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Unsortiertes


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Die Aufgaben einer normativen Ethik
Die Schwierigkeit mit einzelnen Werten zu argumentieren
Das Pareto-Optimum
Zu "Begründung"

Kritik an Heschl
Empirische Evidenz und Begründbarkeit
Ist nur Gewissheit brauchbar?
Kritisches zu Schopenhauer
Kausalität

Text

 

Die Aufgaben einer normativen Ethik

Da
Menschen Wesen mit einem Willen sind, der sich auch auf das Handeln der andern Menschen beziehen kann, kommt es vor, dass wir wollen, dass ein anderer in einer bestimmten Weise handelt, also etwas Bestimmtes tut oder unterlässt. Man sagt zu ihm: "Tu das nicht!" oder "Lass das!" Das beinhaltet, dass man nicht will, dass er so handelt.

Dem kann der andere seinen Willen entgegenstellen, indem er sagt: "Ich will das aber tun." Damit steht mein Wille gegen seinen Willen und es besteht ein Konflikt, der zum Kampf und letztlich zum Krieg zwischen uns führen kann.

Diese Entwicklung vom Konflikt zum Krieg könnte man dadurch verhindern, dass man Regeln bzw. Normen aufstellt und auch durchsetzt, die für alle Beteiligten verbindlich bestimmen, wie sie im Falle eines Willenskonflikts handeln sollen.

Damit werden Rechtsicherheit und soziale Koordination gewährleistet. Mit Gerechtigkeit hätte eine derartige Rechtsordnung allerdings weniger zu tun, denn auch andere Normen könnten den Konflikt regeln. Es gibt keine Gründe dafür, warum gerade diese Normen aktuell gelten sollen und nicht andere, ebenfalls geeignete.

Durch das Normensystem ist zwar der Konflikt zwischen den Einzelnen entschärft, doch dafür gibt es nun die neue Konfliktlinie zwischen den Einzelnen und derjenigen Macht, die das geltende Normensystem verteidigt und durchsetzt.

Wie kann man vermeiden, dass die konfliktlösenden Normen die Einzelnen dabei zu einem beliebigen Handeln zwingen?

Dies ist offenbar nur dann zu vermeiden, wenn die Normen so beschaffen sind, dass ihre Geltung von allen beteiligten Individuen dauerhaft bejaht werden kann.

Es ist m. E. die Aufgabe einer normativen Ethik, entweder solche intersubjektiv (allgemein) und intertemporal (dauerhaft) anerkennbaren Normen herauszufinden oder aber zu zeigen, warum dies nicht möglich ist.

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"Freiheit – Gleichheit - Brüderlichkeit" und die Schwierigkeit, mit einzelnen Werten zu argumentieren.

Wir wollen Freiheit, aber wie können mehrere Individuen zusammenleben und trotzdem frei bleiben? Die individuelle Freiheit muss eingeschränkt werden, wenn man Konflikt, Streit, Feindschaft, Kampf und Krieg vermeiden will. Man sagt manchmal: Die Freiheit des Individuums findet ihre Grenze an der Freiheit der anderen. Aber wo soll die Grenze gezogen werden?

Ein Grundsatz hierfür könnte sein: Man darf dem einen Individuum nicht größere Einschränkungen auferlegen als dem andern, wenn beide Personen und Situationen sich in den moralisch relevanten Punkten gleichen. Dabei ist der bloße Umstand, dass es sich um ein anderes Individuum handelt, kein moralisch relevanter Unterschied zwischen den Individuen. Dies entspricht der Forderung, dass alle Normen "universalisierbar" sein müssen, also ohne die Nennung von Eigennamen formulierbar sein müssen. Dies ist zugleich das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Damit sind wir auf den Wert der
Gleichheit gestoßen.

Der Wert der Gleichheit im Sinne der Gleichbehandlung und der Gleichheit vor dem Gesetz ist allein für sich genommen ebenfalls problematisch. Wenn die Norm aufgestellt wird: "Wer Kirschen aus dem Garten eines Nachbarn stiehlt, soll mit dem Tode bestraft werden!", so ist damit die Gleichheit vor dem Gesetz und die Form des Gesetzes zwar gewahrt, aber etwas ist dabei offenbar nicht richtig. Es fehlt der Wert der Brüderlichkeit, es fehlt die wohlwollende Berücksichtigung der menschlichen Bedürfnisse und Wünsche.

Der Gesichtspunkt, der bei den vorangegangenen Überlegungen im Hintergrund stand, war der Gesichtspunkt der allgemeinen Konsensfähigkeit: die Freiheit des einen auf Kosten anderer wäre nicht konsensfähig. Ebenso die Bevorzugung des einen gegenüber den anderen. Auch die Beantwortung der Frage, woran man die Relevanz von Gesichtspunkten erkennen kann, orientiert sich daran, ob die Antwort allgemein konsensfähig wäre.

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Das Pareto-Optimum
Das Pareto-Optimum, benannt nach dem Ökonom und Soziologen Vilfredo Pareto (1848-1923), ist ein Bewertungskriterium für Zustände und Veränderungen, die mehrere Individuen betreffen. Ein Zustand ist dann pareto-optimal, wenn es keine mögliche Veränderung dieses Zustandes gibt, die nicht mindestens ein Individuum besser stellt und zugleich kein anderes Individuum schlechter stellt. Umgangssprachlich formuliert besagt es: "Was jemandem nützt und niemandem schadet ist eine Verbesserung für das Kollektiv."

Utilitaristische Nutzensumme und Pareto-Kriterium im Vergleich
Das Kriterium der Pareto-Optimalität verdrängte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der ökonomischen Theorie das bis dahin geltende utilitaristische Kriterium der maximalen Summe der individuellen Nutzen.

Der zahlenmäßig (kardinal) messbare und für verschiedene Personen (interpersonal) vergleichbare Nutzenbegriff der Utilitaristen wurde von der qufsteigenden positivistischen Wissenschaftstheorie nicht akzeptiert. "Nutzen" war keine empirische Größe und hatte deshalb in einer positiven (am faktisch Gegebenen orientierten) Wirtschaftswissenschaft keinen Platz.

Das Pareto-Kriterium umgeht die Probleme der Messbarkeit des Nutzens und des interpersonalen Nutzenvergleichs. An die Stelle addierbarer, kardinaler Nutzengrößen treten nun ordinale Bewertungen in Form von Rangordnungen. Diese benötigen keine interpersonale Vergleichbarkeit, weil sie nur auf den individuellen Präferenzen (x ist für Person A besser, schechter oder gleichwertig zu y) basieren.

Die beschränkte Aussagekraft des Pareto-Optimums

Allerdings hat das Pareto-Kriterium eine weitaus geringere Aussagekraft als das Nutzenmaximum.

Dazu ein Beispiel: Angenommen, wir haben 10 Äpfel, die auf 3 Individuen A, B und C verteilt werden sollen. Welche Verteilung der Äpfel ist nach dem Pareto-Kriterium optimal, wenn man annimmt, dass jedes Individuum lieber mehr Äpfel hätte als weniger? Die Antwort lautet: Alle denkbaren Verteilungen der Äpfel sind pareto-optimal, ob die Verteilung (in der Reihenfolge A, B, C) lautet (3,4,3) oder (10,0,0) oder (1,1,8), in jedem Fall handelt es sich um ein Optimum, denn man kann keinem der 3 Individuen einen zusätzlichen Apfel geben, ohne einem der beiden andern diesen Apfel wegzunehmen. Im Falle einer Umverteilung macht das Pareto-Kriterium also keine Aussage.

Beim Kriterium der Nutzensumme wäre wahrscheinlich eine möglichst gleiche Ausstattung mit Äpfeln optimal, wenn man annimmt, dass die Bedürftigkeit aller Individuen in Bezug auf Äpfel ungefähr gleich ist und wenn man annimmt, dass der Nutzen jedes zusätzlichen Apfels umso geringer ausfällt, je mehr Äpfel man schon hat (sinkender Grenznutzen).

Etwas anders sieht es aus bei der Beurteilung von Tauschvorgängen. Dazu ein Beispiel. Es geht um zwei Personen A und B. Für beide Personen sei angenommen, dass sie Äpfel und Birnen ungefähr gleich gerne mögen, dass sie von Äpfeln und von Birnen lieber mehr als weniger hätten und dass für jeden der Nutzen eines zusätzlichen Stücks von einer Obstsorte umso geringer ist, je mehr der Betreffende davon schon hat.

In der Ausgangssituation hat Person A 4 Äpfel und keine Birne (A: 4 / 0) und Person B hat keinen Apfel und 4 Birnen (B:0 / 4). Unter den genannten Bedingungen bedeutet es für A und B eine Verbesserung, wenn A mit B einen Apfel gegen eine Birne eintauscht, sodass A jetzt 3 Äpfel und 1 Birne besitzt (A: 3 / 1) und B 1 Apfel und 3 Birnen (B: 1 / 3).

Auch der Tausch eines weiteren Apfels gegen eine Birne bedeutet noch eine Verbesserung für beide. Aber mit der Verteilung (A: 2 / 2) und (B: 2 / 2) ist das Pareto-Optimum erreicht: Die Verfügung über eine dritte Birne hat für A einen geringeren Wert als die Weggabe seines zweiten Apfels.

 

 Die Beschränkung auf das ordinale Messniveau in der paretianischen Wohlfahrtsökonomie und seine Konsequenzen
Die Väter des Utilitarismus nahmen an, dass Unterschiede im Wohlergehen der Individuen empirisch messbare Größen sind. Demnach waren also Aussagen möglich wie z. B.: "Bei Realisierung der Alternative x erhöht sich das Wohlfahrtsniveau des Individuums A um 10 Nutzeneinheiten."

Mit dem Vordringen des Positivismus und Behaviorismus in Ökonomie und Psychologie geriet das Konzept eines "felicific calculus" (Bentham) zunehmend in die Kritik. Man wollte eine werturteilsfreie Wissenschaft, die sich allein auf beobachtbare Fakten stützt.

Die innerpsychischen Phänomene  eines anderen Inidividuums sind nicht direkt beobachtbar. Sie sind nur dem jeweiligen Individuum introspektiv zugänglich.

Beobachtbar ist jedoch, wie sich ein Individuum in einer Entscheidungssituation verhält. Welche Entscheidung trifft das Individuum? Welche der vorhandenen Handlungsmöglichkeiten wählt das betreffende Individuum? Anhand der Wahlhandlungen eines Individuums konnte man dessen Präferenzstruktur bestimmen und Aussagen machen wie: "Individuum A hat die Alternative x der Alternative y vorgezogen und ist für das betreffende Individuum also besser als y" oder "Für Individuum B sind die Alternativen x und y gleichwertig, denn B hat weder x gegenüber y noch umgekehrt y gegenüber x vorgezogen."

Hinzu kam, dass die Indifferenzkurven und Präferenzordnungen ausreichten, um die Marktvorgänge zumindest auf der Ebene des theoretischen Modells erklären zu können. Kardinale Nutzeneinheiten werden nicht mehr benötigt.

Schwieriger war diese Entwicklung für die normative ökonomische Theorie, die Wohlfahrtsökonomie (engl. 'welfare economics’) auf die man nicht völlig verzichten wollte. Der behavioristische Ansatz wandte sich nicht nur gegen die quantitative Messung des Nutzens, sondern er bot auch keine Grundlage für eine interpersonell vergleichbare Messung des Nutzens. Die Vorteile des einen Individuums konnten nicht gegen die Nachteile eines andern Individuums aufgerechnet werden.

Damit schrumpfte das utilitaristische Konzept des maximalen gesellschaftlichen Nutzens auf das Konzept der Pareto-Optimalität zusammen. Optimal in diesem Sinne waren Situationen, in denen kein Individuum besser gestellt werden konnte, ohne zugleich irgendein anderes Individuum schlechter zu stellen.

In dieser Situation wirkte Arrows Allgemeines Unmöglichkeits-Theorem wie ein Paukenschlag. Arrow wies nach, dass eine Ableitung der Wohlfahrt des Ganzen aus der Wohlfahrt der Einzelnen unter bestimmten, ethisch plausiblen Bedingungen nicht möglich war, sofern Unterschiede im Wohlergehen der Individuen nur ordinal durch eine entsprechende Rangordnung erfasst wurden.



Zu "Begründung"

Die deutsche Sprache macht es den Philosophen nicht gerade leicht, weil wichtige Begriffe in der Umgangssprache mehrdeutig sind. Das Wort "Grund" hat mindestens drei unterschiedliche Bedeutungen:

 1.) "Grund" im Sinne von "Ursache", "Erklärung (von Ereignissen)", englisch: "cause". ("Der Grund für die Überschwemmung waren tagelange Regenfälle")
2.) "Grund" im Sinne von "Motiv", "Beweggrund", "Erklärung (von Handlungen)", englisch: "motive". ("Der Grund für die Mordtat war reine Geldgier.")
3.) "Grund" im Sinne von "rechtfertigender Grund", "Vernunftgrund", "Argument", englisch: "reason". ("Die paar Regentropfen sind doch kein Grund, deswegen den Ausflug abzusagen.")

Die Sache wird noch dadurch verkompliziert, dass an Stelle des Wortes "Grund" auch das Wort "Begründung" verwendet wird. Angesichts dieser Vieldeutigkeit ist im Gebrauch dieser Wörter besondere Sorgfalt geboten.

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Begründungen sind immer dann erforderlich, wenn Behauptungen aufgestellt werden.

Unter der Begründung einer Behauptung verstehe ich das Vorbringen von intersubjektiv nachvollziehbaren Argumenten, die die Allgemeingültigkeit der betreffenden Behauptung logisch stützen oder beweisen.

Die "Fallibilisten" wie z. B. Hans Albert haben in der Forderung nach Begründung ein Trilemma gesehen: Entweder man hat einen unendlichen Regress von Argumenten, oder man argumentiert zirkulär oder man bricht die Kette der Argumente irgendwo willkürlich ab. Alle drei Möglichkeiten sind nicht akzeptabel, weshalb Albert meinte, das Prinzip der Begründung aufgeben zu müssen und es durch das Prinzip der kritischen Prüfung ersetzen zu müssen.

Meines Erachtens muss es nicht zu einem willkürlichen Abbruch der Argumentationskette kommen, weil man im Zuge einer Begründung zu elementaren Aussagen gelangen kann, die intersubjektiv übereinstimmend evident sind.

Wenn jemand sagt: "Es ist (hier und jetzt) keine Wolke am Himmel", so lässt sich über eine solche Behauptung in Bezug auf die Beschaffenheit der Welt eine intersubjektiv übereinstimmende Evidenz herstellen, indem man zu jemandem, der die Behauptung bestreitet, sagen kann: "Dann geh doch selbst nach draußen und überzeuge Dich mit Deinen eigenen Augen davon, dass hier und jetzt kein Wölkchen am Himmel ist!"

Diese Aufforderung ist als solche kein logisches Argument, weil dabei noch offenbleibt, was das Ergebnis der Beobachtung sein wird. Trotzdem handelt es sich um eine nachvollziehbare Begründung, wenn es intersubjektiv übereinstimmend evident ist, dass es so ist, wie die Behauptung besagt.

Die Notwendigkeit von Begründungen leitet sich nach meiner Auffassung von dem - bei Argumentationen immer vorausgesetzten - gemeinsamen Ziel ab, allgemeingültige Antworten auf die strittigen Fragen zu finden.

Die Auszeichnung einer Behauptung als "allgemeingültig" beinhaltet zum einen den Anspruch auf allgemeine Geltung – also auf allgemeine Zustimmung und Befolgung.

Zum andern beinhaltet die Auszeichnung einer Behauptung als "allgemeingültig" jedoch gleichzeitig einen Anspruch auf die allgemein (intersubjektiv und dauerhaft) nachvollziehbare und einsichtige Begründbarkeit dieser Behauptung.

Ein Geltungsanspruch, der nicht nachvollziehbar begründet werden will, ist ein Dogma. Über ein solches Dogma kann man nicht argumentieren, man kann sich nur gegen jene wehren, die einem das Dogma aufzwingen wollen.

Die Forderung nach Begründung aller Behauptungen ergibt sich demnach aus dem Verständnis von "Allgemeingültigkeit" und deren Abgrenzung von "dogmatischer Geltung".

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Kritik an Heschl
Heschl schreibt: "Denn wenn schließlich unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation und Selektion entstanden und somit in unseren Genen verankert ist - und in der Tat, dies kann aus der Evolutionstheorie abgeleitet werden -, dann hat es logischerweise keinen Sinn mehr, darüber zu diskutieren, ob dieses selbe Verhalten in jenen spezifischen Situationen, für die es über viele Generationen hinweg selektiert worden ist, auch praktiziert werden soll oder nicht. Es wird einfach geschehen, mehr kann dazu nicht gesagt werden."

Dazu folgende kritische Anmerkung: Es ist zwar richtig, dass unser gesamtes moralisches wie auch kognitives Verhalten in unseren Genen "verankert" ist, aber diese "Verankerung" muss nicht in Form von genetisch festgelegten Verhaltensprogrammen erfolgen. Dabei meine ich mit "Verankerung",
dass der Aufbau des menschlichen Gehirns mit seiner vergleichsweise riesigen Großhirnrinde, in dem der Erwerb von Sprache, Wissen und moralischen Standards stattfinden kann, genetisch festgelegt ist.

Nicht genetisch festgelegt sondern kulturelles Erbe sind dagegen die jeweiligen Inhalte, was daran ersichtlich ist, dass diese variieren. Also: Die Fähigkeit zum Erlernen einer komplexen Sprache ist den Menschen angeboren, nicht jedoch, dass sie deutsch oder französisch sprechen.
Die Verankerung kann sich also auch auf die  Bereitstellung von Kapazitäten zum Aufbau von variablen und revidierbaren Verhaltensprogrammen beschränken. 

 


Um den Sachverhalt in Analogie zum Aufbau eines Computers zu erläutern: Die veränderlichen Verhaltensprogramme in diesen Speichern werden nicht über den "internen Speicher" in Form des Genom biologisch an die Nachkommenschaft weitergegeben sondern kulturell durch sprachliche Weitergabe des Wissens in mündlicher oder schriftlicher Form (Lehren und Lernen). 

Das kognitive und moralische Verhalten der Menschen resultiert insofern nicht einfach aus genetischer Mutation und Selektion, sondern bildet sich heraus in Prozessen der Information, Kritik und Erfindung. Die Forschungsergebnisse der Genetik haben das philosophische Nachdenken also nicht überflüssig gemacht
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Empirische Evidenz und Begründbarkeit

(aus einer Diskussion)

Zur These: "Begründung läuft auf einen unendlichen Regress hinaus, weil kein Begründungsende erreichbar ist, sofern man das Verfahren nicht begründungsunabhängig aussetzen möchte, was allerdings die Begründung ruiniert."

Das wäre richtig, wenn es nur die Logik gäbe, um eine Behauptung zu stützen. Es gibt im Zuge von Begründungen jedoch Prämissen, die durch keine logische Ableitung besser begründet werden können, als sie es durch interrsbjektiv übereinstimmende empirische Evidenz bereits sind. Bei solchen empirisch evidenten Prämissen ist es sinnvoll, die Begründung zu beenden. Die Beendigung einer Begründung an solch einem Punkt ist nicht "begründungsunabhängig".

Wenn ich z. B. mit dem Auto an einer Verkehrsampel halte und mein Beifahrer sagt zu mir: "Die Ampel steht auf 'grün’", so wäre es nicht sinnvoll, wenn ich nach einer Begründung dieser Behauptung fragen würde, denn keine Begründung könnte mich stärker von der Richtigkeit der Behauptung überzeugen als mein (funktionierender) eigener Augenschein.

Das bedeutet nicht, dass damit die Richtigkeit dieser Aussage unbezweifelbar für immer feststeht. Aber bei Begründungen ist es so wie bei vielen Dingen im Leben, dass es bei deren Qualität nicht nur zwei Ausprägungen gibt (z. B. "logisch zwingend" und "nicht logisch zwingend") sondern zahlreiche Abstufungen.

Es macht eben einen Unterschied bei der Frage nach der Geschwindigkeit eines Fahrzeugs, ob man den Wert geraten, geschätzt oder gemessen hat. Wer das, was alle übereinstimmend sehen können ("Das Thermometer steht jetzt bei 800 Grad Celsius") mit dem gleichen Zweifel belegt wie eine Prognose aus dem hohlen Bauch, der kann letztlich auch keine Frage mehr stellen, denn mit einer Frage setzt man ebenfalls immer schon etwas voraus bzw. unterstellt es als gegeben.

Ist nur Gewissheit brauchbar?

Du schreibst: "Brauchbare Evidenz .... müsste die Wahrheit einer Aussage (hundertprozentig) unbezweifelbar machen". Das bedeutet offenbar, dass Du nur 100%ig gewisse Aussagen für brauchbar hältst.  

Aber wofür brauchen wir denn die Aussagen, die wir durch empirische Evidenz und Logik gewinnen können? Wir wollen damit bestimmte, für uns wichtige Fragen zur Beschaffenheit der Welt beantworten, z. B. die Frage, ob ein Medikament x gegen die Krankheit y hilft. Wenn der Arzt sagt: "Bisher hat das Medikament x in mehr als 90% aller Fälle geholfen", so ist das für mich ein brauchbares Argument bei der Entscheidung, ob ich das Medikament nehmen soll oder nicht, auch wenn dadurch nicht bewiesen werden kann, ob das Medikament in meinem Fall helfen wird.

Die von Dir eingenommene methodische Position, die nur völlig gewisse Aussagen gelten lässt, ist problematisch. Du schreibst: "Da ein Argument und auch der Nachvollzug eines Argumentes fehlerhaft sein kann, führt Argumentation zu keiner Begründung".

Wenn es Dir nicht um die möglichst gute Beantwortung der anstehenden Fragen geht, sondern nur die 100%ig gewissen Antworten zählen, dann wirst Du wohl nur in den rein modelltheoretischen Disziplinen wie Mathematik zu Ergebnissen kommen, wobei Du zu deren Anwendbarkeit auf reale Sachverhalte wiederum nichts aussagen kannst.

In den andern Disziplinen einschließlich der Philosophie kannst nur verneinend mitarbeiten, indem Du bei jeder Aussage zeigst, dass sie nicht 100%ig gewiss sondern bezweifelbar ist. (Wobei Dein Problem sein wird, selber nur gewisse Aussagen zu machen.)

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Zu Schopenhauer

Schopenhauer hat den Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens (§ 29) in etwa so formuliert: "Wenn ein Urteil eine Erkenntnis ausdrücken soll, muss es einen zureichenden Grund haben."

Für diesen Satz kann man nach Schopenhauer (§ 14) keine weitere Begründung mehr verlangen, denn wer einen Grund für den Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens fordert, der setzt damit diesen Satz bereits voraus.

"Jeder Beweis ... ist die Darlegung des Grundes zu einem ... Urteil, welches ... dadurch das Prädikat wahr erhält. ... Von diesem Erfordernis eines Grundes für jedes Urteil ist der Satz vom Grunde der Ausdruck. Wer nun einen Beweis, d. i. die Darlegung eines Grundes, für ihn fordert, setzt ihn eben hierdurch schon als wahr voraus ..." Soweit Schopenhauer.

Dies ist der Grund, warum man das methodische Prinzip der rationalen Argumentation ("Jeder Teilnehmer an einer erkenntnisorientierten Diskussion muss seine Behauptungen begründen") nicht in Frage stellen kann.

Ein Kritiker, der sagt:
"Begründe mir erstmal, warum ich meine Behauptungen begründen muss!",
stützt seine Forderung damit selber auf das Prinzip der Rationalität. Er kann das Prinzip offenbar nicht in Frage stellen, ohne es gleichzeitig anzuerkennen.

Nun könnte der Kritiker aber sagen:
"Ich stütze mich nicht auf das Prinzip der Rationalität, wenn ich sage, dass der Rationalist erstmal sein eigenes Prinzip begründen soll. Ich weise dem Vertreter der Rationalität nur nach, dass er seine eigene methodische Forderung nicht erfüllen kann. Damit zeige ich nur, dass die Position des Rationalisten in sich widersprüchlich ist."

Ist Schopenhauers Position damit das Fundament entzogen? Dem Argument der inneren Widersprüchlichkeit könnte Schopenhauer wahrscheinlich dadurch entgehen, dass er eine zusätzliche Sprachebene (Metasprache) einführt, in der über die Sprache (Objektsprache) gesprochen wird, in welcher die Erkenntnisse formuliert sind. Der Satz vom zureichenden Grunde gehörte dann zur Metasprache, in der nur über die Objektsprache gesprochen werden kann, nicht jedoch über metasprachliche Aussagen. Er darf deshalb nicht auf sich selbst angewandt werden.


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  Was ist "wahr"?

Deiner Ansicht nach ist die Begründung eines Anspruchs auf Wahrheit (hinsichtlich von Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt) nicht möglich. Deshalb kann auch nicht verlangt werden, dass ein Teilnehmer seine Behauptungen begründet. Offenbar kommst Du mit unbegründeten Annahmen aus.

Damit ich Deine Position richtig verstehen kann, müsste wahrscheinlich die Bedeutung geklärt werden, die Du mit dem Wort "Wahrheit" verbindest. Wir diskutieren damit ein terminologisches Problem.

Unstreitig ist zischen uns wohl, dass die Auszeichnung als "wahr" nur Sätzen und deren Bedeutung zukommen sollte. (Die "wahre Kunst" etc. lassen wir also beiseite).

Unstrittig ist vielleicht auch, dass ein Satz dann wahr ist, wenn es so ist, wie der Satz besagt.

Weiter könnten wir uns vielleicht darauf einigen, dass man einen Satz, den man selber für "wahr" hält, dem eigenen Denken und Handeln zugrunde legen sollte, d. h., dass ein wahrer Satz nicht korrekturbedürftig ist.

Auch nach meinem Verständnis kann eine Aussage wahr sein, obwohl man diese Aussage gegenwärtig nicht beweisen oder begründen kann.

Nehmen wir als einfaches Beispiel den Satz: "Goethe hatte die Blutgruppe A.". Dessen Verneinung lautet: "Goethe hatte nicht die Blutgruppe A". Einer dieser beiden Sätze ist wahr, einer falsch. Nach unseren gegenwärtigen Untersuchungsmöglichkeiten können wir nicht sagen, welcher der beiden Sätze wahr ist. Der Satz: "Goethe hatte die Blutgruppe A" kann also wahr sein, obwohl niemand begründen kann, dass dieser Satz wahr ist.

Aussagen, mit denen ein Anspruch auf Wahrheit verbunden wird, bezeichne ich als "Behauptungen". Wenn jemand etwas behauptet, dann impliziert dies die Aufforderung an alle, diese Behauptung dem jeweils eigenen Denken und Handeln zugrunde zu legen.

Die entscheidende Frage ist dabei, ob diese Aufforderung allgemein einsichtig gemacht werden kann oder nicht. Dies unterscheidet dogmatische Behauptungen von wissenschaftlichen oder "rationalen" Behauptungen. Der Wissenschaftler darf nur in dem Maße für eine Behauptung "Wahrheit" beanspruchen, wie er Gründe für diese Behauptung angeben kann.

Unter "Gründen" für eine Behauptung verstehe ich dabei Argumente, die diese Behauptung stützen. "Argumente" (in Bezug auf eine bestimmte Behauptung) sind Sätze, die in einem logischen Zusammenhang mit dieser Behauptung stehen und die intersubjektiv nachvollzogen und bejaht werden können.

Ob eine Behauptung über die Beschaffenheit der Welt bzw. eines Ausschnitts der Welt allgemein nachvollziehbar begründet werden kann (z. B. "Frau Schrader hat – zum Zeitpunkt t - blonde Haare") hängt davon ab, ob die Wahrnehmungen beliebiger Individuen (mit intakten Sinnesorganen) durch diese Behauptung formuliert werden können.

Wenn die Wahrnehmungen dauerhaft und intersubjektiv übereinstimmen, bin ich berechtigt zu sagen: "Es ist wahr, dass Frau Schrader – zum Zeitpunkt t - blonde Haare hat (bzw. hatte)."

Dabei kann es vorkommen, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund des dann gegebenen Wissensstandes berechtigt war, einen Satz p für wahr zu halten, obwohl er falsch war. In diesem Fall muss ich mein Weltbild in diesem Punkt korrigieren.

Eine Behauptung, die gestern subjektiv berechtigt als "wahr" bezeichnet wurde, kann sich aufgrund neuer Argumente (z. B. verbesserter Messinstrumente und neuer Argumente) heute als falsch herausstellen.

Gleichzeitig gilt jedoch: "Was heute wahr ist, war auch gestern schon wahr und muss auch zukünftig wahr sein".

Man muss also zwischen dem "wahr sein" einer Behauptung und dem "berechtigterweise für wahr halten" einer Behauptung deutlich unterscheiden.

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Reflektiertes Wissen

Im religiösen und im weltanschaulichen Bereich werden nicht selten Ansprüche auf allgemeine Geltung erhoben, ohne eine Verpflichtung zur zwangfrei nachvollziehbaren Begründung der eigenen Lehrinhalte anzuerkennen. Derartig dogmatische, unwissenschaftliche Ansprüche beherrschen in vielen Staaten - und auch in vielen Subkulturen der demokratischen Länder - die Szene.

Wissenschaftliches Denken zeichnet sich gerade dadurch aus, dass das Für-wahr-halten einer bestimmten Theorie einhergeht mit einer Einschätzung des Grades an Gewissheit hinsichtlich der Wahrheit dieser Theorie. Wissenschaft gewinnt nicht Wissen als solches, sondern reflektiertes Wissen, das sich dessen bewusst ist, wie sicher es selber ist.

Die Forderung nach Begründung ist unabhängig von der Person, die die betreffende Behauptung äußert. Auch Behauptungen, die in einem anonym verfassten Text enthalten wären, müssten nachvollziehbar begründet werden, wenn sie den Anspruch auf allgemeine Geltung enthalten.

Zum Begriff der "Begründung" noch eine Anmerkung. Bei manchen Theoretikern gibt es eine Abwertung des "Rechtfertigungsdenkens" und eine Bevorzugung des "kritischen Denkens", z. B. Hans Albert). Ich halte diese Unterscheidung für sachlich nicht gerechtfertigt, denn die Rechtfertigung einer Behauptung ist zugleich die Kritik an der Verneinung dieser Behauptung und umgekehrt.


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Kausalität bei Schopenhauer

Einer der 4 Varianten des Satzes vom zureichenden Grunde, der "Kausalitätsgrund" (§ 20), lautet bei Schopenhauer: "Wenn ein neuer Zustand eines oder mehrerer realer Objekte eintritt; so muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue regelmäßig, d.h. allemal, so oft der erstere da ist, folgt."

Nach Schopenhauer ist dieser Satz eine apriorische Einsicht, die sich nicht weiter begründen oder kritisieren lässt.

Dem kann ich nicht folgen. Nehmen wir z. B. die Bewegungen eines Wirbelsturms. Niemand kann die "ewigen Naturgesetze" formulieren, denen gemäß sich die Richtungsänderungen des Wirbelsturms vollziehen. Woher weiß Schopenhauer weiß, dass es solche Gesetze gibt.

