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Auseinandersetzung mit fernöstlichen Lehren

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Aus der Diskussion mit einem Anhänger fernöstlicher Weisheit


Ich finde das Ergebnis Deiner Überlegungen (" Alles, was wir durch unseren Verstand erleben, ist nicht real. Es ist eine Täuschung" )  und dessen Herleitung diskussionsbedürftig. Jedenfalls in meinem Fall muss ich die von Dir geäußerte Hoffnung, dass jemand Dir folgen konnte, enttäuschen.  
 
Du führst in Deinem Beispiel (" Warum steht da ein Haus?" ) vor, dass man an jede Erklärung, warum etwas  so ist, wie es ist, eine weitere "Warum-Frage" anschließen kann, so dass sich theoretisch eine endlose Kette ergibt. Du stellst dazu fest, dass man eine "Ursache niemals bis zu der ersten Ursache zurückverfolgen kann".  
 
Du folgerst dann weiter: Da wir unser "Wissen nicht bis auf den ersten Ursprung zurückverfolgen können", ist es kein Wissen. "Wenn wir aber den ersten und damit 'wahren' Ursprung nicht kennen, können wir doch auch nicht von 'Wissen' sprechen."  
 
Du präsentierst dann das Ergebnis, dass das verstandesmäßige Wissen eine Täuschung ist.
 
Deine gedankliche Konstruktion steht und fällt mit der Annahme, dass ich die "wahre" Ursache für ein Ereignis nur dann kenne, wenn ich die "erste" Ursache, den "wahren" Ursprung dieses Ereignisses kenne. Dies leuchtet mir keineswegs ein.  
 
Es macht zwar oft Sinn, nach den so genannten "tieferen" Ursachen zu fragen, aber wie weit man mit der Ursachenforschung zurückgehen sollte, hängt von dem Problem ab, in dessen Zusammenhang die Frage aufgeworfen wurde. Es macht deshalb Sinn, wenn man zurückfragt: "Wozu willst Du das wissen?" und so den Problembezug zu erfahren. Entsprechend weit kann man die Kette der Ursachen dann zurückverfolgen.
 
Dazu ein Beispiel: Angenommen, ich schlafe schlecht im Hotelbett und frage nach der Ursache dafür. Dabei stelle ich fest, dass das Bett völlig durchhängt. Ich lasse mir ein anderes Bett aufstellen und die folgende Nacht schlafe ich gut. Durch die Beseitigung der Ursache habe ich die Schlafstörung abgestellt. Das ist für mich genug des Wissens, da das Problem, dem meine Frage entsprang, gelöst wurde. Ich kann nicht erkennen, was daran Täuschung sein soll.

***

Ich hatte in meinem Beispiel angenommen, dass ich schlecht geschlafen habe, weil das Bett durchhing. In Deiner Antwort sagst Du nun, dass wir gar nicht wissen können, ob das Bett real existiert, weil wir nicht wissen, ob das, was unsere Sinne wahrnehmen, real ist oder nur eine Halluzination darstellt.  
 
Ich stimme Dir zu, dass bei Menschen vermeintliche Wahrnehmungen der Wirklichkeit vorkommen können, die keine sind. Dazu gehören z. B. Einbildungen, Halluzinationen, Träume, Wahnvorstellungen.  
Ich bin jedoch der Meinung, dass die Menschen, sofern sie nicht geistesgestört – also "wahn" -" sinnig" - sind, über Möglichkeiten verfügen, derartige Bewusstseinsinhalte von Sinneswahrnehmungen zu unterscheiden.  
 
Wenn ich mir z. B. nicht sicher bin, ob ich mir nur einbilde, ein bestimmtes Geräusch – z. B. einen Pfeifton - zu hören oder ob es wirklich pfeift, so kann ich einen anderen Menschen fragen: "Hörst Du auch einen Pfeifton?"  Wenn er dies verneint, so begründet dies Zweifel, ob es tatsächlich pfeift. (" Ja spinne ich denn?" )

Wenn ich dann alle Türen und Fenster schließe und es pfeift unverändert laut in meinem Ohr, wenn ich schließlich in einen anderen Raum gehe, und es pfeift weiterhin unverändert, dann kann ich daraus schließen, dass ich keinen realen Pfeifton höre, sondern dass dieser Ton durch meine Gehörnerven selber hervorgerufen wird, dass ich also unter einem "Tinnitus" leide.
 
