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Meinungsfreiheit

 


Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung

Wenn man bestimmte Aktivitäten eines Individuums A (sein Handeln, Sprechen, Denken, Bewegen) als "frei" bezeichnet, dann meint man damit gewöhnlich, dass A in dieser Aktivität nicht durch andere Individuen oder durch die bestehenden Verhältnisse behindert oder eingeschränkt wird, sondern dass A tun und lassen kann, was es will. Das Wort "frei" bedeutet dann soviel wie "gemäß dem eigenen Willen" oder "selbstbestimmt".

In diesem Sinne
ist meine Meinungsäußerung frei, wenn ich äußern kann, was ich will. Wenn meine Äußerung unterdrückt oder verfälscht wird, wenn die Äußerung bestimmter Meinungen mit negativen Folgen für mich verknüpft wird, dann bin ich nicht frei bzw. selbstbestimmt in meiner Meinungsäußerung.

Was ist aber, wenn meine Meinung Einflüssen unterliegt, z. B. wenn mich die Lektüre eines Zeitungsartikels zu dieser Meinung gebracht hat? Bin ich dadurch in meiner Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht mehr frei? Sind meine Meinungsäußerungen dann nicht mehr selbstbestimmt?

Auch
wenn meine Meinung durch andere Meinungen beeinflusst wird
, kann sie weiterhin selbstbestimmt sein. Dass sich meine Meinung durch verschiedenste – auch äußere - Einflüsse bildet und verändert, beeinträchtig die Freiheit meiner Meinungsbildung solange nicht, wie mir diese Meinung nicht aufgezwungen wird, solange es also meine eigene Meinung bleibt, die auf meiner Einsicht beruht.

Solange ich die Einflüsse, die auf meine Meinung einwirken, bewusst machen und  kritisch beurteilen kann, solange ich sie bejahen oder verneinen und ohne Furcht vor Sanktionen zurückweisen kann, solange bleibt meine Meinungsäußerung selbstbestimmt.

Kein begründeter Wahrheitsanspruch ohne Meinungsfreiheit

Die unzensierte öffentliche Diskussion, an der jeder teilnehmen kann - sei es aktiv durch eigene Argumente oder sei es passiv als Publikum - ist die Voraussetzung dafür, dass auf die anstehenden Fragen richtige Antworten gefunden werden. Denn wenn Argumente und Positionen unterdrückt werden, findet die kritische Überprüfung der zugelassenen Positionen in Bezug auf diese unterdrückten Argumente und Positionen nicht statt. 

Wer gegen das allgemeine Recht auf freie Meinungsäußerung einwendet, dass man doch falschen Ansichten keine Verbreitungsmöglichkeit geben dürfe, der setzt voraus, dass er die richtigen Antworten bereits weiß. Aber wenn seine Position kein bloß zu glaubendes Dogma sein soll, sondern deren Richtigkeit allgemein nachvollziehbar begründet sein soll, dann müssen auch alle Gegenargumente zugelassen und gehört werden.
 

Dies gilt nicht für jede Art von Äußerung

Wenn die Meinungsfreiheit - so wie hier geschehen - damit begründet wird, dass man ohne sie nicht wissen kann, ob die vorherrschende gesellschaftliche Meinung die richtige ist, weil sie nicht anhand von Gegenargumenten geprüft wird, so folgt daraus, dass die Freiheit der Äußerung damit nur für Argumente begründet wird.

Da Sprache jedoch nicht nur zum Argumentieren taugt, sondern auch zahlreichen anderen Zwecken dienen kann, kann nicht für alle sprachlichen Aktivitäten das Recht auf deren freie Äußerung und Verbreitung gefordert werden.

Ein Bespiel hierfür ist die Beleidigung eines andern durch eine Äußerung. So ist z. B. die Belegung eines andern mit stark negativ gefärbten aber relativ inhaltsleeren und unpräzisen Schimpfworten wie "Gauner", "Schwein" oder  "Halsabschneider" nicht mehr von der obigen Argumentation gedeckt, weil eine Beschimpfung keine Argumentation ist.

Ein weiteres Beispiel ist die Verletzung von Gefühlen anderer durch sprachliche Äußerungen. Ein Beispiel hierfür ist die Leugnung der Judenvernichtung während der Naziherrschaft. Eine solche Äußerung stellt für jemanden, dessen sämtliche Angehörigen in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden und der an diesem Verlust schwer zu tragen hat, eine tiefe Verletzung seiner Gefühle dar.

Da eine derartige Gefühlsverletzung auch durch Behauptungen und Argumente erfolgen kann, ist hier allerdings Vorsicht geboten. Wenn jedes Bestreiten der Wahrheit einer religiösen oder weltanschaulichen Position als unzulässige Verletzung von Gefühlen ("Gotteslästerung") angesehen wird, so ist die Wahrheitsfindung in der Gesellschaft weithin behindert. 

Ein drittes Beispiel sind verbale Äußerungen, die zu verbotenen Handlungen direkt aufrufen oder indirekt antreiben. Dabei stellt sich allerdings das Problem, dass es darüber, ob eine Handlung verboten oder erlaubt ist, Meinungsverschiedenheiten geben kann. Sofern es hier jedoch um die rechtliche Absicherung der Meinungsfreiheit geht, entscheidet die betreffende Rechtsordnung darüber, ob eine Handlung verboten ist oder nicht.


Grenzen der Meinungsfreiheit

Mit dem Bekenntnis zur Unterdrückung anderer Meinungen hat der Dogmatiker die "vernünftige" Diskussion aufgekündigt. Er hat zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht um allgemeingültige, für jedermann nachvollziehbare Antworten geht. Insofern kann er sich auch nicht mehr auf ein allgemeingültiges Recht zur freien Meinungsäußerung berufen.

Wollen die Anhänger eines bestimmten Dogmas ihre Position trotzdem zur allgemein verbindlichen Lehre erheben, so dürfen und müssen sich die Andersdenkenden gegen diesen reinen Machtanspruch mit andern Mitteln als nur Argumenten zur Wehr setzen. Das kann letztlich heißen, dass die Aktivitäten dieser Dogmatiker nicht mehr geduldet werden und deren Organisation verboten wird. Die Grenzen der Toleranz sind erreicht.

 

Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
 

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Letzte Bearbeitung 11.05.2008 / Eberhard Wesche

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