexte Sprache ist der Bürger wehrlos.

Für Maulwurf: das Austrittsrecht ist bei uns unangetastet. Es könnte höchstens Probleme mit den Aufnahmeanträgen in einen anderen Staat geben. Der Staat der seinen Bürgern ein Austrittsrecht verweigerte war die DDR. Versuche dieses Recht zu erzwingen wurden für gewöhnlich mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe geahndet.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 16:08 Uhr
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on 05/11/07 um 15:40:04, Abrazo wrote:Die Public Choice Theorie ist m.E. eine Ideologie, deren Grundvoraussetzungen nicht belegte, genauer gesagt, problemlos widerlegbare, Glaubensannahmen sind.

Philosophisch ist dies vollkommen wertlos.



Eine bzw. sogar eine ganze Ansammlung von Ideologien, deren ökonomische und ethische Grundlagen unbewiesen sind, ist der Demokratismus, dem Du anhängst.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 16:20 Uhr
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on 05/11/07 um 15:50:12, hedgi wrote:Hi Eberhard und Hanspeter

Prinzipiell kann jede Demokratie Gerechtigkeit garantieren, egal ob wir eine parlamentarische oder Präsidialdemokratie mit Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht haben, ein besonderer Status und ein Schutz für Journalisten wäre vonnöten, der sie in die Lage versetzt ihre Aufklärungstätigkeit unbehelligt zu tätigen. Außerdem bräuchten wir Pressegesetze, die Kartellbildungen und sonstige Abhängigkeiten verhindern. Die Probleme durch eine gleichgeschaltete Presse sollten für jeden offen zutagetreten. Nicht umsonst machten wir genügend schlechte Erfahrungen mit der Manipulation (http://www.philtalk.de/msg/1138920246-15.htm#24) durch die Medien. Denn gegen die Gefahren durch eine verhexte Sprache ist der Bürger wehrlos.

Für Maulwurf: das Austrittsrecht ist bei uns unangetastet. Es könnte höchstens Probleme mit den Aufnahmeanträgen in einen anderen Staat geben. Der Staat der seinen Bürgern ein Austrittsrecht verweigerte war die DDR. Versuche dieses Recht zu erzwingen wurden für gewöhnlich mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe geahndet.

hedgi



Erstens kann ein Staat nix garantieren, sondern höchstens konstituieren.

Zweitens weiß ich nicht wovon Du redest. Es gibt in keinem Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der Anspruch dessen erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-11, 17:00 Uhr
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Quote:Eine bzw. sogar eine ganze Ansammlung von Ideologien, deren ökonomische und ethische Grundlagen unbewiesen sind, ist der Demokratismus, dem Du anhängst.



Mensch in der Vielzahl unterscheidet sich von Mensch in der Einzahl u.a. dadurch, dass individuelle subjektive Irrtümer durch die anderen in der Regel erheblich relativiert werden. Von daher ist, was richtige Entscheidungen betrifft, die Vielzahl auf jeden Fall zuverlässiger als die Einzahl. Aber auch zuverlässiger als spezielle Gruppen, die sich aufgrund in etwa gleicher Weltbilder gebildet haben; weil das, was an diesen gleichen Weltbildern fehlerhaft ist, von der Gruppe, die sie vertritt, gar nicht erkannt werden kann.

Dieses Prinzip (Konsensprinzip) kann nur außer Kraft gesetzt werden, wenn eine Gesellschaft nach mehr und weniger Mensch unterscheidet, das Menschsein also quantitativ wertet. Und genau das finden wir bei allen Diktaturen und Oligarchien: einem Teil der Gesellschaft wird die Fähigkeit der Beurteilung und Entscheidung oder gleich der Wert als Mensch abgesprochen.

Rein juristisch widerspricht damit eine Diktatur oder Oligarchie der in unserem Grundgesetz verankerten Menschenwürde.

Über die ethische Verankerung der Menschenwürde zu sprechen, dazu habe ich hier keine Lust. Wer hier widerspricht, kann sich ja erst mal z.B. mit Kant befassen.

Und die ökonomischen Grundlagen der Demokratie interessieren in diesem Zusammenhang keinen Schwanz.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 18:09 Uhr
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on 05/11/07 um 17:00:24, Abrazo wrote:Mensch in der Vielzahl unterscheidet sich von Mensch in der Einzahl u.a. dadurch, dass individuelle subjektive Irrtümer durch die anderen in der Regel erheblich relativiert werden. Von daher ist, was richtige Entscheidungen betrifft, die Vielzahl auf jeden Fall zuverlässiger als die Einzahl.



Da kann ich nur lachen. Welcher Philosoph behauptet denn das?


Quote:Aber auch zuverlässiger als spezielle Gruppen, die sich aufgrund in etwa gleicher Weltbilder gebildet haben; weil das, was an diesen gleichen Weltbildern fehlerhaft ist, von der Gruppe, die sie vertritt, gar nicht erkannt werden kann.



Was denn? Und wieso hat das mit einem Weltbild zu tun? Es kann ja eine unterdrückte Minderheit geben, z.B. die Hanf-Raucher. Ist das automatisch zu verurteilen, was die Hanf-Raucher tun, nur weil eine Mehrheit eine andere Meinung hat?



Quote:Dieses Prinzip (Konsensprinzip) kann nur außer Kraft gesetzt werden, wenn eine Gesellschaft nach mehr und weniger Mensch unterscheidet, das Menschsein also quantitativ wertet. Und genau das finden wir bei allen Diktaturen und Oligarchien: einem Teil der Gesellschaft wird die Fähigkeit der Beurteilung und Entscheidung oder gleich der Wert als Mensch abgesprochen.



Kann man nicht unbedingt sagen, dass eine Monarchie weniger Entscheidungsfreiheit läßt. Klar ist das ungerecht, wenn ein Monarch sich ein Wampe anfressen darf, aber deswegen führt dies nicht zwingend zu mehr Unrecht.



Quote:Rein juristisch widerspricht damit eine Diktatur oder Oligarchie der in unserem Grundgesetz verankerten Menschenwürde.

Über die ethische Verankerung der Menschenwürde zu sprechen, dazu habe ich hier keine Lust. Wer hier widerspricht, kann sich ja erst mal z.B. mit Kant befassen.

Und die ökonomischen Grundlagen der Demokratie interessieren in diesem Zusammenhang keinen Schwanz.

Gruß



Über was gedenkt der Herr denn zu diskutieren? Ich bin ja nicht für Diktatur und gegen Kant oder Menschenwürde.
Im Gegenteil! Der Kat. Imperativ ist auch kein Freischein für Demokratie. Und die Menschenwürde ist erst mal ein Grundrecht für die Freiheit und nicht für das Gesetz.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-11, 20:20 Uhr
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Maulwurfs abtwort auf #105:
Quote:Erstens kann ein Staat nix garantieren, sondern höchstens konstituieren.

Zweitens weiß ich nicht wovon Du redest. Es gibt in keinem Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der Anspruch dessen erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.

Du hast an anderer Stelle gefragt
Quote:Austrittsrecht vergessen?

Dich hindert niemand an der Ausreise, die dich von weiteren Steuerzahlungen und Sozialkostenbeiträgen entbindet.

Provinzen haben bei uns noch nie für einen Austritt gestimmt, aber für einen Beitritt zur BRD Deutschland. Wenn man beitreten kann, kann man auch austreten.

Um den Bürgern Gerechtigkeit zu garantieren brauchen wir keine neuen Institutionen zu konstituieren. Für Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen. Natürlich kann Gerechtigkeit nur über ein Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung garantiert werden.

Ich setze voraus, dass für dich ebenfalls die allgemein anerkannten Werte gelten, was bei den meisten normal veranlagten Menschen der Fall sein dürfte.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-11, 20:40 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,

Du zeichnest ein bedrückendes Bild von der Situation an der sozialdemokratischen Basis, das wohl die Lage richtig wiedergibt. Nicht umsonst hat es eine linke Abspaltung von der Partei gegeben.

Ursache hierfür sind reale Probleme, mit denen sich unsere Gesellschaft konfrontiert sieht.

1. Die Vergreisung.

Stark verlängerte Lebenserwartungen erhöhen den Anteil der Rentner an der gesamten Bevölkerung und erfordern mehr Geld für die Rentenkassen.

Geburtendefizite verschieben das Verhältnis zwischen der Anzahl der Arbeitenden und der Anzahl der Rentner zugunsten der Rentner.

Das gestiegene Durchschnittsalter geht mit mehr gesundheitlichen Problemen einher und erfordert mehr Mittel für die Gesundheit.

2. Die Globalisierung.

Durch die stark verbesserte Telekommunikation und die Entwicklung der Transportmöglichkeiten konkurrieren die Produktionsstätten in Deutschland immer direkter mit Produktionsstätten in Asien und Osteuropa, in denen die Löhne, die Sozialabgaben und die Umweltbestimmungen weitaus weniger Kosten verursachen. Damit werden ganze Branchen in Deutschland unrentabel.

Die großen Kapitaleigner planen multinational und sind weniger an die alten „Heimatländer“ gebunden. So wird ohne Zögern ein Standort im Inland aufgegeben und dafür im Ausland produziert.

3. Die Staatsverschuldung

In vielen Ländern haben die Politiker zu lange den bequemsten und geräuschlosesten Weg gewählt, um Probleme zu überdecken: das Ausgeben von geliehenem Geld.

Die verantwortlichen Politiker waren meist nur 5 bis 8 Jahre im Amt, die Schulden, die sie hinterließen, waren aber noch weitere 20 bis 30 Jahre abzutragen.

Diese unverantwortliche Politik wurde der Öffentlichkeit als Problem erst voll bewusst, als die Wachstumsraten gegen Null gingen.

Angesichts dieser realen Probleme sind Wahlen und Neuwahlen keine Allheilmittel. Mit diesen Problemen hat jede Regierungsmehrheit - gleich welcher Couleur - zu kämpfen. Deshalb ist Enttäuschung über die mangelnden Erfolge der amtierenden Regierung oder gar über die Demokratie als solche häufig unangebracht.

Entscheidend ist, ob die Probleme realistisch gesehen werden und die richtigen - wenn auch nur langfristig wirksamen - Gegenmaßnahmen energisch eingeleitet wurden.

Im Augenblick sind in der Politik wohl keine Blumentöpfe zu gewinnen, befürchtet

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-11, 21:39 Uhr
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Hallo,

@hedgi. Ein unabhängiger Journalismus ist sicher eine wünschenswerte Sache. Doch wer garantiert, dass uns nicht auch die Journalisten manipulieren wollen. Vielfach zeichnet sie eine klar fixierte Ideologie aus, die zu proparieren ihnen wichtiger ist, als der Wahrheit zu dienen.

@Eberhard.

Die Vergreisung der Gesellschaft als Problem darzustellen, ist schon recht merkwürdig. Da bemühen sich unsere Halbgötter in Weiß, unser Leben immer mehr zu verlängern und dann ...
Ja, sollen sie es auch noch schaffen, dass wir mit 80 so agil sind wie mit 40?
Und, wer war es denn, der uns so ein idiotisches Rentensystem aufgedrückt hat, uns einen "Generationenvertrag" suggerierte, den nie jemand unterzeichnet hat? Das waren die "Volksvertreter", die nur eins damit erreichten, den Leuten Wahlgeschenke zu verpassen, damit sie diese Lügner auch wieder wählt.
Das selbe gilt auch für die Staatsverschuldung.

Und die Globalisierung? Die hat sich die Industrie, nach Zahlung entsprechender Spenden, von der Politik durchpauken lassen. Die Bevölkerung fragte niemand, wohl wissend, dass sie zB einem Beitritt von Polen, Tschechien und den anderen Oststaaten nicht zugestimmt hätten.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-11, 21:45 Uhr
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on 05/11/07 um 20:20:28, hedgi wrote:Maulwurfs abtwort auf #105:
Du hast an anderer Stelle gefragt
Dich hindert niemand an der Ausreise, die dich von weiteren Steuerzahlungen und Sozialkostenbeiträgen entbindet.

Provinzen haben bei uns noch nie für einen Austritt gestimmt, aber für einen Beitritt zur BRD Deutschland. Wenn man beitreten kann, kann man auch austreten.

Um den Bürgern Gerechtigkeit zu garantieren brauchen wir keine neuen Institutionen zu konstituieren. Für Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen. Natürlich kann Gerechtigkeit nur über ein Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung garantiert werden.

Ich setze voraus, dass für dich ebenfalls die allgemein anerkannten Werte gelten, was bei den meisten normal veranlagten Menschen der Fall sein dürfte.

hedgi




> Maulwurfs abtwort auf #105: Zitat:
>
>Erstens kann ein Staat nix garantieren, sondern höchstens
>konstituieren.
>
>Zweitens weiß ich nicht wovon Du redest. Es gibt in keinem
>Staat ein anerkanntes Sezessionsrecht. Der Anspruch dessen
>erzeugt sofort das Einschreiten zentralistischer Gewalt.
>Du hast an anderer Stelle gefragt Zitat:

>Austrittsrecht vergessen?

>Dich hindert niemand an der Ausreise, die dich von weiteren
>Steuerzahlungen und Sozialkostenbeiträgen entbindet.

Dich hindert auch nix daran Euren Unrechtssataat woanders zu gründen, also ohne mich.

>Provinzen haben bei uns noch nie für einen Austritt gestimmt,
>aber für einen Beitritt zur BRD Deutschland. Wenn man beitreten
>kann, kann man auch austreten.

Bayern hat noch nie für den Eintritt gestimmt. Abstimmungen für einen Austriitt waren noch nie legitimiert.
Aber vor allem ist das Quatsch eine Demokratie über Abstimmung zu gründen. Das ist methodisch so als würde die Diktatur durch den Monarchen begründet oder die UdSSR durch Beschluss des Obersten Sowjets.

>Um den Bürgern Gerechtigkeit zu garantieren

Du kannst nix garantieren.

> brauchen wir keine neuen Institutionen zu konstituieren. Für Gerechtigkeit könnten Gesetze sorgen.

Wessen Gerechtigkeit? Wessen Gesetze?

>Natürlich kann Gerechtigkeit nur über ein Gewaltmonopol einer demokratisch gewählten Regierung garantiert werden.

Wetten das nicht.

> Ich setze voraus dass für dich ebenfalls die allgemeine anerkannten Werte gelten, was bei den meisten normal veranlagten Menschen der Fall sein dürfte.

Keine Ahnung welche Werte Du meinst, aber die Initiierung von Gewalt ist bei Dir auf jeden Fall dabei, bei mir aber nicht.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-11, 23:39 Uhr
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Hallo Maulwurf,

Ist der Auschluss eines Menschen von der Nutzung eines Gutes keine Gewalt? Wer verbietet das? Der Eigentümer? Wer sagt denn, dass es überhaupt privates Eigentum gibt? Wer hat denn das Eigentumsrecht erfunden?

fragt Dich Eberhard.

p.s.: Bitte inhaltliche Argumente und keine Literaturverweise!

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-12, 00:22 Uhr
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Hi Eberhard,

nein, das ist es nicht.


Quote:Deshalb ist Enttäuschung über die mangelnden Erfolge der amtierenden Regierung oder gar über die Demokratie als solche häufig unangebracht.



Die Enttäuschung über die Demokratie kannste einem eingefleischten Demokraten wie mir nicht anhängen. Und auch nicht den vielen anderen - wie soll ich sie nennen, Unzufriedenen? - die die Demokratie jederzeit mit Zähnen und Klauen verteidigen würden. Die Kritik kommt nicht aus den Reihen der labilen Demokraten, die im Zweifel nach dem starken Mann oder zumindest nach dem starken Team rufen, das alles regeln soll, sie kommt aus den Reihen der in der Wolle gefärbten Demokraten. Es ist keine Kritik am Prinzip der Demokratie, sondern an ihrer gegenwärtigen praktischen Ausgestaltung, eine Gegenwart, die schon ein paar Jahre anhält.

Aber ich denke, ein Element, das de facto zum Widerwillen, sich an der Politik zu beteiligen führte, kann ich damit schon einmal freilegen: die Angst der sich als verantwortliche Kaste begreifenden Politiker vor dem Volk. Auch Du hast anscheinend die politische Horrorvision verinnerlicht, das Volk könne sich von der Demokratie abwenden, wenn man ihm nicht genug Zuckerln gibt. Ist gewiss eine Spezialität unserer Geschichte.