Und wenn wir nachts aus einem intensiven Alptraum aufwachen, so dauert es gewöhnlich nur wenige Sekunden, um nach Einschalten des Lichtes erleichtert festzustellen: "Ich liege zu Hause in meinem Bett und der Sturz in den Abgrund war nur geträumt."  
 
Wir kennen auch Bedingungen, die derartige Wahnvorstellungen verursachen können, wie z. B. hohes Fieber (".. siehst Vater Du den Erlkönig nicht?" ), halluzinogene Drogen (der LSD-Trip im Film "Easy rider" ), extremer Schlafmangel, Hunger oder Durst. Dadurch können wir bei Vorliegen dieser Bedingungen unseren vermeintlichen Wahrnehmungen besonders kritisch gegenüber stehen.  
 
Auch wenn die Möglichkeit einer Täuschung nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann, sehe ich deshalb keinen Grund, an der sinnlich wahrgenommenen Wirklichkeit grundsätzlich zu zweifeln und zu sagen: Das, was ich mit meinen Sinnen wahrnehme, ist nicht die Wirklichkeit.

***

Gegen Deinen Zweifel an der Verlässlichkeit von Sinneswahrnehmungen hatte ich die Position vertreten, dass es Methoden und Kriterien gibt, um Sinneswahrnehmungen der Wirklichkeit von Halluzinationen und Einbildungen zu unterscheiden, z. B. durch den Vergleich mit den Wahrnehmungen anderer oder durch gezielte Wiederholung der Wahrnehmungen.  
 
Dagegen hast Du nun eingewendet, dass ja alle meine vermeintlichen Wahrnehmungen Wahnvorstellungen sein könnten und ich nicht wissen könne, ob ich nicht selber wahnsinnig sei.  
Dies Argument verwundert mich etwas, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich nicht unter einer "mit Halluzinationen einhergehenden Verwirrtheit" (so mein medizinisches Wörterbuch) leide. Ich habe keinen Grund, an meinem Geisteszustand zu zweifeln, und sehe meinen Verstand keineswegs als derart unbrauchbar an, dass er durch "etwas über dem Verstand" ersetzt werden müsste.  
 
Obwohl ich dieses zugegebenermaßen etwas "unphilosophische" Argument für vollkommen ausreichend halte, will ich mich einmal auf Deine Argumentation einlasse, dass jede Wahrnehmung gleichermaßen unzuverlässig ist und eine Wahnvorstellung sein kann, dass also kein Kriterium der Unterscheidung zwischen einer Wahnvorstellung einerseits und einer Sinneswahrnehmung der wirklichen Welt andererseits verfügbar ist.    
 
Dies würde bedeuten, dass ich alles, was ich erlebe, als mögliche Einbildung auffassen muss. Statt zu sagen: "Ich habe Zahnschmerzen" muss ich sagen: "Ich bilde mir vielleicht ein, dass ich Zahnschmerzen habe." Und statt zu sagen: "Der Zahnarzt bohrt" muss ich sagen: "Ich bilde mir vielleicht ein, dass der Zahnarzt bohrt." Ansonsten würde meine Wahnwelt sich in nichts von der Welt unterscheiden, die ich bisher erlebt habe.  
 
Da aber der Zusatz "Ich bilde mir vielleicht ein, dass …" keinerlei zusätzliche Information oder Orientierung für mich enthält, ist dieser Zusatz praktisch überflüssig, und ich kann ihn problemlos weglassen – womit wieder alles beim Alten ist.

Wenn unter dem Begriff "Wirklichkeit" all das zusammengefasst wird, was tatsächlich existiert und auf uns "wirkt", so müssen wir uns bei der Erkenntnis dieser Wirklichkeit unserer Augen, Ohren und der anderen Sinnesorgane bedienen, und wir müssen unsere Wahrnehmungen mithilfe unseres begrifflichen Denkvermögens ordnen und durch die Konstruktion von Theorien erklären. Dies ist der Weg zu einem "realistischen" Bild der Welt, wie sie "wirklich" ist.  

