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Wirklichkeit - Wahrnehmung - Existenz

 


Einleitung

Im Folgenden geht es um eine Kl�rung des Begriffs 'Existenz', der vor allem in der neueren deutschen Philosophie eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat und wohl immer noch spielt. 

Die einfache Form der Existenzbehauptung ist der Satz: "x existiert". Synonym sagt man umgangssprachlich auch :"es gibt x" oder "x ist gegeben" oder "x ist da" oder "x ist vorhanden". Das Wort "existieren" kommt aus dem Lateinischen. Dort bedeutet 'exsisto' soviel wie 'hervortreten', 'auftauchen', 'erscheinen'.

Derartige Existenzaussagen sind nicht selten und werfen gewähnlich keine gr��eren Probleme auf. Dinge, die man direkt sehen kann, gelten normalerweise als existent. Dazu ein einfaches Beispiel. Ich stehe in einer Warteschlange und bin der Meinung, dass die Person, die ich vor mir stehen sehe, ein fraglos existierender Mann ist.

Es können mir jedoch Zweifel kommen, ob es sich bei der Person vor mir "wirklich" um einen Mann handelt. M�glicherweise ist es eine Frau mit extrem kurzem Haarschnitt und einer au�ergewähnlich tiefen Stimme.

Das Risiko eines Irrtums bei der Interpretation eines Sinneseindrucks lässt sich nicht v�llig ausschlie�en. Dies Risiko wird deutlich im Vergleich der S�tze  (1)"Ich sehe vor mir einen Mann" und (2) "Vor mir ist ein Mann". Satz (2) folgt nicht logisch aus Satz (1). W�hrend Satz (1) den eigenen Sinneseindruck beschreibt und interpretiert, beschreibt Satz (2) die Beschaffenheit eines Teils der Welt. Die Frage ist, wie man diese L�cke zwischen subjektiver und objektiver Beschreibung überwinden kann.


Zu definieren: "Das, was man wahrnimmt, existiert" reicht nicht aus, solange unterschiedliche Interpretationen eines Sinneseindrucks m�glich sind. Der übergang vom "Ich sehe dort ..." zum "Dort ist ..." ist jedoch m�glich, wenn es sich dabei auch nicht um einen absolut sicheren logischen Beweis handelt. Ein solcher Beweis ist bei empirischen Fragen grunds�tzlich nicht m�glich.

Die Begr�ndung ist dabei folgende.  Satz (3)  stellt ebensowenig eine Falsifikation des Satzes (1) dar
 wie umgekehrt Satz (1) den Satz (3) nicht falsifiziert. Die beiden S�tze (1) und (3) widersprechen sich nicht einmal logisch. Dies tun sie erst, wenn man den übergang zur "objektiven" Sprachform ("dort ist ...") vollzieht. Dann ist der Gegenstand meiner Wahrnehmung entweder ein Mann oder eine Frau.

 

























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Was ist das Kriterium dafür, dass etwas existiert?
Eine in der deutschen Philosophie  besonders mit dem Namen Heidegger verbundene Auffassung versteht unter 'Existenz' das 'Seiende'.
Der erste Schritt hierzu besteht darin, dass man das Hilfsverb 'sein' als ein Vollverb auffasst. Dadurch wird der Ausdruck "x ist" zu einem vollst�ndigen Satz, so wie es der Satz "x ist 20 Jahre alt ist".
In einem zweiten Schritt wird die Grundform 'sein' wie ein Substantiv behandelt, wodurch sich 'das Sein' ergibt, das damit auch die Rolle eines Akteurs übernehmen kann, etwa als Gegenspieler zu einem ebenfalls substantivierten 'Nichts'.


Was ist das Kriterium dafür, dass etwas existiert?


Der Satz "x existiert" ist eine Behauptung über die Beschaffenheit der Welt. Mit dem Wort "Welt" wird hier die Gesamtheit alles jemals Wirklichen bezeichnet.

Behauptungen enthalten einen Anspruch auf allgemeine (intersubjektiv übereinstimmende) und dauerhafte (intertemporal stabile) Geltung. Dieser Geltungsanspruch kann eingel�st werden durch die intersubjektiv und intertemporal übereinstimmende Wahrnehmung der Individuen ('Evidenz').