Die Trennung zwischen Politikern und Volk ist eine merkwürdige Sache, und ich weiß nicht, ob das in anderen Kulturen genau so ist. Wobei ich jetzt nicht auf die, meist jüngeren oder eher am Rand der Gesellschaft stehenden, reflektiere, die ohnehin jeden, der ein bisschen was zu sagen hat, und sei es der Amtsleiter vom örtlichen Sozialamt, als Bonzen bezeichnen und grundsätzlich alles nur aus der Froschperspektive betrachten und insofern fern jeder Vorstellung demokratischer Möglichkeiten sind. Ich rede von der wirklich lächerlichen Trennung, die seit Jahrzehnten schon diejenigen machen, die sich, selbst unten an der Basis, mit Politik befassen. Da ist notorisch die Rede vom Volk, das dieses oder jenes nicht versteht, das man also erst einmal aufklären müsse. Im Grunde sagst Du das ja auch:

Quote:Diese unverantwortliche Politik wurde der Öffentlichkeit als Problem erst voll bewusst, als die Wachstumsraten gegen Null gingen.


Der Öffentlichkeit war das nicht bewusst. Sag, kannst Du das beweisen?

Denk an das, was ich oben gesagt habe: die Zuckerln, mit denen man das Volk demokratisch bei der Stange hält. Hat das Volk denn diese Zuckerln tatsächlich eingefordert? Klar, wenn man sie kriegt, nimmt man sie mit und klagt nicht. Aber wo hat denn das Volk die Regierung zwecks Geldausgeben unter Druck gesetzt?

Trennung von Politik und Volk. Schau Dir die Parteibasis an. Wenige Facharbeiter, die große Masse besteht aus kleinen und mittleren Angestellten, und dann natürlich die unvermeidlichen Lehrer und Juristen. Denn ein Jurist sollte immer ein Parteibuch haben. Mit Anwälten kann man die Straße pflastern und an die begehrten Gehaltsjobs kommt man nur mit Parteibuch. Und sie alle sind der Meinung, dass sie nun das Volk aufklären müssten (vielleicht eins der unguten Erbteile der '68, als die Studenten morgens am Fabriktor standen, um die Arbeiter aufzuklären). Dass sie selbst das Volk sein könnten, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Dass das Volk ihnen weit überlegen sein könnte, weil es aus etlichen Millionen Lebenserfahrenen, Experten, bis hin zu den hochkarätigen Intellektuellen besteht, alles Volk, kamen sie gar nicht drauf. Das Volk sind nicht wir, das Volk sind die anderen. Die sind dumm und höchstens labile Demokraten, die man mit Zuckerln ruhig stellen muss, damit die uns in der internationalen Öffentlichkeit nicht blamieren. Fängt an an der untersten Basis und geht hoch bis in die Regierung. Und mit dieser Einstelllung wurde jahrzehntelang Politik gemacht.

Und jetzt, wo kein Geld mehr da ist, braucht man die Politik der harten Hand, und die ist denen gegenüber, die ohnehin immer nicht allzu viel hatten, verdammt hart, da muss man eben durch, ja, das Volk kann sich radikalisieren, wenn es die gewohnten Zuckerln nicht mehr bekommen kann, also muss man Stärke zeigen. Gegen wen? Gegen das Volk. Warum? Um die Demokratie nicht zu gefährden.

Hä?

Wie soll ich diese Politik nennen? Politikmarketing, mit dem Ziel, das Volk durch Sonderaktionen an die Marke Demokratie zu binden? Denn ab und an ein Zuckerl, das überlegen sie sich immer noch. Wie das ausgebaute Spaßbad. Um dessentwillen leider ein anderes, bürgernahes altes Bad dichtgemacht werden soll. Weil, soviel Geld ist nun auch wieder nicht da.

Problem: eine solche Politik ist nicht demokratisch.

Ich könnte auch sagen: die Deutschland AG plant notorisch am tatsächlichen Bedarf vorbei.

Die Basis hat das inzwischen gemerkt. Da läuft was schief. Die wissen nicht mehr wie es, nein, jetzt ist es nicht mehr das Volk, wie es uns geht. Denn auf einmal haben die vergreisten Omas und Opas ihre längst erwachsenen Kinder am Hals, die keine Arbeit finden, mit der sie ihre Familien ausreichend ernähren können, und die Omas und Opas machen sich Sorgen: was wird, wenn wir sterben und unsere gute Rente wegfällt, mit der wir immer noch zubuttern können? Heimlich, damit bloß das Arbeitsamt nichts merkt, weil es das, was wir ihnen geben, sofort wieder als Einkommen vom Hartz IV abzieht, das hinten und vorne nicht reicht? Wir dürfen keine Pflegefälle werden, denn das kostet unser kleines Vermögen, und das brauchen die Kinder, weil die niemals genug Rente kriegen werden. Du sprichst vom Problem der Vergreisung. Vielleicht wird das mal ein Problem. Jetzt jedenfalls ist es keins. Es ist nicht das Problem der siebzigjährigen Parteimitglieder mit den vierzigjährigen Kindern, die, weil schon zu alt, keinen Arbeitsplatz mehr finden.

Überleg Dir das mal. Auch die alte Tante SPD ist vergreist (wenn auch komischerweise anscheinend die meisten Jungen ausgerechnet zu den ältesten, lahmsten Haufen kommen und sich da offenbar sauwohl fühlen). Aber wer sind diese ollen Sechzig-, Siebzig-, Achtzigjährigen? Wir haben da sogar noch Leute, die sich daran erinnern, wie der Vater schnell die Mitgliederlisten in die Parteikasse gepackt und im Schrebergarten vergraben hat, als die Nazis kamen. Das ist Urgestein. Ein ganzes Leben als treuer, engagierter Parteisoldat. Die haben halbe Nächte durchgetagt, Plakate geklebt, sich auf Veranstaltungen die Beine in den Bauch gestanden, die kannten jeden im Viertel, waren Institutionen, an die man sich mit jedem Problem wenden konnte, Viertel, da hieß es, da kannste nen rot angestrichenen Besenstiel hinstellen und der wird gewählt. Staatstreue Demokraten bis ins Mark. Und genau diese Leute helfen ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten mit ihrem in langen Jahren erworbenen Wissen dabei, den Staat nach Strich und Faden zu bescheißen. Warum? Weil die anders nicht mehr zurecht kommen. Weil das nicht mehr ihr Staat ist. Und genau diesen Satz habe ich von einem alten, kreuzbraven, schon kleinbürgerlich-konservativen Parteigenossen gehört. Sein Sohn hat die Familientradition gebrochen und ist voller Zorn ausgetreten. Der Vater hat ihn verstanden.


Quote:Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.
(Joseph Kardinal Frings, 31.12.1946


Nein, Kohlenklauen gehen sie natürlich nicht. Aber von der Mentalität her geht es doch in diese Richtung.

"Politik machen für die Bürger".
Der Teufel steckt im "für", Eberhard. Denn wer für die Bürger was tut, sieht sich selbst nicht als Bürger an.

Abschließend - sieh mir die Länge nach, aber ich bin nun mal ein eingefleischter Demokrat, die Sache liegt mir am Herzen - noch ein praktisches Beispiel.

Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker, informierte über die Gesundheitsreform. Ich wies darauf hin, mit den ganzen Quoten und Berechnungen sei das Gesetz doch viel zu kompliziert, das könne kein Arzt, kein Lohnbuchhalter und erst recht kein Normalbürger lesen und verstehen. Seine Antwort: "Die Bürger brauchen keine Gesetze zu lesen. Die sollen sie befolgen." Du kannst Dir gewiss vorstellen, dass Abrazo mit dieser Antwort nicht einverstanden war, und auch, dass ein Donnerwetter tief aus Abrazos zornigem Herzen heraus nicht von schlechten Eltern ist [cheesy].

Dazu ist zu sagen, der Lauterbach ist ein wirklich anständiger Kerl. An seinem aufrichtigen, kämpferischen Engagement für soziale Gerechtigkeit ist kein Zweifel. Dennoch sagt er mit flappsiger Selbstverständlichkeit so einen Satz, merkt gar nicht, was er da sagt (allerdings hatte ich vor paar Wochen den Eindruck, dass bei ihm zwischenzeitlich was geklingelt hat). Und das zeigt die Mentalität der Politik für die Bürger. Man analysiert, was - nach eigener Meinung - der Bürger gerne hätte und was er braucht, gleicht das ab mit dem, was unter den gegenwärtigen Bedingungen möglich ist, streitet mit den anderen Fraktionen, die meinen, dass der Bürger etwas anderes gerne hätte und etwas anderes braucht, streitet auch, welche Richtung die Entwicklung der Gesellschaft nehmen sollte, heißt, wie ihre Bürger sich in Zukunft verhalten, was sie lernen, was sie denken sollten, und einigt sich dann auf einen Vertrag, der hier Gesetz genannt wird, dessen Vertragspartner die im Parlament vertretenen Parteien und auch die betroffenen Institutionen (Krankenkassen, Konzerne, Behörden) sind - und in dem die Bürger als Vertragsgegenstände zu funktionieren haben. In der Tat, Vertragsgegenstände brauchen die Verträge nicht zu verstehen, sie haben sich ihnen nur zu fügen.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-12, 08:41 Uhr
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P.S.:
Schau Dir den "lupenreinen Demokraten" Putin an, der argwöhnisch die Demokratie bewacht und sie schützt - vor dem russischen Volk.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-12, 10:02 Uhr
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on 05/11/07 um 23:39:05, Eberhard wrote:Hallo Maulwurf,

Ist der Auschluss eines Menschen von der Nutzung eines Gutes keine Gewalt? Wer verbietet das? Der Eigentümer? Wer sagt denn, dass es überhaupt privates Eigentum gibt? Wer hat denn das Eigentumsrecht erfunden?

fragt Dich Eberhard.

p.s.: Bitte inhaltliche Argumente und keine Literaturverweise!




Hast Du kein Eigentum? Nein?! Prima, dann komme ich bei Gelegenheit vorbei und hole das herrenlose Zeugs ab, was Du untergestellt hast.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-12, 11:13 Uhr
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Bitte beeil Dich, damit Du noch vor der Müllabfuhr da bist!

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-12, 11:29 Uhr
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Das Notebook nehm ich auch mit. [applause]

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-12, 13:46 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,

Du kritisierst die Kaste der Politiker, die sich „dem Volk“ entfremdet haben.

Ich habe als einen Grund hierfür genannt, dass - wegen des geltenden Wahlverfahrens - für die Regierungsbildung in der Regel Koalitionen erforderlich sind. Dies bedeutet, dass das Regierungsprogramm erst nach der Wahl ausgehandelt wird, ohne dass die Wähler darüber noch einmal befinden können.

Wenn dagegen das Wahlverfahren direkt zur Mehrheit einer Partei führt, wird der Wille der Wähler direkter in Politik umgesetzt. Dann hat eine Mehrheit diese Politik gewählt.

In Deutschland kommt gegenwärtig verschärfend hinzu, dass eine große Koalition regiert, die sich auf eine komfortable Mehrheit im Parlament stützen kann. Das verführt die Regierenden natürlich in verstärktem Maße dazu, ihren Stiefel durchzuziehen und sich nicht viel um Kritiker und die Stimmung in der Bevölkerung zu kümmern.

Aber ich will von der aktuellen politischen Diskussion noch mal zur theoretischen Analyse und Bewertung des Mehrheitsprinzips zurückkehren.

Im Mehrheitsprinzip haben alle Beteiligten das gleiche Stimmrecht. D.h., dass ihre Interessen gleichgewichtig in die kollektive Entscheidung eingehen. Man könnte annehmen, dass dadurch die Vormachtstellung bestimmter Gruppen unmöglich gemacht wird.

Dies ist jedoch ein Irrtum.

Demokratie kann ohne weiteres einhergehen mit der Vorherrschaft einzelner Gruppen.

Wenn in einer gegebenen Wahlsituation eine bestimmte Gruppe Machtpositionen innehat, so kann sie diese Machtposition zur Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses benutzen.

Sie kann dies auf zweierlei Wegen tun.

Erstens kann sie mit ihren besonderen Mitteln auf die Meinungsbildung Einfluss nehmen.

Zum andern kann sie ihre Machtposition auch dazu gebrauchen, dass es bei einem für sie ungünstigen Wahlergebnis, zu Folgewirkungen kommt, die für eine Mehrheit der Wähler sehr negativ sind. Da die Wähler dies wissen, verzichten sie von vornherein auf ein Votum, das die mächtige Gruppe beeinträchtigen würde.

Ein Beispiele für diesen Mechanismus ist das Problem der Kapital- und Steuerflucht. Wenn mehrheitlich eine Politik beschlossen würde, die die Interessen der Vermögenden angreift, so wären Kapitalflucht und Steuerflucht die Folge. Dies würde zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen.

Es ist also im Interesse der Wähler, dass ein solcher Fall nicht eintritt.

Wie ist so etwas möglich, wo doch die Wahlentscheidung aller Beteiligten geheim bleibt und frei von Sanktionen und Sanktionsdrohungen ist?

Durch ihre Machtpositionen können die Mächtigen die zur Verfügung stehenden Alternativen einschränken. Dies kann völlig legal sein und stellt insofern keine unzulässige Erpressung dar.

Dass es bei der Einführung einer drastischen Vermögenssteuer zu einer Kapital- und Steuerflucht ins Ausland kommt, ist allerdings kein Naturgesetz sondern beruht auf menschlichen Entscheidungen und Handlungen.

Das heißt: Eine eigentlich vorhandene Alternative (Die Vermögenssteuer wird erhöht, die Vermögen bleiben im Lande und die erhöhten Abgaben werden gezahlt) ist nicht verfügbar, weil die Vermögenden in einer bestimmten Weise auf einen für sie nachteiligen Mehrheitsbeschluss reagieren.

Entsprechendes gilt für andere Machtpositionen. Etwa wenn zum Zeitpunkt der Wahl das Militär eine Machtposition einnimmt und im Falle eines Wahlerfolges einer radikalen Partei, deren Ziele sie nicht billigen, per Staatsstreich die Macht übernimmt.

Um dies zu vermeiden, verzichten viele Wähle dann von vornherein auf die Wahl der radikalen Partei.

Durch die Machtposition wird die äußerlich freie Wahlentscheidung insofern verändert, als der Bereich der verfügbaren Alternativen eingeschränkt wird. Die eigentlich mögliche Alternative: „Die radikale Partei erhält die Mehrheit und das Militär hält still“ ist damit nicht mehr verfügbar.

Damit werden die Wähler in ihrer Wahlfreiheit jedoch auf eine schwer zu fassende Weise eingeschränkt. Auch in dieser Hinsicht ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips also kein Allheilmittel.

Grüße an alle Interessierten von

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-12, 22:23 Uhr
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Hallo Eberhard,

du schreibst:
"Demokratie kann ohne weiteres einhergehen mit der Vorherrschaft einzelner Gruppen."

Richtig. Und dagegen muss man prinzipiell nichts haben. Dass größere Gruppen einflussreicher sind als kleine ist nun einmal das Wesen der Demokratie.

Zu deinen Überlegungen zum Thema Kapitalflucht.
Die BRD hat wesentliche Teile ihrer politischen Macht an ausländische Institutionen abgegeben, wie etwa an die EU, an die UNO, an die WTO usw. Daraus folgt: Die prinzipiell möglichen Maßnahmen gegen Kapitalflucht funktionieren nicht mehr.
Damit ist die BRD nur noch bedingt handlungsfähig und damit ist eine Demokratie in Deutschland nur noch bedingt möglich.


Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-13, 13:03 Uhr
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Hi Hanspeter,

eine Abgabe von Aufgaben an übernationale Gremien, muss nicht von vornherein eine Kontrolle privater Organisationen mit Heuschreckeneigenschaften erschweren.

Es kann durchaus sinnvoll sein, wollen wir ein Europäische Union vergleichbar mit der USA, Aufgaben europäischen Gremien zu überklassen, weil bestimmte Pflichten einer Regierung zentral besser erledigt werden können. Wegen der Wichtigkeit für den Bürger, wäre auf jeden Fall eine Billigung der Verfassung durch das Volk unverzichtbar. Nur so kann Missbrauch durch lobbyistische Gruppen verhindert werden. Natürlich würde eine vor einer Volksbefragung vorangehende Aufklärungskampagne mehr Kosten verursachen, als wenn Regeln still und heimlich durch die Gremien gepeitscht würden. Aber in einer Demokratie lässt es sich nun einmal nicht so bequem regieren, wie in einer diktatorisch geführten Republik.

Du hast in einem vorangegangenen Text, auf die Probleme einer freien unabhängigen Presse hingewiesen. Wenn es uns gelänge eine Gleichschaltung der Presse zu verhindern, könnten sich unabhängig unterschiedliche Meinungen etablieren. Der Bürger kann nur durch Vergleiche zu einem unabhängigen Urteil kommen. Auch für einen Journalisten ist es schwierig, wenn andere Zeitungen auf Denkfehler hinweisen, diesen Weg durchzuhalten.