***

Für die Feststellung der Wirklichkeit eines Splitters in meinem Fuß bedarf es neben meiner Schmerzempfindung und dem Erkennen eines winzigen Holzteils in meiner Haut keines weiteren "Beweises".

Auch wenn etwas gegenwärtig nicht von mir wahrgenommen wird, kann ich wissen, dass es existiert. Dass am westlichen Ende der Straße "Unter den Linden" in Berlin das Brandenburger Tor steht, weiß ich, auch wenn ich es jetzt gerade nicht sehe. Ich konnte mich unzählige Malen davon mit eigenen Augen überzeugen. Diese Annahme über die Wirklichkeit hat sich so oft "bewährt" und "bewahrheitet", dass ich allen Grund habe, sie mit größtmöglicher Gewissheit für "wahr" zu halten.

Ähnliches gilt für
Erkenntnisse, die ich von anderen übernommen habe. Der große Vorteil eines Wissens, das auf methodischer Wahrnehmung und logischem Denken aufgebaut ist und das sprachlich formulierbar ist, besteht ja gerade darin, dass ein solches Wissen intersubjektiv gültig ist und deshalb von anderen Individuen übernommen werden kann. Es gibt für mich deshalb keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es z. B. Russland gibt, auch wenn ich selber noch niemals dort war.

Ich will mich hier nur mit der im engeren Sinne philosophischen Frage beschäftigen, ob man durch den Gebrauch der Sinne und die gedankliche Verarbeitung des Wahrgenommenen Wissen über die Welt gewinnen kann.

Du hältst es für nicht ausgeschlossen, dass für jemanden, der gerade Zeuge eines Verkehrsunfalls wird, "plötzlich das Auto und die ganze Umgebung wie von Wasserfarbe gemalt zerrinnt, ihm die Augen ausfallen, sein Körper einfach abfällt und vor ihm plötzlich eine ganz andere Wirklichkeit steht". Mit diesem Szenario begründest Du, dass wir nur über Vermutungen verfügen und nicht über Wissen: "Jeder menschliche Gedanke, der die Wirklichkeit erfassen will, ist immer nur eine Vermutung - niemals 'Wissen'. Alles, was wir erklären, definieren und begründen könnte sich im nächsten Augenblick als absoluter Irrtum erweisen. Es scheint unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen."

Dazu kann ich nur sagen: Ich rechne nicht damit, dass mir plötzlich "die Augen ausfallen" (es sei denn, ich wäre gerade Schauspieler in einem der beliebten Mystery-Filme). Ich halte das in der Tat für ausgeschlossen und würde darauf eine Wette von 1 zu 1 Million eingehen. Ohne die Gründe hier im Einzelnen ausführen zu müssen, kann ich den folgenden Satz als wahr behaupten: "In den nächsten 10 Sekunden werden mir nicht die Augen ausfallen"   (…..ich warte jetzt 10 Sekunden: 1 … 2 … 3 …. 4 …. 5 …. 6 …. 7 …. 8 …. 9 …. 10)  !?!?  ich stelle fest: Meine Augen sitzen noch fest in meinem Kopf. Also ist mein Satz wahr gewesen.

Wenn Du erwiderst: "Das war zwar eine Vermutung, die sich bewahrheitet hat, aber dennoch war es nur eine Vermutung. Es hätte auch anders kommen können",
so frage ich Dich, in welchem Sinne Du das Wort "Vermutung" gebrauchst.
Handelt es sich bei dem Satz "Ich kann nicht ausschließen, dass mir im nächsten Moment die Augen ausfallen" in dem gleichen Sinne um eine "Vermutung" wie bei dem Satz "Ich kann nicht ausschließen, dass die Münze, die ich gleich in die Luft werfe, mit der Zahl nach oben liegen bleibt" ? Wenn "ja", dann haben wir es wieder mit einer von Deinen Umdeutungen gängiger Begriffe wie "wissen" und "vermuten" zu tun. Angenommen, ich sehe nach Jahren einen Freund aus meiner Kindheit wieder, gehe auf ihn zu und sage: "Bist Du nicht der Kalle Müller aus Nr. 17?" Wenn der Angesprochene mir daraufhin antwortet: "Ich vermute es, aber ich weiß es nicht", dann wüsste ich wahrscheinlich nicht, ob ich ihn für einen Spaßvogel halten sollte oder für einen Geistesgestörten. 