Woher weiß Schopenhauer, dass es so ist, wie es die oben zitierte Kausalitätsvariante des Satzes vom Grunde besagt?

Wenn ein neuer Zustand eines realen Objektes eintritt, warum muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue Zustand regelmäßig folgt? Darauf wurde entgegnet, etwas anderes sei gar nicht vorstellbar.

Es ist immer riskant, eine Behauptung nur deshalb zu akzeptieren, weil man sich nicht vorstellen kann, dass diese Behauptung nicht gültig sein könne. Vor 500 Jahre haben sich die Menschen auch nicht vorstellen können, dass der Mensch von affenähnlichen Wesen abstammt. "Das kann ich mir nicht vorstellen" bedeutet eigentlich nicht mehr als zu sagen: "Das rüttelt an den Grundpfosten meines Weltbildes".

Um an den Pfosten vorsichtig zu rütteln, hier nur ein Einwand.

Schopenhauer setzt voraus, dass es für alle Objekte gleiche Zustände gibt. Diese Annahme ist jedoch nicht unbedingt gegeben. Zum Beispiel kann es für ein Wesen, das Denken und Erinnern kann, genau genommen niemals die Wiederholung derselben Situation geben. Denn jede neue Situation unterscheidet sich von der früheren Situation zumindest durch die Erinnerung an die frühere Situation. Insofern sind geschichtliche Vorgänge genau genommen immer einmalig.

Du beteuerst immer wieder, dass alles, was geschieht, seinen Grund, seine Ursache habe. Ich finde diese Haltung auch in Ordnung - als Erkenntnisziel. Das heißt jedoch noch nicht, dass sich alles nach ewig geltenden Naturgesetzen vollzieht. Das heißt weiterhin nicht, dass wir diese Gesetze - wenn es sie denn gäbe - auch erkennen könnten.

Schopenhauer schreibt: "Wenn ein neuer Zustand eines oder mehrerer realer Objekte eintritt; so muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue regelmäßig, d.h. allemal, so oft der erstere da ist, folgt."

Schopenhauer setzt also identische Zustände voraus (" ... so oft der erstere da ist ..."). Aber wann ist ein Zustand 1 derselbe wie ein Zustand 2?

Der Satz: "Gleiche Zustände führen zu gleichen Folgezuständen" ist meiner Ansicht nach keine Aussage über die Beschaffenheit der Welt, sondern er gibt die Verwendung des Wortes "gleich" an: Wir bezeichnen zwei Zustände, die zu unterschiedlichen Folgezuständen führen, nicht als "gleich".

Ich denke, dass unter der "Gleichheit" von Zuständen nur eine partielle Gleichheit verstanden werden kann. In welcher Hinsicht sich die Zustände gleichen müssen, damit das behauptete Ergebnis eines Versuchs auch eintritt, geben die sogenannten "Randbedingungen" an.

Aber hier wird deutlich, dass im Verlaufe der Entwicklung zusätzliche Randbedingungen eingeführt werden müssen, wenn sich die vermeintliche Gesetzmäßigkeit unter bestimmten Umständen nicht bestätigt.

So kocht Wasser normalerweise bei 100 Grad Celsius, aber unter Druck kocht es schon viel früher. Man muss dann als weitere Randbedingung einen bestimmten Luftdruck festlegen, um an der Regelmäßigkeit "Wasser kocht bei 100 Grad Celsius" festhalten zu können.

Ich denke, dass sich diese Unsicherheit nicht völlig ausräumen lässt. Dies würde voraussetzen, dass wir sämtliche Strukturen der Wirklichkeit mit unseren Begriffen richtig erfassen. Aber die Welt ist kein Kreuzworträtsel, das sich vollkommen lösen lässt.

Deshalb spreche ich lieber von "empirischen Regelmäßigkeiten" als von "Naturgesetzen" und deshalb ist die völlige Determiniertheit des Geschehens für mich keine Annahme über die Beschaffenheit der Welt sondern das Ideal, wenn man nach anwendbaren Erkenntnissen sucht.

Noch eine Anmerkung zur Determiniertheit alles Geschehens.

Im 18. und 19. Jahrhundert konnte man noch die Hoffnung hegen, eines Tages die Welt lückenlos erkannt zu haben. Man glaubte, alles Geschehen auf die Bewegung von Atomen nach den Gesetzen der Mechanik zurückführen zu können. Naturerkenntnis war definiert als das Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf Bewegungen von Atomen. Die Newtonsche Mechanik und die Erfolge der Chemie bei der Aufdeckung der atomaren Struktur aller Stoffe standen dabei zur Seite.

Diese Denkstruktur findet sich auch in der Philosophie. Kant und Schopenhauer sind in ihrem Verständnis der Naturgesetze hiervon beeinflusst. Sogar Nietzsches "Ewige Wiederkehr des Gleichen" entstammt diesem Denken. Er nahm an, dass sich die Atome irgendwann einmal in der gleichen Anordnung befinden würden, wie sie bereits einmal vorgekommen war, womit das Ganze wieder von vorne anfangen würde, vergleichbar einer periodischen Dezimalzahl, bei der sich eine bestimmte Ziffernfolge unendlich wiederholt.

Das 20. Jahrhundert brachte dann das Ende für diese atomare Mechanik. In der subatomaren Welt galten die Gesetze der klassischen Mechanik nicht und die Teilchenphysik fand keine "letzten Bausteine". Die Welt war seitdem nicht mehr vollkommen erkennbar, für die menschliche Erkenntnis war kein Ende in Sicht.



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Psychologie a priori?

Im § 49 über die Notwendigkeit heißt es bei Schopenhauer:

"Der Satz vom zureichenden Grunde, in allen seinen Gestalten, ist das alleinige Prinzip und der alleinige Träger aller und jeder Notwendigkeit. Denn Notwendigkeit hat keinen andern wahren und deutlichen Sinn, als den der Unausbleiblichkeit der Folge, wenn der Grund gesetzt ist."

Angewandt auf den Satz vom zureichenden Grunde des Handelns folgt daraus "die moralische [Notwendigkeit], vermöge welcher jeder Mensch, auch jedes Tier, nach eingetretenem Motiv die Handlung vollziehen muss, welche seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter allein gemäß ist und demnach jetzt so unausbleiblich wie jede andere Wirkung einer Ursache erfolgt."

Meine Frage dazu: Soll das eine Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt (hier des Menschen) sein? Ich sehe hier nur Definitionen der Begriffe "Grund", "(moralische) Notwendigkeit", "Motiv" und "menschlicher bzw. tierischer Charakter".

Ich sehe keinen Versuch, die obige These empirisch zu testen.

Wenn es sich hier um eine Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit des Menschen handeln soll, die jedoch a priori, d. h. ohne jede Erfahrung, aus reiner Vernunft gewonnen sein soll, dann wäre ich auf die Herleitung gespannt. Sollte Schopenhauer gelungen sein, was schon Kant nicht gelang?



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Methodologie

Du hast die Frage gestellt, "ob sich empirische Regelmäßigkeiten überhaupt beobachten ließen, wenn man nicht bereits die wissenschaftliche Beobachtung nach bestimmten Regeln vollziehen würde. ... So ist die Regelmäßigkeit im Beobachtungshandeln eines Zoologen eine notwendige Voraussetzung dafür, die Regelmäßigkeiten im Verhalten von Füchsen feststellen zu können. Es ist also eine Bedingung 'a priori’".

Ich würde hier nicht von Bedingungen "a priori" sprechen, da es sich hier nicht um Aussagen über die Beschaffenheit der Realität handelt. Regeln einer wissenschaftlichen Beobachtung gehören nach meinem Verständnis zum Bereich der wissenschaftlichen "Methodologie", auch "Wissenschaftstheorie" oder "Wissenschaftslogik" genannt. Diese Regeln und Methoden sind am Ziel einer gültigen Beantwortung auf die jeweils gestellten Fragen ausgerichtet. In die Bestimmung von Methoden können auch Resultate der Erfahrungswissenschaften einfließen. (Ich denke etwa an die Methode des Interviews, das in der Psychologie und der Soziologie häufig angewandt wird. Wie man die Zahl der Verweigerer eines Interviews möglichst gering hält, beruht z. B. auf Erfahrungen mit diesem Instrument.)

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Wahrheit als Ideal

Nach Kant können wir über die Gegenstände der Welt nur das wissen, was uns "erscheint".

Nun erscheint uns ein Gegenstand (z. B. der Mond) in der Regel wiederholt, d. h. wir haben eine Vielzahl von Erscheinungen desselben Gegenstandes, die wir sprachlich bzw. gedanklich festhalten können.

Sofern diese Erscheinungen sich nicht widersprechen oder wiederholen, fügt jede Erscheinung des Gegenstandes unserer Kenntnis von diesem Gegenstand etwas hinzu. Wir wissen folglich zunehmend mehr über den Gegenstand.

Es kommt dann an einen Punkt, wo aus den Erscheinungen keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich des Gegenstandes mehr gewonnen werden können und unser gedachtes Bild oder Modell dieses Gegenstandes (unser Wissen vom Mond) sich stabilisiert.

Der Idealfall der Erkenntnis eines Gegenstandes ist, dass wir ein dauerhaftes und intersubjektiv übereinstimmendes gedachtes Modell des Gegenstandes haben. Dies Modell bezeichnen wir als "richtig" und die Aussagen, aus denen es besteht, bezeichnen wir dann als "wahr": Das Modell hat sich bewährt und ist auf andere Personen und auf zukünftige Situationen übertragbar.

Grundsätzlich kann jedoch niemals ausgeschlossen werden, dass dieser Zustand durch neue Erscheinungen des Gegenstandes – z. B. durch verbesserte Instrumente der Beobachtung – irgendwann einmal beendet wird und wir unser bisheriges gedachtes Modell vom Mond revidieren müssen.

Deshalb kann die Auszeichnung als "wahr" zwar zeitlich "unbefristet" gelten, jedoch nicht "ewig".

Außerdem wird es wohl immer Fragen bezüglich des Gegenstandes geben, die das gedachte Modell nicht beantworten kann. Insofern kommt es nicht nur auf die Wahrheit der Aussagen sondern auch auf den Informationsgehalt des Modells an.

Ein Modell, das alle möglichen Fragen hinsichtlich des Gegenstandes beantworten kann, ist so wie "Wahrheit" ein methodologisches Ideal, an das man sich annähern kann. Dies Ideal lässt jedoch unvollständige Modelle des Gegenstandes deshalb nicht wertlos werden.

Die Schattenwelt der Dinge, wie sie "an sich" sind, ist nach diesem Verständnis eine überflüssige Konstruktion.




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Die Vermeidung von Leid als ethisches Kriterium?

Wenn alle Menschen eigenes Leid vermeiden wollen und ihr eigenes Glück anstreben, so könnte das ethische Prinzip allgemein akzeptabel sein, dass jeder sein eigenes Glück anstreben darf, sofern damit nicht einem andern Leid zugefügt wird. Anders ausgedrückt: "Es sind alle Handlungen erlaubt, die keinem andern schaden". 

Dies scheint ein allgemein akzeptables ethisches Prinzip zu sein. Es setzt allerdings voraus, dass man sich darüber einigen kann, was unter "Leid" oder "Schaden" zu verstehen ist. Nur dann kann man ja diejenigen Handlungen bestimmen, die keinem anderen Leid zufügen bzw. keinem andern schaden.

Es wäre  jedoch falsch, wenn man das Prinzip dahin gehend erweitern würde zu sagen: "Alle Handlungen, die anderen Leid zufügen, sind nicht erlaubt." Häufig treten Situationen auf, in denen man es nicht allen recht machen kann und irgendeinem  wehtut, egal wie man sich entscheidet. Hier käme man nur weiter, wenn man statt zu fragen: "Wird einem andern Leid zugefügt?" fragt: "Bei welcher Handlungsalternative ist das Leid aller Betroffenen am geringsten?"

Um dies Prinzip anwenden zu können, müsste man sich jedoch nicht nur darüber einig sein, was "Leiden" bedeutet, sondern man müsste zusätzlich auch noch das Leid des einen gegen das Leid des andern abwägen können.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob dann nicht auch das erzielte Glück berücksichtigt werden sollte, insofern als z. B. ein sehr großes Glück für den einen das damit verbundene geringe Leid eines andern aufwiegen kann.

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Entscheidungskosten

Wenn man alle kollektiven Entscheidungen per Abstimmung herbeiführen wollte, so wäre der entstehende Aufwand für Informationsbeschaffung, Informationsaustausch und Entscheidungsfindung nicht zu bewältigen. Hinzu kommt, dass sich die Situationen im Zeitverlauf ändern, weswegen  die Ergebnisse der Entscheidungsfindung bereits durch die veränderte Situation überholt sein können, bevor sie überhaupt vorliegen.

Die Informationsmenge kann durch eine Dezentralisierung der Entscheidungen verringert werden.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen, bei dem einmal individuell und einmal gemeinschaftlich entschieden wird.

5 Individuen haben jeweils 4  Entscheidungen zwischen jeweils 3 Alternativen zu treffen.

 Zuerst trifft jedes Individuum als Einzelnes seine Entscheidung.

Dazu muss sich jedes Individuum über die Beschaffenheit von 4 x 3 = 12 Alternativen informieren und muss jede der 12 Alternativen gemäß seinem individuellen Interesse bewerten.

Es sind also von jedem Individuum 12 Informationen und 12 Bewertungen zu leisten.

Wie groß wäre dagegen der Aufwand, wenn die Individuen kollektiv entscheiden und abstimmen?

Wie bei der Einzelentscheidung muss sich jedes Individuum über 12 Alternativen informieren und diese bewerten.

Da jetzt kollektiv entschieden wird, muss sich jedes Individuum bei den 4 Entscheidungen mit den anderen Individuen beraten und zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Es sind also zusätzlich 4 Beratungen und Einigungen mit anderen nötig.

Um das für sich beste Abstimmungsergebnis zu erzielen, muss jedes Individuum auch die Bewertungen der 12 zur Auswahl stehenden Alternativen durch die 4 anderen Individuen kennen.

Es sind also zusätzlich 4 x 12 = 48 Informationen über die Bewertungen der Alternativen durch andere nötig.

Wie man sieht, ist der Entscheidungsaufwand bei kollektiven Entscheidungen deutlich höher als bei Einzelentscheidungen.

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Ausnahmezustand

Ausnahmezustand, Notstand, Krieg: hier gelten andere Regeln. Warum? Man kann sich offenbar bestimmte Rücksichtnahmen und langwierige Entscheidungsverfahren nicht mehr leisten.

Man spricht auch von "Schönwetterregeln", die bei einer Verschärfung von Gefahren fallengelassen werden.

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Mein eigen - mein Eigentum

 Das Recht, über den eigenen Körper zu verfügen, ist der Kern des Eigentums. Mein Arm, mein Denken. Mein Leben.

Dann weiten sich die Kreise: mein Kind, meine Familie, mein Garten, meiner Hände Arbeit und deren Produkt, mein Werk, meine Idee, meine Erfindung, mein Haus, mein Gebiet, meine Sprache, meine Heimat, mein Land, meine Stadt, mein Staat, meine Weltanschauung, mein Vermögen, mein Geld, mein Unternehmen. 

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Gleichheit

Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten. Welche Auswirkungen hat das auf die Stellung der Individuen in der Gesellschaft?

Angenommen Individuum A ist ein hervorragender Arzt. Er ist allen eine wichtige Hilfe. Damit erhält er für alle Individuen einen Wert, den andere Individuen nicht haben. z. B. wäre es im Interesse aller, dass A am Leben bleibt und dass er von Aufgaben verschont wird, die entweder sein Leben gefährden oder die ihn an der Ausübung seiner Heiltätigkeit hindern.

Damit erhält A eine bevorzugte Stellung ohne dass A selber seine Fähigkeit als Druckmittel eingesetzt hat.

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Falsche Schuldgefühle

Manche Menschen tragen zu Unrecht eine schwere Schuld mit sich herum. Sie machen sich verantwortlich für ein großes Unglück, das anderen  durch ihr Mitwirken zugestoßen ist, wobei sie jedoch nicht wissen konnten, dass es zu dem Unglück kommt.

Ein Beispiel hierfür ist die Frau, die ihren Mann bittet, einen früheren Flug zu nehmen, und gerade dies Flugzeug stürzt ab. Es geht nicht aus ihrem Kopf, dass ihr Mann noch leben würde, wenn sie ihn nicht gebeten hätte, früher nach Hause zu kommen.

Bei rationaler Betrachtung ist ihr nichts vorzuwerfen. Der Absturz des Flugzeugs steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit ihrer Bitte. Genau so gut hätte es umgekehrt sein können, dass das planmäßige Flugzeug abstürzt und ihre Bitte ihm das Leben rettet. Niemand konnte wissen oder auch nur ahnen, dass es zu einem Flugzeugabsturz kommt.

Das Schuldgefühl der Frau entspringt aber einem tief sitzendem magischem Schicksalsglauben. Danach ist alles Geschehen Ergebnis des Handelns höherer Mächte, die unser Schicksal nach unserem Verhalten bestimmen. Unglück ist eine "Strafe des Schicksals". Jedem Unglück muss deshalb eine Schuld zugrunde liegen.

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Woran erkennt man Träume?

Wenn ich eben noch ein kleiner Junge war und jetzt hier als erwachsener Mann sitze, so muss ich das wohl geträumt haben. Wenn ich eben noch in Hannover bei meiner Mutter war und jetzt hier in Berlin bin, dann muss ich das wohl geträumt haben. Wenn eben ein Arbeitskollege mit meinem Nachbarn gesprochen hat, wenn längst Verstorbene zu mir sprechen, so muss ich das wohl geträumt haben.
In Träumen ist etwas möglich, was real nicht möglich ist.

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Fragen zu Raum und Zeit

Warum können nicht zwei feste Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein?
Warum kann ein Körper nicht zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten sein?
Warum verläuft die Zeit in einer bestimmten Richtung?
Warum kann die Zeit nicht stehenbleiben oder rückwärts laufen, wie ein Film?
Warum tritt die Folge nicht zeitlich vor der Ursache oder gleichzeitig mit ihr auf?
Kann es eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit geben?

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Vernünftige Begründung

Du schreibst: "Die Nazis waren sehr moralische Leute. Und ihre Moral war durchaus vernünftig begründet." 

Die Nazis haben den Massenmord an bestimmten Teilen der Gesellschaft zwar zu begründen versucht, aber ich sehe nicht, dass diese Begründung vernünftig ist. Wenn "vernünftig" das ist, was man aufgrund von Argumenten - und ohne irgendwie dazu gezwungen zu werden - einsehen kann, dann kann die Begründung der Nazis für ihre Programme der Massenvernichtung mit millionenfachem Mord nicht vernünftig sein.

Denn dann müsste die von ihnen vorgetragenen Argumente auch für die von der physischen Vernichtung Betroffenen, die "Untermenschen", die "Fremdrassigen", die Juden, die Homosexuellen und die Sinti einsichtig sein (wobei die Geisteskranken wegen ihrer Unmündigkeit ein besonderer Fall sind). Es ist offensichtlich, dass die Argumente der Nazis nicht allgemein einsichtig und akzeptabel sind, weil sie durch und durch parteiisch sind (auch wenn sie insofern imaginär parteiisch sind, als es die arische Rasse als Subjekt gar nicht gibt.)

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Allgemeinheit der Aussage und Allgemeinheit ihrer Geltung

Beides darf nicht verwechselt werden. Allgemeine Geltung kann man auch für einen Satz beanspruchen, der sich auf ein einmaliges, singuläres Ereignis bezieht. Ein Beispiel hierfür ist der Satz: "Es war ein Fehler, dass die Bundesrepublik 1954 der NATO beigetreten ist."

Dies ist eine sehr spezielle Behauptung, die dennoch allgemeine Geltung beansprucht.

Allerdings ist das Wort "Geltung" in der Umgangssprache mehrdeutig. Der Ausdruck "Eine Norm gilt" wird nicht nur im Sinne von "Eine Norm wird anerkannt bzw. befolgt" verwendet (" Für Hannes gilt alles, was der Guru sagt" ), sondern auch im Sinne von "Eine Norm trifft zu auf ... bzw. ist adressiert an ..." (" Die Wehrpflicht gilt nur für Männer" ). Es bedarf schon einiger gedanklicher Anstrengung, um nicht den Fußangeln der Umgangssprache zu verfallen und Klarheit in dieser Frage zu gewinnen.

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Sucht

"Sucht" ist die Abhängigkeit von stark gesundheitsschädigenden Drogen, deren Konsum zwanghaft ist, weil eine Konsumunterbrechung zu Entzugserscheinungen führt.

(Damit ist klar, dass es hier nicht um das eine Glas Rotwein oder Bier geht oder um ein paar Zigaretten, sondern um den ständigen, zwanghaften Konsum schädlicher Drogen, um für eine gewisse Zeit angenehme Gefühle zu erzeugen.)

Die so definierte Sucht ist ein negativ zu bewertendes Verhalten, weil es den Süchtigen und auch der Allgemeinheit einen beträchtlichen Schaden zufügt.

Dieser Schaden wird durch die zeitlich begrenzten, als lustvoll bzw. angenehm erlebten Bewusstseinszustände beim Drogenkonsum nicht aufgewogen. 

Der Drogenkonsum ist deshalb nicht zu billigen.

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Moralbegründung

Viele Argumente, die gegen das Bemühen um eine allgemeingültige Beantwortung ethischer Fragen vorgebracht werden, treffen auch auf die empirischen Fragestellungen zu. Auch in den empirischen Wissenschaften gibt es Dissens und unterschiedliche Erklärungen (z. B. bei den Ursachen von Krebs), auch hier gibt es keine logisch zwingenden Beweise, auch hier gibt es Fragen, die bisher nicht beantwortet werden können.

In der Zeitung lese ich, dass ein 17jähriger Junge einen 7jährigen auf dem Spielplatz totgeschlagen hat. Angesichts dieser Tat ist es für mich schwer zu begreifen, dass so viele klar denkende Menschen sich nicht auf das Ziel einlassen wollen, nach allgemein akzeptablen Normen zu suchen. Ist die moralische Stellungnahme zu der genannten Tat wirklich subjektiv beliebig? Ist das Geschmacksache? Gibt es keine intersubjektiv nachvollziehbaren Argumente für oder gegen diese Tat?

Wenn jemand mir gegenüber die Position vertritt, moralische Urteile seien subjektiv beliebig und es sei sinnlos, nach einem allgemeinen Konsens zu suchen, dann impliziert dies, dass es für ihn keinen Grund gibt, meine Interessen zu beachten, falls sie seinen Interessen in die Quere kommen. Es gibt für ihn kein moralisches Problem. Er wird mich notfalls umbringen, wenn er dies unerkannt und straflos tun kann. 

Dies ist letztlich die Konsequenz aus der Haltung, dass moralische Normen etwas subjektiv Beliebiges sind. Das muss man sich ganz klar machen. Entsprechend stelle ich mich darauf ein, dass es bei Konflikten mit jemandem, der keine begründeten moralischen Vorwürfe kennt, nichts zu argumentieren gibt, sondern dass ich mich stattdessen vor ihm schützen muss.

Wer nicht bereit ist, sich mit mir gewaltlos und allein mittels einsichtiger Argumenten darüber zu einigen, wie wir beide miteinander umgehen wollen, der hat sich damit zu meinem potentiellen Feind erklärt, vor dem ich auf der Hut sein muss.

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Was ist mit "Moral" gemeint?

Ein Beispiel für eine moralische Frage:

Ich bin als Letzter allein im Umkleideraum der Sporthalle. Da sehe ich unter der Bank einen Geldschein, einen 50-Euro-Schein. Den muss einer der Mitspieler verloren haben. Soll ich den Schein klammheimlich für mich behalten oder soll ich den Verlierer ausfindig machen, um ihm das Geld zurückzugeben?

Ich entscheide mich dafür, das Geld dem Verlierer zurückzugeben.

Man kann nun die Frage stellen: "Warum habe ich das gefundene Geld dem Verlierer zurückgegeben?"

Diese Warum-Frage ist doppeldeutig:  Es kann einmal eine Frage nach den Beweggründen (Motiven) sein, mit denen ich mein Handeln kausal erklären kann. Ein Beispiel hierfür wäre: "Ich habe den Schein zurückgegeben, weil ich in meiner Kindheit diese Regel eingeimpft bekommen habe."

Es kann aber auch eine Frage nach den Vernunftgründen (Argumenten) sein, mit denen ich mein Handeln rechtfertigen kann.

Vernunftgrund wäre in meinem Beispiel: "Ich habe den Schein zurückgegeben, weil es eine allgemein gültige Norm gibt, die beinhaltet, dass man gefundene Wertsachen an den Verlierer zurückgeben soll".

Die Angabe eines Vernunftgrundes für mein Handeln kann mein Handeln nicht kausal erklären. Dazu muss der Vernunftgrund zu einem Beweggrund werden. Es muss der Wille vorhanden sein, gültige moralische Normen auch zu befolgen, und dieser Wille muss eine gewisse Stärke haben, damit er sich auch gegen das vorhandene Eigeninteresse (an zusätzlichen 50 € in meinem Portemonnaie) durchsetzen kann. Eine Antwort, die Vernunftgrund und Beweggrund verbindet, könnte lauten: "Ich habe das Geld dem Verlierer zurückgegeben, weil ich es für richtig halte, gefundene Wertsachen an den Verlierer zurückzugeben, und weil ich danach auch handeln will."

Den Willen zum moralischen Verhalten zu stärken, ist meiner Ansicht nach eine der dringendsten Aufgaben, vor denen wir heute stehen. Eine Voraussetzung hierfür ist die glaubwürdige, nachvollziehbare Begründung der moralischen Normen.

Sind die folgenden Antworten kausale Erklärungen oder vernünftige Rechtfertigungen meines Handelns?

"Ich habe das Geld zurückgegeben, ...
- ... weil ich ein moralischer Mensch bin, und es meine Selbstachtung beschädigen würde, wenn ich das Geld nicht zurückgeben würde,
- ... weil ich vor den andern als guter Mensch glänzen will,
- ... weil ich genug Geld habe und Geld mir wenig bedeutet,
- ... weil ich mir den Verlierer verpflichten will,
- ... weil mich sonst ein schlechtes Gewissen drücken würde.

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Evolution

Die Evolution ist ein zielloser Prozess von genetischer Variation und natürlicher Selektion. Die Evolution ist kein Wesen, das bestimmte Ziele verfolgt und dazu rationell die geeigneten Mittel auswählt und überflüssig gewordene Mittel abschafft.

Es gibt keinen Grund, von der evolutionär entstandenen genetischen Programmierung zu erwarten, dass diese in der Lage ist, auch historisch neuartige Gefahren wie die atomare Kriegführung zu bewältigen. Die Evolution enthält die Antwort auf die Fragen von Gestern aber nicht die Antwort auf die völlig neuartigen Fragen von Heute. Aus unserer Evolution können wir diese Antworten nicht ableiten.

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Wille

Wir sprechen von Trieben, Impulsen, Leidenschaften, Ängsten und Hoffnungen, Vorlieben und Abneigungen, Bedürfnissen, Wünschen, Affekten, Gefühlen, Einstellungen, Gewohnheiten, Süchten, Beweggründen u. a. m., die unsere Entscheidungen und unser Handeln beeinflussen.
Der Einzelne steht vor der Aufgabe, all diese Motive, die keineswegs alle in die gleiche Richtung weisen müssen, in ein konsistentes Handeln umzusetzen, das er später möglichst nicht bereuen muss.

Das, was sich nach Aufklärung und Abwägung der eigenen Motive an relativ dauerhaften Zielen ergibt, könnte man als "Wille" bezeichnen.

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Die Ordnung und die Erklärung der Sinneseindrücke durch die Annahme von Gegenständen

Dazu ein Gedankenexperiment:

 Ich bekomme die Aufgabe, im Kreis um einen großen Gegenstand zu gehen, der sich in der Mitte des Kreises befindet. Beim Gehen soll ich diesen Gegenstand anschauen und berichten, was ich sehe.

Zuerst sehe ich in der Mitte des Kreises etwas Senkrechtes, Schmales, Hohes.

Im Weitergehen wird der Gegenstand unten immer breiter und läuft nach oben gerade und gleichmäßig spitz zu.

Nachdem ich ein Viertel des Kreises abgeschritten habe, wird das, was ich in der Mitte sehe, unten wieder schmaler bis es nach Abschreiten eines Halbkreises wieder so aussieht wie am Anfang.

Beim verbleibenden Halbkreis ist es genauso wie beim ersten Halbkreis.

Dann gehe ich zum zweiten Mal im Kreis und sehe dabei wieder zum Gegenstand in der Mitte. Dort sehe ich etwas, das unten breit ist und das nach oben gerade und gleichmäßig spitz zuläuft. Während des Abschreitens des ganzen Kreises bleibt dieser Anblick der gleiche.

Was habe ich bei den zwei Umrundungen in der Mitte gesehen? Ich überlege und komme zu folgenden Schlüssen:

Beim ersten Kreis befand sich in der Mitte ein senkrecht aufgestelltes flaches gleichschenkliges Dreieck.

Als ich in der Ausgangsstellung neben dem flachen Dreieck stand, erschien es mir unten genauso schmal wie oben. Als ich das Dreieck umrundete, erschien es mir mit jedem Schritt breiter, bis ich im rechten Winkel vor dem Dreieck stand. Aus dieser Position erschien es mir am breitesten. Als ich dann weiterging, erschien es mir unten immer schmaler, bis ich auf der anderen Seite neben dem Dreieck stand, wo es wie ein dünner senkrechter Balken aussah.

Beim zweiten Kreis stand in der Mitte ein Kegel.

Er bot während der ganzen Umrundung den Anblick eines Dreiecks, das immer gleich blieb.

Der Anblick, den das flache Dreieck oder der Kegel mir jeweils bot, war nicht identisch mit dem Gegenstand (flaches Dreieck und Kegel). Durch die Zuordnung der vielen Anblicke zu einem Gegenstand, der exakt definierbar ist und die unterschiedlichsten Ansichten bietet, habe ich einen großen Schritt zur Ordnung und Verarbeitung meiner Sinneseindrücke getan.

Anstatt immer neue Beschreibungen meiner Wahrnehmungen zu formulieren ("Jetzt sehe ich dort das-und-das. Jetzt sehe ich dort dies-und-dies" ) sage ich einfach: "Ich sehe dort ein x, mal von vorne, mal von der Seite, mal von hinten etc.".

Für denjenigen, der weiß, wie ein x definiert ist, enthält dieser Satz eine Unmenge an Informationen über das, was er wahrnimmt, wenn er von verschiedensten Standorten aus nach x blickt.

Aufgrund von mehreren Anblicken von verschiedenen Positionen aus, kann ich - statt zu sagen: "Ich sehe dort einen Kegel" - subjektfrei formulieren: "Dort ist ein Kegel". Dies ist sinnvoll, weil ich von intersubjektiv übereinstimmenden Wahrnehmungen ausgehen kann.