Dazu ein Beispiel:
Individuum A fragt: "Gibt es V�gel, die nicht fliegen können?"
B antwortet: "Ja, es gibt solche V�gel".
A: "Woher willst Du das wissen?"
B: "Ich habe selber schon solche V�gel gesehen und wenn Du willst, zeige ich sie Dir auch. Im Zoo gibt es Strau�env�gel. Die legen Eier und können nicht fliegen."
A und B besuchen zusammen das Strau�engehege des Zoos. A überzeugt sich dort mit eigenen Augen von der Existenz von V�geln, die nicht fliegen können. Im Verhältnis zu ihrer K�rpergr��e sind die Fl�gel und die Federn der Strau�e zu klein zum Fliegen.
In einem solchen Fall kann man auch sagen: "Die Existenz von V�geln, die nicht fliegen können, ist 'evident'." [Das Wort 'evidens' bedeutet im Lateinischen soviel wie 'augenscheinlich', 'einleuchtend', 'klar', 'offenbar'.] 

Fehlerhafte Wahrnehmung der Wirklichkeit

Damit ist jedoch nicht gesagt, dass ein Irrtum in Bezug auf den Satz "Es gibt V�gel, die nicht fliegen können" v�llig ausgeschlossen ist. Insofern Wahrnehmungen sprachlich interpretierte Sinneseindr�cke sind, ist eine der m�glichen Fehlerquellen die Interpretation des Sinneseindrucks. So mag die Beleuchtung im Zoo schwach gewesen sein, sodass A die Strau�en mit den Lamas verwechselte, die im selben Gehege waren.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Wahrnehmungen kein geeignetes Kriterium für die Existenz seien, ist voreilig, denn wir können Fehlerquellen wie z. B. optische T�uschungen ihrerseits erforschen und so in ihrer Bedeutung kontrollieren. Wer v�llige Gewissheit für sein Handeln verlangt, endet in letzter Konsequenz damit, dass er überhaupt nicht mehr handeln kann.

Irreale Szenarien als Begr�ndung für die Unzuverl�ssigkeit von Wahrnehmungen

Um die Unzuverl�ssigkeit unserer Wahrnehmungen zu zeigen, werden manchmal fiktive Szenarien mit irrealen Annahmen angef�hrt. So gibt es Szenarien, in denen ein b�sartiger D�mon von unseren Sinnen Besitz ergriffen hat, oder dass jemand Gehirne ohne K�rper schafft, denen ein Leben durch entsprechende Computerprogramme vorget�uscht wird.

Mit Szenarien, die mit unserm heutigen Wissen nicht vereinbar sind, kann man nicht argumentieren. Damit kann man nur fiktive Probleme l�sen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie jemals real werden können.


Hypothetische Konstrukte: Existenznachweis durch indirekte Wahrnehmung


Es gibt jedoch auch Dinge, die auf uns einwirken, ohne dass wir sie direkt wahrnehmen können, z. B. radioaktive Strahlung. Wir können
nur die Wirkungen dieser Strahlung wahrnehmen, sei es das Knacken des Geigerz�hlers oder die Zerst�rung von menschlichen Zellen. Ich schreibe auch diesen nur indirekt wahrnehmbaren Dinge eine Existenz zu, radioaktive Strahlung existiert. Nur durch die Verwendung dieser Dinge, die man auch als "hypothetische Konstrukte" bezeichnet, werden logisch aufgebaute theoretische Erkl�rungen des wahrgenommenen Geschehens m�glich.


Innere Wahrnehmungen

für den Nachweis der Existenz von Dingen ist die übereinstimmende Wahrnehmung der Individuen von zentraler Bedeutung, wobei die Wahrnehmung mit den eigenen Augen (Sehen, strukturierte Beobachtung) besonders verl�ssslich ist. Diese Wahrnehmung kann man als "�u�ere Wahrnehmung" bezeichnen, wozu noch das H�ren mit den Ohren, das Tastgef�hl mit den H�nden, das Schmecken mit der Zunge und das Riechen mit der Nase geh�ren. Neben den "klassischen" 5 Sinnen verf�gt der Mensch noch über zahlreiche weitere Sensorien, die innerhalb des K�rpers liegen und die über die inneren Zust�nde des betreffenden Individuums informieren, z. B. Zahnschmerzen.