Weil in der Presseberichterstattung Defizite nicht mehr zu übersehen sind, besteht meiner Ansicht nach, dringend Handlungsbedarf.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-13, 18:37 Uhr
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Hallo Hedgi,


du schreibst: "eine Abgabe von Aufgaben an übernationale Gremien, muss nicht von vornherein eine Kontrolle privater Organisationen mit Heuschreckeneigenschaften erschweren."

Muss nicht, aber de facto erschwert es doch, weil nun Gesetze schwerer durchzusetzen sind.
Und im EU-Raum ist es fast unmöglich, die Kapitalflucht einzuschränken. Wenn zB. Österreich keine Erbschaftssteuer verlangt, dann ist es für Deutschland kaum möglich, sie einzuführen. Und natürlich neigt jedes Unternehmen dazu, seinen Sitz in das Land zu verlagern, das die günstigsten Steuersätze bietet.

Zur Pressefreiheit. Wie könnte man deiner Ansicht nach die Gleichschaltung der Presse verhindern?

Gruß HP



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-13, 22:14 Uhr
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Hi Hanspeter,

ein gemeinsames Europa halte ich nur für sinnvoll, wenn wir in wichtigen Fragen eine einheitliche Gesetzgebung haben. Da eine einheitliche Steuerpolitik dazu führt, dass für alle, die in Europa ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, unter den gleichen Vorraussetzungen leben können. Wenn überall in Europa die gleichen Steuern gezahlt werden, werden sich auch die Lebensunterhaltskosten auf einem gleichen Niveau einpendeln. Es muss nicht alles angepasst werden. Aber wichtig ist eine gemeinsamen Politik nach außen, eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, wichtig ist auch eine grobe Abstimmung in der Bildungspolitik, wobei regionale Unterschiede durchaus wünschenswert sein können. Den Folgen der Globalisierung werden wir eher hilflos gegenüberstehen, wenn es uns nicht gelingt, Ungleichbehandlungen in Steuerfragen innerhalb Europas abzubauen.

Die Medien zu reformieren halte ich für eine bedeutend größre Herausforderung. Im Interesse des Bürgers kann eine Zeitung nicht ihre Hauptaufgabe im Geldverdienen sehen. Deshalb sollten sich keine starken Geldgeber in Zeitungen einkaufen können. Auch politische Parteien sollten sich nicht an Zeitungen beteiligen, es genügt, wenn sie ihre eigene Parteizeitung herausgeben. Jedes Blatt sollte sich eigenständig verwalten. Es ist nicht notwendig, dass ein Konzern wie Springer für unterschiedliche Schichten eine eigene Zeitung herausgibt. Z. B. die Bild und die Welt unterscheiden sich dermaßen, dass sie ohnehin eine unterschiedliche Klientel bedienen. Ein Journalist muss unter einem besonderen Schutz stehen, sodass er seiner Informationspflicht ohne Repressalien zu befürchten, nachkommen kann. Wie gesagt, Meinungsvielfalt sollte Vorrang vor Gewinnerwirtschaftung haben. Es gibt eben Felder, deren Allgemeininteresse nicht von einer freien Marktwirtschaft beherrscht werden kann. Das trifft auch auf die Gesundheitspolitik zu. Eine allgemeine Versicherungspflicht lässt eben keine freie Marktwirtschaft zu.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-13, 22:47 Uhr
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Hi Eberhard,

das ist mir zu einfach gedacht.

Zunächst, das Wort vom Vorsitzenden der Deutschland AG hat, wenn ich mich recht erinnere, Schröder geprägt, und der regierte in einer Koalition mit den Grünen.

Zum zweiten: der springende Punkt ist imho, dass es gar nicht irgendwelche egoistische Mächtige sind, die beschließen, ätsch, wir wandern jetzt ab, sondern dass sie sich dazu gezwungen sehen, von den Verhältnissen, von der Wirtschaft. Die Hauptmacht haben keine einzelnen Gruppierungen, die Hauptmacht hat ein Begriff. Es ist ein Begriff, der Menschen gegen ihren Willen dazu zwingt, so zu entscheiden, wie sie entscheiden. Das ist absurd, und es muss erst einmal ins Bewußtsein gelangen, dass dies eine Absurdität ist.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-14, 10:42 Uhr
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Hallo allerseits,

die Wahl des Landesparlaments in Bremen ist ein Anlass, einige von uns diskutierte Punkte des Mehrheitsprinzips daran festzumachen, und auf Aspekte zu verweisen, die bisher nicht zur Sprache kamen.

Zuerst noch mal das Ergebnis anhand der Sitze in der Bremer Bürgerschaft.

SPD 33 / CDU 23 / Grüne 14 / Linke 7 / FDP 5 / DVU 1

Es gibt also insgesamt 83 Sitze. Für die Wahl der Landesregierung wird somit eine Mehrheit von 42 Sitzen benötigt.

Rein rechnerisch erreichen folgende 5 Koalitionen 42 Sitze und könnten damit theoretisch regieren:

SPD + CDU = 56
SPD + Grüne = 47
SPD + Linke + FDP = 45
CDU + Grüne + FDP = 42
CDU + Grüne + Linke = 44

Dies ist eine gewisse Bestätigung für die These, dass die eigentliche Wahl der Bürger keine direkte Entscheidung über die Politik der nächsten Jahre darstellt. Die Regierungskoalition und das Regierungsprogramm ergeben sich erst aus den Verhandlungen der Parteien, die hinter verschlossenen Türen geführt werden.

Aufgrund der unterschiedlich großen Differenzen zwischen den politischen Positionen der Parteien scheiden davon einige rechnerisch mögliche Koalitionen als unwahrscheinlich aus.

Wenn man versucht, die Parteien auf einer politischen Links-Rechts-Dimension anzuordnen, ergibt sich wahrscheinlich folgendes Bild:

….Linke….Grüne………......……SPD…..…….....…FDP….....…CDU….….DVU
…..===….======….===============.....==….=========….=
..……7……….14…………….....….33…......…………..5……..….23……..……1

Bei dieser Anordnung besetzt die SPD die Mitte. Jede Koalition gegen die SPD wäre instabil, sodass als mögliche Koalitionen nur die Kombinationen SPD + CDU und SPD + Grüne in Frage kommen. Aber bei dieser Entscheidung hat der Wähler nichts mitzureden.

Wenn man jedoch die SPD links von den Grünen einordnet und die FDP rechts von der CDU, so ergibt sich folgendes Bild:


.…….Linke….………SPD….................Grüne……......CDU…......FDP...DVU
……..===….===============….======….=========….===….=
.....….7……………....33…………….....…...14………….....23……..….…5….…1

In diesem Fall besetzen die Grünen die Mitte und hätten die Wahl zwischen einer Koalition mit der SPD und einer Koalition mit CDU und FDP.

Gegenwärtig erscheint dies aber als ausgeschlossen. Außerdem wäre die Mehrheit in der Bürgerschaft mit 42 Sitzen denkbar knapp, wenn man die zu erwartende Zerreißprobe bei den Grünen im Falle einer Koalition mit der CDU und der FDP berücksichtigt. Wenn nur ein Grüner deshalb zur SPD wechseln würde, so wäre die Mehrheit bereits dahin.

Die Wahl hat weiterhin gezeigt, dass das parlamentarische System das Aufkommen neuer Parteien nicht prinzipiell verhindert.

Das große Problem bei dieser Wahl sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, die gar nicht zur Wahl gegangen sind, meint

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-14, 15:18 Uhr
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on 05/14/07 um 10:42:24, Eberhard wrote:Das große Problem bei dieser Wahl sind allerdings die 43 % der Wahlberechtigten, die gar nicht zur Wahl gegangen sind, meint

Eberhard.



Das sehe ich genau umgekehrt. Die 57%, die zur Wahl gegengen sind, sind das große Problem.

Was ist eigentlich, wenn die Wahlbeteiligung unter 50% sinkt? Ist dann die Demokratur abgewählt? LOL


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-14, 19:09 Uhr
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Hi allerseits,

das Mehrheitswahlrecht lässt meistens kein regieren außerhalb geschlossener Koalitionen zu. Nur Bayern scheint hier eine Ausnahme zu sein.

Wenn wir die Fernsehberichte uns noch einmal in Erinnerung rufen, dann ist zu mindest die Arithmetik auf den Kopf gestellt.

Über Stimmenverluste dürfte sich keine Partei freuen können. Die Verlustliste wird von der SPD gefolgt von der CDU angeführt. Aber die SPD frohlockte wie ein Sieger. Die CDU schien es der SPD übel zu nehmen, dass sie sich nicht mit ihr als gemeinsamer Verlierer solidarisierte. Für uns stellt sich nun die Frage, wie sollen wir den Sieger festmachen? Wenn die Zahlen nicht mehr zählen, dann das Stimmungsbarometer. Danach ist die SPD der Sieger dieser Wahl.

Als Wähler würde ich von meiner gewählten Partei erwarten, dass sie sich einen Koalitionspartner wählt, dessen Wahlprogramm dem der eigenen Partei am nächsten kommt. Da Dreierbündnisse bisher noch nie lange hielten, in Bremen wurde das schon einmal zwischen SPD FDP und Grün versucht, brauchen wir nur mögliche Zweierkoalitionen zu betrachten. In der alten Koalition könnten beide Parteien so weiterregieren wie bisher, und die Erwartungen der Wähler dürften nicht enttäuscht werden. Es wird weiter gewurstelt. Als Schuldner führt Bremen bereits die Schuldnerliste an, weiter nach vorn geht nicht. Die Grünen dürften für die SPD ein bequemer Partner sein, da sie ihren Wählern nichts versprochen haben, was sie nach der Wahl einhalten müssten. Sie wollen sich für den Klimaschutz einsetzen, aber damit hat Bremen nichts mit zu tun. Also sind keine Schwierigkeiten in den kommenden Verhandlungen zu erwarten, mehr Senatorenposten als die CDU besetzt hatte werden die Grünen nicht verlangen. Außerdem haben sie sich in der Bundespolitik als bequemer Partner erwiesen, denn sie haben alles mitgetragen was Schröder von ihnen verlangte. Der stärkste Bremsklotz in Koalitionsverhandlungen ist wenn ein Verhandlungspartner seine eigene Identität aufs Spiel setzen muss.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-15, 06:39 Uhr
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Hallo allerseits,

durch die Zweistufigkeit wird das Mehrheitsprinzip in seinem Funktionieren schwer überschaubar.

Stufe 1: Die Wähler wählen das Parlament, das entsprechend den Stimmenverhältnissen für die Parteien zusammengesetzt wird (Verhältniswahlrecht).

Stufe 2: Das Parlament wählt mit der Mehrheit der Abgeordneten eine Regierung.

Wenn keine Partei eine absolute Mehrheit (d.h. mehr als die Hälfte der Abgeordneten) erhält, müssen Koalitionen gebildet werden. Über die Koalitionen entscheiden nur die Abgeordneten. Die Wahl eines Regierungschefs, die gewöhnlich in geheimer Abstimmung erfolgt, kann durch einen einzigen, anonym bleibenden Abgeordneten verhindert werden, wie bei der letzten Regierungsbildung in Schleswig-Holstein geschehen.

Eine derartige Verselbständigung von Vertretern gegenüber denen, die vertreten werden sollen, ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht üblich. Nach § 168 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann derjenige, der eine Vertretungsvollmacht erteilt hat, diese auch jederzeit widerrufen.

Durch das Verhältniswahlrecht kommen jedoch viele Abgeordnete nicht durch Direktwahl in einem Wahlkreis in das Parlament sondern über Listenplätze, d.h. über Parteibeschlüsse. Sie repräsentieren nicht eine bestimmte Gruppe von Wählern, sondern nach § 38 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nicht an Weisungen oder Aufträge gebunden sondern nur ihrem Gewissen verantwortlich.

In dieser Formulierung bleibt unklar, ob der Passus: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes“ bedeutet, dass alle Abgeordneten zusammen das ganze Volk vertreten sollen, oder ob jeder einzelne Abgeordnete das ganze Volk vertreten soll.

In dieser Konstruktion haben die Bürger ihre Entscheidungsgewalt tatsächlich unwiderruflich für die Dauer der Legislaturperiode an die Abgeordneten abgetreten.

Wenn man die Formulierung „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes" so versteht, dass das Parlament als Ganzes das ganze Volk vertreten soll, dann wäre das Parlament eine Art verkleinertes Modell der Wählerschaft, das nun an Stelle der Gesamtheit der Wähler die politischen Entscheidungen erzeugt.

Die Frage ist, ob sich das Parlament als Modell analog zur Gesamtheit der Wähler verhält.

Um nur ein Problem einer solchen Repräsentationstheorie zu nennen: Wo sind im Parlament diejenigen repräsentiert, die ihr Wahlrecht nicht ausgeübt haben? Wie Bremen zeigt, können die Nichtwähler ja einen großen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen. Müsste es deshalb nicht konsequenter Weise eine Wahlpflicht geben, wie in Belgien, um die Repräsentativität des Parlamentes in dieser Hinsicht zu sichern?

Vielleicht gibt es unter uns Kenner des Staatsrechts, die mir hier auf die Sprünge helfen können, hofft

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-15, 13:36 Uhr
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Hi allerseits,

der §168 des BGS greift bei der Wahl nicht, da eine abgegebene Stimme aus technischen Gründen nicht mehr widerrufen werden kann. Prinzipiell spielt die Direktwahl keine Rolle, da ein Abgeordneter sich immer dem Fraktionszwang unterordnen wird, weil er in der folgenden Wahlperiode seine Aufstellung im Wahlkreis und seinen Listenplatz nicht verlieren möchte.

Ein Wähler entscheidet nach dem Parteiprogramm und nicht nach dem Sympathiewert des Abgeordneten. Kein Kandidat kann dem Programm widersprechende Versprechungen abgeben, da er in diesem Fall jede Glaubwürdigkeit verlöre. Der Fall Heinrich der SPD ist ein Beispiel, bei dem sich der Wähler fragen müsste, warum ist Herr Heinrich noch Mitglied dieser Partei.

Berücksichtigen wir die Tatsache des Fraktionszwanges, würde die Abgabe der zweiten Stimme völlig ausreichen. Das Parteiprogramm ist das, für was der Wähler sich entscheidet. Wenn der Wähler sich für ein Wahlprogramm entscheidet, müssen wir uns allen Ernstes fragen, ob unser Mehrheitswahlsystem das Richtige für uns ist. Ein Verhältniswahlrecht nach englischem Muster oder eine Präsidialdemokratie würde eher den Willen des Wählers abbilden.

Wenn wir nun Minderheitsrechte mit berücksichtigen wollten, dann müssten wir das ganze Wahlsystem ändern. Dann müssten wir dem Wähler von einem dafür qualifizierten Institut einen Fragebogen ausfüllen lassen, und das Institut wählt aus der Auswertung der Fragebögen die Partei oder Koalition aus, die am besten den Mehrheitswillen der Bevölkerung widerspiegelt. Eine Auswertung des Fragebogens würde bereits den Durchschnittsbürger überfordern.

Nun ein Wahlzwang wäre Gewaltausübung gegen den Wähler, oder Beleidigung des Wählers, weil er indirekt für unmündig erklärt würde. Wir können voraussetzen, dass der Nichtwähler sich etwas dabei denkt, wenn er sich der Stimmenabgabe verweigert. Zwängen wir ihn, könnte er seine Ablehnung durch eine ungültige Stimmenabgabe kundtun. Nur noch durch eine elektronische Stimmenabgabe ließe sich die Teilnahme kontrollieren und auf Gültigkeit hin testen, dann bestände aber die Gefahr der personengebundenen Registrierung der Stimmenabgabe.

Daraus lässt sich erkennen, wir sollten uns über die Motive der Wahlverweigerung Gedanken machen.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Hanspeter am 2007-05-16, 07:39 Uhr
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Hallo Hedgi,

das Problem der Minderheitenrechte stellt sich bei uns normalerweise nicht. ZB. stehen SPD-Wähler in Bayern auf der Roten Liste der zu schützenden Arten und genießen entsprechende Zuwendung. ;-).

Schön wäre es, wenn wenigstens die Wünsche der Mehrheit von den Politikern stets entsprechend berücksichtigt würden.

Die Motive der Wahlverweigerung sind sehr einfach. Wenn jemand die Wahl zwischen Pest, Cholera, Typhus, Aids und Syphilis hat, tendiert er nun einmal zur Wahlverweigerung.

Gruß HP

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-17, 09:47 Uhr
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Hi,


Quote:Müsste es deshalb nicht konsequenter Weise eine Wahlpflicht geben, wie in Belgien, um die Repräsentativität des Parlamentes in dieser Hinsicht zu sichern?