Das schließt Irrtümer nicht aus. So bietet eine Kugel denselben Anblick wie eine runde Scheibe direkt von vorn gesehen. Der Streit darüber, ob der Mond oder die Sonne flache Scheiben oder Kugeln sind, ging über Jahrhunderte.

Die Zusammenfassung des höchst komplexen Stroms der Sinneswahrnehmungen zu Dingen bzw. Gegenständen ist eine wichtige Leistung bei der Erkenntnis der Welt. Mit Hilfe der dabei entstehenden Begrifflichkeit können die regelmäßigen Beziehungen zwischen den Dingen logisch geordnet und formuliert werden. Damit ist die Grundlage für die Erklärung und die Voraussage von Ereignissen gelegt.

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Zur Bedeutung des Wortes "ich"

Was geht an Bedeutung verloren, wenn man auf das Personalpronomen 1. Person Einzahl "ich" verzichtet? (Im Vietnamesischen soll es diese grammatische Form gar nicht geben.)

Der Satz "Ich schreibe jetzt einen Beitrag" und der Satz "Eberhard schreibt jetzt einen Beitrag" haben im aktuellen Kontext die gleiche deskriptive Bedeutung.

Allerdings ist dem ersten Satz zusätzlich zu entnehmen, dass jemand eine Aussage über sich (selbst) macht. Der Sprecher ist also als Handelnder (Sprechender) mit einbezogen.

Durch die Verwendung des Wortes "ich" werden Sätze eines Sprechers über sich selbst deutlich abgehoben von Sätzen eines Sprechers über andere Individuen.

Dies hat eine gewisse Berechtigung, denn wenn jemand über sich selber sagt: "Ich habe Kopfweh" oder "Ich will das Auto kaufen" so hat das größeres Gewicht, als wenn ein Dritter sagt: "Jakob hat Kopfschmerzen" oder "Jakob will das Auto kaufen", denn das kann er nur indirekt erfahren haben, jedoch nicht direkt wahrnehmen.

Wenn die Sprache über Personalpronomen in der 1. Person verfügt, klingt es deshalb auch seltsam, wenn jemand von sich in der dritten Person spricht. Es entsteht der Eindruck einer nicht gerechtfertigten Objektivierung des Gesagten.

Weiterhin ist die Benutzung des Wortes "ich" immer kontextgebunden. Wenn man das vergisst, und am Telefon auf die Frage "Wer spricht da?" antwortet "Ich bin es", so folgt notgedrungen meist die Nachfrage: "Und wer ist 'ich'?" 

(Es wäre interessant, auch beim "wir" zu untersuchen, welchen Unterschied die Benutzung gegenüber einer Beschreibung in der 3. Person macht).

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Ausgangspunkt moralischer Argumentation

Ausgangspunkt moralischer Argumentation ist für mich ein tatsächlicher oder möglicher Konflikt zwischen dem, was die verschiedenen Individuen wollen und tun. Menschen, die miteinander Konflikte haben und die versuchen, ihren Willen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen, bringen sich gegenseitig in Gefahr und sind nicht in der Lage, die Vorteile der Zusammenarbeit wahrzunehmen.

Wer dies nicht will, wer die Konflikte nicht allein durch überlegene Kampfstärke entscheiden lassen will, der muss nach Regelungen suchen, die für alle Beteiligten ohne Anwendung von Zwang konsensfähig sind, von denen also alle Beteiligten überzeugt werden können.

Dieser Ausgangspunkt ist nun keine beliebig gesetzte Prämisse, sondern sie ist die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt von so etwas wie einer allgemeingültigen Moral sprechen kann, wenn der Anspruch auf allgemeine Gültigkeit oder Richtigkeit etwas anderes sein soll als ein Anspruch auf Gehorsam und Befolgung.

Grundlage einer allgemeingültigen Moral ist also der Wille aller Beteiligten, Konflikte untereinander gewaltfrei zu lösen, indem man zu Regelungen gelangt, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden. Das heißt, es müssen moralische Normen gefunden werden, die Ausdruck eines gemeinsamen Interesse bzw. Wollens sind.

Aus dem Willen zur gewaltlosen Einigung als Ausgangspunkt lassen sich weitere Kriterien ableiten, z. B. die Forderung nach Unparteilichkeit und Personunabhängigkeit der Normen und ihrer Begründungen.

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Sich in den andern hineinversetzen

Woher weißt Du, dass Dein Spaß am Tanzen zu lauter Musik bis weit nach Mitternacht ein größeres oder kleineres "Gewicht" hat als sein Wunsch nach Ruhe zum Schlafen? 

Dazu muss man sich "in seine Lage hineinversetzen", was meist nur in der Vorstellung möglich ist und nicht real. Zum Beispiel kann ich versuchen, mich an eine Situation zu erinnern, wo ich selber durch lärmende Nachbarn in meinem Schlaf gestört wurde. Meine Vorstellung mag falsch sein, sie ist jedoch korrigierbar.

Die Vorstellung, man befinde sich in der Lage eines andern, ist eine häufig anzutreffende geistige Aktivität. Der größte Teil der Belletristik setzt diese Fähigkeit beim Leser voraus. Kinder machen Rollenspiele, in denen sie verschiedene Positionen einnehmen.

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Intersubjektiver Nutzenvergleich

Fragen wie: "Ist Person A vom Fluglärm stärker betroffen als Person B?" oder "Wiegt der Vorteil, den ich durch diese Handlung habe, den Nachteil auf, den ich damit meinem Nachbarn zufüge?" sind nicht sinnlos. Sie setzen einen interpersonalen Nutzenvergleich voraus. Trotzdem halte ich es für möglich, sie zu beantworten. Allerdings können das die Erfahrungswissenschaften allein nicht leisten.

Wichtig ist ihre Beantwortung sicherlich, da solche Fragen z. B. in der Ethik und in der Rechtsprechung eine grundlegende Bedeutung haben. Man spricht dort von "Güterabwägung" oder "Interessenabwägung".

Richtig ist, dass Sätze wie: "Der Verlust seiner Anstellung hat ihn schwer getroffen" oder "Es wäre für Person A härter, wenn sie ihre Anstellung verlieren würde, als für Person B" keine normalen empirischen Sätze sind, die anhand der Wahrnehmung direkt überprüfbar sind. Insofern ist es auch verständlich, dass Ökonomen, die ihre Wissenschaft rein empirisch verstehen, derartige "interpersonalen Nutzenvergleiche" ablehnen.

Trotzdem gibt es Möglichkeiten zu Überprüfung derartiger Aussagen. So kann man sich manchmal real in die Lage eines anderen hineinversetzen und die Dinge aus seiner Sicht sehen. Wenn Person A bei einem Konzert einen Platz vorn in der Mitte hat, und Person B einen Platz ganz hinten links, so kann sich A in die Lage von B hinein versetzen, indem beide ihre Plätze tauschen. Dadurch kann A nachvollziehen, wie schlecht B von diesem Platz aus sehen und hören kann.

Man sagt zwar manchmal: "Was das für mich bedeutet, dass kann nur jemand nachvollziehen, der das selber einmal durchgemacht hat" oder "Das kann man mit Worten gar nicht beschreiben, das muss man erlebt haben". Aber häufig gibt es analoge Erfahrungen, die es leichter machen, sich in die Lage eines anderen Menschen hinein zu versetzen. Man hat z. B. nicht die gleiche Krankheit gehabt, wie der andere, aber eine vergleichbare.

Ich will die Frage, inwieweit man sich in die Lage eines anderen vorstellungsmäßig hinein versetzen kann, hier jedoch nicht weiter verfolgen, sondern nur noch darauf hinweisen, dass  auch bei Entscheidungen, die nur eine einzige Person betreffen, ein vergleichbares Problem auftauchen kann.

Wenn man Entscheidungen treffen muss, die für einen selber sehr langfristige Auswirkungen haben, wie etwa die Wahl einer Berufsausbildung oder eines Lebenspartners, so muss ich mich in meiner Vorstellung in die Person hinein versetzen, die ich in 20 oder gar 40 Jahren sein werde. Und ich muss u. U. die Interessen, die ich gegenwärtig habe, abwägen gegen diejenigen Interessen, die ich in 40 Jahre haben werde. 

Ein solcher Vergleich ist zwar nicht interpersonal, weil er nur eine Person betrifft, aber im Laufe der Zeit ändert sich meine Person. Damit wirft eine über längere Zeit hin, d. h. intertemporal gültige Entscheidung vergleichbare Probleme auf, wie eine Entscheidung, die mehrere Personen betrifft.  

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 Inwiefern existieren Bedeutungen?

Welchen Platz haben Bedeutungen in der Wirklichkeit? Die Bedeutung eines Satzes z. B. ist  nicht in der gleichen Weise sinnlich wahrnehmbar wie die Laute, aus denen der Satz akustisch besteht. Wenn nur das wirklich sein soll, was sinnlich wahrnehmbar ist, dann wären Bedeutungen womöglich nichts Wirkliches.

Aussagen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit müssen direkt oder indirekt mit unseren Wahrnehmungen vereinbar sein. Dabei ist mit "indirekt" gemeint, dass viele Begriffe und Aussagen, die unser Weltbild ausmachen, nicht direkt wahrnehmbar sind, sondern theoretische (bzw. hypothetische) Konstrukte sind: Noch niemand hat Röntgenstrahlen, Elektronen, Tatmotive, Intelligenz oder das Bruttosozialprodukt gesehen. Trotzdem gehören diese Begriffe fest zu unserem Bild von der wirklichen Welt. Sie sind Bestandteile von erfahrungswissenschaftlichen Theorien. Mit diesen Begriffen lassen sich Aussagen über bestehende Regelmäßigkeiten formulieren, die unsere direkten Wahrnehmungen erklären.

Wenn man die Bedeutung eines Satzes nicht direkt sehen oder hören kann, wie kann man die Bedeutung eines Satzes dann herausfinden? Eine Bedeutung ist immer an Subjekte gebunden, die einem bestimmten Ding, z. B. dem "!", eine bestimmte Bedeutung geben. So bedeutet ein "!" am Ende eines deutschen Satzes, dass es sich um einen Ausruf oder einen Befehl handelt. Für diejenigen, die diese Konvention  akzeptieren, hat das "!" dann die gegebene Bedeutung.

Solch eine sprachliche Konvention ist nun etwas real Existierendes und kann auch erfahrungswissenschaftlich erforscht werden. Welche Bedeutung das deutsche Wort "links" im Zusammenhang mit Richtungsangaben hat, kann man empirisch wahrnehmbar überprüfen, wenn man zu mehreren Personen, die Deutsch verstehen, sagt: "Drehe Deinen Kopf nach links!" Allgemein akzeptierte Bedeutungen sind etwas sehr Reales. Das merkt z. B. derjenige, der mit dem Auto nach England fährt und dem auf seiner Fahrbahn ständig Fahrzeuge entgegenkommen.

Bedeutungen "existieren" also nicht als solche, sondern nur in Verbindung mit Subjekten, die bestimmten realen Dingen (den "Zeichen" bzw. "Symbolen") diese Bedeutung zuschreiben. Darin gleichen Bedeutungen den Werten.

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Ist normative Wissenschaft ein Schritt zur Diktatur?

Eine ethische Theorie bleibt eine Theorie: sie kann kein Ersatz für Rechtsprechung und Politik sein. Sie ist kein Computer, in den man nur die richtigen Daten einfüttern muss, damit der Bundesanzeiger mit den für alle Staatsbürger verbindlichen Normen und Entscheidungen ausgedruckt wird.

Die Ethik oder Moralphilosophie (ich verwende beide Wörter synonym), ist kein Instrument der Philosophenherrschaft, auch wenn sie mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit und einer intersubjektiv sowohl nachvollziehbaren wie akzeptierbaren Methode daherkommt.

Die Moralphilosophie bleibt, auch wenn sie nach allgemeingültigen Antworten sucht, eine Wissenschaft, ein Ort der theoretischen Argumentation. Sie ist kein Ort der praktischen Entscheidung.

Auch die Ergebnisse der Erfahrungswissenschaften gehen nicht direkt in das soziale Handeln ein. Der Richter kann ein Sachverständigengutachten zu Rate ziehen, aber er bleibt zu Recht in seiner Beweiswürdigung frei.

Wir leben in einer Welt, in der wir viele Fragen nicht beantworten können, wir leben in einer Welt mit Sicherheiten, aber auch mit Ungewissheiten und Risiken. Deshalb bleiben auch in Bezug auf empirische bzw. faktische Fragen häufig mehrere Antworten wissenschaftliche vertretbar und die Entscheidung, welche der Antworten wir unserem Handeln zugrunde legen sollen, lässt sich durch die Wissenschaft nicht völlig auflösen.

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Messen und Messniveaus

Es ist wenig sinnvoll, die Phänomene der Realität in "messbare" und "nicht-messbare" aufzuteilen, genauso wie die traditionelle Entgegensetzung von "Qualität" und "Quantität" eher irreführend ist.

Der Grund hierfür ist der, dass es verschiedene Messniveaus gibt und damit verschiedene Grade der Quantifizierung bzw. "Skalierung".

Das niedrigste Messniveau sind reine Klassifikationen nach dem Vorhandensein bestimmter Merkmale, z. B. "elektrisch positiv geladen", "elektrisch neutral" und "elektrisch negativ geladen". Die unterschiedlichen Merkmale können durch beliebige Ziffern wie "0", "1", "2" etc. symbolisiert werden, ohne dass man mit diesen Ziffern jedoch rechnen könnte.

Als nächstes gibt es die "Rang-Skalen", die Objekte entsprechend der Stärke eines bestimmten Merkmals ordnen, z. B. die Atome verschiedener  chemischer Elemente nach ihrem Gewicht anordnen. Das schwerste Atom erhält den 1. Rangplatz, das nächst schwere Atom den 2. Rangplatz usw. Die Zuordnung der Objekte zu bestimmten Zahlen ist hier durch die Dimension, in unserem Fall "Gewicht" festgelegt.

Wenn das Gewicht nur durch Rang-Skalen ermittelt wurde, kann man zwar sagen, dass das Objekt mit der Rangzahl 4 schwerer ist als das Objekt mit der Rangzahl 8, man jedoch nicht sagen, dass der Gewichtsunterschied zwischen dem Objekt mit der Rangzahl 4 und dem Objekt mit der Rangzahl 8 genau so groß ist, wie der Gewichtsunterschied zwischen dem Objekt mit der Rangzahl 8 und der Rangzahl 12.

Dann gibt es die "Intervall-Skalen", wie z. B. die Messung der Temperatur nach Celsius. Hier macht es Sinn zu sagen: "Die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Lufttemperatur an einem bestimmten Tag war in der Sahara um x Grad Celsius größer als in Mitteleuropa."  Es macht jedoch keinen Sinn zu sagen: "Die Tageshöchsttemperatur in Rom war heute mit 30 Grad Celsius 3 mal so hoch wie in Moskau mit 10 Grad Celsius. Würde man z. B. die Temperatur mit der Intervall-Skala nach Fahrenheit messen, so ergäbe sich ein ganz anderes Verhältnis zwischen den Tageshöchsttemperaturen beider Städte.

Erst "Verhältnis-Skalen", wie z. B. die Längenmessung in Metern, erlauben auch die Multiplikation und die Division der erhaltenen Messwerte. Hier macht es Sinn zu sagen: "Diese Leiste ist 3 mal so lang wie jene Leiste". Wenn ich also zwei Punkte, die 3 Meter voneinander entfernt sind, durch Leisten verbinden will, kann ich entweder eine Leiste von 3 Metern Länge nehmen oder 3 Leisten von 1 Meter Länge.

Die Eigenschaften eines Objektes sind also nicht entweder "messbar" oder "nicht messbar", sondern es gibt verschiedene Abstufungen der Messbarkeit. Und auch die überkommene Entgegensetzung von "Qualität" und "Quantität" ist wenig sinnvoll angesichts abgestufter Grade der Quantifizierung.

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Möglicher Konsens und faktische Einstimmigkeit

Nur dann muss niemand einem fremden Willen gehorchen, wenn alle das, was sie sollen, letztlich auch einsehen und wollen können.  Warum sage ich nicht einfach: "was alle gemeinsam wollen" sondern komplizierter "was alle gemeinsam wollen können" ?

Wenn man sagen würde: "Diejenigen Normen sollen allgemein gelten, die tatsächlich von allen gewollt werden", so entspricht das einer Abstimmung nach der Regel der Einstimmigkeit: wenn eine Norm allgemein gelten soll, dann müssen alle als Ausdruck ihres tatsächlichen Willens für diese Norm stimmen.

Das Problem bei der Einstimmigkeitsregel besteht jedoch darin, dass sie meist zu gar keinem Ergebnis führt: Alle wollen auf dem schönsten Grundstück wohnen und das ist nicht möglich. Dies Beispiel demonstriert: Was die Individuen als einzelne wollen, ist meist nicht miteinander vereinbar. Folglich kann es keinen einstimmigen Beschluss darüber geben, wer nun das schönste Grundstück bewohnen darf. Wegen dieses Mangels wird die Einstimmigkeitsregel auch nur äußerst selten angewandt. Ein bekannteres Beispiel ist die Wahl des Oberhaupts der katholischen Kirche, bei der die Kardinäle solange eingeschlossen bleiben, bis sie sich auf einen neuen Papst geeinigt haben. Deshalb wird die Einstimmigkeitsregel in der Praxis meist mit der folgenden Kusel verbunden: Für den Fall, dass es zu keinem einstimmigen Beschluss kommt, bleibt der bisherige normative Zustand, der normative Status quo, für alle verbindlich bestehen. Durch eine solche Status-Quo-Klausel wird aus der Einstimmigkeitsregel unversehens ein Vetorecht für jeden einzelnen. Damit haben wir eine extrem konservative Ordnung, die Veränderungen des Status quo nur zulässt, wenn niemand dagegen ist. 

Entsprechendes gilt auch für Theorien, die die vertragliche Übereinkunft souveräner Individuen als das einzige Verfahren zur Setzung verbindlicher Normen propagieren, wobei die Geltung der Normen immer auf die Vertragschließenden beschränkt ist und für die vereinbarten Normen keine allgemeine Geltung beansprucht wird.

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Moralische Intuition

Menschen haben ein angeborenes Mitgefühl (Mitleid, Sympathie) mit andern Menschen und Lebewesen, wenn dies auch von Individuum zu Individuum verschieden stark ausgeprägt ist. Wir haben auch die Fähigkeit, uns vorstellungsmäßig in die Lage, die Rolle oder die Person eines anderen Menschen hineinzuversetzen. Man sieht das schon an den Spielen der Kinder.

Dieses Mitgefühl ist sicherlich eine wichtige Motivationshilfe bei der moralisch geforderten Rücksichtnahme auf andere. Es ist gewissermaßen eine genetisch verankerte Verhaltensorientierung des in Familien und Stämmen lebenden Säugetiers Mensch.  Dies Mitgefühl reicht jedoch nicht aus, um bei Konflikten immer zu einer Übereinstimmung der Individuen zu gelangen. Wenn sich jeder von seinem Mitgefühl leiten lässt, dann bleiben viele Konflikte bestehen und viele Chancen der Zusammenarbeit ungenutzt, denn Gefühle sind starken Schwankungen unterworfen und sie sind schwer zu verändern.

Du schreibst: " 'Kein Wesen will (sinnlos) leiden. Das ist das einzige, was mir 'sicher' zu sein scheint. Von daher könnte man evtl. eine brauchbare Handlungsanweisung in Form einer Moralnorm erfinden." Du denkst wahrscheinlich an eine Grundnorm wie "Verringere sinnloses Leiden!", die dann durch Auslegung auf alle moralischen Fragen auszuweiten ist.

Zur "Begründung" dieser Grundnorm würdest Du wohl auf Dein Gefühl verweisen und sagen: "Ich empfinde eben so."

Dies ist die klassische "intuitionistische" Begründung moralischer Normen.  

Das Problem des Intuitionismus besteht darin, dass die intersubjektive Übereinstimmung des moralischen Empfindens nicht gesichert ist. Dies siehst Du wohl auch so, wenn Du schreibst: "Ich kann meine Moral nur mit meinen Gefühlen begründen und von daher nur auf Zustimmung hoffen."

Du verweist darauf, dass es für Behauptungen keine logisch hergeleitete "Letztbegründung" geben kann, weil man mit seinem Beweis ja bei irgendwelchen Prämissen anfangen muss, die ihrerseits nicht mehr logisch-deduktiv hergeleitet sind. Insofern scheint Dir der Intuitionismus mit seinem Ausgang beim "moralischen Empfinden" nicht schlechter als andere Ansätze.

 

Ich bin jedoch der Ansicht, dass sich das Problem willkürlicher Setzungen von Prämissen bei dem von mir vertretenen Ansatz nicht stellt.

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Sollen kommt von Wollen

Wir können mit unseren Sinnen nur wahrnehmen, wie die Welt ist, aber nicht, wie sie sein soll und wie Menschen handeln sollen.  

Ansätze, die eine Ethik begründen wollen auf "moralischen Sinn", "moralische Intuition", "Rechtsgefühl", "Gerechtigkeitssinn" oder "Werteschau" (analog zur sinnlichen Wahrnehmung der tatsächlichen Welt) scheitern letztlich daran, dass das, was jeder daraus  ableitet, von Mensch zu Mensch verschieden ist.  Damit fehlt aber die Grundlage für intersubjektiv nachvollziehbare Begründungen der behaupteten Moralnormen.

Bereits Hume kritisierte den logischen Fehlschluss von rein beschreibenden Prämissen auf normativ-vorschreibende Konklusionen. Durch logische Schlüsse kann nur das entfaltet werden, was in den Voraussetzungen enthalten ist, es kann jedoch kein völlig neues Bedeutungselement abgeleitet werden.

 

Solche Fehlschlüsse nehmen ihren Weg gewöhnlich über Begriffe, die sowohl eine beschreibende Bedeutung, als auch eine vorschreibende Bedeutung haben wie z. B. die Begriffe "Ziel", "Zweck", "Bestimmung", "Funktion", "Natur", "Wesen" oder "Gesetz". Nach dem Muster: "Die Funktion der Sexualität ist die Fortpflanzung. Also ist sexuelle Selbstbefriedigung, die diese Funktion nicht erfüllt, abzulehnen."

 

Folgt daraus, dass man keine Normen gewinnen kann, ohne Fehlschlüsse zu begehen?

 

Nein, denn das normative Element muss ja nicht aus dem Hut der faktischen Aussagen gezaubert werden, normative Elemente ergeben sich logisch völlig unbedenklich aus Willensäußerungen.

 

Ein Beispiel hierfür: Jemand ist müde und will ein wenig schlafen. Er sagt zu seinen Mitbewohnern: "Ich will mich eine halbe Stunde schlafen legen. Seid deshalb etwas leise!"

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Das voluntative Verhältnis zur Welt

Man kann praktische Fragen nach handlungsanleitenden Regeln oder Normen auch dann stellen, wenn man Aussagen über die gegenständliche Welt und den Vollzug dieser Aussagen durch das erkennende Subjekt nicht auf verschiedene ontologische Stufen stellt.

 

Das "spezifisch menschliche In-der-Welt-sein" ist meines Erachtens das moralische, politische oder methodologische Fragen, aus dem sich dann die spezifisch menschlichen Kategorien wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Verbindlichkeit, Verantwortung, Schuld, oder Vergebung ergeben.

 

Zwar können wir diese Fragen nicht "in der Wirklichkeit unterbringen" als dem nur "Da-Seienden", das wir als das Gegebene wahrnehmen und erforschen können, nach dessen Existenz und Beschaffenheit wir fragen können. Wir können diese Fragen auch nicht im Bereich der technischen Machbarkeit "unterbringen", da deren Zwecke beliebig sind.

 

Aber wir haben ja nicht nur ein betrachtendes, "kontemplatives" oder technisches Verhältnis zur Welt, wir haben auch ein wollendes, "voluntatives" Verhältnis zur Welt. Auch wenn alle Fragen nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit und nach ihrer technischen Gestaltbarkeit gestellt und beantwortet wurden, bleiben die Fragen: "Was will ich?" und "Was wollen wir gemeinsam?"

 

Das heißt: Neben den Fragestellungen der Naturwissenschaften (genauer: der Erfahrungswissenschaften) "Was ist?" "Was war?" "Was wird sein?" "Wie ist es?" "Warum ist es?" "Warum ist es so, wie es ist?" ) bleiben berechtigte und wichtige Fragen normativer Art: "Wie soll ich mich entscheiden und handeln?" (Individualethik), "Wie sollen wir uns entscheiden und handeln?" (Sozialethik, Politik), "Wie soll man argumentieren?" (Methodologie des Erkennens).

 

Diese Fragen lassen sich nur teilweise durch erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse beantworten.

 

Meiner Meinung nach ist es eine vorrangige Aufgabe der Philosophie, die Kriterien für eine rationale, intersubjektiv nachvollziehbare Beantwortung dieser Fragen herauszuarbeiten.

 

"Wie lassen sich Fragen zur Beschaffenheit der Wirklichkeit möglichst allgemeingültig, d. h. durch wahre Aussagen, beantworten? Was sind hierfür geeignete Argumente und was sind hierfür ungeeignete Argumente?"

 

Selbstverständlich gibt es für die individualethischen, die politischen oder methodologischen Frage bereits geltende Regeln bzw. Normen, gewissermaßen die fortwirkenden Antworten früherer Generationen auf diese normativen Fragen. Diese faktisch geltenden Regeln und Normen sind psychische und soziale Realitäten und lassen sich als solche erfahrungswissenschaftlich bzw. hermeneutisch erforschen, so wie das in der Psychologie, Soziologie, Ethnologie oder in den Geschichts- und Sprachwissenschaften ja auch getan wird.

 

Aber die Antworten früherer Generationen müssen nicht die richtigen Antworten auf die Fragen sein, vor denen wir hier und heute stehen.

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Eine intersubjektiv nachvollziehbar begründete Moral (er)finden

Der Grund, warum es nötig ist, eine allgemein konsensfähige Moral zu (er)finden, liegt darin, dass es tatsächlich keinen allgemeinen Konsens in moralischen Fragen gibt. Und wo es in manchen Normen eine Übereinstimmung gibt, da ist sie zerbrechlich, weil sie auf unterschiedlichen Begründungen der betreffenden Normen beruht.

 

Ich denke nicht, dass wir mit der Konstruktion einer allgemein konsensfähigen Moral beim Punkt Null anfangen müssen, sondern dass sich sehr viele hierfür brauchbare Bauelemente in der Moralphilosophie finden lassen.

 

Aber es wurde in der Ethik meines Wissens bisher noch niemals konsequent von dem methodischen Prinzip  ausgegangen, dass nur intersubjektiv nachvollziehbare und konsensfähige Argumente zugelassen werden. Deshalb müssen wir versuchen, fehlende Bauelemente einer solchen Moral notfalls selber zu erfinden. Wieweit dies gelingt, ist offen und hängt nicht zuletzt davon ab, wieviel kreative Intelligenz dabei zum Einsatz kommt.

 

Ich meine, dass wir alle Normen, die mit einem Anspruch auf allgemeine Befolgung verbunden werden, auf ihre Konsensfähigkeit überprüfen müssen, und dass uns davon auch keine Tabus abhalten sollten. Was nicht heißt, dass man nicht sorgfältig fragen sollte, welcher vielleicht verschüttete Sinn in überkommenen Regeln und Bräuchen verborgen ist. Denn dass bestimmte Regeln in einer Gesellschaft allgemeine Geltung erlangt haben, kommt ja nicht von ungefähr.

 

In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, den schillernden Begriff der "Geltung" näher zu klären. Ich schlage vor, eine deutliche Unterscheidung zu machen zwischen der "faktischen Geltung" einer Norm (die Norm gilt insofern, als sie tatsächlich weithin befolgt wird und Nichtbefolgung sanktioniert wird) und der "berechtigten Geltung", für die ich den Begriff der "Gültigkeit" reservieren möchte. "Gültig" in diesem Sinne ist eine Norm, wenn es Argumente gibt, warum man sie befolgen sollte. 

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zum Anfang

Erlaubt ist, was niemandem schadet

Wenn alle Menschen eigenes Leid vermeiden wollen und ihr eigenes Glück anstreben, so könnte das ethische Prinzip allgemein akzeptabel sein, dass jeder sein eigenes Glück anstreben darf, sofern damit nicht einem andern Leid zugefügt wird. Anders ausgedrückt: "Es sind alle Handlungen erlaubt, die keinem andern schaden". 

 

Dies scheint mir ein allgemein akzeptables ethisches Prinzip zu sein. Es setzt allerdings voraus, dass man sich darüber einigen kann, was unter "Leid" oder "Schaden" zu verstehen ist. Nur dann kann man ja diejenigen Handlungen bestimmen, die keinem anderen Leid zufügen bzw. keinem andern schaden.

 

Es wäre  jedoch falsch, wenn man das Prinzip dahin gehend erweitern würde zu sagen: "Alle Handlungen, die anderen Leid zufügen, sind nicht erlaubt." Häufig treten Situationen auf, in denen man es nicht allen recht machen kann und irgendeinem  wehtut, egal wie man sich entscheidet. Hier käme man nur weiter, wenn man statt zu fragen: "Wird einem andern Leid zugefügt?" fragt: "Bei welcher Handlungsalternative ist das Leid aller Betroffenen am geringsten?"

 

Um dies Prinzip anwenden zu können, müsste man sich jedoch nicht nur darüber einig sein, was "Leiden" bedeutet, sondern man müsste zusätzlich auch noch das Leid des einen gegen das Leid des andern abwägen können.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob dann nicht auch das erzielte Glück berücksichtigt werden sollte, insofern als z. B. ein sehr großes Glück für den einen das damit verbundene geringe Leid eines andern aufwiegen kann.

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Entscheidungskosten

Wenn man alle kollektiven Entscheidungen per Abstimmung herbeiführen wollte, so wäre der entstehende Aufwand für Informationsbeschaffung, Informationsaustausch und Entscheidungsfindung nicht zu bewältigen. Hinzu kommt, dass sich die Situationen im Zeitverlauf ändern und dass u. U. dadurch die Ergebnisse der Entscheidungsfindung bereits durch die veränderte Situation überholt sind, bevor sie überhaupt vorliegen.

Die Informationsmenge kann durch eine Dezentralisierung der Entscheidungen verringert werden.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen, bei dem einmal individuell und einmal gemeinschaftlich entschieden wird.

 

A. Individuelle Entscheidung

 

4 Individuen haben jeweils 3 individuelle Entscheidungen zwischen jeweils 2 Alternativen zu treffen.

 

Dann muss sich jedes Individuum über die faktische Beschaffenheit von 3 x 2 = 6 Handlungsalternativen informieren und jede der 6 Alternativen gemäß seinem individuellen Interesse bewerten.

 

Es sind also jeweils 6 Informationen mit 6 Bewertungen erforderlich.

 

B. Gemeinschaftliche Entscheidung

 

Nun muss sich jedes Individuum zusätzlich bei den 3 Entscheidungen mit den anderen Individuen beraten und zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen.

Es sind also zusätzlich 3 Beratungen und Einigungen mit anderen nötig.

Dazu muss jedes Individuum auch die Bewertungen der 6 zur Auswahl stehenden Alternativen durch die 3 anderen Individuen kennen.