***

Du schreibst: "Für den Verstand gibt es nur die persönliche Wahrheit oder den persönlichen Sinn des Lebens. Also sind die vom Beobachter abhängig. Sie sind relativ."  

Mit dieser Auffassung wirst Du jedoch keineswegs dem wissenschaftlichen Denken gerecht, dessen Leistung ja gerade darin besteht, über die subjektive Meinung des einzelnen hinaus zu gehen und intersubjektive, allgemeingültige Erkenntnisse zu formulieren. Diese vereinten Anstrengungen des menschlichen Verstandes haben nicht zu "Täuschungen" geführt, wie Du meinst, sondern z. B. zum Internetkontakt mit Partnern auf der andern Seite der Erdkugel, zur Schluckimpfung gegen Kinderlähmung oder zu Robotern, die den Mars erkunden.  Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sind gerade keine "persönlichen Wahrheiten", sondern sie gelten allgemein. Sie werden nicht vom Verstand "als Wahrheiten empfunden", sondern ihre Geltung beruht auf wiederholten kontrollierten Untersuchungen der verschiedensten Wissenschaftler.  
 
Für mich stellt sich eher umgekehrt die Frage, ob die von Dir beschworene "wahre Wahrheit", die "Wirklichkeit, die keiner Täuschung mehr unterliegt", die "Erkenntnis, die alles erklärt und alles sinnvoll macht" allgemeine Geltung beanspruchen kann. Wenn Dein Anspruch auf "Wahrheit" (der ja unausgesprochen den Anspruch auf meine  Zustimmung enthält) mehr sein soll als ein Dogma, dann muss es Argumente für Deine Behauptungen geben, die ich teilen kann.

Wenn Du schreibst: "Ich erkläre hier, dass jeder diese eine Wahrheit selbst begreifen kann, indem er es lernt sich nicht mehr mit den Gedanken zu identifizieren", so kann dies für mich kein Argument sein. Denn demnach wird mir Deine Wahrheit erst dann einsichtig, wenn ich mich nicht mehr mit meinen Gedanken identifiziere. Ich muss also zuvor mein kritisches Denken an der Tempeltür abgegeben haben, bevor ich die "Erkenntnis, die alles erklärt" gewinnen kann.  

***

Ich hatte Dich gefragt: "Auf welche Fragen gibt die von Dir vertretene Lehre welche Antworten?" Deine Antwort lautete: "Auf alle erdenklichen Fragen, denn wer nicht durch das Ego lebt, der hat keine Fragen mehr".

Ich hatte weiter gefragt: "Welche Gründe hast Du für die Auszeichnung dieser Antworten als 'wahr'?" Deine Antwort lautete: "Weil es sich um Wissen handelt. Unbezweifelbares Wissen. Solch ein Wissen kann der menschliche Verstand nicht erfassen. Wie könnte ich dieses Wissen dann mit Worten erklären?"

Ich glaube, diese Zitate belegen hinreichend meinen Eindruck, dass es hier nicht um "Erkenntnis" im üblichen Sinne geht.

Du schreibst: "Erkenntnisse, die man in der Meditation erleben kann, sind unbezweifelbar." Weil das, was Du mit "Erkenntnissen" bezeichnest, keinerlei formulierbaren Gedanken enthält, ist allerdings auch gar nichts da, was bezweifelt werden könnte - zumindest, wenn man unter "Zweifel" die Infragestellung von Aussagen versteht.

Du bedienst Dich bei Deiner Argumentation hoch angesehener Begriffe wie "Wahrheit", "Erkenntnis" oder "Wissen", aber Du verwendest sie fern von ihrer üblichen Bedeutung, indem Du sie auf sprachlich nicht formulierbare Erlebnisse anwendest. Wenn man es hart ausdrücken wollte, so könnte man dies auch als "Etikettenschwindel" bezeichnen.