Es gibt dafür eine einleuchtende Begründung, ich hab sie allerdings vergessen.

Was ich hier in vielen Postings sehe, ist die eingewachsene und de facto undemokratische Vorstellung, Volk und Parlament bzw. Regierung seien prinzipiell zwei scharf voneinander getrennte Sachen. In der Praxis ist das nicht der Fall. In der Praxis kommt diese Trennung durch mangelhaftes politisches Engagement der Bürger zustande. Nun hat jeder Bürger das Recht, sich um Politik nicht zu kümmern. Hieraus jedoch den Schluss zu ziehen, er könne sich grundsätzlich nicht um Politik kümmern und keinen Einfluss nehmen, ist falsch.

Für die Kandidatenkür, die durch die Parteien erfolgt - wer keiner Partei angehört oder von ihr getragen wird, hat auch keine Chance, gewählt zu werden, der normalerweise nicht politisch engagierte und entsprechend bekannte Einzelbürger findet noch nicht mal die für die Aufstellung nötigen Unterstützerunterschriften, wenn er sich auf den Marktplatz stellt und sagt: "wählt mich!" - gibt es zwei Wege:

Der Regelfall ist die Ochsentour. Jemand tritt in eine Partei ein, engagiert sich, redet mit, und zwar gut, nimmt an Schulungen teil, wird also zum Politiker ausgebildet, wandert per Wahl seitens der ihn stützenden Parteimitglieder durch die Gremien in eine Spitzenposition, und wird schließlich für geeignet befunden, die mehrheitliche Auffassung seiner Basis in den Parlamenten (da gibts ja mehrere, Kommune, Land, Bund und Europa) zu vertreten. Man kennt ihn also, man schätzt ihn, man traut ihm, man ist bereit, sich im Wahlkampf für ihn als eigenen Kandidaten abzurackern. Ist ja auch ein Problem: ohne Parteibasis ist kein Wahlkampf zu machen, die ganze ehrenamtliche Arbeit, die da zu tun ist, kann keine Partei bezahlen.

Seltener ist der Fall, dass von den Spitzengremien der Partei einer, der zwar Parteimitglied ist (ist noch selteneren Fällen muss sogar das nicht sein), aber ansonsten mit der Parteiarbeit an der Basis nicht viel zu tun hatte, wegen seiner Fähigkeiten und seines Wissens zum Kandidaten gekürt wird. Z.B. einer, der hohe Kompetenz in der Gesundheitspolitik hat. Oder in Sachen Migration. Sagt die Parteispitze, den brauchen wir unbedingt, denn wir brauchen für diesen Bereich nen Fachmann/Fachfrau. Denn die Hauptparlamentsarbeit wird in den Ausschüssen gemacht. Wie aber will einer, der nicht weiß, was Krankenkassensätze sind, wie die Bevölkerung sich entwickelt, wie die Verbreitung welcher Krankheiten in welchen Gegenden/Schichten/Altersgruppen sich verteilt, Gesundheitspolitik machen? Wie will ein netter Mensch mit großen, gläubigen Idealistenaugen berüchtigt-ausgefuchsten Vertretern der Pharmaindustrie entgegentreten? So einen machen die rettungslos alle. Sollte man auch bedenken. Für manche politische Aufgaben braucht man gemeine Schweinehunde.

Nu hat man den Kandidaten. Für den braucht man nen Wahlkreis. Einen, der gerade mal frei ist, wo also der alte Mandatsträger aufhört. Problem: aufstellen tut den die Basis. Und die sagt im Zweifel: "wie, unser Kandidat? Wat soll dat? Wir haben uns schon selber einen ausgeguckt." Und der möchte das natürlich auch gerne machen. Im Zweifel endet das trotz aller Werbe- und Überzeugungsmaßnahmen in einer Kampfabstimmung.

Wer ist nun die Parteibasis? Ein Stück Volk (auch wenn etliche absurderweise meinen, mit dem Parteieintritt seien sie nicht mehr gemeines Volk). Bevor also einer überhaupt zum Kandidaten gekürt ist, hat er schon reichlich Bekanntschaft mit dem gemacht, was Demokratie ist.

Als Mandatsträger kann sich das verlieren, und zwar dann, wenn das 'übrige Volk' nicht demokratisch denkt. Wenn es Politiker als Sonderkaste betrachtet, die mit dem Volk nichts zu tun haben, wenn es sie als 'die da oben' ansieht, deren Überlegungen und Entscheidungen man hinnehmen müsse wie weiland die Überlegungen und Entscheidungen der Regierung seiner Majestät Kaiser Wilhelm. Damit spricht man bei den Brüdern das an, was man niedere Instinkte nennt, die die natürlich genau so haben, wie jeder andere Mensch auch (Philosophen vielleicht weniger, aber die taugen dafür nicht als Politiker [cheesy] ). Konkret: die Eitelkeit. Hau einem Menschen nur oft genug um die Ohren, er sei was Außergewöhnliches, was Besonderes, was Großartiges, und er glaubt das und verhält sich entsprechend.

Altbekanntes Fazit (lange Rede, kurzer Sinn): jedes Volk hat die Politiker, die es verdient. Kein Wunder, sind ja Marke Eigenbau des Volkes.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Meisterdieb am 2007-05-17, 20:43 Uhr
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[cool]

Wir Feinde des allgemeinen Wahlrechtes hören nicht auf, uns über den Enthusiasmus zu wundern, den die Wahl einer Handvoll Unfähiger durch einen Haufen Inkompetenter weckt.

Anders als die im Dienste staatsbürgerlicher Gesinnungsertüchtigung verbreitete Meinung, daß eine niedrige Wahlbeteiligung politisch höchst bedenklich sei, ist gerade der Prozentsatz der Wahlenthaltungen ein Gradmesser der Freiheit.



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-17, 21:05 Uhr
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Hi Meisterdieb,


Quote:Wir Feinde des allgemeinen Wahlrechtes hören nicht auf, uns über den Enthusiasmus zu wundern, den die Wahl einer Handvoll Unfähiger durch einen Haufen Inkompetenter weckt.



Und Du und Deinesgleichen, Ihr seid also fähig und kompetent?
Sag mal: wodurch hast Du das unter Beweis gestellt?
Was hast Du in Sachen Gemeinwohl getan?
Hat's funktioniert?
Sag: wo hattest Du Erfolg?
Wer bittet Dich um Hilfe? Wer erzählt Dir, was ihm konkret gegen den Strich geht? Mit welchen Ämtern prügelst Du Dich so für andere Leute?
Denn Gerede allein reicht nicht als Beweis.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Meisterdieb am 2007-05-17, 22:24 Uhr
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[cool]

Guten Abend Hundeliebhaberin,

die Politiker sind kompetent, wenn es um Machtpolitik geht. Leider wird der Machtpolitik alles untergeordnet. Beispiel SPD. Schröder sollte schlicht die Wahl gewinnen. Anschließend vertrat er in einem Ausmaß Kapitalinteressen, daß Genossen zu tausenden aus dem Verein austraten.

Nun zur Wählerseite. Schröder verkaufte sich dem Wahlvolk bei der nächsten Wahl als Kriegsgegner, um wiederum gewählt zu werden. Ein etwas durchsichtiges Manöver, jedoch von Erfolg gekrönt. Schließlich rief er nach zwei Jahren Neuwahlen aus, um der Macht willen.

Also: Politik = Machtgewinn, Machterhalt

P.S.: Ausziehleinen sind gefährlicher als Stolperdraht



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-17, 23:04 Uhr
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Gemach, gemach, Meisterdieb, um unseren Abgeordneten Konkurrenz zu machen, solltest Du erst mal üben. Z.B. in der Kommunalpolitik. Wat haste denn da bisher so gemacht?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-17, 23:52 Uhr
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on 05/17/07 um 23:04:43, Abrazo wrote:Gemach, gemach, Meisterdieb, um unseren Abgeordneten Konkurrenz zu machen, solltest Du erst mal üben. Z.B. in der Kommunalpolitik. Wat haste denn da bisher so gemacht?



Was soll die blöde Frage?! Politik ist organisierte Kriminalität.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-18, 18:50 Uhr
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Damit ist das unterste Niveau von Diskussion wohl erreicht. Gratuliere!

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am 2007-05-18, 23:33 Uhr
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Tja, Eberhard,

unten is, wo Patrik is. Der meint auch, Abrazo sei ein Verbrecher, weil er der Firma Weil den Nick gestohlen habe. [cheesy]
Nun sagt auch noch der Maulwurf, Abrazo sei ein Verbrecher, weil er hier und da mal in der Politik die Klappe aufreißt.

Was sagt Abrazo dazu?
Viel Feind, viel Ehr.
[grin]

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am 2007-05-19, 00:01 Uhr
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Hi allerseits

Warum Koalitionen unter Berücksichtigung der Mehrheitsinteressen der Wähler in der Sache wie in Antw. #48 (http://www.philtalk.de/msg/1177161139-45.htm#48) von Eberhard beschrieben, reine Illusion sind, ist in der Juni-Ausgabe der bwd unter dem Titel, Mehr Vorurteil als Verstand erklärt.

In diesem Artikel wird behauptet, unsere Politiker handeln ohne nachzudenken. Begründet wird das mit der Tatsache, dass, je wichtiger eine Entscheidung für einen Menschen emotional ist, desto eher versucht er Fakten schön zu färben.

Rationales denken findet im präfrontalen Kortex des linken oberen Lappens statt. Bei Testpersonen, bei denen Emotionen ins Spiel kamen, tat sich in diesem Bereich nichts. Das heißt, das rationale Denken war lahm gelegt. Aktiv waren dagegen Regionen, die mit der Regulierung der Emotionen und der Lösung von Konflikten beschäftigt sind. Dieses motivierte Denken führt zu einem anderen Ergebnis als es rationales Denken würde. Dieses motivierte Denken soll in erster Linie zu einem guten Gefühl führen. Negative Emotionen werden herunterreguliert, und die so getroffene Entscheidung aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn.

Diese Studie beweist uns, wenn unsere Spitzenpolitiker schon nicht mit dem Kopf bei der Sache sind, so sind sie es doch mit dem Herzen.

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-19, 00:25 Uhr
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on 05/18/07 um 18:50:04, Eberhard wrote:Damit ist das unterste Niveau von Diskussion wohl erreicht. Gratuliere!



Bisher warst Du immer noch für eine Erniedrigung gut. Nur zu!


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-19, 17:00 Uhr
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Hallo allerseits,

ich denke, wir beenden diese Runde, da zum Mehrheitsprinzip nichts neues mehr kommt. Dank an alle, die Argumente beigesteuert haben! Wichtige Fragen bleiben:

Wie wird aus einer Politik im Namen des Volkes auch eine Politik nach den Interessen der Bevölkerung?

Wie kann die Information der Bevölkerung durch die Medien verbessert werden? Welche Rolle kann das Internet dabei spielen?

Tschüs, bis demnächst mal wieder, sagt

Eberhard.



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am 2007-05-19, 21:17 Uhr
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on 05/19/07 um 17:00:41, Eberhard wrote:Wie wird aus einer Politik im Namen des Volkes auch eine Politik nach den Interessen der Bevölkerung?



Tja, wie wird aus einer Mafia ein Sicherheitsunternehmen?



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am 2007-05-19, 23:58 Uhr
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Hallo Philtaker,

wer so wie Maulwurf bar jeder zusammenhängenden Argumentation die - auch von mir - frei gewählten Abgeordneten pauschal als "Verbrecher" und "Mafia" beschimpft und mit Dreck bewirft, der ist für mich kein radikaler Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sondern er ist jemand, der politischen Schaden anrichtet, indem er kostbare Rechte wie z. B. das allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu beschädigen versucht.

Hier hat für mich die Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu, wenn - auch meine - politische Freiheit verbal demontiert wird.

Wer nicht Argumentieren will sondern nur Beschimpfen und Verunglimpfen will, hat bei PhilTalk nichts verloren, meint

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 00:55 Uhr
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Bäh, Eberhard, reg Dich nich auf.

Zur Entspannung empfehle ich Aristophanes: die Frösche.
"Breckeckeckeckes-koax-koax" - die haben schon Dionysos in der Unterwelt zum Wahnsinn getrieben, aber nur, weil er dachte, sie hätten was Literarisches zu sagen, und nicht merkte, dat die einfach nur quakten.

Hilfsweise Wilhelm Busch: die Geschichte von dem Frosch, der den Finken mit seinem wunderbaren Froschgequake übertönen wollte. Als der Fink die Nase voll hatte und auf einen Baum flog, kletterte der Frosch mühselig hinterher und begann eben dort zu quaken. Als der Fink endgültig die Nase voll hatte und davon flog, meinte der Frosch, auch das zu können und flog hinterher - leider landete er platt wie eine Flunder auf der Erde und war in Ermangelung von Leben des Quakens nicht mehr mächtig.

Den Fröschen im Teich ist es gleichgültig, welches politische System um ihren Teich herum besteht. Ob Diktatur, Oligarchie, Feudalismus oder Demokratie, sie quaken jedes gleichermaßen an. Es ist der ewig gleiche, unpolitische biedermeierliche Spießbürger, der hier Laut gibt, der in seiner heimeligen Gartenlaube sitzt und über die Schlechtigkeit der Welt sinniert, die Gott sei Dank außerhalb seines Jägerzaunes stattfindet.

gruß



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von doc_rudi am Vorgestern, 07:17 Uhr
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Hallo,
sehe hier nur das Ende - typisch.
Habt Ihr eigentlich mal dei Grundlage unseres Wahlrechts kritisch angesehen: jeder Wahlberechtigte hat 1 Stimme.
Es gab Zeiten, da hatte der Reiche mehr Stimmen als der Arme.
Bisweilen hat der Mann 1 Stimme und die Frau 0 Stimmen.

Aber eins war immer gleich und ist auch heute so:

Der Dumme hat 1 Stimme und der Kluge hat 1 Stimme.

Frage: zu welchem Ergebnis muss das führen?

Gruß
rudi

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Sheelina am Vorgestern, 08:32 Uhr
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Grüß dich Eberhard!

Wäre es für dich eine vorstellbare Lösung, anstatt dem Mehrheitsprinzip zu folgen einem von innen her, in dem jeder Bürger gefragt ist, und seine Ansicht und Meinung im Rahmen von Mitwirkungsrechten Einfluss finden muss, ausgehendem Prinzip, wobei die auf die Punkte der Mitwirkung hin begründete Konsequenz der zu tragen hat, der die letztliche Entscheidungsbefugnis hat, aber somit immer auch von der Mitwirkung selbst mitgetragen wird? Die Bundesrepublik Deutschland ist ja ein föderalistischer Staat. (Bundes-, Landes-, Kommunal-, auch Verfassungsebene.)

liebe Grüße
Sheelina

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 09:59 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,

wahrscheinlich muss man manche Diskussionsbeiträge unter „Gequake“ ablegen. Andererseits halte ich es für problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den schlimmen Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen, systematisch mit Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in alten Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten möglich wäre.

hallo doc_rudi,

Du siehst den Fehler beim Mehrheitsprinzip darin, dass der Kluge und der Dumme in gleicher Weise eine Stimme haben, und fragst: Wohin soll das führen?

Ich weiß nicht, ob Du die Diskussion verfolgt hast, aber wenn man die politische Abstimmung nicht als Urteil über die für alle beste Politik versteht sondern als Ausdruck des eigenen Interesses (Jeder wählt die Partei, deren politische Absichten mit dem, was er selber will, am ehesten übereinstimmen), dann spielt die Klugheit keine entscheidende Rolle.

Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für ihn abgeben sollte?

Hallo Sheelina,

ich weiß nicht, ob ich Dich richtig verstanden habe. Zu Deiner Frage nur soviel: Um verbindliche Entscheidungen für ein Kollektiv zu treffen, ist das Mehrheitsprinzip m. E. am besten geeignet, weil alle anderen Verfahren entweder das Vetorecht kleiner Gruppen beinhalten (wie die Einstimmigkeitsregel mit Beibehaltung des Status quo, wenn keine Einstimmigkeit erzielt wird) oder aber sich von den Interessen der Einzelnen abkoppeln können (wie z. B. die Einparteienherrschaft einer Avantgarde mit der entsprechenden Rechtfertigungs-Ideologie).

Allerdings halte ich das Mehrheitsprinzip nur deshalb für notwendig, weil die rationale Argumentation (der herrschaftsfreie Diskurs, der Streit der Gelehrten) nicht zu einem definitiven Resultat in Form eines allgemeinen Konsenses führen muss.

Je größer in einer Gesellschaft jedoch der Bereich des allgemein einsichtigen Konsenses ist, desto besser für diese Gesellschaft.