Es sind also zusätzlich 3 x 6 = 18 Informationen über Bewertungen von Alternativen durch andere nötig.

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Wie ist soziale Koordination möglich?

Die Beantwortung der Frage: "Wie soll ich (in einer bestimmten Situation) handeln?", hängt nicht zuletzt davon ab, wie andere Menschen handeln. Da ich dies - ohne mich mit den andern darüber zu verständigen - nicht mit ausreichender Sicherheit wissen kann, muss ich bei meiner Entscheidung u. U. von der schlechtesten aller denkbaren Möglichkeiten ausgehen, um das Risiko gering zu halten. Das bedeutet: als isolierter Einzelner kann ich die Vorteile aufeinander abgestimmten Handelns nicht nutzen. Stattdessen muss ich ständig mit dem Schlimmsten rechnen, muss entsprechende Vorkehrungen dagegen treffen und muss viele gute Möglichkeiten aus lauter Vorsicht auslassen.

 

Daraus folgt, dass es sinnvoll ist, gleich zu fragen: "Wie soll man (in bestimmten Situationen) handeln?"

 

Durch die Ausrichtung der Fragestellung auf das Handeln aller Beteiligten wird die soziale Koordination jedoch noch nicht erreicht. Denn die Einzelnen können zu unterschiedlichen Antworten kommen, wodurch die angestrebte Koordination wieder verfehlt wird.

Es muss also einen Mechanismus geben, der aus der Menge möglicher Antworten eine bestimmte Antwort auswählt und deren Handlungsnormen als "geltend" auszeichnet. Diese Auswahl kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Sie kann z. B. durch eine ungebrochene soziale oder religiöse Tradition bereits entschieden sein. Sie kann aber auch durch die gesetzgebenden Institutionen eines modernen Staates getroffen werden.

 

Um eine soziale Koordination zu erreichen, ist es weiterhin notwendig, dass die "geltenden" Handlungsnormen allen Beteiligten bekannt sind. Dies kann durch entsprechende Unterrichtung und Information der Individuen erreicht werden, sofern das Normensystem nicht derart umfangreich ist, dass es ein durchschnittliches Individuum mehr im Kopf behalten kann. Dann sind Fachleute erforderlich und abrufbare Datensammlungen zu geltenden Normen.

 

Zum Gelingen der sozialen Koordination ist es schließlich erforderlich, dass die beteiligten Individuen hinreichend motiviert sind, die geltenden Handlungsnormen auch zu beachten. Dies kann durch Verinnerlichung der Normen im Sozialisationsprozess und durch die Sanktionierung der Normen erreicht werden.

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Zeitbestimmung

Zeitbestimmungen wie "vergangen", "jetzt" und "zukünftig" beziehen sich auf die sich verändernde Wirklichkeit und ordnen die einzelnen Ereignisse entsprechend ihrem Nacheinander auf einer Zeitachse.

Durch Bezug auf sich wiederholende Abläufe (z. B. die Erdrotation) kann man den Abstand zwischen den Ereignissen auch in Zeiteinheiten (z. B. Tagen) messen. Die Frage "Wann war dies Ereignis?" kann man dann durch den Platz auf dieser Zeitachse angeben. Dabei kann die Zeitachse gedanklich in die Zukunft verlängert werden, um zukünftige Ereignisse und Handlungen in ihrer möglichen bzw. gewollten Abfolge zu bestimmen.

 

Dass nicht alles so bleibt, wie es ist, sondern dass Veränderungen stattfinden, ist erfahrbar. Man muss Veränderungen wohl schon deshalb voraussetzen, weil jedes Denken selbst mit Veränderung verbunden ist.

 

Nur die gegenwärtigen Ereignisse - bzw. die gegenwärtigen Folgen vergangener Ereignisse - werden über unsere Sinne wahrgenommen, vergangene Ereignisse muss man erinnern, zukünftige Ereignisse muss man vorhersagen bzw. sich vorstellen.

 

Zeitbestimmungen sind insofern intersubjektiv nachvollziehbar, als von den verschiedenen Individuen vom gleichen Ort aus dieselben Ereignisse als "gegenwärtig" wahrgenommen werden, so dass auf eine intersubjektiv geltende Zeitachse Bezug genommen werden kann und eine zeitliche Koordination von Handlungen der Individuen  möglich ist.

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Überlebensfähigkeit von Gesellschaftsordnungen

Einmal angenommen, die Menschen lebten in verschiedenen Staaten (Gesellschaften) mit unterschiedlichen sozialen Ordnungen, die miteinander um die wechselseitige militärische Überlegenheit kämpfen. Weiter sei angenommen, dass die Organisationsform der jeweils unterlegenen Gesellschaft untergeht und dass sich die Organisationsform der siegreichen Gesellschaft durchsetzt.

 

Dann schrumpft die Frage, wie eine Gesellschaft organisiert werden soll, auf die Frage zusammen, wie eine Gesellschaft organisiert werden soll, damit sie den anderen Gesellschaften militärisch überlegen ist. Denn nur die Organisationsform der überlegenen Gesellschaft besteht fort. Alle andern sozialen Ordnungen landen im Mülleimer (oder meinetwegen auch im Museum) der Menschheitsgeschichte.

 

Wenn man die historische Entstehung sozialer Ordnungen zu rekonstruieren versucht als gemeinsames Interesse aller an der Überwindung des "Naturzustandes", so steht dagegen, dass die reale Entwicklungsgeschichte der Menschheit durch immer wieder auftretender Kriege zwischen diesen Gesellschaften geprägt wurde. d. h. "bessere" soziale Regelungen haben sich nicht deshalb durchgesetzt, weil die beteiligten Individuen dies eingesehen haben, sondern weil sich bestimmte soziale Ordnungen im militärischen Kampf als überlegen erwiesen haben und die konkurrierenden sozialen Strukturen zerstört haben.

 

Die im Kampf überlegenen Kulturen waren nicht immer die nach heutigem Verständnis kulturell weiter entwickelten, jedoch besteht sicherlich ein enger statistischer Zusammenhang zwischen der Kampfesstärke einer Gesellschaft und dem Entwicklungsgrad ihrer Technik in Bezug auf Produktion, Vorratshaltung, Kommunikation, oder Organisation. Eine Ausnahme bilden vielleicht die Mongolen, deren Stärke vor allem auf ihrer speziellen Waffe "Reiterheer" beruhte, ohne dass ihre übrige Kultur besonders entwickelt war. Allerdings hatten sie auch ein spezielles Lehensystem, das die Einbeziehung auch der unterworfenen Völker in die Kriegführung bewirkte. Wie war das bei der Eroberung Roms durch die Ostgoten?

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Das Fehlen einer internationalen Rechtsordnung und die Folgen

Wenn die Individuen in Staaten leben, die "souverän" sind und keine globale  Rechtsordnung existiert, so entscheidet letztlich die militärische Stärke über das Schicksal der Kollektive und damit der einzelnen. Es setzen sich diejenigen Kollektive mit ihren sozialen Ordnungen durch, die militärisch überlegen sind. Diese Überlegenheit muss nicht aus der militärischen Stärke des einzelnen Staates entstehen, sondern kann auf einem Bündnis mit anderen beruhen. (Allerdings bedeutet das Bündnis eine gewisse Aufgabe der Souveränität gemäß dem Bündnisvertrag).

 

Wenn die Fortpflanzung des Einzelnen in die Zukunft (Kinder und Kindeskinder) wichtig ist und wenn diese von dem Fortbestand des jeweiligen Staates abhängt, so hat die Stärkung des jeweiligen Staates eine hohe Priorität. Damit verliert der Gesichtspunkt des Nutzens für das Individuum an Gewicht. Dies ist eine gewisse Rechtfertigung für die traditionelle Hochschätzung von Patriotismus und Nationalismus.

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Ausnahmezustand

Ausnahmezustand, Notstand, Krieg: hier gelten andere Regeln. Warum? Man spricht auch von "Schönwetterregeln", die bei einer Verschärfung von Gefahren fallengelassen werden. Man kann sich bestimmte Rücksichtnahmen und langwierige Entscheidungsverfahren nicht mehr leisten.

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zum Anfang

Arten des Eigenen

Mein Arm, mein Denken. Mein Leben. Das Recht, über den eigenen Körper zu verfügen, ist der Kern des Eigentums.

 

Dann weiten sich die Kreise: mein Kind, meine Familie, mein Garten, meiner Hände Arbeit und deren Produkt, mein Werk, meine Idee, meine Erfindung, mein Haus, mein Gebiet, meine Sprache, meine Heimat, mein Land, meine Stadt, mein Staat, meine Weltanschauung, mein Vermögen, mein Geld, mein Unternehmen. 

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Gleichheit

Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten. Welche Auswirkungen hat das auf die Stellung der Individuen in der Gesellschaft?

 

Angenommen Individuum A ist ein hervorragender Arzt. Er ist allen eine wichtige Hilfe. Damit erhält er für alle Individuen einen Wert, den andere Individuen nicht haben. z. B. wäre es im Interesse aller, dass A am Leben bleibt und dass er von Aufgaben verschont wird, die entweder sein Leben gefährden oder die ihn an der Ausübung seiner Heiltätigkeit hindern.

 

Damit erhält A eine bevorzugte Stellung und zwar ohne dass A selber seine Fähigkeit als Druckmittel eingesetzt hat.

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Falsche Schuldgefühle

Manche Menschen tragen zu Unrecht eine schwere Schuld mit sich herum. Sie machen sich verantwortlich für ein großes Unglück, das anderen  durch ihr Mitwirken zugestoßen ist, wobei sie jedoch nicht wissen konnten, dass es zu dem Unglück kommt.

 

Ein Beispiel hierfür ist die Frau, die ihren Mann bittet, einen früheren Flug zu nehmen, und gerade dies Flugzeug stürzt ab. Es geht nicht aus ihrem Kopf, dass ihr Mann noch leben würde, wenn sie ihn nicht gebeten hätte, früher nach Hause zu kommen.

 

Bei rationaler Betrachtung ist ihr nichts vorzuwerfen. Der Absturz des Flugzeugs steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit ihrer Bitte. Genau so gut hätte es umgekehrt sein können, dass das planmäßige Flugzeug abstürzt und ihre Bitte ihm das Leben rettet. Niemand konnte wissen oder auch nur ahnen, dass es zu einem Flugzeugabsturz kommt.

 

Das Schuldgefühl der Frau entspringt aber einem tief sitzendem magischem Schicksalsglauben. Danach ist alles Geschehen Ergebnis des Handelns höherer Mächte, die unser Schicksal nach unserem Verhalten bestimmen. Unglück ist eine "Strafe des Schicksals". Jedem Unglück muss deshalb eine Schuld zugrunde liegen.

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Das Eigeninteresse als Motor für die Durchsetzung des Vernünftigen

Ich bin mal Optimist und sage: Die menschliche Vernunft, also die Fähigkeit, durch Denken und Argumentieren zu einer dauerhaften gemeinsamen Position zu kommen, kann das allgemeine Wahre und Gute in den meisten Fällen hinreichend genau bestimmen – wenn wir uns darum bemühen.

 

Die Einsicht in das Vernünftige erzeugt jedoch nicht immer die Motivation, das Vernünftige auch zu tun. Ich kann einsehen, dass die allgemeine Einhaltung einer bestimmten Norm das für alle gemeinsam Beste ist. Trotzdem kann mein Eigeninteresse in einer konkreten Situation stärker sein als meine vernünftige Einsicht.

 

Das Wohlergehen der eigenen Person, der eigenen Familie, des eigenen Volkes erzeugt im Menschen wohl die stärksten Antriebe.

 

Deshalb muss das Vernünftige manchmal auf Umwegen über das Eigeninteresse verwirklicht werden.

 

Im pädagogischen Bereich durch Lob und Tadel.

 

Im rechtlichen Bereich durch Androhung von Strafe.

 

In der Marktwirtschaft wird durch Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit die Verfolgung der eigenen Interessen freigesetzt und es werden starke Motive zum Produzieren, Investieren und geschäftlichen Handeln geschaffen. Durch die Konkurrenz unter den Produzenten und Konsumenten wird dafür gesorgt, dass die Güter in eine effiziente Verwendung gelenkt werden. Durch die Konstruktion der Institutionen führt das eigeninteressierte Handeln der Einzelnen letztlich zu einem "vernünftigen" Einsatz der wirtschaftlichen Güter. Ungelöst ist dabei allerdings das Problem, dass in der Marktwirtschaft die Reichen immer reicher werden.

 

Auch in der parlamentarischen Demokratie wirkt eine solche "invisible hand". Die Wähler können durch die gleiche geheime Wahl ihre eigenen Interessen verfolgen. Durch das Wirken des Mehrheitsprinzips setzt sich dabei dennoch eine vorhandene Mehrheits-Alternative durch. Dies ist diejenige Alternative, die bei paarweisen Abstimmungen jede andere Alternative besiegen würde.

 

Vernunft kann also auch in den sozialen Institutionen stecken.

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Aufgabe

Angesichts des rapiden Autoritätsverlustes tradierter Orientierungen kommt dem vernünftigen Denken die Aufgabe zu, zu verhindern, dass nicht problematische Weltbilder das entstandene geistige Vakuum füllen.

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Woran erkennt man Träume?

Wenn ich eben noch ein kleiner Junge war und jetzt hier als erwachsener Mann sitze, so muss ich das wohl geträumt haben. Wenn ich eben noch in Hannover bei meiner Mutter war und jetzt hier in Berlin bin, dann muss ich das wohl geträumt haben. Wenn eben ein Kollege aus der Uni mit meinem Nachbarn gesprochen hat, so muss ich das wohl geträumt haben. Längst verstorbene Personen werden wieder lebendig.

 

In Träumen ist etwas möglich, was real nicht möglich ist.

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Legitimierte Gewalt

 

Wenn man einer Gruppe oder Gesellschaft eine neue Ordnung geben will, dann kann man diese Ordnung der betreffenden Gesellschaft gewaltsam aufzwingen, falls man die erforderlichen Machtmittel dazu hat.

 

Das ist etwas anderes, als wenn die Mitglieder gemeinsam nach einer Ordnung suchen, die für alle gemeinsam akzeptabel ist.

 

Insofern unterscheidet sich eine gewaltsame Ordnung von einer vernünftigen Ordnung.

 

Das heißt jedoch nicht, dass eine vernünftige Ordnung ohne die Anwendung von Gewalt auskommt. Wenn die Einhaltung der vernünftigen Normen notfalls mit Gewalt erzwungen werden muss, weil das Eigeninteresse ein stärkeres Motiv sein kann als die vernünftige Einsicht, dann handelt es sich um eine durch Konsens legitimierte Gewalt. Notwehr gegenüber einem Verbrecher, der mich umbringen will, ist ein Beispiel für diese Gewalt.

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Unterscheidung Verhalten - Handlung

Man spricht in der Umgangssprache von:

 

gewohnheitsmäßigen Handlungen, Affekthandlungen, wohlüberlegtem, koordiniertem, geplantem, kriminellem, erfolgreichem, beispielhaftem, unmoralischem, sinnlosem, klugem, erprobtem, eingespieltem, spontanem, rituellem, entschiedenem, entschlossenem, zögerlichem oder rücksichtslosem Handeln.

 

Was es wohl nicht gibt, ist ein reflexhaftes oder unwillkürliches oder automatisches Handeln. Oder? Wenn der Neurologe die Reflexe prüft und mein Bein schnellt beim Schlag mit dem Hämmerchen auf das Knie nach vorn, so war das wohl keine Handlung von mir.

 

Ob es ein unbewusstes Handeln gibt, ist mir ebenfalls nicht ganz klar. Es gibt ja die Freudschen Fehlleistungen insbesondere die Freudschen Versprecher. Angela Merkel hat sich so einen Versprecher vor der Wahl im Bundestag geleistet, wo sie anstatt FDP zu sagen SPD sagte. Ihr Unbewusstes spielte ihr damit einen Streich und verriet die von ihr insgeheim anvisierte große Koalition.

 

War ihr Versprecher eine unbewusste Handlung?

 

Das hängt wohl davon ab, welche Persönlichkeitstheorie man vertritt. Wer nach Freud eine unbewusste Instanz wie das Es in der Persönlichkeit annimmt, wird auch die Möglichkeit unbewusster Handlungen annehmen. Ein Beispiel sind hypnotische Befehle, die das Medium noch nach dem Erwachen aus der Hypnose ausführt.

 

Ähnlich sieht es wohl mit den instinktiven und den intuitiven Handlungen aus.

 

Wenn als "Handlungen" alle Verhaltensweisen bezeichnet werden, die der Betreffende normalerweise steuern kann, so kann es wohl auch instinktive und intuitive Handlungen geben.

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Sozialethik als Voraussetzung der Individualethik: Institutionelle Normen

Die individualethische Frage "Was soll ich (man) tun?" setzt die Beantwortung von sozialethischen Fragen ("Welche Normen sollen gelten?" "Welche Verfahren zur Setzung von verbindlichen Normen sollen in welchen Bereichen angewandt werden?") voraus.

 

Wenn jemand fragt: "Soll ich die Handlung x tun?", so wird man zur Beantwortung dieser Frage zuerst danach sehen, wie die rechtlichen Normen hierfür sind. Wenn x durch die Rechtsordnung verboten wird, so ist dies erstmal ein wichtiges Argument dafür, x nicht zu tun.

 

Ganz deutlich wird dies bei der Frage, ob man stehlen darf. Wenn ich diese Frage beantworten will, muss ich mich zuvor mit der geltenden Eigentumsordnung befassen, denn sie definiert, was Diebstahl ist.

 

Demnach wäre die Individualethik der Sozialethik, also der normativen politischen und ökonomischen Philosophie, nachgeordnet. Liege ich da richtig? Wenn ja, so wird in der gegenwärtigen Situation das Pferd oft vom Schwanze her aufgezäumt.

 

Worauf ich hinweisen will, ist der Umstand, dass man die Frage: "Soll man in dieser Situation x tun?" häufig nicht beantworten kann, ohne zuvor über Normen entschieden zu haben, die durch soziale Institutionen gesetzt wurden.

 

Ein Beispiel: Ich bin freiwillig einem philosophischen Internet-Diskussionskreis beigetreten. Für diesen Kreis sind bestimmte Regeln des Verhaltens verbindlich, die von den Initiatoren der Website gesetzt wurden. Dazu gehört die Norm: "Kein Diskussionsteilnehmer soll einen anderen persönlich angreifen".

 

Wenn ich jetzt vor der Frage stehe, ob ich einen Kontrahenten als "beschränkt" bezeichnen darf, dann kann ich diese Frage nicht beantworten, wenn ich nicht zuvor die Frage beantwortet habe, ob die Initiatoren einer Website das Recht haben sollten, für ihre Website derartige Regeln aufzustellen. Letztere Frage bezeichne ich als sozialethische Frage, während ich die Frage: "Darf man seinen Kontrahenten als 'beschränkt’ bezeichnen?" als eine individualethische Frage bezeichne

Um die Sache noch etwas zuzuspitzen: Ich habe den Eindruck, dass die Plausibilität der Pflichtethik vor allem dadurch hervorgerufen wird, dass die Anerkennung bestimmter normsetzende Institutionen stillschweigend vorausgesetzt wird.

 

"Man soll Versprechen bzw. Verträge einhalten"

"Man soll Mehrheitsentscheidungen respektieren"

"Man soll nicht stehlen"

"Man soll geliehene Sachen zurückgeben"

"Man soll die Rechtsordnung respektieren"

"Man soll fremdes Eigentum schonend behandeln"

"Man soll vor Gericht die Wahrheit sagen"

"Man soll nicht fremdgehen"

usw.

All diese individualethischen Normen setzen eine anerkannte normierende soziale Institution voraus: das Versprechen, die Vereinigung, das Privateigentum, den Staat, die Ehe usw. Ohne dass man zuvor diese gerechtfertigt hat, kann man deshalb auch nicht die Normen für das individuelle Handeln diskutieren.

 

Wir modernen Menschen leben mit der möglichen Diskrepanz zwischen sozialen Institutionen und individuellen Überzeugungen. Und wir wissen auch, dass kein politisches Entscheidungsverfahren die inhaltliche Richtigkeit der getroffenen Entscheidungen garantieren kann. (Das müssen die Anhänger eines Gottesstaates noch lernen.)

 

Wenn ich mich mit der moralischen Rechtfertigung und Kritik einzelner indivdidueller Handlungen befasse, stoße ich früher oder später auf bestehende soziale Regelungen, deren Bestehen oder Nichtbestehen bei der moralischen Beurteilung der einzelnen Handlung berücksichtigt werden muss.

 

Deshalb kann man strenggenommen keine isolierte Individualethik betreiben.

 

Wenn man auf der Ebene des individuellen Handelns sagt: "Man soll Versprechen halten", so setzt das die soziale Institution "Versprechen abgeben" voraus. Damit treten Fragen auf wie: Unter welchen Bedingungen besitzt ein Versprechen eine verpflichtende Kraft? Wann ist es unwirksam oder nichtig? etc.

 

Diese normativen Fragen nach den sozialen Institutionen und ihrer Gestaltung fallen aus dem Verständnis von "Ethik" etwa als Schulfach weitgehend heraus. Ein Fach "Ethik", das nicht auch den Sinn der Rechtsordnung behandelt, ist jedoch mangelhaft.

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 Fragestellung der normativen Ethik

Wenn Erkenntnis die richtige Beantwortung unserer Fragen ist, und die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen bestimmte Bereiche von Fragen bearbeiten, für welche Fragen ist dann die normative Ethik zuständig?

 

Ist es die Frage: "Was soll ich tun?"

 

So allgemein wohl nicht, denn die Frage "Was soll ich tun?" stellt sich auch, wenn ich zwei Möglichkeiten habe, mein Ziel zu erreichen (mit der Bahn oder mit dem Flugzeug).

 

Wenn die beiden Alternativen gleichwertig wären, brauchte ich mir keine Gedanken darüber zu machen. Aber wenn die Alternativen in Bezug auf meine Ziele nicht gleichwertig sind, kann ich etwas falsch machen und die falsche Alternative wählen. Angenommen, die Fahrt mit der Bahn ist teurer, anstrengender und dauert länger, so werde ich rückblickend sagen: "Es war ein Fehler mit der Bahn zu fahren."

 

Aber die Entscheidung war offenbar keine moralische Entscheidung im engeren Sinne, ihre Beantwortung fällt nicht in das Gebiet der normativen Ethik sondern gehört zu den Fragen, die die Theorie der rationalen Entscheidung beantwortet.

 

Warum ist die Frage "Bahnfahrt oder Flug" nicht moralisch? Ist sie nicht moralisch, weil ich die Entscheidung nur vor mir selber zu rechtfertigen habe? Die Entscheidung, welches Verkehrsmittel ich benutze ist in unserer sozialen Ordnung von moralischen Vorschriften freigestellt. Ich kann als Eigentümer über mein Geld frei verfügen und habe Vertragsfreiheit hinsichtlich der Auswahl eines Beförderungsvertrages.

 

Aber wie ist das mit einem Menschen, der eigene moralische Maßstäbe besitzt und an sich selbst bestimmte moralische Anforderungen stellt, die von der geltenden Moral nicht verlangt werden? Ich denke da z. B. an Albert Schweitzer. Ob er nach Afrika geht oder nicht, hat er ebenfalls nur vor sich selber zu verantworten. Trotzdem ist es wohl eine moralische Frage. Die Gesellschaft schreibt eine solche extreme Selbstaufopferung nicht vor, jedoch wird diese Entscheidung moralisch sehr positiv bewertet.

 

Wie man am Beispiel Albert Schweitzer sieht, kann die Frage "Was soll ich tun?" je nach der Person, die sich diese Frage stellt, zu unterschiedlichen Antworten führen.

 

Ist die Frage, die sich die normative Ethik stellt, dann vielleicht die Frage: "Was soll man tun bzw. unterlassen?" Die Antworten auf diese Frage wären hier für alle die gleichen.

 

Aber gibt auf diese Frage nicht die Rechtstheorie bereits eine Antwort? Man soll die geltenden Gesetze befolgen. Wo ist da Platz für eine normative Ethik? Vielleicht ist die normative Ethik dort zuständig, wo eine rechtliche Regelung fehlt? Oder fragt die normative Ethik, ob man die Gesetze befolgen soll?

Du hast recht, wenn du sagst, dass auch mein Beispiel "Soll ich mit dem Flugzeug oder mit der Bahn reisen?" eine moralische Dimension hat durch die unterschiedlich starke Schädigung der Atmosphäre und den damit verbundenen Folgewirkungen auf zukünftige Generationen.

 

Wenn nicht nur meine Interessen sondern auch die Interessen anderer Menschen durch mein Verhalten tangiert werden und wenn nach einer gemeinsamen Antwort gesucht wird auf die Frage: "Wie soll ich in dieser Entscheidungssituation handeln?" so bekommt die Frage offenbar einen moralischen Bezug

Deiner Meinung nach ist die Moral eine sehr subjektive Einstellung. Für mich stellt sich das anders dar. Eine Moral, die nur eine subjektive Einstellung bildet, kann keine Konflikte zwischen den Subjekten lösen.

 

Um trotz bestehender Konflikte die Vorteile der sozialen Koordination und Kooperation nutzen zu können, bedarf es einer Moral in Form gemeinsamer Antworten auf die Frage, wie man sich in Entscheidungssituationen verhalten soll, wo nicht nur die eigenen Interessen sondern auch die Interessen anderer von der Entscheidung berührt werden.

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Utilitarismus - Anwendung

Der Utilitarismus, wie ihn z. B. Jeremy Bentham versteht, fordert, dass man die Gesellschaft so organisieren soll, dass der größte Nutzen für alle gemeinsam entsteht. Dabei setzt sich der Gesamtnutzen aus den Nutzen für die einzelnen Menschen zusammen. (Man darf den Begriff des "Nutzens", engl. utility, nicht zu eng verstehen sondern eher im Sinne von "Wohlergehen" und "Gemeinwohl". Ein schöner Park ist nicht nützlich aber er besitzt utility im Sinne des Utilitarismus.)

 

Das utilitaristische Kalkül wird also bei Bentham nicht direkt auf das individuelle Handeln angewandt, sondern auf soziale Regelungen oder Institutionen wie z. B. das Eigentumsrecht, die Vertragsfreiheit, das staatliche Recht und den Strafvollzug, das allgemeine gleiche Wahlrecht, die parlamentarische Demokratie u. a. m.

 

Dabei kommt es darauf an, die Gesellschaft so einzurichten, dass es für den Einzelnen vorteilhaft ist, so zu handeln, dass das allgemeine Wohl gefördert wird, während ein sozial schädliches Verhalten mit Nachteilen verbunden sein muss.

 

Nach utilitaristischen Grundsätzen ist es also falsch, wenn jemand, der nützliche Arbeit leistet, ein geringeres Einkommen hat, als wenn er die Anstellung kündigt und von der staatlichen Unterstützung lebt.

 

Ebenso ist es falsch, wenn diejenigen, die Kinder haben und großziehen (was für das Fortbestehen einer Gesellschaft äußerst wichtig ist), dadurch große Nachteile in Kauf nehmen müssen, sodass die Kinderlosigkeit für die Einzelnen vorteilhaft ist.

 

Eine Rechtsnorm ist nach utilitaristischen Grundsätzen z. B. dann falsch, wenn ihre Einhaltung nicht überwacht und durch wirksame Strafandrohung durchgesetzt wird. Denn dann lohnt sich eine Verletzung der Norm, weil das Risiko, erwischt zu werden, gering ist und die Strafe nicht sehr weh tut (siehe Steuerrecht).

 

Wenn jemand durch Nichtbeachtung des Baurechts 200.000 € gewinnt aber als Strafe nur 20.000 € zahlen muss, dann sind die falschen Anreize gesetzt.

 

Wenn durch eine bessere Straßenbeleuchtung, die jährlich 50.000 € kostet, jedes Jahr durchschnittlich 3 Unfälle mit durchschnittlich 50.000 € allein an finanziellen Kosten vermieden werden können, so sollte man die Beleuchtung nach utilitaristischen Grundsätzen anbringen,

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"Körperwelten" – ethische Bewertung

" Körperwelten" ist eine Ausstellung plastifizierter vorwiegend menschlicher Körper.

 

Ich setze einmal voraus, dass der Besuch der Ausstellung für die Besucher nicht langfristig schädlich ist.

 

Unter dieser Bedingung ist die utilitaristische Position eindeutig.

 

Der Besuch der Ausstellung ist freiwillig. Die Besucher sind bereit, ein nicht unerhebliches Eintrittsgeld zu zahlen. Das heißt, dass der Besuch der Ausstellung von den Besuchern positiv bewertet (präferiert) wird.

 

Abgesehen von denjenigen, die von der Ausstellung in ihren Erwartungen enttäuscht wurden und sagen: "Die Ausstellung war das Geld nicht wert" (das trifft wohl nur auf eine Minderheit zu) hatte der Besuch der Ausstellung für die Besucher einen positiven Wert (Nutzen). Da viele Tausende die Ausstellung besucht haben, ist der durch die Ausstellung geschaffene Nutzen nicht unerheblich.

 

Da niemand gezwungen wird, die Ausstellung zu besuchen, übt die Ausstellung auch keine schädliche Wirkung auf Nicht-Besucher aus, die durch den Anblick der plastifizierten Körper negativ berührt würden.

 

Nach utilitaristischen Gesichtspunkten bedeutet eine Sache, die niemandem schadet aber mindestens einem Menschen nützt, eine Steigerung des allgemeinen Wohls.

 

Dies ist die liberale Position, wie sie von Utilitaristen wie Bentham und John Stuart Mill vertreten wurde.

 

In den Verfassungen wird dies gewöhnlich durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (the pursuit of happiness) abgedeckt.

 

Die Frage ist, ob die Besucher der Ausstellung etwas wollen, was ihnen selbst langfristig schadet (Leichenschau, Gruselkabinett). Diese Frage kann der Utilitarismus jedoch nicht beantworten, sondern ist eine Frage der Psychologie. Sie stellt sich für Kinder und Heranwachsende noch einmal anders als für Erwachsene.

 

Eine weitere Frage ist, ob durch die Ausstellung wichtige soziale Institutionen und sozial notwendige Wertorientierungen (Respekt vor den Toten, Ehrfurcht vor dem Tod, Schamgrenzen) beschädigt werden. Auch hier ist die Fachwissenschaft gefragt - vielleicht aber auch überfragt.

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Solange etwas gewollt wird, solange wird auch etwas gesollt

Das Sollen ist in dieser Welt, solange es Wesen gibt, die etwas wollen. Denn das Wollen des einen enthält das Sollen des andern. ("Ich will schlafen", d.h.: "Du sollst mich nicht im Schlaf stören". "Ich will frei sein", d.h.: "Du sollst mich los lassen")

 

Dass das Wort "Norm" auch in anderen, manchmal unbeliebten Zusammenhängen auftaucht wie "Arbeitsnorm" oder "DIN-Norm" sollte kein ernsthaftes Argument sein gegen das Wort "Norm" sein.