Die Ummünzung der Begriffe zieht sich durch Deine gesamte Argumentation. So forderst Du zur "Überprüfung" Deiner Ansichten auf. Aber was soll das für eine "Überprüfung" sein, wenn ich diese ohne meinen Verstand durchführen muss, "denn der Verstand ist es, der dich täuscht", wie du schreibst?

Damit ich nicht missverstanden werde: Mit dieser Kritik ist nicht gesagt, dass auf dem von Dir praktizierten Weg nicht Bewusstseinszustände der inneren Ruhe, Harmonie und Freude erreicht werden können. Aber das bedeutet auch, dass dieser Weg nicht zu Erkenntnis und Wissen im Sinne einer richtigen Beantwortung philosophischer Fragen führt.

Ich bestreite nicht die Möglichkeit, durch Meditation und andere geistige Übungen Erlebnisse zu haben, die die ganze Welt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Was ich jedoch ganz entschieden bestreite, ist Dein Anspruch, dass diese geistigen Übungen ein Weg zur Gewinnung von Erkenntnissen seien. Noch dazu sollen diese Erkenntnisse jenen, die durch Sinneswahrnehmung und Verstand gewonnen werden, überlegen sein. (" Es gibt die Wahrheit nicht mit den Gedanken zu finden. Oder mit der Logik oder den Sinnen. Denn diesen ist immer nur ein Teil des Ganzen offenbart. Die absolute Wahrheit unterliegt keiner Trennung mehr. Alles wird als eine Einheit erkannt und erst dadurch fällt der Schleier der Täuschung und man begreift worum es geht." )
 
Ich frage Dich:
 
1. Teilst Du mit mir den Sprachgebrauch, dass man nur dann etwas als "Erkenntnis" bezeichnen sollte, wenn es geeignet ist, Fragen zu beantworten?
 
Wenn "nein", dann nehme ich Deinen ungewöhnlichen Sprachgebrauch zur Kenntnis und stelle fest, dass es Dir im Unterschied zu mir gar nicht um die Beantwortung von Fragen geht.  
 
2. Wenn "ja", teilst Du mit mir den Sprachgebrauch, dass man nur dann etwas als "Antwort" auf eine Frage bezeichnen sollte, wenn es sich sprachlich ausdrücken lässt?  
 Wenn "nein", dann nehme ich Deinen ungewöhnlichen Sprachgebrauch zur Kenntnis, und stelle fest, dass "Antworten" in Deinem Sinne meinen Antworten grundsätzlich nicht logisch widersprechen können.  
 
3. Wenn "ja", teilst Du mit mir den Sprachgebrauch, dass man eine Antwort nur dann als "wahr" auszeichnen sollte, wenn man zugleich mit guten Gründen annimmt, dass man diese Antwort auch in der Zukunft noch für wahr halten kann und dass auch andere sie für wahr halten können?  
 
4. Wenn "ja", teilst Du mit mir den Sprachgebrauch, dass man nur dann davon sprechen sollte, dass jemand sich "getäuscht" habe, wenn dieser eine Antwort für "wahr" gehalten hat, die falsch war?
 
Wenn "nein", dann nehme ich diesen Sprachgebrauch zur Kenntnis und stelle fest, dass Deine Etikettierung meiner Erkenntnisse als "Täuschung" kein Grund zur Beunruhigung ist.
 
Nach dieser zugegebener Maßen etwas rigorosen Abklärung der benutzten Begriffe frage ich Dich:
 
5. Was ist falsch an dem Satz: "Der Mond kreist in einer Entfernung von ca. 320 000 km um die Erde." ? Wenn der Satz wahr ist, so kann er meine Frage beantworten und ich kann sie ohne Bedenken meinem Denken und Handeln zugrunde legen. Dass es nur die Antwort auf eine von vielen Fragen ist, tut dem keinen Abbruch.
 
6. Auf welche Fragen gibt die von Dir vertretene Lehre welche Antworten? Widersprechen diese dem obigen Satz über den Mond?
 