Das Mehrheitsprinzip ist ein praktikables Normsetzungsverfahren, das sich allerdings daran messen lassen muss, wie nahe seine Resultate einem argumentativ bestimmten Gemeinwohl oder Gesamtinteresse kommen. Dass es unter bestimmten Bedingungen daran hapert, lässt sich leicht zeigen.

Bei Einzelabstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip spielen nur die Rangfolgen der Alternativen eine Rolle. Wie stark die Einzelnen von einer Entscheidung betroffen sind, wird nicht erfasst. Dadurch stellt im Mehrheits-System der „mittlere“ bzw. mediane Wähler den Gleichgewichtspunkt dar, zu dem alle Wahlabsprachen und Koalitionen hin tendieren.

Nehmen wir ein fiktives Beispiel. Es geht um die Höhe der Bezinsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen, die jeweils pro Liter den folgenden Steuerbetrag befürworten:

A - 10 c ------- B - 20 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c

C ist hier der „mittlere“ Wähler, d. h. es gibt genau so viele Individuen, die eine niedrigere Steuer wünschen als C sie wünscht, wie es Individuen gibt, die eine höhere Steuer wünschen als C. Es sind jeweils 2.

Die 70 c stellen damit die Mehrheitsalternative dar. Bei einer paarweisen Abstimmung „Jeder gegen Jeden“ bekommt die Alternative 70 c immer eine Mehrheit. Wenn alle Beteiligten so abstimmen, dass für sie das beste Ergebnis herauskommt, setzt sich bei allen Wahlverfahren, bei denen die Wähler gleiches Gewicht haben und Koalitionen möglich sind, diese Mehrheitsalternative durch.

Angenommen nun, die Interessenlage von A und B würde sich verändern und wir hätten jetzt folgendes „Meinungsbild“:

A - 60 c ------- B - 60 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c

Trotz dieser Veränderung der Meinungen – immerhin treten jetzt mehr als 2 Drittel der Beteiligten für eine sehr viel höhere Benzinsteuer ein als zuvor – ändert sich am Resultat einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip nichts, denn C bleibt weiterhin der mediane Wähler.

Hier sieht man, wie grob im Mehrheitssystem die Interessen der Beteiligten erfasst werden. Das Mehrheitsprinzip ist insofern nicht sakrosankt, sondern es muss nach sozialethischen normativen Kriterien geprüft werden, wo seine Anwendung sinnvoll ist und wo nicht.

Es hofft, dass das Ganze nicht zu politologisch war und dass die politische Philosophie sich solcher Fragen zukünftig stärker annimmt,

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 11:21 Uhr
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on 05/19/07 um 23:58:55, Eberhard wrote:Hallo Piltaker,

wer so wie Maulwurf bar jeder zusammwnhängenden Argumentation die - auch von mir - frei gewählten Abgeordneten pauschal als "Verbrecher" und "Mafia" beschimpft und mit Dreck bewirft, der ist für mich kein radiakeler Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sondern er ist jemand, der politischen Schaden anrichtet, indem er kostbare Rechte wie z. B. das allgemeine, gleiche, freie Wahlrecht zu beschädigen versucht.




LOL, endlich mal klare Worte. Aber hier verwechselt Du Wahlrecht mit Recht. Es kann moralisch kein Recht geben dem Pöbel die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen, damit es freie, friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und ausbeuten kann.

Nichts anderes ist das "Wahlrecht". Es ist nur kostbares Privileg für die zahlreichen Plünderer in einem Land. Aber es ist kein kostbares "Recht".

Wenn man an dieser "Politik"
oder dieser "Diktatur des Proletariats" -wie es die Kommunisten damals noch frei raus nannten-
Schaden üben kann, dann ist das heute nur dringend gebotenes Naturrecht.




Quote:Hier hat für mich die Toleranz ein Ende, ich schaue nicht einfach zu, wenn - auch meine - politische Freiheit verbal demontiert wird.



Der Herr meint, er habe die Freiheit diverse öffentliche und zwangsfinanzierte Pöbeleinrichtungen zu legitimieren und auf Dritte zu hetzen?

Was ist denn mit der Freiheit anderer? Es scheint so, als hätte Eberhart bestimmte Grundprinzipien der Ethik nicht verstanden (wie z.B. der Universalität )





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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 11:30 Uhr
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on 05/20/07 um 09:59:12, Eberhard wrote:Andererseits halte ich es für problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den schlimmen Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen, systematisch mit Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in alten Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten möglich wäre.



Ist das ein Nazi-Vergleich?

Die Nazis sind auch ein typisches Ergebnis der Demokratie.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von doc_rudi am Vorgestern, 11:30 Uhr
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Hallo Eberhard,
Du: "Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für ihn abgeben sollte?"
Da kenne ich viele, die das meinen und die dem Wähler das verklickern wollen.
Sollte man nicht alle werbenden Anteile aus der Wahlwerbung verbannen und nur sachliche Informationen zulassen? Diese können ja auch die Vorteile für den einen oder anderen Wähler in den Vordergrund stellen.

Im übrigen kann und soll der Wähler doch auch gar keine Entscheidung im Sinne seiner persönlichen Interessen treffen, sondern er soll eine Entscheidung darüber treffen, was besser für das System höherer Ordnung sein soll.
Zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessen (z.B. Gehaltserhöhung, weniger Steuern oder deren Verwendung nur für bestimmte Zwecke usw.) steht ihn ja gar keine Partei zur Wahl.

Gruß
rudi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 11:31 Uhr
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Hi Eberhard,


Quote:Ich weiß nicht, ob Du die Diskussion verfolgt hast, aber wenn man die politische Abstimmung nicht als Urteil über die für alle beste Politik versteht sondern als Ausdruck des eigenen Interesses (Jeder wählt die Partei, deren politische Absichten mit dem, was er selber will, am ehesten übereinstimmen), dann spielt die Klugheit keine entscheidende Rolle.

Zu erkennen, ob eine Politik im Interesse eines Wählers ist, das kann auch ein weniger kluger Wähler selber in der Regel am besten. Oder weißt Du jemanden, der die Interessen des Wählers besser kennt als er selbst und deshalb die Stimme für ihn abgeben sollte?



Damit sprichts Du m.E. das Problem an, das das große Unbehagen an Politik und Demokratie erzeugt: die Definition des Wählerwillens über die Interessen. Das hat aus meiner Sicht folgende, durchaus praktisch sichtbare, Konsequenzen:

1. Da Interessen sich je nach Lebenslage desjenigen, der sie hat, recht schnell ändern können (das Interesse des festangestellten Lohnsteuerzahlers ist in aller Regel nicht gleich dem Interesse, das er hat, wenn er entlassen wurde und ihm Hartz IV droht), wird sich auch eine Politik der ad hoc Entscheidungen zuungunsten langfristiger Zielsetzungen durchsetzen (wie wir ja selbst sehen).

2. Interessen, utilitaristisch verstanden (und das dürfte die gängige Auffassung sein) sind berechenbar. Insofern lassen sich politische Entscheidungen fällen, die den vorausberechneten Interessen der Bürger, durchaus aufgegliedert nach Interessengruppen, entgegen kommen. Nun behaupte ich allerdings, dass sich immer wieder durchaus auch starke gesellschaftliche Gruppen finden, die ihren nicht utilitaristisch begründbaren Willen auch gegen ihre eigenen utilitaristisch verstandenen Interessen stellen.
Beispiel: Aufnahme christlicher Grundsätze in eine europäischen Verfassung. Utilitaristisch begründbar ist dies m.E. nicht (es wundert mich nicht, wenn Soziologen und Politologen mit erstaunten Kinderaugen vor solchen Phänomenen stehen, die so gar nicht mit den erlernten Kausalitäten zu erfassen sind). Dieses Unternehmen wurde (zunächst einmal?) aus Einsicht aufgegeben, aber nicht aus Einsicht, dass hier widerstreitende Interessen entgegen stehen (da würde man argumentieren, ggf missionieren, kampfabstimmen), sondern aus Einsicht, dass aufgrund der unterschiedlichen Verfassungen der einzelnen Staaten (Frankreich) hierüber ein nötiger Konsens unmöglich wäre.
Wer die so verstandenen Interessen zum Maßstab nimmt, kann ohne weiteres eine Politik machen, die zwar den berechenbaren Bürgerinteressen entspricht, nicht jedoch dem nicht berechenbaren Bürgerwillen.

Hier erinnere ich an meine These: aus der Reflexion über die eigenen Interessen ergibt sich logisch zwingend die Möglichkeit, auch anders zu entscheiden, und genau diese Fähigkeit ist das spezifisch Menschliche.

3. Legt man die utilitaristische Interessendefinition zugrunde, so ist eine Wahldemokratie im Grunde nicht nötig. Es würde genügen, das Parlament durch eine Soziologenvereinigung zu ersetzen, die die Interessen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen feststellt und anhand statistischer Berechnungen die Vorgaben für Gesetze stellt, die eine Verwaltung dann zu beschließen hätte. Ich habe den Verdacht, dass etliche dies tatsächlich auch so sehen und die Wahlen quasi als Kontrollinstrument nach Art einer Volkszählung sehen um zu prüfen, ob die Berechnungen auch korrekt sind. Was mit der Zeit notwendigerweise in's Auge gehen muss, da Wählerinteresse und Wählerwillen nicht notwendigerweise deckungsgleich sind. Und nur beim - soverstandenen - Wählerwillen weiß einzig der Wähler über sich selbst Bescheid. Folgt: Politik kann nicht dem Prinzip der Berechenbarkeit des Wählers folgen.

4. Die Kontrolle utilitaristischer Politik ist das Grundgesetz. Bei einer idealen Interessenpolitik müsste es abgeschafft werden.
Als Beispiel verweise ich auf Art. 6 GG "(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung."
In einer überalterten Gesellschaft von Singles ist es ohne weiteres denkbar, dass die Mehrheitsinteressen dagegen stehen. In dem Sinne, wie heute schon oft gehört, dass es das Problem des Einzelnen sei, ob er sich den Luxus Kind zulege oder nicht, etwa wie es das Problem jedes Einzelnen sei, ob er sich einen Hund zulegt oder nicht, ein Luxus, den er dann aber auch selbst finanziell und organisatorisch zu tragen hätte. Hier kommt hinzu, dass dies dermaßen den Auffassungen der 'Familienmenschen' von einer humanen Gesellschaft widersprechen dürfte, dass eine Spaltung die Folge wäre, in der letztlich die individualistischen Singles, trotz Mehrheit, untergehen würden, da die 'Familienmenschen', zusammengesetzt aus Kindern, Eltern und - nicht zu vergessen, die gehören wesentlich dazu! - Großeltern aufgrund enger sozialer Organisation die weit mächtigere Position einnehmen würden. Gerade an der Großelterngeneration der 'Familienmenschen' zeigt sich der Gegensatz zwischen utilitaristischen Interessen und Bürgerwillen, denn ich behaupte aus meiner praktischen Erfahrung heraus, dass die Mehrheit der Familienomas und -opas im Zweifel stets auf ihre eigenen Interessen zugunsten der Bedürfnisse des Nachwuchses verzichtet; und da aus innerfamiliärer Solidarität die meisten Alten von ihren Angehörigen gepflegt werden, haben diese Alten auch den Alleinstehenden gegenüber eine viel stärkere Machtposition. Selbst im Pflegeheim wird der häufig besuchte Familienalte in der Regel besser behandelt als der Alleinstehende, zum einen macht die Familie Ärger, wenn was nicht richtig läuft, zum anderen hat man mehr Zeit für die Pflege, weil das Psychosoziale von der Familie geleistet wird.

Gruß





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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 11:37 Uhr
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on 05/20/07 um 11:21:28, Maulwurf wrote:LOL, endlich mal klare Worte. Aber hier verwechselt Du Wahlrecht mit Recht. Es kann moralisch kein Recht geben dem Pöbel die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen, damit es freie, friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und ausbeuten kann.

Nichts anderes ist das "Wahlrecht". Es ist nur kostbares Privileg für die zahlreichen Plünderer in einem Land. Aber es ist kein kostbares "Recht".

Wenn man an dieser "Politik"
oder dieser "Diktatur des Proletariats" -wie es die Kommunisten damals noch frei raus nannten-
Schaden üben kann, dann ist das heute nur dringend gebotenes Naturrecht.



Ähm...ist das dein ernst?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am Vorgestern, 11:37 Uhr
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Hi Eberhard,

so lässt sich ein Wahlkampf auch führen.

Wenn ihr die extrem Außen wählt, geht es eich noch schlechter, als wenn ihr mich wählt. Ich zocke euch nur ein wenig ab, denn meine reichen Feunde sind sauer, weil ihr am Geld klebt und nichts zum Wohle einer Minderheit beitragen wollt. So in etwa haben Schröder, seine Minister und Anhänger in verschlüsselter Sprache Wahlkampf betrieben.

Ich würde sagen,
Quote:Nehmen wir ein fiktives Beispiel. Es geht um die Höhe der Bezinsteuer pro Liter. Wir haben 5 Individuen, die jeweils pro Liter den folgenden Steuerbetrag befürworten:

A - 10 c ------- B - 20 c ------- C - 70 c ------- D - 80 c ------- E - 100 c

C ist hier der „mittlere“ Wähler, d. h. es gibt genau so viele Individuen, die eine niedrigere Steuer wünschen als C sie wünscht, wie es Individuen gibt, die eine höhere Steuer wünschen als C. Es sind jeweils 2. ,



ist eine pharisäische Argumentation. 70c zu zahlen, ist nur einer von fünfen bereit. Das heißt, 80% der Wähler wären mit dem Ergebnis unzufrieden. Würden wir deinem Beispiel folgen, würde eine Minderheit demokratisch bestimmen, was die Mehrheit zu tun hat. So sieht leider die traurige Wirklichkeit aus, Koalitionen werden nach anderen Gesetzen (http://www.philtalk.de/msg/1177161139-135.htm#140) geschlossen, nur nicht danach, was im Wahlprogramm geschrieben steht, sondern man redet ganz ungeniert von Kompromissen. Entscheidend sind nach der Wahl nur noch taktische Gesichtspunkte.

In der Politologie als Wissenschaft, sollte es nicht darum gehen, wie rede ich dem Volk ein System ein, das zwar eine Minderheit unterstützt, dafür aber einen Lehrstuhl mit zusätzlichern Mitteln sponsern kann. Es sollte auch für Politologen zu einer Selbstverständlichkeit werden, dasselbe was für Philosophen eine Selbstverständlichkeit ist, nicht mit der Suche nach der Wahrheit um des eigenen Vorteils willen aufzuhören.

Was spricht denn dagegen, meinem Vorschlag, einen Fragebogen (http://www.philtalk.de/msg/1177161139-120.htm#130) mit Punkten aus den Wahlprogrammen der konkurrierenden Parteien ausfüllen zu lassen, um daraus die Koalition zu ermitteln, die den Meinungsquerschnitt der Fragen am besten abdeckt?

hedgi



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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 11:43 Uhr
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on 05/20/07 um 11:37:21, chizmata wrote:Ähm...ist das dein ernst?



Ist die Pöbelkratie Dein ernst?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 11:47 Uhr
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on 05/20/07 um 11:43:53, Maulwurf wrote:Ist die Pöbelkratie Dein ernst?



Kommt drauf an wie du pöbel definierst. Und auf welches naturrecht beziehst du dich?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 12:16 Uhr
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on 05/20/07 um 11:47:00, chizmata wrote:Kommt drauf an wie du pöbel definierst. Und auf welches naturrecht beziehst du dich?




Ich gebe Dir mal was zu lesen aus http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&cob=207741:



Sie halten die Demokratie gewissermaßen für absurd. Wieso?

Alle wichtigen Lebensbereiche kommen ohne Demokratie aus, es gibt sie nicht in der Kirche, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Wissenschaft und natürlich auch nicht in der Familie. Die Idee der Demokratie ist eigentlich von Anbeginn der politischen Theorien an, von Platon bis in die Gegenwart, als eine völlig absurde Idee abgelehnt worden. Selbst Jean-Jacques Rousseau hat sich Demokratie nur in ganz kleinen Gemeinden vorstellen können, weil es in ganz kleinen Gemeinden eine sehr hohe soziale Kontrolle gibt, die es mehr oder weniger unmöglich macht, dass man sich das Eigentum anderer Leute durch den Stimmzettel aneignen kann.

Wenn man große Gesellschaften von mehreren Millionen Leuten hat, wo alles anonymisiert ist, haben die Leute nicht die geringsten Hemmungen, sich das Eigentum anderer anzueignen.