über diese inneren Wahrnehmungen kann allein mit den �u�eren Sinnen keine intersubjektive übereinstimmung erzielt werden, denn meine Zahnschmerzen sind erstmal nur meine. Der Andere hat eben nicht meine Schmerzen. Trotzdem kann man versuchen, die inneren Zust�nde eines anderen Menschen zu beschreiben und dies nachvollziehbar zu begr�nden. Dies ist grunds�tzlich m�glich, denn die einzelnen Individuen sind nicht nur verschieden, sie sind auch in vieler Hinsicht einander gleich.


Man kann die Empfindungen eines andern Menschen leichter nachempfinden, wenn man selber schon einmal in einer ähnlichen Lage war. Das hei�t jedoch nicht, dass man immer von sich auf andere schlie�en darf.









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Auf die Frage: "Existiert der Palast der Republik am Schlossplatz in Berlin noch?" lautet eine begr�ndete Antwort: "Ja. wir kommen gerade von dort und habe beide übereinstimmend gesehen, dass der Palast der Republik dort noch unversehrt steht."

Dagegen sind Antworten wie: "Ja, meine innere Stimme sagt mir, dass er noch da ist" oder "Ja, ich habe getr�umt, dass er noch da ist" oder "Ja, ich habe in einem Buch gelesen, dass er noch da ist" nicht hinreichend begr�ndet, weil als "wirklich existent" nicht das Getr�umte, Gelesene oder von inneren Stimmen Gesagte sondern nur das übereinstimmend Wahrgenommene gilt.
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Das letztlich entscheidende Argument für oder gegen die Existenz von x lautet deshalb: "Geh doch selbst hin und überzeug Dich mit Deinen eigenen Augen davon. dass x existiert!"

Dabei ist zu beachten, dass die Annahme der wirklichen Existenz von x von der M�glichkeit einer intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmung von x abh�ngt. Es ist also nicht die tats�chlich erfolgte Wahrnehmung sondern die m�gliche Wahrnehmung entscheidend für die Annahme der Existenz eines Objektes.

Es kann deshalb etwas wirklich existieren, obwohl es noch niemand direkt oder indirekt wahrgenommen hat.

Wenn eine neue �lquelle in 400 Meter Tiefe erfolgreich angebohrt wird, so ist das Erd�l nicht erst dann wirklich in der Tiefe vorhanden, wenn es zu Tage gefürdert wird, sondern man schlie�t aus der Tatsache der fürderung von �l und der Untersuchung der Gesteinsarten z. B., dass sich das Erd�l in dieser Gesteinsschicht bereits seit x Millionen Jahren wirklich befunden hat.

Und die Krater auf der R�ckseite des Mondes existieren nach diesem Sprachgebrauch nicht erst, seit man diese Seite von Raumsonden aus sehen konnte, sondern sie existieren ebenso lange wie die Krater der Vorderseite mit den gleichen Eigenschaften.

Es ist kein Zufall, dass die empirischen Regelm��igkeiten etwa der Massenanziehung ohne einen Bezug zu wahrnehmenden Menschen formuliert werden. Der Regentropfen f�llt auch ohne uns zu Boden.

Insofern ist es nach diesem Sprachgebrauch m�glich, dass etwas unabh�ngig davon existiert, ob es bereits von jemandem wahrgenommen wurde oder nicht, und natürlich auch unabh�ngig davon, ob es aktuell gerade wahrgenommen wird: entscheidend ist die konkretisierbare M�glichkeit der Wahrnehmung.

Ein solches Verständnis von dem, was "wirklich" ist, erlaubt es zum Beispiel, gezielt nach etwas zu suchen (z. B. nach au�erirdischen intelligenten Wesen), von dem man nur vermutet, dass es das wirklich gibt.

Die Kennzeichnung einer Sache als "wirklich" bedeutet, dass wir mit dieser Sache und ihren Auswirkungen rechnen m�ssen, dass wir die Existenz dieser Sache unserm Denken und Handeln zu Grunde legen m�ssen.

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Wirklich ist, was an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit da ist (faktisch existiert). Beide Begriffe (" wirklich" und "faktisch existent" ) dr�cken dasselbe aus.

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Die Wirklichkeit bzw. die Welt umfasst all das, was faktisch existiert, existiert hat oder existieren wird. 