7. Welche Gründe hast Du für die Auszeichnung dieser Antworten als "wahr" ? Das heißt: Mit welcher Begründung nimmst Du an, dass Du diese Antworten auch zukünftig für wahr halten kannst und dass auch andere diese Antworten für wahr halten können?

***

Deiner Erwiderung entnehme ich, dass es für Dich "Antworten" gibt, die sich nicht sprachlich formulieren lassen. Deine Begründung hierfür lautet: " … denn die Antwort auf die Frage, warum das Universum existiert, lässt sich mit dem Verstand (logischen Schlüssen) nicht erklären."
 
Ich kann daraus nur den Schluss ziehen, dass es sich bei diesen "Antworten", die sich nicht in Worte fassen lassen und damit auch nicht denken lassen, um eine Art Gefühl handeln muss. Hier von "Antwort" zu sprechen, ist schon ein recht ungewöhnlicher Sprachgebrauch. Ich befürchte, dass durch eine derartige  Ausweitung des Begriffs "Antwort" der wichtige Unterschied zwischen "Gedanken" einerseits und begriffslosen Bewusstseinszuständen andererseits verwischt wird und dass damit klares Denken eher behindert wird.  
 
Weiterhin entnehme ich Deiner Erwiderung, dass Du das Wort "Täuschung" auch in Bezug auf Erkenntnisse verwendest, die nicht falsch sind. Du begründest Deinen Sprachgebrauch mit einer Analogie: Wenn man sich in einem großen, dunklen Raum befindet, den man nur mit einer kleinen Taschenlampe ausleuchten kann, so kann man immer nur kleine Ausschnitte des Raumes sehen.
Dem stimme ich zu. Nicht akzeptieren kann ich jedoch Deine Interpretation dieser eingeschränkten Sichtverhältnisse. Du schreibst: "Ich meine nun, dass diese 'Teiluntersuchung' den Raum nicht in seiner 'wirklichen' Gestalt erkennen lässt. Ich spreche also von einer Täuschung im Sinne von, dass unsere Vorstellung des ganzen Raumes nicht der 'Wirklichkeit' dieses Raumes entspricht."  
 
Eine derartige Situation muss jedoch keineswegs  zu einer "Täuschung" führen. Was einen kritisch denkenden, reflektierten Menschen auszeichnet ist nicht so sehr, dass er viel weiß, sondern vielmehr, dass er kritisch einschätzen kann, wie gesichert sein Wissen ist. Wenn ich am hellen Tag sehe, wie wenige Schritte entfernt von mir ein Auto bei "rot" durchfährt und einen Fußgänger verletzt, so habe ich eine größere Gewissheit, dass es tatsächlich so gewesen ist, als wenn ich einen gleichartigen Vorgang aus 100 Meter Entfernung bei hereinbrechender Dunkelheit miterlebe.  
 
Wenn ich also einen großen Raum nur im kleinen Lichtkegel meiner Taschenlampe sehe, werde ich als kritisch denkender Mensch nur mit größter Vorsicht etwas über die Beschaffenheit des ganzen Raumes aussagen. "Täuschen" kann ich mich solange nicht, wie mir bewusst ist, dass die Sichtverhältnisse schlecht waren und solange ich bedenke, dass meine Annahmen entsprechend ungewiss sind.
 
Aber wenn ich z. B. im Schein meiner Taschenlampe einen Menschen weglaufen sehe, dann kann ich dies  vor Gericht mit größter Sicherheit bezeugen. Und meine Aussage als Zeuge kann für das Gerichtsurteil entscheidend sein, auch wenn sie nur ein Detail betrifft und nicht das ganze Geschehen umfasst. Dass unser Wissen sich aus vielen Teilen zusammensetzt, ist unvermeidlich. Und dass nicht alles Wissen 100%ig gewiss ist oder manchmal sogar ganz fehlt, ist kein Grund, deswegen darauf zu verzichten. Ich kann auch auf der Grundlage von unvollkommenem und unsicherem Wissen handeln, indem ich z. B. verschiedene Möglichkeiten entsprechend der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens einkalkuliere. Ich benötige keine "absolute" Gewissheit. Ich hätte eher die Befürchtung, dass mich die Überzeugung von der Unfehlbarkeit meiner Erkenntnis daran hindert, erforderliche Korrekturen daran  vorzunehmen und diese weiterzuentwickeln.
 