Lassen Sie mich ein drastisches Beispiel geben, das deutlich zeigt, was unter demokratischen Bedingungen eigentlich stattfindet. Nehmen wir an, wir hätten eine Weltregierung, eine Stimme pro Mann, pro Frau auf Weltebene. Wir hätten dann höchstwahrscheinlich eine indisch-chinesische Koalitionsregierung. Was würde diese indisch-chinesische Regierung für eine Politik zementieren, um in der nächsten Legislaturperiode wieder gewählt zu werden? Man muss nicht besonders erfindungsreich sein, um vorauszusagen, dass diese Regierung natürlich finden würde, dass die westliche Welt und Amerika viel zu viel Ressourcen haben und sie selbst viel zu wenig und dass aus diesem Grund eine systematische Einkommensverteilung vom Westen zum Osten angebracht sei. Ich denke das Beispiel ist deutlich genug.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 12:35 Uhr
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1. Du hast meine fragen nicht beantwortet.

2. Anscheinend kann man in las vegas auch professorentitel gewinnen.

Wenn man sich mit der geschichte der demokratischen idee bzw ihrer verwirklichung beschäftigt, sieht man, dass sie genau darum entstanden ist, weil die von diesem mann beschriebenen verhältnisse nur zu ungerechtigkeit, ausbeutung und unterdrückung geführt haben. Der mit dem grössten privatbesitz in diesem modell hat monarchische macht, und niemand garantiert für seine korrektheit.

Unsere demokratie ist sicher nicht die beste, aber was dieser typ redet ist eine katastrophe, die die letzten 1000 jahre politischer geschichte ignoriert.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 13:00 Uhr
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on 05/20/07 um 12:35:43, chizmata wrote:1. Du hast meine fragen nicht beantwortet.

2. Anscheinend kann man in las vegas auch professorentitel gewinnen.

Wenn man sich mit der geschichte der demokratischen idee bzw ihrer verwirklichung beschäftigt, sieht man, dass sie genau darum entstanden ist, weil die von diesem mann beschriebenen verhältnisse nur zu ungerechtigkeit, ausbeutung und unterdrückung geführt haben. Der mit dem grössten privatbesitz in diesem modell hat monarchische macht, und niemand garantiert für seine korrektheit.

Unsere demokratie ist sicher nicht die beste, aber was dieser typ redet ist eine katastrophe, die die letzten 1000 jahre politischer geschichte ignoriert.



Ich glaube, dass "dieser typ" Dir in jeder Hinsicht dreifach überlegen ist und ich glaube, dass Du die 200 Mill. Opfer deines Systems als Kollateralschaden definierst.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 13:27 Uhr
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on 05/20/07 um 13:00:52, Maulwurf wrote:Ich glaube, dass "dieser typ" Dir in jeder Hinsicht dreifach überlegen ist und ich glaube, dass Du die 200 Mill. Opfer deines Systems als Kollateralschaden definierst.


Glauben hilft dir nicht viel, argumentieren wäre besser.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 14:02 Uhr
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on 05/20/07 um 13:27:34, chizmata wrote:Glauben hilft dir nicht viel, argumentieren wäre besser.



Du willst doch nur trollen!


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 14:12 Uhr
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on 05/20/07 um 14:02:49, Maulwurf wrote:Du willst doch nur trollen!


Trollen ist das was du hier die meiste zeit betreibst, nämlich ohne weitere argumente irgendwelche provokativen statements in den raum zu schmeissen.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 14:57 Uhr
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Hi,

Interessant, der Hoppe, denn siehe, er bestätigt meine sämtlichen Prognosen darüber, in welche Richtung ein Denken geht, das die Existenz der Ethik und damit des spezifisch Menschlichen ignoriert. Insofern solltest Du, Eberhard, diesen Artikel sorgfältig studieren, und etliche andere auch.

Ethik ist die alternative Entscheidungsmöglichkeit zum biologisch-physiologisch programmierten Verhalten. Durch unsere Fähigkeit, zu reflektieren, was wir - biologisch programmiert - tun, erwächst logisch zwingend die Möglichkeit, es auch anders zu tun und damit die Notwendigkeit der Entscheidung.

Negieren wir also die Ethik und damit die spezifisch menschliche Entscheidungsmöglichkeit, also das Humanum, so bleibt das biologisch programmierte Verhalten übrig.

Die Frage ist nicht, ob das geht, ob Menschen damit leben können. Selbstverständlich können sie das. Das Viehzeug macht es vor, es lebt damit mindestens so lange wie wir. Die Frage ist, ob Menschen das wollen.

Ein Blick auf die Geschichte, nicht nur auf die jüngere, sondern auf die Geschichte, seit wir überhaupt auf menschliches Verhalten schließen können, zeigt, dass Menschen dies offenkundig nicht wollen. Zumindest nicht diejenigen, die sich auf das Humanum berufen, und die haben nachweislich letztendlich die größere Macht, und zwar eine Macht, die nicht aus den Gewehren kommt, sondern aus dem einleuchtenden Wort.

Die Negation der Ethik ist der Kern des nationalsozialistischen Denkens. Hoppes Ansicht bestätigt m.E., dass der Nationalsozialismus in Deutschland eine avantgardistische Bewegung war, die zwar scheiterte, jedoch jederzeit andernorts in anderem Gewand wieder auftauchen kann. Bei Hoppe ist der Nationalsozialismus um den Sozialismus gekürzt. Was einsichtig ist, denn 'Naturrecht' und Sozialismus sind de facto nicht miteinander vereinbar. Von daher ist es einsehbar, dass die deutschen Wirtschaftsführer dem Nationalsozialismus durchaus positiv gegenüber standen; den Sozialismus daran nahmen sie nicht ernst, und er war auch nicht ernst zu nehmen.


Quote:Das Primäre sei der Einzelne und sein Eigentum, der Einzelne und seine Familie, der Einzelne und seine Freunde, sagt Hans-Hermann Hoppe


In der Tat, das Lebewesen Mensch ist ein soziales, ein Rudeltier. Prähistorische Funde deuten darauf hin, dass z.B. die Australopithecinen vorwiegend in familiären Kleingruppen unterwegs waren. Selbst wenn es möglich wäre, Gesellschaften wieder zu diesem ursprünglichen Status zurückzuführen - der Kölner mit seinem ausgeprägten städtischen Gemeinschaftsgefühl würde ihm was husten - so würde dies aufgrund der ungebremsten Expansion starker Kleingruppen über Verbände, Sippschaften, Stämme und Kommunen nur die jahrtausende alte Menschheitsentwicklung wiederholen. An dieser Stelle scheint es mir geraten, zu Adam und Eva zurückzukehren - fast, nämlich zu Kain und Abel, eine symbolische Überlieferung aus Sicht der Viehnomaden. Denn das war Abel, Kain hingegen sesshafter Bauer. Die Interessen eines Viehnomaden sind mit den Interessen eines sesshaften Bauern unvereinbar. Wer also seine Interessen wahren will, muss den Kontrahenten erschlagen. Sofern die Ethik negiert wird, ist dagegen auch nichts zu sagen, denn das ist Natur.


Quote:Je mehr Aufgaben der Staat übernimmt, umso mehr lässt die private Spendentätigkeit nach und umgekehrt. Das ist eine Aufgabe, die Kirchen und karitative Einrichtungen übernehmen werden. Ich sehe da keinerlei Probleme.


An dieser Stelle wieder einmal der Hinweis auf unterschiedliche Menschenbilder.

Es erscheint uns hier in Europa, insbesondere - wegen des Grundgesetzes - in Deutschland, selbstverständlich, von der Menschenwürde auszugehen. Dabei ist dies keineswegs selbstverständlich; in den puritanisch geprägten USA ist das nämlich nicht der Fall.

Die Puritaner übertrugen das jüdische Auserwähltheitsdenken auf das Christentum. Das auserwählte Volk waren ihrer Ansicht nach mit dem durch Jesus geschlossenen 'Neuen Bund' nicht mehr die Juden, sondern die Christen. Sie übertrugen also das stammesgöttliche Denken auf ihre Sekte. Dies führte zum einen zu der Überzeugung, dass alle mit Gott begründeten Gemeinschaftsrechte nur für die Anhänger der eigenen Glaubensgemeinschaft galten (der fromme Puritaner Cromwell führte einen barbarischen Krieg gegen die katholischen Iren), teilweise auch für die potentiell zu missionierenden 'Novizen', zum anderen zum hemmungslosen Streben nach Wohlstand, denn damit würde Gott sein auserwähltes Volk vor allen anderen segnen und auszeichnen. Damit ist Armut ein Zeichen für falsches Leben und falschen Glauben, also prinzipiell selbst verschuldet, und damit der Barmherzigkeit und Willkür der wahren Gläubigen unterworfen.

Genau diesen caritativen Gedanken lehnt die europäische Denkweise ab. Nach europäischem Denken ist es kein Akt von Gnade und Barmherzigkeit, Armut zu bekämpfen, sondern sich aus der Menschenwürde herleitende Pflicht (hier übrigens eine Übereinstimmung mit dem islamischen Denken; auch da gilt "der Zehnte"). Diese Pflicht führt notwendig zu staatlicher Fürsorge. Die staatliche Fürsorge ist doppelt begründet: säkular durch die Menschenwürde, religiös eben durch den Zehnten (beides begründet sich aus dem letztlich gleichen Denksystem), wobei der Zehnte in der Alten Welt (also islamische Regionen eingeschlossen) eine Steuer ist, die unabhängig von caritativen Almosen zu zahlen ist.

Das unterschiedliche soziale Denken ist m.E. eine der prinzipiellen Divergenzen, aufgrund derer eine Globalisierung im US-amerikanischen wirtschaftsliberalen Sinne mir ausgeschlossen erscheint und letztlich nur zu blutigen Konflikten führen kann, so man es versucht.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 15:29 Uhr
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on 05/20/07 um 14:12:20, chizmata wrote:Trollen ist das was du hier die meiste zeit betreibst, nämlich ohne weitere argumente irgendwelche provokativen statements in den raum zu schmeissen.



Keine Sorge!

Aber Du willst doch wohl nicht damit andeuten, dass Du Dich von "gegnerischen" Argumenten überzeugen läßt?


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 15:44 Uhr
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on 05/20/07 um 14:57:53, Abrazo wrote:Genau diesen caritativen Gedanken lehnt die europäische Denkweise ab. Nach europäischem Denken ist es kein Akt von Gnade und Barmherzigkeit, Armut zu bekämpfen, sondern sich aus der Menschenwürde herleitende Pflicht (hier übrigens eine Übereinstimmung mit dem islamischen Denken; auch da gilt "der Zehnte"). Diese Pflicht führt notwendig zu staatlicher Fürsorge.



Das würde mich jetzt interesssieren.

Wo kann ich das nachlesen, wie diese Ableitung von Menschenwürde auf staatliche Fürsorge funktioniert?

Mit der Bibel ist staatliche Umverteilung und Demokratie jedenfalls nicht vereinbar.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 15:58 Uhr
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on 05/20/07 um 15:29:30, Maulwurf wrote:Keine Sorge!

Aber Du willst doch wohl nicht damit andeuten, dass Du Dich von "gegnerischen" Argumenten überzeugen läßt?



Aha du bist ja nen ganz geschickter, und arrogant noch dazu. Leider habe ich von die noch nichts als heisse luft gehört. Wenn du jetzt nicht mal irgendein argument hören lässt oder meine fragen beantwortest ist diese "diskussion" für mich beendet.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 16:31 Uhr
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Quote:Wo kann ich das nachlesen, wie diese Ableitung von Menschenwürde auf staatliche Fürsorge funktioniert?




Quote:GG Art 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.




Quote:SGB I § 1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs

(1) Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen,

ein menschenwürdiges Dasein zu sichern,
gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen,
die Familie zu schützen und zu fördern,
den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und
besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.

(2) Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll auch dazu beitragen, daß die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.



Für weitergehende Erläuterungen empfehle ich Kant.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 16:43 Uhr
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on 05/20/07 um 16:31:57, Abrazo wrote:Zitat: Wo kann ich das nachlesen, wie diese Ableitung von
Menschenwürde auf staatliche Fürsorge funktioniert?

GG Art 1
SGB I § 1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs



Naja gut, wenn Du Dich unbedingt (Zusatz: auch noch) lächerlich machen willst.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Alltag am Vorgestern, 16:57 Uhr
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on 05/20/07 um 09:59:12, Eberhard wrote:...
wahrscheinlich muss man manche Diskussionsbeiträge unter „Gequake“ ablegen. Andererseits halte ich es für problematisch, wenn die politischen Prinzipien, die für uns nach den schlimmen Erfahrungen mit autoritären Regimen einen hohen Wert besitzen, systematisch mit Schimpfworten belegt werden. Ich glaube übrigens nicht, dass in alten Demokratien wie in Großbritannien oder der Schweiz so ein Verhalten möglich wäre.



:-) Hallo Eberhard,

Sooo alt ist die Demokratie in der Schweiz nun auch wieder nicht: Bedenke, die Frauen haben auf eidgenössischer Eben erst seit etwa 35 Jahren "1 Stimme" und es brauchte einen Bundesgerichtsentscheid (vor etwa 15 Jahren), damit auch hinter den Bergen bei den Zwergen die Frauen auf kantonaler und komunaler Ebene an die Urne gehen dürfen.

Ganz bewusst sage ich an die Urne gehen. Zur Urne gehen die Eidgenossen einerseits bei Wahlen von Parteien und/oder Personen, anderseits bei Abstimmungen über Sachgeschäfte

, wie Steuererhöhungen, Milliarden-Geschäfte für z.B. den Gotthard-Basistunnel oder für die sogenannte Osthlife an die neuen Staaten der EU (15 plus Rumänien & Bulgarien), etc.


Bei den Sachgeschäften gilt die "Einheit der Materie", d.h. einerseits, dass der Entscheid immer auch die Kosten umfasst, anderseits nicht offensichtlich Äpfel mit Rüben vermischt sein dürfen (was allerdings niemand daran hindert von Obst zu reden!)

Ganz bewusst sage ich Entscheide! Im Unterschied dazu steht das Würfeln, die Evaluation oder das Auswählen, welche Drei sich dadurch auszeichnen, dass die Grundgesamtheit bekannt ist. Entscheide trifft man immer in Unkenntnis der genauen Lage und Auswirkung. Mangelnde Kenntnis ist also bei Abstimmungen kein Selbstverschulden der Urnengänger/innen, sondern inhärent: trotzdem oder (gerade) daher wagen in der Regel nicht mehr als 50% den Gang zur Urne.

Ein Phänomen der Abstimmungen muss unbedingt noch kurz erwähnt werden: nach dem Volksentscheid ist parktisch jede/r immer schon für genau das eingetroffene Ergebnis gewesen.

Der Volksentscheid über Sachgeschäfte stutzt meiner Meinung nach die hochfliegenden Träume der Parteien und politischen Einzelpersonen wesentlich: Nicht nur am Wahltag ist Zahltag!

Liebe Philtalker, es nützt meiner Meinung nach nichts bei der Diskussion des Mehrheitsprinzips, so zu tun als ob die Wahrheit bekannt sei! Ideale und Wahrheiten sind im Hinblick auf künftige Auswirkungen schlechte Ratgeber, weil die Ideale so oder so nicht eintreffen und weil nicht selten die Wahrheiten sich als "sogenannte Wahrheit" oder "schlechte Wahrheit" erweisen. Und gerade weil dies so ist, unterlassen die Urnengänger gern mal das quacken und machen statt dessen die Faust im Sack bis zum nächsten Zahltag/Urnengang!

Danke & Gruss
Ihr Alltag




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Vorgestern, 16:59 Uhr
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on 05/20/07 um 16:43:40, Maulwurf wrote:Naja gut, wenn Du Dich unbedingt (Zusatz: auch noch) lächerlich machen willst.



Lol du hast ja echt n rad ab du birne. Geh mal zu deiner mama und lass dir die windeln wechseln, dann gehts vielleicht wieder. Oder is die grad zu besoffen?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am Vorgestern, 17:43 Uhr
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Hi allerseits,

abrazo ist der Meinung, dass mit Kant sich alle Probleme dieser Welt lösen lassen. Es könnte so sein, wenn sich nur irgendjemand daran hielte. Mit der Philosophie verhält es sich genauso wie mit der Theologie, werden gewisse Lehrsätze und seien sie bei ruhiger Betrachtungsweise noch so einleuchtend, immer wieder monoton heruntergebetet, so wie es in Religionsgemeinschaften gehandhabt wird, verkommen sie zu nichts sagenden Aussagen. Inzwischen sind wir soweit, dass wir eine Entwicklung in den Gesellschaften sehen können, weil andere Philosophen nach der Kantära uns den Weg aus unserer Sackgasse wiesen.