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Wollen und Sollen ist situationsabhängig

Alles Wollen ist jedoch bedingt durch die Umstände, ist situationsabhängig. Insofern, als keine Situation der andern gleicht und wir die zukünftigen Situationen des Handelns nicht wissen können, ist jede Verallgemeinerung einer Norm auf alle Situationen einer bestimmten Art oder auf jede beliebige Situation problematisch und irgendwann auch verkehrt.

 

Allerdings geht es ohne Verallgemeinerung auch bei den Normen nicht. Die Zahl der Normen würde rasch unüberschaubar werden, wenn man nicht Regeln für bestimmte Typen von Situationen formulieren würde.

 

Die Kunst der Normsetzung besteht nicht zuletzt darin, zwischen notwendiger inhaltlicher Differenzierung und verallgemeinernder Zusammenfassung den geeigneten Mittelweg zu finden.

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Klarheit und Verständlichkeit

Wenn ich auf einen philosophischen Text stoße, bei dem ich nicht weiß, auf welche Fragen er eine Antwort geben will und was die benutzten Wörter bedeuten sollen, dann lasse ich mich nur ungern auf eine Diskussion ein. Ich kann einem Satz nicht zustimmen, wenn ich dessen Bedeutung nicht einigermaßen klar erkenne. Nur dann kann ich klären, um was für einer Art von Aussage es sich handelt:

    Sagt der Satz etwas über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt aus?

    Sagt er etwas darüber aus, wie die Welt beschaffen sein sollte?

    Sagt er etwas über die Methoden aus, mit der man Erkenntnisse gewinnen kann? etc. etc.

 

Jede Art der Frage muss auf ihre Art beantwortet werden, jede hat ein besonderes Kriterium der Gültigkeit.

 

Nehmen wir den Satz:

"Das abendländische Denken ist ein ontologisches."

 

Hier wird etwas über das abendländische Denken ausgesagt. Dieser Satz beantwortet offenbar die Frage: Was ist das abendländische Denken?

 

Solche "Was-ist-Fragen" sind mehrdeutig. Hier geht es offenbar um das Wesen des abendländischen Denkens, denn es gibt im Abendland sicher auch nicht-ontologisches Denken. Damit erhalten wir die Aussage: "Das abendländische Denken ist seinem Wesen nach ein ontologisches Denken."

 

Solche Wesensbestimmungen sind jedoch nicht unproblematisch. Je nach dem Zusammenhang und dem Gesichtspunkt, unter dem wir eine Sache betrachten, kann etwas anderes an dieser Sache wesentlich sein. Dies wird deutlich, wenn man das Wort "wesentlich" im Sinne von "wichtig" verwendet.

 

Stellen wir dem Satz:

"Das abendländische Denken ist seinem Wesen nach ein ontologisches Denken"

den Satz gegenüber:

"Das abendländische Denken ist seinem Wesen nach ein rationales Denken".

 

Können beide Sätze richtig sein oder widersprechen sie sich?

Wenn nur einer der Sätze richtig sein kann, was ist dann das Kriterium der Richtigkeit?

 

Eine ähnliche Problematik enthält der Satz: "Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Klassenkämpfe." Auch hier haben wir das so einfache und doch so vertrackte Wörtchen "ist".

 

Ich habe nichts gegen das Wort "ist". Der Satz "Ein Schimmel ist ein Pferd mit weißem Fell" stellt eine völlig korrekte Definition dar. Ich habe allerdings etwas gegen Formulierungen wie: "Die Welt ist Geist" oder "Leben ist Kampf".

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Die persönliche Moral

Die Wir-Perspektive der Moral ergibt sich daraus, dass sie der Lösung von Konflikten dient: A will, dass es so sein soll. B will, dass es nicht so sein soll. Was können A und B am ehesten gemeinsam wollen?

 

Es gibt auch eine ganz persönliche Moral in Form von Forderungen, die ich an mich selber stelle, ohne das Gleiche auch von andern zu verlangen. Markante Beispiele hierfür sind Menschen wie Albert Schweizer.

 

Solche Menschen stellen an sich selbst moralische Ansprüche, die für den durchschnittlichen Menschen eine moralische Überforderung darstellen würden.

 

Ein anderer Punkt, an dem eine ganz persönliche Moral in Erscheinung tritt, ist die Forderung nach Dauerhaftigkeit, nach intertemporaler Stabilität des Wollens ("Was war ich doch damals für ein Idiot!").

 

Es gibt Menschen, die selber ihre schärfsten Kritiker sind, bis hin zum Neurotiker, der von seinen Schuldgefühlen terrorisiert wird.

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Zur kontextabhängigen Bedeutung

Es ist heute gängig zu sagen, dass sich die Bedeutung von Wörtern erst im Kontext ihrer Anwendung zeige.

 

Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass ein Text mit solchen Wörtern eine logische Analyse und Kritik nicht zulässt. Wenn ich einen Text auf immanente Widersprüche hin untersuchen oder logische Schlussfolgerungen daraus ziehen will, dann setzt das eine stabile Bedeutung der benutzten Wörter voraus. Wenn jedoch nicht gilt, dass a = a ist, dann führt eine logische Analyse nur in die Irre.

 

Wenn die Mehrdeutigkeit der Begriffe nicht beseitigt ist, können beide Kontrahenten eines Disputes recht haben, obwohl sie scheinbar Widersprüchliches behaupten.

 

Dies gilt nur für erkenntnisorientierte Diskussionen. Ein lyrisches Gedicht muss nicht logisch sein und muss keine definierten Begriffe verwenden, denn hier erfüllt die Sprache eine andere Funktion.

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Der Fehlschluss vom Sein auf das Sollen

Der Fehlschluss vom Sein auf das Sollen wurde bereits von Hume kritisiert und wird deshalb auch als Humes Gesetz bezeichnet. Gebräuchlicher ist die von Moore geprägte Bezeichnung als "naturalistischer Fehlschluss", womit Moore den speziellen Fehler meinte, der in der Definition von Wertbegriffen durch empirische, also "natürliche" Sachverhalte besteht.

 

Allein aus positiven (= das Gegebene betreffenden) Sätzen kann niemals ein normativer Satz logisch folgen, denn durch logisch gültige Schlüsse kann nur dasjenige aus den Prämissen gefolgert werden, was in diesen bereits enthalten (impliziert) ist, nicht jedoch ein völlig neues Bedeutungselement, wie es ein normativer Satz darstellt. Insofern bewirken die logischen Regeln nur eine tautologische Umformung.

 

Dagegen wird der Satz "Treue ist ein Wert" genannt, der angeblich eine Seins-Aussage macht, die unmittelbar ein Sollen impliziert.

 

Der Satz: "Treue ist ein Wert" ist doppeldeutig.

 

Er kann einmal deskriptiv (beschreibend) verstanden werden. Etwa wenn ein Ethnologe sagt: "In allen untersuchten Stämmen des Amazonas-Gebiete ist Treue ein Wert." Hier muss sich der Sprecher nicht mit dem Wert der Treue identifizieren. Er kann die faktische Geltung eines Wertes in einer bestimmten Gesellschaft feststellen, ohne deshalb diesen Wert selber anerkennen zu müssen.

 

Der Satz "Treue ist ein Wert" kann jedoch auch präskriptiv (vorschreibend) verstanden werden. Etwa wenn jemand sagt: "Wenn Du sein Vertrauen missbrauchst und hinter seinem Rücken mit seinen Gegnern gemeinsame Sache machst, dann kann man Dich nur verachten. Treue ist ein Wert, den man nicht ungestraft missachtet."

Die scheinbare Ableitung des Sollens aus dem Sein entpuppt sich damit als die Ausnutzung einer verdeckten  Doppeldeutigkeit

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Moral in der Sprache?

Sprechen kann man nur, indem man bestimmte Regeln befolgt, etwa was den Satzbau und die Verwendung bestimmter Arten von Wörtern betrifft. Darin stimme ich Dir zu.

 

Daraus folgt jedoch nicht (wie Apel, Kuhlmann u. a. meinen), dass jeder, der spricht, damit bereits bestimmte Werte wie "Verständlichkeit" anerkennt.

 

Man kann auch sprechen mit der Absicht, zu verwirren und nicht verstanden zu werden oder bestimmte Stimmungen zu erzeugen und bestimmte Gefühle zu aktivieren.

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Die Unvermeidbarkeit unscharfer Begriffe

Du schreibst: "Komplexe Begriffe haben keine scharfe Definition. … Wir müssen mit dieser Unschärfe leben."

 

Ich stimme Dir darin insofern zu, dass es bei vielen Begriffen einen unstrittigen Bedeutungskern gibt, der von einer Zone wachsender Unklarheit umgeben ist.

 

Nehmen wir z. B. die Wörter: "rot", "orange" und "gelb". Angenommen, wir haben zahlreiche Tafeln, die mit unterschiedlichen Nuancen aus diesem Farbspektrum bedruckt sind.

 

Wir könnten wahrscheinlich alle diese Tafeln so sortieren, dass eine Tafel umso mehr rechts liegt, je gelber sie ist.

 

Viele Tafeln werden sicherlich von allen Befragten als eindeutig rot, orange oder gelb eingeordnet.

 

Aber da ein fließender Übergang zwischen den Farbnuancen besteht ohne wahrnehmbare Grenze, kommen wir an Tafeln, die die Individuen nicht mehr übereinstimmend als rot oder orange einordnen, sondern wo das eine Individuum die Tafel noch als "rot" bezeichnet, während das andere die Tafel bereits als "orange" ansieht.

 

Das ist im Alltag normalerweise auch kein Problem, wo es z. B. darum geht, ob man die rote Bluse oder die orangefarbene anzieht.

 

Aber wenn es z. B. darauf ankommt, dass eine Wandfläche von einheitlicher Farbe ist, sieht die Sache anders aus. Dann kommt man mit einer Dreiteilung der Farben in "rot", "orange" und "gelb" nicht aus.

 

Doch lässt sich die Begrifflichkeit entsprechend dem Bedarf beliebig präzise definieren. Eine Möglichkeit dazu sind Übersichtstafeln, wo so viele Farbnuancen abgebildet und mit entsprechenden Kennziffern versehen sind, wie es das Unterscheidungsvermögen der Menschen zulässt.

 

Ich mache in meiner Forderung nach einer – dem Kontext angemessenen – Klärung und Präzisierung der Begriffe keinen großen Unterschied zwischen Alltagssprache und wissenschaftlicher Sprache. Entscheidend ist, ob es sich um ein Erkenntnisproblem handelt und gestellte Fragen richtig beantwortet werden sollen. Von den häufig anzutreffenden Doppelexistenzen, die als Philosophen etwas bestreiten, auf das sie sich im Alltag selbstverständlich stützen, halte ich nicht viel.

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Kann man die Realität definieren?

Du sagst: "Begriffe wie 'Bewusstsein', 'Religion' oder 'Realität' kann man nicht genau definieren. Dann müsste man als Definition eine Liste mit Büchern hinzufügen, die dazu geschrieben wurden."

 

Ich bin der Meinung, dass auch ein Begriff wie "Realität" der Erläuterung und Definition bedarf. Allerdings geht es nur um die Definition des Wortes, nicht um eine Beschreibung oder eine Theorie dessen, was als "Realität" bezeichnet wird. Mehrdeutige Fragen wie: "Was ist Realität?" verwischen häufig den Unterschied zwischen Definitionen, die die Verwendung des Wortes regeln, und inhaltlichen Aussagen über die Sache selbst. (Hilfreich ist hier die Konvention, wenn es um die Bezeichnung einer Sache und nicht um die Sache selbst geht, das betreffende Wort in Anführungszeichen zu setzen.)

 

Für die Notwendigkeit einer Definition des Begriffs "Realität" gebe ich folgendes Beispiel.

 

In einem philosophischen Forum habe ich einmal eine Diskussion mit Vertretern einer "non-dualistischen" Weltauffassung geführt.

 

Die Non-Dualisten vertraten die Auffassung, dass das einzig Wirkliche, und das einzige, dessen wir gewiss sein können, unser bewusstes Erleben hier und jetzt ist. Die Existenz einer vom Bewusstsein unabhängigen objektiven Welt wurde bestritten.

 

Daraus wurden dann recht problematische Folgerungen gezogen wie "Die Welt ist Bewusstsein (Geist)", "Alles, was ist, existiert nur im Medium des Bewusstseins", "Man sieht kein Objekt wie z. B. den Kölner Dom sondern immer nur das Bild des Kölner Doms", "Wissenschaftliche Theorien sind durch nichts bewiesene Annahmen" oder "Traum und Sinneswahrnehmung sind gleich wirklich" u. a. m.

 

Als Begründung dieser Lehre wurde immer angeführt: "Du kannst kein Argument dafür nennen, dass das von Dir Wahrgenommene unabhängig vom Bewusstsein existiert."

 

Diese Position lässt sich nur dadurch argumentativ angreifen, dass man auf die dem normalen Sprachgebrauch widersprechende Verwendung von Wörtern wie "Wirklichkeit" und "Existenz" hinweist.

 

Wenn das Kriterium der wirklichen Existenz eines Objektes darin besteht, dass man das Objekt intersubjektiv übereinstimmend wahrnehmen kann, dann kann es kein zusätzlichen Beweis für die Wirklichkeit des Objektes geben, dann bedarf es jedoch auch  keines zusätzlichen Beweises.

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Wie präzise soll man definieren?

Du schreibst: "Man kann eine Aussage beliebig präzisieren, sie kann doch missverstanden werden". Ich sehe keinen Grund zu dieser pessimistischen Annahme. Ich würde mal dagegen behaupten: Jedes Missverständnis kann durch eine Erläuterung des Gemeinten ausgeräumt werden.

 

Es geht mir hier nicht um Präzision an sich, sondern um soviel Präzision der Begriffe und Aussagen, wie für den gegebenen Zweck nötig ist.

 

Wenn der Zimmermann zu seinem Kollegen sagt: "Hier sind zwei gleich lange Balken" und der Kollege entgegnet: "Das stimmt nicht, was Du da sagst. Dieser Balken ist 0,00000087 Zentimeter länger als der andere", so wird ihm der andere zu Recht "einen Vogel zeigen", wie man so sagt.

 

Wenn allerdings jemand selber nicht genau sagen kann, was das von ihm Gesagte bedeuten soll, dann kann auch die beste Erläuterung aus einem unklaren Text keinen klaren Text machen.

 

Die Weigerung eines Autors, zu erläutern, was die von ihm benutzen Begriffe bedeuten sollen, führt zu einer Immunisierung gegen Kritik. Wenn sich jemand eine bestimmte Behauptung - im Zusammenhang des dazugehörigen Textes - vornimmt und diese Behauptung kritisiert, dann sagen die Verteidiger des Autors: "Du hast die Behauptung gar nicht richtig verstanden. Lies erstmal die andern Werke des Autors, dann kannst Du mitreden." Das ist eine extreme Arroganz gegenüber dem Kritiker. Damit er einen Satz kritisieren darf, muss er erst dicke Bücher lesen.

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Der Mensch als Urheber seiner Handlungen

"Handlungen" sind:

 

1.) zielgerichtet (alternativ: mit einer Absicht verbunden) und

2.) willentlich gesteuert (alternativ: können normalerweise willentlich gesteuert werden) und hätten insofern auch unterlassen werden können.

 

Schlussfolgerung:

Die zweite Bedingung rechtfertigt es, den (erwachsenen) Menschen als "Urheber" seiner Handlungen anzusehen.

 

Aus der zweiten Bedingung ergibt sich damit, dass ein Mensch die "Verantwortung" für sein Handeln trägt.

 

Dass eine Handlung willentlich gesteuert ist und auch hätte unterlassen werden können, lässt sich so verstehen, dass die einfachen kausalen Handlungsanreize eine Art "Kontrollfilter" passieren müssen, wo diese Handlungsanreize mittels bewusster Überlegungen bewertet und gewichtet werden und unter Umständen gegenüber anderen zurückgestellt und unwirksam gemacht werden.

 

Physiologisch bedeutet das, dass die nervlichen Impulse zur Überprüfung über das Großhirn geleitet werden und nicht in einfachen Reflexbögen über das Rückenmark funktionieren. Die Umsetzung erfolgt auch nicht nur über eine Aktivierung des vegetativen Nervensystems, wie es bei Affektreaktionen der Fall ist.

 

Die Frage, ob und wie die Aktivität dieses "Kontrollfilters", dieser willentlichen Selbststeuerung als ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang begriffen werden kann, übersteigt wahrscheinlich (nicht nur) unsere Kenntnisse auf neurologischem und computertechnischem Gebiet.

 

Wenn man diejenigen Verhaltensweisen, die man willentlich steuern kann, als Handlungen bezeichnet, dann ist "ein Tor schießen" womöglich keine Handlung, denn ich kann das Tore schießen nicht steuern, weil es von der Stärker der gegnerischen Abwehr abhängt. Steuerbar ist genaugenommen nur das Versuchen, ein Tor zu schießen. Dann gäbe es nur die Handlung "versuchen, ein Tor zu schießen". 

 

Tiere und sogar Marschflugkörper verhalten sich zielstrebig. Sie können es jedoch nicht unterlassen, ihr Ziel anzustreben. Insofern handeln sie nicht.

 

Lässt sich die obige Definition einer Handlung auch auf Kollektive übertragen? Man sagt z. B.: "Die Mannschaft von Hansa Rostock hat in den letzten 3 Spielen x Tore geschossen." Sie hätten es auch unterlassen können. Offenbar gibt es in Bezug auf kollektive Subjekte keine besonderen Probleme.

 

Bei diesem Beispiel kommt allerdings eine andere Komplikation zum Vorschein. Tore schießen ist kein Verhalten, das ohne Einschränkung steuerbar ist. Oft lässt einem der Gegner keine Möglichkeit dazu. Steuerbar sind hier nur die Versuche, Tore zu schießen.

 

Ein anderes Beispiel: Beim Mikadospiel kommt es darauf an, Stäbchen aus einem Stäbchenhaufen zu entnehmen, ohne dass der Haufen in Bewegung gerät. Mal gelingt mir das und mal nicht. Zwar bin ich es, der durch ungeschickte Bewegungen den Haufen erschüttert, aber ich kann es nicht einfach unterlassen.

 

Ist das Entnehmen eines Mikadostäbchens aus dem Haufen, ohne dass sich der Haufen dadurch bewegt, eine Handlung oder kann nur der Versuch dazu als Handlung bezeichnet werden?

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Lassen sich Handlungen in physikalischen Begriffen beschreiben?

Im Alltagsleben gehen wir wie selbstverständlich davon aus, dass Personen die Urheber ihrer Handlungen sind.

 

Wenn gefragt wird: "Wer hat die Glasscheibe eingedrückt?" lautet die Antwort z. B: "Fritz hat die Glasscheibe eingedrückt." (Beschreibung 1)

 

Lassen sich derartige menschliche Handlungen in physikalischen Begriffen beschreiben?

 

Man könnte formulieren:

"Der rechte Fuß von Fritz drückte mit wachsendem Druck gegen die Glasscheibe. Als der Druck die Stärke x erreichte, zerbrach die Scheibe." (Beschreibung 2)

 

Aber die Beschreibung 2 kann zutreffen, ohne dass Beschreibung 1 zutrifft.

 

Wenn es z. B. so gewesen ist, dass der starke Kalle den Fuß des kleinen Fritz gepackt hat und den Fuß gegen die Scheibe gedrückt hat, dann kann man man nicht sagen, dass Fritz die Scheibe eingedrückt hat.

 

Offenbar lassen sich Handlungen nicht in rein physikalischen Begriffen definieren.

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Wann ist ein Verhalten eine Handlung?

Was sind die Bedingungen dafür, dass man ein bestimmtes menschliches Verhalten als eine Handlung bezeichnen kann, die einer bestimmten Person als deren Urheber zuzurechnen ist? (Oberbegriff zu "Handlung" ist wohl "Verhalten". Handlungen sind demnach besondere Formen des Verhaltens.)

 

1.) Als Merkmal einer Handlung könnte man das Vorhandensein einer entsprechenden Absicht (eines entsprechenden Willens, eines entsprechenden Ziels) nennen.

 

Sind damit Verhaltensweisen, die ungewollt, unabsichtlich und ohne ein entsprechendes Ziel geschehen (Ich trete in der vollen U-Bahn jemandem aus Versehen auf den Fuß) keine Handlungen?

 

Es erscheint mir sinnvoll, auch ungewolltes und ungezieltes Verhalten als "Handlung" zu bezeichnen.

 

2.) Als "Handlungen" sollte man jedes Verhalten bezeichnen, das man (normalerweise) willentlich steuern kann.

 

Wenn A dem B versehentlich auf den Fuß tritt, dann ist das insofern eine Handlung, als man die Bewegungen seiner Füße normalerweise kontrollieren kann, auch wenn das Resultat dieser Handlung nicht gewollt war ("Au. Der Unterste war meiner!").

 

3.) Als "Handlung" sollte man nur solches Verhalten bezeichnen, für das der betreffende Mensch verantwortlich ist, weil er "etwas dafür kann".

 

Wenn B fragt: "Wer hat mir auf den Fuß getreten? Wer hat das getan?" dann müsste A wohl wahrheitsgemäß antworten: "Ich war's. Ich hab Ihnen auf den Fuß getreten. Aber es ist nicht mit Absicht geschehen." Der gängige Sprachgebrauch ordnet das Verhalten von A offenbar als ein "Tun", als eine "Tat" ein, auch wenn dabei keine Absicht bestand.

 

Auch in der Rechtswissenschaft ist übrigens die objektive Tatbestandsfrage unabhängig von der Frage der Verantwortlichkeit. Im Strafrecht wird nach den Tatbestandsmerkmalen gefragt, die im Strafgesetz genannt werden. Die Frage, ob z. B. ein entschuldigender Notstand vorlag oder ob der Vorsatz fehlte, wird unabhängig von der Feststellung erörtert, ob der Straftatbestand erfüllt ist.

 

Man spricht von:

gewohnheitsmäßigen Handlungen, Affekthandlungen, wohlüberlegtem, koordiniertem, geplantem, kriminellem, erfolgreichem, beispielhaftem, unmoralischem, sinnlosem, klugem, erprobtem, eingespieltem, spontanem, rituellem, entschiedenem, entschlossenem, zögerlichem oder rücksichtslosem Handeln etc.

 

Was es wohl nicht gibt, ist ein reflexhaftes oder unwillkürliches oder automatisches Handeln. Wenn der Neurologe meine Reflexe prüft und mein Bein schnellt beim Schlag mit dem Hämmerchen auf das Knie nach vorn, so war das wohl keine Handlung von mir.

 

Ob es ein unbewusstes Handeln gibt, ist mir ebenfalls nicht ganz klar. Es gibt ja die Freudschen Fehlleistungen insbesondere die Freudschen Versprecher. Angela Merkel hat sich so einen Versprecher vor der Wahl im Bundestag geleistet, wo sie SPD statt FDP sagte. Ihr Unbewusstes spielte ihr damit einen Streich und verriet die von ihr insgeheim bereits anvisierte große Koalition.

 

War ihr Versprecher eine unbewusste Handlung?

 

Das hängt wohl davon ab, welche Persönlichkeitstheorie man vertritt. Wer nach Freud eine unbewusste Instanz wie das Es in der Persönlichkeit annimmt, wird auch die Möglichkeit unbewusster Handlungen annehmen. Ein Beispiel sind hypnotische Befehle, die das Medium noch nach dem Erwachen aus der Hypnose ausführt.

 

Ähnlich sieht es wohl mit den instinktiven und den intuitiven Handlungen aus.

 

Wenn als "Handlungen" alle Verhaltensweisen bezeichnet werden, die der Betreffende normalerweise steuern kann, so kann es wohl auch instinktive und intuitive Handlungen geben.

Handlungen unterscheiden sich von sonstigem zielgerichtetem Verhalten dadurch, dass man sie auch unterlassen kann. Das entspricht weitgehend der Auffassung von Handlungen als einem Verhalten, das vom handelnden Subjekt normalerweise gesteuert werden kann.

 

Tiere und sogar Marschflugkörper verhalten sich zielstrebig. Sie können es jedoch nicht unterlassen, ihr Ziel anzustreben. Insofern handeln sie nicht.

 

Wie ist es mit gemeinschaftlichem bzw. kollektivem Handeln? Lässt sich die obige Definition einer Handlung auch auf Kollektive übertragen? Man sagt z. B.: "Die Mannschaft von Hansa Rostock hat in den letzten 3 Spielen x Tore geschossen."

 

Sie hätte es auch unterlassen können. Offenbar gibt es in Bezug auf kollektive Subjekte keine besonderen Probleme.

 

Bei diesem Beispiel kommt allerdings eine andere Komplikation zum Vorschein. Tore schießen ist kein Verhalten, dass ohne Einschränkung steuerbar ist. Oft lässt einem der Gegner keine Möglichkeit dazu. Steuerbar sind hier nur die Versuche, Tore zu schießen.

 

Ein anderes Beispiel: Beim Mikadospiel kommt es darauf an, Stäbchen aus einem Stäbchenhaufen zu entnehmen, ohne dass der Haufen in Bewegung gerät. Mal gelingt mir das und mal nicht. Zwar bin ich es, der durch ungeschickte Bewegungen den Haufen erschüttert, aber ich kann es nicht einfach unterlassen.

 

Ist das Entnehmen eines Mikadostäbchens aus dem Haufen, ohne dass sich der Haufen dadurch bewegt, eine Handlung oder kann nur der Versuch dazu als Handlung bezeichnet werden?

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Warum soll man Menschen fair und gleich behandeln?

Du fragst nach den Gründen für das moralische Prinzip "Man soll Menschen fair und gleich behandeln …"

 

Indem Du fragst, erwartest Du eine Antwort.

 

Du erwartest nicht irgendeine Antwort, sondern eine richtige Antwort.

 

"Richtig" bedeutet hier: "allgemein richtig"

 

"Allgemein richtig" bedeutet zum einen: richtig nicht nur für Dich, sondern auch für mich und jeden beliebigen anderen.

 

"Allgemein richtig" bedeutet zum andern: richtig nicht nur hier und jetzt sondern auch noch in einer Stunde und für eine nicht begrenzte Zeit.

 

Wenn jemand eine Antwort als richtig behauptet, dann erhebt er für diese Antwort einen Geltungsanspruch.

 

Ein Geltungsanspruch für eine Antwort beinhaltet die Forderung, diese Antwort seinem Denken und Handeln zugrunde zu legen.

 

Wer eine solche Forderung gegenüber einem Andern erhebt, der muss dem Andern dafür eine ihm einsichtige Begründung geben können, wenn diese Forderung mehr sein soll als der Appell, an ein Dogma zu glauben.

 

Der Grund für die Richtigkeit des Prinzips "Man soll Menschen fair und gleich behandeln" liegt darin, dass ihre Verneinung nicht richtig im oben ausgeführten Sinne sein kann, denn gegenüber dem schlechter zu Behandelnden wirst Du keinen für ihn einsichtigen Grund dafür finden, warum er schlechter behandelt werden soll.

 

Folglich kann die Verneinung des Gleichheitsprinzips nicht richtig sein.

 

Woraus die Richtigkeit des Gleichheitsprinzips folgt.

 

Allerdings: Wenn eine besondere moralische Verpflichtung gegenüber einem der beiden besteht (sie ist meine Ehefrau / ich habe ihm bereits etwas versprochen o. ä.), dann befinden sich die beiden nicht in derselben Situation und eine Ungleichbehandlung der beiden kann mit diesem Unterschied nachvollziehbar begründet werden.

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Wozu  Logik?

Logik spielt immer dann eine Rolle, wenn man Fragen beantworten will, wenn es also um Erkenntnisse, um die Bereitstellung von Wissen geht. (Also z. B. bei diesem Text.)

 

Wenn ich ein lyyrisches Gedicht schreibe, bedarf es keiner Logik. Ein Literaturkritiker, der an einem lyrischen Gedicht bemängelt, dass es nicht logisch oder widersprüchlich sei, hat offenbar seinen Beruf verfehlt.

Wenn ein Verliebter zu seiner Geliebten sagt: "Du bist mein Sonnenschein" wird diese nicht antworten: "Das kann nicht sein."

 

Logik betrifft also nur einen Teil der Sprachverwendung.

 

Menschen sind keine Automaten, sie überleben, indem sie ihr Handeln auf der Grundlage aktueller Daten steuern.

 

Indem sie Fragen stellen, fordern sie zur Gewinnung und Übermittlung derjenigen Informationen auf, die es ihnen ermöglichen, zu handeln - und zwar möglichst enttäuschungsfrei und möglichst, ohne es nachträglich bereuen zu müssen.

 

Informationen, die zugleich bejaht und verneint werden, können das Handeln nicht anleiten. Insofern sind widersprüchliche Antworten gar keine Antworten.

 

Die Regeln der Logik dienen vor allem dazu, Widersprüche offenzulegen und zu vermeiden

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Man kann m. E. ohne in einen schlechten Zirkel zu verfallen, über Sprache sprechen, über Syntax Sätze bilden, logische Verfahren logisch analysieren oder sprachliche Regeln jeder Art explizit aussprechen.

 

Es dürfen bei dieser Reflexion und Rekonstruktion des eigenen Tuns allerdings keine Widersprüche und keine definitorischen Zirkel auftreten und das zu Beweisende darf nicht schon vorausgesetzt werden.

Du hast eine Menge Aussagen zum Thema "Fragen und Antworten" zusammengetragen und verschiedene terminologische Vorschläge gemacht. Ich benutze die Begriffe etwas anders.

 

Fragen sind für mich der Ausgangspunkt der Erkenntnis. "Erkenntnis" definiere ich deshalb als die richtige Beantwortung von Fragen.

 

Wenn jemand eine Frage richtig beantworten kann, dann weiß er die Antwort. Die Gesamtheit aller richtigen Antworten, die wir geben können, kann man deshalb als "Wissen" bezeichnen.

 

Eine widersprüchliche Antwort auf eine Frage ist gar keine Antwort. Sätze, die keine Frage beantworten können, können keine Erkenntnis vermitteln. Deshalb sind widersprüchliche Sätze dort unzulässig, wo es um die Gewinnung von Erkenntnissen und Wissen geht.

 

Der Fragende sucht nicht nach irgendeiner Antwort auf seine Frage, sondern nach der richtigen Antwort bzw. nach den richtigen Antworten.

 

"Richtig" bedeutet dabei "richtig für alle".

 

"Die kalten Wände schauen mich fragend an" - ein Satz, der bestimmte Gefühle von Verlorenheit und Entfremdung hervorruft. der bestimmte Stilmittel enthält (Metapher, Analogie), der aber nichts behauptet.

 

Nehmen wir einmal an, ein Literaturkritiker würde dazu schreiben: "Der Text steckt voller Irrtümer, denn Wände haben keine Augen und können deshalb auch niemanden anschauen. Außerdem ist der Text ungenau, denn was ein fragender Satz ist, ist eindeutig, aber was ein 'fragendes Anschauen' sein soll, bleibt vage".

 

Wir würden zu Recht sagen: "Der Mann hat seinen Beruf verfehlt."