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Was faktisch existiert bzw. wirklich ist, muss direkt oder indirekt wahrnehmbar sein. Entscheidend dafür, ob etwas wirklich ist, sind unsere Sinneswahrnehmungen.

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Der Begriff "wirklich" ist im �blichen Gebrauch der Gegenbegriff  zu "fiktiv", "nur vorgestellt" oder "scheinbar". Eine Welt, die ich mir ertr�ume oder mir ausdenke, die ich fantasiere oder halluziniere, ist also nicht die wirkliche, die faktische Welt.

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Man muss unterscheiden zwischen der faktischen Existenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und der logischen Existenz, die nicht zeit-r�umlich bezogen ist.

Wenn man fragt: "Gibt es eine ganze Zahl, die kleiner ist als 15 und gr��er ist als 13?" so lautet die richtige Antwort: "Ja, es gibt (existiert) eine die Zahl, die beide Bedingungen erf�llt. Die Zahl 14 ist kleiner als 15 und zugleich gr��er als 13."

Der Begriff der logischen Existenz hat einen engen Zusammenhang mit dem Begriff "logisch wahr". Wenn mit der 14 eine Zahl logisch existiert, die sowohl kleiner als 15 als auch gr��er als 13 ist, so sind die beiden S�tze wahr: "14 ist kleiner als 15" und "14 ist gr��er als 13".

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Der Begriff "wirklich" hat einen engen Zusammenhang mit dem Begriff "wahr" : Es gibt den Osterhasen, der zu Ostern für die Kinder bunte Eier versteckt wirklich, wenn der Satz "Es gibt den Osterhasen, der zu Ostern für die Kinder bunte Eier versteckt" wahr ist. Oder allgemein formuliert: Wahre Aussagen geben uns ein Bild der wirklichen Welt.

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Wenn ein Objekt X wirklich ist, dann ist der Satz "Es gibt X" wahr.

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"Wirklich" bedeutet immer "allgemein (für alle gemeinsam) wirklich".

Mit Sätzen wie: "Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit" wird der Begriff der Wirklichkeit demontiert. Die Konsequenzen sind fatal, weil sie die
Funktion des Wortes "wirklich" bei der Kennzeichnung kollektiven Wissens zerst�rt.

A sagt zu B: "Vorsicht! Nicht anfassen! Die Leitung steht unter Strom!"
B fragt zur�ck: "Wirklich?"
A wird unwirsch: "Ja wirklich!! Denkst Du, ich scherze mit solchen Dingen oder l�ge Dich an?!"
B l�chelt und sagt: "Jeder Mensch hat seine eigene erdachte Wirklichkeit" und legt seine Hand auf das blanke Metall -     ... ... ...

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Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Stuhl, den ich vor mir wahrnehme und einem Stuhl, den ich mir nur gedanklich vorstelle. In beiden F�llen bildet ein Stuhl meinen Bewusstseinsinhalt.

Ein Unterschied besteht in der "Widerst�ndigkeit" des realen Stuhls : Er kann mir gegen meinen Willen im Wege stehen, so dass ich mich schmerzhaft an ihm sto�e. Der blo� ausgedachte Stuhl kann mir keine blauen Flecke beibringen.

Au�erdem ist der reale Stuhl nicht nur Bestandteil meines Bewusstseinsinhaltes, sondern auch Bestandteil des Bewusstseins anderer Individuen.

Es ist so wie das Verhältnis zwischen einem Stuhl und dem Bild eines Stuhls. Das Bild zeigt einen Stuhl, aber auf diesem Stuhl kann man nicht sitzen. Ebenso kann ich auf einem ausgedachten Stuhl nicht sitzen. (Ich k�nnte mir allerdings vorstellen, dass ich darauf sitze.)

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Reale Objekte haben Raum-Zeit-Koordinaten: der Stuhl, auf dem ich hier und jetzt sitze. Wenn ich sage: "Morgen fr�h wird derselbe Stuhl hier stehen", so bleibt der Stuhl ja real, es handelt sich um eine Behauptung über das So-sein der zuk�nftigen Wirklichkeit.