Ich denke an Hegel als einen Aufsatzpunkt, der mir geeignet scheint, eine funktionsfähige Staatstheorie zu entwickeln. Einige marxistische Elemente lassen sich durchaus übernehmen. Wir müssen nicht den Fehler wiederholen und die Begrenztheit der Ressourcen unseres Planeten vergessen. Es ist natürlich in Zeiten der Suche nach einem Ausweg aus unserer scheinbaren Ausweglosigkeit, dass einige Irrläufern nachhängen, wie das bei Maulwurfs Anarchie der Wiener Schule der Fall zu sein scheint. Auch zu Karl Marx großer Zeit gab es genügend Utopisten, die sehr schnell verschwanden.

Poppers experimentelle Philosophie, ich nenne sie so, weil nach ihm die Metaphysik, so wie wir sie kennen, durch Laborversuche, sofern es möglich ist, sich abzulösen scheinen. So nähern sich die Methoden der Geisteswissenschaften sich den Methoden der Naturwissenschaften an.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Vorgestern, 18:11 Uhr
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Hi,

Alltag, das scheinen mir sehr gewichtige Argumente zu sein. Aber im Zuge der Arbeitsteilung (man kann es natürlich auch Faulheit nennen) lasse ich erst einmal Eberhard darüber nachdenken.

Hedgi, mit Kant lassen sich mitnichten die Probleme der Welt lösen. Allerdings zu den in unserem Staatsrecht festgeschriebenen Prinzipien Subjektsqualität des Individuums, der Mensch als Zweck, niemals jedoch als Mittel und die berühmte goldene Regel gibt es m.E. nun einmal nach Kant nicht mehr viel eigenes zu sagen.

Nichts gegen Staatstheorien, doch das ist nicht meine Baustelle. Man kann nicht alles machen. Sollen andere sich damit beschäftigen. Ich erinnere allerdings daran, dass Marx Junghegelianer war. Insofern klingt Deine Äußerung von wegen Übernahme von Marx in Hegel etwas seltsam.

Zu Popper möchte ich bemerken: Wittgenstein konnte sich einst nur durch umgehende Flucht dem dringenden Bedürfnis entziehen, Popper einen Schürhaken über den Schädel zu ziehen.
Wittgenstein hat mein Verständnis.

Gruß

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 20:52 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo maulwurf,

da sich diesmal immerhin 2 zusammenhängende Sätze in dem Beitrag von maulwurf finden, lohnt es sich vielleicht, inhaltlich darauf einzugehen.

Du stützt Dich in Deinem Beitrag wie selbstverständlich auf ein bestimmtes „moralisches Recht“ bzw. „Naturrecht“, dessen Kenntnis und Anerkennung Du offenbar bei den andern Diskussionsteilnehmern voraussetzt. Zumindest für meine Person kannst Du diese Voraussetzung nicht machen, weshalb Deine Prämissen für mich in der Luft hängen.

Wohl unter Bezug auf die Inhalte dieser Moral bzw. dieses Naturrechts behauptest Du nun:

„Es kann kein Recht geben, dem Pöbel die Verantwortung für ein ganzes Land zu geben.“

Es wurde bereits gefragt, was oder wen Du mit dem Wort „Pöbel“ meinst.

Wenn ich in meinem alten Sprach-Brockhaus nachsehe, so finde ich unter „Pöbel“ die Erläuterung: „gemeines, rohes Volk, niedere Masse“ und unter „pöbelhaft“ die Erläuterung: „gemein, gewöhnlich, frech“

Da Du schreibst, dass das allgemeine Wahlrecht nichts anderes ist als dem Pöbel das Recht zu bestimmten Handlungen zu geben, ergibt sich, dass Du mit dem Wort „Pöbel“ die Gesamtheit der Wahlberechtigten eines Landes bezeichnest.

Deine Behauptung lässt sich demnach folgendermaßen formulieren:

„Es kann kein Recht geben, den Wahlberechtigten die Verantwortung über ein ganzes Land anzuvertrauen.“

Damit wird mir allerdings noch schleierhafter, aus welcher Moral und welchem Naturrecht sich diese Behauptung ergibt.

Du könntest einwenden: „Ich habe nicht umsonst vom Pöbel gesprochen und nicht von den Wahlberechtigten. Indem ich die Wahlberechtigten als „Pöbel“ bezeichne, sage ich ja etwas über diese Wahlberechtigten aus. Sie sind eine niedere Masse, ein gemeines und rohes Volk.“

Dann würde ich an Dich die Frage stellen, was Du mit den Wörtern „gemein“, „roh“ oder „niedrig“ wohl meinst.

Im Sprach-Brockhaus finde ich unter „gemein“ die Erläuterung „1.) gewöhnlich, verbreitet, und 2.) niedrig gesinnt, grob, boshaft“ und unter „niedrig“ steht „1.) nicht hoch, flach, 2.) geringen Standes, 3.) gemein“ . Für unseren Kontext kommt wohl nur die Bedeutung unter 3.) in Frage, womit sich die Erläuterungen im Kreise drehen:

Wie jeder leicht merken kann, haben diese Wörter einen minimalen empirischen Gehalt aber einen eindeutig negativ wertenden Gehalt.

Dass Du die Wahlberechtigten als “gemein“ bewertest und deren Gesinnung als „niedrig“, stellt ein Werturteil dar, das völlig unbegründet im Raum steht. Offenbar setzt Du voraus, dass dies Werturteil von den Diskussionsteilnehmern geteilt wird. Auch hier muss ich sagen: Zumindest für meine Person kannst Du diese Voraussetzung nicht machen, weshalb auch Deine Wertprämissen völlig in der Luft hängen.

Du behauptest weiterhin, mit dem allgemeinen Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Verantwortung für ein Land anvertraut, damit es freie, friedfertige und fleißige Menschen nach Belieben beherrschen, ausplündern und ausbeuten kann.

Die Frage ist, wen Du mit den „freien, friedfertigen und fleißigen Menschen“ meinst.

Da das allgemeine Wahlrecht die Grundlage bildet und die daraus resultierende Gesetzgebung gemeint ist, kann es sich bei den „freien Menschen“ nur um die Bevölkerung desselben Landes handeln, denn nur für diese sind die von der Mehrheit gemachten Gesetze bindend.

Damit sind wir bei dem skurrilen Ergebnis angelangt, dass die Wahlberechtigten gemein und von niederer Gesinnung sind, während die Bevölkerung freie, friedfertige und fleißige Menschen sind. Da sich beide Gruppen weithin decken und aus den gleichen Individuen bestehen, sind Deine Behauptungen zumindest überraschend, wenn nicht sogar widersprüchlich.

Du behauptest nun, durch das allgemeine Wahlrecht werde den Wahlberechtigten die Macht gegeben, damit sie die Bevölkerung beherrschen und ausplündern können.

Dem kann ich nicht folgen. Das Wort „damit“ kennzeichnet den Zweck. Wenn man sagt: „Person A tut das, damit …“, dann folgt hinter dem Wort „damit“ der Zweck, den Person A mit diesem Tun verfolgt.

Es stellt sich bei Deiner Behauptung sofort die Frage, wer denn diesen Zweck mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts verbindet. Und weiterhin stellt sich die Frage, wie eine derartige Motivunterstellung nachprüfbar begründet werden kann. Auf beide Fragen findet sich bei Dir keine Antwort. So stehen auch diese Behauptungen völlig unbegründet im Raum.

Unabhängig von dieser Motivunterstellung behauptest Du, dass die Wahlberechtigten tatsächlich in Deutschland die Bevölkerung ausplündern, denn hier gibt es ja das allgemeine Wahlrecht.

Es stellt sich die Frage, was Du mit „ausplündern“ meinst. Der Brockhaus erläutert „plündern“ mit „ausrauben“. Wenn Du z. B. das Erheben von Steuern damit meinst, so handelt es sich dabei nicht um „Raub“ im rechtlichen Sinne. Ich vermute deshalb, dass es sich auch hier um Ausflüsse einer von Dir nicht näher begründeten Moralkonzeption handelt.

Was bleibt von den starken Worten übrig? Heiße Luft, wie schon andere bemerkten.

Es braucht niemand zu befürchten, dass ich jetzt öfter mit dieser Ausführlichkeit auf substanzlose Beiträge eingehe. Mir ging es hier nur um die Demonstration einer möglichen Kritik an derartigen Beiträgen.

Es grüßt Euch Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Vorgestern, 21:19 Uhr
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on 05/20/07 um 20:52:30, Eberhard wrote:Es braucht niemand zu befürchten, dass ich jetzt öfter mit dieser Ausführlichkeit auf substanzlose Beiträge eingehe. Mir ging es hier nur um die Demonstration einer möglichen Kritik an derartigen Beiträgen.



LOL

Ich werde mir natürlich auch nicht die Arbeit machen auf Deine Sinnentstellungen einzugehen. Es reicht völlig aus zu betonen, dass Deine demokratische Ideologie die Initiierung von Gewalt voraussetzt, was Dir selbstverständlich klar sein muss.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am Gestern, 06:39 Uhr
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Das Mehrheitsprinzip schafft keine Gewalt, sondern vermeidet Gewalt, dort wo Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht vertretbaren Kosten erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man sich nicht einigen kann, bleilbt alles so wie es ist" keine akzepbable Lösung ist, sondern nur Ausfluss der Iedologie von der Souveränität der Eigentümer und der Freiheit ihrer Verträge, meint

Eberhard.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Gestern, 10:09 Uhr
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Eberhard schrieb:
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Mir ging es nur um die demonstration einer möglichen kritik an solchen beiträgen.
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Gut gemeinter versuch eberhardt, aber wie du siehst ist dieser typ nicht für sachliche argumente zugänglich. Manchmal hilft eben einfach nur draufhauen, dann isser wenigstens ruhig.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am Gestern, 10:45 Uhr
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Solange Eberhard und anderen einschließlich mir nichts einfällt, wie unser demokratisches System, das wir freiheitlich nennen, zu retten ist, ist es Zeit sich mit etwas Theorie zu beschäftigen.

Abrazo schrieb:
Quote:Ich erinnere allerdings daran, dass Marx Junghegelianer war. Insofern klingt Deine Äußerung von wegen Übernahme von Marx in Hegel etwas seltsam.


Ja, Marx entwickelte seine Philosophie unter Hegels Einfluss. Er hat sich aber ziemlich schnell gelöst und seine Philosophie entwickelt, die die Welt in Atem hielt. Immerhin war der Kommunismus von K. Marx stark genug dem Kapitalismus 100 Jahre eine echte Konkurrenz zu sein. Wer weiß, ob wir sonst die angenehmen Seiten des Kapitalismus jemals kennen gelernt hätten. Das eigentliche Wesen des Kapitalismus fängt jetzt an durchzuschimmern, nachdem die kapitalistische Gesellschaftsordnung ohne Gegenalternative dasteht. So etwas gab es schon öfters, wenn das Kräftegewicht zusammenbricht, weil eine Macht kollabierte, pervertiert das ganze System.

Was lernen wir daraus, ohne einen richtigen Feind können wir nicht auskommen.

1968 konnte die marxistische Ideologie ohne große Änderungen übernommen werden. Der seit der Stalinära pervertierte Kommunismus konnte die 68-er nicht gefährden, da es damals leicht fiel zu erklären, was besser als in der Diktatur der SU laufen könnte.

Die nächste Bewegung wird mit neuen Ideen aufwarten müssen. Wir leben jetzt in einer Übergangszeit, in der die Widersprüche der alten Gesellschaft offensichtlich werden, die für den Druck sorgen, um das alte System explodieren zu lassen. Das Zündmaterial sind die Ideen der Philosophen, die von keinem Dichtmaterial aufgehalten werden können. Wir müssen uns nicht an die vier Stadien, so wie sie von Marx und Engels beschrieben sind festklammern. Aber eines scheint sich bestätigt zu haben, unsere Gesellschaft befindet sich in einem dauerhaften Prozess der Veränderung, der sich mit Hegels verbesserter Dialektik ziemlich genau beschreiben lässt. auch qualitative Sprünge lassen sich in Hegels Gerüst unterbringen.

Ich meine es ist das Naturrecht eines jeden einzelnen, wenn das alte System zusammenbricht am schnellst möglichen Übergang zur neuen Gesellschaft mitzuwirken. Das wussten die alten Griechen bereits, nicht umsonst haben sie den Tyrannenmord nicht nur als ethisch vertretbar, sondern sogar für moralisch geboten gehalten, wenn der Tyrann nur nicht mehr das Wohl seines ihm anvertrauten Volkes im Auge hatte.

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Mein Gründe auf Hegel zurückzugreifen und nur Teile von marxistischen Philosophie zu übernehmen, um eine Gesellschaftstheorie zu entwickeln, ergeben sich aus Beobachtungen der Evolution. Der Marxismus ist bereits sehr spezialisiert, das ist beim Hegelianismus anders, er befindet sich noch im Stadium der reinen Theorie und ist dementsprechend verformungsfähig.

Wenn wir in die Geschichte der Evolution zurückblicken, konnten in stabilen Zeiten einige Lebewesen sich mächtige Waffen zulegen und ihre Umwelt beherrschen, aber während stattfindender Katastrophen, konnten sich gerade die hoch spezialisierten Lebewesen nicht an neue Bedingungen anpassen. Es war der hilflose Mensch dessen Stärke gerade in seiner Schwäche bestand, die es ihm ermöglichte, sich an neue Bedingungen anzupassen.

hedgi




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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Gestern, 11:08 Uhr
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on 05/21/07 um 06:39:35, Eberhard wrote:Das Mehrheitsprinzip schafft keine Gewalt, sondern vermeidet Gewalt,



Das kann man dann von der Mafia auch behaupten, wenn man brav das Schutzgeld bezahlt.



Quote:dort wo Einmütigkeit nicht, nicht rechtzeitig oder nur unter nicht vertretbaren Kosten erzielt werden kann und wo die konservative Lösung "Wenn man sich nicht einigen kann, bleilbt alles so wie es ist" keine akzepbable Lösung ist, sondern nur Ausfluss der Iedologie von der Souveränität der Eigentümer und der Freiheit ihrer Verträge, meint

Eberhard.




Wer definiert denn, was nicht rechtzeitig oder nicht unter vertretbaren Kosten erzielt werden könne oder nicht akzeptabel sei?

Das ist dann immer die Mehrheit, die sich ein Recht auf Initiierung von Gewalt verschafft, damit sie ihren Willen (heuchlerisch "Gemeinwohl" genannt) ohne Konsensnormen durchsetzen kann.

Und da in einer solchen Gesellschaft alle wissen, dass sich jederzeit eine Mehrheit (also der Pöbel oder seine Regentschaft) gegen einen selbst begehren kann, verhalten sich auch alle so, damit dass nicht zu sehr passiert.

Dies wusste Bastiat bereits vor 150 Jahren:




Man kann auch versichern, dass sich - wenn der Staat nicht in die privaten Angelegenheiten eingreift - die Bedürfnisse und Befriedigungen in natürlicher Weise entwickeln würden. Man würde keine armen Familien nach literarischer Unterrichtung streben sehen, bevor sie Brot haben. Man würde nicht die Stadt sich auf Kosten des Landes oder das Land sich auf Kosten der Städte bevölkern sehen. Man würde nicht diese großen Fehlleitungen von Kapital, von Arbeit, von Bevölkerung sehen, die durch gesetzliche Maßnahmen hervorgerufen werden, Fehlleitungen, die selbst die lebenswichtige Versorgung so unsicher, so heikel machen und dadurch die Regierungen mit so außerordentlich schwerer Verantwortung belasten.

Unglücklicherweise hat sich das Gesetz nicht auf seine Rolle beschränkt. Es hat sich davon nicht einmal nur in neutraler und diskutabler Absicht entfernt. Es hat Schlimmeres getan: Es hat seinem eigenen Zweck entgegen gehandelt; es hat sein eigentliches Ziel zerstört; es hat sich verwenden lassen, die Gerechtigkeit zu verweigern, die es zur Geltung bringen sollte, jene Grenze zwischen den Rechten auszulöschen, der es Respekt verschaffen sollte; es hat die kollektiven Gewalt denen dienstbar gemacht, die ohne Risiko und ohne Skrupel die Person, die Freiheit oder das Eigentum der anderen ausbeuten wollen; es hat den Raub in Recht verwandelt, um ihn zu schützen, und die legitime Verteidigung in ein Verbrechen, um es zu bestrafen.