 

Dem Künstler der Sprache ist es unbenommen, seine Gedichte zu verfassen. Aber die Sprache dient auch noch profaneren Dingen, und Sätze, die mit dem Zeichen '?' versehen sind, können nach lebenswichtigen Antworten verlangen: "Wie hoch ist das Fieber des Kindes?"

 

Es ist deshalb wichtig, sich Gedanken über die geeigneten Wege zur richtigen Beantwortung offener Fragen zu machen.

 

Grundlegende Voraussetzung hierfür ist es, dass man sich klar darüber ist, was man gerade macht: Sucht man nach richtigen Anworten, die ein Problem klären, oder schreibt man Gedichte, die etwas bisher nicht Bewusstes und nicht Mitteilbares ausdrücken.

 

Beides hat seine Bedeutung - aber man darf beides nicht durcheinander bringen.

 

was ich benötige, um eine Frage zu stellen, ist eine Sprache, eine Terminologie. Ich würde das nicht "Theorie" nennen.

 

Eine Terminologie gibt den in der Frage vorkommenden Wörtern eine bestimmte Bedeutung. Sie entscheidet jedoch noch nicht darüber, ob eine Antwort richtig ist oder nicht.

 

Die Frage: "Wird Deutschland Europameister im Handball?" wird von Jacques und Georg in gleicher Weise verstanden. Trotzdem können sie verschiedene Anworten auf die Frage geben.

 

Benötigen die beiden dafür eine Theorie? Sie müssen m. E. nur wissen, was mit dem Ausdruck "Europameister werden" und den andern Ausdrücken gemeint ist.

 

Wenn Georg auf die Frage "Wird Deutschland Europameister im Handball?" antwortet: "Ja und Nein", dann gibt er eine widersprüchliche Antwort. Für den, der wissen will, ob Deutschland Europameister wird oder nicht, ist das gar keine Antwort.

 

Ebenso wäre es gar keine Antwort, wenn Georg antworten würde: "Entweder wird Deutschland Europameister oder Deutschland wird nicht Europameister." Dieser Satz ist zwar nicht falsch, aber er kann keine Frage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit beantworten, weil er keinerlei Informationen darüber enthält.

 

Wenn man ernsthaft eine Frage stellt, dann sucht man nach der richtigen Antwort und nicht nach irgendeiner Antwort. Und "richtig" heißt hier "intersubjektiv richtig". Wenn es sein kann, dass für Georg der Satz "Deutschland wird Europameister" richtig ist, während für Jacques der Satz "Deutschland wird nicht Europameister" richtig ist, dann sehe ich keinen Sinn mehr im Fragen.

 

Dass mit der Suche nach Antworten, die für alle richtig sind, der Fortschritt im Erkennen verhindert wird, ist für mich nicht nachvollziehbar. Der Fortschritt in der Erkenntnis drückt sich doch vor allem dadurch aus, dass neue, weitergehende Fragen gestellt werden , die auf der richtigen Beantwortung früherer Fragen aufbauen

 

Ich verstehe meine Beiträge in dieser Runde auch als einen Versuch, die unterschiedlichen Begrifflichkeiten einander anzunähern. Dies geschieht am besten, indem man anhand konkreter Beispiele diskutiert. Hier kann man an die gemeinsame Umgangssprache anschließen

 

Ich schrieb:

"Was ich benötige, um eine Frage zu stellen, ist eine Sprache, eine Terminologie. Ich würde das nicht 'Theorie’ nennen."

 

Darauf antwortest Du:

"Terminologien gelten immer nur für Theorien."

 

Ich weiß nicht, was Du mit diesem dürren Satz sagen willst. Ich nehme einmal an, dass der Satz besagen soll, dass eine bestimmte Terminologie immer einhergeht mit einer bestimmten Theorie.

 

Dies halte ich für falsch. Nehmen wir ein einfaches Beispiel.

 

Ich benutze eine Terminologie, die aus 3 Begriffen besteht: "Erde", "Sonne" und "umkreisen".

 

Mit dieser Terminologie lässt sich nicht nur EINE Theorie, sondern es lassen sich 2 miteinander unvereinbare Theorien formulieren:

 

Theorie 1: "Die Sonne umkreist die Erde" und

 

Theorie 2: "Die Erde umkreist die Sonne."

 

Wenn ich die Frage stelle: "Umkreist die Sonne die Erde?", so ist mit dieser Frage noch keine Vorentscheidung für eine der beiden Theorien gefällt worden. Insofern benötige ich für die Formulierung einer Frage eine Terminologie (das heißt eine Anzahl definierter Begriffe) aber noch keine bestimmte Theorie (Einen Satz bzw. mehrere logisch miteinander verbundene Sätze).

 

Mir geht es hier um den Unterschied zwischen sprachlichen Konventionen und inhaltlichen, in diesem Fall empirischen Erkenntnissen.

 

Terminologien sind sprachliche Konventionen. Die Brauchbarkeit von Terminologien bemisst sich danach, ob sie die Formulierung wichtiger Unterscheidungen und Erklärungen ermöglichen. Theoretischer Fortschritt, der immer neuartige Unterscheidungen und Erklärungen beinhaltet, ist deshalb in der Regel mit der Bildung neuer Begriffe verbunden.

 

Positive Theorien dagegen beruhen nicht auf Konventionen, sondern werden an der Erfahrung überprüft. Sie können wahr oder falsch sein.

 

Meine These ist: Mit einer bestimmten Terminologie kann man verschiedenen Theorien ausdrücken. Mit der Entwicklung einer Terminologie habe ich deshalb noch keinerlei Erkenntnis über die Beschaffenheit der Wirklichkeit gewonnen.

 

Wenn Dir mein kleines Modell einer Terminologie aus 3 Begriffen zu simpel ist, kann ich ohne weiteres noch 97 weitere Begriffe hinzutun, doch wird das, was das Modell demonstrieren soll, dadurch nicht deutlicher sondern höchstens unübersichtlicher. Je einfacher das Beispiel, um so weniger intellektuellen Aufwand muss man auf das Verständnis des Beispiels aufwenden und umso mehr intellektuelle Kapazität bleibt für das Verständnis der durch das Beispiel demonstrierten Zusammenhänge. Allerdings muss das Beispiel stimmen und es darf keine sinnentstellende Vereinfachung sein, die wichtige Differenzierungen unterbügelt.

 

Ich hatte geschrieben: "Fragen sind für mich der Ausgangspunkt der Erkenntnis".

 

Dies hast Du abgelehnt und geschrieben: "Die Theorie ist also Ausgangspunkt, nicht die Frage aufgrund der Theorie.

Allgemein kann man sogar sagen, dass die Erwartung, die einer (nicht-rhetorischen) Frage anhaftet, in der Frage-Theorie wurzelt. Deshalb erwarten wir auch nicht IRGENDEINE Antwort, sondern eine ganz bestimmte (die mit der Frage-Theorie konform ist)."

 

Trotz deiner Erläuterungen ist mir die unausweichliche Existenz einer "Frage-Theorie", die zur Erwartung einer bestimmten Antwort führen soll, noch nicht einsichtig.

Vielleicht kannst Du das, was Du mit Frage-Theorie meinst, einmal anhand des folgenden Beispiels aufzeigen:

 

Ein ausländischer Besucher zeigt auf einen Hund und fragt mich: "Wie nennt man ein solches Tier im Deutschen?"

nun wird mir klarer, was Du mit der "Frage-Theorie" meinst. Ich würde hier eher von den Voraussetzungen sprechen, die gegeben sein müssen, damit jemand eine bestimmte Frage stellen kann.

 

Dazu gehört,

 

dass der Fragende die Bedeutung der Wörter kennt, aus denen seine Frage besteht,

dass der Fragende die Grammatik der Sprache kennt, in der er seine Frage formuliert,

dass es einen Adressaten für seine Frage gibt, der die Frage versteht,

die Voraussetzungen, die in der Frage enthalten sind (siehe das Beispiel von its_not_me "Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?")

und anderes mehr.

 

Diese Voraussetzungen können jedoch in Bezug auf die Antwort neutral sein. Um bei unserm Beispiel zu bleiben: Auch wenn jemand alle mit der Frage verbundenen Voraussetzungen kennt, weiß er noch nicht die richtige Antwort. Aus der Frage und den mit ihr verbundenen Voraussetzungen ergeben sich allerdings Hinweise, wie die richtige Antwort gefunden werden kann.

 

Das Stellen von Fragen ist ein außerordentlich wichtiger Punkt im Erkenntnisprozess. Schon im Kinderlied heißt es: "Wer nicht fragt bleibt dumm."

 

Aus der Art der Fragen ergeben sich die verschiedenen Erkenntnisbereiche. Je nach Art der Fragen gibt es unterschiedliche Kriterien für deren richtige Beantwortung.

 

Eine große Gruppe bilden diejenigen Fragen, die sich auf die tatsächliche Beschaffenheit der Welt beziehen. Hier spielt das Kriterium der Wahrnehmung eine zentrale Rolle.

 

In dieser Gruppe haben Fragen nach empirischen Regelmäßigkeiten eine herausragende Bedeutung, weil sie sich umformulieren lassen ihn Fragen nach den geeigneten Mitteln und Wegen, um gegebene Ziele und Zwecke zu erreichen.

 

Eine andere große Gruppe sind Fragen nach dem Sinn und der Bedeutung von Zeichen und Symbolen. Hier spielt das Kriterium der Sinnhaftigkeit und der gelungenen Kommunikation eine große Rolle.

 

Eine weitere wichtige Gruppe sind Fragen nach dem Wert, nach gut und schlecht, besser oder schlechter. Hier spielen die Präferenzen und Interessen derjenigen eine zentrale Rolle, für die diese Wertungen gelten.

 

Damit im Zusammenhang stehen die Fragen nach dem, was sein soll oder nicht sein soll, insbesondere, welche Verfahren der kollektiven Entscheidung angewandt werden sollen und wie die Einzelnen handeln sollen.

 

Als Letztes seien noch diejenigen Fragen genannt, die wiederum nach der jeweils geeigneten Methode zur Beantwortung der verschiedenen Fragearten fragen. Man könnte diese Fragen als wissenschaftstheoretische oder methodologische Fragen bezeichnen.

 

Diese grobe Skizze soll zeigen, dass man von der Fragestellung her die Gesamtheit des Wissens übersichtlich ordnen kann. Ich halte die Reflektion darüber, von welcher Art die Frage ist, um deren Beantwortung es gerade geht, für außerordentlich nützlich gerade im philosophischen Bereich, wo sich auch einige unklare und sinnlose Arten von Fragen tummeln.

 

Woran erkennt man, dass ein bestimmter Satz überhaupt eine mögliche Antwort auf eine bestimmte Frage ist?

 

Ein Beispiel:

 

Roberta fragt: "Ist es so (ist es richtig, stimmt es), dass Kalle (jetzt) am Auto bastelt?"

 

Hier gibt es nur zwei mögliche Antworten: "Ja" oder "Nein". (Vorausgesetzt, die Frage war eindeutig).

 

Die Antworten: "Kalle bastelt nicht am Auto" oder "Kalle bastelt am Fahrrad" enthalten ein implizites 'nein’.

Die Antwort: "Kalle bastelt am Auto" enthält ein implizites 'ja’.

 

Die Antwort: "Heute Vormittag war Kalle einkaufen" mag zwar wahr sein, beantwortet jedoch nicht Robertas Frage, denn sie will wissen, ob Kalle JETZT am Auto bastelt.

Die Antwort: "Kalle bastelt an irgendetwas in der Garage" ist zu ungenau für eine Antwort. Roberta will wissen, WORAN Kalle bastelt.

 

Roberta drückt mit ihrer Frage aus, dass sie etwas Bestimmtes wissen will. Nur ein Satz, der sich auf dies erbetene Wissen bezieht, kann deshalb eine mögliche Antwort auf ihre Frage sein.

 

Zwischen einer Frage und den möglichen Antworten darauf besteht insofern eine partielle logische Beziehung: beide beziehen sich auf das gleiche Wissen.

 

#phritz schrieb:

 

"Hat die Antwort den Fragenden vollkommen zufriedengestellt, war diese Antwort "richtig", ansonsten "unrichtig", wobei dazwischen beliebige Feinstufungen möglich sind ("teilweise richtig", "zu einem geringen Teil richtig", "größtenteils richtig" usw.)

 

Nur Antworten unterliegen dem (immer subjektiven) Maßstab der Richtigkeit, nicht aber die Fragen. Es gibt weder richtige noch unrichtige Fragen."

 

 

Meine Frage: Wieso ist der Maßstab der Richtigkeit immer subjektiv? Weil die Frage dann richtig beantwortet ist, wenn sie den Fragenden vollkommen zufriedengestellt hat? Wann stellt eine Antwort den Fragenden zufrieden?

 

Nehmen wir ein Beispiel:

 

Die böse Königin fragt den Spiegel:

 

"Spieglein, Spieglein an der Wand.

Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

 

Wenn das Spieglein antwortet: "Holde Königin, Ihr seid die Schönste im ganzen Land", so stellt die Antwort die fragende Königin sicherlich vollkommen zufrieden, aber ist die Antwort deswegen richtig? Wohl nicht.

 

Wenn das Spieglein antwortet:

"Das ist Schneewittchen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen, sie ist die schönste im ganzen Land", dann stellt diese Antwort die Königin nicht zufrieden, doch sie hält offenbar die Antwort des Spiegleins für richtig, sonst würde sie nicht vor Neid erblassen und auf die Ermordung Schneewittchens sinnen.

 

Offenbar wird in dem Märchen vorausgesetzt, dass es einen intersubjektiv gültigen Maßstab der Schönheit gibt, über den das Spieglein verfügt. Das ästhetische Urteil des Spiegleins ist offenbar maßgeblich.

 

Die Frage lautet: "Wer IST die Schönste … ?" Damit wird kein subjektives Urteil gewünscht sondern ein allgemein gültiges Urteil. Würde ein subjektives Urteil gewünscht, so müsste die Frage lauten: "Wer ist FÜR DICH die Schönste … ?"

 

Über subjektive Urteile ist es sinnnlos zu streiten, weil sie einander nicht ausschließen.

 

In Bezug auf viele Fragen setzt man jedoch allgemein richtige oder falsche Antworten voraus. In diesem Fall haben die Antworten die Form von Behauptungen. Andernfalls wären Quizsendungen, Schultests und theoretische Führerscheinprüfungen sinnlos.

 

es bringt wenig, wenn einer dem andern seine Terminologie aufzwingen will und vorschreiben will, mit welcher Bedeutung bestimmte Wörter (Theorie, Terminologie, subjektiv, richtiig, wahr, möglich etc.) zu benutzen seien ("Du meinst "unrichtige" Antworten, nicht falsche" oder so ähnlich)

 

Ohne einen Verwendungszusammenhang im Rahmen einer wissenschaftlichen Fragestellung bleiben die Definitionen der Wörter beliebig. Da kann sich jeder sein eigenes Begriffsgehäuse zusammenzimmern und darin seine Monologe abhalten.

 

Ein bestimmter Gebrauch eines Wortes, eine bestimmte Definition und eine bestimmte Begrifflichkeit (d.h. Terminologie) erweist sich nur dadurch als überlegen, dass dadurch bestimmte wichtige Unterscheidungen, Erklärungen und Fragestellungen möglich werden, die den andern Terminologien nicht möglich sind. Für mich ist dieser Verwendungszusammenhang die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.

 

Um miteinander zu diskutieren, wäre eine gemeinsame Sprache hilfreich. Aber es würde schon reichen, wenn die unterschiedlichen Begriffe wenigstens ineinander übersetzbar wären. Aber dazu müsste man sich die Zeit nehmen und die Mühe machen, die Bedeutung, die man selber den Wörtern gibt, allgemeinverständlich zu erläutern.

 

Wo jedoch die Bedeutung der Wörter bereits feststeht und mit ihnen hantiert wird, ohne sie zu erläutern und zu definieren, schmort man im eigenen Saft

 

Hallo Hermeneuticus. Du hast geschrieben:

"Ich behaupte, dass auch unsere Wahrnehmung nicht aus 'Bildern' besteht, sondern von Grund auf INTERPRETATION ist. Wir sehen NORMALERWEISE nicht einfach dies und das, sondern wir sehen etwas ALS etwas. Was wir Wirklichkeit nennen, ist immer die von uns interpretierte Wirklichkeit. Auf so etwas wie uninterpretierte Wirklichkeit stoßen wir allenfalls, wenn wir uns zuvor aus der Welt herausreflektieren. Aber das ist schon ein - ziemlich aufwändiger, voraussetzungsreicher - Akt der Interpretation."

 

Hier möchte ich ein Fragezeichen anbringen. Wie ist diese Ansicht damit zu vereinbaren, dass wir manchmal Sinneseindrücke haben, die wir nicht eindeutig interpretieren können? Wir sind uns zum Beispiel in der Dämmerung manchmal nicht sicher, ob ein dunkles Gebilde, das wir vor uns sehen, ein Mensch ist oder ein Busch. Also muss es doch etwas geben, das nicht Interpretation ist, sondern Gegenstand unserer Interpretation

 

 

Danke für die freundliche Begrüßung. Vorweg: Ich hoffe, dass es hier möglich ist, die Diskussion auch als eine Kooperation zu verstehen, bei der man voneinander lernt. Das setzt präzise Kritik in der Sache voraus.

 

Mit Deinen Erläuterungen bin ich weitgehend einverstanden. Mir war es wichtig festzuhalten, dass wir mit unseren Sinnen die wirkliche Welt aufnehmen. Trotz aller individuellen Unterschiede in der Interpretation unserer Sinneseindrücke sind es doch Sinneseindrücke derselben Wirklichkeit, derselben Welt.

 

Diese wirkliche Welt ist nicht identisch mit dem Modell der Welt, dass wir in uns gespeichert haben und das wir sprachlich beschreiben können Dies Weltmodell oder Weltbild legen wir unserem Denken und Handeln zu Grunde. Aus diesem Modell leiten wir die zu erwartenden Sinneseindrücke ab. Falls unsere Erwartungen von der wirklichen Welt nachhaltig enttäuscht werden, müssen wir unser Weltmodell entsprechend verändern.

 

Ich schreibe dies, um deutlich zu machen, dass das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit insofern komplex ist, als es immer über unser persönliches Weltmodell vermittelt ist. Es kann von ein und demselben Ausschnitt der Wirklichkeit zahlreiche wahre Beschreibungen geben, weil es zahlreiche verschiedene Begriffsraster gibt. Diese Begriffsraster sind in unserm persönlichen Weltmodell enthalten und entstammen nicht der damit beschriebenen Welt.

 

p.s.: Mich würde auch interessieren, wo #phritz in seiner Fragestellung das persönliche Weltmodell ansiedelt oder ob es dafür ohne Belang ist.

 

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Zur Metaperspektive 1 auf die Verbindung zwischen Bild und Satz hast Du geschrieben:

 

"Unterschiede in den Bildern entsprechen Unterschiede in den Sätzen."

 

Meine Frage an Dich: Trifft das auch für die folgenden 2 Beispiele zu?

 

Erstes Beispiel :

 

Bild 1: ------ §§§§§

Satz 1: ----- "5 Paragraphen-Zeichen"

 

Bild 2: ------ $$$$$

Satz 2: ----- "5 Dollar-Zeichen"

 

Zweites Beispiel:

 

Bild 1a: ------- §§§§§

Satz 1a: ------ "5 Schreibmaschinen-Zeichen"

 

Bild 2a: ------ $$$$$

Satz 2a: ----- "5 Schreibmaschinen-Zeichen"

Alle Sätze sind wahr.

Im zweiten Beispiel sind die Bilder unterschiedlich aber die Sätze gleich

 

was ich sagen wollte war: Unterschieden in der Wirklichkeit müssen nicht Unterschiede in der Sprache entsprechen und Unterschieden in den Bildern müssen nicht Unterschiede in den Sätzen entsprechen, die diese Bilder beschreiben.

 

Je nach dem Abstraktionsgrad meiner Sprache erfasse ich bestimmte Unterschiede in der Wirklichkeit oder ich erfasse sie nicht und abstrahiere davon.

 

Bild 1: O / Satz 1: "Ein großes Ei."

Bild 2: o / Satz 2: "Ein kleines Ei."

*******************************

Bild 1a: O / Satz 1a: "Ein Ei."

Bild 2a: o / Satz 2a: "Ein Ei."

 

Alle 4 Sätze sind wahr. Im 1. Beispiel entspricht dem Unterschied zwischen der Bildern ein Unterschied in den Sätzen. Im 2. Beispiel entspricht dem Unterschied in den Bildern kein Unterschied in den Sätzen.

 

Wenn wir die Wirklichkeit sprachlich beschreiben, werfen wir gleichsam unsere Netze ins Meer und bekommen das, was von den Maschen dieses Netzes festgehalten wird. Aber das ist nie die "ganze" Wirklichkeit sondern immer nur diejenige Wirklichkeit, die unserem Begriffsraster entspricht.

 

Anders ausgedrückt: Wir können die Welt nicht vollständig beschreiben. Wir können noch nicht einmal einen Ausschnitt der Welt vollständig beschreiben.

 

Es kann sich immer herausstellen, dass das, was wir heute als gleich ansehen, sich in einer Weise unterscheidet, die wir mit unserer gegenwärtigen Begrifflichkeit und deren Differenzierungsgrad nicht erfasst haben.


ich hatte die Ansicht vertreten, dass man keinen Ausschnitt der Wirklichkeit vollständig beschreiben kann. Dies gilt m. E. sogar dann, wenn man sich auf die visuell vermittelte Wirklichkeit beschränkt.

 

Du vermutest hier einen philosophischen Allgemeinplatz und schreibst:

"Deine Ansicht, man KÖNNTE ein Bild nicht vollständig beschreiben (also auch theoretisch nicht), stimmt nicht."

 

"Es gibt ... Möglichkeiten, ein Bild vollständig zu beschreiben, jedenfalls aus Sicht der menschlichen Wahrnehmung

 

" man (kann) theoretisch einen Satz formulieren, der jede Eigenschaft jedes Bildpunktes (jeden Pixels, oder jeder Bildkoordinate) hinsichtlich Farbe, Sättigung etc. beschreibt, die Einfluss auf unsere Wahrnehmung besitzt."

 

Ich bleibe jedoch bei meiner Anischt. Sieh Dir bitte das Bild, das Du gerade in Pixel atomiisert hast, z. B. die blauen Pferde von Marc, unter einem Elektronenmiskroskop an und sage mir, ob die von Dir zuvor gegebene Beschreibung dieses Bildes immer noch eine vollständige Beschreibung dieses Ausschnitts der Wirklichkeit darstellt.

 

 

könntest Du der Feststellung zustimmen, dass demselben Ausschnitt der Wirklichkeit unterschiedliche Bilder dieser Wirklichkeit entsprechen, je nachdem, aus welcher Perspektive man diese Wirklichkeit betrachtet und durch welche Linsen oder Apparate man diese Wirklichkeit betrachtet?

 

Könntest Du der Feststellung zustimmen, dass man - je nach der verwendeten Begrifflichkeit - denselben Ausschnitt der Wirklichkeit unterschiedlich beschreiben kann?

 

Wenn Du dies akzeptierst, dann kannst Du m. E. Wirklichkeit und Sprache nicht als strukturell gleichartig ansehen.

 

Strukturelle Gleichartigkeit könnte man höchstens zwischen einer bestimmten Art der Abbildung eines bestimmten Ausschnittes der Wirklichkeit (z.B. einer Abbildung durch schwarze oder weiße Pixel bestimmter Auflösung) und einer verbalen Beschreibung dieser Abbildung herstellen

 

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Wenn ich Dich richtig verstehe, haben wir in Deinem Modell:

 

- die Wirklichkeit (die wahrnehmbare Welt),

 

- für jedes Individuum mehrere (je nach Perspektive) unterschiedliche Bilder (eines bestimmten Teils) der Wirklichkeit, die sich vollständig beschreiben lassen und

 

- unbegrenzt viele visuelle Deutungen/Interpretationen des betreffenden Teils der Wirklichkeit je nach Perspektive und Sehhilfe.

 

Frage:

 

Könnte man die Bilder als uninterpretierte visuelle Sinneseindrücke bezeichnen?

Wie grenzt Du die Beschreibung eines Bildes von der Interpretation eines Bildes ab

 

wenn ich Dich richtig verstanden habe, habe ich je nach Perspektive unterschiedliche visuelle Sinneseindrücke von einem Gegenstand. Du nennst das "Bilder".

 

Diese Bilder lassen sich Deiner Ansicht nach im Prinzip vollständg sprachlich beschreiben: "Rechts oben ein dunkler Fleck, unten in der Mitte ein senkrchter roter Strich usw."

 

Je nach der gewählten Sprache und Begrifflichkeit fällt die Beschreibung unterschiedlich detailiiert und differenziert aus.

 

Ich sehe allerdings zwischen wirklicher Welt und der Beschreibung dieser Welt nicht notwendiger Weise strukturelle Ähnlichkeiten. Ich könnte z. B. alle Farben begrifflich zu einer Klasse zusammenfassen, deren Name im Deutschen ein "r" enthält und Elemente dieser Klasse als "ertig" bezeichnen. Rote und grüne Dinge sind sind in dieser Sprache unterschiedslos ertige Dinge, obwohl sie als farblich verschiedenartige Dinge wahrgenommen werden

 

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Ein Vorschlg zum Verfahren (falls Ihr beiden weitermacht):

 

#phritz formuliert noch einmal die Thesen, die er in dieser Runde vertritt, und Hermeneuticus formuliert noch einmal, an welchen Punkten er diesen Thesen widerspricht.

 

Sollte es nicht um einen Dissens in den Behauptungen gehen, sondern um einen Dissens hinsichtlich des methodischen Vorgehens ("Du psychologisierst die Logik", "Du berücksichtigst nicht, dass Sätze Bestandteile von Handlungen eines Sprechers sind") wird die Sache kompliziert.

 

Dann müsste man sich erst einmal Klarheit verschaffen, welche Fragen #phritz mit seinen Darlegungen beantworten will, um was für eine Art von Fragen es sich dabei handelt und welches die geeignete Methode zur richtigen Beantwortung derartiger Fragen ist.

 

Sind die Menschen Tiere?

 

Die Antwort hängt davon ab, wie man das Wort "Tier" definiert.

 

Es scheint jedoch sinnvoll zu sein, den Menschen nicht als eine Tierart zu definieren, weil wir in vieler Hinsicht einen Unterschied zwischen Mensch und Tier machen.

 

Wenn man den Menschen als eine Tierart definieren würde, dann würde zum Beispiel ein "Tierschutzgesetz" Menschen schützen. Man müsste dann immer umständlich sagen: &ten wir gibt es diese Unterschiede tatsächlich?

 

Ich denke, es gibt relevante Unterschiede zwischen den Menschen und allen anderen Lebewesen und diese Unterschiede hängen alle zusammen mit dem außergewöhnlich leistungsfähigen Gehirn des Menschen

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ich möchte folgende These hier einmal zur Diskussion stellen:

 

"Nur wenn jede Aussage und jeder Gedankenschritt auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit und Übernehmbarkeit geprüft wird, kann aus der Philosophie eine Wissenschaft werden."

Du schreibst, dass auch die Wissenschaften ab einem bestimmten Komplexitätsgrad nicht intersubjektiv nachvollziehbar sind. Du meinst damit sicherlich, dass z. B. ein Laie die Argumentation eines Kernphysikers nicht nachvollziehen kann, weil er die Begrifflichkeit und die mathematischen Methoden nicht beherrscht.

 

Mit "intersubjektiver Nachvollziehbarkeit" einer Theorie und ihrer Begründung ist in der These gemeint, dass jemand, der die Argumentation versteht, diese nachvollziehen und übernehmen kann.

 

Dass jemand sich nicht mit der Theorie beschäftigen will, dass jemandem die nötigen mathematischen Kenntnisse fehlen oder dass er nicht die Zeit hat, die Begriffe der Theorie zu erlernen, kann nicht der Theorie angelastet werden.

 

Wenn jemand russisch spricht, so wird das, was er sagt, nicht dadurch unverständlich, weil irgendjeamnd nicht die russische Sprache beherrscht.

 

Entscheidend für die intersubjektive Nachvollziehbarkeit ist in unserem Zusammenhang, ob jemand mit hinreichender Intelligenz die Sprache bzw. die Theorie und ihre Begründung erlernen kann und sie insofern nachvollziehen und für sich übernehmen kann.

 

 

Unter "Wissenschaft" verstehe ich Methoden zur allgemeingültigen Beantwortung von Fragen, wobei sich die Wissenschaft von andern Formen der Erkenntnisgewinnung dadurch auszeichnet, dass ihre Antworten intersubjektiv nachvollziehbar und übernehmbar begründet werden.

 

Bei den Fragen kann es sich um empirische Frragen handeln, auf die man wahre Antworten sucht, es können jedoch auch ethische, mathematische, hermeneutische, methodologische oder erkenntnistheoretische Fragen sein. Unter "Wissenschaft" verstehe ich also mehr als Erfahrungswissenschaft.

 

Unter "Philosophie" verstehe ich die Beschäftigung mit der Gesamtheit aller sinnvollen Fragestellungen, sofern sie noch nicht von den Einzelwissenschaften bearbeitet werden. Im Vordergrund stehen dabei erkenntnistheoretische Fragen und ethische Fragen.

 

Philosophie sollte deshalb zur Wissenschaft werden, weil uns mit nicht nachvollziebaren und nicht übernehmbaren Antworten auf unsere Fragen wenig gedient ist.

 

wie man sieht, ist es gar nicht so einfach, sich unmissverständlich auszudrücken.

 

Ich hatte geschrieben, dass sich die Wissenschaft gegenüber anderen Formen der Erkenntnis (wie religiöse Offenbarung oder Verlautbarungen einer Autorität) dadurch auszeichnet, dass ihre Antworten intersubjektiv nachvollziehbar und übernehmbar begründet werden.

 

Du entgegnest, dass der Glaube einer Sekte von den Sektenanhängern ebenfalls nachvollzogen und übernommen werden kann.

 

Ich präzisiere deshalb meine Aussage dahingehend, dass sich die Resultate der Wissenschaft dadurch auszeichnen, dass deren Begründung von jedem beliebigen Individuum, das die Argumente versteht und dem es um allgemeingültige Resultate geht, übernommen wird.

 

Wenn ich eine Behauptung übernehme, dann mache ich sie mir zu eigen und lege sie meinem Denken und Handeln zugrunde.

 

Poppers Kriterium für die Wissenschaftlichkeit einer Theorie (Falsifizierbarkeit an der Erfahrung) ist zu eng, weil damit Disziplinen wie z. B. normative Ethik ausgegrenzt werden.

 

Zur Bedeutung des Wortes "Philosophie". Hier lohnt sich kein Streit um Worte. Wenn Du z. B. Kausalitätstheorien aus der Philosophie ausgliedern willst, dann setze ich eben diese Disziplin an Stelle von Philosophie in die Ausgangsthese ein.

 

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die Forderung, alle Behauptungen und Begründungen - auch in der Philosophie - kritisch auf ihre intersubjektive Nachvollziehbarkeit (im oben präzisierten Sinne) zu prüfen, ist methodologisch gemeint.