Ergebnis meiner Überlegungen ist, dass es nicht gerechtfertigt ist, die aus unserer Wahrnehmung und unserem Denken gewonnenen Aussagen über die Wirklichkeit als "Täuschungen" zu bezeichnen. Wenn Du nach einer zutreffenderen Bezeichnung als "Täuschung" fragst, so schlage ich die Bezeichnung "kritisch reflektiertes Wissen" vor. Damit bezeichne ich ein Wissen, das mit einer begründeten Einschätzung des jeweiligen Grades an Gewissheit dieses Wissens einhergeht.  
 
Offenbar geht es Dir gar nicht um die Beantwortung von Fragen, um die Gewinnung von Erkenntnissen oder um die Vergrößerung des Wissens – zumindest, wenn man die Worte "Antwort", "Erkenntnis" oder "Wissen" in ihrer üblichen Bedeutung versteht.  
 
Dir geht es stattdessen darum, durch Meditationsübungen in einen Bewusstseinszustand "unendlichen Freude" zu gelangen, wo Du nicht mehr denkst, wo Du nichts mehr in Worte fassen musst, wo sich Dir keine Fragen mehr stellen und wo es deshalb auch keine falschen Antworten mehr gibt.  
 
Die Philosophen, die ihre Sinne und ihren Verstand benutzen, um auf wichtige Fragen wahre Antworten zu finden, sind Deiner Meinung nach unfähig, die "wahre Wahrheit" zu erkennen.

Den Weg zur Erkenntnis dieser "wahren Wahrheit" liefert die "Philosophie aller Philosophien".

Es handelt sich dabei um eine "Philosophie", die die Bemühung um die Beantwortung von Fragen als Irrweg ansieht – deshalb wäre die Bezeichnung "Ende aller Philosophien" wohl zutreffender.

Es handelt sich um eine "Wahrheit", die sich nicht in Worte fassen lässt – die sich folglich auch nicht diskutieren und widerlegen lässt.

Es handelt sich um eine "Erkenntnis", die sich nicht denken lässt – die also nur ein (angenehmes) Gefühl darstellt.

Es handelt sich um einen "Sinn", der sich nicht vorstellen lässt – und deshalb vom Un-Sinn nicht zu unterscheiden ist, weil Kritik nicht vorgesehen und nicht möglich ist.

Die Versprechungen für den, der mitmacht, sind traumhaft: - er kann sich "allmächtig, allwissend und unvergänglich" fühlen.

Es gibt eine Hierarchie der Bewusstseinsstufen – was einhergeht mit einer kulthaften Verehrung derjenigen Personen, die die "höheren" Stufen erklommen haben.

***

Du charakterisierst die mit unseren Sinnen und Denken erfassten Welt als trostlos, wenn nicht sinnlos.

Du schreibst: "Denkst du, dass das die Wirklichkeit sein soll, was du wahr nimmst? ... Das gesamte Dasein besteht dann aus arbeiten, ein wenig Spaß haben, schlafen und essen? Fragst du dich denn nie: Kann es das sein? Sei doch ehrlich: Du weißt doch, dass es das nicht sein kann."

Ehrlich gesagt: Diese Welt ist nicht so schal und fad, dass ich nach jenseitigen Welten Ausschau halten muss. Es gibt in dieser Welt vieles, für das ich mich begeistern kann: z. B. der in leuchtendes Rot getauchte Abendhimmel, der heisere Schrei des Fuchses in den nächtlichen Wiesen, der glänzende Skarabäus aus dem Grab des Tutenchamun, die überraschende Harmonik in den Preludes von Debussy, Picassos Bild "Der Traum", die Plastik "L'Air" von Maillol, die Entdeckungen der Viren- und Genforschung, das Gruppenerlebnis beim Volleyball, das Bewusstsein, Teil der Natur zu sein, hervorgegangen aus der millionenfach erfolgreichen Fortpflanzung des Lebens auf unserem Raumschiff Erde und nicht zuletzt Reiz und Anziehung des anderen Geschlechts – all das gehört auch zum Leben und kann es so erfüllen, dass am Ende der Tod keine Tragödie ist. Muss ich noch nach dem Sinn des Lebens fragen?