Bis heute hat sich an diesen kollektiven Verwerfungen prinzipiell nichts geändert und wird sich auch nicht ändern.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Gestern, 12:07 Uhr
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Mein Plagiat an F. Bastiat

Geschrieben um den 11. Juli 1868 von Karl Marx.
Nach der Handschrift.

|312| In ........... |in der Handschrift freigelassener Platz für den Titel "Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und Kulturgeschichte"| entdeckt ein Bastiatit, daß ich die Bestimmung der Wertgröße der Waren durch die zu ihrer Produktion "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit" dem F. Bastiat abstibitzt habe, und noch dazu in verballhornter Form. Ich könnte mir dies Quiproquo schon gefallen lassen. Wenn nämlich dieser Bastiatit Nr. I Bastiats und meine Wertbestimmungen der Sache nach identisch findet, erklärt ein Bastiatit Nr. II ziemlich gleichzeitig in dem Leipziger "Literarischen Centralblatt" vom ........................ |in der Handschrift freigelassener Platz für das Datum - 4. Juli 1868 - und folgendes Zitat: "Die Zurückweisung der Werttheorie ist die einzige Aufgabe desjenigen, der Marx bekämpft; denn wenn das Axiom zugegeben ist, muß man Marx die mit strengster Logik gezogenen Konsequenzen fast alle zugestehen."|

Durch Addition von Bastiatit Nr. I zu Bastiatit Nr. II ergäbe sich also das Fazit, daß das ganze Heer der Bastiatiten jetzt in mein Lager übergehn und meine Entwicklungen über das Kapital in Bausch und Bogen annehmen müßte. Man begreift, daß ich nur nach hartem Seelenkampf auf solche Annexationsfreuden verzichte.

Die in meiner Schrift "Das Kapital", 1867, enthaltene Wertbestimmung findet sich schon 2 Dezennien früher in meiner Schrift gegen Proudhon: "Misère de la Philosophie", Paris 1847. (p. 49 seqq.) Bastiats Wertweisheit kam erst einige Jahre später auf die Welt. Ich konnte daher nicht den Bastiat abschreiben, wohl aber der Bastiat mich.

Jedoch gibt Bastiat in der Tat gar keine Analyse des Werts. Er tritt nur begriffslose Vorstellungen breit, zum tröstlichen Nachweis, daß "die Welt voll großer, trefflicher, täglicher Dienst" ist. Die deutschen |313| Bastiatiten sind bekanntlich alle nationalliberal. Ich leiste ihnen also auch "großen, trefflichen Dienst" durch einen Fingerzeig auf den spezifisch preußischen Ursprung des Bastiatschen Weisheitsfundes. Der alte Schmalz war nämlich preußischer Regierungsrat, wenn ich nicht irre, sogar geh. pr. Regierungsrat. Er war außerdem Demagogenriecher. Dieser alte Schmalz also veröffentlichte 1818 zu Berlin ein "Handbuch der Staatswirthschaftslehre". Die französische Übersetzung seines Handbuchs erschien 1826 zu Paris unter dem Titel: "Économie Politique". Der Übersetzer, Henri Jouffroy, figurierte auf dem Titel als "Conseiller au Service de Prusse" |"Preußischer Regierungsrat"|. In folgendem Zitat wird man die Bastiatsche Wertvorstellung nicht nur dem Inhalt, sondern selbst dem Wortlaut nach quintessenzlich vorfinden:

"Le travail d'autrui en général ne produit jamais pour nous qu'une économie de temps, et [que] cette économie de temps est tout ce qui constitue sa valeur et son prix. Le menuisier, par exemple, qui me fait une table, et le domestique qui porte mes lettres a la poste, qui bat mes habits, ou qui cherche pour moi les choses qui me sont nécessaires, me rendent l'un et l'autre un service absolument de même nature; l'un et l'autre m'épargne et le temps que je serais oblige d'employer moi-même a ces occupations, et celui qu'il m'aurait fallu consacrer a acquérir l'aptitude et les talents qu'elles exigent." (Schmalz, l.c. t. I, p. 304.)

|"Die Arbeit anderer bringt uns überhaupt nur eine Zeitersparnis, und diese Zeitersparnis ist alles, was ihren Wert und ihren Preis ausmacht. Der Tischler, welcher mir einen Tisch verfertigt, und der Bediente, welcher mir Briefe auf die Post trägt, meine Kleider reinigt und die mir nötigen Dinge holt, beide tun mir ganz gleichen Dienst; sie ersparen mir die Zeit, und zwar zwiefache Zeit; die erste die, welche ich jetzt aufwenden müßte, um das selbst zu tun; die zweite die, welche ich hätte anwenden müssen, um mir die Geschicklichkeit dazu zu erwerben."|

Man weiß also jetzt, wo Bastiat sein Fett, ich wollte sagen, sein Schmalz hergeholt hat.
[grin]

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Abrazo am Gestern, 12:12 Uhr
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Quote:Man würde keine armen Familien nach literarischer Unterrichtung streben sehen, bevor sie Brot haben.


Es war ja auch eine Ungeheuerlichkeit, dass im preussischen Kaiserreich mit seinen wohlgeordneten drei Ständen der 3. Stand doch tatsächlich das Wahlrecht verlangte! Der Arbeiter braucht keine Bildung. Der soll das Maul halten und arbeiten.
Scheiss Sozialisten!

(Es wäre vielleicht einiges anders gekommen, hätte nicht Bismarck den Kulturkampf in Rheinland und Ruhrgebiet so jämmerlich verloren.)

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Gestern, 12:22 Uhr
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Schöne Polemik und wo ist jetzt der konstruktive Teil der Kritik?

Ach so, ich vergaß. Trollen ist angesagt.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Gestern, 12:54 Uhr
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on 05/21/07 um 12:22:45, Maulwurf wrote:Schöne Polemik und wo ist jetzt der konstruktive Teil der Kritik?

Ach so, ich vergaß. Trollen ist angesagt.



Du hast die sache mit der umverteilung noch nicht ganz verstanden (der "diebstahl"; als würden ein reicher mit 100% und ein armer mit 0% am ende bei 50/50 rauskommen...). Ausserdem pickst du den kleinen polemischen teil von abrazo heraus und geht auf seinen ellenlangen post nichtmal ein, nur um ihn wie mich vorher als das darzustellen was du selber bist: ein troll, der nichts als heisse luft fabriziert.
Keine ahnung ob du wirklich so blöd bist oder einfach nur provozieren willst. Hast wahrscheinlich keine freunde oder so, würde mich nicht wundern.
Deine meinung ist für jeden hier ganz offensichtlich als schwachsinn erkennbar, und trotzdem wird dir mehrfach die diskussion angeboten. Du reagierst darauf indem du andere als trolle oder befürworter von völkermord beschimpfst. Wahrscheinlich hast du psychische probleme oder so aber das ist mir egal. Ich hab in meiner freizeit besseres zu tun als mich mit solchen vollidioten wie dir rumzuschlagen. Würdest du mir gegenüberstehen hättest du schon längst meine faust im gesicht. Also tu mir einen gefallen und verpiss dich aus diesem forum du arsch!


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Gestern, 15:45 Uhr
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Vielen Dank für die deutliche Darstellung des Begriffes "Pöbel".

Wir kommen langsam doch noch in der Diskussion voran.

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Gestern, 15:57 Uhr
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on 05/21/07 um 15:45:27, Maulwurf wrote:Vielen Dank für die deutliche Darstellung des Begriffes "Pöbel".

Wir kommen langsam doch noch in der Diskussion voran.


Deine meinung is ja echt herrlich. So nach dem motto "mal von den eltern gehört und nie mehr drüber nachgedacht", aber hauptsache mal drauflosplappern. Da steckt ja in meinen beleidigungen mehr hirn. Ich erzähl dir lieber nicht was ich in meinem leben mache sonst erschütter ich noch dein weltbild.
Achso, und noch was: hatte ich dir nicht gesagt du sollst aus diesem forum verschwinden?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Eberhard am Gestern, 19:45 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,

Du erhebst einen grundlegenden Einwand gegen eine Interpretation des Mehrheits-Prinzips als eine Methode zur Zusammenfassung von Interessen. Du weist darauf hin, dass das, was Menschen wollen, nicht nur von ihren Interessen bestimmt wird, sondern auch von ihren Werten bzw. Idealen.

Ich stimme Dir hierin zu und muss zugleich sagen, dass auch für mich das Verhältnis zwischen Interessen und Werten keineswegs geklärt ist. Die Tatsache, dass ein Individuum die Alternative x der Alternative y vorzieht, sagt noch nichts darüber aus, ob diese Präferenz seine Interessenlage oder seine Werthaltungen ausdrückt.

Richtig ist, dass die Werte, die ein Mensch vertritt, nicht völlig durch seine Interessenlage bestimmt sind. Zwar bestimmt das gesellschaftliche Sein in starkem Maße auch das Bewusstsein in Form von Werthaltungen und Einstellungen. Die meisten Sozialhilfe-Empfänger werden gegen die Kürzung von Sozialleistungen sein und dies auch mit moralisch/politischen Werten vertreten, und die meisten Millionäre werden gegen eine höhere Vermögenssteuer sein und dies ebenfalls mit moralisch/politischen Werten verteidigen.

Aber als Menschen können wir auch versuchen, einen unparteiischen Standpunkt einzunehmen und für andere nachvollziehbar zu argumentieren. Wir können versuchen, intersubjektiv nachvollziehbare und allgemeingültige Antworten auf unsere Fragen zu finden.

Werte und Ideale sind nach meinem Verständnis im Bereich des Allgemeingültigen angesiedelt. Sie beanspruchen allgemeine Zustimmung, sie wollen dauerhaft geteilt werden. Über Werte und Ideale stimmt man nicht ab, sondern sie werden argumentativ begründet oder kritisch hinterfragt. Oder auch: Man hat sie eben und steht zu ihnen, gleichgültig, ob andere diese Werte teilen oder nicht. Deshalb werden Wertentscheidungen auch durch Bündnisse nicht „richtiger“.

Interessen dagegen ändern sich je nach Lebenslage und sozialer Position.

Wertfragen wie: „Sind der Schwangerschaftsabbruch oder das Experimentieren mit Stammzellen moralisch verwerflich?“ können nicht durch Abstimmungen entschieden werden, sondern nur durch Argumentation.

Diese (vorläufige) Antwort befriedigt mich auch selber nicht. Hier bleibt noch viel zu klären.

Soviel zur Rolle der Werte und Ideale.

Zum Verhältnis von Einzelinteresse und Gesamtinteresse bei Abstimmungen noch eine Klarstellung.

Die von mir vertretene Analyse und Interpretation des Mehrheitsprinzips fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass das für ihn subjektiv beste Ergebnis herauskommt. Dabei kommt es automatisch zu Wahlabsprachen und Wahlbündnissen.

Diese Freisetzung des „(Gruppen-)Egoismus“ erscheint auf den ersten Blick unverständlich und falsch. Um doc rudi zu zitieren: „soll der Wähler … keine Entscheidung im Sinne seiner persönlichen Interessen treffen, sondern er soll eine Entscheidung darüber treffen, was besser für das System höherer Ordnung sein soll.“

Der Witz bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip ist nun der, dass gerade das eigeninteressierte Verhalten der Beteiligten zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, also derjenigen Alternative, die im Paarvergleich „jeder gegen jeden“ immer die Mehrheit der Stimmen gewinnt.

Es wirkt hier eine Art „invisible hand“ wie in einer Konkurrenzwirtschaft. Gerade weil die Unternehmer möglichst hohe Profite machen wollen, fließt Kapital in Branchen mit hohen Gewinnspannen. Durch das damit entstehende höhere Angebot sinken jedoch die Preise und die Gewinnspannen gleichen sich dem Durchschnitt an. Gerade das eigeninteressierte Verhalten der Einzelnen führt also unter Konkurrenzbedingungen zu allgemein erwünschten Ergebnissen.

In analoger Weise führt im politischen Bereich gerade die Orientierung an den eigenen Interessen zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative und damit zu einem Resultat, das – abgesehen von den bereits angesprochenen Ausnahmen – auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls akzeptabel ist.

Soviel erstmal von

Eberhard.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Maulwurf am Gestern, 20:08 Uhr
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Das "Gemeinwohl" ist die dreckige Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse des Pöbels, der mit Gewalt seinen Willen durchsetzen will.


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von hedgi am Gestern, 20:23 Uhr
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Quote:Die von mir vertretene Analyse und Interpretation des Mehrheitsprinzips fordert jeden Wähler auf, so zu wählen, dass das für ihn subjektiv beste Ergebnis herauskommt. Dabei kommt es automatisch zu Wahlabsprachen und Wahlbündnissen.

Bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip ist das eigeninteressierte Verhalten der Beteiligten zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, die immer die Mehrheit der Stimmen gewinnt.


Jetzt fehlt immer noch deine Aussage, wie das Mehrheitsprinzip realisiert werden soll. Meinst du es soll so weitergehen wie bisher. Der Wähler macht sein Kreuz hinter der Partei, von der er glaubt, sie sei die beste für ihn.

Nach dem Mehrheitsprinzip bilden zwei oder mehrere Parteien ihre Koalition, und sagen dem ab der Wahl von allen Entscheidungen abgekoppelten Wähler, das musst du ganz demokratisch schlucken, weil wir das so ganz demokratisch im stillen Kämmerlein in deinem Namen bestimmt haben, denn da würdest du nur stören. Denn was die Mehrheit will, das wissen nur wir.

Das kannst du uns doch nicht im Ernst unterjubeln?

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Sinn kann überhaupt nur eine Gegenüberstellung der verschiedenen uns bekannten Wahlsysteme machen, vielleicht noch eine Variante über die noch nie diskutiert wurde.

Mehrheitswahlrecht in parlamentarischen Demokratien. Nehmen mehr als 2 Parteien teil, kommt es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Koalitionen, auf die der Wähler bedauerlicherweise keinen Einfluss mehr nehmen kann.

Verhältniswahlrecht, wer die meisten Wahlkreise gewinnt, stellt den Regierungschef. Allerdings sind Manipulationen an der Aufteilung der Wahlkreise vorprogrammiert. Vorteil der Regierungschef hat tatsächlich mehr Stimmen und kann sich nicht mit Kompromissen herausreden.

Präsidialdemokratie, Regierungschef und Parlament als Kontrollorgan werden getrennt gewählt.

Egal welches System favorisiert wird, Volksbefragungen in wichtigen Fragen und eine nicht nur dem Namen nach freie Presse als echtes Kontrollorgan der Regierung, bleiben für eine Demokratie ein unverzichtbares Mittel ihrem Namen gerecht zu werden.

Unter freie Presse verstehe ich nicht, eine Kette von Zeitungsunternehmen, die über Großaktionäre miteinander verschwägert sind.

Der mündige Bürger ist auf mehrere unabhängige Meinungen angewiesen, um durch Abwägung sich ein Urteil bilden zu können.

hedgi


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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von Alltag am Gestern, 22:22 Uhr
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Dem Mehrheitsprinzip liegt das Miteinander wesentlich zu Grunde. Mit dem Mehrheitsprinzip wird die schlechte Subjektivität abgelegt!

"Schlecht" ist die Subjektivtiät in mindestens zweifacher Hinsicht: Erstens, weil die Subjektivität mangels ausreichend Gscheiten unzureichend ist für die Findung von wirklich schwierigen und tragfähigen Entscheiden. Zweitens, weil die Subjektivität (philosophisch) völlig unklar definiert ist; das Subjekt ist nie abgekapselt und allein, sondern immer auch mit Andern, immer in einem Umfeld.

Die Entscheidungsfindung geht über mindestens zwei Stufen: In einem Schritt werden (in Wahlen) die Personen bestimmt, die in einem andern Schritt entscheidungsträchtige und tragfähige Inhalte ausmarken.

Solcherlei ist im Geist des Erfinders des Mehrheitsprinzip. Dass Mancherlei sonst noch mitschwingt, ist die Lebenspraxis. Aber will man deshalb das Bad mit dem Kind ausschütten?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von chizmata am Gestern, 23:48 Uhr
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on 05/21/07 um 20:08:02, Maulwurf wrote:Das "Gemeinwohl" ist die dreckige Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse des Pöbels, der mit Gewalt seinen Willen durchsetzen will.


Hast dus immer noch nicht kapiert?

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Titel: Re: Das Mehrheitsprinzip: Rechtfertigung u. Kritik
Beitrag von art am Heute, 00:14 Uhr
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Das "Gemeinwohl" ist die dreckige Bedeutungsverbesserung vom gemeinen Interesse des Pöbels, der mit Gewalt seinen Willen durchsetzen will.
Ich ergänze: Pöbel ist dann gegeben, wenn sich keiner mehr verantwortlich fühlt, weil immer noch zehn andere da sind denen man im Zweifel die Schuld geben kann. Mehrheitsprinzip ist das Alibi für gewaltsame "Beglückung" des Einzelnen im Namen aller.

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