 

Sie stellt eine Regel dar, die man bei der erkenntnisorientierten Beantwortung von Fragen befolgen sollte – auch in der Philosophie.

 

Erkenntnisverfahren, die nicht allgemein nachvollziehbar begründen ("Das sagt mir eine innere Stimme" oder ähnliches), zähle ich nicht zu den Wissenschaften. Aber auch hier kommt es auf die Sache an und nicht auf das Wort "Wissenschaft".

 

In den Erfahrungswissenschaften wird diese Intersubjektivitäts-Regel bereits seit längerem praktiziert – mit großem Erfolg. Anstatt zu fragen: "Was steht dazu bei Aristoteles oder in der Bibel?" wird die intersubjektive Nachvollziehbarkeit durch Beachtung der Schlussregeln der deduktiven Logik und durch den Verweis auf intersubjektiv übereinstimmende Wahrnehmungen erreicht.

 

Ich denke, es würde uns nicht schwer fallen, eine ganze Reihe von Verfahren der Begründung von Behauptungen oder Theorien zu nennen, die nicht intersubjektiv nachvollziehbar sind, ohne dass wir dazu weltweite Experimente anstellen müssten.

 

Ein in der Philosophie verbreitetes Verfahren, das die intersubjektive Nachvollziehbarkeit nicht ermöglicht, ist das Arbeiten mit undefinierten Begriffen oder mit Begriffen, die wiederum nur mit Begriffen des eigenen philosophischen Systems definiert werden, die also niemals Anschluss an die allgemeinverständliche Umgangssprache finden.

  

ganz generell vorweg: Ich denke nicht, dass Wissenschaftstheorie oder Methodologie problemlose und einfache Sachen sind, aber man muss die Erfolge und die Probleme doch in einem angemessenen Verhältnis zueinander sehen. Da sind die Fortschritte im Bereich der Erfahrungswissenschaften doch beachtlich (ich denke z.B. an die Genetik) im Vergleich zu philosophischen Disziplinen wie der normativen Ethik oder den normativen Theorien der Demokratie bzw. der Marktwirtschaft.

 

Nun zu Deinen einzelnen Punkten. Du beginnst mit den Erfahrungswissenschaften. Die Probleme, die Du nennst, beziehen sich weitgehend auf diejenigen Wissenschaften, die nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten suchen, wie die Physik. Man muss jedoch im Auge behalten, dass es viele Fragen gibt, die sich auf singuläre Sachverhalte beziehen und dass z. B. die gesamten historischen Wissenschaften deskriptiv sind. Ähnliches gilt für Wissenschaften wie die Geologie oder die Astronomie. Hier ist das Wachstum unseres Wissens enorm.

 

Auch unser Alltagswissen hat weithin deskriptiven Charakter. Wir sind uns sicherlich einig darüber, dass vor uns das Brandenburger Tor steht, wenn wir von der Humboldt-Universität die Straße Unter den Linden nach Westen bis ans Ende gegangen sind.

 

Aber klar, um handeln und entscheiden zu können, müssen wir Annahmen über Zukünftiges machen, das noch nicht erfahrbar ist. Aber unsere Voraussagen müssen nicht 100%ig eintreffen, um brauchbar zu sein und uns ein Leben und Überleben zu ermöglichen. Da viele Dinge bisher sehr dauerhaft waren – manche Steine liegen seit Hunderten von Jahren an dem gleichen Ort und haben die gleiche Form – so muss ich nur die Annahme machen, dass die Steine des Brandenburger Tores auch einen weiteren Tag überdauern werden, wenn ich mich morgen dort verabreden will. Tausendmal war diese Prognose zutreffend und ich werde sinnvoller Weise auch heute annehmen, dass das Brandenburger Tor morgen noch steht – wenn ich nicht zugleich andere entgegenstehende Annahmen (Erdbeben, Bombenanschlag o. ä.) mache.

 

Dass Logik und bisherige Erfahrung keinen sicheren Schluss auf Zukünftiges ermöglichen, ist klar. Insofern müssen wir bereit sein, dazu zu lernen und können die Welt nicht nach Art eines Uhrwerks deuten. Es gibt dauerhafte Dinge, es gibt empirische Regelmäßigkeiten – ohne die wir gar nicht existieren würden – aber unser Bild der Welt bleibt ein – nützliches – Modell.

 

zu den wissenschaftsgeschichtlich argumentierenden Arbeiten von Kuhn und Feyerabend möchte ich methodisch anmerken, dass gerade postulierte Regelmäßigkeiten in der Geschichte (Paradigmenwechsel, dialektisches Entwicklungsmuster nach Hegel, Marx oder Hoesle) sehr problematisch sind, denn für Wesen mit Gedächtnis gibt es strenggenommen keine Wiederholung desselben, weil es immer nur dasselbe plus die Erinnerung an das letzte mal gibt.

 

Die methodische Anweisung "Anything goes" von Feyerabend wurde in der Philosophie allzu lange und mit magerem Erfolg praktiziert.

 

Dass man wissenschaftlich begründen könne, was immer man wolle, halte ich für eine dramatisierende Übertreibung. Sowohl bei den Gefahren der Atomkraftwerke wie bei den Folgen des CO2-Ausstoßes hat die Wissenschaft eine Richtung weisende Funktion gehabt.

 

Ich halte trotz zahlreicher offener Probleme daran fest, dass der Satz: "Ich habe es selber gesehen und Du kannst dich mit deinen eigenen Augen davon überzeugen, dass es so ist, wie ich sage" eine intersubjektiv nachvollziehbare und übernehmbare Begründung darstellt.

 

zu Deinen Ausführungen über die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Ethik und deren intersubjektiv nachvollziehbare Begründung.

 

Vorweg möchte ich festhalten, dass der Streit darüber, wie man zu handeln hat, keine Erfindung der Philosophen ist, sondern unvermeidliches Produkt des Zusammenlebens von Menschen ist, die etwas wollen und die sich bei der Verfolgung ihrer Ziele in die Quere kommen. Wer die Vorteile der Zusammenarbeit mit anderen genießen will, der muss einheitliche kollektive Regelungen finden, ob über den starken Mann oder auf gewaltlosem Wege.

 

Das Thema Ethik und Begründung von Normen und Institutionen sollte man in einer gesonderten Diskussion behandeln. Deshalb nur einige Hinweise.

 

Normen kann man nur aus Prämissen deduzieren, die selber irgendeinen normativen Gehalt haben. Das ist richtig. Aber Sollen kommt von Wollen. Normen sind ja nichts anderes als Willensinhalte, bei denen der Träger des Willens allerdings oft nicht genannt wird. Die Frage nach einer allgemeingültigen Ethik kann man deshalb meiner Ansicht nach in die Frage übersetzen: Was können wir alle gemeinsam am ehesten dauerhaft wollen?

 

Dies soll hier kein begründetes Argument sein, sondern ich will damit nur deutlich machen, in welcher Richtung ich die Lösung suche

 

Du fragst nach einem Beispiel für eine intersubjektiv nachvollziehbare und übernehmbare Begründung.

 

Das Musterbeispiel für einen Gedankenschritt, der intersubjektiv nachvollziehbar und übernehmbar ist, ist wohl die logische Deduktion einer Aussage bzw. Behauptung aus explizit gemachten Prämissen gemäß gültiger Schlussregeln.

 

Damit so etwas möglich ist, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Vor allem muss die Bedeutung der benutzten Wörter stabil und einheitlich sein und darf sich nicht je nach Kontext ändern. Wenn nicht gewährleistet ist, dass A = A ist, kann man die Logik an den Nagel hängen. Deshalb muss die Klärung der zentralen Begriffe am Anfang jeder sinnvollen Diskussion stehen (wie wir es bei dieser Diskussion auch mit mehr oder weniger Erfolg getan haben).

 

Es geht mir hier nicht um irgendeinen methodischen Perfektionismus, denn es gibt in jedem Forschungsprozess auch Phasen, in denen eher "brain storming" als logische Analyse angesagt ist. Mir geht es eher um die kritische Selbsteinschätzung, was die intersubjektive Akzeptierbarkeit der eigenen Ausführungen angeht, und um die Ausbildung einheitlicher Maßstäbe für die allgemeine Einsichtigkeit bestimmter Arten von Argumenten.

Ein Ausgangspunkt sind die Fragen, die nach einer Antwort verlangen, und zwar nicht nach beliebigen Antworten sondern nach den "richtigen" Antworten.
Wenn nicht für jeden eine andere Antwort die richtige ist – was jegliche Diskussion überflüssig machen würde – und wenn nicht heute die eine und morgen die gegenteilige Antwort richtig ist – was jeglichen Zweifel sinnlos machen würde – dann bedeutet die Suche nach richtigen Antworten die Suche nach intersubjektiv einheitlichen und intertemporal dauerhaften Antworten.

 

Und wenn "Richtigkeit" unterscheidbar sein soll von einem dogmatischen Anspruch auf Glauben, dann muss es für die richtigen Antworten Begründungen geben, die jedem verständigen und nach richtigen Antworten suchenden Menschen einsichtig gemacht werden können.

 

Ich verstehe sie als eine positive, deskriptive Aussage darüber, dass alle Philosophie in den Köpfen einzelner Menschen entsteht. Ich halte diese Aussage für richtig.

 

Wenn man zusätzlich annimmt, dass die einzelnen Menschen auch in ihrem Denken verschieden sind, so erklärt dies Unterschiede in den philosophischen Positionen der Einzelnen. Man muss also damit rechnen, dass eine intersubjektive Übereinstimmung nicht gegeben ist, sondern erst – manchmal mühsam – hergestellt werden muss

 

I.) Beispiele für intersubjektiv nachvollziehbare Argumente

1. Der Hinweis: "Jeder kann sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es so ist, wie behauptet wird."

Dies ist ein Bezug auf intersubjektiv übereinstimmende Sinneswahrnehmungen, ein Appell an Evidenzen. Die Berufung auf derartige Evidenzen ist deshalb möglich, weil es ohne übereinstimmende Sinneswahrnehmungen gar keine gemeinsame Sprache geben könnte. Die Berufung auf die eigene Wahrnehmung, die der Wahrnehmung der anderen Subjekte entspricht, bildet den Bezugspunkt der Erfahrungswissenschaften. Dabei bin ich mir darüber im Klaren, dass hochentwickelte Theorien, wie die moderne Physik, den Bereich des Anschaulichen weit hinter sich lassen und hypothetische Begriffskonstrukte und Modelle entwickeln, um das sinnlich Wahrnehmbare erklären zu können.

2. Jedes Argument, das unter Beachtung der logischen Schlussregeln entwickelt wird.

II.) Beispiele für Argumente, die nicht intersubjektiv nachvollziehbar sind:

1. Der Bezug auf nicht allgemein gegebene Fähigkeiten der Erkenntnis.

Dazu gehören: übersinnliche Wahrnehmung, der 7. Sinn, Eingebungen, göttliche Offenbarungen, Kommunikation mit übersinnlichen Wesen, Erinnerungen an ein früheres Leben, Berichte von Erfahrungen nach dem Tod durch Wiederbelebte etc.

2. Argumente, die mittels sprachlicher Ausdrücke formuliert werden, deren Bedeutung nicht für alle Beteiligten einheitlich ist.

Dieser Fall ist immer dann gegeben, wenn "drauflos" formuliert und diskutiert wird.

3. Argumente, deren logische Herleitung unklar ist.
Dieser Fall liegt vor, wenn z. B. die benutzten Prämissen und die einzelnen Schritte der Herleitung nicht explizit genannt werden und auch auf Nachfrage nicht beigebracht werden können. Hierher gehört auch das Argumentieren mit Metaphern, Gleichnissen und Analogien.

 

4. Argumente, die aus reinen Begriffskonstruktionen, aus theoretischen Modellen oder Idealtypen positive Aussagen über die Wirklichkeit ableiten, ohne diese noch einmal empirisch zu überprüfen.

 Ein Beispiel für ein derartiges Vorgehen ist Hoesles Zyklentheorie der Philosophiegeschichte. Unter Bezug auf die moderne Diskussion schreibt Hoesle in seinem Aufsatz "Zur Dialektik von Aufklärung und Gegenaufklärung": "Bei der Kritik der letzten Maßstäbe gerät aber die Aufklärung in eine eigentümliche Aporie: Nach welchen Metakriterien soll sie über jene Maßstäbe urteilen? Bei der Beantwortung dieser Frage wird die Aufklärung meist unkritisch und schwammig. Denn sie vermag zwar scharfsinnig zu kritisieren - nicht aber affirmative Normen zu begründen. (Insofern bleibt auch ihre Kritik parasitär -denn jede Kritik setzt positive Werte voraus.)" etc.etc.

Ein typisches Beispiel für fehlende intersubjektive Nachvollziehbarkeit einer Argumentation begegnete mir beim Versuch, den Wikipedia Artikel "Kategorischer Imperativ" zu ergänzen. Dabei ging es um den Begriff der "Maxime", den Kant bei der Formulierung des Kategorischen Imperativs benutzt.

Die Kontroverse kann nachgelesen werden unter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:...erativ#Kritik_2

 Nicht-Diskriminierung

Fragen sind für mich der Ausgangspunkt der Erkenntnis. "Erkenntnis" definiere ich deshalb als die richtige Beantwortung von Fragen.

Wenn jemand eine Frage richtig beantworten kann, dann weiß er die Antwort. Die Gesamtheit aller richtigen Antworten, die wir geben können, kann man deshalb als "Wissen" bezeichnen.

Eine widersprüchliche Antwort auf eine Frage ist gar keine Antwort. Sätze, die keine Frage beantworten können, können keine Erkenntnis vermitteln. Deshalb sind widersprüchliche Sätze dort unzulässig, wo es um die Gewinnung von Erkenntnissen und Wissen geht.

 

Der Fragende sucht nicht nach irgendeiner Antwort auf seine Frage, sondern nach der richtigen Antwort bzw. nach den richtigen Antworten.

 

"Richtig" bedeutet dabei "richtig für alle".

 

"Die kalten Wände schauen mich fragend an" - ein Satz, der bestimmte Gefühle von Verlorenheit und Entfremdung hervorruft. der bestimmte Stilmittel enthält (Metapher, Analogie), der aber nichts behauptet.

 

Nehmen wir einmal an, ein Literaturkritiker würde dazu schreiben: "Der Text steckt voller Irrtümer, denn Wände haben keine Augen und können deshalb auch niemanden anschauen. Außerdem ist der Text ungenau, denn was ein fragender Satz ist, ist eindeutig, aber was ein 'fragendes Anschauen' sein soll, bleibt vage".

 

Wir würden zu Recht sagen: "Der Mann hat seinen Beruf verfehlt."

 

Dem Künstler der Sprache ist es unbenommen, seine Gedichte zu verfassen. Aber die Sprache dient auch noch profaneren Dingen, und Sätze, die mit dem Zeichen '?' versehen sind, können nach lebenswichtigen Antworten verlangen: "Wie hoch ist das Fieber des Kindes?"

 

Es ist deshalb wichtig, sich Gedanken über die geeigneten Wege zur richtigen Beantwortung offener Fragen zu machen.

 

Grundlegende Voraussetzung hierfür ist es, dass man sich klar darüber ist, was man gerade macht: Sucht man nach richtigen Anworten, die ein Problem klären, oder schreibt man Gedichte, die etwas bisher nicht Bewusstes und nicht Mitteilbares ausdrücken.

 

Beides hat seine Bedeutung - aber man darf beides nicht durcheinander bringen.

 

was ich benötige, um eine Frage zu stellen, ist eine Sprache, eine Terminologie. Ich würde das nicht "Theorie" nennen.

 

Eine Terminologie gibt den in der Frage vorkommenden Wörtern eine bestimmte Bedeutung. Sie entscheidet jedoch noch nicht darüber, ob eine Antwort richtig ist oder nicht.

 Die Frage: "Wird Deutschland Europameister im Handball?" wird von Jacques und Georg in gleicher Weise verstanden. Trotzdem können sie verschiedene Anworten auf die Frage geben.Benötigen die beiden dafür eine Theorie? Sie müssen m. E. nur wissen, was mit dem Ausdruck "Europameister werden" und den andern Ausdrücken gemeint ist.

Wenn Georg auf die Frage "Wird Deutschland Europameister im Handball?" antwortet: "Ja und Nein", dann gibt er eine widersprüchliche Antwort. Für den, der wissen will, ob Deutschland Europameister wird oder nicht, ist das gar keine Antwort. 

Ebenso wäre es gar keine Antwort, wenn Georg antworten würde: "Entweder wird Deutschland Europameister oder Deutschland wird nicht Europameister." Dieser Satz ist zwar nicht falsch, aber er kann keine Frage über die Beschaffenheit der Wirklichkeit beantworten, weil er keinerlei Informationen darüber enthält. Wenn man ernsthaft eine Frage stellt, dann sucht man nach der richtigen Antwort und nicht nach irgendeiner Antwort. Und "richtig" heißt hier "intersubjektiv richtig". Wenn es sein kann, dass für Georg der Satz "Deutschland wird Europameister" richtig ist, während für Jacques der Satz "Deutschland wird nicht Europameister" richtig ist, dann sehe ich keinen Sinn mehr im Fragen. Dass mit der Suche nach Antworten, die für alle richtig sind, der Fortschritt im Erkennen verhindert wird, ist für mich nicht nachvollziehbar. Der Fortschritt in der Erkenntnis drückt sich doch vor allem dadurch aus, dass neue, weitergehende Fragen gestellt werden , die auf der richtigen Beantwortung früherer Fragen aufbauen.

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Bedeuten die folgenden beiden Sätze das Gleiche? (zu Kausalität)

1.) "Alles geschieht nach den unveränderlichen Naturgesetzen" und

2.) "Nichts geschieht entgegen den unveränderlichen Naturgesetzen".Wie könnte man den Satz: "Alles geschieht nach unveränderlichen Naturgesetzen" überprüfen?
Dazu müsste man das Geschehen und diese Naturgesetze kennen. Aber wir kennen nicht alle Naturgesetze und sind uns auch nicht sicher, ob diejenigen, die wir kennen, wahr sind und nicht mehr verändert werden müssen. Worauf gründet sich dann der Satz? Um zu wissen, welche Handlungsmöglichkeit mir nicht offensteht, müssten die relevanten Kausalketten bis zu meiner Handlung gewissermaßen durch mich hindurch bekannt sein.
Wir kennen meist nur Kausalbeziehungen nach der Art "Wenn U dann F". Wir kennen aber gewöhnlich nicht die dazugehörigen Nebenfolgen von U.

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Das Gewissen als Grundlage der Ethik?

Hat nicht jeder Mensch ein Gewissen, eine "innere Stimme", die sich meldet, wenn er etwas Unrechtes tut? Aber es gibt wohl auch "gewissenlose" Personen, die keine "Gewissensbisse" empfinden. Oder haben sie nur ihr Gewissen "abgestumpft", so wie man etwa seine Geschmacksnerven durch Überreizung abstumpfen kann? Man kann ja auch sein Gewissen "schärfen" für bestimmte Vorgänge.

Allerdings taugt das Gewissen der Einzelnen nicht als Ausgangspunkt für allgemein anerkennbare Normen, da die Gewissen der Individuen nicht
übereinstimmen. Psychologie und Soziologie haben  herausgefunden, dass die Inhalte des Gewissens die "verinnerlichten" Normen der Erzieher, also vor allem der Eltern widerspiegeln. In der Psychoanalyse spricht man vom "Über-Ich", das dem "Ich" tadelnd gegenübertritt. Dies ist der Ursprung der Schuldgefühle. Menschen können sich schämen, machen sich selber Vorwürfe, können sich "mit den Augen der andern sehen". Manche meinen sogar, dass die Fähigkeit zu moralischem Verhalten das wesentliche Unterscheidungsmerkmal des Menschen von den Tieren ist. Nietzsche bezeichnete den Menschen einmal als das "Tier, das sich schämt".

Manche meinen, dass Menschen die Fähigkeit zur "Wertsicht" haben, und dass diejenigen, die das verneinen, nur "wertblind" sind, also einen Wahrnehmungsdefekt haben. Aber auch diejenigen, die eine solche Fähigkeit behaupten, sind untereinander nicht einig über die Werte, die sie sehen.
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Was sind Eigenschaften eines Gegenstandes?
Welche Merkmale sind nicht dem Gegenstand zuzuordnen sondern dem jeweiligen Subjekt?

x wiegt 29 Kilopond.
x ist nicht brennbar.
x ist 2 m hoch.
x ist rot und blau gestreift.
x ist süß.
x ist ekelerregend.
x ist größer als y.
x ist glatt.
x ist laut.
x hat vier Räder ?
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Zum Versprechen:


Einseitiges Versprechen:

A sagt zu B:"Hiermit verspreche ich Dir, die Norm N zu befolgen." (1)

A sagt zu B: "Ich werde die Norm N befolgen. Das verspreche ich dir." (2)

A sagt zu B: "Ich will ernsthaft die Norm N befolgen. Glaube mir, dass ich ich dies ernsthaft will." (3)

A sagt zu B: "Ich bin fähig, die Norm N zu befolgen." (4)

Was enthält ein einseitiges Versprechen?
Eine Prognose: (2)  "A wird N befolgen."
Ein (festes) Wollen: "A will N befolgen."
Die Fähigkeit von A, die Norm N zu befolgen.


Sollen" und "Können".
Es ist überflüssig, eine Handlung zu verbieten, deren Ausführung sowieso niemandem möglich ist, denn gegen ein solches Verbot könnte niemand verstoßen, selbst wenn er dies wollte. So wäre es z. B. sinnlos, für Radfahrer eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 200 km/h einzuführen. Insofern setzt ein "Nicht-Sollen" ein "Können" voraus. Hans Albert sah darin "Brückenprinzipien" zwischen Erfahrungswissenschaft und normativen Behauptungen.

Entsprechendes gilt für die Erlaubnis unmöglicher Handlungen. Die Erlaubnis, dass Radfahrer über 200 km/h fahren dürfen, ist sinnlos, denn ein "Dürfen" setzt ebenfalls ein "Können" voraus.

Auch Gebote, die eine unmögliche Handlung gebieten, sind unsinnig, z. B. das Gebot an Radfahrer, schneller als 200 km/h zu fahren. "Sollen" setzt "Können" voraus.

Der Befürworter einer unerfüllbaren Norm muss wissen, dass durch keine Sanktionierung dieses Gebotes die gebotene Handlung herbeigeführt werden kann. Folglich kann er auch das Gebot nicht damit begründen, dass er die gebotene Handlung herbeizuführen wünscht.

Allerdings kann eine unerfüllbare Norm aus andern Gründen gewollt werden. Z. B. können solche Normen jemandem dazu dienen, bei den fälligen Bestrafungen wegen Nichterfüllung des Gebots sadistische Hassgefühle zu befriedigen. Oder sie werden aufgestellt, um bei den Normadressaten Schuldgefühle und Strafängste zu mobilisieren, die sie gefügiger gegenüber anderen Normen machen.

(Die Theorie von der "Erbsünde" konstruiert eine Situation, in der der Mensch nicht sündigen soll, in der es dem Menschen aber zugleich unmöglich ist, dies Gebot zu erfüllen.)

Was ist möglich?
Dies alles ist wohl nicht strittig. Interessant für die normative Theoriebildung ist die Präzisierung dessen, was "möglich" oder "unmöglich" ist.


Zum einen kann man unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von "möglich": logisch unmöglich ("Verschwinde und bleib hier!"), erfahrungswissenschaftlich unmöglich ("Baue ein Perpetuum mobile!", "Verwandle dies Stück Eisen in nichts!") oder technisch unmöglich ("Sei jetzt in Leipzig und in 1 Minute in Hamburg!".

Der Bereich des technisch Möglichen kann durch mögliche Anstrengungen u. U. erweitert werden, sodass das bisher Unmögliche möglich wird.

Auch das, was einem bestimmten Menschen möglich ist (das, was er "kann", wozu er "fähig" ist) steht nicht vollkommen fest. Es hängt u.a. von seiner Motivation ab, es hängt davon ab, wie viel Mühe er sich gibt ("Du kannst, wenn Du willst", "Du musst nur wollen!"). Niemand kann ständig Höchstleistungen vollbringen. Der Gesetzgeber sollte bei der Einführung eines Gesetzes berücksichtigen, inwieweit sich das Gesetz auch durchsetzen lässt. Er muss dabei von der durchschnittlich gegebenen Motivation von Menschen ausgehen und darf keine "Engel" voraussetzen.

Gesetze, die nur auf dem Papier stehen, sind aus verschiedenen Gründen eher schädlich.

Schließlich muss berücksichtigt werden, ob sich eine Norm an den Einzelnen oder an eine kooperierende Gesamtheit von Einzelnen richtet. Viele können mehr als Einer.

Soziale Utopien fragen oft nur danach, was möglich ist, wenn alle ihr Handeln zur Disposition stellen, und wählen dann eine optimale gesellschaftliche Ordnung aus. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass nicht immer der "gute Wille" aller vorausgesetzt werden kann.

Wir kommen immer wieder in Situationen, wo wir uns fragen: "Wie soll ich handeln?" Zum Beispiel stellt sich mir die Frage, ob ich dem Bettler, der mich in der U-Bahn anspricht, Geld geben soll oder nicht.

Auf derartige moralische Fragen suchen wir Antworten, die möglichst allgemein (intersubjektiv übereinstimmend) und dauerhaft (intertemporal stabil) anerkennbar sind. Ob und inwieweit eine Antwort dies Ziel erreicht, zeigt sich an den Argumenten, die für oder gegen sie vorgetragen werden können.

Was ist an dieser Vorgehensweise verkehrt? Kann man die Frage: "Wie soll ich hier und jetzt handeln?" nicht in Form einer generellen Regel beantworten, weil jede Situation anders ist?

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Dem Satz selber kann man nicht ansehen, ob damit etwas behauptet wird. Derselbe Satz kann je nach dem Kontext, in dem er geäußert wird, eine Behauptung oder ein Witz oder ein Teil eines Filmtextes sein.

Wenn ich sage: "Meiner Meinung nach sind Viren Lebewesen", so mache ich genau genommen eine Aussage über meine Meinung und ich behaupte nichts über Viren.


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Die Umgangssprache ist in diesem Bereich nicht sehr präzise. Der Satz: "Meiner Meinung nach sind Viren Lebewesen" ist praktisch gleichbedeutend mit dem Satz: "Ich meine, dass Viren Lebewesen sind". Er enthält eine Information über das, was ich meine. In einer Diskussion ist ein solcher Satz wohl immer eine halbe, wenn nicht eine dreiviertel Behauptung.


Vielleicht können wir einmal klären, was ein "Urteil" von einer "Behauptung" unterscheidet. In den Erfahrungswissenschaften und in der Logik spricht man gewöhnlich von "Aussagen" (Propositionen). Und was sind Aussagen? Es sind Sätze, die wahr oder falsch sein können. Ist der Satz: "Man soll Tieren nicht unnötig Schmerz zufügen" eine Aussage? Kann dieser Satz wahr oder falsch sein?
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Du sagst, dass Du in moralischen Fragen logisches Schlussfolgern nicht für angebracht hältst. Dem kann ich nicht folgen. Wenn in einer moralischen Norm allgemeine Begriffe vorkommen wie z. B. "Tier", so kannst du diese Norm im konkreten Fall nur anwenden, wenn du weißt, dass das Objekt vor dir ein Tier ist und damit die Norm, die für Tiere allgemein gilt, auch in diesem konkreten Fall gilt.
Dieser Schluss von einer allgemeinen moralischen Norm auf eine einzelne moralische Entscheidung ist aber ein logischer Schluss.
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Ich stimme dir darin zu, dass es nicht immer des Zusatzes "Hiermit behaupte ich, dass …" bedarf, damit für eine Aussage ein allgemeiner Geltungsanspruch erhoben wird.

Zu religiösen Inhalten schreibst Du: "Denkt man an religiöse Glaubensinhalte, die mit den menschlichen Methoden nicht auf ihre Wahrheit oder Falschheit zu prüfen sind, so ist durchaus vorstellbar, dass jemand z.B. sagt: "Ich bin davon überzeugt, dass die Aussage 'Gott ist die Liebe' wahr ist." Und in der Tat würde man mit einem solchen "Bekenntnis" nicht den Anspruch auf allgemeine Zustimmung verbinden oder versuchen, die Wahrheit dieser Aussage argumentativ nachzuweisen."

Leider ist es häufig nur ein kleiner Schritt von harmlosen religiösen Glaubensinhalten (zum Beispiel über ein Leben im Paradies nach dem Tode) zu abscheulichen Verbrechen (zum Beispiel einem Selbstmordattentat an einer Bushaltestelle, wo viele Menschen in die Luft gesprengt werden.)

Generell zur Rolle der Emotionen in der Moral. Als ich als Schüler das Buch von Bertrand Russell "Human Society in Ethics and Politics" (mit dem schönen deutschen Titel "Dennoch siegt die Vernunft") in die Hände bekam, kam mir Russells Art, ethische Fragen zu erörtern, als völlig unangemessen vor. Moral, Gut und Böse, Schuld, Sünde, Scham, Strafe, moralische Empörung: All das waren Dinge, die für mich mit stärksten Emotionen verknüpft waren, und nun kam ein Philosoph daher und wollte diese Probleme durch vernünftige Überlegungen entscheiden. Moral war für mich etwas so tief in die eigene Persönlichkeit Eingegrabenes, dass ich nicht einfach sagen konnte: "Hier habe ich mich moralisch geirrt. Ab sofort werde ich nach der richtigen Norm handeln."

In der Tat gibt es Schuldgefühle, Schamempfindungen oder Ängste, von deren Unbegründetheit man zu recht überzeugt sein kann, die aber trotzdem in mir weiter bestehen und sich erst allmählich auflösen. (Dies gibt es auch bei nicht-moralischen Phänomenen. So kann man rational davon überzeugt sein, dass es ungefährlich ist, vom 5-Meter-Brett ins Wasser zu springen. Trotzdem wagt man es nicht.)

Ich vermute, dass dies zum einen damit zusammenhängt, dass schon unsere affenähnlichen Vorfahren, die in überschaubaren Gruppen lebten, moralähnliche Mechanismen der Sanktionierung unerwünschten Verhaltens einzelner Gruppenmitglieder kannten. Bei den Menschen gab es z. B. das Inzestverbot, das sich in allen Gesellschaften findet.

Zum andern gibt es beim Menschen frühkindliche Prägungen in Bezug auf das soziale Verhalten, die man nur schwer revidieren kann. Da diese Prägungen vom Kind nicht gedanklich und sprachlich verarbeitet werden können, bedarf es besonderer psychotherapeutischer Verfahren, um frühkindliche traumatisch wirkende Erlebnisse bewusst zu machen und sie vom Stand einer erwachsenen Person aus nachträglich zu verarbeiten.