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Wenn das wirklich ist, was direkt oder indirekt wahrgenommen werden kann, dann folgt daraus, dass die Schmerzen, die man f�hlt, wirklich sind, auch die Schmerzen des anderen. Auch wenn ich diese Schmerzen nicht direkt wahrnehmen kann. Aber ich kann sie als "theoretisches Konstrukt" in mein Weltbild mit aufnehmen. (Ist es richtig zu sagen: Ich nehme den Schmerz wahr? Man sagt: Man f�hlt den Schmerz. Wenn ich mir eine Nadel in den Arm steche, so verursacht dies Schmerzen. F�hle ich die Nadel oder f�hle ich den Schmerz?)

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Die Existenz des Universums oder Weltalls kann man nicht sinnvoll bestreiten. Der Satz: "Es gibt kein Weltall" hebt sich insofern selber auf, als zum Weltall definitionsgem�� alles geh�rt, also auch der Sprecher des Satzes und also auch Du und Ich. Wenn es mich aber nicht gibt, dann kann ich mir vern�nftigerweise gar keine Frage stellen und auch diesen Satz gar nicht schreiben (was ich jedoch gerade tue).

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Ich sehe das Haus. Ich h�re das Flugzeug. Ich sp�re deine Hand.

Was liegt n�her als zu sagen: "Das Haus, das ich sehe, das Flugzeug, das ich h�re, die Hand, die ich sp�re: Es gibt sie, sie existieren" ? (Dabei sehe ich hier einmal von dem Problem ab, dass ich u. U. f�lschlicherweise meine, das Flugzeug zu h�ren, tats�chlich aber das Ger�usch eines fernen Motorrades h�re.) 

Dies beinhaltet, dass auch diese Wahrnehmungen selber introspektiv wirklich gegeben sind. Ich kann denkend registrieren, dass ich jetzt diese Wahrnehmung habe (Anblick eines Hauses), dann eine andere (Ger�usch eines Flugzeugs) und schlie�lich eine dritte (Druck einer Hand). Dies Registrieren, dass man gerade sinnlich etwas wahrnimmt, ist selber keine sinnliche Wahrnehmung sondern ein introspektives Wahrnehmen oder besser Feststellen. Beides muss unterschieden werden. über die wirkliche Existenz von Bewusstseinsinhalten sagt uns die Introspektion etwas. Diese Dimension des Wirklichen kommt also zu der mit den Sinnesorganen direkt oder indirekt wahrgenommenen Welt noch hinzu. 

Die Begriffe "da sein", "existieren", "Wirklichkeit"   sind nicht unabh�ngig von den Begriffen der Wahrnehmung wie "sehen", "h�ren", "f�hlen" etc.

Es bedarf keines weiteren Beleges dafür, dass Etwas existiert, als den, dass ich dieses Etwas mit meinen Sinnesorganen wahrnehme. Die Sinneswahrnehmung er�ffnet mir die Welt. So sehe und f�hle ich jetzt deine Hand und damit existiert sie für mich. Darüber hinaus bedarf es keines Beleges.

Genauer: Was wir gemeinsam und dauerhaft (intersubjektiv und intertemporal) wahrnehmen, von dem sagen wir: Es existiert wirklich. Es existiert für uns so, wie wir es wahrnehmen.

Damit geht die Aufforderung ins Leere: "Zeige mir einen Beleg jenseits der Wahrnehmung dieses Gegenstandes, dass dieser Gegenstand existiert!"

Die Wahrnehmung zeigt mir bereits, dass etwas existiert. Jedes Verlangen nach einem zus�tzlichen Beleg ist überfl�ssig und damit sinnlos.

Es gibt keine andere M�glichkeit, zwischen Wirklichem und Fiktivem zu unterscheiden, als unsere Wahrnehmung. Was wahrnehmbar ist, das existiert, und was wir tats�chlich wahrgenommen haben, von dem wissen wir, dass es existiert.

Wenn etwas existiert, dann muss ich dies meinem Denken und Handeln zugrunde legen, dann muss ich mit seinen Eigenschaften und deren Auswirkungen auf mich rechnen.

Das muss nicht hei�en, dass wir damit vollst�ndig über den wahrgenommenen Gegenstand informiert sind. Vor 200 Jahren wusste auch noch keiner etwas von radioaktiver Strahlung. Entsprechend werden wir auch zuk�nftig sicherlich noch neue Dimensionen und Eigenschaften der Dinge entdecken.