***

Du hast recht, wenn Du betonst, dass unsere Gedanken nicht völlig willkürlich von uns gesteuert werden können. Die Vorgänge in unserem Bewusstsein, die Gedanken, die wir "im Kopf haben" sind nur zu einem – geringen – Teil willkürlich steuerbar.

In der Alltagssprache kann man für dieses Phänomen zahlreiche Formulierungen finden: "es fiel mir plötzlich ein", "alles erinnerte mich an sie und ich konnte sie einfach nicht vergessen", "ich ertappte mich bei dem Gedanken", "es geht mir nicht aus dem Sinn" usw..  
 
Wir können auch unsere Gedanken nicht willkürlich steuern. Wenn es eine schwindende Motivation gibt, sich mit einem  bestimmten Inhalt zu befassen, so richtet sich das Bewusstsein automatisch auf andere Inhalte, die stärker motivieren, Dann "schweifen die Gedanken ab", man hat "Schwierigkeiten, sich auf etwas (langweiliges) zu konzentrieren".
 
In noch stärkerem Masse können wir unsere Gefühle nicht willkürlich steuern. Um auch hier wieder die in der Sprache gespeicherten kollektiven Erfahrungen zur Veranschaulichung anzuführen: Wir sagen "mich packte die Angst", "ich empfand unüberwindlichen Ekel", "er wurde seine Schuldgefühle nicht mehr los", "er konnte seine Wut nicht verbergen", "sie fiel in tiefe Depression" usw.
 
Dass die menschliche Persönlichkeit ein komplexes System verschiedenster Antriebszentren und Instanzen ist, die nicht von einem Befehlszentrum "Ich" willensmäßig gesteuert werden, ist wohl unbestritten.

Offenbar hast Du dies als Entfremdung und wohl auch als Bedrohung erlebt. Du konntest Dich mit dem, was in Dir an Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen hochkam, nicht identifizieren und warst gewissermaßen ein "Fremdling im eigenen Haus". Dies muss jedoch nicht sei, sofern die verschiedenen Instanzen – (Triebnatur – moralisches Empfinden – überlegte Entscheidung etc. ) miteinander harmonieren.

Offenbar konntest Du innere Harmonie und seelisches Gleichgewicht nur dadurch gewinnen, dass Du die Gedanken und auch die Gefühle durch bestimmte Methoden der Meditation "abgeschaltet" hast, wie sie von indischen Yogi entwickelt wurden. Hier gibt es ja Richtungen, die auch normalerweise unwillkürlich gesteuerte Vorgänge wie Herzschlag, Atmung  durch Meditationstechniken gezielt beeinflussen können.  

***

Vergangenes Jahr habe ich eine Reise nach Istanbul gemacht. Das weiß ich mit großer Sicherheit. Dies Wissen wird nicht im geringsten dadurch erschüttert, dass Du daher kommst und die These aufstellst, dass ich gar nie in Istanbul war, sondern dass "meine Vergangenheit in einem Computerprogramm erstellt wurde und dass ich heute Nacht davon los geschlossen wurde", wie Du schreibst. Ich wäre jedenfalls neugierig hinsichtlich der Schnittstelle, über die Du mich verkabelt hast, und ich wüsste gern weitere Indizien für Deine Behauptung.

Der Punkt soll hier sein, dass ich Dich nicht widerlegen kann. Dazu kann ich nur sagen: "Ein Spaßvogel kann mehr behaupten, als 1000 Wissenschaftler widerlegen können". Wenn jemand seine Behauptungen nicht begründen will oder kann, sehe ich keinen Anlass, mich um derartige Behauptungen und gar um deren Widerlegung zu bemühen.

***

 

Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
 

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Letzte Bearbeitung 26.09.2005 / Eberhard Wesche

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