Die rasche Veränderung unserer Lebensbedingungen macht es nötig, auch die moralischen Prägungen fortlaufend auf ihre Angemessenheit an die heutigen Lebensbedingungen zu überprüfen - und das können wir nur durch den Gebrauch unserer Vernunft. Der motorisierte Straßenverkehr oder das wirtschaftliche Handeln sind zwei Bereiche, für die es kaum emotional gestützte moralische Prägungen gibt. und wo in extremem Gegensatz zur realen Bedeutung für das Wohl und Wehe der Menschen Verstöße deshalb zu Unrecht höchstens als "Kavaliersdelikte" behandelt werden. Man handelt dabei nach dem Prinzip: "Man darf sich nur nicht erwischen lassen".

Durch die moderne Technik geschieht der Abwurf einer Atombombe per Knopfdruck und die Bomberpiloten sind mit den Wirkungen ihres Handelns nicht unmittelbar konfrontiert. Da ist es nicht verwunderlich, wenn keine elementaren Hemmschwellen überwunden werden müssen. Das macht das Bemühen um eine argumentativ begründete Moral umso wichtiger und dringlicher.


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Du betonst, dass alle Soll-Aussagen hinterfragt werden können. Gleiches gilt meiner Meinung nach auch für Seins-Aussagen. Ich beanspruhe für die Antworten auf moralische Fragen nicht mehr Gewissheit als für die Antworten auf faktische Fragen. (Aber im normativen Bereich muss die Verbindlichkeit die offenen empirischen Fragen abschließen.)

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Es wäreschön, wenn alle Menschen einen untrüglichen moralischen Kompass in sich hätten, der sie zugleich zwingt, entsprechend zu handeln. Leider stimmen die moralischen Intuitionen intersubjektiv nicht überein. Dies ist schon deshalb der Fall, weil die Weltbilder, die die Einzelnen in sich tragen, verschieden sind. Dass man Menschen verbrennt, kann moralisch rechtfertigt werden, wenn man annimmt, dass dadurch die Seele des Betreffenden vor der ewigen Verdammnis gerettet wird.

Du schreibst: "Moral" wird von den Vorbildern (Eltern, Lehrer....) vorgelebt und nicht doziert. IMHO hat Moral mit Vernunft nichts zu tun und sollte es auch gar nicht. Die Aufgabe moralische Normen zu begründen stellt sich nicht."

Mir scheint, dass Du hier ein Opfer der Doppeldeutigkeit des Wortes "Moral" geworden bist. MIt "Moral" können einerseits die tatsächlich praktizierten Normen des Umgangs miteinander gemeint sein. Das wäre das, was die Erzieher vorleben. Ich kann aber noch einmal fragen, ob diese Normen wirklich moralisch richtig sind. Dann benutzt du das Wort "Moral" im Sinne von "richtiger Moral". Und das hat mit Vernunft viel zu tun.
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@ ahasver
Du wiederholst die These, dass man alles vernünftig begründen kann. Deshalb misstraust Du der Vernunft. Auch hier wirst Du ein Opfer der Doppeldeutigkeit von Wörtern wie 'Erkenntnis', 'Wissen', 'Moral', 'Argument', 'Begründung' und ähnlichem.

Man kann z. B. mit jemandem argumentieren. (Hier wird das Wort 'Argument' beschreibend verwendet.) Dabei kann es vorkommen, dass ein Teilnehmer sagt: "Das ist kein Argument, was Du Da anbringst". (Hier wird das Wort 'Argument' wertend verwendet.)

Die Nazis mögen im ersteren Sinne argumentiert haben und ihre Politik begründet haben. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie im Sinne der zweiten Bedeutung erfolgreich argumentiert und begründet haben.

Ist der Satz "Leben ist Kampf und wer nicht bereit ist zu kämpfen, der hat es nicht verdient zu leben" ein Argument(1) ? Ja. Ist das ein "Argument(2) ? Nein.

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Unser Thema ist: Rationale Moralbegründung - pro und contra.
Man kann gegen eine rationale Moralbegründung sein:
1.) weil eine rationale Moralbegründung nicht möglich ist und/oder
2.) weil eine rationale Moralbegründung nicht wünschenswert ist.

Für beide habe ich hier bisher wenig haltbare Argumente gesehen.

Ich halte eine rationale Moralbegründung für möglich. Ich halte sie außerdem für dringend erforderlich angesichts der kulturellen und politischen Konflikte, die drohend auf uns zukommen.


Derjenige, der sich für eine rationale Moralbegründung ausspricht, muss deswegen nicht gegen Gefühle oder Intuitionen sein. Nach meinem Verständnis von Moral geht es dabei gerade um das, was Menschen wollen und wünschen. Das, was wir sollen, ist nichts anderes als das, was wir am ehesten gemeinsam und dauerhaft wollen können.

Wenn unsere Interessen nicht ohne unser Zutun übereinstimmen und das, was den einen erfreut, den anderen ärgert, müssen wir unsere Interessen gegeneinander abwägen. Dies setzt voraus, dass wir uns in die Lage des anderen hineinversetzen und die Welt auch aus seiner Sicht sehen. Entgegen den positivistischen und behaviouristischen Prinzipien halte ich es für möglich, auf diesem Wege das Wohlergehen verschiedener Menschen intersubjektiv übereinstimmend hinreichend genau zu schätzen und miteinander zu vergleichen, um daraus normative Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Wer bestreitet, dass wir wissen können, wie gut oder wie schlecht die Lage eines anderen ist, der ist aufgefordert zu sagen, warum wir uns überhaupt um die Beantwortung moralischer Fragen befassen, wenn wir nicht einmal wissen, wie es anderen Menschen geht oder gehen wird.

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Der Satz "Leben ist Kampf und wer nicht bereit ist zu kämpfen, der hat es nicht verdient zu leben" wurde von den Nazis als Argument für die militärische Aufrüstung benutzt. Es handelt sich jedoch nicht um ein erfolgreiches Argument. Damit konnte die Aufrüstung nicht gerechtfertigt werden.

Nehmen wir die Aussage: "Leben ist Kampf". Diese Aussage - unter Verwendung des harmlosen Wörtchens "ist" - sagt etwas über das Wesen des Lebens aus. Als Beleg könnte man zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Biologie heranziehen. Man befindet sich mit seinen Aussagen auf der Ebene der Beschreibung. Dann kommt die Aussage, dass derjenige, der das Wesentliche des Lebens, das Kämpfen, verfehlt, es nicht verdient hat zu leben. Hier befinden wir uns unversehens auf der normativen Ebene. Hier werden Aussagen gemacht über das Schicksal, das jemand verdient.

Dies ist ein schönes Beispiel für den Fehlschluss vom Sein auf das Sollen. Ein Fehlschluss kann jedoch kein wirkliches Argument sein, sondern höchstens ein vermeintliches bzw. ein fehlerhaftes Argument.


Abgesehen davon ist bereits die Aussage: "Leben ist Kampf" problematisch. Man könnte auch sagen: "Leben ist Wachstum" oder "Leben ist Veränderung". Solche Wesensbestimmungen lassen sich weder beweisen noch widerlegen. Diese Kritik gilt übrigens auch für den Satz: "Alle bisherige Geschichte ist eine Geschichte der Klassenkämpfe".

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Der Titel "rationale Moralbegründung" ist dem Aufsatz von Fischer entnommen, der von Hermeneuticus als Bezugspunkt unserer Diskussion vorgeschlagen wurde. Fischer vertritt die Position, dass es nicht nur eine argumentativ-rationale sondern auch eine narrativ-intuitive Form der Begründung von Moral gibt.

Wenn ich für eine "rationale" Moral eintrete, dann meine ich damit eine Moral, die aus normativen Behauptungen besteht, für die es Argumente gibt, die – zumindest im Prinzip – von jedem, der die Argumente versteht, eingesehen und geteilt werden können.

Ein Beispiel wäre der Satz "Wo Kinder spielen, soll man langsam fahren". Der Satz ist an Autofahrer adressiert Er beschreibt eine Situation und das in dieser Situation gebotene Handeln. Da der Inhalt des Satzes besagt, dass etwas geboten ist, handelt es sich um einen normativen Satz.

Nach meinem Verständnis und meinem Sprachgebrauch handelt es sich um eine "Behauptung", die wahr oder falsch sein kann, denn man kann dazu sagen: "Das ist richtig" oder "Das stimmt nicht".

Das heißt zugleich, dass der Satz mit einem Anspruch auf Anerkennung bzw. Geltung verbunden ist. Dieser Geltungsanspruch ist insofern allgemein, als der Satz für jedermann und zeitlich unbeschränkt (intersubjektiv und intertemporal) gilt.

Ob eine Behauptung wahr (richtig, allgemeingültig) ist oder nicht, ist deshalb von besonderer Bedeutung, als man Behauptungen, die man für wahr hält, dem eigenen Denken und Handeln zugrunde legt – zumindest soweit man ein vernünftiges Wesen ist.

Wenn Individuen in dem, was sie für wahr halten, übereinstimmen, können sie problemlos gemeinsam handeln, was für jede Art von Gruppe bzw. Kollektiv von zentraler Bedeutung ist.

Für und gegen den Geltungsanspruch von Behauptungen kann man argumentieren. Man kann den Geltungsanspruch durch allgemein überzeugende Argumente einlösen oder zurückweisen. Im besten Fall gelingt es, dadurch einen argumentativen Konsens herzustellen.

Dieser Konsens kann jedoch jederzeit wieder beendet werden durch neue Erkenntnisse. Hier beginnt der Bereich des Rechts.

dass es solche Erlebnisse gibt, wie Du sie auf dem Musterhof gehabt hast, ist wohl nicht strittig. Ich erinnere mich an ein ähnliches Erlebnis im idyllischen Wendland, wo wir im Haus eines Freundes einen kurzen Urlaub machten. Nachbar im Rundlingsdorf war der Bauer Schulze und ich ging mit den Kindern öfter mal zu ihm rüber. Eines Tages kam der Tierarzt vorgefahren und es wurden die männlichen Ferkel kastriert, einfach so. Das Gequieke der verletzten Tiere gellt noch heute in meinen Ohren. Wie der Bauer mir später sagte, wird das gemacht, weil sonst das Fleisch zu bitter schmecken würde.

Was folgt daraus für die Ethik und die Begründung von moralischen Normen?

Es folgt daraus zum einen, dass ein Mensch nicht nur nur eigenes Wohlergehen will, sondern dass sich sein Wille auch auf das Wohlergehen anderer Menschen und Lebewesen richtet. Das individuelle Interesse eines Menschen geht nicht im Eigeninteresse auf, sondern es enthält darüber hinaus auch Motivationen wie Mitgefühl, Sympathie, Liebe, Identifikation mit der eigenen Familie und anderen Gruppen etc.. Man spricht hier wohl auch von moralischen Empfindungen, vom Gerechtigkeitssinn oder ähnlichem.

Aber sollen diese Empfindungen unmittelbar durchschlagend sein und gültige Vorschriften des Handelns darstellen? Da die Menschen in ihren sozialen Gefühlen unterschiedlich sind – vor allem durch die unmittelbare Konfrontation unterschiedlichster Kulturen im Zeitalter globaler Beziehungen - wären Konflikte vorprogrammiert. Für diese Konflikte gäbe es auch kaum eine einvernehmliche Lösung, denn das starke Gefühl moralischer Empörung lässt keine Kompromisse zu und fragt nicht nach den möglichen Folgen.

Die sozialen Gefühle, Werte und Ideale der Einzelnen ergeben Willensinhalte "Ich will das nicht!" "Das soll nicht sein!" Solange diese nicht intersubjektiv übereinstimmen, bedarf es einer gedanklichen Anstrengung um trotzdem einen Konsens möglich zu machen. Wenn zu den Riten einer Religion Tieropfer gehören, die eine bestimmte Art der Schlachtung vorsehen, so prallt das möglicherweise zusammen mit den Tierschutzvorstellungen von Menschen mit einer anderen Weltanschauung. Hier gibt es solange keine Lösung, wie die Beteiligten nicht bereit sind, ihre sozialen Gefühle notfalls soweit zu kontrollieren und zurückzunehmen, dass sie mit den Gefühlen anderer vereinbar sind.

Ich vermute, dass es sich bei den sozialen Gefühlen um ein gattungsgeschichtlich älteres System der sozialen Koordination handelt, während sich eine bewusst gestaltete Moral- und Rechtsordnung erst seit einigen tausend Jahren herausbildet. Dabei geschieht das entwicklungsgeschichtlich nicht so, dass das neuere System das ältere abrupt ersetzt, sondern das neue System überlagert allmählich das ältere System, ohne es zu verdrängen. Diese Überlagerung der verschiedenen Entwicklungsstufen kann man recht gut anhand der Entwicklungsgeschichte des Nervensystems verfolgen.

Was wäre das auch für ein Moral, wenn es nicht so etwas wie Mitgefühl und Verständnis für andere Menschen gäbe.

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Ich denke auch, dass der Streit um die "richtige" Bedeutung des Wortes "Axiom" uns in der Behandlung unseres Themas nicht viel weiterführt.
Wichtiger scheint mir die Frage zu sein, ob noch jemand die These vertritt, dass sich jede beliebige moralische Norm begründen lässt, wobei das zweideutige Wort " begründen" im Sinne von "gut begründen" gemeint ist. Wenn die Nazis den 1939 ohne Kriegserklärung erfolgten Angriff auf Polen damit begründen, dass die Polen den Sender Gleiwitz beschossen hätten, so ist dies keine gute Begründung, denn sie entspricht nicht den Tatsachen.
Ich schlage vor, dass wir zu klären versuchen, was wir unter einer guten oder schlechten Begründung für eine Behauptung (insbesondere für eine moralische Behauptung) verstehen, am besten anhand konkreter Beispiele. Meiner Ansicht nach muss eine gute Begründung mindestens zwei Bedingungen genügen: zum einen muss die Begründung relevant sein, d.h. es muss sich daraus eine Schlussfolgerung ergeben, die die zu begründende Behauptung stützt oder schwächt. Zum andern muss die Begründung intersubjektiv nachvollziehbar und anerkennbar sein. Eine Tatsachenbehauptung, die falsch ist wie das obige Beispiel, ist nicht nachvollziehbar und anerkennbar, weshalb es keine gute Begründung sein kann.

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Zur Rolle der Gefühle in der Moralphilosophie.

Es besteht ein Unterschied zwischen der moralphilosophischen Aufgabe, die Methoden zur Bestimmung allgemeingültiger moralischer Normen zu erarbeiten und der Aufgabe, moralische Normen zu verinnerlichen. Mir geht es hier nur um die erste Aufgabe, was nicht heißt, dass die zweite Aufgabe nicht wichtig oder schwierig sei. Nicht jeder Mensch muss selber Moralphilosoph sein, er sollte allerdings die Begründung moralischer Normen verstehen. Diese Begründung ist übrigens sehr viel leichter zu verstehen, als es die unübersehbare Menge von Büchern und Artikeln zu diesem Thema vermuten lassen.

Welche konstruktive Rolle spielen die Gefühle nach meinem Verständnis in der Moralphilosophie oder Ethik? Insofern als Gefühle wie Freude, Trauer, Lust, Schmerz, Angst, Ekel, Stolz, Zufriedenheit etc. unsere stärksten Motive begleiten und diese Motive den Inhalt unseres Wollens ausmachen und schließlich das, was wir gemeinsam und dauerhaft wollen können, die Moral ausmacht, sehe ich keine Kopflastigkeit in meinem Ansatz.
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Bei der Begründung von Normen des Handelns müssen gewöhnlich empirische Fragen beantwortet werden. Wenn wir uns fragen, ob man sich sexuell selbst befriedigen darf, so spielt z. B. die empirische Frage eine Rolle, ob dies für die eigene Gesundheit schädlich ist. Insofern kein allgemein akzeptables Wissen und verschiedene Annahmen wissenschaftlich vertretbar sind, muss auch die Normfrage offen bleiben.

Allerdings gehen moralische Normen nicht in empirischen Fragen auf. Man könnte aufgrund derselben empirischen Aussagen auch eine Entscheidung im eigenen Interesse treffen. Damit wäre der genuin moralische Standpunkt jedoch krass verfehlt.

Wenn man die Güte einer Begründung bestimmen will, wird man nicht nur die Pro-Argumente sondern auch die Contra-Argumente sammeln und prüfen. Wenn ich eine These begründen will, bin ich nicht gezwungen, nur einseitig die Argumente zu berücksichtigen, die die These stützen. Aus diesem schiefen Verständnis von "Begründung" nach Art stalinistischer Wissenschaft stammt manchmal eine Art "Begründungs-Allergie".

Die Ansicht, dass die Forderung nach intersubjektiver Nachvollziehbarkeit der Begründung von Behauptungen bereits im Begriff "wahr" enthalten ist, kann ich nicht teilen. Wenn am Ende des lutherischen Glaubensbekenntnisses der Satz steht: "Das ist gewisslich wahr. Amen", dann glaube ich nicht, dass Luther damit implizierte, das der Satz "Sitzend zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten" intersubjektiv nachvollziehbar ist.

Eine positive Behauptung ist wahr, wenn es so ist, wie die Behauptung besagt. Eine normative Behauptung ist wahr, wenn es so sein soll, wie die Behauptung besagt. Wie man feststellen kann, ob eine Behauptung wahr ist, ist nicht in der Bedeutung des Wortes "wahr" impliziert.

Die These, dass Weltanschauungen nicht hinterfragbar sind, hätte ich gern mal in einem gesonderten Thread diskutiert.

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Du vertrittst die These, dass sich jede beliebige Norm gut begründen lässt.

Könntest Du z. B. einmal anhand Deines Beispiels mit den heidnischen Säuglingen die Begründung skizzieren?
Wie ist das bei positiven (faktischen) Behauptungen? Lässt sich auch jede beliebige faktische Behauptung gut begründen?

Bevor wir uns hier gegenseitig mit ungeklärten Begriffen traktieren, sollten wie Klarheit über das gewinnen, was die einzelnen Begriife und Sätze bedeuten.
Für Dich hat die Klarheit einen hohen Stellenwert - so wie auch für mich.

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Du forderst, dass der Moralphilosophie eine Phänomenologie der Moral voranzugehen habe. Die Fragen, die eine solche Phänomenologie deiner Meinung nach zu beantworten hat, sind auch Fragen der empirischen Sozial- und Entwicklungspsychologie, der Soziologie und der Ethnologie.

Ich halte diese Fragen für wichtig und würde es begrüßen, wenn mehr Forschungskapazität für ihre Beantwortung vorhanden wäre.

Ich halte es jedoch nicht für erforderlich, deswegen die philosophischen Untersuchungen zu Moral und Recht auf Eis zu legen. Stattdessen sollten die verschiedenen Disziplinen parallel arbeiten. Die Ergebnisse der Phänomenologie der Moral sollte dann herangezogen werden, wenn die Moralphilosophie durch deren Nichtbeachtung in die Irre zu gehen droht.

Ich sehe das Verhältnis zwischen den verschiedenen Disziplinen umgekehrt auch so, dass die theoretische Moralphilosophie neue wissenschaftliche Begriffe und Fragestellungen entwickelt, die eine empirische Forschung in dieser Richtung anregen können.

Ich nenne hier als Beispiel den interpersonalen Vergleich von individuellen Werten (interpersonal comparison of utilities), der unvermeidlich ist, wenn man die Vorteile der Einführung einer Norm für bestimmte Menschen und deren Nachteile für andere Menschen gegeneinander abwägen will. Die offene Frage ist hier, ob und wieweit es durch ein methodisches Sich-Hineinversetzen in die Lage anderer Menschen möglich ist, zu intersubjektiv hinreichend übereinstimmenden Einschätzungen der relativen Wichtigkeit der Interessen (Bedürfnisse) verschiedener Menschen zu gelangen. Hier ist die empirische Forschung gefragt.
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mein Wunsch nach mehr Forschungskapazität bezog sich auf die von Hermeneuticus genannten Fragen einer moralischen Phänomenologie, nicht jedoch auf den Zusammenhang von moralischer Phänomenologie und Entwicklungspsychologie.

Dringend nötig sind von meinem Standpunkt aus Untersuchungen zu den psycho-sozialen Bedingungen eines auf Argumenten beruhenden Konsens:

Was hindert Menschen an der Übernahme von (richtigen) Argumenten?
Unter welchen Bedingungen sind Menschen für Argumente, die ihnen neu sind, empfänglich?
Wie lassen sich dogmatische Überzeugungen auflösen?
Welche Rolle spielt die Orientierung an Autoritäten, Meinungsführern oder Mehrheitsmeinungen?
Lassen sich intersubjektiv übereinstimmende Aussagen über die Interessenlage Dritter machen?
Wie kann man einen Dissens über die Interessenlage eines Dritten auflösen?

Ergebnisse anderer Disziplinen wie Friedens- und Konfliktforschung, Mediationstheorie und Rhetorik sollten dabei mit einbezogen werden.

 

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@ #phrits
Du schreibst: "Auch die Wissenschaft sucht nach wahren Behauptungen, und hier sind regelmäßig empirisch wahre Behauptungen gesucht. Aber in der Philosophie suchen wir keine empirsch wahren Behauptungen. Aber was ist das dann für eine Wahrheit, die man als Philosoph sucht?"

Dazu ein paar kurze Bemerkungen.
Warum suchen wir Aussagen, die wahr sind? Der Grund hierfür liegt darin, dass wahre Aussagen von anderen übernommen werden können und auch in Zukunft übernommen werden können. Wahre Aussagen "währen" über die Zeiten und Personen hinweg. Was wahr ist, muss niemals korrigiert werden. Eine Aussage ist wahr, wenn es so ist (oder wenn es so sein soll), wie die Aussage besagt. Dass dies ein Ideal ist, das man anstreben kann, aber kein Ziel ist, das man erreichen kann, ist klar: Es können jederzeit neue Erkenntnisse und Argumente auftauchen, die mit der Aussage nicht vereinbar sind. Insofern kann es keine definitive Begründung und keine 100%ige Gewissheit geben.

Die Wahrheit, die man als Philosoph sucht, unterscheidet sich je nach der Art der Frage, auf die eine Antwort gesucht wird. In der Philosophie finden sich sehr verschiedenartige Fragen, logische, moralische, hermeneutische, terminologische, methodologische u.a.m. Entsprechend vielfältig sind auch die Antworten, die gegeben werden. Kandidaten für eine Auszeichnung als "wahr" sind nur solche Antworten, die sich intersubjektiv (nachvollziehbar) und intertemporal (dauerhaft) begründen und verteidigen lassen.

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Du zitierst Nietzsche:
"Die Logik ist genknüpft an die Bedingung: gesetzt, es gibt identische Fälle. Tatsächlich, damit logisch gedacht und geschlossen werde, muß diese Bedingung erst als erfüllt fingiert werden. Das heißt: der Wille zur logischen Wahrheit kann erst sich vollziehen, nachdem eine grundsätzliche Fälschung alles Geschehens angenommen ist. Woraus sich ergibt, daß hier ein Trieb waltet, der beider Mittel fähig ist, zuerst der Fälschung und dann der Durchführung seines Gesichtspunktes: die Logik stammt nicht aus dem Willen zur Wahrheit." (Nietzsche; Werke; Bd.3; S. 476) -

Hier irrt Nietzsche. Logik setzt keine identischen Fälle voraus sondern Logik setzt Fälle voraus, auf die die gleiche Beschreibung zutrifft. Wenn Fifi ein Dackel ist und Lumpi ein Dackel, dann sind beides Hunde. Damit können wir auf beide Falle die Logik anwenden. Wenn gilt: "Hunde hören höhere Frequenzen als Menschen", so gilt, "Fifi hört höhere Frequenzen als Menschen."
Dass "a = a" gelten muss, ist keine Aussage über die Wirklichkeit sondern die Forderung, dass ein Wort immer dasselbe bedeuten muss, wenn man Logik anwenden will.

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@ Nauplios
ich bin für Kritik immer sehr zu haben. Wenn die Kritik allerdings mittels falscher Argumente geführt wird, verzichte ich lieber darauf, auch wenn mir die Richtung gut passt. Zugunsten von Nietzsche ist anzumerken, dass es sich bei dem zitierten Text wohl nicht um eine von Nietzsche veröffentlichte Passage handelt, sondern um etwas aus dem Nachlass.

Zur Verteidigung der formalen Logik sei noch gesagt, dass die formale Logik ähnlich wie die Mathematik formal ist, insofern als sie nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt ist, sondern allgemein gilt. Sie gilt nicht nur für die beiden Hunde Fifi und Lumpi, sondern auch für Dich und mich, insofern wir beide unter die Beschreibung "Mensch, der im Philo-Raum diskutiert" fallen.

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@ Nauplios

Für dich scheint es ein Beleg gegen die formale Logik zu sein, wenn drei bekannte Philosophen die formale Logik nicht sehr hoch einschätzen.

Dagegen stelle ich die Frage, welche Argumente die betreffenden Philosophen gegen die formale Logik vorbringen. (Das Nietzsche -Zitat war wohl ein Schuss in den Ofen.)

Vor vielen Jahren, als ich ein begeisterter Nietzsche-Fan war, las ich bei ihm eine Passage, die mir damals sehr zu denken gab. Darin sagte Nietzsche sinngemäß, dass Spinoza seine Werke wohl deshalb ausgesprochen logisch aufbaute, weil er als Jude besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Rezeption seiner Werke hatte.

Nietzsche ging mit dem Zarathustra andere Wege. Wie sagte er doch noch? "Du hättest singen sollen, meine Seele!"

Für mich ist das entscheidende Kriterium dafür, dass es sich bei einem Text um wissenschaftliche Philosophie handelt oder nicht, ob es sinnvoll ist zu fragen: Stimmt das?

Wenn diese Frage an einen Text keinen Sinn macht, kann man den Text interpretieren und genießen. Man sollte jedoch davon absehen, für oder gegen ihn zu argumentieren.


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Man kann sich lange darüber streiten, was das Wort" Wissenschaft" bedeuten soll, denn jeder will die gut klingenden Wörter für sich reservieren.

Worauf es ankommt ist die klare begriffliche Unterscheidung dessen, was unterschiedlich ist und was wegen dieses Unterschieds unterschiedlich behandelt werden muss.

1.) Zwischen solchen Texten, bei denen man sinnvoll die Frage stellen kann: "Stimmt das, was der Text beinhaltet?" und solchen bei denen man es nicht kann, besteht ein wichtiger Unterschied. Bei einem lyrischen Gedicht zu fragen: "Stimmt das?" verkennt den Sinn von lyrischen Gedichten, denn ein Gedicht behauptet nichts.

2.) Zwischen Texten, in denen das, was darin behauptet wird, auch nachvollziehbar begründet werden muss, und solchen, in denen das nicht der Fall ist, besteht ein wichtiger Unterschied.

3.) Zwischen solchen Texten, die Antworten geben auf Fragen danach, wie die Welt beschaffen ist, und solchen Texten, die dies nicht tun, besteht ein wichtiger Unterschied.

4.) Zwischen solchen Texten, die Antworten geben auf Fragen danach, wie Menschen in bestimmten Situationen handeln sollen, und solchen Texten, die dies nicht tun, besteht ein wichtiger Unterschied.

5.) Zwischen solchen Texten, die Antworten geben auf Fragen danach, wie man überhaupt Fragen richtig beantworten kann, und solchen, die dies nicht tun, besteht ein wichtiger Unterschied.

Wie man diese Unterschiede begrifflich erfasst, ist eine Frage der Praktikabilität.

Mein Sprachgebrauch wäre:
1.) und 2.) kennzeichnen wissenschaftliche Texte.
3.) kennzeichnet empirische bzw. positive Wissenschaft.
4.) kennzeichnet wissenschaftliche Ethik bzw. Moralphilosophie.
5.) kennzeichnet Wissenschaftstheorie bzw. Methodologie.

Wie Du richtig bemerkst, kommt es bei der Wissenschaft jedoch auf die Methode an. Deshalb gehört zur Wissenschaft außerdem, dass sie ihre Behauptungen mit nachvollziehbaren Argumenten begründen muss. Das ist der Unterschied zu dogmatischen Behauptungen. (Offenbar hast Du übersehen, dass ich mich hier korrigiert habe und die Punkte 1.) und 2.) zusammen genommen habe, um wissenschaftliche Texte zu kennzeichnen.)

Ist das Bemühen um eine in diesem Sinne "wissenschaftliche" Philosophie wünschenswert?

Ich denke ja. Wer möchte, dass vernünftige Argumente den Lauf der Dinge mitbestimmen, der muss diese Argumente so zwingend, so verständlich und so unüberhörbar machen wie nur möglich. Ein methodisch unreflektierter lauwarmer philosophischer Eintopf nach dem Rezept "Anything goes" hilft dabei nicht weiter.

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Nauptilos
wie ich sehe, unterscheiden sich unsere Arten zu philosophieren, grundlegend von einander. Deshalb ist die gegenseitige Verständigung auch nicht leicht. Trotzdem halte ich sie für möglich. (Andernfalls wäre unsere Diskussion sinnlos.)

Für Dich gibt es zum einen die "Lebenswelt", die Welt des Alltags, in der gewissermaßen der gesunde Menschenverstand herrscht und wo ich nicht zweifeln muss, dass die Treppe in meinem Haus zu meinem Wohnzimmer führt und nicht zum Wohnzimmer des Nachbarn.

Zum andern gibt es jedoch die Philosophie, die in Großprojekten wie Welt, Geschichte, Subjekt u.a. Totalhorizonte erschließt, was immer auch sein mag. Dazu muss man die natürliche Einstellung verlassen.

Eine solche Zweiteilung halte ich nicht für sinnvoll. Ich halte es für problematisch, als Philosoph etwas ernsthaft zu bezweifeln, wovon ich als Normalmensch selbstverständlich überzeugt bin. Ich benutze stattdessen dasselbe kritische Denkvermögen sowohl im Alltag wie in der abstraktesten Wissenschaft.

Wenn Du darauf bestehst, dass Philosophie keine Erfahrungswissenschaft ist, so stimme ich Dir zu. Weder die Logik, die Ethik oder die Erkenntnistheorie sind empirische Wissenschaften.

Gegenüber den Positivisten, die Wissenschaft auf die Erforschung des Gegebenen beschränken wollen, ist festzuhalten, dass es auch noch andere wichtige und sinnvolle Fragen gibt, z. B. moralische und politische, die richtig oder falsch beantwortet werden können. Es wäre fahrlässig, die Beantwortung dieser Fragen irgendwelchen obskuren weltanschaulichen Lehren zu überlassen.

Problematisch finde ich es jedoch, wenn methodische Regeln, die dem Erkennen der Wahrheit dienen, bewusst verletzt oder bestritten werden. Dazu gehört u.a., dass man Irrtümer zugibt ("Hier irrt Nietzsche …") und dass man um der Klarheit willen Unterschiedliches auch begrifflich unterscheidet.

Ich halte es für einen wichtigen Unterschied, ob sich jemand, der philosophische Fragen beantworten will, bei jeder Behauptung und jedem Gedankenschritt fragt, ob diese intersubjektiv nachvollziehbar sind, oder ob er meint, darauf verzichten zu können. Für das erstere scheint mir der Ausdruck "wissenschaftliche Philosophie" nicht unpassend zu sein, auf den Du ja gern verzichtest.

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(bis Seite 12 Wahrheitssuche in der Philosophie)

 


 

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Letzte Bearbeitung 19.07.2009 /23.12.2014  Eberhard Wesche

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