Die Formulierung: "Was sinnlich wahrnehmbar ist, das existiert" erlaubt uns den Gedanken, dass die Welt mehr enth�lt als das, was wir bisher von ihr wahrgenommen haben, dass es Unentdecktes gibt. Und sie erlaubt uns den Gedanken, dass die Erde fortbesteht, auch wenn sich eine fanatische Menschheit gegenseitig mit Massenvernichtungswaffen ausrottet und niemand die Erde mehr wahrnimmt. 

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Ich habe bestimmte, sehr verschiedene und sich �ndernde Sinneseindr�cke. Aus diesen bestimmten Sinneseindr�cken konstruiere ich gedanklich und begrifflich das, was ich "Wirklichkeit" oder "Welt" nenne.

Anhand einer Menge von Wahrnehmungen verschiedenster Art bilde ich den Begriff des "Kugelschreibers" : ein l�ngliches Ger�t mit einer Tintenf�llung. Wenn man mit der Spitze auf einem Blatt Papier entlang f�hrt, dann erzeugt man einen d�nnen Strich, weil durch den Druck die winzige Kugel in der Spitze gedreht wird und da sie immer zur H�lfte in Tinte eingetaucht ist, übertr�gt sie beim Rollen etwas Tinte auf das Papier usw. usf..

Mit Hilfe eines solchen Begriffs "Kugelschreiber" kann ich jetzt unz�hlige verschiedene Ansichten und Tastgef�hle zusammenfassen und ordnen. Wenn ich sage: Hier ist ein Kugelschreiber, dann vermittle ich anderen mit diesem einen Wort zahllose Informationen über zu erwartende Wahrnehmungen: Wenn Du mit der Spitze über ein Papier oder ähnliches f�hrst, dann hinterlässt Du einen Strich. Er enth�lt Tinte und fürbt Deine Finger, wenn Du die Spitze anfasst. Die Farbe kann auslaufen und Dein Hemd verschmieren und und und ....

Wenn die erwarteten Wahrnehmungen dann tats�chlich eintreffen, dann sage ich: "Es stimmt. Das, was da vor mir auf dem Schreibtisch lag, war wirklich ein Kugelschreiber und nicht nur ein l�nglicher roter Farbeindruck. Er ist Bestandteil meiner Vorstellung von der Wirklichkeit, er ist Teil meines Bildes von der Welt."

Nicht umsonst kommt der Begriff "Realit�t" von dem Wort "res", lateinisch "Ding". Mit Hilfe meiner Kenntnis der Dinge, ihrer Eigenschaften und Verhaltensweisen kann ich selber beeinflussen, welche Wahrnehmungen ich zuk�nftig haben werde, ich kann zielbewusst und realistisch handeln.

Ohne Begriffe und ohne die Konstruktion von Dingen und ihren Eigenschaften, die meinen erwarteten Wahrnehmungen entsprechen, habe ich nur einen chaotischen Strom von Sinneseindr�cken, die untereinander ohne Zusammenhang sind.

Begriffe sind zwar menschliche Konstruktionen und gehen über die tats�chlichen Wahrnehmungen verallgemeinernd hinaus, aber es sind realistische Konstruktionen, wenn ihre Verwendung es erm�glicht, Entt�uschungen zu vermeiden. Insofern sie mit meinen Wahrnehmungen übereinstimmen, ergeben sie eine realistische Beschreibung der Welt, beschreiben sie die  Wirklichkeit. 

Und - was ich hier vernachl�ssigt habe: Die Welt der Dinge ist nicht nur meine Welt sondern die Welt aller, die diese Sprache verstehen und an ihre Kinder weitergeben.

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Es lassen sich auch die unterschiedlichen Zeiten einbeziehen indem man sagt: "x hat in der Vergangenheit existiert" oder "x wird in der Zukunft existieren".

Man kann das Wort "existieren" auch in der Form des Substantivs gebrauchen mit dem Ausdruck "die Existenz von x".


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Als 'wirklich' (bzw. 'da seiend', 'existent', 'real vorhanden', 'tats�chlich gegeben') bezeichne ich das, was direkt � oder oder indirekt über dessen Auswirkungen - von den Individuen mit den Sinnesorganen übereinstimmend wahrgenommen werden kann.



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